Die Mauer, eine Satire und ihre Opfer

Die ganze Nation feierte am vergangenen Wochenende den Mauerfall? Die ganze Nation: Eine Satirepartei und eine kleine Tageszeitung mit Osthintergrund in Berlin-Mitte verweigerten sich

Während die Aktion der Titanic-Partei, die mit ihrer Devise „Die endgültige Teilung Deutschlands ist unser Auftrag“ wenig Aufmerksamkeit zeugte, erregt die Titelseite der Wochenendausgabe der jungen Welt die Gemüter auf der rechten und der linken Seite der Nation bis heute. Unter einem Bild von bewaffneten DDR-Grenzschützern wurde für den Mauerbau gedankt u.a. „für 28 Jahre Geschichtswissenschaft statt Guidoknoppgeschichtchen, für 28 Jahre Club Cola und FKK, für 28 Jahre Hohenschönhausen ohne Hubertus Knabe, für 28 Jahre munteren Sex ohne ‚Feuchtgebiete‘ und Bild-Fachwissen, für 28 Jahre Bildung für alle …“
aus dem jW-Titelblatt

Die Machart des Titelblattes liest sich so, als hätten sich DDR-Patrioten und Satiriker zusammengetan. Nun könnte man den Grundsatz „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ ernst nehmen und die Darbietung achselzuckelnd, schmunzelnd oder stirnrunzelnd dem Altpapier zuführen. Doch die Satireeinlage hat wohl einen Nerv getroffen. Auch einige Tage danach reißt die Zahl der Leserbriefe an die jW-Redaktion nicht ab.

Sogar CDU-Generalsekretär Gröhe, der gemeinhin nicht zu den jW-Lesern zählt, meldete sich mit einem offenen Brief zu Wort und bezeichnete die jW-Titelseite als „einen Tiefpunkt ihres verkorksten Weltbildes“. Der Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen, Hubertus Knabe, verglich die junge Welt gar mit dem Naziblatt „Der Stürmer“.

Keine Kooperation mit der jungen Welt

Auch für viele in der Linkspartei war die Mauersatire der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Unter dem Aufruf „Keine Kooperation mit der jungen Welt“ werden alle Parteigremien aufgefordert, die Zusammenarbeit mit dem Blatt einzustellen. In dem Aufruf, der vor allem von Linken-Politikern aus der Emanzipatorischen Linken und dem Forum Demokratischer Sozialisten unterschrieben wurde, heißt es:

Ein Anfang wäre die Einstellung jeder Kooperation mit der Tageszeitung „junge Welt“, was damit beginnt, diese Zeitung nicht mehr durch Anzeigenschaltung quasi „mit zu finanzieren“ und ihr keine Stände mehr auf Veranstaltungen und Parteitagen zu genehmigen.

Die Frontstellung ist nicht verwunderlich, schließlich wurden in der jungen Welt Politiker dieses Spektrums immer wieder massiv angegriffen. Zudem war das Blatt wegen seiner Frontstellung gegen die israelische Politik im Nahostkonflikt schon lange in der Linkspartei, aber auch der außerparlamentarischen Linken umstritten. Schon vor mehr als 13 Jahren hatte sich in Abgrenzung zur Linie der jungen Welt mit der Jungle World eine eigene Wochenzeitung gegründet.

Bei dem aktuellen Streit fehlt allerdings die Trennschärfe zwischen einer scharfen politischen Auseinandersetzung und dem Umgang mit Satire. Wenn immer wieder betont wird, wie menschenverachtend und brutal die Titelseite sei, muss man sich fragen, ob das nicht das gute Recht von Satire ist. Ein solches Vorgehen erinnert an ähnliche Interventionen von DDR-Bürgerrechtlern, die in den 1990er Jahren bierernst gegen den satirischen Fortsetzungsroman von Gerhard Henschel und Wiglaf Droste „Der Barbier von Bebra“ in der taz vorgingen. Auch dem Duo ohne Osthintergrund wurde Menschenverachtung und Respektlosigkeit vorgeworfen.

Die junge Welt zumindest dürfte so viel ungewohnte Publicity kurzfristig freuen. Ob sie aber, sollte es Anzeigenausfälle geben, doch noch zu den ersten Mauersatireopfern gehört, wird sich erst mittelfristig zeigen.

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/artikel/35/35327/1.html

Mieter wollen keine Sanierung


Das ehemalige GSW-Haus Wilhelmstraße 7 soll saniert werden. Manche Bewohner fürchten, sich die Miete dann nicht mehr leisten zu können

„Mieter wehren sich“ steht auf dem Transparent über dem Eingang des Gebäudes. Einige MieterInnen in der Wilhelmstraße 7 haben am vergangenen Samstag zum Hoffest eingeladen. Die hohen Decken und der teure Bodenbelag machen deutlich, dass hier vor Ende des 19. Jahrhunderts das aufstrebende Berliner Bürgertum sein Domizil hatte. Doch mittlerweile stehen viele Wohnungen leer.

Bis 1989 hatte sich für das Gebäude in Mauernähe kaum jemand interessiert. Auch danach haben sich erst einmal nur die Eigentumsverhältnisse geändert. Das Haus gehörte zu den 23 Gebäuden, die 1993 vom Land der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW) kostenlos übertragen wurden. Der Einbringungsvertrag verpflichtete die GSW zum Verzicht auf Luxusmodernisierung und zur Unterstützung der allgemeinen Stadtentwicklungsziele.

Für Claudia Walter von der Gruppe mit dem langen Namen „MieterInnen, der 23 an die GSW verschenkten Häuser“ muss sich auch der neue Eigentümer der Wilhelmstraße 7, an den die GSW 2010 verkauft hat, an diese Auflagen halten. „Der Vertrag ist bereits 1999 erloschen“, erklärte dagegen der GSW-Pressesprecher Thomas Rücker der taz. Zu Vorwürfen, die GSW habe sich um die übertragenen Häuser nicht gekümmert, wollte er sich nicht äußern. Er kenne den Zustand des Gebäudes beim Verkauf nicht. Der sei aber im Kaufpreis berücksichtigt worden.

Der neue Verwalter Jörg Weißenborn sagte im Gespräch mit der taz, er könne als Interessenvertreter der Eigentümer nicht für die Versäumnisse der GSW in den 90er Jahren in Verantwortung genommen werden. Unabhängig von seiner Gültigkeit wolle er jedoch die Auflagen des damaligen Übertragungsvertrages nicht verletzen. Eine Luxusmodernisierung sei nicht geplant und eine energetische Sanierung entspreche den wohnungspolitischen Zielen des Senats, betonte Weißenborn.

Von dem Hoffest am Wochenende, so der Verwalter, habe er von MieterInnen und der GSW erfahren. Ein Verbot des Fests, das dann nicht durchgesetzt wurde, sei wegen der Beschwerden einiger MieterInnen ausgesprochen worden. Für ihn sei es außerdem unverständlich, dass die EigentümerInnen nicht eingeladen worden sind. Schließlich habe er mit allen BewohnerInnen Gespräche geführt und dabei auch deutlich gemacht, dass sich die Miete nach der Sanierung erhöhen werde. Falls sich manche die teilweise geräumigen Wohnungen dann nicht mehr leisten können, habe man auch Hilfe bei der Suche nach kleineren Wohnungen angeboten.

Mieterin Walter beruhigt das nicht. „Wir haben in den vergangenen Jahren die Erfahrung gemacht, dass die Häuser systematisch leer gezogen wurden und selbst die notwendigen Instandhaltungen unterblieben sind“, beschrieb sie die Gründe für das Misstrauen in Erklärungen von PolitikerInnen und EigentümerInnen. Die Besetzung eines der betroffenen GSW-Häuser in der Schlesischen Straße 25 vor drei Monaten habe als Initialzündung gewirkt. „Danach sind auch in der Wilhelmstraße einige aus ihren persönlichen Frustnischen herausgekrabbelt“, so Walter.

http://www.taz.de/Streit-um-Kreuzberger-Wohnungen/!76455/

Peter Nowak

Ein Hauch von London in Berlin?


In der letzten Nacht hatte Berlin einen besonderen Rekord zu verzeichnen. 18 Autos haben in verschiedenen Straßen gebrannt, 14 wurden direkt angezündet

Der Schwerpunkt der Brandstiftungen lag im Stadtteil Charlottenburg, einem typischen Westberliner Mittelklassequartier, wo es seit mehr als 30 Jahren keine sichtbare linke Szene mehr gibt. Bereits in der Nacht zum Montag waren in dem Stadtteil elf Fahrzeuge in Flammen aufgegangen. Wurden 2010 insgesamt 54 Autos angezündet, waren es in diesem Jahr schon 138.

Während der Berliner Boulevardpresse ihr populistisches Potential in Sachen Autobrände schon vor Jahren verschossen hat und zur Zeit eher ratlos wirkt, gibt sich Berlins Innensenator Ehrhart Körting im beginnenden Berliner Wahlkampf ganz als Volksversteher: „Ich habe als Bürger eine ungeheure Wut“, gab der SPD-Politiker in einem Rundfunkinterview den Wahlkämpfer, um dann sachlich festzustellen, dass die Polizei nichts über die Täter wisse. Körting betonte auch, dass es falsch sei, alle Brandstiftungen automatisch der linken Szene zuzuordnen.

Die Einrichtung einer speziellen politischen Sonderkommission, wie sie von der Berliner CDU gefordert wurde, lehnt Körting vorerst noch mit dem Argument ab, die bestehenden Strukturen reichten zur Aufklärung auf. Der CDU-Kreisverband Charlottenburg-Wilmersdorf hat die von der Justiz ausgesetzte Belohnung für Hinweise auf die Brandstiftung von 5.000 auf 7.000 Euro erhöht und fordert die Versicherungen auf, ebenfalls selber Belohnungen auszusetzen. Die Frage, ob mit dieser Maßnahme nicht die Gewaltenteilung verletzt wird, stellt in Berlin kaum jemand. Schließlich ist Wahlkampf in Berlin und die schwächelnde Union versucht sich mit dem Law-and Order-Thema gegenüber der Koalition zu profilieren. Andererseits steht die CDU bei diesem Thema von rechts unter Druck. Schließlich hat die aus rechten CDUlern mitgegründete Partei „Die Freiheit“ das Sicherheitsthema seit ihrer Gründung in ihrem Repertoire.

Hauptstädte des abgehängten Prekariats

Die noch weiter rechts stehende Bewegung Pro Berlin schlägt in die gleiche Kerbe. Schon vor einigen Wochen sorgte sie mit ihrer Kampagne „Berlin-Hauptstadt der Angst“ für Aufsehen. Beide Rechtsparteien stellen einen Bezug zwischen den Unruhen in Großbritannien und den brennenden Autos in Berlin her.

Jenseits aller rechten Propaganda ist die Frage tatsächlich berechtigt, ob es eine Verbindung gibt. Vor einigen Tagen, auf dem Höhepunkt der Unruhen auf der britischen Insel, wurde noch niveauvoller diskutiert. Da ging es auch um die Frage, ob sich die Situation der abgehängten Teile des Prekariats nicht in Berlin und London angleicht. Damit sind die Menschen gemeint, die mit dem akademischen Prekariat in Spanien, das sich in den letzten Wochen in der Bewegung der Empörten organisiert hat, die Ablehnung sämtlicher Parteien und Großorganisationen teilen. Im Unterschied zu den mit viel Medienlob bedachten spanischen Aktivisten haben die Abgehängten in London und Berlin offenbar weder die Zeit noch den Willen, eine Alternativgesellschaft auf ihren Plena zu entwerfen. Sie holen sich das, was ihnen ihrer Meinung nach vorenthalten wird, sofort und sie nehmen die Objekte ins Visier, die sie für hassenswert halten. Dass die Autozündler ihr Aktionsrevier nicht in die „armen Kieze“ Neukölln und Kreuzberg, sondern in mittelständische Reviere verlegt haben, könnte ebenso ein Indiz für diese These sein.
Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150322

Sanieren statt Abreißen

Schöneberger Mieter wollen preiswerten Wohnraum retten

Heute Nachmittag wird mit einer Kundgebung vor dem Rathaus Schöneberg gegen die Verdrängung von Bewohnern mit geringen Einkommen aus dem Stadtteil demonstriert. Organisiert werden die Proteste von Mietern des Hauses Barbarossastraße 59. Denn heute soll in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) über den Bebauungsplan und damit die Zukunft des Gebäudes diskutiert werden, das 1964 im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus errichtet wurde und jetzt Lofts für Gutverdienende weichen soll.

Ein Großteil der ursprünglich 106 Mietwohnungen des Gebäudekomplexes steht bereits leer. Viele Wohnungstüren stehen offen. Dahinter sind teilweise gut erhaltene Wohnungen zu sehen, die aber für die Hochtief Projektentwicklung GmbH nicht profitabel genug sind. »Eine solch preiswerte Wohnung finde ich in Berlin nicht mehr«, erklärt Hannah Wiesniewska. Sie gehört zu den Mietern, die sich mit politischen und juristischen Mitteln gegen den Abriss wehren. So hatte sie mit weiteren Betroffenen zahlreiche Einwände gegen den von Hochtief vorgelegten Bebauungsplan eingereicht. Die Mieter kooperieren mit anderen Initiativen in der Stadt. Auch die Nachbarn wurden über die Abrisspläne unterrichtet.

Auf juristischer Ebene haben die Mieter sogar einen Heimvorteil. Mit Fred Skroblin gehört ein auf Mietrecht spezialisierter Rechtsanwalt zu den renitenten Bewohnern. Für ihn ist die Auseinandersetzung auf juristischer Ebene noch längst nicht verloren. Erst vor wenigen Wochen hat das Gericht einem Mieter Prozesskostenhilfe zuerkannt. Die Voraussetzung dafür ist, dass ein positiver Ausgang des Verfahrens zumindest möglich ist. Für Skroblin muss das Gericht letztlich eine politische Frage klären. »Steht der Wunsch eines Eigentümers nach hohen Gewinnen über den Mieterinteressen? Darum geht es bei der Frage Sanierung oder Abriss der Barbarossastraße 59.« Er rechnet mit einem langen Verfahren durch alle Instanzen.

Eine juristische Entscheidung für die Mieter wäre eine Ohrfeige für die Bezirkspolitik. Denn von der fühlen sich die Hausbewohner allein gelassen. »Wir haben immer wieder versucht, die BVV-Politiker davon zu überzeugen, dass eine Sanierung des Hauses sowohl aus sozialen als auch aus ökologischen Gründen die bessere Lösung ist«, erklärt Wiesniewska. »Doch wir wurden aufgefordert, bloß keine Polemik in die Auseinandersetzung zu bringen.«

Der Schöneberger Baustadtrat Bernd Krömer (CDU) verteidigt den Abriss als Aufwertung des Stadtteils. Im Bebauungsplan ist davon die Rede, dass die »schrittweise und grundstücksbezogene Rekonstruktion oder Anlehnung an historische Baufluchten die Qualität des Viertels aufwerten und weiterentwickeln« soll. Besonders enttäuscht ist Wiesniewska von SPD und Grünen, die sich ihrer Meinung nach kaum für die Mieter einsetzen.

Hinter dem abrissgefährdeten Haus befindet sich ein kleiner Park mit fast 40 Jahre alten Bäumen. Die Mieterin fürchtet, dass diese grüne Lunge gefährdet ist. Auch Umweltschutzverbände haben sich schon für den Erhalt der Bäume eingesetzt.

Unterstützt werden die Mieter von der Linkspartei Tempelhof-Schöneberg. Mitte Juli hatte sie ein Solidaritätsfest im Hof des Hauses organisiert. Auch zahlreiche Nachbarn hatten sich eingefunden, um sich zu informieren oder ihre Unterstützung anzubieten. Denn die Angst vor Prenzlauer Berger Verhältnissen mit steigenden Mieten wächst auch in Schöneberg.

Die Kundgebung unter dem Motto »Zeigt den Baulobbyisten die Rote Karte« beginnt um 16 Uhr vor dem Schöneberger Rathaus.

sanieren-statt-abreissen.html

Peter Nowak

Gleiche Bedingungen für Alle

Finnische Stahlarbeiter solidarisch mit polnischen Leiharbeitern
In Finnland solidarisieren sich seit Anfang August Beschäftigte mit polnischen Leiharbeitern – auch um ihre eigenen Arbeitsbedingungen zu verteidigen.

Die Beroa GmbH ist ein deutsches Unternehmen mit Tochterfirmen in vielen Ländern. Deren polnischem Zweig wird von finnischen Gewerkschaftern vorgeworfen, in dem skandinavischen Land eingesetzte polnische Leiharbeiter zu tarifwidrigen Arbeitsbedingungen zu beschäftigen. Beroa hatte sie an den finnischen Ruuki-Konzern ausgeliehen, um in einem Stahlwerk im nordfinnischen Rahe Hochöfen warten und reparieren zu lassen.

Einer der Leiharbeiter hatte sich an den finnischen Gewerkschaftsbund gewandt, um sich zu informieren, ob seine Arbeitsbedingungen mit dem finnischen Tarifrecht vereinbar seien. Die zuständige gewerkschaftliche Verwaltungsstelle befragte daraufhin gemeinsam mit der Polizei die Leiharbeiter zu ihren Arbeitsbedingungen. Was sie erfuhren, sorgte für großen Wirbel. Denn die polnischen Beschäftigten berichteten von einem Stundenlohn von drei bis vier Euro sowie von Arbeitszeiten von zehn Stunden an sieben Tagen in der Woche. Einige Mitarbeiter gaben an, dass sie bereits vier Wochen unter diesen Bedingungen arbeiten. Zudem beschwerten sich mehrere Leiharbeiter, ihr Lohn werde nicht pünktlich gezahlt. So berichten Beschäftigte, dass sie seit Mitte Juni noch keinen Lohn erhalten haben.

Die Empörung unter den Gewerkschaftern war groß. Schließlich sind diese Bedingungen ein klarer Bruch mit dem erst im Juli dieses Jahres vereinbarten Tarifvertrag zwischen der Bauarbeitergewerkschaft und Beroa. Dort wurde ein Stundenlohn von 15,54 Euro und Urlaubstage vereinbart, die den ausländischen Leiharbeitern ausgezahlt werden sollten.

Die Belegschaft des Stahlunternehmens Ruuki reagierte mit mehreren Solidaritätsstreiks. Sie fordern gleiche Löhne und Arbeitsbedingungen. »Wir kämpfen für gleiche Arbeitsbedingungen für alle Beschäftigten, egal, ob es sich um finnische oder polnische Kollegen handelt«, sagte ein Streikender gegenüber einer finnischen Zeitung. Die Gewerkschafter wiesen darauf hin, dass ihre Forderungen im Interesse aller Beschäftigten liegen. Denn Lohndumping bei den Leiharbeitern sei oft nur ein Pilotprojekt, um die Arbeitsbedingungen aller Kollegen zu verschlechtern.

Das Management des Ruuki-Konzern hat wegen des Streiks jetzt Klage gegen die Gewerkschaft erhoben. Das Unternehmen befürchtet Verzögerungen beim Bau der Hochöfen. Aber die Kampfmaßnahmen zeigten bereits Wirkung.

Ein Vertreter der Beroa GmbH sagte dem finnischen Gewerkschaftsvorsitzenden Timo Mällinen zu, das Unternehmen werde sich zukünftig an die finnischen Gesetze und die vertraglich vereinbarten Bestimmungen halten. Der Umgang mit den Leiharbeitern, der in Finnland für Empörung sorge, sei in mitteleuropäischen Ländern üblich, rechtfertigte sich der Beroa-Vertreter. Die Reaktion der Beschäftigten indes ist nicht so üblich. Ein Solidaritätsstreik wie in Finnland ist hierzulande nicht bekannt.

www.neues-deutschland.de/artikel/204497.gleiche-bedingungen-fuer-alle.html

Peter Nowak

Protest gegen neue Tagebaue und CO2-Speicher

BEWEGUNG Zum Abschluss des Klimacamps fordern die Teilnehmer eine Zukunft ohne Kohle

BERLIN taz „Kohle ist Rückschritt“, skandierten rund 250 DemonstrantInnen, die am Samstag in Cottbus den Ausstieg Deutschlands aus der Kohleenergie forderten. Auf der Abschlusskundgebung rief Hardy Feldmann von den Ostbrandenburgischen Initiativen gegen die unterirdische Speicherung von Kohlenstoffdioxid dazu auf, diese „unverantwortliche, das Grundwasser gefährdende Technologie“ komplett zu stoppen. Beim sogenannten CCS-Verfahren wird das bei der Verstromung von Kohle anfallende CO2 abgeschieden und in unterirdische Lager gepresst. Dies ist umstritten, weil Experten bezweifeln, dass das Gas tatsächlich im Boden verbleibt.

Gegen weitere Kohletagebaue sprach sich Pfarrer Mathias Berndt aus. Seine Pfarrgemeinde Atterwasch bei Guben soll nach den Plänen von Vattenfall der Kohle weichen. Berndt gehört zu den lokalen Motoren des Widerstands. Dorota Schewior vom polnischen Widerstand gegen Braunkohle plädierte für eine länderübergreifende Kooperation gegen die Kohleenergie.

Vattenfall im Visier

Die Demonstration bildete den Abschluss eines einwöchigen Klimacamps in Jänschwalde bei Cottbus, das die TeilnehmerInnen unmittelbar am dortigen Kohlekraftwerk des schwedischen Energiekonzerns Vattenfall aufgeschlagen hatten. In den Arbeitsgruppen ging es vor allem um die Risiken der CCS- und allgemein der Kohletechnologie für das Klima und die Auswirkungen auf Umwelt und Menschen.

Alternative Energien

Sebastian Zoepp von dem alternativen Reiseveranstalter Spreescouts zeigte den CampbesucherInnen auf einer Ökotour, dass die Region auch ohne Vattenfall eine Zukunft hat: Der Besuch einer Biogasanlage, die in dem Örtchen Gastrose mit dem Kot einer Geflügelzucht betrieben wird, stand ebenso auf dem Plan wie der einer Solaranlage in der Heidelandschaft des ehemaligen sowjetischen Truppenübungsplatzes Lieberose.

Aus Protest gegen die Kohlepolitik der brandenburgischen Landesregierung besetzten die AktivistInnen für einige Stunden Parteibüros von SPD und Linken in Cottbus und Potsdam.

Zum Abschluss des Camps verabredeten lokale Initiativen die weitere Agenda für den Kampf gegen die Kohletagebaue und die CCS-Verstromung. Camp-Mitorganisator Daniel Häfner von Robin Wood Cottbus sieht in dieser Vernetzungsarbeit einen wichtigen Erfolg des Camps.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=wu&dig=2011%2F08%2F15%2Fa0076&cHash=44c275ce70

Peter Nowak

Rechtes Grüppchen droht mit „Volkszorn“

MAUER II Am einstigen Grenzübergang Bornholmer Straße trifft sich die NPD. Hunderte protestieren
Am Mittag des 13. August fließt stundenlang kein Verkehr über die Bösebrücke am S-Bahnhof Bornholmer Straße. Der Grund: eine Kundgebung der NPD unter dem Motto „50 Jahre Mauerbau – Wir gedenken der Mauertoten“. Obwohl bundesweit geworben wurde, ist die Beteiligung mager: Gerade einmal 60 Rechte haben sich eingefunden. Die Redner, darunter Holger Apfel von der NPD Sachsen, versuchen die peinliche Situation mit markigen Phrasen zu übertünchen. Den etablierten Parteien wird der „Volkszorn“ wie 1989 in der DDR angedroht. Viel mehr als Pflichtapplaus gibt es nicht.

Auf beiden Seiten der Brücke haben sich AntifaschistInnen postiert. Durch Pfeifen und Sprechchöre bringen sie ihren Unmut über das rechte Treiben zum Ausdruck. Waren anfangs noch 600 NazigegnerInnen auf der Straße, verkleinert sich die Zahl der AktivistInnen bald. „Da die Rechten mit der Bahn angekarrt wurden und wir die Anreise nicht verhindern konnten, gibt es nichts mehr zu tun“, sagt eine Frau, die mit einer kleinen Gruppe den Ort verlässt. Hannah Schuster hingegen bleibt standhaft. Die Aktivistin der Gruppe „Für eine linke Strömung“ (fels) hat sich direkt am Absperrgitter postiert, auf dem Transparent, das sie hält, steht „Nazistrukturen zerschlagen“. Sie findet es wichtig, Präsenz zu zeigen. Unzufrieden ist sie über die starke Präsenz von Parteien auf der Gegenkundgebung: SPD, Linke und Grüne sind mit Stand, Fahnen und Luftballons vertreten, die grüne Spitzenkandidatin Renate Künast beteiligt sich ebenso am Protest wie Linken-Landeschef Klaus Lederer. Andere teilen ihre Kritik: „Das ist eine Aktion antifaschistischer Bürger, da sollten sich Parteien zurückhalten“, meint ein junger Mann.

Zufrieden sind die AntifaschistInnnen nicht mit der Resonanz auf ihren Aufruf. „Ich hätte mehr Menschen erwartet, wenn die NPD an einem historisch bedeutsamen Datum an einem historischen Ort aufmarschiert,“ meint eine Frau. Ihre Befürchtung: Durch die ständigen rechten Aktivitäten im Wahlkampf könnte ein Gewöhnungseffekt eintreten.

http://www.taz.de/Mauergedenken-II/!76261/

Peter Nowak

Wie weiter mit den Castoren?

Kein Transport ist auch keine Lösung

Der im November dieses Jahres angekündigte Castortransport aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague nach Gorleben dürfte entgegen offiziellen Ankündigungen wohl doch nicht die letzte atomare Fracht nach Niedersachsen sein. Vor einigen Tagen erklärte der Sprecher der Gesellschaft für Nuklearservice (GNS) Jürgen Auer, dass ab 2014 mehrere Castortransporte mit hochradioaktivem Müll aus Großbritannien nach Gorleben geplant sind.

Düpiert muss sich der niedersächsische Ministerpräsident David McAllister (CDU) fühlen. Hatte der doch vollmundig erklärt, der Transport in diesem November werde in absehbarer Zeit der letzte ins Wendland sein. Das Kalkül des konservativen Politikers, der in der Union bis vor wenigen Monaten zu den Hardlinern in Sachen AKW galt, ist klar. Er wollte den Atomkraftgegnern den Wind aus den Segeln nehmen. Denn warum viel Energie für den Protest aufwenden, wenn es doch der letzte Transport ist? Mit Zustimmung zu der Atommülltour kann heute kein Politiker Wählerstimmen gewinnen. Zumal die Castorgegner immer wieder an McAllisters Vorgängers und Parteifreund Ernst Albrecht erinnern können, der unter Missachtung demokratischer Regeln dafür sorgte, dass Gorleben als Atomklo ausgewählt wurde.

Auf die mangelnde Eignung von Gorleben hat inzwischen nicht nur die Anti-AKW-Bewegung hingewiesen. Doch die grundsätzliche Ablehnung jeglicher Atommülltransporte nach und durch Deutschland sollten die Initiativen überdenken. Ohne sie würde deutscher Atommüll dem Ausland aufgebürdet. Viele AKW-Gegner haben immer betont, dass ein AKW-Ausstieg der erste Schritt zur Vermeidung von weiterem Müll ist. Auch wenn die AKW-Gegner selbst keine Verantwortung für die Entstehung des strahlenden Mülls tragen, sollten sie sich nicht mit einer generellen Ablehnung jedes Transports aus der Verantwortung für eine für eine möglichst sichere Lösung des Müllproblems entlassen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/204430.wie-weiter-mit-den-castoren.html

Peter Nowak

Campen gegen Kohle

Umweltschützer zelten in Brandenburg für einen Ausstieg aus der Kohlekraft. Dort ist man geteilter Meinung: Der Energiekonzern Vattenfall bietet Arbeitsplätze und Geld

Es kommt nicht oft vor, dass Büros von SPD und Linkspartei blockiert werden. Von Umweltschützern. Gestern aber waren die SPD-Räume in Cottbus und die Linken-Geschäftsstelle in Potsdam nicht zugänglich. Aktivisten des Klimacamps haben die Büros besetzt – aus Protest gegen die Kohlepolitik der rot-roten Landesregierung in Brandenburg. Diese unterstützt unter anderem die umstrittene CCS-Technik zur unterirdischen Verpressung von Kohlendioxid. Im Wahlkampf hatte sich die Linkspartei noch dagegen ausgesprochen.
Die Besetzungen blieben freidlich, Anzeigen wegen Hausfriedensbruch sind ausgeblieben. Erfolgreich war die Überzeugungsarbeit aber nicht. Aktivist Tadzio Müller sagt, bei der SPD sei man auf eine „Betonfraktion“ gestoßen, sie wolle weiter an der Kohlepolitik festhalten.

Klimakiller Nummer Eins

Wie die aussieht, kann man im brandenburgischen Jänschwalde beobachten. Dicker weißer Rauch steigt dort auf aus den Schornsteinen des Kohlekraftwerks. Die rund 150 Camper, die sich seit dem Wochenende auf einer Wiese in dem Ort niedergelassen haben, haben die rauchenden Schornsteine ständig im Blick. Wenn es nach ihnen ginge, würden die Schornsteine bald nicht mehr rauchen. Die Umweltschützer sind aus ganz Deutschland und den osteuropäischen Nachbarstaaten in das Revier gekommen, um der Kohleförderung den Kampf anzusagen. 



„Braunkohle ist Klimakiller Nummer Eins. Das Festhalten daran blockiert eine Energiewende, die sozialverträglich und demokratisch zu gestalten ist“, sagt die Berliner Umweltaktivistin Stefanie Groll, eine der Organisatorinnen des Klimacamps. Wenn sie aus dem Zelt steigt, kann sie durch den Rauch des Kohlekraftwerks auch einige Windräder sehen. Denn schon längst haben die Manager von Vattenfall erkannt, dass sich auch mit erneuerbarer Energie Geld verdienen lässt. Doch das Braunkohlewerk ist eindeutig rentabler. Schließlich wird die Braunkohle auf vielfältige Weise staatlich subventioniert – wie auch lange Zeit der Bau von Atomkraftwerken.

„Schwedische Gefahr“



In der Region gilt Vattenfall als wichtiger Investor und wird daher von der Politik gehätschelt. Doch in dem kleinen Ort Atterwasch bei Guben ist man auf den schwedischen Konzern nicht gut zu sprechen. Pfarrer Mathias Berndt redet von einer „zweiten schwedischen Gefahr für das Dorf“. Im Dreißigjährigen Krieg eroberten schwedische Truppen das Dorf, dabei wurde es zerstört. Jetzt könnte ein schwedischer Staatskonzern für das Ende von Atterwasch sorgen.

Seit einigen Monaten haben es die Bewohner schwarz auf weiß, das Örtchen soll dem Kohleabbau weichen. Dabei hatten sie noch vor Jahren gedacht, was im rund 20 Kilometer entfernten Horno passiert ist, habe mit ihren Dorf nichts zutun. Die Verantwortlichen von Vattenfall haben sich ausgerechnet, dass in Atterwasch nicht viel Widerstand zu erwarten sei. Auch Berndt meint: „Atterwasch ist ein Altersheim. Die jungen Leute gehen dorthin, wo es Arbeit gibt.“

Ostereier in der Kohlegrube

Aber in den zur Großgemeinde Schenkendöbern zusammengeschlossenen Nachbardörfern, die ebenfalls der Kohle weichen sollen, regt sich Protest. Der Pfarrer ist einer der Köpfe der regionalen Bewegung gegen die Abbaggerung. Zahlreiche Transparente am Pfarrhaus und der Kirche zeugen von diesem Engagement. „Wollt ihr Eure Ostereier künftig in eine Kohlegrube legen?“, heißt es auf einem. 

Stolz berichtet Berndt, wie es ihm und seinen Mitstreitern gelungen ist, im Gemeindekirchenrat von Schenkendöbern eine Resolution zu verabschieden, in der ein Wechsel des Stromanbieters gefordert wird. Im Kirchenrat Jänschwalde wurde ein gleichlautender Antrag abgelehnt, dort wollte man Vattenfall nicht brüskieren.

Vattenfall als Sponsor

Dabei geht es nicht nur um die Arbeitsplätze. Im Zeiten der knappen Kassen wurde die finanzielle Förderung der sozialen Infrastruktur in vielen Kommunen deutlich reduziert. Mittlerweile ist Vattenfall ein wichtiger Sponsor in der Region, Vereine und soziale Einrichtungen sind auf ihn angewiesen. Dass schafft Abhängigkeiten und Zwänge. Deshalb werden die Umweltcamper in der Region auch nicht nur mit offenen Armen empfangen.

Selbst Vattenfall-Kritiker Berndt bleibt auf Distanz. Schon Wochen vor Beginn des Camps wurde im Internet über Blockaden der Zufahrten zum Kohlekraftwerk diskutiert. Aus Sicht von Berndt sind solche Aktionen nicht vermittelbar. Als ihm bei einer Debatte in seiner kleinen Dorfkirche entgegengehalten wird, dass solche Aktionen des zivilen Ungehorsams seit Jahren ins Arsenal des christlichen Widerstands gehören, scheint er doch nachdenklich zu werden.

Es geht auch anders

Die meisten Bewohner des strukturschwachen Gebietes haben aber ganz andere Fragen. Was wird aus der Region ohne Vattenfall? Sebastian Zoepp vom alternativen Reiseveranstalter „Spreescouts“ will Besuchern auf seinen Touren zeigen, dass die Region auch ohne den schwedischen Kohlekonzern eine Zukunft hat. Eine Tour mit den Teilnehmern des Klimacamps führt zur Biogasanlage, die der Bürgermeister des Örtchen Gastrose aufgebaut hat. Genutzt wird der Kot seiner Tiere, vor allem der Schweine und Hühner.

Auf dem Gelände des ehemaligen sowjetischen Truppenübungsplatzes Lieberose wurde vor zwei Jahren ein Solarpark in Betrieb genommen. Auf einer Fläche von über 200 Fußballfeldern sind 700.000 Dünnschichtmodule aufgebaut. Sie wurden zum größten Teil von der Firma First Solar aus Frankfurt/Oder produziert. In den Verträgen ist geregelt, dass die Betreiberfirma Juwi für die umweltfreundliche Entsorgung sämtlicher ausrangierter Module sorgt. Rund um die Anlage nisten in der kargen Heidelandschaft wieder seltene Vögel, die vom Militär vertrieben worden waren.

Für die Umweltschützer hat sich der Besuch gelohnt. Jetzt können sie auf Alternativen verweisen, wenn sie gefragt werden, was aus der Region ohne die Kohle und ohne Vattenfall werden soll. Am Samstag dürften sie häufiger mit dieser Frage konfrontiert werden. Dann endet das Klimacamp mit einer Demonstration unter dem Motto „Unsere Energie ist nicht eure Kohle“. Start ist um 13 Uhr am Cottbuser Hauptbahnhof.
Infos zum Camp gibt es unter
http://www.lausitzcamp.info

http://www.freitag.de/politik/1132-campen-gegen-kohle

Peter Nowak

Höhere Mauern auf dem Balkan

Flüchtlingsrechte in Bulgarien in Gefahr
Auch in diesen Sommer werden Antirassisten aus ganz Europa an einer europäischen Außengrenze gegen den Umgang mit Flüchtlingen protestieren. Vom 25. bis 29. August bauen sie ihre Zelte im bulgarisch-griechisch-türkischen Dreiländereck in der Nähe des bulgarischen Swilengrad auf.
Besuche verschiedener Flüchtlingseinrichtungen sowie Proteste gegen die Abschottungspolitik stehen auf den gut gefüllten viertägigen Aktionsplan, der im Internet unter unter http://no-racism.net/thema/128/ zu finden ist. . Dabei wird die Forderung nach offenen Grenzen auf dem Balkan und der Stop der Kriminalisierung von Flüchtlingen einen zentralen Stellenwert haben.
Die Antirassisten haben Bulgarien bewusst als Standort ihrer Aktivitäten ausgesucht. Schließlich soll das Land im nächsten Jahr dem Schengener Abkommen beitreten. „Mit dem damit verbundenen Wegfall der Grenzkontrollen zwischen Bulgarien und den übrigen EU-Ländern ist eine Abschottung der bulgarischen Außengrenze verbunden“, äußert eine Aktivistin des europäischen No-Border-Netzwerkes ihre Befürchtungen zur künftigen bulgarischen Flüchtlingspolitik. Im Zuge der Anpassung der bulgarischen Gesetze und Richtlinien an die EU-Vorschriften werden zurzeit bereits Programme umgesetzt, die den Ausbau der Grenzüberwachung und die Errichtung von Lagern vorsehen, in denen die Flüchtlinge untergebracht werden sollen.
Das europäische Noborder-Netzwerk hat den vergangenen Jahren bereits Camps an den neuen EU-Außengrenzen organisiert, die für die Flüchtlinge zu Barrieren geworden sind.
Doch Bulgariens Eintritt in den Schengenraum ist auch mit einer Verschärfung der Situation der Flüchtlinge im Inneren verbunden. Bisher können sie einen Asylantrag unbegrenzt stellen. Nach dem fünften Mal erhalten sie in der Regel einen Abschiebeschutz. Eine Arbeitserlaubnis wurde automatisch erteilt, wenn der Asylantrag länger als ein Jahr läuft. Allerdings waren die Lebensbedingungen der Flüchtlinge in Bulgarien auch bisher keineswegs ideal. So monierten Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen die Zustände in den speziellen Aufenthaltszentren, in denen Asylbewerber nach einem Grenzübertritt oft mehrere Jahre wohnen. „Die Gebäude sind überfüllt und überaltert, die hygienischen Bedingungen furchtbar“, beschreibt die Mitarbeiterin einer Flüchtlingsorganisation die Situation. Allerdings können die Bewohner jederzeit Besuch empfangen und die Einrichtungen verlassen. Wenn sie sich allerdings längere Zeit außerhalb dieses Zentrums aufhalten, verlieren sie ihren Anspruch auf Sozialhilfe, die bisher 65 Leva (ca. 32 Euro) beträgt.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/204245.hoehere-mauern-auf-dem-balkan.html?sstr=Peter|Nowak

Peter Nowak

Führt der AKW-Ausstieg in die Krise?

Das Management des Energiekonzerns E.ON hat gestern einen massiven Stellenabbau angekündigt

Der Konzernvorstand von E.ON erklärte, dass 11000 der 79000 Arbeitsplätze abgebaut werden sollen. Der Grund ist ein wirtschaftlicher Einbruch, der sich auch in Zahlen ausdrücken lässt.

„Im Zeitraum April bis Juni mussten wir mit einem bereinigten Konzernüberschuss von minus 382 Millionen Euro erstmals in der Unternehmensgeschichte von E.on einen Quartalsverlust ausweisen“, erläuterte der Chef des E.ON-Konzerns Johannes Teyssen im Halbjahresbericht. Er sprach von einem „dramatisch verschlechterten Ergebnis“. Künftiges Wachstum verspricht sich der Manager an den außereuropäischen Märkten wie Brasilien, Indien und die Türkei.

Die Dienstleistungsgewerkschaft verdi hat bereits Widerstand gegen die Konzernpläne angekündigt. In einer Pressemitteilung beklagt die Gewerkschaft, dass die Krise überproportional auf den Rücken der Beschäftigten“ ausgetragen werde. Besonders die Informationspolitik des Konzerns steht in der Kritik von verdi-Bayern. Die schlechten Wirtschaftsnachrichten seien schon über Medien wie Süddeutsche Zeitung und Spiegel verbreitet worden, ohne dass mit den Beschäftigten und den Betriebsräten auch nur gesprochen wurde, bemängeln die Gewerkschafter.

Allerdings bleiben die verdi-Erklärungen in der Logik vieler ähnlicher Statements, in denen mit harten Worten für eine Standortpolitik getrommelt wird. So wirft verdi-Bayern den Politikern vor, sich zu wenig für den Industriestandort Bayern einzusetzen. Zudem wird „die politisch verordnete Stilllegung aller bayerischen Kernkraftorte bis 2022“ beklagt. Management und Gewerkschaft sind sich also in der Diagnose einig, dass ein zentraler Grund für die aktuelle Krise der beschlossene Atomausstieg ist. Eigentlich wird dieser Schritt mittlerweile von den Gewerkschaftsspitzen geteilt und politisch vertreten. Allerdings gibt es vor allem bei verdi noch immer einen großen Streit um diese Frage. Viele Beschäftigte der Kernkraftbranche und ihre gewerkschaftlichen Vertreter sehnen sich aber nach den Zeiten zurück, als sie mit Gewerkschaftsfahnen für mehr Atomstrom auf die Straße gegangen sind.

Dass neben E.ON auch die Energiekonzerne RWE und Vattenfall Gewinneinbrüche zu verzeichnen haben, wird in wirtschaftsfreundlichen Medien als ökonomische Folge des AKW-Ausstiegs bezeichnet.

In einem Kommentar benennt das Handelsblatt allerdings auch die Verantwortung der Konzerne für ihre aktuelle Situatio:.

„Erneuerbare Energien? Ein Geschäft für Spinner. Dezentrale Versorgung? Eine Idee für Träumer. So tickten sie lange Zeit, die Manager in den Konzernzentralen. Sich von den komfortablen Rahmenbedingungen zu verabschieden fiel ihnen schwer. Auf jede Veränderung reagierten sie unwirsch, meist mit einem Protestbrief an den jeweiligen Amtsinhaber im Kanzleramt.“

Damit wird die jahrelange Kritik von Umweltgruppen bestätigt, die Konzernen wie EON schon lange vorwerfen, sich zu lange auf die hochsubventionierte Atomkraftnutzung verlassen zu haben, weil sie hohe Profite sicherte. Manche Konzernvertreter und Betriebsratsfürsten trauern dieser sie für sie guten alten Zeit jetzt nach.

http://www.heise.de/tp/blogs/2/150293

Peter Nowak

Stadtteilblog sucht nach Personal und Perspektive

Neuköllner Internetauftritt feiert 500. Ausgabe. Die Zukunft ist aber alles andere als gesichert

Egal, ob es sich um Streetart oder einen politischen Protest handelte, das Neuköllner Internetmagazin „Das gemeine Wesen“ (das-gemeine-wesen.blog.de) war in der Berichterstattung oft schneller als die Printmedien. Vor einigen Wochen feierte es ein rundes Jubiläum: „Seit November 2009 haben wir versucht, Euch jeden Tag mit Neuigkeiten über Neukölln – manchmal auch von jenseits des Tellerrandes – zu versorgen“, kommentierten die StadtteilbloggerInnen ihre 500. Ausgabe.

Doch zurzeit wird die Internetzeitung nur sporadisch aktualisiert. Dafür hat die Perspektivdebatte begonnen. „Der Blog beruht auf reiner Selbstausbeutung. Alle Beteiligten arbeiten unentgeltlich und bringen im Zweifelsfall sogar noch Geld mit“, beschreibt Peter Brunnett die Misere.

Der Neuköllner hat den Blog vor gut anderthalb Jahren mit sechs MitstreiterInnen gegründet. „Mir ging es um ein Stadtmagazin, das strittige politische und kulturelle Themen im Kiez aufgreift und nicht um die Schaffung eines Werbeumfeldes“, beschreibt seine anfänglichen Vorstellungen. „Das Gemeine Wesen“ hat in den letzten Monaten auch die BezirkspolitikerInnen nicht geschont. So sorgte eine im März 2011 auf dem Blog veröffentlichte Exklusivrecherche über den Konflikt zwischen der Task Force Okerstraße im Schillerkiez und deren damaligem sozialarbeiterischen Arm Integra e. V. für Wirbel und Debatten in der BVV. Dort zitierten PolitikerInnen aus dem Blog-Bericht.

Dadurch wurde „Das gemeine Wesen“ auch von politischen AktivistInnen aus Neukölln zunehmend geschätzt. In den Randnotizen, einer sporadisch erscheinenden linken Stadtteilzeitung, wurde der Blog als Lesetipp empfohlen. Weil dort über die drohende Schließung von Jugendeinrichtungen ebenso berichtet werde wie über die neuesten Entwicklungen in Sachen Bürgerarbeit und die Umstrukturierung des Bezirks, habe das Internetmagazin einen hohen Gebrauchswert für sie, meinte die Aktivistin einer Neuköllner Erwerbslosengruppe, die in der Vergangenheit auch mal einen Beitrag auf dem Blog veröffentlichte. Für eine ständige Mitarbeit fehle ihr aber die Zeit.

Das Problem ist Redaktionsleiter Peter Brunnett schon seit langem bekannt. Mit einer Handvoll fester Freiwilliger könne das Magazin weiter ausgebaut werden, betont er. Bisher bleibe die gesamte Redaktionsarbeit an sehr wenigen Mitarbeitern hängen. Für das Werben von Spenden und AnzeigenkundInnen bleibe dann aber keine Zeit mehr.

Brunnett will mit dem Blog die „virtuelle Kleingärtnerei der Projekte“ überwinden. Das ist allerdings nicht so einfach: Auch in der virtuellen Welt baue fast jedes Projekt eine eigene Internetpräsenz auf. Dabei wäre eine Kooperation nicht nur zeitsparend, sondern würde auch die Sichtbarkeit und damit die Wahrnehmung in der Öffentlichkeit erhöhen. Fünf der sieben BloggründerInnen haben die Mitarbeit mittlerweile aus unterschiedlichen Gründen eingestellt oder mindestens reduziert; einige aus Zeitmangel wegen beruflicher Verpflichtungen, eine Mitbegründerin bemängelte gar die journalistische Professionalität des Blogs.

Jetzt versucht Brunnett einen neuen Anlauf, um die dünne Personaldecke zu erweitern, vor Ort im Richardkiez. Am 15. August will er ab 19 Uhr auf einer öffentlichen Redaktionssitzung im Eltern-Kind-Café Purzelbaum in der Schudomastraße 50 über die Perspektive des Stadtteilblogs beratschlagen.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F08%2F10%2Fa0132&cHash=f630804848

Peter Nowak

Aufstände, Umbrüche, Kontroversen

Wie legitim ist die kapitalistische Gesellschaft überhaupt noch?« Diese Frage stellt die Redaktion des »Telegraph« in ihrer aktuellen Ausgabe. Die ostdeutsche Zeitschrift wurde nach dem Umbruch in der DDR zum Sprachrohr der linken DDR-Opposition, die die Herrschaft der Partei nicht durch die Herrschaft des Kapitals ersetzen wollte. Wer die Doppelnummer liest, wird dieses Anliegen in vielen Artikeln wiederfinden. Die Aufstände in der arabischen Welt spielen eine zentrale Rolle. Der Berliner Journalist Helmut Höge bezeichnet sie in seinem Beitrag sehr optimistisch als »Anfang einer globalen Revolution« und setzt sich kritisch-solidarisch mit dem Text des unsichtbaren Komitees auseinander, das mit seinem »Kommenden Aufstand« die Diskussion um eine Revolution voranbringen wollte. Im Interview spricht der Verleger der deutschsprachigen Ausgabe des Textes, Lutz Schulenburg vom Nautilus-Verlag, von einem »einmaligen Verkaufserfolg«, will ihn aber nicht als Ausdruck einer »aufrührerischen, gesellschaftlichen Stimmung« verstanden wissen.

Mit einem Kapitel und dem Nachdruck der Rede des Filmemachers Michael Moore geht das Heft darüber hinaus auf die Massendemonstrationen gegen gewerkschaftsfeindlichen Gesetze im Frühsommer im US-Bundesstaat Wisconsin ein. Zudem widmet sich der ehemalige Aktivist der linken DDR-Oppositionsgruppe Vereinigte Linke, Thomas Klein, der Kommunismusdebatte, die nach einer Rede der Linksparteivorsitzenden Gesine Lötzsch kurzzeitig für Aufregung sorgte. Er interpretiert die kritische Resonanz mit dem Versuch des »Establishments«, emanzipatorische Strömungen rechtzeitig zu stoppen, »bevor man den Polizeistaat gegen sie einsetzen muss«. Über die heutige Bedeutung des Linkssozialismus streiten Stefan Janson (»überschätzter Mythos«) und Christoph Jünke (»wichtige politische Impulse«).

telegraph 122/123: 120 Seiten, 6 Euro, www.telegraph.ostbuero.de

http://www.neues-deutschland.de/artikel/204110.bewegungsmelder.html
Peter Nowak

Von der Anti-AKW- zur Anti-Kohle-Bewegung

Klimacamps und der Widerstand gegen die Kohleförderung
  
Was macht die Umweltbewegung in Deutschland, nachdem der AKW-Ausstieg nun beschlossene Sache ist? Diese Frage ist berechtigt. Hatte sich doch in den letzten Monaten gezeigt, wie schnell der neue Aktivismus der Anti-AKW-Bewegung an Grenzen gestoßen ist.

Mit einer Brockdorf-Blockade wollte ein Teil der Anti-AKW-Bewegung Anfang Juni deutlich machen, dass sie auch nach dem Ausstiegsbeschluss handlungsfähig bleibt. Doch der Beweis ist nicht gelungen. Es gab Streit in der Vorbereitungsgruppe. Schließlich blieb es bei einer symbolischen Blockade. Das ernüchterte manche Aktivisten, die die Massenaktionen nach dem japanischen Atomunfall als Wille großer Teile der Bevölkerung interpretierten, den Ausstieg in die eigenen Hände zu nehmen.

Der Kampf gegen die Kohleförderung

Weil es weiter Castortransporte ins Wendland geben wird, dürfte die AKW-Bewegung zumindest an dieser Front weiter aktiv bleiben. Allerdings muss sich zeigen, ob die Unterstützung für die Proteste nach den Ausstiegsbeschlüssen weiter so groß sein wird wie bisher. Nun versuchen Klimaaktivisten auch andere Themenfelder zu bearbeiten. So rückt der Kampf gegen die Kohleförderung zunehmend in den Mittelpunkt. Schon in den letzten Jahren wuchs die Zahl der Bürgerinitiativen, die sich durchaus auch erfolgreich gegen den Bau von Kohlekraftwerken wandten.

Schon vor 4 Jahren warnte die konservative Welt vor dem Erfolg einer Anti-Kohle-Bewegung. Nach dem AKW-Ausstieg könnte die Verbindung zwischen regionalen Initiativen, die sich gegen die Kohleförderung wenden und langjährigen Anti-AKW-Aktivisten Realität werden.

Klimacamps

Gleich in zwei Klimacamps wird sie in den nächsten Wochen praktisch erprobt. In Jänschwalde bei Cottbus startet heute ein [http//:www.lausitzcamp.info Klima- und Energiecamp]. Eine Woche lang wollen sich die Umweltaktivisten vernetzen, Erfahrungen austauschen und gemeinsam Aktionen vorbereiten. Das Camp endet am kommenden Samstag mit einer Demonstration gegen die Kohleförderung in Cottbus.

Ende August soll dann ein internationales [http//:www.klimacamp2011.de Klimacamp] im rheinischen Braunkohlerevier am Tagebau Hambach bei Köln dabei helfen, „vielfältigen Widerstand gegen den Energiekonzern RWE und den mit Abstand größten Braunkohlekomplex Europas“ zu organisieren, wie es im Aufruf heißt.

Neue Initiativen im Oderbruch

Gemeinsam mit örtlichen Bürgerinitiativen wenden sich die Aktivisten in beiden Camps gegen den Aufschluss neuer Tagebaue, den Bau weiterer Kohlekraftwerke sowie die unterirdische Speicherung von Kohlenstoffdioxid, Carbon Capture and Storage (CCS). Dagegen ist in den letzten Jahren in vielen Regionen Brandenburgs vor allem im dünn besiedelten Oderbruch östlich von Berlin eine rege Protestkultur gewachsen, was sogar viele Umweltaktivisten aus Berlin überrascht hat.

Ob der Widerstand gegen die Kohle ähnlich wie die Ablehnung der AKW gesellschaftlich hegemonial werden kann, ist noch völlig offen. Die Diskussion der Kohlegegner mit den Gewerkschaften, die Arbeitsverluste fürchten, steht bei dieser Frage noch völlig am Anfang. Aber das war bei der AKW-Frage vor 20 Jahren nicht anders.

http://www.heise.de/tp/blogs/2/150272

Peter Nowak

Das Schweigen der Diplomatie

In Argentinien wurden zwei ehemalige Offiziere der Militärdiktatur wegen Mordes verurteilt. Zu ihren Opfern gehörte auch eine deutsche Studentin. Deren Angehörige fordern nun eine Aufarbeitung der Politik der damaligen deutschen Regierung.

 

DruckenMehr als drei Jahrzehnte hat es gedauert, bis in Argentinien die Verantwortlichen für den Tod von Elisabeth Käsemann verurteilt wurden. Das Bundesgericht in Buenos Aires verurteilte Mitte Juli Héctor Humberto Gamen und Ricardo Néstor Martínez wegen Mordes und Freiheitsberaubung zu hohen Freiheitsstrafen. Die deutsche Staatsbürgerin Käsemann studierte in Argentinien Volkswirtschaft und engagierte sich in linken Gruppen gegen die Militärdiktatur. Am 9. März 1977 wurde sie verhaftet, am 24. Mai wurde ihre Leiche gefunden. Die von Käsemanns Familie gemeinsam mit der Lateinamerika-Solidaritätsbewegung initiierte Öffentlichkeitsarbeit, die sofort nach der Verhaftung der Studentin begann, blieb erfolglos. Freunde und Angehörige der Ermordeten sehen die Schuld bei der damaligen Bundesregierung, die nicht die nötigen politischen Schritte eingeleitet habe.

»Mit der persönlichen Freude über die argentinischen Prozesse und diesen Akt global ausgeübter Rechtsstaatlichkeit verbindet sich meine Hoffnung, dass das Auswärtige Amt in einer Reaktion auf die argentinische Aufarbeitung nun mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung seiner Diplomatie in den siebziger und achtziger Jahren beginnt«, kommentiert die Historikerin Dorothee Weitbrecht, eine Nichte der Ermordeten, das Urteil aus Buenos Aires.

Unter den knapp 100 Menschen mit deutschem Hintergrund, die in die Fänge des argentinischen Militärs gerieten, waren viele Nachkommen jüdischer Emigranten, die sich vor den Nazis nach Argentinien geflüchtet hatten. »Kein Einziger wurde gerettet«, resümiert der Argentinien-Korrespondent der Jüdischen Allgemeinen. »Zwar wurde niemand deswegen festgenommen, weil er Jude war, aber jüdische Gefangene wurden wegen ihres Jüdischseins besonders grausam gefoltert«, beschreibt er den antisemitischen Aspekt der Verfolgungen. Die Pressesprecherin des Laika-Verlages, Carola Ebeling, erinnert daran, dass Deutschland im Verfahren gegen die für den Tod von Elisabeth Käsemann Verantwortlichen in Buenos Aires als Nebenkläger auftrat, aber über die eigene Verantwortung weiterhin schweigt. Der Hamburger Verlag hat in Band 8 der Reihe »Bibliothek des Widerstands« am Beispiel von Elisabeth Käsemann und Klaus Zieschank zahlreiche Belege dafür zusammengetragen.

Im Zentrum der Kritik stehen der damalige Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) und dessen Staatssekretär Karl Moersch. Dieser ließ sich wenige Wochen nach dem Militärputsch in einer großen argentinischen Tageszeitung mit den Worten zitieren, die Militärs setzten »wohlüberlegte Regierungsmaßnahmen« im Bereich der Wirtschaftspolitik und bei der »Terrorismusbekämpfung« um. Deshalb wollte er die argentinische Junta bei der Bekämpfung der linken politischen Opposition auch nicht stören. Wie weit die deutsch-argentinische Kooperation ging, zeigt sich am Beispiel von Klaus Zieschank. Der Münchner Maschinenbaustudent war 1975 nach Argen­tinien gereist, um seine dort lebende Mutter zu besuchen und ein vierwöchiges Praktikum zu absolvieren. Der junge Mann, der in der Münchener Lateinamerika-Solidarität aktiv war, wurde zwei Tage nach dem Militärputsch verhaftet.

Obwohl die deutsche Botschaft sofort darüber informiert wurde, erhielten die Angehörigen keine Unterstützung. Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes streuten Behauptungen des argentinischen Geheimdienstes, Zieschank sei Mitglied einer kommunistischen Untergrundbewegung. Als seine Mutter mit Unterstützung von Solidaritätsgruppen auf einer Rundreise durch die Bundesrepublik über die Verhaftung informierte, wurde ihr von den deutschen Behörden beschieden, sie könne ihrem Sohn am besten helfen, wenn sie nach Argentinien zurückkehre und sich ruhig verhalte. Zu dieser Zeit wussten die deutschen Behörden längst, dass Klaus Zieschank in akuter Lebensgefahr war. Eine französische Gefangene konnte in einen Folterzentrum mit dem Münchner Studenten sprechen und informierte nach ihrer Freilassung die Öffentlichkeit. Da seine Augen nicht verbunden waren, war sie überzeugt, dass er damals schon zum Tode verurteilt war. Seine Leiche wurde im Mai 1976 im Delta des Rio de la Plata gefunden.

http://jungle-world.com/artikel/2011/31/43713.html

Peter Nowak