Die Heuchelei in der deutschen Türkeipolitik

Solange der türkische Geheimdienst türkische und kurdische Linke bespitzelte, gab es keine Empörung

Heute scheint es, wenn es um das deutsch-türkische Verhältnis geht, in Deutschland keine politischen Differenzen mehr zu geben. Erdogans Spitzel endlich ausweisen[1] fordert Sevim Dagdelen von den Linken. Über Twitter beschwört sie die ganz große Koalition gegen Erdogan. Sahra Wagenknecht (Linke) und Norbert Lammert CDU) überbieten sich in Verbalinjurien[2] gegen den autoritären türkischen Präsidenten und warnen vor den Folgen eines erfolgreichen Referendums.

Das ist natürlich folgenlose Rhetorik, die unter Umständen noch dem Erdogan-Lager nutzt, wenn es darauf verweisen kann, dass ihn eine ganz große Koalition in Deutschland weghaben will. Dabei hätte eine Linke, die ihren Namen verdient und nicht immer die deutsche Souveränität mal gegen die USA und seit Monaten besonders vehement gegen die Erdogan-Türkei verteidigen will, genügend Gründe, die staatliche Heuchelei in der deutschen Türkeipolitik in den Mittelpunkt zu rücken.

Da würden erst kürzlich gegen kurdische Verbände die Daumenschrauben angezogen. Sie machen sich jetzt schon strafbar, wenn sie Konterfeis von Öcalan[3] und Symbole von syrischen Kurdenorganisationen[4] tragen, die eine wichtige Rolle beim Kampf gegen die Islamisten spielen.

Doch das ist keine Erpressung von Erdogan und Co., sondern Folge einer deutsch-türkischen Justizkooperation. Auch Deutschland will verhindern, dass kurdische und türkische Linke in Deutschland zu selbstbewusst werden. Da störte es auch nie, dass auch der türkische Geheimdienst in Deutschland Organisationen der türkischen und kurdischen Linken bespitzelte.


Die Spitzelberichte wurden sogar in den Prozess eingeführt

Im Münchner 129b-Verfahren gegen 10 türkische Linke[5] übermittelte die „Polizeigeneraldirektion Istanbul“ den deutschen Behörden ganz offiziell die Erkenntnisse, die türkische Spitzel in linken migrantischen Organisationen in Deutschland gesammelt haben. Das ist alltägliche Praxis in der deutsch-türkische Kooperation auf dem Gebiet der Justiz. Ohne die wären auch viele Prozesse gegen vermeintliche PKK-Mitglieder in Deutschland nicht möglich.

Als vor einigen Wochen bekannt wurde, dass in Moscheen vermeintliche Gülen-Anhängern von türkischen Agenten bespitzelt[6] wurden, gab es einen kleinen Skandal[7]. In München kommen die Spitzelergebnisse auch im Prozess zur Sprache.

Nun gibt es neue Aufregung, weil der türkische Geheimdienst den deutschen Kollegen eine Liste mit den Taten mutmaßlicher Gülten-Anhänger ausgehändigt hatte. Der Grund der Empörung ist aber nicht recht klar. Denn hier wurde nur eine jahrzehntelange Praxis fortgesetzt, die schon lange vor der Ära Erdogan begonnen hat. In den 1990er Jahren als in der Türkei vor allem in Kurdistan zahlreiche Oppositionelle ermordet wurden oder verschwunden sind, war die Zusammenarbeit besonders intensiv.

Lissy Schmidt oder wie eine Aufklärerin der deutsch-türkischen Kumpanei sterben musste

Ins Visier gerieten auch in Deutschland Menschen, die sich damals mit den verfolgten türkischen und kurdischen Oppositionellen solidarisieren. Die deutsche Journalistin Lissy Schmidt, die am 3. April 1994 im irakischen Teil Kurdistans ermordet wurde[8], bekam längst nicht die große Solidarität wie der verhaftete Journalist Deniz Yücel.

Sie musste sterben, weil sie über Jahre hinweg nicht nur die Rolle der türkischen Konterguerilla bei der Verfolgung Oppositioneller aufdeckte, sondern auch zeigte, wie deutsche Waffen in der Türkei und in Kurdistan gegen Oppositionelle eingesetzt wurden[9].

Vielleicht wäre ihr 23. Todestag am 3. April dieses Jahres eine gute Gelegenheit an die heute leider weitgehend vergessenene Aufklärerin der Kumpanei der Waffenschmiede, der Repressionsorgane und der Politik zu erinnern. Das würde vielleicht verhindern, dass man sich heute an ganz großen Koalitionen gegen Erdogan berauscht und sich selber an nationaler Rhetorik übertrumpft, während gleichzeitig die entschiedenen türkischen und kurdischen Oppositionellen auch in Deutschland weiter verfolgt werden.

Die vom türkischen Geheimdienst bespitzelten vermeintlichen Gülen-Anhänger wurden teilweise von den deutschen Behörden informiert und es wurde vor Reisen in die Türkei gewarnt, weil sie dort verhaftet werden könnten. Die bespitzelten kurdischen und türkischen Linken hingegen werden nicht über diese Gefahren informiert.

Sie landen auch in Deutschlands oft in Gefängnissen wie die promovierte Ärztin Dilay Banu Büyükavci[10]. Sie arbeitete in einem Nürnberger Klinikum und war in zahlreichen feministischen und migrantischen Initiativen aktiv. Einiger ihrer Arbeitskolleginnen haben mittlerweile eine Solidaritätsinitiative für ihre Freilassung gegründet.

Es gibt also überhaupt keinen Grund, jetzt gegen Erdogan die große nationale Einheitsfront zu bilden. Die Forderung nach sofortiger Beendigung der deutsch-türkischen Kooperation auf dem Gebiet der Justiz und die Einstelllung aller Verfahren gegen türkische und kurdische Oppositionelle in Deutschland und die Aufhebung des Verbots ihrer Organisationen müsste im Mittelpunkt stehen.
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Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.sevimdagdelen.de/erdogans-spitzel-endlich-ausweisen/
[2] https://twitter.com/de_sputnik/status/846776400329650176
[3] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/thomas-de-maiziere-verbietet-portraets-von-pkk-anfuehrer-abdullah-oecalan-a-1138207.html
[4] http://www.navdem.com/de/presseerklaerung-zum-verbot-der-kurdischen-symbole/
[5] https://www.tkpml-prozess-129b.de/de/17-06-2016/
[6] https://www.heise.de/tp/features/Ditib-als-Bauernopfer-3604641.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/BND-erklaert-Guelenbewegung-zu-den-guten-Islamisten-3658634.html
[8] https://www.medico.de/die-ermordung-der-lissy-schmidt-13754/
[9] https://cpj.org/killed/1994/lissy-schmidt.php
[10] https://www.tkpml-prozess-129b.de/de/die-angeklagten/banu-b/

Muss ein Journalist bei der Springerpresse arbeiten, um so viel Solidarität zu bekommen?

Deniz Yücel – Wie ein linker Journalist mittig gemacht werden soll

„Diesen Mann kann man nicht wegsperren“, heißt es in einer Kolumne[1] der Zeit. „Free Deniz Yücel“, heißt es auf Plakaten am Taz-Café. Es hat selten eine so schnelle und wahrnehmbare Unterstützung für einen Gefangenen gegeben wie im Fall des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel[2].

Mit dem „Free Deniz Yücel“-Auto-Korso[3] wurde auch das Protestrepertoire erweitert und mancher islamisch-nationalistische Erdogan-Fan ganz schön geärgert.

Diese Solidarität ist sehr zu begrüßen und manche, die Yücels Andocken beim Springerkonzern missfiel, können die Entscheidung zumindest nachvollziehen. Wenn es aus seinem persönlichen und kollegialen Umfeld heißt, es sei schon lange sein Ziel gewesen, als Auslandskorrespondent in der Türkei zu arbeiten, dann ist das unter dem Dach von Springers Flaggschiff „Die Welt“ zwar ebenfalls risikant, wie sich gezeigt hat, aber es schafft doch schnell ein gewaltiges Echo und eine große Solidarität.

Es gibt viele „Deniz Yücels“, die nicht für die Welt arbeiten und deren Verhaftung häufig kaum wahrgenommen wird. Gemeint sind Journalisten, die wie Yücel die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft besitzen, im Besitz eines Presseausweises sind und in der Türkei verhaftet werden. Im Unterschied zu Yücel schreiben sie für Medien der türkischen oder kurdischen Linken, die eine begrenzte Auflage haben, und sie werden immer wieder Zielscheibe der Repression.

Bereits in den 1990er Jahren, also noch lange vor Antritt der islamistisch-konservativen AKP-Regierung, waren zwei linke deutsch-türkische Journalisten über längere Zeit in türkischen Gefängnissen verschwunden. Sie haben für kleine linke Zeitungen gearbeitet und wurden beschuldigt, Mitglieder von linken Organisationen zu sein, die sie gar nicht kannten. Eine Solidaritätskampagne konnte es für sie gar nicht geben, weil die Öffentlichkeit gar nichts von ihrer Festnahme erfahren hatte.

Als sie schließlich nach längerer Haft freigelassen wurden und die Türkei verlassen konnten, stießen sie in Deutschland auf Unverständnis und Unglauben. Dort wurde ihnen vorgehalten, wenn sie so lange in einem Gefängnis gesessen haben, müsse ja an den Vorwürfen was dran sein. Sie und ein kleiner Kreis von Vertrauten wendeten sich dann an Pressevertreter.

Auch dort mussten sie immer wieder den Verdacht ausräumen, Mitglieder der Organisationen zu sein, was ihnen von der türkischen Justiz zum Vorwurf gemacht worden war. Einer der beiden Journalisten sprach davon, dass er sich schon nach der Festnahme in einem Roman von Kafka wähnte und das Gefühl habe nicht nachgelassen, als er wieder in Deutschland war.

Statt Solidarität und Unterstützung zu erfahren, wurden sie mit Misstrauen konfrontiert und mussten sich weiter verteidigen. Es gab schließlich einige Artikel über das Schicksal der beiden deutsch-türkischen Journalisten in einer Zeitung der für Medien zuständigen Gewerkschaft und in einigen kleineren Publikationen. Natürlich war ihr Fall so auch nur in kleinen Kreisen bekannt und ist heute auch im Internet kaum aufzufinden.

Die beiden Journalisten waren aber keine Ausnahmen. Deutsch-türkische Linke wurden schnell in die Terrorismusecke gestellt. Allenfalls als Kurden hatten sie einen gewissen Bonus, weil von denen bekannt war, was auch der gemeine deutsche Journalist wusste, dass sie nämlich öfter protestieren.

Wer glaubt, dass solche Debatten heute der Vergangenheit angehören, wurde dann in der FAZ mit einer Debatte konfrontiert, ob Deniz Yücel der richtige Mann in der Türkei gewesen ist. Unter dem Titel Einmal Türke, immer Türke[4] stellte FAZ-Autor Michael Martens ausgerechnet am Fall von Yücel die Entsendepolitik deutscher Medien infrage.

Zunächst führt er zwei Beispiele an, wo Journalisten mit türkischem Hintergrund für große deutsche Zeitungen aus der Türkei berichten. Neben Yücel für die Welt schreibt Özlen Topku für die Zeit[5]. Dann stellt Mertens die Frage:

Warum reduzieren deutsche Verlage die Kinder oder Enkel türkischer „Gastarbeiter“ so oft auf die Rolle von Türkei-Erklärern? Weil sie Türkisch sprechen? Hoffentlich nicht, denn es gibt viele Menschen, die die Sprache eines Landes gut beherrschen und das Land dennoch oder just deshalb fließend missverstehen. Enge emotionale oder gar familiäre Verbundenheit mit einem Land muss kein Vorteil sein, wenn man über das Land berichtet.

FAZ-Autor Michael Martens

Danach folgt eine Passage, die gleich in zweifacher Hinsicht eigenartig ist:

Topcu schreibt über ihren Freund Yücel, der sei „einer, der die Türkei liebt“. Natürlich darf man die Türkei, Deutschland, Nordkorea oder Hintertupfingen „lieben“ – aber ist es gut, ein Land zu lieben, über das man berichtet? Gilt da nicht weiterhin der schöne Satz Gustav Heinemanns, der sagte, er liebe keine Staaten, er liebe seine Frau? Schon Nietzsche hatte in diesem Sinne geraten, man solle Völker weder lieben noch hassen.

FAZ-Autor Michael Martens

Es wäre in der Tat besser für die Medien und die Welt, wenn die Menschen Menschen und nicht Länder und Nationen lieben. Doch dann sollte Mertens mal in seinem Blatt eine Umfrage machen, wie viele seiner Kollegen erklären, Deutschland nicht zu lieben. Bei den meisten der FAZ-Kommentare trieft der Patriotismus aus jeder Zeile. Bei anderen großen Zeitungen sieht es nicht viel besser aus.

Da bleibt von Mertens starkem Appell der Vaterlandslosigkeit von Journalisten nur übrig, in deutschen Zeitungen sollten gefälligst auch Deutsche über die Türkei berichten. Nicht dass uns da auch die Türken noch reinreden. Deniz Yücel wird von Mertens erst zum Türken gemacht.

Denn es ist eigentlich zu erwarten, dass sich Deniz Yücel auch als deutscher Staatsbürger qua Pass weiter als der Kosmopolit versteht, als welcher der in der antideutschen Antifa sozialisierte Journalist in der Wochenzeitung Jungle World und später auch in der Taz bekannt geworden ist. Ihm muss man also nicht erst mit Gustav Heinemann kommen, um ihm klar zu machen, dass Vaterlandsliebe eigentlich dumm ist.

Es ist zu hoffen, dass Yücel mit dem Wechsel seines Auftraggebers nicht seine antinationale politische Gesinnung an der Eingangspforte des Springerkonzerns abgegeben hat.

Es ist auffällig, dass in der „Free Deniz Yücel“-Kampagne genau diese linke Sozialisation des Journalisten eher kleingeredet wird. Auch Topcus‘ wohl gutgemeinte Aussage, dass Yücel die Türkei liebe, gehört zu diesem Bemühen, Yücel in die Mitte der Gesellschaft zu rücken.

Damit aber wird unterschlagen, dass er mit seiner Verhaftung das Schicksal vieler Kollegen teilt, die eben auch links von der Mitte sind, ob in der Türkei oder in Deutschland. Nicht nur Journalisten mit türkischen Pass verloren für den Kampf um die Rechte von Unterdrückten sogar ihr Leben. Fast vergessen ist die Ermordung der Journalistin Lissy Schmidt[6] im Jahr 1994 in Kurdistan.

Sie schrieb für die Frankfurter Rundschau über den türkischen Staatsterror, als an Erdogan noch niemand dachte und die Türkei mit ihrem Terror auch völlig im Einklang mit Deutschland und der EU lag. Lissy Schmidt konnte nicht „mittig“ gemacht werden. Ihre Artikel, ihr Leben[7] hätten das auch nicht zugelassen.

Auch Deniz Yücel hat es nicht verdient, in diese deutsche Mitte eingemeindet zu werden, welche die Türkei vor allem deshalb kritisiert, weil der Bosporus unter der Herrschaft der Islamkapitalisten mehr sein will als die Pforte der Deutsch/EU, die ihr Berlin zubilligen will.

Daher wäre es auch ganz im Sinne des verhafteten Journalisten, wenn all die Kolleginnen und Kollegen mitgenannt werden, die Repressalien erleiden müssen, die aber kaum wahrgenommen werden, weil sie nicht bei der Springerpresse arbeiten und so für die deutsche Mitte nicht akzeptabel sind.



https://www.heise.de/tp/features/Muss-ein-Journalist-bei-der-Springerpresse-arbeiten-um-so-viel-Solidaritaet-zu-bekommen-3634580.html

Peter Nowak

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[1] http://www.zeit.de/kultur/2017-02/deniz-yuecel-festnahme-tuerkei-migranten-journalismus-hate-poetry-deutschstunde
[2] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/welt-journalist-deniz-yuecel-in-der-tuerkei-verhaftet-14890778.html
[3] http://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2017/02/autokorso-fuer-journalist-deniz-yuecel-berlin.html
[4] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kommentar-einmal-tuerke-immer-tuerke-14885078.html
[5] http://www.zeit.de/autoren/T/Oezlem_Topcu/index.xml
[6] https://www.medico.de/die-ermordung-der-lissy-schmidt-13754/
[7] http://www.videowerkstatt.de/nc/europa/detailseite_europa/artikel/lissy-schmidt