Jubiläum der Irren

PATIENTEN Auch nach 30 Jahren hat die Irren-Offensive ihre Ziele nicht erreicht

Am Samstag lädt die Berliner Irren-Offensive zu ihrer Jubiläumsfeier in das Rauchhaus ein. Neben verschiedenen Liveacts und Theateraufführungen soll auch die Geschichte der Organisation präsentiert werden.

Die Irren-Offensive wurde vor 30 Jahren von Psychiatrieerfahrenen gegründet, die sich gegen gesellschaftliche Stigmatisierung und Zwangsbehandlung wehrten. 30 Jahre nach ihrer Gründung ist der Kampf gegen Zwang und Stigmatisierung für die AktivistInnen der Irren-Offensive weiterhin aktuell. Ihr politisches Selbstverständnis habe sich allerdings in den letzten Jahrzehnten verändert, erklärt Aktivistin Alice Halmi. „Am Anfang war die Irrenoffensive eine Selbsthilfegruppe von Psychiatrieerfahrenen. Jetzt versteht sie sich als Menschenrechtsorganisation.“ Dahinter stehe die Überzeugung, dass Zwang in Heimen und Psychiatrien nicht nur das Selbstbestimmungsrecht der Betroffen, sondern die Menschenrechte verletzten.

Einen wichtigen Hebel zur Abwehr von Zwangsbehandlungen sehen die AktivistInnen in PatientInnenverfügungen. Damit kann jeder Mensch psychiatrische Zwangsmaßnahmen im Voraus ablehnen.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2010%2F10%2F16%2Fa0209&cHash=b19d098020

PETER NOWAK

 Beginn: 19.30 Uhr im Rauchhaus am Mariannenplatz

Behindertenhelfer brauchen Hilfe

Mitarbeiter von Assistenzdiensten fordern mehr Lohn und Beteiligung an Tarifverhandlungen

Auf einem Poster hält Heike M. eine Flasche mit Urin in die Kamera. Darunter findet sich der Text: »Behindertenassistenz? Das könnte ich nicht. Und wenn ich dann noch gefragt werde, was ich verdiene, wechsle ich ganz schnell das Thema«.

Das Poster ist Teil einer Serie, mit der die etwa 1000 Berliner Behindertenassistenten derzeit in Berlin auf ihre Tätigkeit und ihre Forderungen aufmerksam machen.

»Es besteht immer die Vorstellung, wir würden den ganzen Tag nur Rollstühle schieben«, ärgert sich Carsten Does. Der Behindertenassistent ist Betriebsrat bei der Assistenzfirma Berliner Ambulante Dienste e.V. (AD). Er müsse oft den kompletten Haushalt führen und gemeinsam mit dem Behinderten dessen Leben planen, erzählt Does.

Die Assistenz wurde in den 80er Jahren als Alternative zur Pflege oder der Heimbetreuung auf Druck der damals starken Behindertenbewegung eingeführt. Dabei kann der Behinderte selber entscheiden, ob und welche Assistenz er in Anspruch nehmen will. In den ersten Jahren handelte es sich um einen typischen Studentenjob. Das hat sich aber mittlerweile geändert. Für immer mehr Beschäftigte ist es ein Vollzeitjob, doch oft können sie davon kaum leben. Der Lohn hat sich seit 2001 nicht erhöht. Neu Eingestellte müssen seit Jahren Lohnkürzungen hinnehmen.

Das knappe Budget lasse keine höheren Löhne zu, argumentieren die Assistenzdienste. Dazu gehören in Berlin neben AD die Assistenzdienste »Lebenswege für Menschen mit Behinderungen« und »PHÖNIX Soziale Dienste«. Ihr Budget ist Teil einer Vergütungsvereinbarung, die demnächst zwischen den Assistenzdiensten, den Pflegekassen und dem Senat für mehrere Jahre neu verhandelt wird. Dazu gab es gestern erste Vorgespräche.

»Obwohl es dabei auch um unsere Löhne geht, haben wir bei diesen Verhandlungen keine Stimme«, beschwert sich Does. Auch der Berliner ver.di-Sekretär Stefan Thyroke fordert, dass die Beschäftigten bei den Verhandlungen vertreten sind. Er hofft, dass sich im Zuge der Kampagne für mehr Lohn der bisher noch sehr geringe gewerkschaftliche Organisierungsgrad in der Branchen erhöht.

Der Berliner Staatssekretär für Soziales, Rainer-Maria Fritsch, wollte sich zu den Forderungen der Assistenten gegenüber ND nicht äußern, weil er den Verhandlungen nicht vorgreifen wolle. Die Sozialexpertinnen von Linkspartei und SPD im Abgeordnetenhaus, Minka Dott und Birgit Monteiro, unterstützen die Forderungen der Beschäftigten.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/182014.behindertenhelfer-brauchen-hilfe.html

Peter Nowak

Bestrafung für eine Stunde Streik

Noch zu Beginn des neuen Schuljahrs sollten Birgit Mills und Claus-Timm Carstens befördert werden: Mills zur Leiterin der Flensburger Hohlwegschule und Carstens zum Leiter der Elmshorner Gemeinschaftsschule Langelohe. Doch der Bildungsminister von Schleswig-Holstein Ekkehard Klug (FDP) machte die Pläne zunichte. Die beiden Lehrer wurden von Klug jetzt dafür bestraft, dass sie sich am 3. Juni 2010 für eine Stunde an einem landesweiten Streik beteiligt hatten. Zu der Arbeitsniederlegung hatte die Gewerkschaft GEW aufgerufen, um gegen längere Arbeitszeiten und Kürzungen im Bildungsbereich zu protestieren. Weil Beamte nach den Grundsätzen des Berufsbeamtentums nicht streiken dürfen, hatte das Bildungsministerium von Schleswig-Holstein den Lehrern in einem Schreiben vom 26. Mai mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen bis hin zur außerordentlichen Kündigung gedroht, wenn sie sich an der Aktion beteiligen. Trotzdem beteiligten sich auch ca. 2000 verbeamtete Lehrer an den Protesten. Unmittelbar nach der Aktion wurden ihre Gehälter gekürzt. Anderen Pädagogen droht ein ähnlicher Karriereknick wie Carstens und Mills.

Für den GEW-Vorsitzenden von Schleswig-Holstein, Matthias Heidn, kollidieren die Sanktionen mit der europäischen Rechtssprechung, die das Streikrecht erst jüngst gestärkt hat. Tatsächlich sollte die GEW die Repressalien zum Anlass nehmen, das vordemokratische deutsche Beamtenrecht infrage zu stellen. Schließlich wird am Beispiel von Schleswig-Holstein deutlich, dass es als Abschreckung gegen demokratische Aktivitäten eingesetzt wird und nicht nur engagierte Pädagogen disziplinieren soll. Auch den Schülern wird hier beigebracht, dass mit Nachteilen rechnen muss, wer seine eigenen Interessen vertritt. Das müssen sie oft selber erfahren, wenn sie sich während der Unterrichtszeit an Bildungsstreiks beteiligen. Erziehung zu mündigen Bürgern sieht anders aus.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/181865.bestrafung-fuer-eine-stunde-streik.html

Peter Nowak

Helfer brauchen auch bald Hilfe

SCHLECHTE BEZAHLUNG BehindertenassistentInnen wollen bei Verhandlungen um Löhne mitmischen

Die Verhandlungen um die Bezahlung der rund 1.000 Berliner BehindertenassistentInnen zwischen dem Betriebsratsvorsitzenden der Ambulanten Dienste e.V. (AD) und dem zuständigen Staatssekretär für Soziales Rainer Maria-Fritsch geht am heutigen Freitag in die nächste Runde. „Seit 2001 wurden unsere Löhne nicht mehr erhöht. Bei Neueinstellungen werden sogar massive Lohnsenkungen vorgenommen“, beschreibt AD-Betriebsrat Carsten Does die Situation. Die Bezahlung ist so schlecht, dass sich viele AssistentInnen mit mehreren Jobs im Pflegebereich über Wasser halten müssen. Andere bekommen als Aufstockung Arbeitslosengeld II.

Das Budget der Assistenzdienste ist Teil einer Vergütungsvereinbarung, die zu Jahresende ausläuft. Die neue Vereinbarung wird zwischen den VertreterInnen der Pflegekassen, der Assistenzdienste und der Senatsverwaltung für Soziales ausgehandelt. Doch die AssistentInnen sind dort nicht vertreten. Sie befürchten, dass ihre Interessen wieder unter den Tisch fallen, so Does.

Diese Einschätzung teilen viele seiner KollegInnen und haben in ihrer Kampagne für eine bessere Bezahlung ungewöhnliche Methoden entwickelt. Dazu gehörte die Ausstellung „Jenseits des Helfersyndroms“ in der Kreuzberger Galerie Zeitzone. Dort wurde auch eine Plakatserie präsentiert, die an verschiedenen Berliner Häuserwänden zu sehen ist. Auf einem Poster hält die Assistentin Heike M. eine Flasche mit Urin in die Kamera. „Behindertenassistenz? Das könnte ich nicht. Und wenn ich dann noch gefragt werde, was ich verdiene, wechsle ich ganz schnell das Thema“, lautet der Begleittext.

Ver.di-Sekretär Stefan Thyroke unterstützt die Forderungen der AssistentInnen. Da sich aber der Organisationsgrad in der Branche in der Promillegrenze bewege, sei die Interessenvertretung schwierig, erklärt Thyroke.

Staatssekretär Fritsch wollte sich gegenüber der taz nicht dazu äußern. Auch in einer Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Birgit Monteiro (SPD) und Minka Dott (Die Linke) blieb er unverbindlich. Auf die Frage, ob der Senat eine Notwendigkeit sieht, die Leistungsentgelte zu erhöhen, antwortete er: „Die Vereinbarungen müssen den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, Sparsamkeit und Leistungsfähigkeit entsprechen.“

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2010%2F10%2F15%2Fa0115&cHash=d1b7687b1c
Peter Nowak

Zu Diskriminierungen kann es überall kommen, wo es Mehrheiten und Minderheiten gibt

Die Pädagogin Sanem Kleff von „Schule ohne Rassismus“ über Deutschenfeindlichkeit und Gewalt an den Schulen

Der Kulturkampf um die Schulen in Deutschland geht weiter. Mittlerweile hat sich der FDP-Generalsekretär Martin Lindner mit der Forderung zu Wort gemeldet, dass Schüler mit Migrationshintergrund auf dem Schulhof deutsch sprechen müssen. Diese Forderung ist Teil eines Integrationsprogramms mit dem die FDP die Zuwanderung mit den Interessen der deutschen Wirtschaft in Einklang bringen will. Gleichzeitig haben sich in Zeiten der Krise nach einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung in Zeiten der Krise rechte und rassistische Einstellung in der Deutschen Mehrheitsgesellschaft verfestigt (Die Verfinsterung der deutschen Mitte).
   

Für das Projekt Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage sind solche Befunde alarmierend. Es wurde in einer Zeit gegründet, als Menschen mit nichtdeutschem Hintergrund nicht nur verbal bedroht worden sind. „Schule ohne Rassismus“ setzt auf die Selbstorganisierung von Schülern. Es bietet Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, das Klima an ihrer Schule aktiv mitzugestalten, in dem sie sich bewusst gegen jede Form von Diskriminierung, Mobbing und Gewalt wenden.

Diese Auseinandersetzung ist die Voraussetzung, eine Bildungseinrichtung zur „Schule gegen Rassismus“ zu erklären. Mittlerweile tragen mehr als 800 Schulen mit knapp 500.000 Kindern und Jugendlichen den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“. Die Pädagogin Sanem Kleff leitet das Projekt und hat zahlreiche Bücher zum Thema interkulturelles Lernen herausgegeben.

 Wird die Schule wirklich immer mehr zur Kampfzone, wie manche Boulevardmedien suggerieren?

Sanem Kleff: Nein, es trifft nicht zu, dass die Gewalt in den Schulen immer mehr um sich greift. Die Gewalt ist in den Schulen im letzten Jahrzehnt zurück gegangen, wie durch Polizeiberichte belegt werden kann. Zugenommen haben dagegen Mobbing und andere Diskriminierungen. So sind an manchen Schulen „Jude“ oder „du Opfer“ zu häufige Schimpfworten geworden.

 War die von zwei Berliner Pädagogen losgetretene Debatte über eine Deutschenfeindlichkeit also berechtigt?

Sanem Kleff: Nein, diese Debatte trifft das Problem überhaupt nicht. Tatsächlich machen sich nicht nur Jugendliche, sondern Migranten unterschiedlichen Alters auch über die Eigenheiten der in Deutschland Geborenen lustig. Das sollten die Deutschen mit Humor auch ertragen können. Problematisch wird ein solches Verhalten doch nur, wenn es mit Diskriminierungen und Mobbing verbunden ist. Überall, wo es Mehrheiten und Minderheiten gibt, können solche Diskriminierungserfahrungen beobachtet werden. Dabei ist die Zusammensetzung dieser Gruppen beliebig. Wenn beispielsweise in einer Schule sehr viele Dänen und die Deutschen in der Minderheit sind, kann es ebenso zu Mobbing kommen.

 Was stört Sie an der aktuellen Debatte?

Sanem Kleff: Was mir nicht gefällt, ist, dass sich ausgerechnet jetzt, wo das ganze Land scheinbar auf dem Sarrazin-Trip ist, Lehrer in dieser Weise zu Wort melden. Sie schreiben über Altbekanntes mit dem Gestus, dass man das doch sagen können müsse. Sie verwenden den Begriff der Deutschenfeindlichkeit, der lange Zeit von der neuen Rechten gebraucht wird. Und sie verknüpfen das von ihnen kritisierte Verhalten mit dem angeblichen moslemischen Hintergrund der Schüler. Damit finden sie sich im Einklang mit einer veröffentlichten Meinung, wie sie von Sarrazin bis zu Alice Schwarzer und Hendrik Broder vertreten wird.

 Welche Konsequenzen ziehen Sie aus Diskriminierungen an den Schulen?

Sanem Kleff: Es sollten alle Formen von Diskriminierung ernst genommen und die Elemente in den Schulen gestärkt werden, die sich dagegen zur Wehr setzen, Das Projekt Schule gegen Rassismus hat es deshalb immer abgelehnt, einzelne Diskriminierungsphänomene wie Antisemitismus, Homophobie, Rassismus isoliert wahrzunehmen. Es gibt sehr viele pädagogische Instrumente, um hier einzugreifen. Ich nenne hier nur stichwortartig den Einsatz von Streitschlichtern und Konfliktlotsen, aber auch den Aufbau von Räumen und Zeiten, in denen die Auseinandersetzung mit den Schülern und ihren Problemen möglich ist. Um solche Forderungen müsste sich die Bildungspolitik wieder auf die Prämisse besinnen. Je mehr Probleme die Schüler und ihre Familien haben, umso besser muss die Schule ihre ausgestattet sein.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33491/1.html

Peter Nowak

Die Deutschen als Opfer

Die aktuelle Debatte um die Deutschfeindlichkeit macht deutlich, wie schwer es fällt, die Realitäten einer Einwanderungsgesellschaft zu akzeptieren
Der Begriff Rassismus war lange Zeit links konnotiert. Als in den frühen 90er Jahren Menschen nichtdeutscher Herkunft Opfer von Gewalt von Deutschen wurden, sprachen konservative Politiker jeglicher Couleur in der Regel von Ausländer- oder Fremdenfeindlichkeit, um das R-Wort zu vermeiden. Das scheint sich nun geändert zu haben.
   „Deutschenfeindlichkeit ist Rassismus“, erklärte die junge CDU-Familienministerin Schröder und outete sich gleich als Opfer von antideutschem Rassismus.

Schröder hatte das Thema schon früher aufgegriffen. Als junge Unionspolitikerin brachte sie im hessischen Landtagswahlkampf 2008 das Thema Deutschenfeindlichkeit in die Diskussion ein. Politiker von Grünen und SPD kritisierten Köhler damals und argwöhnten, die junge Politikerin wolle sich im Windschatten des damaligen rechtskonservativen hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch am rechten Unionsrand profilieren. Als Köhler dann ministrabel wurde, fragten nur noch linke Medien polemisch, ob eine neue Rechte mit am Kabinettstisch
Tatsächlich wurde der Begriff der Deutschfeindlichkeit in den 90er Jahren im Umfeld der Wochenzeitung Junge Freiheit, die jetzt auch dankbar Schröders Äußerungen aufnimmt, und noch rechteren Publikationen in Stellung gebracht, wenn ein in Deutschland Geborener von Menschen mit Migrationshintergrund angegriffen und verletzt wurde. Es war damals die Antwort von Rechts auf eine gesellschaftliche Diskussion um Rassismus in Deutschland.

Respekt gegenüber den Deutschen

Doch die aktuelle Debatte hat ihre Stichwortgeber nicht mehr am rechten Rand, was dort mit Genugtuung zur Kenntnis genommen wird. Schröder befindet sich heute mit der Debatte in guter Gesellschaft.

So will der Vorsitzende der christsozialen Kultusministerkonferenz, Ludwig Spaenle, die Migrantenverbände in die Pflicht nehmen. Sie müssten stärker den nötigen Respekt ihrer Mitglieder gegenüber den Deutschen einfordern. Auch das Vorstandsmitglied der Grünen Cem Özdemir stellt nicht die naheliegende Frage, ob nicht viele Mitglieder dieser Verbände selbst Deutsche sind. Er fordert viel mehr selber konkrete Maßnahmen gegen die Deutschenfeindlichkeit.

Die aktuelle Debatte wurde durch eine Studie der Berliner Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft angefacht. Dort wurde allerdings jenseits von Schlagworten der gesellschaftliche Hintergrund ausgeleuchtet, der in den Medien gerne vergessen wird. So wird der Prozess einer Segregation im Bildungssystem beschrieben, weil Eltern mit höheren Einkommen ihre Kinder möglichst schnell an Schulen mit guten Rankings anmelden. Die Folgen werden in der Studie so benannt:
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 An den weniger begehrten restlichen Schulen der Sek I verblieben immer mehr Schüler aus armen, bildungsfernen Familien, vor allem von Familien mit Migrationshintergrund. Deutschstämmige und aufstiegsorientierte Migrantenfamilien flüchteten aus bestimmten Schulbezirken wie Nord-Neukölln oder Teilen von Mitte und Kreuzberg. Das gleiche Phänomen zeigte sich etwa auch in anderen Städten. Immer mehr Kinder und Jugendliche leben in sozialen Brennpunkten und verlieren den Anschluss an Bildung und Beruf.

Das ist der soziale Hintergrund, in dem sich die gesellschaftlich ausgeschlossenen Kinder und Jugendliche, für die Hartz IV die einzige Perspektive ist, zu Gangs mit eigenen Codes und Regeln zusammenschließen. Wer dabei in der Minderheit ist, bekommt Probleme. Die Ein- und Ausschlusskriterien können am Musikgeschmack, an den Klamotten, dem Slang und in manchen Berliner Stadtteilen auch an der biodeutschen oder migrantischen Herkunft festgemacht werden. In den USA ist es schon seit Langem bekannt, dass in bestimmten Stadtteilen Jugendliche mit weißer Haut in der Minderheit sind und sich dort auf verschiedene Weise Respekt verschaffen müssen.

Der Rapper Eminem gilt als erfolgreiches Paradebeispiel dafür. Nur würde in den USA anders als jetzt in Deutschland kaum jemand von Antiamerikanismus sprechen, weil eben völlig klar ist, dass alle Akteure der jugendlichen Ein- und Ausgrenzungsrituale US-Amerikaner sind. Die aktuelle Debatte in Deutschland zeigt, dass darüber selbst im politischen Etablissement kein Konsens besteht. Da ist im Zweifel ein Jugendlicher, mag er auch hier geboren sein und die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen, doch noch ein Araber, nur weil seine Vorfahren aus dem Nahen Osten kommen.

Damit wird aber deutlich, dass manche Politiker Deutschland noch immer nicht als Einwanderungsland mit all seinen Problemen ansehen. So werden die zweifellos bestehenden Konflikte in Schulen oder anderen öffentlichen Orten nicht als soziale innergesellschaftliche Probleme gesehen, sondern ethnisiert. Durch die Einführung des Begriffs der Deutschenfeindlichkeit in die Debatte wird signalisiert, dass ein Teil der Beteiligten eben nicht Teil der Gesellschaft ist. Sie haben allenfalls einen Gaststatus, den sie durch ungebührliches Benehmen verlieren können.

Mehr Stimmung als Empirie

Der Berliner Beauftragte für Migration und Integration hat zum Schlagwort der Deutschenfeindlichkeit einige bedenkenswerte Fragen formuliert.

Könnte man nicht mit mehr Berechtigung über einen Antisemitismus in Europa reden, wenn in einer europaweiten Studie 24,4 % der Befragten der Meinung sind, der Einfluss der Juden sei zu groß? In anderen Studien wurde nachgewiesen, dass ein großer Anteil der Bevölkerung Homosexualität als amoralisch abwertet. Deswegen würde kein Kabinettsmitglied vor einer Homophobie in Deutschland warnen.

Während zu Antisemitismus und Homophobie belastbares Zahlenmaterial vorliegt, ist das beim Reizthema Deutschenfeindlichkeit nicht der Fall. Ein vom Kriminologischen Forschungsinstitut Niedersachsen erstellter Bericht will Hinweise auf deutschenfeindliche Haltungen jugendlicher Migranten mit islamischen Inhalt erkannt haben. Eine im Auftrag des Bundesinnenministeriums erstellte Studie konnte dafür allerdings keine Hinweise finden.

Die aktuelle Debatte wird auch nicht von Empirie sondern von einer Stimmungspolitik geleitet, wie sie die FAZ auch dem bayerischen Ministerpräsident Seehofer bei seinen Einlassungen zur Einwanderungspolitik attestiert hat. Nur werden diese Stimmungen heute längst nicht nur von Konservativen bedient. Spätestens seit der Sarrazin-Debatte will sich niemand nachsagen lassen, linken Träumereien nachzuhängen, ein Gutmensch zu sein oder gar Tabus zu haben.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33478/1.html

Peter Nowak

Soli-Abend für Inhaftierten

INTERKULTUR Emine Sevgi Özdamar und andere lesen für in Istanbul inhaftierten deutschen Schriftsteller

Die Solidarität mit dem seit 10. August in der Türkei inhaftierten Schriftsteller Dogan Akhanli wächst. Gruppen sammeln Unterschriften für den früheren türkischen Oppositionellen, der seit 1998 Deutscher ist; Intellektuelle wie der Schriftsteller Edgar Hilsenrath setzen sich für Akhanlis Freilassung ein. Nun hat die Aktion Sühnezeichen für den heutigen Dienstag einen Solidaritätsabend organisiert.

Im ersten Teil soll über den aktuellen Stand des juristischen Verfahrens informiert und über weitere Solidaritätsaktionen beratschlagt werden. Dann werden KünstlerInnen armenischer, türkischer, griechischer und deutscher Herkunft – darunter die Schauspielerin Emine Sevgi Özdamar und Schauspieler Kostas Papanastasiou – Texte und Lieder vortragen.

Akhanli, der im deutschen Exil mit dem Schreiben begonnen hat, setzt sich in seinen Arbeiten intensiv mit der Verfolgung von ArmenierInnen in der türkischen Geschichte auseinander. Sein Anwalt Ragip Zarakoglu sieht in diesem Engagement den eigentlichen Grund für die Inhaftierung seines Mandanten, dem die Staatsanwaltschaft Beteiligung an einem Raubüberfall vorwirft. Am 8. Dezember soll der Prozess in Istanbul eröffnet werden.

 20 Uhr, Ballhaus Naunynstraße, Naunynstraße 27, Eintritt frei

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F10%2F12%2Fa0148&cHash=236de7e360

Peter Nowak

Mobil und ökologisch

Umweltverbände diskutierten mit linken Gruppen über sozial gerechtes Verkehrssystem

Für das Recht auf Mobilität«, lautete das Motto einer Diskussionsveranstaltung, zu der Vertreter mehrerer Umweltverbände in den Berliner Stadtteilladen Zielona Gora eingeladen waren.  Dabei ging es um eine innerhalb der ökologischen Bewegung durchaus kontrovers diskutierte Forderung. Denn einige Umweltverbände fordern aus ökologischen Gründen die Einschränkung der Mobilität.

Uwe Hiksch von den Naturfreunden.  Ein zentrales Ziel, der eng mit der Arbeiterbewegung verbunden Organisationwar,  war der Kampf um Mobilität für Menschen mit niedrigen Einkommen. Das von den Naturfreunden geforderte Recht auf Mobilität schloss die Möglichkeit ein, dass Arbeiter  sich bessere Jobs suchen,  aber auch  Urlaub  machen konnten.

Auch heute ist für  Hiksch die Forderung nach Mobilität weiterhin aktuell. Ein  zentrales Kampffeld der Naturfreunde ist aktuell die Verhinderung des verschobenen aber nicht beerdigten Börsengangs der Deutschen Bundesbahn. „Eine börsennotierte Bahn, die ausschließlich nach Gewinnerwägungen handelt, wird unrentable Strecken stilllegen und die Preise erhöhen und damit die Mobilität von Menschen mit geringen Einkommen einschränken“, begründete Hiksch diese Dringlichkeit dieses Engagements.

  Lokaler Klimaaktivismus

 Michelle Schneidervertrat auf der Diskussionsveranstaltung eine jungen, aber wachsenden ökologische Bewegung. Die Gruppe Gegenstrom gründete sich im Kampf gegen das Kohlekraftwerk Moorburg bei Hamburg und beteiligte sich an der Mobilisierung zum Weltklimagipfel im Dezember 2009 nach Kopenhagen. „Aus dem Scheitern des Gipfels haben wir die Konsequenz gezogen, uns verstärkt auf lokaler Ebene für Klimagerechtigkeit einzusetzen“, betonte Schneider. Dazu gehört für sie ein besonderes Augenmerk auf den globalen Süden, deren Bewohner am wenigsten  zur Klimakrise beigetragen haben und am meisten mit den Folgen konfrontiert sind. Zur  Klimagerechtigkeit gehört  für Schneider aber auch, dagegen zu kämpfen, dass in Deutschland die Menschen mit niedrigen Einkommen verstärkt für die Rettung der Umwelt zur Kasse gebeten werden. Deshalb gehört Gegenstrom zu den Unterstützern der vom Berliner Sozialforum initiierten Kampagne „Berlin fährt frei“, die eine unentgeltliche Nutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs in Berlin fordert. „Damit sollen ökologische und soziale Interessen verbunden werden“, erklärte Lisa Monthey von der die Kampagne unterstützenden Gruppe „Für eine linke Strömung“ (felS).Auch in Bremen, München und Tübingen wurden lokale Initiativen für einen kostenlosen Nahverkehr gestartet.  Die Kampagne kann sich auf gute Argumente stützen. Schon vor mehr als einem  Jahrzehnt hat der Verkehrsexperte Winfried Wolf in einer Studie durchgerechnet, dass die Stadt Berlin für  einen kostenloser Nahverkehr weniger Geld ausgeben müsste, als heute für  den Individualverkehr mit all seinen Folgekosten. „Jetzt geht es darum, die Menschen für die Forderung zu begeistern“, meinte Monthey.   Deshalb will die  Kampagne „Berlin fährt frei am kommenden Dienstag, dem globalen Aktionstag für Klimagerechtigkeit,  den kostenlosen Nahverkehr schon mal ausprobieren. Treffpunkt ist um 17 Uhr an der Weltzeituhr am Alexanderplatz.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/181567.mobil-und-oekologisch.html

Peter Nowak

Krach schlagen für 80 Euro mehr

In Oldenburg demonstrierten Erwerbslose und forderten „mindestens 80 Euro mehr für Lebensmittel“

„Krach schlagen statt Kohldampf schieben. Mindestens 80 Euro mehr für Lebensmittel“, lautete das Motto auf dem Leittransparent einer bundesweiten Erwerbslosendemonstration, die am 10. Oktober durch die Innenstadt von Oldenburg zog. Mit dieser Aktion meldeten sich Betroffene in der seit Wochen vor allem von Politikern und Fachverbänden geführten Debatte über die Höhe der Regelsätze für Hartz IV-Empfänger zu Wort.

Die Demonstration, an der etwa 3.000 Menschen teilnahmen, fand in der Oldenburger Innenstadt starke Beachtung, weil viele Teilnehmer mit Stöcken oder Löffel auf mitgeführte Töpfe oder Fässer schlugen. Damit exportierten sie eine Protestform, die in vielen lateinamerikanischen Staaten seit Langem praktiziert wird. Sie könnte Schule machen.

„Sorgen wir dafür, dass Politiker mit unserem Krach konfrontiert werden, wenn sie sich in der Öffentlichkeit zu den Hartz IV-Sätzen äußern“, meinte Guido Grüner von der Oldenburger Arbeitslosenselbsthilfe bei der Abschlusskundgebung unter großen Applaus.

Heftige Kritik übten Redner auf der Demonstration an der Regierungskoalition. „Die Regelsätze dürfen sich nicht an den sinkenden Löhnen, sondern müssen sich am gestiegenen gesellschaftlichen Reichtum orientierten“, erklärte ALSO-Aktivist Michael Bättig. An die im Demonstrationszug mitlaufenden Mitglieder von SPD und den Grünen richtete er eine Botschaft: „Wir freuen uns, dass ihr dabei sind. Wir vergessen aber nicht, welche Rolle diese Parteien bei der Einführung von Hartz IV gespielt haben.“ Deshalb dürfe es nicht bei Lippenbekenntnissen bleiben. Man werde genau beobachten, wie SPD und Grüne im Bundesrat mit den von der Bundesregierung vorgelegten Regelsätzen umgehen. Weil die Bundesregierung dort keine Mehrheit hat, könnte die Opposition das Gesetz stoppen.

Milchbauern und Gewerkschafter als Bündnispartner

Auch Gewerkschaftsmitglieder waren mit Fahnen und Emblemen gut sichtbar auf der Demonstration vertreten, was in früheren Zeiten bei Aktionen von Erwerbslosen nicht selbstverständlich war.

Zahlreiche Redner betonten, dass höhere Regelsätze nicht nur den Erwerbslosen nützen. „Mit Hartz IV sind wir gezwungen, bei Aldi und Lidl einzukaufen. Wir wollen aber nicht für den Preiskrieg der Discounter missbraucht werden“, betonte eine Vertreterin einer unabhängigen Erwerbslosengruppe aus Oldenburg. Sie unterstützte ausdrücklich den Kampf der Milchbauern um gerechte Preise für ihre Produkte. Die wiederum unterstützen mit einem eigenen Wagen die Forderungen der Erwerbslosen.

Diese in Oldenburg erreichte Bündnisbreite hat die Erwerbslosen aus der ganzen Republik motiviert. Wenn ähnliche Kooperationen künftig auch in anderen Städten erreicht wird, könnte die Oldenburger Demonstration der Auftakt für ein neues Selbstbewusstsein von Erwerbslosen sein.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/148539

Peter Nowak

Freie Lizenz zum Töten in Pakistan?

Acht Deutsche sollen in Pakistan durch Raketen einer US-Drohne getötet sein und kaum jemand interessiert sich für die Hintergründe
In Afghanistan wird schnell gestorben. Das wurde am 7. Oktober wieder einmal deutlich. „Schock am 9. Jahrestag des Kriegsbeginns in Afghanistan: Bei einem Selbstmordanschlag der Taliban ist wieder ein deutscher Soldat getötet worden“, vermelden die Presseagenturen. Kaum Informationen gibt es hingegen über 8 weitere Deutsche, die vor einigen Tagen in Afghanistan getötet worden sein sollen. 
    
US-Drohne in Afghanistan

Die Nachrichtenlage ist unklar,. Nach Angaben von pakistanischen Medien sollen 8 Islamisten bzw. Extremisten mit deutscher Staatsbürgerschaft durch einen Angriff von Raketen getötet worden sein, die mutmaßlich von einer CIA-Drohne abgefeuert wurden. Weder Namen noch nähere Umstände des tödlichen Zwischenfalls sind bekannt. Auch die Zahl wird unterschiedlich berichtet. Dabei ergäben sich doch aus den Berichten einige Fragen.

Tod ohne Urteil

Mit dem Sammelbegriff des Extremisten wird nicht erklärt, was den Männern vorgeworfen wurde und was sie planten. Reicht es tatsächlich aus, in ein islamistisches Ausbildungscamp zu reisen, um Opfer einer „Killfahndung“ zu sein? Das wäre der exakte Begriff für eine Tötung ohne Urteil. Wären die Verdächtigten verhaftet und vor Gericht gestellt worden, hätte geklärt werden können, ob und wie sich die Männer strafbar gemacht haben.

Dass scheinbar auch bei vielen Medien der Besuch in einen dieser Camps zur Verurteilung ausreicht, zeigt eine Erosion rechtsstaatlicher Grundsätze. Vor wenigen Jahren wehrte sich die damalige sozialdemokratische Justizministerin Brigitte Zypries aus rechtsstaatlichen Erwägungen lange gegen Forderungen von Unionspolitikern, einen eigenen Straftatbestand für den Besuch eines islamistischen Camps einzuführen. Heute scheint es kaum jemand zu stören, wenn ein solcher Campaufenthalt den Tod zur Folge hat. Dabei gehen Experten davon aus, dass nicht nur überzeugte Islamisten diese Camps besuchen. Ein großer Teil der Freizeit-Islamisten ist frustriert und will aus der Szene wieder aussteigen, so die Beobachtung von Experten.

Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik geht in einem Interview mit dem Deutschlandfunk auch auf die rechtlichen Grundlagen der Angriffe ein. Auf die Frage, ob die USA diese Einsätze fliegen dürfen, antwortet der Experte:

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 Das ist letzten Endes irrelevant, weil sie diese Angriffe ganz einfach fliegen werden. Es ist ihr einziges Mittel, was sie gegen die El Kaida und andere terroristische Gruppierungen in Pakistan haben.
Guido Steinberg

Nach dieser Logik heiligt der Zweck die Mittel. Dass die Frage nach der Legitimation der Angriffe doch nicht so irrelevant ist, machte Steinberg nur wenig später deutlich.

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 Wenn gegebenenfalls jetzt Eltern der dort zu Tode gekommenen Deutschen entscheiden, vielleicht rechtliche Schritte einzuleiten, kann das natürlich die Bundesregierung politisch in Bedrängnis bringen.
Guido Steinberg

Aber soll nur für die Eltern der Getöteten von Interesse sein, auf welcher Grundlage Menschen zu Tode gekommen sind, denen nur allgemein vorgeworfen wurde, zum Fußvolk des Islamismus zu gehören? Wo bleibt die Arbeit engagierter Journalisten, die doch ein Interesse haben müssten, die Hintergründe des Todes aufzuklären? Hans Leyendecker von der Süddeutschen Zeitung wird oft an erster Stelle genannt, wenn es um investigativen Journalismus geht. Deshalb muss seine Antwort auf die Frage des Deutschlandfunks, ob die Umstände der Tötung in Pakistan jemals aufgeklärt werden, erstaunen:

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 Es wird Namen geben, das glaube ich schon. Ob es Aufklärung ist, ist eine andere Frage. Es werden Namen genannt werden. Manchmal werden ja auf den Web-Seiten der Islamisten die Märtyrer präsentiert. Das ist in der Regel verlässlich, muss man sagen. Von daher kann es durchaus sein, dass wir auf diesem Weg erfahren werden, wer da umgekommen ist.
Hans Leyendecker

Natürlich ist dem erfahrenen Rechercheur aufgefallen, wie seltsam es ist, dass in einem angeblich unzugänglichen Gebiet die Pässe der acht Getöteten gesichert werden konnten. Da stellt sich doch die naheliegende Frage, ob hier nicht vertuscht werden soll, dass die Daten der acht Männer vor dem Raketenangriff bekannt waren und dann der Angriff sehr gezielt erfolgte. Dann wäre natürlich zu fragen, von wem kamen die Aussagen und unter welchen Umständen kamen sie zustande, vielleicht sogar unter Folter oder folterähnlichen Verhältnissen? Doch diese Fragen stellt sich Leyendecker nicht.

Abgesang auf den investigativen Journalismus

Dafür antwortet er auf die Frage, ob die Angriffe vom Völkerrecht gedeckt sind:

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 Wahrscheinlich nicht, aber ich glaube auch nicht, dass sich irgendjemand daran stört.
Hans Leyendecker

Er glaubt auch im Gegensatz zu Steinberg nicht, dass die Bundesregierung durch klagende Eltern der Getöteten unter Druck geraten könnte. Dafür nennt er aber keine Begründung. Ist er der Meinung, dass sie nicht die Möglichkeiten haben, solche juristischen Schritte zu gehen? Wo bleibt der Ehrgeiz des investigativen Journalisten Leyendecker, Eltern oder andere Angehörige der Getöteten ausfindig zu machen und sie selber zu Wort kommen zu lassen? Dann könnte man vielleicht auch erfahren, ob es sich hier wirklich um überzeugte Islamisten handelte oder um Fußvolk oder gar nur um Abenteurer, die gar nicht wussten, auf was sie sich einließen.

Genau solche Menschen waren schließlich auch unter den Insassen im Gefangenlager Guantanamo, wie es nicht nur der preisgekrönte Film „Road to Guantánamo“ dokumentierte (Alles ganz normal). Wenn man die Reaktionen auf die Killfahndung in Pakistan verfolgt, könnte man denken, es hätte nie eine intensive Diskussion über Guantanamo und andere mehr oder weniger geheime Lager für angebliche Extremisten gegeben.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33465/1.html

Peter Nowak

Keine Mangelernährung für Hartz-IV-rer

Fragen an Guido Grüner (ALSO, Oldenburg)

Die zentrale Herbstdemonstration gegen das Sparpaket organisiert ein Bündnis von Erwerbslosenorganisationen in Oldenburg. Peter Nowak befragte Guido Grüner von der Arbeitslosenselbsthilfe (ALSO) Oldenburg.

Nach den Anti-Hartz-Protesten gab es kaum noch Widerstand unter Erwerbslosen. Beginnt sich das zu ändern?

Hartz IV ist Unterversorgung und Ausgrenzung mit System. Das war so seit der Einführung 2005, das ist es heute umso mehr, als der Kaufkraftverlust die reale Leistungshöhe eingedampft hat. Besonders krass traf es Kinder: Die Leistungen für Kinder wurden in Hartz IV gegenüber der alten Sozialhilfe direkt gekürzt.

Hiergegen regt sich schon lange Widerstand. 2009 brachte er erste Erfolge: eine Schulbeihilfe von 100 Euro jährlich zum 1.8.2009 und ein monatlicher Zuschlag für Kinder im Alter von 6 bis 14 Jahren um rund 35 Euro seit dem 1.7.2009. Ohne die Aktionen der organisierten Erwerbslosen und ihrer Unterstützer hätte es dies nicht gegeben.

Andere Erwerbslose klagten gegen Hartz IV und gingen bis zum Bundesverfassungsgericht. Dort wurde dem Gesetzgeber die Verletzung der Menschenwürde durch Hartz IV und dessen unzureichende Leistungen vorgehalten. Demnach müssen die Leistungen bis zum 1.1.2011 «realitätsgerecht und nachvollziehbar» neu festgesetzt werden.

Damit wurde den Regierungsparteien ein Gesetzgebungsverfahren aufgezwungen, das Erwerbslosennetzwerke nutzen wollen. Wir greifen einen ganz bestimmten Bedarfsbereich des täglichen Lebens heraus, um deutlich zu machen, dass die Hartz-IV-Leistungen spürbar angehoben werden müssen.

Ist die Forderung nach 80 Euro mehr nicht sehr bescheiden?

Viele kritisieren uns deswegen. Vermutlich haben sie unsere Forderung noch nicht verstanden und sind über das politische Umfeld unserer Forderung im Unklaren. Die dominierende Politik zielt auf weiter sinkende Einkommen, und sinkende Leistungen für Erwerbslose setzen die Arbeitnehmer unter Druck. Wir wollen diese Entwicklung durch eine Forderung nach höherem Einkommen stoppen – was wir anhand der heutigen Unterversorgung im Bereich der Ernährung konkret erklären können.

Wenn wir diese Forderung durchsetzen, stellen wir mehr in Frage, denn wir gehen damit über die bloße Forderung «mehr Sozialhilfe» hinaus. Wir legen den Finger in die Wunde gesellschaftlich untragbarer Zustände wie die Mangelernährung in Hartz IV, die schikanösen Arbeitsverhältnisse bei Discountern oder die ärmlichen Erzeugerpreise für die Milchbauern… Wir ordnen unsere Forderung ein in den Streit für ein menschenwürdiges Leben, existenzsichernde Leistungen und Mindestlöhne oberhalb der Armut.

80 Euro mehr für gesunde Ernährung steht der Forderung nach einer deutlich höheren Regelleistung oder einer repressionsfreien Grundsicherung überhaupt nicht entgegen. Wir setzen einen thematischen Schwerpunkt und wollen für unsere Forderung gesellschaftliche Mehrheiten gewinnen, uns Bündnismöglichkeiten eröffnen.

Die Auswertung der EVS-Stichprobe durch das Statistische Bundesamt für die Festsetzung der Höhe des Eckregelsatzes soll bis Ende September vorliegen. Wir gehen Anfang Oktober auf die Straße, weil dann der Gesetzgebungsprozess anlaufen wird. Wir wollen, dass die Parlamentarier ihre Entscheidungen rechtfertigen müssen.

Hat sich die Zusammenarbeit zwischen den gewerkschaftlichen und den unabhängigen Erwerbslosengruppen verbessert?

Die Forderung und die Ausrichtung unserer Kampagne sind das Ergebnis regelmäßiger Treffen von fünf Erwerbslosennetzwerken und zwei Erwerbsloseninitiativen mit überregionaler Bedeutung in der ersten Jahreshälfte 2010. Dort haben wir zum einen an die Zusammenarbeit bei der Kinderkampagne oder bei der Initiative «Keiner muss allein zum Amt» angeknüpft, die spektrenübergreifend Erfolge brachten. Zu diesem Erfolg hat die Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Erwerbslosengruppen erheblich beigetragen.

Zum anderen wurde eine Brücke zur sog. «Triade» geschlagen, also der Forderung: 500 Euro Eckregelsatz, 10 Euro Mindestlohn, 30-Stunden-Woche. Denn die Forderung «80 Euro mehr für Ernährung» greift ein zentrales Moment der Triadenargumentation auf. Dabei spielte – das sei aus Sicht der ALSO betont – keine Rolle, ob die Erwerbslosen den eher gesellschaftlich etablierten Spektren wie den Gewerkschaften nahe stehen oder neueren sozialen Bewegungen zuzurechnen sind. So könnte es weiter gehen.

http://www.sozonline.de/2010/10/keine-mangelernaehrung-fuer-hartz-iv-rer/

Peter Nowak

»Krach schlagen statt Kohldampf schieben«

Erwerbslose wollen am Wochenende für höhere Hartz-IV-Regelsätze demonstrieren

Die derzeitige Diskussion um Hartz-IV-Regelsätze ruft auch Erwerbslosengruppen auf den Plan. Am kommenden Sonntag wollen sie in Oldenburg auf die Straße gehen.
»Wir werden jede Möglichkeit nutzen, um bei öffentlichen Auftritten von Mandatsträgern das Thema Hunger auf die Tagesordnung zu bringen«, erklärt der Sprecher des Erwerbslosen Forum Deutschland, Martin Behrsing. Der Auftakt wird am kommenden Sonntag eine bundesweite Demonstration der Erwerbslosennetzwerke im niedersächsischen Oldenburg. Unter dem Motto: »Krach schlagen statt Kohldampf schieben« wollen die Betroffenen auf die Straße gehen, um ihrem Unmut Luft zu machen.. Schon unmittelbar nach der Karlsruher Entscheidung zur Neufestsetzung der Hartz IV-Sätze im Februar 2010 trafen sich Initiativen aus unterschiedlichen Spektren der Erwerbslosenbewegung. Dort verständigte man sich auf die Ausrichtung einer bundesweiten Demonstration in Oldenburg am 10. Oktober.

 Die norddeutsche Stadt ist ganz gewählt worden. Seit Jahren gilt Oldenburg als Hochburg der Erwerbslosenbewegung. Verantwortlich dafür ist die Arbeitsloseninitiative Oldenburg (ALSO). Seit Jahren aktiv, beraten ihre Mitstreiter regelmäßig Erwerbslose und organisierten schon öfter erfolgreiche Demonstrationen. »Ganz konkret fordern wir 80 Euro mehr für Ernährung. Denn mit dem knapp 120 Euro, die im Regelsatz eines Erwachsenen fürs Essen enthalten sind, kann sich niemand ausreichend, geschweige denn gesund ernähren«, erklärt Guido Grüner von der ALSO gegenüber ND. Er will mit dieser Forderung die Armutsspirale durchbrechen. »Die dominierende Politik zielt auf weiter sinkende Einkommen, die BRD soll verfestigt werden als Exportstandort«, erläutert Grüner. »So lange die Leistungen für Erwerbslose – wie es nun geschehen soll – von dem immer weiter sinkenden Verbrauch der untersten Einkommensgruppen abgeleitet werden sollen, bleibt es bei dieser Abwärtsspirale. Denn sinkende Leistungen für Erwerbslose setzen wiederum die Arbeitnehmer unter Druck – ein Elend ohne Ende«, warnt der Erwerbslosenaktivist.

Schon im Vorfeld der Oldenburger Demonstration sind die Erwerbslosengruppen enger zusammengerückt. Gemeinsam erstellte man eine Zeitung, mit der man in vielen Städten die Forderungen der Erwerbslosen verbreitete. »Es spielt dabei aus Sicht der ALSO keine Rolle, ob die Erwerbslosenzusammenhänge den eher gesellschaftlich etablierten Spektren wie den Gewerkschaften nahe stehen, oder den neueren sozialen Bewegungen zuzurechnen sind«, betont Grüner. Die Zusammenarbeit mit der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Erwerbslosengruppen habe sich in der letzten Zeit sehr gut entwickelt.

Dazu passt, dass DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach der Demonstration eine große Aufmerksamkeit wünscht – und rege Unterstützung von Gewerkschaftern. »Die Bundesregierung will jetzt ausgerechnet den Ärmsten in die Tasche greifen, statt das Geld da zu suchen, wo es ist, nämlich bei den Besserverdienenden. Diejenigen, die die Krise verursacht haben und jetzt so tun, als wenn nichts gewesen wäre, werden geschont. Diese soziale Schieflage empört nicht nur die Erwerbslosen sondern auch viele Gewerkschafter«, erklärt Buntenbach.

Die Demonstration beginnt am 10. Oktober um 13 Uhr am Oldenburger Hauptbahnhof

http://www.neues-deutschland.de/artikel/181408.krach-schlagen-statt-kohldampf-schieben.html

Peter Nowak

Schikanen gegen Antirassisten

 No-Border-Camp in Brüssel beendet

Trotz Polizeiübergriffen machten Teilnehmer des No-Border-Camps in Brüssel auf die Abschottungspolitik der EU aufmerksam.

Die dunklen Fabrikhallen mit den zerbrochenen Scheiben und den kaputten Dächern, durch die der Regen tropft, konnten den Besucher an eine Filmkulisse erinnern. Doch tagsüber verwandelte sich die Fabrikbrache im Brüsseler Norden in einen lebendigen Ort. In einer Ecke wurden Plakate gebastelt, in einem notdürftig abgedunkelten Raum wurde ein Film gezeigt und an einem Stand wurden T-Shirts und Kapuzenpullis mit einem aufgebrochenen Vorhängeschloss bedruckt. Es war ein Symbol des No-Border-Camps, das vom 25. September bis zum 3. Oktober seine Zelte auf dem Taxigelände in Brüssel aufgeschlagen hatte.

 Veranstaltet wurde das Camp vom europäischen No-Border-Netzwerk. Darin haben sich Antirassisten aus verschiedenen europäischen Ländern zusammengeschlossen. Sie wenden sich seit Jahren gegen die europäische Politik der Abschottung gegen Flüchtlinge von anderen Kontinenten.

»Wir haben jahrelang Antirassismuscamps an den EU-Außengrenzen gemacht. Jetzt sind wir bewusst nach Brüssel gegangen, wo die Abschottungspolitik gegen die Flüchtlinge beschlossen wird«, meinte Vivianne gegenüber ND. Die französische Aktivistin wollte ihren Nachnamen nicht nennen und betonte auch, dass sie wohl in einer Gruppe aktiv sei, aber nicht für sie sprechen könne. Ihre Meinung teilte Vivianne mit vielen der insgesamt etwa 500 Campteilnehmer. Viele lehnen auch eine linke Stellvertreterpolitik aus Prinzip ab

Dafür wurde im Camp und mit zahlreichen Aktionen in Brüssel die Kooperation zwischen Flüchtlingen und Antirassisten geprobt. Dass es dabei Erfolge gibt, zeigte Hagen Kopp von der Hanauer Initiative »Kein Mensch ist illegal« am Beispiel des Kampfes von Flüchtlingen auf der griechischen Insel Lesbos. Gemeinsam mit Antirassisten, die dort im Sommer 2009 ein No-Border-Camp errichtet hatten, gelang es ihnen, die menschenunwürdigen Zustände in dem dortigen Aufnahmelager bekannt zu machen. Es musste schließlich durch den öffentlichen Druck geschlossen werden. Eine Ausstellung, die Kopp in der Brüsseler Fabrikhalle aufgebaut hatte, dokumentierte aber auch, dass vielen Flüchtlingen in der EU noch immer die Abschiebung droht.

Die Campteilnehmer waren sehr motiviert, die antirassistischen Inhalte unter die Brüsseler Bevölkerung zu bringen. Manche hatten sich als Clowns verkleidet, andere fantasievolle Plakate und Schilder fabriziert. Die meist jungen Leute machten sich auch Gedanken über die Außenwirkung ihrer Aktionen: »Wir wollen vermeiden, als Chaoten und Gewalttäter abgestempelt zu werden. Doch die Polizei behandelt uns genauso. Wenn wir auf die Straße gehen, werden wir festgenommen«, berichtete ein Hamburger Schüler.

Tatsächlich nahmen die Berichte über Festnahmen und Polizeischikanen im Camp großen Raum ein. Auch weil es 350 Festnahmen gab, als sich die Antirassisten am 29. September in die europäische Großdemonstration der Gewerkschaften einreihen und für offene Grenzen demonstrierten wollten.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/181367.schikanen-gegen-antirassisten.html

Peter Nowak

Gute Arbeit – auch Outdoor

Aktionswoche der Kampagne für saubere Kleidung
Eine Kletterpartie der besonderen Art konnte am Dienstagmittag auf dem Berliner Gendarmenmarkt bestaunt werden. Denn nicht ein Berg war das Kletterziel, sondern ein am Boden aufgespanntes Netz mit den Halteschildern Hungerlöhne, Zwangsüberstunden und Gewerkschaftsverbot.

Diese drei Begriffe beschreiben die Situation der Beschäftigten vieler asiatischer Textilfabriken, in denen ein großer Teil der Textilien für die auch in Deutschland boomende Outdoorbranche hergestellt werden. Gerade dort interessiert sich ein Großteil der Kunden auch für die Bedingungen, unter denen die teuren Textilen produziert werden, meint Julia Thimm. Sie ist Koordinatorin der Eilaktion der Kampagne für saubere Kleidung, die sich für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen bei den Produzenten in der Outdoorbranche einsetzt. Die IG Metall und die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sind ebenfalls Teil dieser Kampagne.

Mit einer europaweiten Aktionswoche vom 5. bis 10. Oktober soll deren Anliegen in der Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Aktionen der unterschiedlichsten Art sind vor allem in Deutschland, Tschechien und Österreich geplant. So sollen Postkarten an führende Outdoor-Markenfirmen geschickt werden. Sie werden aufgefordert, »Gipfelstürmer in Sachen Fairness« zu werden. Eine Unterschriftensammlung setzt sich für das gleiche Ziel ein. Mit öffentlichen Theatereinlagen soll bei den Passanten das Interesse geweckt werden. In Berlin hat es funktioniert. Einige Schüler aus NRW, die in Berlin auf Klassenfahrt waren, haben einige Postkarten mitgenommen und wollen sie auch im Freundeskreis verbreiten.

Zu Beginn der Aktionswoche stellte die Kampagne in Berlin ein Gutachten vor, in dem die Rechercheergebnisse zu den Arbeitsbedingungen in vietnamesischen Produktionsstätten zusammengefasst sind, die 15 führende Outdoor-Unternehmen mit Kleidung beliefern.

»Es reicht nur für einige Schüsseln Fleisch oder Gemüse«, berichtet ein Arbeiter aus einem vietnamesischen Zulieferbetrieb der Unternehmen Vaude und Columbia. Ein anderer beklagt das repressive Betriebsklima: »Sollten wir uns verspäten, dann wird der Lohn eines ganzen Tages gestrichen und wir verlieren alle zusätzlichen Boni zum Lohn.« Ein Arbeitstag von 16 Stunden ist in den Fabriken keine Seltenheit. Die Widerstandsmöglichkeiten sind begrenzt, meint Berndt Hinzmann vom INKOTA-Netzwerk, das federführend an der Kampagne für faire Arbeitsbedingungen beteiligt ist. »Das Vertrauen in die offiziellen Gewerkschaften in Vietnam ist nicht groß und unabhängige Gewerkschaften werden häufig verfolgt«.

Allerdings hat Hinzmann auch Positives zu vermelden. Die Zahl der Outdoorfirmen, die sich zumindest offiziell für bessere Arbeitsbedingungen bei der Herstellung ihrer Waren einsetzen, wächst. Die Kampagne will allerdings auch darauf achten, dass es nicht beim Greenwashing bleibt und die Ziele auch ernst genommen werden.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/181380.gute-arbeit-auch-outdoor.html

Peter Nowak

Vor die Tür gesetzt

FRIEDRICHSHAIN Teilräumung eines Hausprojekts in der Scharnweberstraße. Die Kündigungen gehen weiter

Die Kündigungen gehen weiter
„Wir bleiben alle“, schallte es am frühen Donnerstagmorgen durch die Scharnweberstraße in Friedrichshain. An die 40 Personen hatten sich vor dem Eingang der Nummer 29 versammelt. Sie versuchten dem Gerichtsvollzieher den Weg zu versperren. Ein großes Polizeiaufgebot räumte die Blockade und im Anschluss die erste Etage des Hausprojekts. Vier BewohnerInnen und ein Kleinkind mussten die Wohnung verlassen, danach wurden die Schlösser ausgetauscht.

Der Gerichtsvollzieher räumte im Auftrag der dem Kaufmann Gijora Padovicz gehörenden Immobilienfirma Siganadia Grundbesitz GmbH & Co KG. Der hatte gegen sämtliche MieterInnen des linken Hausprojekts Kündigungen ausgesprochen (taz berichtete). Gerichte wiesen die meisten davon zurück, lediglich die Kündigungen in der ersten Etage wurde bestätigt. Weil eine Revision ausgeschlossen wurde, klagen die BewohnerInnen vor dem Bundesgerichtshof. Aufschiebende Wirkung hat dieser Schritt aber nicht.

Auch die Räumung wird ein juristisches Nachspiel haben. „Es wurde ein Untermieter geräumt, der einen gültigen Vertrag vorweisen konnte und gegen den kein Räumungstitel vorlag“, kritisierte Hausbewohner Tim Zülch gegenüber der taz. „Dabei verbietet ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts in diesem Fall eine Räumung.“

Vermittlung durch Bezirk

Mittlerweile hat Padovicz die Räume im Erdgeschoss des Hauses gekündigt, in denen auch der Schenkladen Systemfehler untergebracht ist. Eine gerichtliche Entscheidung steht noch aus.

Die BewohnerInnen wollen nun, dass sich die Bezirkspolitik in den Fall einschaltet. „Schließlich hat das Land Berlin im Rahmen des Programms Soziale Stadterneuerung einen Teil der Sanierungskosten für das Haus übernommen“, so Bewohner Kai Schmitz. Gegenüber der taz erklärte der Bürgermeister von Kreuzberg-Friedrichshain, Franz Schulz, seine Bereitschaft zu einer Vermittlung.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F10%2F08%2Fa0229&cHash=46ea5af536

Peter Nowak