Muss ein Journalist bei der Springerpresse arbeiten, um so viel Solidarität zu bekommen?

Deniz Yücel – Wie ein linker Journalist mittig gemacht werden soll

„Diesen Mann kann man nicht wegsperren“, heißt es in einer Kolumne[1] der Zeit. „Free Deniz Yücel“, heißt es auf Plakaten am Taz-Café. Es hat selten eine so schnelle und wahrnehmbare Unterstützung für einen Gefangenen gegeben wie im Fall des in der Türkei inhaftierten Journalisten Deniz Yücel[2].

Mit dem „Free Deniz Yücel“-Auto-Korso[3] wurde auch das Protestrepertoire erweitert und mancher islamisch-nationalistische Erdogan-Fan ganz schön geärgert.

Diese Solidarität ist sehr zu begrüßen und manche, die Yücels Andocken beim Springerkonzern missfiel, können die Entscheidung zumindest nachvollziehen. Wenn es aus seinem persönlichen und kollegialen Umfeld heißt, es sei schon lange sein Ziel gewesen, als Auslandskorrespondent in der Türkei zu arbeiten, dann ist das unter dem Dach von Springers Flaggschiff „Die Welt“ zwar ebenfalls risikant, wie sich gezeigt hat, aber es schafft doch schnell ein gewaltiges Echo und eine große Solidarität.

Es gibt viele „Deniz Yücels“, die nicht für die Welt arbeiten und deren Verhaftung häufig kaum wahrgenommen wird. Gemeint sind Journalisten, die wie Yücel die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft besitzen, im Besitz eines Presseausweises sind und in der Türkei verhaftet werden. Im Unterschied zu Yücel schreiben sie für Medien der türkischen oder kurdischen Linken, die eine begrenzte Auflage haben, und sie werden immer wieder Zielscheibe der Repression.

Bereits in den 1990er Jahren, also noch lange vor Antritt der islamistisch-konservativen AKP-Regierung, waren zwei linke deutsch-türkische Journalisten über längere Zeit in türkischen Gefängnissen verschwunden. Sie haben für kleine linke Zeitungen gearbeitet und wurden beschuldigt, Mitglieder von linken Organisationen zu sein, die sie gar nicht kannten. Eine Solidaritätskampagne konnte es für sie gar nicht geben, weil die Öffentlichkeit gar nichts von ihrer Festnahme erfahren hatte.

Als sie schließlich nach längerer Haft freigelassen wurden und die Türkei verlassen konnten, stießen sie in Deutschland auf Unverständnis und Unglauben. Dort wurde ihnen vorgehalten, wenn sie so lange in einem Gefängnis gesessen haben, müsse ja an den Vorwürfen was dran sein. Sie und ein kleiner Kreis von Vertrauten wendeten sich dann an Pressevertreter.

Auch dort mussten sie immer wieder den Verdacht ausräumen, Mitglieder der Organisationen zu sein, was ihnen von der türkischen Justiz zum Vorwurf gemacht worden war. Einer der beiden Journalisten sprach davon, dass er sich schon nach der Festnahme in einem Roman von Kafka wähnte und das Gefühl habe nicht nachgelassen, als er wieder in Deutschland war.

Statt Solidarität und Unterstützung zu erfahren, wurden sie mit Misstrauen konfrontiert und mussten sich weiter verteidigen. Es gab schließlich einige Artikel über das Schicksal der beiden deutsch-türkischen Journalisten in einer Zeitung der für Medien zuständigen Gewerkschaft und in einigen kleineren Publikationen. Natürlich war ihr Fall so auch nur in kleinen Kreisen bekannt und ist heute auch im Internet kaum aufzufinden.

Die beiden Journalisten waren aber keine Ausnahmen. Deutsch-türkische Linke wurden schnell in die Terrorismusecke gestellt. Allenfalls als Kurden hatten sie einen gewissen Bonus, weil von denen bekannt war, was auch der gemeine deutsche Journalist wusste, dass sie nämlich öfter protestieren.

Wer glaubt, dass solche Debatten heute der Vergangenheit angehören, wurde dann in der FAZ mit einer Debatte konfrontiert, ob Deniz Yücel der richtige Mann in der Türkei gewesen ist. Unter dem Titel Einmal Türke, immer Türke[4] stellte FAZ-Autor Michael Martens ausgerechnet am Fall von Yücel die Entsendepolitik deutscher Medien infrage.

Zunächst führt er zwei Beispiele an, wo Journalisten mit türkischem Hintergrund für große deutsche Zeitungen aus der Türkei berichten. Neben Yücel für die Welt schreibt Özlen Topku für die Zeit[5]. Dann stellt Mertens die Frage:

Warum reduzieren deutsche Verlage die Kinder oder Enkel türkischer „Gastarbeiter“ so oft auf die Rolle von Türkei-Erklärern? Weil sie Türkisch sprechen? Hoffentlich nicht, denn es gibt viele Menschen, die die Sprache eines Landes gut beherrschen und das Land dennoch oder just deshalb fließend missverstehen. Enge emotionale oder gar familiäre Verbundenheit mit einem Land muss kein Vorteil sein, wenn man über das Land berichtet.

FAZ-Autor Michael Martens

Danach folgt eine Passage, die gleich in zweifacher Hinsicht eigenartig ist:

Topcu schreibt über ihren Freund Yücel, der sei „einer, der die Türkei liebt“. Natürlich darf man die Türkei, Deutschland, Nordkorea oder Hintertupfingen „lieben“ – aber ist es gut, ein Land zu lieben, über das man berichtet? Gilt da nicht weiterhin der schöne Satz Gustav Heinemanns, der sagte, er liebe keine Staaten, er liebe seine Frau? Schon Nietzsche hatte in diesem Sinne geraten, man solle Völker weder lieben noch hassen.

FAZ-Autor Michael Martens

Es wäre in der Tat besser für die Medien und die Welt, wenn die Menschen Menschen und nicht Länder und Nationen lieben. Doch dann sollte Mertens mal in seinem Blatt eine Umfrage machen, wie viele seiner Kollegen erklären, Deutschland nicht zu lieben. Bei den meisten der FAZ-Kommentare trieft der Patriotismus aus jeder Zeile. Bei anderen großen Zeitungen sieht es nicht viel besser aus.

Da bleibt von Mertens starkem Appell der Vaterlandslosigkeit von Journalisten nur übrig, in deutschen Zeitungen sollten gefälligst auch Deutsche über die Türkei berichten. Nicht dass uns da auch die Türken noch reinreden. Deniz Yücel wird von Mertens erst zum Türken gemacht.

Denn es ist eigentlich zu erwarten, dass sich Deniz Yücel auch als deutscher Staatsbürger qua Pass weiter als der Kosmopolit versteht, als welcher der in der antideutschen Antifa sozialisierte Journalist in der Wochenzeitung Jungle World und später auch in der Taz bekannt geworden ist. Ihm muss man also nicht erst mit Gustav Heinemann kommen, um ihm klar zu machen, dass Vaterlandsliebe eigentlich dumm ist.

Es ist zu hoffen, dass Yücel mit dem Wechsel seines Auftraggebers nicht seine antinationale politische Gesinnung an der Eingangspforte des Springerkonzerns abgegeben hat.

Es ist auffällig, dass in der „Free Deniz Yücel“-Kampagne genau diese linke Sozialisation des Journalisten eher kleingeredet wird. Auch Topcus‘ wohl gutgemeinte Aussage, dass Yücel die Türkei liebe, gehört zu diesem Bemühen, Yücel in die Mitte der Gesellschaft zu rücken.

Damit aber wird unterschlagen, dass er mit seiner Verhaftung das Schicksal vieler Kollegen teilt, die eben auch links von der Mitte sind, ob in der Türkei oder in Deutschland. Nicht nur Journalisten mit türkischen Pass verloren für den Kampf um die Rechte von Unterdrückten sogar ihr Leben. Fast vergessen ist die Ermordung der Journalistin Lissy Schmidt[6] im Jahr 1994 in Kurdistan.

Sie schrieb für die Frankfurter Rundschau über den türkischen Staatsterror, als an Erdogan noch niemand dachte und die Türkei mit ihrem Terror auch völlig im Einklang mit Deutschland und der EU lag. Lissy Schmidt konnte nicht „mittig“ gemacht werden. Ihre Artikel, ihr Leben[7] hätten das auch nicht zugelassen.

Auch Deniz Yücel hat es nicht verdient, in diese deutsche Mitte eingemeindet zu werden, welche die Türkei vor allem deshalb kritisiert, weil der Bosporus unter der Herrschaft der Islamkapitalisten mehr sein will als die Pforte der Deutsch/EU, die ihr Berlin zubilligen will.

Daher wäre es auch ganz im Sinne des verhafteten Journalisten, wenn all die Kolleginnen und Kollegen mitgenannt werden, die Repressalien erleiden müssen, die aber kaum wahrgenommen werden, weil sie nicht bei der Springerpresse arbeiten und so für die deutsche Mitte nicht akzeptabel sind.



https://www.heise.de/tp/features/Muss-ein-Journalist-bei-der-Springerpresse-arbeiten-um-so-viel-Solidaritaet-zu-bekommen-3634580.html

Peter Nowak

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.zeit.de/kultur/2017-02/deniz-yuecel-festnahme-tuerkei-migranten-journalismus-hate-poetry-deutschstunde
[2] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/welt-journalist-deniz-yuecel-in-der-tuerkei-verhaftet-14890778.html
[3] http://www.rbb-online.de/politik/beitrag/2017/02/autokorso-fuer-journalist-deniz-yuecel-berlin.html
[4] http://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kommentar-einmal-tuerke-immer-tuerke-14885078.html
[5] http://www.zeit.de/autoren/T/Oezlem_Topcu/index.xml
[6] https://www.medico.de/die-ermordung-der-lissy-schmidt-13754/
[7] http://www.videowerkstatt.de/nc/europa/detailseite_europa/artikel/lissy-schmidt