Unpässlich

Doppelte Staatsbürgerschaft: Ein Dokument kam zu spät, weg war der deutsche Pass
Die doppelte Staatsbürgerschaft könnte in diesem Jahr zum Wahlkampfthema werden. Abseits der politischen Diskussion zeigt ein Fall aus Hessen welche konkreten Folgen die Regelungen in Deutschland für die Betroffenen haben
.

Am 1. Januar 2013 wurde einer in Deutschland geborenen Frau der deutsche Pass entzogen. In einer Pressemitteilung des zuständigen Darmstädter Regierungspräsidiums heißt es zur Begründung: »Die junge Frau hatte es versäumt, trotz mehrfacher Aufforderung rechtzeitig ihre Entlassung aus der türkischen Staatsangehörigkeit vorzulegen.« Man habe mit dem Passentzug das Optionsmodell umgesetzt, verteidigt sich die hessische Behörde. Tatsächlich ist der Passentzug die Folge der von der damaligen rot-grünen Bundesregierung beschlossenen und seit dem Jahr 2000 geltenden Optionsregelung im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht.

Der Paragraf 29 schreibt fest, dass Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft sich spätestens bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres für eine von beiden Staatsbürgerschaften entscheiden müssen. Bei der Betroffenen lag bis zu ihrem 23. Geburtstag allerdings keine Bescheinigung darüber vor, dass sie aus der türkischen Staatsbürgerschaft entlassen wurde. Nun könnte sie sogar staatenlos sein.

Tausende könnten betroffen sein

Denn die Frau hatte im Dezember 2012 die Aufhebung der türkischen Staatsbürgerschaft beantragt, damit sie ihren deutschen Pass behalten darf. Doch die Bescheinigung traf nicht rechtzeitig ein. Die Wiedererlangung der deutschen Staatsbürgerschaft ist für sie mit hohen Hürden verbunden. Es sei »die zeitraubende Durchführung eines Einbürgerungsverfahrens notwendig, betont das Darmstädter Regierungspräsidium. Viele Doppelstaatler mit deutschem Pass haben die gleichen Probleme, ihre Bescheinigung für die Entlassung aus der anderen Staatsbürgerschaft fristgerecht zu beschaffen.«

Betroffen sind wie bei der Frau aus Hessen vor allem in Deutschland geborene Menschen mit türkischer Staatsbürgerschaft. Das Regierungspräsidium Darmstadt rechnet damit, dass im Laufe dieses Jahres in seinem Zuständigkeitsbereich in etwa 100 weiteren Doppelstaatlern der deutsche Pass aberkannt wird. In ganz Deutschland könnten Tausende betroffen sein. Mindestens 3300 Menschen droht in diesem Jahr der Widerruf ihrer Staatsbürgerschaft, bestätigte die Bundesregierung im Januar 2013 in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen.

Roland Koch und die Kampagne von rechts

Während Politiker der Bundesregierung die Doppelstaatler drängen, rechtzeitig für die Klärung der Entlassung aus der zweiten Staatsbürgerschaft zu sorgen, wächst die Zahl der Kritiker der Optionsregelung. Selbst die wirtschaftsnahe Bertelsmannstiftung fordert eine Modifikation. Sie befürchtet, dass die deutsche Wirtschaft qualifizierte Arbeitskräfte verliert, wenn die Menschen, nach dem Verlust der Staatsbürgerschaft das Land verlassen.

Bürgerrechtliche Gruppen und Migrantenorganisationen lehnen den Optionszwang ab und fordern die lebenslange doppelte Staatsbürgerschaft. Das war übrigens auch das ursprüngliche Ziel der rot-grünen Bundesregierung als sie das Staatsbürgerschaftsrecht reformieren wollte. Erst eine Kampagne von rechts, an deren Spitze sich der damalige hessische CDU-Landesvorsitzende Roland Koch gegen die doppelte Staatsbürgerschaft stellte und damit die Landtagswahlen gewann, führte dazu, dass die Optionsregelung in das Gesetz eingefügt wurde. 13 Jahre später bereitet sie Tausenden Menschen große Probleme.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/814752.unpaesslich.html
Peter Nowak

Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft wegen bürokratischer Hürden

Weil zahlreiche deutsche Staatsbürger ihren Pass verlieren könnten, ist die Optionspflicht im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht wieder in der Diskussion

Tausenden in Deutschland lebender Menschen meist türkischer Herkunft droht der Verlust ihrer deutschen Staatsbürgerschaft. Dass sind die Konsequenzen eines vor 13 Jahren beschlossenen viel kritisierten Gesetzes, das schon damals niemand wirklich verteidigte: die Optionsregelung im deutschen Staatsbürgerschaftsrecht. Dort heißt es in §29:

„Wer die deutsche Staatsangehörigkeit nach dem Geburtsortsprinzip (§ 4 Abs. 3 StAG) oder durch Einbürgerung nach § 40 b StAG erhalten hat, muss mit Beginn der Volljährigkeit und spätestens bis zur Vollendung des 23. Lebensjahres erklären, ob er die deutsche oder die andere Staatsangehörigkeit behalten will.“

Eigentlich wollte die damals frisch ins Amt gewählte rotgrüne Bundesregierung mit der Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft das verstaubte und sowohl aus menschenrechtspolitischen als auch aus ökonomischen Gründen anachronistische deutsche Staatsbürgerschaftsrecht modernisieren. Dagegen machten konservative und rechtspopulistische Strömungen mobil.

Der damals politisch angeschlagene hessische Ministerpräsident Roland Koch, setzte sich vor der damaligen Landtagswahl in seinem Bundesland mit einer Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft an die Spitze der rechten Gegenmobilisierung. Nachdem er damit die Landtagswahl gewonnen hatte, suchte die rotgrüne Bundesregierung einen Kompromiss mit den rechten Kritikern. Heraus kam die schon damals umstrittene Optionsregelung. Die meisten politischen Protagonisten der damaligen Auseinandersetzung, wie Schröder, Fischer und Koch, haben sich mittlerweile aus der Politik verabschiedet. Doch die Folgen der ungeliebten Reform haben nun die Menschen auszubaden, deren Situation mit der Reform des Staatsbürgerschaftsrechts eigentlich verbessert werden sollte.

Mehr als 44.000 Deutsche zweiter Klasse?

Bisher wenig mediale Aufmerksamkeit bekommen junge in Deutschland lebende und oft auch dort geborene Menschen mit Migrationshintergrund, die nun ihre deutsche Staatsbürgerschaft verlieren sollen. Die Publizistin Anke Schwarzer hat einige dieser Fälle recherchiert. Demnach sind „über 440. 000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene keine ‚echten‘ Deutschen, sondern solche auf Widerruf, ‚Options-Deutsche‘, Deutsche zweiter Klasse, Staatsbürger auf Zeit“. Für mindestens 3.300 Menschen droht in diesem Jahr konkret der Widerruf ihrer Staatsbürgerschaft, wie die Bundesregierung im Januar 2013 in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen bestätigte.

Nun hat eine neue Debatte über den Sinn der Optionsregelung eingesetzt. Dabei wird aber vor allem auf die vielfältigen bürokratischen Hürden verwiesen, die schnell den Verlust des deutschen Passes bedeuten können. So hatte der Fall einer 23-Jährigen in Deutschland geborenen Frau Schlagzeilen gemacht, die nach 11 Jahren ihren deutschen Pass abgeben musste, obwohl sie, wie vom Gesetz gefordert, einen Antrag aus der Entlassung der türkischen Staatsbürgerschaft gestellt hatte.

Die Bescheinigung war aber nicht rechtzeitig zu ihren 23jährigen Geburtstag eingetroffen. Nun fordern verschiedene Initiativen die Vermeidung solcher Härten und plädieren für mehr Spielraum bei den Behörden. Politiker der Bundesregierung hingegen verteidigen das Optionsmodell und fordern die Neudeutschen auf, sich rechtzeitig um die Erledigung der Formalitäten zu kümmern.

Wirtschaft und Menschenrechtler gegen Optionszwang

Nun haben sich auch SPD-Politiker, Migrantenorganisationen, Menschrechtsgruppen und auch die unternehmensnahe Bertelsmannstiftung gegen die bisherige Praxis der Optionspflicht ausgesprochen.

Allerdings sind die Gründe des Engagements unterschiedlich. Während es den einen um gleiche Rechte für alle Menschen geht, die in Deutschland leben, sorgt sich die Wirtschaft um die Abwanderung qualifizierter Arbeitskräfte, die Deutschland verlassen könnten, wenn ihnen der Pass entzogen wird. Die Union, der in vielen Fragen vom AKW-Ausstieg bis zu den Rechten für Homosexuelle in der letzten Zeit Flexibilität nachgesagt wird, dürfte beim Optionsrecht so schnell nicht nachgeben. Denn, wenn sich auch ein Roland Koch aus der Politik zurückgezogen hat, seine politischen Erben sind noch aktiv – und nicht nur in der CDU/CSU.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153841
Peter Nowak