Ab jetzt wird gedroht

In der Berliner Mieterbewegung wird angesichts des Wohnungsmarkts ein linker Klassiker diskutiert: die Hausbesetzung.

Hausbesetzungen bringen immer noch Erfolge – selbst wenn sie nur angedroht werden. Diese Erfahrung konnten die letzten Mieter der Beermannstraße 20 im Berliner Stadtteil Treptow machen. Da die von ihnen bewohnten Häuser dem Ausbau der umstrittenen Stadtautobahn A100 weichen sollten, betrieb der Senat eine Enteignung der Mietverträge (Jungle World 45/2014). Zugleich weigerte er sich, den Bewohnern Wohnungen mit vergleichbaren Mieten anzubieten.

Mittlerweile hat die Enteignungsbehörde den sechs verbliebenen Mietparteien doch Ausgleichszahlungen für die Differenz zwischen der Miete ihrer bisherigen Wohnung und der neuen Bleibe zugesprochen. Die Zahlungen werden eingestellt, wenn das Gericht die Kündigungen für rechtmäßig erklärt. Ansonsten erhalten die Mieter die Differenz 16 Jahre lang. Sie mussten sich allerdings zum sofortigen Auszug verpflichten.

Die Mieter erhielten lange Zeit wenig öffentliche Aufmerksamkeit. Doch die Treptower Stadtteil­initiative Karla Pappel unterstützte die Bewohner und gab die Parole aus: »Keiner wird alleingelassen«. Dabei stellte sie eine Aktionsform zur Diskussion, die in den vergangenen Jahren selbst in Berlin nur noch Gegenstand nostalgischer Jubiläumsveranstaltungen war. »Besetzen statt räumen« lautete der Slogan eines Bündnisses, das in den vergangenen Wochen auch Menschen zum Handeln bewegte, die zu jung sind, um in Berlin jemals ein besetztes Haus betreten zu haben. Denn bis auf die Rigaer Straße 94 sind alle Haus­projekte vertraglich legalisiert, selbst wenn sie sich nach außen auf Plakaten und Transparenten als besetzt bezeichnen.

Die Bewohner solcher Projekte waren mehrheitlich nicht anwesend, als im Februar im Friedrichshain-Kreuzberg-Museum mehr als 100 Menschen über die Notwendigkeit neuer Besetzungen diskutierten. Kurze Anregungen kamen von Karla Pappel, der Umweltorganisation Robin Wood und dem Berliner Bündnis »Zwangsräumung verhindern«. Die derzeitige Diskussion über Besetzungen unterscheidet sich dabei sehr von der in den siebziger Jahren in Westberlin und Anfang der neunziger Jahre im Osten der Stadt. Nicht der Kampf um Freiräume, sondern der Widerstand gegen eine kapitalistische Wohnungspolitik, die für das einkommensschwache Drittel der Bevölkerung die Verdrängung an den Stadtrand bedeutet, steht im Vordergrund. Auf der Veranstaltung wurde das Konzept öffentlicher Massenbesetzungen diskutiert, das sich auf besonders benachteiligte Bewohner stützt. Es wurde vorgeschlagen, Geflüchtete und Wohnungslose in die schon leeren Wohnungen in der Beermannstraße einziehen zu lassen. Auch auf mehreren Demonstrationen in der Beermannstraße wurde die Notwendigkeit von Besetzungen herausgestellt.

Mit der für die ehemaligen Mieter der Beermannstraße vorteilhaften Vereinbarung ist diese Debatte allerdings nicht beendet. »In der aktuellen Phase geht es darum, die Idee einer breit aufgestellten Besetzungsperiode einzuleiten, welche die Aneignung bezahlbaren Wohnraums in einer Breite propagiert, verankert und ein Klima schafft, das zu breiten gesellschaftlichen Mobilisierungen in der Lage ist«, sagt ein Mitglied des Bündnisses »Besetzen statt räumen«.

Die Abkehr von der Hausbesetzung als subkulturelle Praxis empfiehlt auch der Berliner Polito­loge Armin Kuhn, der kürzlich im Verlag Westfälisches Dampfboot das Buch »Vom Häuserkampf zur neoliberalen Stadt« veröffentlichte. »Viele Initiativen in der neuen Mieterbewegung haben erkannt, dass ein Zusammenfinden auf der Grundlage subkultureller Gemeinsamkeiten kaum ein Weg sein kann, um diejenigen zu erreichen, die am meisten von Verdrängung und gesellschaftlicher Marginalisierung in der Stadt betroffen sind«, sagt er der Jungle World. Grischa Dallmer, der im Rahmen der transnationalen Veranstaltungsreihe »Wohnen in der Krise« Mietrebellen aus verschiedenen Ländern nach Berlin eingeladen hat, betont im Gespräch mit der Jungle World, dass in der Stolarska-Straße im polnischen Poznan und in vielen spanischen Städten Besetzungen längst an der Tagesordnung sind.

http://jungle-world.com/artikel/2015/10/51546.html

Gewonnen in der ersten Instanz

GENTRIFIZIERUNG Großer Jubel: Keine Mieterhöhungen im Hausprojekt Brunnenstraße 7 in Mitte

Um 11 Uhr knallten am Mittwoch die Sektkorken vor dem Amtsgericht Mitte in der Littenstraße. Die BewohnerInnen des Hausprojekts Brunnenstraße 7 und ihre UnterstützerInnen hatten auch Grund, zu feiern. Eben wurde ihnen von der Richterin bestätigt, dass ein Satz in ihrem im Jahr 2000 am Runden Tisch ausgehandelten Vertrag weiterhin Gültigkeit hat, in dem es heißt. „Weitere Mieterhöhungen sind ausgeschlossen“.

Der Eigentümer der Hauskomplexes Uwe Heiland wollte die Mieten gemäß dem aktuellen Mietspiegel erhöhen. In dem mittlerweile massiv aufgewerteten Stadtteil rund um den Rosenthaler Platz hätte das beträchtliche Mieterhöhungen bedeutet. „Für viele der BewohnerInnen wären die Kosten finanziell nicht mehr tragbar gewesen“, erklärt Brunnenstraßenbewohnerin Petra Lange gegenüber der taz. Deshalb war auch die Mobilisierung unter den HausbewohnerInnen und ihrer UnterstützerInnen groß, nachdem die Hausverwaltung Gawehn Klagen zur Durchsetzung der Erhöhungen angekündigt hatte. Der Prozess am Mittwoch war die erste Klage gegen eine Mieterin des Hauses. Er dauerte nur knapp 15 Minuten. Die Richterin erklärte, dass der Mietspiegel grundsätzlich auch auf die Brunnenstraße 7 Anwendung finden könnte. Dass die BewohnerInnen kollektive Wohnstrukturen entwickelt haben, sei kein Hinderungsgrund für Mieterhöhungen. Wohl aber der Satz, der Mieterhöhungen ausschließt. Der sei eindeutig und könne nicht missverstanden werden. Das Urteil wird erst in drei Wochen bekannt gegeben.

„Das ist das übliche Prozedere beim Amtsgericht. Es gibt aber keinen Zweifel, dass wir in der ersten Instanz gewonnen haben“, erklärte der MieteInnenanwalt Moritz Heusinger. Allerdings werde der Fall wohl in die zweite Instanz gehen. Der Eigentümer Heiland war bei der Verhandlung telefonisch zugeschaltet und erklärte, er wolle sich erst wieder auf eine Mediation einlassen, wenn der Fall durch alle Instanzen gegangen ist.

In der zweiten Instanz könnte dann auch ein ominöses Protokoll von den Verhandlungen am Runden Tisch eine Rolle spielen, das die AnwältInnen der Eigentümer gestern an Heusinger schickten. Dort sei vermerkt, dass doch Mieterhöhungen möglich sein sollen. Da das Protokoll bei der heutigen Verhandlung keine Rolle spielte, brauchte Heusinger auch nicht zu fragen, wer es erstellt hat, und vor allem nicht, ob es vielleicht die subjektive Sicht der EigentümerInnen wiedergibt.

Die waren natürlich auch damals nicht von der Klausel begeistert, die Mieterhöhung ausschloss.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2015%2F03%2F05%2Fa0196&cHash=a37887db5fb479b559de1abe42a974f6

Peter Nowak

Pro Soluta – Konfliktlösung im Sinne des Vermieters

„Vor vier Jahren erhielten wir die ersten Briefe zum Verkauf unseres Hauses und Einladungen der angeblichen Mieterberatung Pro Soluta. Ein Vermesser kündigte sich auch an, erschien dann aber nur bei wenigen Mietern. Relativ schnell wurde uns klar, dass nun auch dieses Haus im spekulativen Verwertungs-Roulette gelandet ist.“

Die Erfahrungen der Bewohner/innen der Willi-Alexis-Straße in Kreuzberg machen viele Mieter/innen in Berlin. Wenn ein Brief von Pro Soluta kommt, wissen sie, dass die Eigentümer die Mieter/innen möglichst schnell loswerden wollen. Die Briefe sind in der Regel in einem sehr moderaten Ton verfasst. Man wünsche einen Termin für ein Gespräch, welches dem „einvernehmlichen Miteinander“ und „der Vermittlung zwischen Mietern und Eigentümern“ dienen solle, teilt Pro Soluta mit und vergisst nicht zu erwähnen, dass eine Vollmacht des Eigentümers auf Verlangen vorgezeigt werden kann. Auch auf der Homepage von Pro Soluta hat man zunächst den Eindruck, man hätte es mit einen leicht esoterisch angehauchten Verein von Sozialarbeiterinnen zu tun: „Kommunikation ist ein universelles Phänomen, das in alle Bereiche individuellen wie sozialen Lebens hineinreicht. Gesellschaft ist ohne Kommunikation nicht denkbar, das Individuum ist ohne Kommunikation nicht lebensfähig“, heißt es dort. Gleich darunter findet sich ein Zitat des Philosophen Karl Jaspers: „Dass wir miteinander reden, macht uns zum Menschen.“ Wenn Mieter/innen aber ihr Recht gebrauchen, die Bitte um einen Gesprächstermin abzulehnen oder zu ignorieren, wird der Druck auf sie erhöht. Immer wieder berichten Betroffene, dass sie mit ständigen Anrufen konfrontiert worden seien. Insbesondere ältere Mieter/innen fühlen sich häufig von Pro Soluta zum schnellen Auszug gedrängt, weil sie sich später die Wohnung doch nicht mehr leisten könnten.

Profiling von Mieter/innen

Gegründet wurde Pro Soluta von Birgit Schreiber, die sich auf der Firmenhomepage als Immobilienfachwirtin und Wirtschaftsmediatorin vorstellt. Ihr Unternehmen verdient Geld, indem es versucht, mögliche Mietkonflikte im Sinne der Hauseigentümer zu lösen. Mit der frühzeitigen Ansprache durch Pro Soluta sollen die Mieter/innen vereinzelt werden, um ein gemeinsames Handeln zu erschweren. Daneben dient die Kontaktaufnahme von Pro Soluta auch dem Profiling. Durch die Gespräche erhält Pro Soluta Informationen über Alter, Familienstruktur, Zeit und Ort der Erreichbarkeit sowie häufig auch über die wirtschaftliche Situation der Mieter/innen. Mit solchen Informationen können Vermieter leichter das Verhalten der Mieter/innen beeinflussen und diese einfacher – beispielsweise durch sehr geringe Abfindungen – zum Auszug bewegen. Mieter/innen sollten sich darüber im Klaren sein, dass sie Schreiben und Gesprächswünsche von Pro Soluta ignorieren können, ohne dass ihnen dadurch rechtliche Nachteile entstehen. Die Berliner MieterGemeinschaft empfiehlt, dass sich die betroffenen Mieter/innen untereinander austauschen, um den scheinbar sanften Entmietern von Pro Soluta nicht einzeln gegenüberzustehen.

Peter Nowak


Aufruf an Betroffene von Pro Soluta
Erfahrungsaustausch und Vernetzung von Mieter/innen

Die Firma Pro Soluta tritt seit einigen Jahren vermehrt in Erscheinung. Offiziell handelt es bei ihr um einen Dienstleister für „Mediation“, der zwischen Mieter- und Vermieterseite bei Eigentümerwechseln vermittelt. Häufig entpuppte sich die Pro Soluta jedoch als Entmietungsspezialist, der von den Hauseigentümern zu diesem Zweck beauftragt wurde. Das Unterbreiten fragwürdiger Abfindungsangebote sowie das Streuen falscher Informationen und das Drohen mit juristischen Auseinandersetzungen kennzeichnen laut Berichten von Betroffenen die mieterfeindlichen Praktiken dieser Firma.
Infolge der wiederholten Berichterstattung des MieterEchos (zuletzt MieterEcho Nr. 371/ Dezember 2014) erreichten die Redaktion mehrere Zuschriften von Mieter/innen verschiedener Häuser und Bezirke, die einen Erfahrungsaustausch und eine Vernetzung mit anderen Betroffenen anregten. Dieses Anliegen ist sehr zu begrüßen, denn solch ein Austausch kann einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Strategien der Pro Soluta sowie ähnlicher Unternehmen offenzulegen und geeignete Formen der Gegenwehr zu entwickeln.
Alle Mieter/innen, die Erfahrungen mit der Pro Soluta gemacht haben und Interesse an einem Austausch und einer Vernetzung mit anderen Betroffenen haben, sind herzlich dazu aufgerufen, mit der Redaktion des MieterEchos in Kontakt zu treten.

Schicken Sie dazu bitte eine E-Mail mit dem Betreff „Pro Soluta“ an die Redaktionsadresse me@bmgev.de.
Teilen Sie uns bitte auch die Adresse Ihres Hauses und in knappen Sätzen Ihre bisherigen Erfahrungen mit der Firma Pro Soluta mit. Die Redaktion wird anschließend die Weitervermittlung der Kontakte in die Wege leiten.

MieterEcho online 25.02.2015

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/pro-soluta-entmietung.html

Klassenkampf im Stadtteil

„Verdrängung hat viele Gesichter“

Aufwertung der Stadtteile bedeutet die Verdrängung von MieterInnen mit geringen Einkommen. Diese Erkenntnis ist mittlerweile auch in liberalen Medien angekommen. Doch wie gehen die Betroffenen damit um? Was passiert in einem jahrelang wenig beachteten Stadtteil, wenn dort plötzlich in kurzer Zeit fast ein Dutzend Baustellen entstehen? Ist Aufwertung und Verdrängung ein Naturgesetz, oder gibt es Verantwortliche, die diesen Prozess vorantreiben? Das sind einige der Fragen, denen sich der Film „Verdrängung hat viele Gesichter“ widmet, den das Filmkollektiv Schwarzer Hahn produziert hat. Dort haben StadtteilaktivistInnen gemeinsam mit KünstlerInnen mehrere Jahre an dem Film gearbeitet. Sie wollten den Aufwertungsprozess am Beispiel des Berliner Stadtteils Treptow verdeutlichen. Noch Ende der 90er Jahre schien es, als wäre der Stadtteil das totale Gegenteil zum Prenzlauer Berg. Während dort schon Ende der 90er Jahre ein Großteil der Alt-MieterInnen wegziehen mussten, weil sie die teuren Mieten nicht mehr bezahlen konnten, waren in Treptow die Mietsteigerungen moderat und der Wegzug gering. Doch das änderte sich, als Baugruppen den Stadtteil für sich entdeckten. Es sind meist Angehörige der neuen gut verdienenden Mittelschichten, für die Treptow aus mehreren Gründen interessant wurde. Der Weg zum Szenebezirk Kreuzberg ist kurz. Dort siedelten sich im Rahmen des Media-Spree-Projekts zahlreiche Unternehmen an. Für die Angestellten wurde eine Wohnung in Treptow mit kurzen Anfahrtszeiten zur Arbeit attraktiv. Wie der plötzliche Run der Baugruppen auf die Bewohner eines Stadtteils wirkte, der bisher von großen Veränderungen verschont geblieben war, macht der Film sehr gut deutlich.

Nicht nur MieterInnen kämpfen in dem Stadtteil um das Überleben

Der Film begleitet Menschen, die im wahrsten Sinne des Wortes ums Überleben kämpfen müssen. Da ist der Altrocker, der auf seinen Balkon sitzt und sich bange fragt, ob er sich nach der nächsten Mieterhöhung die Wohnung noch leisten kann. Der Film zeigt, wie in Treptow in einer Stadtteilinitiative Menschen aus unterschiedlichen kulturellen und gesellschaftlichen Milieus zusammenarbeiten. Sie eint die Angst vor der Verdrängung aus dem Stadtteil und der Wille, sich dagegen zu wehren.

Der Film macht auch deutlich, dass nicht nur MieterInnen davon betroffen sind. Da wird ein Treptower Buchhändler gezeigt, der fast rund um die Uhr im Laden steht und am Ende 5 Euro Gewinn erzielt hat. Die Menschen, die bisher seinen Buchladen aufsuchten, verschwinden aus dem Stadtteil. Die Konsumwünsche des neu zugezogenen Mittelstandes kann er nicht befriedigen. Er arbeitet unermüdlich und kommt kaum über die Runden. Der Film geht so auf Aspekte der Aufwertung eines Stadtteils ein, die oft ausgeblendet werden. Neben den MieterInnen mit wenig Geld sind auch Läden und Kneipen bedroht, die ein Angebot für eine Kundschaft mit geringem Einkommen anbieten.

Die „guten“ VerdrängerInnen

Doch auch die Menschen, die von der neuen Situation profitieren, kommen in dem Film zu Wort. Mitglieder der Baugruppen werden interviewt. Manchmal kommt es zum Dialog, oft zum Streitgespräch zwischen den Gewinnern und Verlierern der Aufwertung. Viele Baugruppen-Mitglieder äußern ihr Unverständnis darüber, warum sie plötzlich in der Kritik stehen. Einige haben in ein Interview mit den FilmemacherInnen eingewilligt, weil sie sich ungerechtfertigt kritisiert sahen. Sie seien doch keine GentrifiziererInnen, sondern umweltbewusste StadtbürgerInnen. In dem Film werden die Baugruppen-BewohnerInnen nicht denunziert. Doch es werden immer wieder die gesellschaftlichen Bedingungen infrage gestellt, die dafür sorgen, dass in einem Stadtteil AltmieterInnen ums Überleben kämpfen und gleichzeitig ein neuer Mittelstand seine Privilegien und seine Macht ausspielt.

Der Film zeigt, dass Verdrängung viele Gesichter hat, aber kein Naturgesetz ist. So wird auch der Alltagswiderstand der MieterInnen in Treptow gezeigt, der vom Besuch bei den vielen neuen Kreativbüros über Stadtteilspaziergänge über Beteiligung an Baugruppen-Partys ohne Einladung bis zur Besetzung reicht.

Film als kollektiver Organisator

Doch „Verdrängung hat viele Gesichter“ dokumentiert nicht nur Verdrängung und Widerstand in dem Stadtteil Treptow. Mittlerweile trägt er selber dazu bei, dass sich die StadtteilbewohnerInnen organisieren. Nach vielen Filmvorführungen gibt es oft sehr lebhafte Diskussionen. Dort melden sich auch MieterInnen zu Wort, die hier endlich mal Gelegenheit haben, über ihre Erfahrungen mit Luxusmodernisierung und Verdrängungsstrategien zu sprechen. Sie treffen dort auf ein aufmerksames Publikum, das oft ähnliche Erfahrungen gemacht hat und mit Ratschlägen dazu beitragen kann, dass die MieterInnen Mut und Selbstvertrauen schöpfen. Denn sie erkennen, dass die Schuld nicht bei ihnen liegt, wenn sie sich nach einer Modernisierung die Miete nicht mehr leisten können. Und sie machen die Erfahrung, dass Verdrängung kein Schicksal und Widerstand dagegen möglich ist.

VERDRÄNGUNG HAT VIELE GESICHTER

DE 2014, 94 min, Regie: Filmkollektiv schwarzer Hahn

Weitere Infos zum Film finden sich auf der Homepage:

berlingentrification.wordpress.com

https://www.direkteaktion.org/227/klassenkampf-im-stadtteil

Peter Nowak

»Glaubt ihr, es macht Spaß, Drogen zu verkaufen?«

Wie eine Debatte um den Görlitzer Park abrupt ihr Ende fand

Eine Anwohnerversammlung zur Situation im Görlitzer Park lief am Donnerstagabend aus dem Ruder, als Protestierende per Abstimmung aus dem Saal geworfen werden sollten.

Die Debatte um den Görlitzer Park lässt die Wogen erst recht in Kreuzberg hochschlagen. Das wurde am Donnerstagabend deutlich, als das Bezirksparlament Kreuzberg-Friedrichshain zu einer Einwohnerversammlung zu diesem Thema in das Jugendzentrum Chip geladen hatte. Ca. 280 Stadtteilbewohner waren gekommen. Alle waren sich einig, dass die Zustände rund um den Park nicht optimal sind. Doch worauf soll der Fokus liegen? Darüber stritten sich die Teilnehmer teilweise sehr lautstark. So berichteten zahlreiche Flüchtlinge, die in Kreuzberg leben, über ständige Polizeischikanen. Ein junger Mann aus Afrika brach in Tränen aus, als er über seine mit großen Strapazen verbundene Flucht erzählte. »Glaubt ihr, es macht mir Spaß Drogen zu verkaufen? Aber was soll ich machen, wenn ich meine Familie in Afrika versorgen muss und nicht arbeiten darf?«

Auch viele Anwohner vermittelten, wie empört sie über die starke Polizeipräsenz im Park sind. Andere Einwohner begründeten, warum sie der Drogenhandel vor allem auf den Wegen störe, an denen sich Kinder aufhielten. Dabei betonten allerdings viele der besorgten Eltern, dass sie sich nicht gegen die Flüchtlinge wenden.

Einige machten konkrete Vorschläge. So regte ein Mann an, im Görlitzer Park Areale zu errichten, in denen der Verkauf von Drogen möglich ist und andere, in denen ein Drogenhandel tabu sein soll. Dieser Vorschlag fand bei vielen Menschen Zustimmung, nicht aber beim ebenfalls anwesenden Staatssekretär des Berliner Innensenats Bernd Krömer (CDU). Er markierte auf der Versammlung den konservativen Hardliner und geißelte schwere Kriminalität im Görlitzer Park, die rigoros unterbunden werden müsse. Seine Ausführungen waren von Protesten vieler Teilnehmer begleitet. Öl ins Feuer goss auch die grüne Kreuzberger Bürgermeisterin Monika Herrmann, als sie den Kritikern vorwarf, gar nicht in Kreuzberg zu wohnen. »Ich bin 1981 hier hergezogen und soll hier jetzt den Mund halten«, rief ein Mann. Als eine Moderatorin über den Vorschlag abstimmen lassen wollte, dass die Kritiker von Krömer und Herrmann polizeilich aus dem Saal geräumt werden sollen, war die Empörung auch bei manchem Mitglied der Grünen groß. »Ich überlege, ob ich noch in dieser Partei bleibe«, rief ein empörter älterer Mann, bevor er den Saal verließ. Obwohl sich die Wogen wieder geglättet hatten und viele Teilnehmer die Diskussion fortsetzen wollten, bestand die Moderatorin auf dem Abbruch der Debatte.

Peter Nowak

»Staatliche Zulagen helfen da kaum«

Im österreichischen Graz ist der Wohnungsmarkt zu teuer für viele Menschen

Elke Kahr ist seit 2005 Stadträtin für Wohnungsangelegenheiten in Graz, der zweitgrößten Stadt Österreichs. Sie ist Mitglied der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ), die bei den letzten Grazer Gemeinderatswahlen im Jahr 2012 mit rund 20 Prozent zweitstärkste Kraft wurde. Am Donnerstag berichtete sie im Rahmen der Veranstaltungsreihe »Wohnen in der Krise«  https://www.youtube.com/user/WohneninderKrise der Berliner Mietergemeinschaft  über ihre Arbeit. Mit ihr sprach Peter Nowak.

nd: Warum ist bei der KPÖ gerade die Wohnungsfrage so zentral?
Kahr: Weil viele Menschen mit niedrigen Einkommen Probleme haben, ihre Wohnungen sowie Strom und Heizung bezahlen zu können. Auch staatliche Zulagen helfen da kaum. Vielen Politikern war lange Zeit völlig egal, wie die Menschen mit wenig Einkommen lebten. Sie setzten auf den Markt, der alles regeln sollte.

Was setzt Ihre Partei gegen dieses Marktvertrauen?
Als Wohnungsstadträtin war es mein zentrales Ziel, die Zahl der Gemeindewohnungen zu erhöhen. Wer seinen Hauptwohnsitz oder seinen Arbeitsplatz in Graz hat, kann ein Gesuch stellen, das dann nach Kriterien wie Einkommen, gesundheitlicher oder familiärer Situation bewertet wird. Damit haben die Menschen mit wenig Einkommen eine Alternative zu den teuren Marktpreisen. Bei den Neubauprojekten der letzten Jahre liegen die Mieten der Gemeindewohnungen mit Betriebskosten und Heizung bei sechs Euro pro Quadratmeter. Für 50 Quadratmeter sind das 300 Euro im Monat. Auf dem privaten Wohnungsmarkt muss man dagegen mit 540 bis 700 Euro rechnen.

Ist mit den Gemeindewohnungen das Wohnungsproblem in Graz gelöst?
Nein, denn sie machen derzeit nur acht bis zehn Prozent des gesamten Wohnungsbestands aus.

Was sind die Hürden einer sozialen Wohnungspolitik?
Dem globalen Druck des Neoliberalismus sind wir natürlich auch ausgesetzt. Auf Bundes- und Landesebene gibt es in Österreich fast nur vermieterfreundliche Gesetze. Zudem kommt Druck aus den europäischen Institutionen in Brüssel, die Stabilitätskriterien einzuhalten.

Sehen Sie eine Gefahr, als Stadträtin Teil der Macht zu werden?
Nein, denn die KPÖ ist keine Koalition eingegangen und stimmt keinen Gesetzen und Maßnahmen zu, die die soziale Situation der Menschen verschlechtert.

Dennoch hat ihre Partei im vergangenen Jahr dem Doppelhaushalt der Stadt Graz zugestimmt.
Ja. Wir konnten mit den anderen Parteien Vereinbarungen erzielen, die die Lebensbedingungen vieler Menschen verbessern. Dazu gehören der Bau von 500 neuen Gemeindewohnungen, die Verhinderung von Streichungen im Sozial- und Kulturbereich und von Privatisierungen.

Kooperieren Sie auch mit den sozialen Bewegungen?
Ja, immer wenn wir an die parlamentarische Grenzen stoßen, wenden wir uns an die Bevölkerung und soziale Bewegungen. So konnten wir 2005 mit einem Volksbegehren verhindern, dass der Bestand an Gemeindewohnungen weiter verringert wird. Auch im Kampf gegen Sozialkürzungen arbeiten wir mit außerparlamentarischen Bewegungen zusammen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/961795.staatliche-zulagen-helfen-da-kaum.html

Peter Nowak

Friedelstraße 54 – nichts für schwache Nerven

Seit einigen Tagen sind auf den Balkonen des Hauses Friedelstraße  54 in Neukölln zahlreiche Transparente angebracht.  „Respektvoller Umgang mit den Mietern“! So?!“, lautet ein Satz, der nicht  sofort  verstanden wird. Hier zitieren die MieterInnen ihren  Eigentümer, die Unternehmensgruppe Citec Group.  2003 habe die Citec „das erfolgreiche Geschäftsmodell des Erwerbs und der verantwortungsbewussten Entwicklung von Wohnimmobilien“ auf den Berliner Markt übertragen, heißt es auf  der Firmenhomepage.  Dort  wird die Pionierrolle des Wiener Unternehmens hervorgehoben:  „Viele österreichische und internationale Investoren folgen und entdecken die deutsche Hauptstadt als zukunftsträchtige Investitionsmöglichkeit“.  Firmengründer Franz Hartl bringt die Unternehmensphilosophie so auf dem Punkt:
„ Wenn du bereits mehr als 200 Zinshäuser gekauft und 400 verwaltet hast, spürst du schon beim ersten Betreten der Immobilie, woran du bist.“ Der Rest ist Routine: Prüfung der Mietverträge, der Bausubstanz, Berechnung des Optimierungspotentials und des Sanierungsaufwandes. Die Citec Immobilien Gruppe ist schnell in der Ankaufsentscheidung und in der Umsetzung, denn gute Immobilien sind nicht lange am Markt.“
MieterInnen, die  ihre Rechte geltend machen, kommen  in dem Szenario nicht vor. Tatsächlich wurde über Proteste in den zahlreichen von Citec erworbenen    Häusern in sieben Berliner Stadtteilen nichts bekannt.
Doch  in der Friedelstraße 54 scheint das Unternehmenskonzept „kaufen  – sanieren – teurer weiterverkaufen“ nicht reibungslos aufzugehen.  Die BewohnerInnen pochen auf ihre Rechte.    Als im Herbst 2013  bekannt wurde,  dass die Citec das Gebäude erworben hat, trat  ein  Großteil  in die Berliner MieterGemeinschaft ein. Seitdem gibt es regelmäßige MieterInnentreffen.
So waren die BewohnerInnen vorbereitet, als ihnen  die energetische Sanierung der Hausfassade    und eine baldige  Aufstellung des Baugerüsts angekündigt wurde.  Sie verweigerten die Zustimmung. Mittlerweile klagen die Eigentümer auf Duldung.   Erste Güteverhandlungen sind  ohne  Ergebnis geblieben. In den nächsten Tagen sind weitere  Gerichtstermine anberaumt. Die MieterInnen  widersprechen der Lesart des Eigentümer-Anwalts, dass die Fassade   sanierungsbedürftig ist. Ein großer Erfolg wäre es für sie, wenn das Gericht ein eigenes  Gutachten über die Notwendigkeit der energetischen Sanierung anfordern würde.

Wir lassen niemand allein
Auf einem MieterInnentreffen   werden die angekündigten Mietsteigerungen als Hauptgrund für die Weigerung benannt.   Zurzeit sind die Bedingungen in dem Haus sehr unterschiedlich. So gibt es in dem Haus neben Wohnungen mit Kohleofen, Außentoilette und sehr niedrigen Mieten sanierte Wohnungen mit hohen Mieten.  Trotz der unterschiedlichen Wohn- und Mietsituation klappt die Organisierung gut. „Wir agieren  gemeinsam und lassen uns nicht vereinzeln“, betont eine Mieterin.    „Wir nehmen dabei alle mit und lassen niemand im Haus alleine“, betont eine andere Bewohnerin, Auch ältere Menschen und  MieterInnen,  die aus beruflichen Gründen selten an den Treffen teilnehmen können,  werden unterstützt. Mit der  Transparentaktion soll  die Nachbarschaft über die Auseinandersetzung     informiert werden. Kontakte zu MieterInnen in weiteren Berliner Citex-Häusern sind geplant. „Sicher nichts für schwache Nerven!“, wird die Immobilie Friedelstraße 54 auf der Citec-Homepage  beworben. Der Spruch könnte für das Unternehmen nun eine ganz neue Bedeutung bekommen.

MieterEcho online 13.02.2015

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/friedelstr-54.html

Peter Nowak

„Der Abschied von der subkulturellen Identität ist notwendig“

Über die möglichen Perspektiven von Hausbesetzungen heute - ein Gespräch mit Armin Kuhn

In den letzten Wochen wird in Berlin wieder über Hausbesetzungen[1] als Aktionsform zur Verhinderung von Vertreibungen von Mietern diskutiert[2]. Allerdings wird es ein Revival der alten Berliner Besetzerbewegung kaum geben, meint Armin Kuhn[3].

Der Politologe hat kürzlich im Dampfbootverlag das Buch…

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Zwei Häuser als Symbol gegen die Autobahn

PROTEST Die Auseinandersetzung zwischen den letzten Mietern der Beermannstraße 20/22 und dem Senat dürfte sich zuspitzen: Auf einer Demo zeichnet sich Unterstützung für die geplante Massenbesetzung ab

„Zu viel Ärger – zu wenig Wut“, stand auf dem Transparent, das die Demonstration gegen die Räumung zweier Häuser am Freitagnachmittag anführte. Rund 80 Menschen zogen von der Cuvrybrache in Kreuzberg zur Beermannstraße in Treptow. Die zwei dortigen Gebäude mit den Hausnummern 20 und 22 sollen in Kürze der Verlängerung der A 100 weichen. So will es der rot-schwarze Senat.

Doch noch wohnen einige MieterInnen in den Häusern, sie hießen die DemonstrantInnen willkommen. „Ich bin Sebastian aus dem Hinterhaus der Beermannstraße 22. Uns soll es jetzt an den Kragen gehen“, so ein Mieter. Er erklärte, er werde seine Wohnung nicht verlassen. Alle Ersatzwohnungen, die ihm angeboten wurden, habe er sich finanziell nicht leisten können. Eine Mieterin aus der Beermannstraße 20 erklärte, dass sie überrascht gewesen sei, dass es mit der Räumung so schnell gehen würde. Sie werde Aktionen des zivilen Ungehorsams unterstützen, die die Vertreibung der letzten MieterInnen verhindern sollen, sagte sie und erntete dafür großen Applaus.

Am 14. Februar läuft das Ultimatum ab, das der Senat den verbliebenen MieterInnen für das Verlassen ihrer Wohnungen gestellt haben. Danach können die BewohnerInnen innerhalb von 14 Tagen zwangsweise geräumt werden. Das Bündnis „Besetzen statt räumen“, das die Demo organisiert hatte, ruft zu einer Massenbesetzung auf, um die MieterInnen zu unterstützen. Am 14. Februar soll es dazu eine Diskussionsveranstaltung im Kreuzberg Museum geben. Unter den DemoteilnehmerInnen zeichnete sich Unterstützung für eine Besetzung ab. „Die Zeit des Verhandelns ist vorbei“, so eine Aktivistin der Treptower Stadtteilinitiative, Karla Pappel.

Die OrganisatorInnen waren angesichts der kurzen Vorbereitungszeit mit der relativ begrenzten Zahl der TeilnehmerInnen zufrieden. Peter Schwarz von der Umweltschutzorganisation Robin Wood sagte der taz: „Es wird allerdings auch deutlich, dass es in Berlin zurzeit keine großen sozialen Massenbewegungen gibt“.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2015%2F02%2F07%2Fa0212&cHash=b6382c3f8c5396bbbfbda0a36720d06e

Peter Nowak

Ist Patzelt Pegida-Erklärer oder -versteher?

Essohäuser sind überall

Ein Film zeigt den Kampf gegen Verdrängung in Hamburg

»Einfach dokumentieren, was hier täglich passiert, und denen, die hier wohnen, eine Stimme geben«, wollen die Hamburger Filmemacher Irene Bude, Olaf Sobczak und Steffen Jörg. In ihrem jüngsten Film »buy buy st. pauli«, der zur Zeit in mehreren Städten zu sehen ist, haben sie diesen Anspruch umgesetzt. Über mehrere Jahre begleiteten sie Bewohner und Unterstützer der Essohäuser, einem Gebäudekomplex in Hamburg aus den 60er Jahren, der exemplarisch für einen nicht nur auf St. Pauli stattfindenden Verdrängungsprozess steht. »Essohäuser sind überall«, lautete eine Parole der Bewegung.

Immobilienunternehmen verfahren dabei nach dem Prinzip: Verfallen lassen, räumen, abreißen, neu bauen, abkassieren. 2009 kaufte die Bayerische Hausbau die Plattenbauten, nachdem ihr Vorbesitzer jahrzehntelang seinen Instandhaltungspflichten nicht nachgekommen ist. »Wir werden unsere Projekte schon nach wirtschaftlichen Kennziffern und nicht nach politischen oder gesellschaftlichen Utopien ausrichten«, erklärte Bernhard Taubenberger von der Immobilienfirma damals. Solche Töne motivierten zum Widerstand gegen den geplanten Abriss.

Der Film porträtiert einige langjährige Bewohner in ihrem Wohnzimmer. Sie wollen bleiben, wegen der guten Nachbarschaft und den günstigen Mieten. Sie gründeten die »Initiative Esso-Häuser« und bekamen Unterstützung von der außerparlamentarischen Linken. Mit viel Engagement, Ausdauer und Witz setzen sie sich für den Erhalt der Häuser ein. Die Kamera begleitet sie bei zahlreichen Demonstrationen, subversiven Aktionen und Stadtteilversammlungen.

Für Mieter und Unterstützer war es ein Schock, als die Essohäuser Ende 2013 wegen Einsturzgefahr geräumt wurden. Man sieht im Film die Mieter in Notunterkünften und die hilflose Wut ihrer Unterstützer. Mittlerweile leben die meisten verstreut in ganz Hamburg.

Alles umsonst also? Der Film lässt offen, ob das Beteiligungsverfahren, bei dem Bewohner von St. Pauli eigene Vorschläge für die Bebauung des Geländes einreichen können, zumindest ein kleiner Erfolg der Mieter- und Stadtteilbewegung ist.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/960709.essohaeuser-sind-ueberall.html

Peter Nowak

„Ohne sie hätte die Verdrängung viel früher eingesetzt“

BESETZERSZENE Armin Kuhn hat ein Buch über Häuserkampf geschrieben und vergleicht darin die Besetzungsbewegung vor und nach dem Mauerfall

taz: Herr Kuhn, in Ihrem neuen Buch „Vom Häuserkampf zur neoliberalen Stadt“ vergleichen Sie die Besetzungsbewegung in Westberlin der 70er Jahre und die nach dem Mauerfall in Ostberlin. Wo sehen Sie die größten Unterschiede?

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Lofts statt Wohnungsbau Neukölln?

„Wohnungsbau Neukölln  – Wiederaufbau 1960“ steht in großen Buchstaben an  einem der Häuserblöcke in der Heidelbergerstraße 15- 18, dort wo Neukölln an Treptow grenzt. An den Häusern  sind die 5 Jahrzehnte nicht spurlos vorübergegangen und auch manche der MieterInnen sind in die Jahre gekommen. Viele wohnen dort schon lange. Nun sollen sie die Wohnungen räumen.  Die in Nekölln eingetragene Genossenschaft Wohnungsbau Verein Neukölln (WBV), der die Häuser gehören, bietet Ersatzwohnungen an und hat den MieterInnen mitgeteilt, dass sie sich nicht an die Kündigungsfristen zu halten  brauchen, wenn sie selber eine Ersatzwohnung finden sollten.
Einige MieterInnen sind schon ausgezogen. Herr Erdmann denkt nicht daran.  „Ich lebe gern hier. Ich kann meine Arztbesuche  und andere Erledigungen bequem ohne Auto machen, erklärt der Mieter,  der seit 11 Jahren in seiner Wohnung lebt.  Der  Hauptvorteil  der Wohnung aber ist für Erdmann die   erschwingliche  Miete.  Der Betrag von 351 Euro liegt in dem Bereich,  den  das Jobcenter Erwerbslosen für   Mietausgaben zugesteht. Dass Erdmann Hartz IV-Empfänger ist,   hat er auf einen Fragebogen angegeben,   der an die WBV ging. Erstaunt war er daher über die angebotenen Ersatzwohnungen. Die günstigste sollte 533, 31 Euro kosten, eine andere 633, 33 Euro   und in der letzten Woche erreichte Erdmann das Angebot einer Wohnung mit einer Monatsmiete von 882, 51 Euro.  Solche Mieten sind für die meisten gegenwärtigen  BewohnerInnen in der Heidelbergerstraße 15-18 nicht erschwinglich. Das könnte sich in Zukunft ändern.  Auf einen  Titelblatt der wfv-Mitteilungen vom September 2014 ist ein Architektenentwurf  der Heidelberger Straße 15-18 zu sehen, auf dem  anstelle der 50jährigen Häuserblöcke  moderne Lofts  zu sehen sind.  Noch aber haben die meisten MieterInnen   die Häuser nicht verlassen.   Die  Treptower Stadtteilinitiative Karla Pappel  hat im November 2014 ein Schreiben an sie gerichtet, in dem es heißt:  „Unterschreiben Sie keine Einverständniserklärung zur Kündigung. Tauschen Sie sich bei anderen NachbarInnen aus, Handeln sie gemeinsam und wohl überlegt.“  Mit dem gemeinsamen Vorgehen ist es noch nicht so weit her, meint  Erdmann.  Doch viele MieterInnen seien besorgt. Vor allem, weil es keine klaren Informationen der WBV über ihre Pläne mit den Häusern gibt. Ein Mitglied der Genossenschaftsverwaltung, der seinen vollen   Namen nicht in der Zeitung lesen will, betont, dass die WBV  keine Heuschrecke sei.
Die Häuser seien nach mehr als 5 Jahrzehnten aber in einen baulichen Zustand,  der eine die geplanten Baumaßnahmen erfordere.   Eine Mitgliederversammlung werde  darüber befinden, ob die Häuser in der Heidelberger Straße modernisiert oder abgerissen werden. Bisher sei eine Entscheidung   noch nicht gefallen. Dass sich  auch nach einer Modernisierung  viele der aktuellen BewohnerInnen die Miete nicht mehr leisten können, sieht auch die WBV-Verwaltung. Dafür sei man aber bereit, die MieterInnen bei der Suche nach Ersatzwohnungen großzügig zu unterstützen.  Doch davon hat Erdmann allerdings bisher wenig gemerkt.

MieterEcho online 21.01.2015

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/wohnungsbau-neukoelln-wiederaufbau-1960.html

Peter Nowak

Immobilienfirma muss MieterInnen im Fanny Hensel-Kiez Schadenersatz wegen Diskrimierugn zahlen

Es war eine Premiere in der Rechtsgeschichte.  Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg  verurteilte die Immobilienfirma Elfte emc asset management GmbH & Co. KG, einer  türkischstämmigen Familie 30.000 Euro Entschädigung wegen ethnischer Diskriminierung zu zahlen.
Die Familie  wohnte 20 Jahre in einer aus 44 Wohnungen bestehenden Anlage im Fanny-Hensel-Kiez in  Kreuzberg. Die „Elfte emc asset management GmbH & Co. KG“ kaufte die Sozialwohnungen im Januar 2010 und erhöhte die Mieten zum März von 5,33 Euro einheitlich auf 7,04 Euro nettokalt. Dieser massiven Mieterhöhung waren die MieterInnen im sozialen Wohnungsbau schutzlos ausgeliefert, weil die Anschlussförderung wegfiel.  Im Fall von drei  Mietparteien indes blieb es nicht bei der massiven Mieterhöhung. Den Berliner MieterInnen mit arabischen und türkischen Hintergrund wurde die Mieten ab Mai 2010  auf 9,62 Euro erhöht.
Dagegen hat eine der betroffenen Familien jetzt erfolgreich geklagt. In dem Urteil des Amtsgerichts Tempelhof/Kreuzberg heißt es:

Im Urteil mit dem Aktenzeichen – Az.: 25 C 357/14   heißt es:
„Die Beklagte hat den Klägern durch ihr Verhalten zu verstehen gegeben, dass diese aufgrund ihrer Herkunft und dem hiermit im Zusammenhang stehenden kulturellen Hintergrund nicht in das von der Beklagten verfolgte Miet- und Wohnkonzept passen, ohne dass die Kläger hierzu einen Anlass gegeben hätten. Es entsteht der Eindruck, die Beklagte fürchte durch Mieter türkisch-orientalischer Herkunft bzw. arabischer Herkunft eine Abwertung der Wohnanlage, die durch Mieter europäischer Herkunft nicht zu befürchten sei. Die damit vermittelte krasse Abwertung, Ausgrenzung und massive Ungerechtigkeit greift als erheblich verletzend in den Kernbereich des klägerischen Persönlichkeitsrechts ein. Es wird so nicht nur deutsches Verfassungsrecht verletzt, das die Gerichte im Rahmen der Beurteilung zu berücksichtigen haben, sondern auch tragende europäische Rechtsgrundsätze“.
Das sind sehr klare Worte in Zeiten von Pegida.  Der Türkische Bund in Berlin und Brandenburg (TBB) kommentiert das Urteil positiv:
„Zudem erkennt das Gericht an, dass die Kinder der Kläger ebenso Betroffene der Diskriminierung sind wie ihre Eltern, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass sich die Erfahrung auf Dauer negativ auf ihre besonders sensible persönliche Entwicklung sowie auf das Bild von sich selbst und ihrer Rolle in der Gesellschaft der Bundesrepublik auswirken wird.“

Gegen soziale Diskriminierung gibt es keinen Rechtsschutz

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig und die zur Entschädigung verurteilte Immobilienfirma kann Widerspruch einlegen. Doch  für das Netzwerk Mieterstadt ist es wegweisend. Es weist daraufhin, dass die Praktiken der verurteilten Immobilienfirma kein  Einzelfall ist. Die ethnische Diskriminierung ist ein Mittel bei der Vertreibung von MieterInnen mit wenig  Einkommen. Dafür ist der Fanny Hensel Kiez ein sehr prägnantes Beispiel. Über Jahre haben  sich dort die  MieterInnen aus dem sozialen Wohnungsbau gehen ihre Verdrängung gewehrt.  Ein Aktivist nahm sich 2010 das Leben. In seinen Abschiedsbrief hat er erklärt, dass er den Druck    durch die Vertreibungsstrategien nicht mehr aushalten.  So ist das Urteil sicher ein wichtiges Zeichen gegen ethnische Diskriminierung. Doch gegen die soziale Vertreibung  gibt es keinen juristischen Schutz. Dagegen ist noch immer eine Organisierung der MieterInnen die beste Waffe.

MieterEcho online 15.01.2015

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/fanny-hensel-diskriminierung.html

Peter Nowak

Nicht nur für Touristen

In Porto erinnert eine Ausstellung an die Mieter- und Stadtteilbewegung in Portugal während der Nelkenrevolution, die noch heute lebendig ist

Die Forderung von damals: Auch Arme sollen sich die Innenstadt leisten können. Anders als im restlichen Europa ist das in Porto noch heute der Fall. In der Altstadt leben Menschen zum Teil seit 40 Jahren.

Kleine Kinder wie alte Frauen halten selbstgemachte Plakate in die Höhe. Darauf ist zu lesen: »Die Häuser denen, die drin wohnen« und »Keine Vertreibung aus dem Stadtzentrum«. Es sind Momentaufnahmen der starken Mieterbewegung, die sich 1975 in Portugal entwickelt hatte. 40 Jahre danach erinnert eine Ausstellung im Serralves-Museum im nordportugiesischen Porto an eine Bewegung, die von Linken in ganz Europa mit großer Sympathie beobachtet wurde.

Nachdem 1974 junge Offiziere ein jahrzehntelanges faschistisches Regime gestürzt hatten, begann ein landesweiter gesellschaftlicher Umbruch, der bald unter den Begriff »Nelkenrevolution« gefasst wurde. So schlossen sich vor allem im Süden Portugals Landarbeiter in Kooperativen zusammen und besetzten das Land der Großgrundbesitzer. Arbeiter gründeten Fabrikkomitees und setzen unmittelbare Verbesserungen der Arbeitsbedingungen in ihren Betrieben durch, wie die Drosselung des Tempos oder die Absetzung besonders unbeliebter Vorarbeiter. In verschiedenen portugiesischen Städten entstanden Stadtteil- und Mieterkomitees, die sich für ein menschenwürdiges Wohnen einsetzten.

Es ist kein Zufall, dass Porto, die zweitgrößten Stadt des Landes, eines der Zentren dieser Bewegung wurde. Vor allem in der Altstadt lebten die Menschen unter katastrophalen Bedingungen. Viele der noch bewohnten Häuser drohten einzustürzen, sanitäre Anlagen waren kaum vorhanden. Gleichzeitig war den Betroffenen schon 1974 klar, dass sich die Altstadt kapitalistisch aufwerten und touristisch vermarkten lassen würde.

Genau das wollte das Projekt SAAL verhindern, das im Mittelpunkt der Ausstellung steht. Die Abkürzung steht für lokale Unterstützungskomitees, in denen neben den Stadtteilbewohnern bekannte Architekten mitarbeiteten, die mit ihnen neue Formen des Bauens gemeinsam umsetzen wollten. Auch Studierende verschiedener Fakultäten beteiligten sich. Entscheidungen wurden in gutbesuchten Versammlungen getroffen, bei denen junge wie alte Menschen mitdiskutierten, die oftmals erklärten, das erste Mal vor einer großen Menschenmenge zu sprechen.

Der Enthusiasmus der Anfangsphase verwandelte sich in Wut und Entschlossenheit, als sich ab Mitte 1975 in Portugal die Gegenkräfte formierten. Diese beließen es nicht bei verbalen Attacken. Auch Brandanschläge wurden auf Autos von SAAL-Aktivisten und auf Treffpunkte der Stadteilkomitees verübt. Gewerkschafter und Landarbeiterorganisationen waren ebenfalls von dem rechten Terror betroffen. Alle gemeinsam organisierten sie Gegendemonstrationen, auf denen nicht nur bekannte portugiesische Rechte, sondern auch ihre ausländischen Unterstützer beim Namen genannt wurden, wie etwa der CSU-Politiker Franz Josef Strauß.

Nachdem 1976 vor allem auf Druck der NATO-Länder der revolutionäre Prozess in Portugal gestoppt wurde, war auch die Zeit der Stadtteilkomitees zu Ende. Doch sie haben Spuren hinterlassen. Die vielen älteren Besucher, die sich die Ausstellung anschauen, zeigen, dass dieser Aufbruch nicht vergessen ist. Die Altstadt von Porto ist auch heute kein Touristenmuseum. Dort leben noch viele der Menschen, die vor 40 Jahren aufgestanden sind. Heute finden sich auf den Häusern Parolen gegen die EU-Troika und die deutsche Austeritätspolitik

http://www.neues-deutschland.de/artikel/957626.nicht-nur-fuer-touristen.html

Peter Nowak