Zweifelhafte Klimahelden

Peter Nowak über den Cleantech-Kongress
Der Stromverbrauch muss enorm gewesen sein beim diesjährigen europäischen Cleantech-Kongress, der Mitte Februar in Frankfurt am Main stattfand. Dafür spricht nicht zuletzt die riesige Wand aus blinkenden Monitoren im Kongresssaal, die auf der Startseite der Kongress-Homepage zu sehen ist. Bereits zum dritten Mal fanden sich hier Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Sport zusammen.
Star der diesjährigen Veranstaltung war der Hollywoodstar und ehemalige kalifornische Gouverneur Arnold Schwarzenegger, der das Publikum mit seiner Rede zu Begeisterungsstürmen hinriss. Er machte auch deutlich, was die Kongressteilnehmer an Klimaveränderungen und Energiewende vor allem interessiert: neue Möglichkeiten, hohe Gewinne zu realisieren. Wie bei seinen Kinorollen schwärmt der einstige Kraftsportler auch im richtigen Leben für Helden. Unter großem Applaus erklärte Schwarzenegger: »Klimahelden sind die Investoren, die die Klimawende finanzieren«. Ein solches Statement kommt natürlich gut an, bei einem Kongress, der von dem Unternehmen Thomas Lloyd organisiert wurde. Dieses ist nämlich auf Investments in erneuerbare Energien und umweltfreundliche Technologien (Cleantech) spezialisiert. Und da lässt man sich das rein gewinnorientierte Herangehen an erneuerbaren Energien gerne mit einer Prise höherer Moral würzen. Und wenn man dann dank guter Vernetzung gegenüber den vielen Konkurrenten in aller Welt die Nase vorn haben kann, um so besser.

Deswegen hat sich die Zahl der geladenen Gäste auf dem Kongress gegenüber den Vorjahren erhöht. Mit ökologischem Bewusstsein hat das allerdings wenig zu tun. Die wahren Klimahelden sind die Menschen und Initiativen überall auf der Welt, die sich für eine Bewegung von unten einsetzen, die Klimagerechtigkeit und soziale Gerechtigkeit zusammenbringen wollen. Solche Forderungen können aber oft nur im Widerstand gegen jene Kräfte durchgesetzt werden, die Kongresse wie Cleantech veranstalten urd sich dort selber zu Klimahelden ausrufen lassen.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/813202.zweifelhafte-klimahelden.html

Peter Nowak

Widerstand gegen Legalisierung der Videoüberwachung in Berlin wächst

Kritiker fürchten, dass mit der Videoüberwachung von Demonstrationen die Versammlungsfreiheit in Gefahr gerät

Da in Berlin fast täglich Demonstrationen stattfinden, kann es auf den ersten Blick erstaunen, dass sich ausgerechnet dort kürzlich ein „Berliner Bündnis für Versammlungsfreiheit“ gegründet hat.

Neben Einzelpersonen arbeiten dort Vertreter der drei Oppositionsparteien Linke, Piraten und Grüne im Abgeordnetenhaus, die Dienstleistungsgewerkschaft verdi und zahlreiche zivilgesellschaftliche Gruppen vor allem aus dem Datenschutzbereich mit. Den Initiatoren geht es um Datenschutz auch auf Demonstrationen.

Der Protest des Bündnisses richtet sich gegen eine Gesetzesvorlage der in Berlin regierenden Koalition aus SPD und CDU, die den Titel trägt: „Gesetz zu Übersichtaufnahmen zur Lenkung und Leitung des Polizeieinsatzes bei Demonstrationen und Aufzügen. Hintergrund dieser Gesetzesvorlage, über die demnächst entschieden werden soll, ist ein Urteil des Berliner Verwaltungsgerichtes von 2010. Danach erfolgt die Verwendung von Videoaufnahmen der Polizei ohne Rechtsgrundlage und ist daher rechtswidrig. Mit der Gesetzesvorlage wollen nun die Regierungsparteien eine solche Rechtsgrundlage schaffen und die Praxis der Videoaufnahmen legalisieren. Der Verzicht auf diese Maßnahme sei „wegen der Bedeutung des Instrumentariums für eine erfolgreiche Einsatzbewältigung nicht hinnehmbar“, heißt es zur Begründung.

Werden Demonstranten abgeschreckt?

Die Kritiker monieren hingegen, dass es dem Senat bei dem Gesetz weniger um Übersichtsaufnahmen als um die konkrete Bespitzelung von Versammlungsteilnehmern geht. Schließlich werde in der Gesetzesvorlage von einem Kamera-Wagen gesprochen, aus dem keine Übersichtsaufnahmen angefertigt können. Die Berliner Polizei habe solche Aufnahmen bereits in der Vergangenheit ohne gesetzliche Grundlage angefertigt.

Das Bündnis verweist auf den Abschreckungswirkung für potentielle Versammlungsteilnehmer durch die Videoüberwachung und beruft sich dabei auf das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts:

„Wer unsicher ist, ob abweichende Verhaltensweisen jederzeit notiert und als Information dauerhaft gespeichert, verwendet oder weitergegeben werden, wird versuchen, nicht durch solche Verhaltensweisen aufzufallen. Wer damit rechnet, dass etwa die Teilnahme an einer Versammlung oder einer Bürgerinitiative behördlich registriert wird und dass ihm dadurch Risiken entstehen können, wird möglicherweise auf eine Ausübung seiner entsprechenden Grundrechte (Art. 8, 9 GG) verzichten.“

Daher sieht das Bündnis die Versammlungsfreiheit in Gefahr, sollten die Pläne der Berliner Regierungskoalition in Kraft treten. Die will eine schnelle Entscheidung herbeiführen, sodass bereits in wenigen Monaten in Berlin Versammlungen wieder mit einer Rechtsgrundlage von der Polizei gefilmt werden könnten. Ob die aber Bestand hat, dürfte wieder eine Frage der Justiz sein. Das Bündnis hat schon weitere Klagen angekündigt, sollte die Landesregierung nicht doch noch der erstarken Protestbewegung nachgeben und ihre Pläne auf Eis legen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153757
Peter Nowak

Brennende Reifen

Ein großes Polizeiaufgebot verhindert eine unangemeldete Demonstration gegen den Polizeikongress. Farbeier auf Senatsverwaltung.

Am Samstagabend herrschte in Kreuzberg Ausnahmezustand wie sonst nur am 1. Mai. In vielen Straßen, insbesondere rund um das Kottbuser Tor, waren Polizisten postiert, Wasserwerfer standen bereit, ein Hubschrauber drehte Runden über dem Stadtteil. Anlass für den Großeinsatz war eine unangemeldete Demonstration autonomer Gruppen, für die im Internet und auf Plakaten unter dem Motto „Gegen den Staat und seine Freunde“ geworben worden war. Sie richtete sich gegen den Europäischen Polizeikongress, der Montag und Dienstag im Berliner Congresszentrum am Alexanderplatz tagt. Ihre Entscheidung, die Kundgebung nicht anzumelden, begründeten die Autonomen so: „Es erscheint uns untragbar, einen Protest gegen die Zerstörung der Freiheit und die todbringende Repression ausgerechnet von einer Behörde legitimieren zu lassen, die dafür verantwortlich ist.“

Rund 600 überwiegend dunkel gekleidete Personen trafen sich um 20 Uhr auf dem Mariannenplatz und bewegten sich in zwei Zügen durch Kreuzberg. Als ihnen nach knapp 10 Minuten eine Polizeihundertschaft am Lausitzer Platz den Weg versperrte, zerstreuten sie sich. Im Anschluss agierten Kleingruppen an verschiedenen Orten. In Kreuzberg, aber auch in Friedrichshain gingen zahlreiche Schaufenster zu Bruch. Die Oranienstraße war fast eine Stunde lang für den Verkehr gesperrt, nachdem DemonstrantInnen vor dem Gebäude der Bundesdruckerei Autoreifen angezündet hatten. Das Feuer konnte nach knapp 15 Minuten gelöscht werden. Die Fassade der Druckerei wurde mit Farbeiern beworfen – wie es hieß, weil die Behörde Ausweise und andere Dokumente zur Personenidentifikation herstellt. Beworfen wurde auch die gegenüberliegende Senatsveraltung für Arbeit, Integration und Frauen. In Flugblättern wurde betont, neben dem Widerstand gegen staatliche Repression spiele die Solidarität mit den Kämpfen der Flüchtlinge eine zentrale Rolle auf der Demonstration.
Gegen 22 Uhr hatte sich die Situation in Kreuzberg weitgehend beruhigt, viele DemonstrantInnen mischten sich unter die PartygängerInnen, die wie üblich am Wochenende Kreuzberg dominierten. Der Protest gegen den Europäischen Polizeikongress soll allerdings in den nächsten Tagen fortgesetzt werden. Am Dienstag ist für 16.30 Uhr eine Kundgebung gegenüber dem Berliner Congresszentrum angemeldet. Dort soll gegen die unmenschliche Behandlung von Flüchtlingen in Deutschland und Europa und rassistische Gesetzgebung protestiert werde.
http://www.taz.de/Kreuzberg/!111223
Peter Nowak

Flüchtlinge geben nicht klein bei


Tribunal im Juni in Berlin geplant
Im September 2012 errichteten Flüchtlinge aus ganz Deutschland in Berlin eine Zeltstadt, um gegen die Einschränkung ihrer Rechte zu protestieren. Bis heute dauert der Protest an. Osaren Igbinoba von der Flüchtlingsselbstorganisation »The Voice Refugee Forum« stellte die Pläne der nächsten Monate vor.

Selbstbewusst formulieren die Flüchtlinge am Berliner Oranienplatz ihre Forderungen. Unterstützung von Antirassisten sei willkommen; das von manchen humanitären christlichen Organisationen gezeichnete Bild von angeblich hilf- und wehrlose Personeen allerdings behagt ihnen ganz und gar nicht: Osaren Igbinoba: „Wir müssen alle zusammenarbeiten, um die koloniale Ungerechtigkeit zu brechen. Teilweise über Jahre kämpfen die Aktivisten gegen Abschiebung und Residenzpflicht. Teilweise auch erfolgreich. n Thüringen wurden bereits mehrere der kritisierten Flüchtlingslager geschlossen.
Schon seit Monaten bereiten sie ein Internationales Flüchtlingstribunal vor, das vom 13. Bis 16. Juni 2013 in Berlin stattfinden soll. Angeklagt wird die Bundesrepublik Deutschland. Dabei wollen sich die Flüchtlingsorganisationen nicht nur auf die Kritik der Asylgesetzgebung beschränken. So wird in der Anklageschrift des Tribunals darauf verwiesen, dass die deutsche Wirtschaft mit der Arbeitskraft von Millionen „Gastarbeitern“ aufgebaut wurde und für die Ausbeutung der Länder vor allem in Afrika mit verantwortlich ist. Damit werde Not und Elend geschaffen, das dazu geführt hat, dass viele Menschen ihre Länder verlassen und in Europa ein besseres Leben erhoffen. Mit der Parole „Wir sind hier, weil ihr unsere Länder zerstört“, haben Flüchtlinge diesen Zusammenhang immer wieder in der deutschen Öffentlichkeit dargestellt. Auf dem Tribunal sollen die persönlichen Geschichten von Flüchtlingen über Flucht, Repression und Widerstand dokumentiert werden. Sie bilden die Grundlage für die Anklage vor dem Tribunal.
Ein Schwerpunkt des Flüchtlingswiderstands soll der Kampf gegen das europäische Grenzregime sein, das vielen Flüchtlingen das Leben kostete. Igbinoba wies darauf hin, dass die Überwachungstechnologie ein profitables Geschäft auch für deutsche Unternehmen ist. Dieser Aspekt soll stärker in den Mittelpunkt der Kampagne gegen das Grenzregime gerückt werden. Der Workshop und die vorgestellte Protestagenda machen deutlich, dass die Flüchtlinge an den Aufbruch vom letzten Jahr anzuknüpfen wollen. Und sie sehen sich nicht nur als Menschen, die Solidarität brauchen. Sondern sie betrachten ihre Aktionen als Teil einer solidarischen Bewegung von unterdrückten und Ausgebeuteten.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/813165.fluechtlinge-geben-nicht-klein-bei.html
Peter Nowak

BP-Konzern sponsort Protestforscher

Das Institut für Demokratieforschung an der Göttinger Universität ist eine wichtige Institution, wenn es um die wissenschaftliche Protestforschung in Deutschland geht. Nachdem kürzlich bekannt wurde, dass der Energiekonzern BP eine Studie des Instituts zu aktuellen Bürgerprotesten in Auftrag gegeben hat, ist die Einrichtung allerdings in die Kritik geraten. Institutsleiter Franz Walter warnt vor einer Verdachtskultur und betont, dass die Forschungsergebnisse nicht von BP beeinflusst gewesen seien. Freilich hat diesen Vorwurf auch niemand erhoben. Die NGO LobbyControl monierte allerdings, dass die teilnehmenden Protestgruppen nicht von Anfang an über den Auftraggeber der Studie informiert gewesen seien. Zudem dürfte das Interesse von BP an einer Studie über Umweltbewegungen nicht nur theoretischer Natur gewesen sein. Der Kontakt zwischen BP und dem Institut lief über das kmw outrage Management, das es sich laut Selbstdarstellung zur Aufgabe macht, Krisen und Risiken für das Unternehmen im Vorfeld zu erkennen und zu minimieren. Bürgerinitiativen, die gegen Projekte des Konzerns protestieren, gehören zu diesen Risiken.

Das Göttinger Demokratieindustrie hat die neueren Protestbewegungen unter den Oberbegriff Wutbürger gefasst und das Bild von nörgelnden egoistischen Rentnern gezeichnet, die die Forderung nach direkter Demokratie oft nur aus taktischen Gründen verwendet würden. Nun soll nicht behauptet werden, dass ein solches Bild von den Protestgruppen, das dem Auftraggeber BP gefallen wird, durch direkte Einflussnahme des Konzerns zustande gekommen ist. Eine direkte Einflussnahme ist auch gar nicht nötig, wenn Forscher wissen, wer ihre Studie bezahlt.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/812963.bp-konzern-sponsort-protestforscher.html
Peter Nowak

„Wir werden als Mieter vom Gesetz im Stich gelassen“

Eine Wohnungsräumung in Berlin sorgt für massiven Widerstand

Der Berliner Stadtteil Kreuzberg war gestern Morgen im Ausnahmezustand wie sonst nur am 1. Mai. Ein großes Polizeiaufgebot sperrte mehrere Straßen ab, die U-Bahn wurde unterbrochen und das Knattern eines Hubschraubers war schon von Weitem zu hören. Der Grund war ein Ereignis, das im Europa der Krise eigentlich alltäglich ist. Nach einem jahrelangen Rechtsstreit mit ihren Hauseigentümer um Mieterhöhungen sollte die seit 30 Jahren in der Lausitzer Straße wohnende Familie G. zwangsweise aus ihrer Wohnung geräumt werden.

Doch während solche Räumungen meistens völlig unbeachtet vollzogen werden, suchte die Familie G. die Öffentlichkeit. „Wir werden als Mieter vom Gesetz im Stich gelassen“, begründete Ali G. seinen Schritt an die Öffentlichkeit. Solidarische Nachbarn und soziale Initiativen unterstützten sie und verhinderten durch eine Blockade im Oktober letzten Jahres den ersten Räumungsversuch. Ein zweiter Termin im letzten Dezember wurde abgesagt. Gestern wurde nun die Räumung mit einem massiven Polizeiaufgebot durchgesetzt. Schon um 6 Uhr stand ein großes Polizeiaufgebot vor dem Haus. Doch die Protestierer waren schneller und blockierten den Hauseingang. Die Polizei fand allerdings einen Zugang über eine Nebenstraße. Trotzdem zeigte sie ihre Macht und räumte die Straße. Im Anschluss bildete sich eine Spontandemonstration durch den Stadtteil, die mehrmals von der Polizei gestoppt wurde.

Mieterbewegung dürfte weiter wachsen

Obwohl die Räumung nicht verhindert werden konnte, sprachen die Aktivisten von einem Erfolg. „Die massenhafte Teilnahme an den Protesten zeigt, dass die Menschen sich davon nicht abschrecken lassen“, erklärte Davis Schuster von der Initiative „Zwangsräumung blockieren“. Auch Ali G. äußerte sich erfreut über die große Unterstützung. „Es geht uns sehr schlecht, weil die Räumung vollzogen wurde, aber es geht uns auch sehr gut, weil wir so viel Solidarität erfahren haben.“

Tatsächlich hat die massive Mobilisierung gezeigt, dass Aktionsformen wie Blockaden, die lange Zeit vor allem gegen rechte Treffen zur Anwendung kamen, auch auf dem sozialen Feld möglich sind. In den letzten Wochen wurde in Berlin flächendeckend zu der Aktion aufgerufen.

Selbst nach der mit Polizeigewalt durchgesetzten Räumung dürfte die Mieterbewegung weiter wachsen. In den letzten Wochen haben sich weitere von Räumung bedrohte Mieter in Kreuzberg an die Öffentlichkeit gewandt und konnten durch politischen Druck schon im Vorfeld Erfolge erreichen. Auch die Berliner Blockupy-Plattform, die sich für die Mobilisierung zu den diesjährigen Krisenprotesttagen Ende Mai nach Frankfurt gegründet hat, rief zur Räumungsverhinderung auf. Schließlich macht sich die Krise bei vielen Menschen eher in steigenden Mieten als am Dax-Kurs bemerkbar. In diesem Sinne ist der Widerstand gegen die Zwangsräumung, genau so wie die seit mehr als 8 Monaten bestehende Mieter-Protesthütte am Kottbuser Tor Krisenprotest im Alltag. Auch in Spanien oder Großbritannien werden nicht mehr bezahlbare Miete oder Zwangsräumungen zu einem Thema vieler Menschen und erzeugen Widerstand.

Umkämpfte Treffpunkte real und im Netz

Der Widerstand braucht Räume im Internet und im Stadtteil. Mit dem Irving Zola Haus gibt es in einer besetzten Schule in Kreuzberg ein selbstorganisiertes Stadtteilzentrum. Das Interesse der Nachbarn ist groß, wie dies auf Veranstaltungen zu sehen war, bei denen der Widerstand gegen die Mieterhöhung im Mittelpunkt stand. Das hängt damit zusammen, dass im Stadtteil Kreuzberg ein solidarisches Umfeld existiert, dass solche Mieterproteste wie heute möglich macht. Die genannten unterschiedlichen Treffpunkte dienen als Räume, in denen sich die Nachbarn kennenlernen und austauschen können. Das macht auch deutlich, dass sich Proteste wie in Kreuzberg nicht beliebig auf alle anderen Stadtteilen erweitern können.

Allerdings gibt es auch in anderen Berliner Stadtteilen wie in Neukölln Mieterwiderstand. Dabei sind neben Nachbarschaftstreffpunkten auch Internetforen eine wichtige Kommunikation, die auch immer bedroht und manchen Eigentümer ein Dorn im Auge sind. Dass erfuhren die Bewohner der einer Straße, die das Blog [http://willibald-alexis-strasse34.blogspot.de] betreiben. Ihr Provider in den USA sollte Auskünfte über die Autoren des Blogs geben, was dieser verweigerte. Es wird sich auch zeigen, ob neben den Protesten gegen hohe Mieten auch das Hartz IV-Regime und der boomende Niedriglohnsektor in den Blick genommen werden. Schließlich wird die Miete für viele Menschen auch deshalb zum Problem, weil ihr Einkommen sinkt.
Peter Nowak

Mein Block, meine Blockade

Für die Berliner Mieterbewegung ist die Winterpause vorbei. Mehr als 400 Menschen beteiligten sich am Samstag an der ersten Demonstration im neuen Jahr. Auch eine neue Parole riefen die Aktivisten auf ihrer kurzen Route durch Kreuzberg: »Die Gülbols bleiben in der Lause, die Polizei, die geht nach Hause!« Gemeint ist die Familie Gülbol aus der Lausitzer Straße 8, die zum Symbol des neuen Berliner Mieterwiderstands geworden ist. Nach jahrelangem Rechtsstreit mit ihrem Hauseigentümer André Franell war ihnen der Mietvertrag gekündigt worden, weil sie die Fristen zur Mietnachzahlung um einige Tage versäumt hatten. Sie klagten erneut, verloren jedoch in allen Instanzen, und so wurde ein Räumungstermin angekündigt. Dergleichen passiert eigentlich jeden Tag und meistens erfährt niemand davon. Doch die Gülbols gingen an die Öffentlichkeit, eine Solidaritätsinitiative entstand und über 200 Menschen verhinderten im vergangenen Oktober mit einer Blockade die angesetzte Räumung.

Ein zweiter Termin wurde im Dezember von der Justiz abgesagt. Doch am 14. Februar dürfte es ernst werden. Das Bündnis »Zwangsräumung blockieren« ist vorbereitet und organisierte mehrere Blockadetrainings. Selbst wenn die Räumung mit Polizeigewalt durchgesetzt werden sollte, dürfte die Mieterbewegung weiter an Stärke gewinnen. In den vergangenen Wochen haben sich weitere von Räumung bedrohte Mieter in Kreuzberg an die Öffentlichkeit gewandt und konnten durch politischen Druck einige Erfolge erzielen. Auch die Berliner Blockupy-Plattform ruft zur Räumungsverhinderung auf. Eine kluge Entscheidung, wie es scheint – schließlich spüren viele Menschen die Krise gerade in Form steigender Mieten. In diesem Sinne lassen sich der Widerstand gegen die Zwangsräumung wie auch die Mieter-Protesthütte, die seit acht Monaten am Kottbusser Tor steht, als eine Form des Krisenprotests im Alltag verstehen.
http://jungle-world.com/artikel/2013/07/47151.html
Peter Nowak

Gesponserte Demokratieforschung

Auch in die Geisteswissenschaften fließt wie im Fall des Göttinger Instituts für Demokratieforschung Geld von Unternehmen. Geprägt wurde in einer von BP geförderten Studie der „Wutbürger“

Verbindungen zwischen Wirtschaft und Hochschulen sind in der letzten Zeit transparenter geworden. Dafür sorgt die Seite Hochschulwatch, die von der taz gemeinsam mit der NGO Transparency International und Studierendenorganisationen gegründet wurde.

Dabei stellte sich schnell heraus, dass die Verflechtungen noch umfassender als vermutet sind. Nicht nur im naturwissenschaftlichen Bereich sind im Rahmen der Drittmittelforschung mittlerweile Finanziers aus der Wirtschaft an der Tagesordnung. Im geisteswissenschaftlichen Bereich scheint eine solche Kooperation vor allem deshalb für ungewöhnlich gehalten zu werden, weil sich diese Fakultäten gerne als besonders kritisch gaben und der Gegensatz zwischen Bildung und Wirtschaft gerne besonders herausgestellt wird. Daher gab es einige Schlagzeilen, als sich herausstellte, dass auch das Institut für Demokratieforschung an der Universität Göttingen vom Mineralölkonzern BP gesponsert wird.

Wie LobbyControl herausfand, gab der Konzern beim Demokratieinstitut eine Studie zu den Bürgerprotesten in Auftrag. „Ziel der Untersuchung war es herauszufinden, welche Einstellungen und Motivlagen in typischen Gruppen engagierter Bürgerinnen und Bürger vorherrschen. Dazu gehörten auch die Einstellungen der Aktivisten gegenüber Unternehmen, soweit es um deren Mitwirkung an Infrastrukturprojekten geht“, erklärte ein BP-Sprecher gegen LobbyControl.

Das Institut betont seine Unabhängigkeit auch gegenüber BP: „Bei uns lag die völlige Forschungsfreiheit. BP hat zu keiner Zeit Einfluss auf das Projektdesign oder die Konzeption genommen.“ Das Institut habe darauf bestanden, dass die Studie als Grundlagenforschung angelegt worden sei. Dabei sei rechtsverbindlich festgelegt worden, dass BP als Förderer keinen Einfluss auf Inhalte und Konzeption gehabt habe.

Studienteilnehmer zu spät informiert?

Unklar blieb, wann die protestbewegten Teilnehmer der Studie über Proteste in Deutschland von dem BP-Engagement erfahren haben. Gegenüber der taz erklärte der Institutsleiter Franz Walter, die Interviewer seien angewiesen gewesen, „den Befragten und Studienteilnehmern zu keiner Zeit die Förderer der Untersuchung zu verheimlichen“. Spätestens nach dem Ende der Studie seien sie über das BP-Engagement informiert worden. Das sei zu spät, eine Information hätte am Anfang erfolgen müssen, moniert LobbyControl und dokumentiert einen Brief, mit dem das Demokratieinstitut eine Bürgerinitiative gegen die CCS-Technologie für die Teilnahme an der Studie gewinnen wollte. BP ist dort nicht erwähnt.

Dabei ist gerade das Verhältnis zwischen Umweltinitiativen und dem BP-Konzern alles andere als spannungsfrei. Schließlich gehört er zu den Unternehmen, die auch im CCS-Geschäft mitmischen wollen. Zudem hat Walter betont, dass die Kontakte zwischen BP und dem Institut über das kmw outrage Management erfolgten. Zu deren Aufgaben gehört es laut Darstellung auf der Homepage: „Ihr Unternehmen daraufhin zu überprüfen, welche Risiken es hat und welche Krisen daraus entstehen können, Ihr etabliertes Krisenmanagement daraufhin zu überprüfen, ob es einer realen Krise standhält, ein Krisenmanagement in Ihrem Unternehmen zu implementieren. Wir sind dabei auf Prävention spezialisiert, helfen aber auch beim echten Krisenmanagement“, heißt es dort.

Zu einer solchen Krise gehören aber auch Bürgerproteste, die ein vom Konzern geplantes Projekt behindern oder vielleicht sogar für längere Zeit lahmlegen, was für den Konzern mit finanziellen Verlusten verbunden ist. Aus seiner Sicht geht es darum, solche Risiken zu minimieren. Dafür gibt es verschiedene Wege. Eine Integration möglicher Protestpotentiale im Vorfeld ist eine Variante, eine Denunzierung von Protestgruppen oder diese unglaubwürdig zu machen eine andere.

Wutbürger gesponsert durch BP?

In diesem Zusammenhang kann auch von dem Inhalt der Studie nicht ganz ausgeblendet werden, die von BP in Auftrag gegeben und vom Demokratieinstitut erarbeitet wurde. Schließlich sorgte auch die Studie dafür, dass sich der Begriff Wutbürger für die Charakterisierung der neueren Proteste durchsetzte. Und es wird noch nachgelegt, dass die Protestakteure alt und egoistisch seien.

Hier zeigt sich auch, wie man mit Fakten auch unterschiedliche Stimmung machen kann. Die Tatsache, dass viele Akteure der neuen Proteste teilweise im Rentenalter und gut ausgebildet sind, kann man so interpretieren, dass heute viele Menschen im Rentenalter noch rüstig sind und sich dann politisch engagieren und damit etwas nachholen, wofür es oft im Arbeitsleben weder Raum noch Zeit gab. Welche Folgen könnte eine solche Entwicklung für eine Protestbewegung haben, die bisher immer jugendbewegt war? Doch solche Fragen stellen sich nicht. Statt dessen wird der egoistische Wutbürger als neues Protestsubjekt eingeführt. Bei der Vorstellung der Studie äußert Walter auch den Verdacht, dass direkte Demokratie nicht die Herzensangelegenheit der Aktivisten ist, weil sie diese Forderung leidenschaftslos vortragen würden. Hier wird ein Bild und eine Stimmung über die Protestbewegung erzeugt, die auch BP gefallen dürfte. Kritische Fragen in diese Richtung scheinen bei den Institutsverantwortlichen nicht besonders beliebt.

„Der Kritiker raunt, wir hätten Auftragsforschung betrieben. Natürlich ist nichts daran richtig. Implizit wie explizit meint man jedenfalls auf Seiten der selbsterklärten Anti-Lobbyisten, dass drittmittelfinanzierte Forschung grundsätzlich interessengeleitet ist. Nun wird man nicht verhehlen können, dass die Frage nach den Interessen von Finanziers in der Forschung unzweifelhaft ihre Berechtigung habe. Das Ganze überschreitet aber dann eine Grenze, wenn wider besseren Wissens auch den ausführenden Forschern unterstellt wird, sie hätten Forschungsdesign, Interpretationen, Konzeptionen und Ergebnisse den Bedürfnissen ihrer Mittelgeber angepasst.“ Genau das soll hier nicht unterstellt werden. Es besteht vielmehr der begründende Verdacht, dass das Institut seine Schlussfolgerungen ganz ohne Einflussnahme zur Zufriedenheit von BP erarbeitet hat. Eine direkte Einflussnahme ist gar nicht nötig, wenn die Macher der Studie ganz ohne Druck die passenden Stichworte liefern. Das Problem besteht also eher darin, dass die gesellschaftlichen Vorstellungen des Instituts und vo BP ganz ohne Druck und Beeinflussung fast komplementär sind.
http://www.heise.de/tp/blogs/10/153729
Peter Nowak

Täter-Abos kündigen

»Opferabo« lautete das von Sprachwissenschaftlern ausgewählte Unwort des Jahres 2012. Es war vom ehemaligen Wettermoderator Jörg Kachelmann in Umlauf gebracht worden, nachdem er aus Mangel an Beweisen vom Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen wurde. Der Begriff richtete sich gegen Frauen, die sich gegen Männergewalt wehren. Seitdem wird immer häufiger über angeblich zu Unrecht beschuldigte Männer berichtet. Die Berliner Initiative »Täter-Abos kündigen« will am 14. Februar, dem Internationalen Protesttag gegen Gewalt an Frauen, gemeinsam mit Interessierten ein Plakat gestalten, auf dem dargestellt ist, wie gering die Zahl der zur Anzeige kommenden Gewalttaten gegen Frauen tatsächlich ist. Das Plakat soll dann in Kreuzberg im öffentlichen Raum angebracht werden. Treffpunkt ist um 19 Uhr im Südblock, Admiralstraße 1-2 in Berlin-Kreuzberg.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/812782.bewegungsmelder.html
Peter Nowak

Analyse der Krisenproteste in Europa

Ein Buch betrachtet Widerstandsperspektiven

Warum gibt es in Europa trotz der großen Krise relativ wenig gemeinsamen Widerstand? Ein kürzlich im Verlag Assoziation A erschienenes Buch mit dem Titel »Krisen. Proteste« gibt einige Antworten auf diese Frage und zieht eine Zwischenbilanz der Proteste, Aufstände und Streikbewegungen, die es bisher als Reaktion auf die sozialen Verwerfungengab. Die Ungleichzeitigkeit der Krisenpolitik und der Wahrnehmung bei den Betroffenen erschwert einen gemeinsamen Widerstand. Diese Entkoppelung stellt für die Linken ein großes Problem dar, »das keineswegs mit bloßen Appellen und weltweiten Aufrufen bewältigt werden kann«, schreiben die Herausgeber des Buches, Peter Birke und Max Henninger, in der Einleitung. In zwölf Aufsätzen, die größtenteils auf der Onlineplattform Sozial.Geschichte Online veröffentlicht wurden, werden die aktuellen Bewegungen in den unterschiedlichen Ländern auf hohem Niveau analysiert. Zur Lage in Griechenland gibt es gleich zwei Beiträge. Während der Historiker Karl Heinz Roth die Vorgeschichte der Krise rekonstruiert und dabei auf das Interesse des griechischen Kapitals am Euro eingeht, beschäftigt sich der Soziologe Gregor Kritidis mit der vielfältigen Widerstandsbewegung der letzten Jahre. Er sieht in den Aufständen nach der Ermordung eines jugendlichen Demonstranten durch die Polizei im Dezember 2008 »die Sterbeurkunde für die alte Ordnung«. Ausführlich geht er auch auf die Bewegung der Empörten ein, die im Sommer 2011 aus Protest gegen die EU-Spardiktate öffentliche Plätze in Griechenland besetzten und mit massiver Polizeirepression konfrontiert waren. Ebenso stellt Kritidis die Bewegung zur Schuldenstreichung vor, die es seit einem Jahr gibt.Kirstin Carls zeigt am Beispiel Italien auf, wie die technokratische Monti-Regierung in den letzten Monaten
Einschnitte in die Arbeits-, und Sozialgesetzgebung umgesetzt hat, die Berlusconis Regierung nach heftigem Widerstand hatte zurückziehen müssen. Das Bündnis The Free Association liefert Hintergrundinformationen über die Proteste in Großbritannien. Zwei spanische Aktivisten beschreiben, wie sich ein Teil der Empörten, nachdem sie Zelte auf den öffentlichen Plätzen aufgegeben hatten, auf den Kampf gegen Häuserräumung und die Unterstützung von Streiks konzentrierten. Das Buch kann nach den Blockupy-Aktionstagen in Frankfurt wichtige Anregungen für eine Perspektivdebatte der Krisenprotestbündnisse liefern.

aus: Sprachrohr
http://medien-kunst-industrie.bb.verdi.de/sprachrohr/#ausgaben-2012
Peter Nowak
Peter Birke, Max Henninger, Krisen.Proteste,
Berlin 2012, 312 Seiten, 18 Euro, ISBN
978-3-86241-413-0

30 Stunden sind genug

Ein Bündnis von Wissenschaftlern, Politikern und Gewerkschaftern setzt Akzente gegen Niedriglohn, Stress und Arbeitshetze

Immer wieder wird über Arbeitshetze und vermehrten Stress geklagt. Jetzt haben 100 Gewerkschafter, Wissenschaftler und Politiker der Links- und Piratenpartei eine besondere Therapie vorgeschlagen. In einem Offenen Brief schlagen sie eine Arbeitszeitverkürzung auf 30 Stunden wöchentlich bei vollem Lohnausgleich vor. Die dahinterstehende Wirtschaftsanalyse ist linkskeynsianistisch geprägt und geht davon aus, dass durch ein höheres Einkommen die Massenkaufkraft steigt und damit die Wirtschaft angekurbelt wird:

„Seit Jahren findet eine sozial und ökonomisch kontraproduktive Umverteilung von den Arbeits- zu den Besitzeinkommen (Gewinn, Zins, Miete, Pacht) statt. Dadurch wurde die Binnennachfrage eingeschränkt und das überschüssige Kapital – weg von der produzierenden Realwirtschaft – in den Finanzsektor umgeleitet. Gewaltige Finanzspekulationen und Finanzkrisen waren die Folge. Die Krisenbewältigung darf nicht denen überlassen werden, die aus den Krisen hohe Gewinne gezogen haben und jetzt erneut versuchen, mit Scheinalternativen und einer Therapie an Symptomen ausschließlich den Besitzstand der Vermögenden auf Kosten der großen Bevölkerungsmehrheit zu sichern. Fast vierzig Jahre neoliberaler Kapitalismus sind genug.“

Ziel Vollbeschäftigung?

Auffällig ist, dass die Initiatoren die Arbeitszeitverkürzung schon in der Überschrift als Allheilmittel gegen die Erwerbslosigkeit anpreisen. „Ohne Arbeitszeitverkürzung nie wieder Vollbeschäftigung“, heißt es dort. Im ersten Absatz wird dann dazu aufgerufen, „dem Kampf gegen die Massenarbeitslosigkeit höchste wirtschaftliche, politische, soziale und humanitäre Priorität einzuräumen“. Aus der linksgewerkschaftlichen Perspektive der Autoren ist die Massenarbeitslosigkeit ein politisch gewolltes wirtschaftsliberales Projekt, um in Deutschland einen Niedriglohnsektor durchzusetzen. „Die neoliberale Umverteilung wäre ohne die langandauernde Massenarbeitslosigkeit nicht durchzusetzen gewesen. Ein Überangebot an den Arbeitsmärkten führt zu Lohnverfall“, heißt es in dem Aufruf.

Die Konzentration auf die Durchsetzung Vollbeschäftigung ist ein Manko in dem Aufruf, weil damit die Diskussion über Arbeitsverhältnisse im Dienstleistungs- und Reproduktionssektor ausgeblendet wird. Vor allem könnte diese argumentative Engführung dazu führen, dass der Aufruf in die traditionsgewerkschaftliche Ecke gesteckt wird. Das aber wäre bedauerlich. Denn das Grundanliegen des Aufrufs ist unterstützenswert. Weil durch die Entwicklung der Produktivkräfte zumindest in den hochkapitalisierten Staaten die Lohnarbeit knapp wird, sollte die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung wieder verstärkt in die gesellschaftliche Diskussion gebracht werden.

Der Aufruf knüpft an Diskussionen in Teilen der Gewerkschaften an, in denen versucht wurde, das Thema Arbeitszeitverkürzung dort wieder zu popularisieren. Schließlich können sich noch manche an die Kampagne zur Durchsetzung der 35 Stunden Ende der 70er Jahre erinnern, die eine gesellschaftliche Debatte weit über das Gewerkschaftsmilieu hinaus auslöste. Allerdings haben sich die aktuellen Gewerkschaftsvorstände so auf Defensivkämpfe eingestellt, dass sie sich an eine solche Forderung nicht mehr heranwagen. Das zeigen auch die gewerkschaftlichen Reaktionen auf den Aufruf zur 30-Stunden-Woche. Führende verdi-Gewerkschafter erinnerten daran, dass man in den Betrieben heute eher das Problem hat, gegen Arbeitszeitverlängerungen anzukämpfen. Aber gerade dieser Befund macht noch einmal deutlich, wie notwendig eine Kampagne für eine Arbeitszeitverkürzung wäre, die mit vielen Argumentationshilfen vorbereitet werden muss, damit die Beschäftigten in der Lage sind, auch für diese Forderung zu streiken.

„Weltfremd, falsch, gefährlich“?

Dass die Auseinandersetzung nicht einfach wird und gegen einen zähen neoliberalen Konsens ankämpfen muss, zeigten die ersten Reaktionen auf den Aufruf. Das wirtschaftsliberale Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung bezeichnet die Forderung nach Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich als „weltfremd“ und „von marxistischen Vorstellungen geprägt“.

Eine aktuelle Meldung auf der DIW-Homepage lautet: „Immer mehr Menschen im Rentenalter sind berufstätig.“ Das ist eine Folge des Niedriglohnsektors, der sich im Rentenalter als Altersarmut fortsetzt. Die massive Senkung der Kosten der Ware Arbeitskraft würde durch eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich konterkariert, daher haben wirtschaftsliberale Kriese daran kein Interesse. Auch sozialdemokratisch orientierte Wirtschaftswissenschaftler wie Peter Bofinger oder Heiner Flassbeck, die schon mal einen zu harten neoliberalen Kurs sanft kritisieren, haben sich schon gegen die 30-Stunden-Woche positioniert.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153724
Peter Nowak

Feministischer Blick auf die Krise

Hausfrauenlohn – eine alte Debatte neu gelesen

Viel wurde in letzter Zeit in linken Debatten vom Ende der Arbeitsgesellschaft gesprochen. Meist wird dieser Befund an der Entwicklung n der industriellen Produktion festgemacht. Doch in letzter Zeit meldeten sich vermehrt Stimmen zu Wort, die in diesen linken Konzepten eine Unsichtbarmachung der Reproduktionsarbeit sehen, die in den letzten Jahrzehnten weltweit gewachsen ist und noch immer überwiegend von Frauen ausgeübt wird. So fand 2009 in Berlin ein gut besuchter Kongress unter dem Titel „Who cares“ statt, der sich mit der Pflegearbeit in den Familien und im Dienstleistungssektor befasst. Feministische Zusammenhänge haben diese Debatten schon vor mehr 40 Jahren geführt. Der Münsteraner Verlag Edition Assemblage hat jetzt einige Grundlagentexte dieser Debatte in einem kleinen Band zusammengestellt und unter dem Titel „Aufstand aus der Küche“ veröffentlicht. Darin sind zwei aktuelle und ein alter Aufsatz der emeritierten US-Professorin Silvia Federici abgedruckt, die 1972 das „Feministische Kollektiv“ mitbegründete, dass mit der Forderung „Lohn für Hausfrauenarbeit“ weit über die feministische Bewegung hinaus für Kontroversen sorgte.
Federici formuliert in dem Band eine aktuelle Kritik der Reproduktinsarbeit im globaen Kapitalismus und plädiert für eine feministische Politik der Gemeingüter. Der Verlag eröffnet damit seine neue Reihe „Kitchen Politics – Querfeministische Interventionen“. Sie soll einen Mangel der aktuellen feministischen Diskussion beheben, die sich zu wenig um Kapitalismuskritik bemühe, zugleich aber den ökonomiekritischen, marxistischen Diskurs erweitern, der bis heute an einem männerdominierten Blick krankt und Geschlechterverhältnisse nur am Rande behandelt.
Federicis zentrales Anliegen war die Politisierung der Arbeitsteilung und der geschlechtsspezifischen Zuweisung der privaten, unbezahlten Sorgearbeit an Frauen. Die Forderung nach einem Hausfrauenlohn sorgte in linken Zusammenhängen für große Aufregung, galt sie doch als „Herdprämie“ fürs Zuhausebleiben und nicht zuletzt stellte sie den Arbeitsbegriff von Karl Marx infrage. Für ihn war Reproduktionsarbeit nicht produktiv, weil sie keinen Mehrwert erwirtschaftet.
Wie heftig die Diskussion damals auch in feministischen Zusammenhängen geführt wurde, zeigt der letzte Beitrag im Buch. Die 1974 verfasste Replik auf die Kritik des Hausfrauenlohns wurde damals von einer marxistischen Zeitung nicht abgedruckt. Fast 40 Jahre später liest sich er Text erstaunlich aktuell. Federicis These „Es ist aber nicht nötig, eine Fabrik zu betreten, um von der kapitalistischen Organisation der Arbeiter_innenklasse betroffen zu sein“. Das mag Mitte der 70er Jahren noch auf Unverständnis gestoßen sein. Im Zeitalter der boomenden Dienstleistungsbranche ist die Einschätzung nachvollziehbar. Das ist ganz im Sinne der Herausgeberinnen: Sie wollen mit dem Buch nicht etwa ein historisches Interesse befrieden, sondern einen Beitrag zur aktuellen Debatte um die Reproduktionsarbeit liefern.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/812138.feministischer-blick-auf-die-krise.html
Peter Nowak

Silvia Federici, Aufstand aus der Küche, Reproduktionsarbeit im globalen Kapitalismus und die unvollendete feministische Revolution, Aus dem Englischen von Max Henninger, Edition Assemblage, Reihe: Kitchen Politics, Band 1, 128 Seiten, 9.80 Euro, Münster 2012, ISBN 978-3-942885-32-4
http://www.edition-assemblage.de/aufstand-aus-der-kuche

Neues soziales Zentrum im alten Schulpavillon

Umsonst-Laden und viel Platz zum Diskutieren

»Was ist denn heute in meiner alten Schule los«, meint die junge Frau, als sie die vielen Menschen sah, die am Samstagabend vor dem Eingang des Geländes der Ohlauer Straße 12 in stehen. Wo bis vor einigen Jahren die Gerhard-Hauptmann-Schule ihr Domizil hatte, wird die Eröffnung eines neuen sozialen Zentrums gefeiert. Neben Veranstaltungen gibt es auch Filmvorführungen und Konzerte.

Benannt ist das Zentrum nach Irving Zola, einem Aktivisten der Behindertenbewegung in den USA. Die Namensgebung ist Programm. »Hier soll ein barrierefreier Raum entstehen, den auch Rollstuhlfahrer ohne fremde Hilfe nutzen können«, meint Michael, einer der Aktivisten des sozialen Zentrums. Schließlich ist der ehemalige Schulpavillon ebenerdig und hat keinerlei Treppen.

Ende vergangenen Jahres ist das Areal in der Ohlauer Straße besetzt worden. In dem mehrstöckigen Hauptgebäude der ehemaligen Schule haben Flüchtlinge, die seit mehreren Monaten in Berlin gegen ihre Lebensbedingungen in Deutschland protestieren, in den Wintermonaten ein Domizil gefunden. In dem Pavillon wurde ein Umsonst-Laden eingerichtet, in dem Kleidung und Haushaltsgegenstände kostenfrei angeboten werden. In den drei weiteren Räumen befinden sich Sofas, Tische und Stühle. Es soll als Treffpunkt für Initiativen aus der Nachbarschaft dienen.

»Wir haben schon seit Jahren für ein soziales Zentrum hier im Kiez gekämpft«, meine Vera. Sie erinnert daran, dass vor fast zehn Jahren ganz in der Nähe von Aktivsten des Berliner Sozialforums eine leerstehende Kita besetzt wurde. Auch sie wollten dort ein Stadtteilzentrum einrichten. Nach wochenlangen Verhandlungen scheiterte das Projekt am Veto des damaligen Innensenators Erhardt Körting.

»Mittlerweile gibt es in Kreuzberg mehrere selbstorganisierte Räume«, freut sich Vera. Sie verweist auf das von Flüchtlingen aus ganz Deutschland errichtete Zeltdorf am Oranienplatz und die Protesthütte gegen hohe Mieten am Kottbuser Tor. »Auch das Irving-Zola-Zentrum soll ein Ort werden, wo sich die Anwohner treffen und für ihre Interessen einsetzen«, betont Michael.

Am Eröffnungswochenende gab es mehrere Veranstaltungen zu der für Donnerstag angekündigten Zwangsräumung einer Familie in der Lausitzer Straße 8, die nach einem jahrelangen Rechtsstreit ihre Wohnung verlieren soll. Ein Bündnis will die Räumung mit einer Blockade zu verhindern. Das war beim ersten Räumungsversuch im Dezember gelungen. Seitdem haben auch andere Familien Probleme mit dem Vermieter öffentlich gemacht und um Unterstützung gebeten. »Ein solcher Widerstand braucht Räume zum Austausch, zur Beratung und zur Vernetzung«, begründet Vera die Einrichtung des Zentrums. Wie lange es existieren kann, wird sich bei den Gesprächen mit dem Bezirksamt zeigen. Bis März besteht eine Duldung für das gesamte Gelände.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/812590.neues-soziales-zentrum-im-alten-schulpavillon.html

Peter Nowak

Gysi und die Stasi – eine endlose Geschichte

Der Fraktionschef der Linkspartei prophezeit, dass auch das neue Verfahren gegen ihn eingestellt wird

Die Facebookseite des Fraktionsvorsitzenden der Bundestagsfraktion der Linken, Gregor Gysi wird in den letzten Tagen besonders frequentiert. Denn dem Politiker wurde die Immunität aberkannt, weil die Hamburger Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen uneidlicher Falschaussage gegen ihn eingeleitet hat.

Das konservative Springerblatt Die Welt hatte die Nachricht zuerst gemeldet mit der Eingangsbemerkung: „Exklusive Meldungen darüber, dass Gregor Gysi vielleicht doch entgegen seinen knallharten Dementis ein Zuträger der Stasi gewesen sein könnte, werden gewöhnlich von deutschen Medien nur ungern angepackt.“

Der Politiker gibt sich auf Facebook auch bei nach der neuen Anzeige selbstbewusst: „Nach einer Anzeige muss in einem Ermittlungsverfahren der Vorwurf geprüft werden. Das ist schon einmal geschehen. Selbstverständlich wird das Verfahren wie damals eingestellt werden, da ich niemals eine falsche eidesstattliche Versicherung abgegeben habe. Deshalb gibt es nicht den geringsten Grund, über die Kandidatur nachzudenken“, kommentiert er die neueste Entwicklung.

Tatsächlich ist die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens nach einer Anzeige genau so obligatorisch wie die vorherige Aberkennung der Immunität, soweit es sich um einen Mandatsträger handelt. Im Umfeld der Linken dürften die neuerlichen Ermittlungen dem Spitzenkandidaten Gysi nicht schaden, sondern eher Pluspunkte einbringen. Die Partei wird den als Realo nicht unumstrittenen Politiker verteidigen und sich hinter ihn stellen. Seine Kandidatur durfte also parteiintern unstrittiger sein denn je. Wie die Reaktionen in parteiferneren Kreisen ausfallen, wird auch vom Fortgang der Ermittlungen abhängen.

Investigativteam gegen Gysi

Trotzdem stellen sich auch jetzt schon einige Fragen. Was bewegt das Welt-Investigationsteam mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Ende der DDR der Frage, ob Gysi wissentlich mit der Stasi zusammengearbeitet hat, eine solche Bedeutung zuzumessen? Schließlich ist längst bekannt, dass es eine Zusammenarbeit gab – die Frage ist, ob Gysi damals wusste, dass es sich um die Stasi handelte oder ob er andere Staatsorgane hinter seinen Gesprächspartnern vermutete.

Gysi arbeitete in der DDR als Rechtsanwalt und hatte in dieser Funktion Kontakte zu den damals real existierenden Staatsorganen. Wenn in dem Vorspann in der Welt suggeriert wird, die Medien in Deutschland würden Gysi schonen wollen, dann offenbart sich damit das Weltbild von einer linken Medienmacht, wie es eigentlich sonst nur in Kreisen der alten und neuen Rechten vorhanden ist. Tatsächlich gibt es nur wenige Medien, die das Thema Gysi und die Stasi nicht thematisieren. Und sie bleiben dabei durchaus nicht immer sachlich. So veröffentlichte Der Spiegel in den 1990er Jahren einen Titel zu Gysi, in dem Kritiker ein Spiel mit antisemitischen Codes sehen.

Auffällig ist auch, dass es in Westdeutschland in den ersten zwei Jahrzehnten keine großen Diskussionen über die Kontakte der damaligen Politiker zu den Staatssicherheitsorganen des nationalsozialistischen Regimes gab, das bekanntlich anders als die DDR nicht Akten-, sondern Leichenberge hinterlassen hat. Ein Investigativ-Team der Welt ist dazu nicht bekannt.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153714
Peter Nowak

Droht konzernkritischem Film Verbot?

Eine Klage von Veolia gegen den Verleih von „Water makes Money“ könnte für den Konzern selbst zum Bumerang zu werden

Am kommenden Dienstag wird auf Arte mit Water makes Money ein Film ausgestrahlt, der besonders viel Aufmerksamkeit erfahren dürfte . Schließlich ist es ungewiss, ob der Film noch nach lange in dieser Version gezeigt werden kann.

Am 14. Februar beginnt im Pariser Justizpalast der Prozess des französischen Konzerns Veolia gegen den Verleih La Mare aux Canards, der den Film vertreibt. Der Konzern gibt an, in dem Film mit Korruption in Verbindung gebracht zu werden und dadurch beleidigt worden zu sein.

Der Film läuft am kommenden Dienstag im Rahmen eines Themenabends, der sich mit dem Lobbyismus großer Konzerne befasst. Die Titel der anderen Beiträge lauten: „Die Macht der Lobbyisten“ und im „Vorzimmer der Macht“. Tatsächlich zeigt der Film sehr prägnant, wie im Zuge der neoliberalen Regulationsphase mächtige Konzerne verstanden haben, mit dem lebenswichtigen Wasser große Profite zu machen (Trinkwasser als Geschäftsmodell).

„Seit ‚New Labour‘, Blair und Schröder – seit viele die Folgen der Privatisierungen am eigenen Leib verspüren, ist es aber unschicklich geworden, von Privatisierung zu sprechen. Seither klopfen Heere von Beraterfirmen bei finanziell klammen Kommunen an und versprechen neue Geschäftsmodelle: PublicPrivatePartnership, Crossborder leasing, Franchising und vieles dergleichen mehr“, heißt es im Filmmaterial.

Diese Zauberworte des Wirtschaftsliberalismus, die ein Peer Steinbrück genau so selbstverständlich verwendet wie ein Friedrich Merz oder ein Philipp Rösler werden in dem Film kenntlich als Geldmaschine für wenige Konzerne und Enteignung von Millionen Kunden in vielen Ländern. Die Filmemacher dokumentieren, wie französische Kommunen, seien sie von den Kommunisten oder den Konservativen regiert, der Marketingstrategie von Veolia und Co. folgen. Der Film geht ins Detail und dokumentiert, wie Wirtschaftsliberalismus im Kleinen groß funktioniert (Tröpfchen für Tröpfchen Qualität).

Inhaltliche Fehler werden dem Film nicht vorgeworfen:

„Nicht die im Film gezeigten Fakten werden bestritten, nur ‚Korruption‘ hätte man sie nicht nennen dürfen“, erklären Leslie Franke, Herdolor Lorenz und Lissi Dobbler, die den konzernkritischen Film gemeinsam produziert haben. In einer Erklärung gibt sich ein Veolia-Sprecher konziliant und beteuert, den Film nicht verbieten zu wollen und sich der Diskussion stellen zu wollen.

Die Konzernkritiker fragen, wie diese Erklärung dazu passt, dass nun eine Verleihfirma vor Gericht gezogen wird. Zudem scheiterte der französische Konzern mit einer Klage gegen die Filmregisseure Leslie Franke und Herdolor Lorenz, weil die deutschen Behörden sich verweigert und die deutsche Veolia-Tochter sich der Klage nicht anschließen wollte.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/153706
Peter Nowak