Der lange Schatten des Stalinismus

Am 5. März jährte sich Stalins sechzigster Todestag. Noch immer gibt es auch in der linken Bewegung Verteidiger seines Systems, die aber auf eine heftige Gegenrede stoßen

„Während seiner Agonie drängten sich Millionen von Menschen im Zentrum Moskaus, um den sterbenden Führer die letzte Ehre zu erweisen.“ So beschreibt der italienische Historiker Domenico Losurdo die Reaktion auf Stalins Tod, der sich am 5. März zum sechzigsten Mal jährte.

Der Autor hat auch Meldungen in seinem im letzten Jahr im Papyrossa-Verlag auf Deutsch erschienenen Buch „Stalin – Geschichte und Kritik einer schwarzen Legende“ zusammengetragen: „Viele weinten auf den Straßen von Budapest und Prag.“ Dass Stalins Tod in der Zeitung der israelischen Kibbuzbewegung al Hamishamar mit dem Satz: „Die Sonne ist untergegangen“ kommentiert wurde, wird heute viele überraschen, denen nicht bekannt ist, dass die Sowjetunion sich in der UN vehement für die Gründung Israels einsetzte. Erst mit dem Beginn des Kalten Krieges positionierte sich Israel auf Seiten der USA und die SU und der gesamte Ostblock ging auf Konfrontationskurs.

Losurdo gehört zu einer Strömung in der Linken, die noch immer Argumente zusammensucht, um die Politik Stalins zu verteidigen oder zumindest zu relativeren. Dabei reiht er in den acht Kapiteln Zitat an Zitat aneinander, mit dem er zu beweisen sucht, dass Stalin von Historikern und Politikern zu bestimmten Zeiten gelobt wurde. So ist mitunter erpicht, spätere erklärte Gegner Stalins mit einem lobenden Zitat vorführen zu können. Dem sowjetischen Historiker Wadim Rogowin, der Philosophin Hannah Ahrendt und dem britischen Premierminister Winston Churchill schreibt Losurdo Sätze zu, die Stalin in einem positiven Licht erscheinen lassen sollen. Dabei verzichtet der Autor allerdings auf eine Einordnung der Zitate in einen politischen Kontext. So war Churchills Stalin-Lob das Geschäft eines Staatsmannes, der den jeweiligen Bündnispartner nicht vor dem Kopf stoßen will. Stalin war nun mal in Zeiten der Anti-Hitler-Koalition ein solcher Verbündeter.

Nun mag Losurdo noch so akritisch jedes Zitat sammeln, das Stalin irgendwie in einem guten Licht erscheinen lassen soll, eines ist ihm nicht gelungen: Stalin irgendwie mit linken Ideen oder gar mit dem Kommunismus in Verbindung zu bringen. Dass gilt übrigens auch für Losurdo selbst. Denn der ist sich mit seinen größten Gegnern in dem Verdikt einig, dass eigentlich schon Marx und Lenin, vor allem aber die linken Bolschewiki mit ihren übersteigerten Vorstellungen einer Gesellschaft der Gleichheit und dem Infragestellen von Familie und Nation für Terror und Massenmord mit verantwortlich sind. Stalin, der starke Mann, der Schluss gemacht hat mit dem Chaos der Revolution, der wieder den starken Staat und die russische Nation in den Mittelpunkt seiner Politik stellte, mit diesen Ruf hat der sowjetische Machthaber schon zu seinen Lebzeiten bei Antikommunisten aller Couleur Anerkennung gefunden. In dieser Tradition stehen auch diejenigen, die heute Stalin verteidigen oder die zumindest seine Politik als alternativlos hinstellen, auch wenn sie sich selbst als Linke begreifen.

Die Sehnsucht nach dem gerechten Staat

Allerdings sind solche Positionen heute nicht nur in der linken Bewegung minoritär. Sie stoßen auch auf heftigen Widerspruch. Besonders linke DDR-Oppositionelle wie der in der DDR inhaftierte Historiker Thomas Klein haben in den letzten Jahr vehement ihre Stimme erhoben,wenn autoritäre Staatsmodelle unter vermeintlich linken Vorzeichen verteidigt wurden.

Der Historiker Christoph Jünke hat schon vor einigen Jahren in einen Vortrag von den „langen Schatten des Stalinismus“ gesprochen und sich auch an einer Erklärung versucht: „Mehr als mit einer gewünschten Rückkehr zur SED-Diktatur hat diese Nostalgie nämlich etwas zu tun mit ‚dem Wunsch, in eine Periode sozialer Sicherheit und öffentlicher Wohlfahrt zurückzukehren'“, zitiert Jünke den britischen Politikwissenschaftler Peter Thompson.

Dabei grenzen sich Jünke und Thompson von Positionen à la Götz Aly ab, die schon jeden Wunsch nach einem Sozialstaat unter Totalitarismusverdacht stellen. Wenn allerdings soziale Gerechtigkeit nicht als Ergebnis von gesellschaftlichen Auseinandersetzungen verstanden wird, sondern ein starker Staat dafür sorgen soll, dass alles irgendwie seine Ordnung hat, dann kann schnell eine Nostalgie nach staatssozialistischen Modellen entstehen.

Nein, nein das ist nicht der Kommunismus</strong>

Allerdings haben sich in der letzten Zeit viele Autoren kritisch mit dem Nominalsozialismus auseinandergesetzt und wie die Leipziger Gruppe Inex in ihrem Sammelband „Nie wieder Kommunismus?“ eine Kritik an staatssozialistischen Modellen entwickelt, die sich auch von konservativen und rechten Antikommunismus abgrenzt.
Eine wahre Fundgrube ist auch das materialreiche Buch „Staat oder Revolution“ des Politologen Hendrik Wallat, in dem er mit vielen Fundstellen eine Geschichte des dissidenten Sozialismus und Kommunismus nachzeichnet und diejenigen kritisch würdigt, die in den unterschiedlichen Staatssozialismen bekämpft und verfolgt wurden. Das ist 60 Jahre nach dem Tod jenes Mannes, dessen politisches System daran einen entscheidenden Anteil hatte, doch eine kleine Rehabilitierung.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/153865
Peter Nowak

Ein unmoralischer Vertragsentwurf

Die Chefin einer Zeitarbeitsfirma erhebt schwere Vorwürfe gegen Amazon

Mitte Februar geriet der Onlineversandhandel Amazon wegen der Arbeitsbedingungen seiner Leiharbeiter heftig in die Kritik. So sollen Leiharbeiter aus Spanien auf engen Raum in einer hessischen Gemeinschaftsunterkunft untergebracht worden sein, wie ein Fernsehbeitrag enthüllte. Ende Februar versuchte Amazon in die Offensive zu gehen und warf den Fernsehjournalisten einseitige Recherche und Stimmungsmache vor. Doch werden neue Vorwürfe gegen Amazon aus einer ungewöhnlichen Ecke laut. Die Geschäftsführerin der Koblenzer Zeitarbeitsfirma IMUS GmbH, Ute Siry, hat im SWR schwere Vorwürfe gegen Amazon erhoben.

Zeitarbeit mit Humantouch?

Das Unternehmen habe ihr einen Vertragsentwurf geschickt, der unlautere Beschäftigungsmodelle vorsehe und eine Ausbeutung der Leiharbeiter zur Folge hätte. Siry habe den Entwurf abgelehnt und einen eigenen Vertrag geschickt. Amazon habe sich daraufhin nicht mehr gemeldet.

Der Vertragsentwurf sei schlichtweg unmoralisch gewesen, so die Koblenzer Unternehmerin. „Amazon verlangt, dass wir unsere Verträge automatisch ihren Bedingungen anpassen“, erklärte sie dem SWR. Die von Amazon gestellten Bedingungen seien im Markt jedoch unüblich, kritisierte Siry. Vor allem die Zuschläge für Nacht- und Sonntagsarbeit lägen in dem Vertragsentwurf weit unter Tarif. Und noch einige andere Klauseln, wie solche zu den Festlegungen der Arbeitszeiten, widersprächen geltendem Recht.

Siry ist gleichzeitig bemüht, dem schlechten Ruf der Zeitarbeitsbranche entgegenzuwirken. Es gebe dort schwarze Schafe, doch mit ihnen dürfe nicht die gesamte Branche verurteilt werden. Siry betont, dass ihre Firma mit dem DGB einen Tarifvertrag abgeschlossen hat, den Amazon nicht anerkennen wollte. Sie befürchtet nun, dass die Zeitarbeitsbranche durch die Diskussion um Amazon in ein schlechtes Licht gerückt wird.

„Ich wehre mich massiv dagegen, dass unsere Branche unter Generalverdacht gestellt wird, nur weil der eine oder andere Mitbewerber mit Amazon zusammenarbeitet.“

Leiharbeiter mit Rückgaberecht

Besonders empört gibt sich die Unternehmerin über die Amazon-Forderung, einen missliebigen Mitarbeiter gegen einen anderen umzutauschen. „Es geht hier nicht um Ware, es geht hier um Menschen und die haben wir nicht einfach im Regal sitzen, dass wenn Amazon zu uns sagt, bringen sie Ersatz, dass wir aus dem Regal irgendeinen Zeitarbeiter rausnehmen, den wir dann als Ersatz zu Amazon schicken. Das war eigentlich schon die Krönung dessen, was ich bisher kennengelernt habe.“

In einer Stellungnahme an den SWR wehrt sich Amazon gegen die Darstellung der Kritiker, bleibt aber selber vage. „Selbstverständlich entsprechen die von Amazon geschlossenen Arbeitnehmerüberlassungsverträge den gesetzlichen Vorschriften“, heißt es in einer Erklärung des Unternehmens. Auf konkrete Vorwürfe wollten sie allerdings nicht eingehen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153859
Peter Nowak

Unpässlich

Doppelte Staatsbürgerschaft: Ein Dokument kam zu spät, weg war der deutsche Pass
Die doppelte Staatsbürgerschaft könnte in diesem Jahr zum Wahlkampfthema werden. Abseits der politischen Diskussion zeigt ein Fall aus Hessen welche konkreten Folgen die Regelungen in Deutschland für die Betroffenen haben
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Am 1. Januar 2013 wurde einer in Deutschland geborenen Frau der deutsche Pass entzogen. In einer Pressemitteilung des zuständigen Darmstädter Regierungspräsidiums heißt es zur Begründung: »Die junge Frau hatte es versäumt, trotz mehrfacher Aufforderung rechtzeitig ihre Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit vorzulegen.« Man habe mit dem Passentzug das Optionsmodell umgesetzt, verteidigt sich die hessische Behörde. Tatsächlich ist der Passentzug die Folge der von der damaligen rot-grünen Bundesregierung beschlossenen und seit dem Jahr 2000 geltenden Optionsregelung im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht.

Der Paragraf 29 schreibt fest, dass Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft sich spätestens bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres für eine von beiden Staatsbürgerschaften entscheiden müssen. Bei der Betroffenen lag bis zu ihrem 23. Geburtstag allerdings keine Bescheinigung darüber vor, dass sie aus der türkischen Staatsbürgerschaft entlassen wurde. Nun könnte sie sogar staatenlos sein.

Tausende könnten betroffen sein

Denn die Frau hatte im Dezember 2012 die Aufhebung der türkischen Staatsbürgerschaft beantragt, damit sie ihren deutschen Pass behalten darf. Doch die Bescheinigung traf nicht rechtzeitig ein. Die Wiedererlangung der deutschen Staatsbürgerschaft ist für sie mit hohen Hürden verbunden. Es sei »die zeitraubende Durchführung eines Einbürgerungsverfahrens notwendig, betont das Darmstädter Regierungspräsidium. Viele Doppelstaatler mit deutschem Pass haben die gleichen Probleme, ihre Bescheinigung für die Entlassung aus der anderen Staatsbürgerschaft fristgerecht zu beschaffen.«

Betroffen sind wie bei der Frau aus Hessen vor allem in Deutschland geborene Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft. Das Regierungspräsidium Darmstadt rechnet damit, dass im Laufe dieses Jahres in seinem Zuständigkeitsbereich in etwa 100 weiteren Doppelstaatlern der deutsche Pass aberkannt wird. In ganz Deutschland könnten Tausende betroffen sein. Mindestens 3300 Menschen droht in diesem Jahr der Widerruf ihrer Staatsbürgerschaft, bestätigte die Bundesregierung im Januar 2013 in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen.

Roland Koch und die Kampagne von rechts

Während Politiker der Bundesregierung die Doppelstaatler drängen, rechtzeitig für die Klärung der Entlassung aus der zweiten Staatsbürgerschaft zu sorgen, wächst die Zahl der Kritiker der Optionsregelung. Selbst die wirtschaftsnahe Bertelsmannstiftung fordert eine Modifikation. Sie befürchtet, dass die deutsche Wirtschaft qualifizierte Arbeitskräfte verliert, wenn die Menschen, nach dem Verlust der Staatsbürgerschaft das Land verlassen.

Bürgerrechtliche Gruppen und Migrantenorganisationen lehnen den Optionszwang ab und fordern die lebenslange doppelte Staatsbürgerschaft. Das war übrigens auch das ursprüngliche Ziel der rot-grünen Bundesregierung als sie das Staatsbürgerschaftsrecht reformieren wollte. Erst eine Kampagne von rechts, an deren Spitze sich der damalige hessische CDU-Landesvorsitzende Roland Koch gegen die doppelte Staatsbürgerschaft stellte und damit die Landtagswahlen gewann, führte dazu, dass die Optionsregelung in das Gesetz eingefügt wurde. 13 Jahre später bereitet sie Tausenden Menschen große Probleme.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/814752.unpaesslich.html
Peter Nowak

Inhaltlich blockiert

Wie im vergangenen Jahr soll es auch im kommenden Mai »Blockupy«-Aktionstage in Frankfurt am Main geben. Ob diese Form des Protests allerdings sinnvoll ist, scheint fragwürdig.

Die linken Krisenprotestler von »Blockupy« wollen es noch einmal wissen und haben für den 31. Mai und den 1. Juni erneut Aktionstage in Frankfurt am Main angekündigt. Mitte Februar haben dort rund 200 Aktivisten aus der gesamten Republik die Grundzüge der Protestchoreographie vorgestellt.

Das Konzept aus Blockaden, Camps und einer Großdemonstration zum Abschluss erinnert stark an die ersten »Blockupy«-Tage, die im vorigen Jahr Mitte Mai ebenfalls in Frankfurt stattfanden. Damals wurden alle Blockadeversuche von der Polizei unterbunden. Trotzdem sei es als Erfolg zu bezeichnen, dass die Polizei den Demonstranten gleichsam das Blockieren abgenommen habe, meinte ein Aktivist anlässlich der Gründung der Berliner »Blockupy«-Plattform, einem lokalen Vorbereitungskreis für die Proteste. Dabei wird jedoch übersehen, dass die Polizei die Proteste blockierte, während die Geschäftstransaktionen, die das eigentliche Ziel der Protestierenden waren, weiterliefen. Zudem hat die Repression verdeckt, dass die Zahl der Aktivisten zu gering gewesen wäre, um effektiv zu blockieren. Erst bei der anschließenden Großdemonstration waren tatsächlich Menschenmassen auf der Straße. Von bis zu 20 000 Demonstrierenden war hinterher die Rede.

Ob das »Blockupy«-Remake durch die bloße Wiederholung an Attraktivität gewinnt, ist offen. Auch wenn seit der Zusammenarbeit mit dem kommunistischen »Ums Ganze«-Bündnis eine Öffnung nach links erfolgte, bewegt sich ein Großteil der Gruppen doch eher auf dem Niveau der Globalisierungskritiker von Attac, die ebenfalls beteiligt sind. »Wir werden uns nach Kräften bemühen, den Protest noch größer, bunter und lauter auf die Straßen in Frankfurt zu tragen«, hieß es in einer Pressemeldung nach dem bundesweiten Treffen in Frankfurt. Werner Rätz, Mitglied des Koordinierungskreises von Attac, betonte, dass die Aktionen »Elemente des zivilen Ungehorsams« enthalten sollen. Zudem sieht er bei den Frankfurter Behörden Anzeichen, dass die rigide Verbotspolitik des vergangenen Jahres nicht wiederholt werde. Schließlich habe es auch erste Gerichtsurteile gegeben, die einige der Polizeimaßnahmen für rechtswidrig erklärten.

Es dürfte sich mittlerweile auch bei den Sicherheitsexperten herumgesprochen haben, dass es sich hier nicht um Radikale handelt, die die Frankfurter Innenstadt verwüsten wollen. Doch auch mit der inhaltlichen Schärfe ist es bei den Blockupy-Aktivisten nicht besonders weit her. So werden als eine Art Warm-up »kreative Aktionen« anlässlich des EU-Gipfels am 13. März in Berlin vorbereitet. In der entsprechenden Arbeitsgruppe beim Berliner Vorbereitungstreffen stehen vor allem symbolische, pressefotokompatible Aktionen in der Nähe des Reichstagsgebäudes zur Diskussion. Ein Vorschlag, stattdessen eine Aktion vor dem Sitz der Bild-Zeitung durchzuführen, um gegen deren Hetze gegen Arbeitslose und griechische Lohnabhängige zu protestieren, fand dagegen keinen Anklang.

Auch in der Arbeitsgruppe, die Aktionstage in Frankfurt vorbereitet, wirkt die Stimmung wenig umstürzlerisch. Eine der Anwesenden will der Veranstaltung durch den Einsatz von Stiften und Kärtchen das »sozialistische Flair« nehmen, wie sie es nennt. Die Kritik von Justin Monday, der in der Zeitschrift Phase 2 die Verbindung linker An­tikrisengruppen mit der in Deutschland politisch diffusen »Occupy«-Bewegung als inhaltlichen Rückschritt bezeichnete, scheint sich hier in der Praxis zu bestätigen.

Zudem wird mit der erneuten Konzentration auf ein Großereignis in der Bankenmetropole Frankfurt ignoriert, dass die realen Krisenerfahrungen vieler, die von Hartz IV oder Niedriglohn leben, mit dem Geschehen im Bankensektor wenig zu tun haben. Proteste gegen Zwangsumzüge, Aktionen vor und in Jobcentern oder Streiks im Niedriglohnsektor wären weit näher an der Alltagserfahrung vieler Menschen. Darum werden sich aber wohl andere kümmern müssen.

http://jungle-world.com/artikel/2013/09/47228.html
Peter Nowak

Die Mauer muss bleiben


Die große Koalition der Mauerretter in Berlin formiert sich

Wann sind sich in Berlin schon mal autonome Stadtteilkämpfer und die konservative Boulevardpresse einig? Bei der Forderung: „Die Mauer muss bleiben.“ Was wie ein vorgezogener Aprilscherz klingt, ist die Fortschreibung der gegenwärtigen Berliner Protestgeschichte. Ort der Auseinandersetzung ist die East Side Galery eines Freilichtmuseum an einem Mauerstück, die nun wie so vieles in Berlin Investoreninteressen weichen sollen. Allerdings sollen die Mauerstücke nicht, wie viele Mieter in angesagten Stadteilen gleich an die Peripherie verfrachtet, sondern nur einige Meter umgesetzt werden.

„Das Brandenburger Tor wird ja auch nicht abgerissen“

Doch die Betreiber der East-Side-Galery sehen das nicht ein und liefern dafür in ihrer Erklärung eine originelle Begründung:

„Andere Denkmäler, wie beispielsweise das Brandenburger Tor oder die Gedächtniskirche, werden ja auch nicht abgetragen, teilabgerissen oder beschmiert. Bei der East Side Gallery scheint es anders zu sein.“

In der Erklärung der Künstler wird am Rande auch „die Schaffung von Luxuswohnungen“ kritisiert, aber im Grunde geht es ihnen darum, einen zugkräftigen Tourismusmagneten zu erhalten. Was bei der Kulturruine Tacheles am Ende nicht geklappt hat, scheint der East Side Galery zu gelingen. Die Mauerretter haben es zumindest am 1. März geschafft, die Abbrucharbeiten durch Proteste zu stoppen. Am kommenden Montag sollen allerdings die Abbrucharbeiten fortgesetzt werden.

Nun hat eine große Mobilisierung eingesetzt, die von rechten Boulevardmedien über Künstlerinitiativen bis zur stadteilpolitischen Initiative Mediaspree versenken reicht. Die Berliner Grünen, die im Stadtteil Kreuzberg/Friedrichshain den Bürgermeister stellen, aber im Abgeordnetenhaus in der Opposition sind, fordern den Berliner Senat zum Retten der East Side Galery auf.

Die große Empörung vom Boulevard bis zu Stadtteilinitiativen muss misstrauisch machen. Wenn nun der Berliner Kurier von einer neuen Mauer-Schande spricht, weil ein Stück der Berliner Mauer verlegt werden soll, und selbst ein Sprecher der Stadtteilinitiative Mediaspree nicht wie die Aktivisten noch vor zwei Jahrzehnten ein bekennender Anti-Berliner sein will, sondern sich wegen der Mauerverlegung schämt, ein Berliner zu sein, muss man sich fragen, ob es hier überhaupt noch um stadtpolitische Themen geht.

Neues Mauermuseum?

Denn die sind es nicht, die die Wogen in Berlin so hoch schlagen lassen. Vielmehr soll die East Side Galery neben der offiziellen Gedenkstätte zu einem zweiten Mauermuseum in Berlin werden. „Nur ein zusammenhängendes Mauerstück verdeutlicht authentisch, wie brutal der Todesstreifen Berlin einst zerschnitten hat“, erklärt der Berliner CDU-Generalsekretär Kai Wegner. „Mediaspree versenken“ liegt da in der Argumentation nicht weit daneben, wenn die Forderung aufgestellt wird: „Keine Luxuswohnungen auf dem ehemaligen Todesstreifen.“

Auch der Taz-Kommentator Klaus Hillenbrand nennt die Verschiebung der Mauerstücke einen barbarischen Umgang mit der Geschichte und giftet mit antiamerikanischem Einschlag über „Geschichte à la Disneyland“. Bei soviel sinnfreier Empörung muss man sich fragen, ob da die alte Parole „Die Mauer muss weg“ nicht auch in diesem Fall emanzipatorischer wäre.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153846
Peter Nowak

Ein Mindestlohn, von dem man leben kann?


Wie beim Bürgergeld verbergen sich auch beim Mindestlohn die unterschiedlichsten Konzepte. Nur wenige wären für die Beschäftigten eine Verbesserung

Der Mindestlohn ist in Deutschland beliebt. Das zeigte sich auf einer Bürgerkonvent genannten Wahlkampfauftaktveranstaltung der SPD in Berlin. Zu den 11 dort aufgestellten Forderungen gehörte die „Einführung eines gesetzlich geregelten Mindestlohns“ an erster Stelle. Über die Höhe schweigt man sich bei den Sozialdemokraten allerdings aus.

Dabei sorgt die Bundesregierung dafür, dass die SPD auch beim Thema Mindestlohn das Alleinstellungsmerkmal verliert. Nachdem die Union schon länger die Zustimmung zu einem Mindestlohn signalisierte, wird seit der Niedersachsenwahl auch von einem Kurswechsel der FDP gesprochen. Da hat die FDP noch mit ihren „Vier Gründen gegen den Mindestlohn“ ihr Klientel zufriedengestellt, wie das Wahlergebnis zeigt.

Seitdem ist sich die Presse uneinig, ob die FDP in Sachen Mindestlohn eine Kehrtwende vollzog oder sich doch treu geblieben ist. Die Wahrheit steckt im Detail. Längst werden mit dem Begriff Mindestlohn ähnlich wie beim Bürgergeld völlig unterschiedliche Konzepte verstanden. Nur wenige bringen den Lohnabhängigen Verbesserungen.

Flächendeckend, aber nicht einheitlich

Einen einheitlichen, flächendeckenden Mindestlohn lehnt die FDP aber ebenso wie die Union weiterhin ab. Stattdessen soll die Höhe der Lohnuntergrenzen auch künftig Branche für Branche dezentral festgelegt werden. Die von SPD, Grünen und Linken regierten Bundesländer hatten im Bundesrat einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro beschlossen. Während auch die von einer SPD-CDU-Koalition regierten Bundesländer Saarland und Mecklenburg-Vorpommern für diese Variante des Mindestlohns stimmten, enthielt sich das von der gleichen Parteienkonstellation regierte Berlin im Bundesrat, weil die CDU ihr Veto einlegte.

Nur auf den ersten Blick ist erstaunlich, dass ausgerechnet die FDP, die in den letzten Jahren immer wieder gegen die angebliche Macht der Gewerkschaften wetterte, die Wichtigkeit der Tarifautonomie betonte und mit dem Argument einen flächendeckenden Mindestlohn ablehnte. So haben die Gewerkschaften vor zwei Jahrzehnten auch nicht argumentiert und die Tarifautonomie gegen einheitliche gesetzliche Regelungen ins Feld geführt. Der Unterschied liegt in der Veränderung des Kräfteverhältnisses, die durch die ökonomische Entwicklung, aber auch durch eine wirtschaftsliberale Politik bewirkt wurde.

Vor 20 Jahren konnten Gewerkschaften in Tarifverhandlungen und -kämpfen noch Löhne durchsetzen, von denen die Beschäftigten leben konnten. Das ist seit mehreren Jahren in vielen Branchen nicht mehr der Fall, wie die zunehmende Zahl der Lohnabhängigen zeigt, deren Lohn ihre Reproduktionskosten nicht mehr deckt und die mit Hartz IV aufstocken müssen. Arm trotz Arbeit ist ein vielzitierter Spruch. Erst durch diese Veränderung dieses Kräfteverhältnisses wurden die meisten DGB-Gewerkschaften zu Befürwortern einen staatlichen Mindestlohns.

Wenn die FDP nun mit dem Verweis auf die Tarifautonomie gegen einen flächendeckenden Mindestlohn eintritt, unterstützt sie die Position des Unternehmerlagers, das eben in diesen Tarifauseinandersetzungen oft am längeren Hebel sitzt. Reinhard Bispinck von der gewerkschaftsnahen Hans Böckler Stiftung warnte bereits im letzten Jahr vor einem Mindestlohn, von dem nicht leben kann.

Vernichtet Mindestlohn Arbeitsplätze?

Wie schon die FDP vor der Niedersachsenwahl warnen jetzt auch wirtschaftsnahe Institute vor einem Wirtschaftseinbruch in Deutschland und einer Zunahme der Arbeitslosigkeit, wenn ein flächendeckender Mindestlohn eingeführt wird. Die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft bezeichnet einen flächendeckenden Mindestlohn als Weg in eine erhöhte Erwerbslosigkeit. Der INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr brachte Frankreich als warnendes Beispiel in die Diskussion:

„In Frankreich entspricht der Mindestlohn 48 Prozent des durchschnittlichen Lohns – dort steigt die Jugendarbeitslosigkeit und ist mit aktuell 25 Prozent dreimal so hoch wie in Deutschland.“

Damit reiht sich das wirtschaftsnahe Institut in die Phalanx der Kräfte ein, die mit dem Verweis auf eine angeblich zu geringe Arbeitsproduktivität in Frankreich eine wirtschaftsliberale Politik durchsetzen wollen. Erst vor kurzen wurde das Lamento eines US-Reifenfabrikanten bekannt, der sich über mangelnde Arbeitsmoral, den Einfluss von kommunistischen Gewerkschaftern und einer angeblich „extremistischen Regierung“ in Frankreich warnte („Bis sie enden wie die Griechen“).

Der Arbeitsmarktforscher Steffen Lehndorff hingegen verweist auf positive Effekte durch die Arbeitszeitverkürzung. Auch die Initiative Mindestlohn versucht an vielen Einzelbeispielen aufzuzeigen, dass ein Mindestlohn der Wirtschaft nicht schade. Mit Blick auf die EU-Freizügigkeit wird der Mindestlohn sogar als Standortfaktor in Deutschland beworben.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/153845
Peter Nowak

Demokratie und Strategie

TAGUNGSNOTIZEN
Aus Anlass des 80. Geburtstags der Historikerin Ulla Plener hatte der Förderverein für Forschungen zur Geschichte der Arbeiterbewegung zu einem Kolloquium eingeladen, das sich der Rolle der Demokratie in der linken Strategiedebatte widmete. Axel Weipert erinnerte an die Konzepte, die
revolutionäre Betriebsräte 1919/20 in Deutschland umzusetzen versuchten. Die Unterstützung in der Arbeiterschaft war groß, doch wurde die Verwirklichung direkter Demokratie von der SPD-Führung mit Hilfe der Freikorps blutig verhindert. Ende der 20er Jahre begann dann auch in der SPD eine Debatte
über wirtschaftsdemokratische Elemente innerhalb der bürgerlichen Demokratie. Sie wurde mit dem Machtantritt der Nazis abrupt beendet. Der Jurist und Publizist Kamil Majchrzak erinnerte an Bemühungen um Arbeiterselbstverwaltung in Polen nach 1945, die von der sich als kommunistisch definierenden Staatspartei bekämpft wurde. Mit Blick auf aktuelle Diskussionen betonte er, dass Selbstverwaltung nur gegen die Interessen des Kapitals durchgesetzt werden könne. Damit grenzte er Selbstverwaltung von Mitbestimmung ab, die im kapitalistischen System durchsetzbar sei. Der Politikwissenschaftler Michael Hewener warnte gar mit Verweis auf die Schrift » Staat des Kapitals« von Johannes Agnoli vor Mitverwaltungsillusionen; sie würden den Kapitalismus nur effektivieren und die Ausbeutergesellschaft nicht grundlegend in Frage stellen.Die Sozialwissenschaftlerinnen Alexandra Wagner und Gisela Notz verwiesen auf einen blinden Fleck in historischen Rätekonzepten, die überwiegend von männlichen Arbeitern entwickelt worden sind. Würdigung fand in ihren Referaten die Genossenschaftsbewegung, in der die Geschlechterdemokratie ernst genommen worden sei und eine größere Rolle spielte als in Parteien und Verbänden. Leider blieb keine Zeit mehr, um auf den kritischen Einwurf einer Frau aus dem Publikum einzugehen, dass auch die Genossenschaften im Kapitalismus der Profitlogik unterworfen sind und so ebenfalls keine das System erschütternde Alternative seien.
Peter Nowak

https://www.neues-deutschland.de/artikel/814502.demokratie-und-strategie.html

Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft wegen bürokratischer Hürden

Weil zahlreiche deutsche Staatsbürger ihren Pass verlieren könnten, ist die Optionspflicht im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht wieder in der Diskussion

Tausenden in Deutschland lebender Menschen meist türkischer Herkunft droht der Verlust ihrer deutschen Staatsbürgerschaft. Dass sind die Konsequenzen eines vor 13 Jahren beschlossenen viel kritisierten Gesetzes, das schon damals niemand wirklich verteidigte: die Optionsregelung im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht. Dort heißt es in §29:

„Wer die deutsche Staatsangehörigkeit nach dem Geburtsortsprinzip (§ 4 Abs. 3 StAG) oder durch Einbürgerung nach § 40 b StAG erhalten hat, muss mit Beginn der Volljährigkeit und spätestens bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres erklären, ob er die deutsche oder die andere Staatsangehörigkeit behalten will.“

Eigentlich wollte die damals frisch ins Amt gewählte rotgrüne Bundesregierung mit der Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft das verstaubte und sowohl aus menschenrechtspolitischen als auch aus ökonomischen Gründen anachronistische deutsche Staatsbürgerschaftsrecht modernisieren. Dagegen machten konservative und rechtspopulistische Strömungen mobil.

Der damals politisch angeschlagene hessische Ministerpräsident Roland Koch, setzte sich vor der damaligen Landtagswahl in seinem Bundesland mit einer Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft an die Spitze der rechten Gegenmobilisierung. Nachdem er damit die Landtagswahl gewonnen hatte, suchte die rotgrüne Bundesregierung einen Kompromiss mit den rechten Kritikern. Heraus kam die schon damals umstrittene Optionsregelung. Die meisten politischen Protagonisten der damaligen Auseinandersetzung, wie Schröder, Fischer und Koch, haben sich mittlerweile aus der Politik verabschiedet. Doch die Folgen der ungeliebten Reform haben nun die Menschen auszubaden, deren Situation mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts eigentlich verbessert werden sollte.

Mehr als 44.000 Deutsche zweiter Klasse?

Bisher wenig mediale Aufmerksamkeit bekommen junge in Deutschland lebende und oft auch dort geborene Menschen mit Migrationshintergrund, die nun ihre deutsche Staatsbürgerschaft verlieren sollen. Die Publizistin Anke Schwarzer hat einige dieser Fälle recherchiert. Demnach sind „über 440. 000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene keine ‚echten‘ Deutschen, sondern solche auf Widerruf, ‚Options-Deutsche‘, Deutsche zweiter Klasse, Staatsbürger auf Zeit“. Für mindestens 3.300 Menschen droht in diesem Jahr konkret der Widerruf ihrer Staatsbürgerschaft, wie die Bundesregierung im Januar 2013 in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen bestätigte.

Nun hat eine neue Debatte über den Sinn der Optionsregelung eingesetzt. Dabei wird aber vor allem auf die vielfältigen bürokratischen Hürden verwiesen, die schnell den Verlust des deutschen Passes bedeuten können. So hatte der Fall einer 23-Jährigen in Deutschland geborenen Frau Schlagzeilen gemacht, die nach 11 Jahren ihren deutschen Pass abgeben musste, obwohl sie, wie vom Gesetz gefordert, einen Antrag aus der Entlassung der türkischen Staatsbürgerschaft gestellt hatte.

Die Bescheinigung war aber nicht rechtzeitig zu ihren 23jährigen Geburtstag eingetroffen. Nun fordern verschiedene Initiativen die Vermeidung solcher Härten und plädieren für mehr Spielraum bei den Behörden. Politiker der Bundesregierung hingegen verteidigen das Optionsmodell und fordern die Neudeutschen auf, sich rechtzeitig um die Erledigung der Formalitäten zu kümmern.

Wirtschaft und Menschenrechtler gegen Optionszwang

Nun haben sich auch SPD-Politiker, Migrantenorganisationen, Menschrechtsgruppen und auch die unternehmensnahe Bertelsmannstiftung gegen die bisherige Praxis der Optionspflicht ausgesprochen.

Allerdings sind die Gründe des Engagements unterschiedlich. Während es den einen um gleiche Rechte für alle Menschen geht, die in Deutschland leben, sorgt sich die Wirtschaft um die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte, die Deutschland verlassen könnten, wenn ihnen der Pass entzogen wird. Die Union, der in vielen Fragen vom AKW-Ausstieg bis zu den Rechten für Homosexuelle in der letzten Zeit Flexibilität nachgesagt wird, dürfte beim Optionsrecht so schnell nicht nachgeben. Denn, wenn sich auch ein Roland Koch aus der Politik zurückgezogen hat, seine politischen Erben sind noch aktiv – und nicht nur in der CDU/CSU.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153841
Peter Nowak

Form oder Förmchen?

Ein neuer Sammelband lotet Erfahrungen, Möglichkeiten und Grenzen von Arbeiterselbstverwaltung aus -...

…Fabrikbesetzungen und Arbeiterkontrolle, in vielen Ländern der Welt spielen diese Kampfformen auch heute eine wichtige Rolle. Erinnert sei an die Kachelfabrik Zanon und das Textilwerk Bruckmann in Argentinien. Aber auch in Venezuela fand die Bewegung der besetzten Fabriken bei einem Teil der Internationalismusbe-wegung eine starke Beachtung, vor allem bei jenen, die ihren Fokus weniger auf Chavez und die Regierung als auf die Selbstorganisation der Bevölkerung richteten. Der Soziologe und Politikwissenschaftler Dario Azzellini war einer der wenigen deutschsprachigen Autoren, die mit Büchern und dem Film „5 Fabriken“ Feldforschung auf dem Gebiet der betrieblichen Selbstorganisation in Venezuela betrieben.

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