Grup Yorum: Verbote, Schikanen, finanzielle Verluste

Welche Probleme eine linke türkische Band in Deutschland bei ihren Auftritten hat

Wieder gibt es Ärger um einen Auftritt der linken türkischen Band Grup Yorum. Vor zwei Jahren waren einigen Musikern die Einreise mit der Begründung[1] verweigert worden, sie stünden auf einer Terrorliste. Im letzten Jahr konnte die Band im osthessischen Fulda auftreten. Doch zu den behördlichen Auflagen[2], die die Polizei akribisch durchsetzte, gehörte das Verbot, Spenden zu sammeln oder T-Shirt oder DVD der Band zu verkaufen.

Da die linke Band seit Jahren sowohl in der Türkei als auch im Ausland verschiedene politische Projekte unterstützt, soll die Band mit dieser Maßnahme finanziell ausgetrocknet werden. Der grüne Spitzenpolitiker Anton Hofreiter, der auf dem gleichen Fest, auf dem Grup Yorum am Schluss spielte, zu Beginn eine Rede über die Offene Gesellschaft[3] gehalten hat, schwieg zu den Maßnahmen und wollte sich auch zu wiederholten Presseanfragen an sein Büro dazu nicht äußern.

Noch zwei Wochen später stellte der grüne Kreisvorstand Hofreiters Rede online[4], ohne die massiven Einschränkungen gegen Grup Yorum auch nur zu erwähnen. Das machte es den Behörden einfach, sich in diesem Jahr nicht mehr mit Schikanen zu begnügen. Sie wollten den Auftritt der Band komplett verhindern[5].

Eine Band mit Sendungsbewusstsein

Die Begründung des Verwaltungsgerichts Kassel könnte als Satire durchgehen wenn man nicht wüsste, dass es ernst ist. Das Gericht rechtfertigte[6] die Kündigung eines Vertrags durch die Stadt Fulda, der den Auftritt von Grup Yorum Band rechtlich abgesichert hätte:

Wie sich aus den Internetauftritten dieser Gruppe entnehmen lasse, seien deren Auftritte vielmehr hoch politisch und es würden politische Zielsetzungen mit „Sendungsbewusstsein“ verfolgt. Da dieses ein nicht unerhebliches Konflikt- und damit Gefahrenpotential in sich berge und die Auftritte dieser Gruppe durchaus das Potential für einen Massenzustrom an Besuchern habe, sei es daher rechtlich nicht zu beanstanden, dass die Stadt mit Blick auf das umliegende Wohngebiet das Gelände nicht für eine solche Veranstaltung zur Verfügung stellen wolle und daher von ihrem Widerrufsrecht nach § 178 BGB Gebrauch gemacht habe.
Juris.de[7] /Pressemitteilung VG Kassel v. 12.06.2017

Nun gibt es viele Bands mit politischem Sendungsbewusstsein. Doch anders die meisten linken Bands in Deutschland verortet sich Grup Yorum nicht im subkulturellen Bereich. Die Band will Menschen aus allen Schichten der Bevölkerung erreichen, was ihr in der Türkei auch in Ansätzen gelingt. So schrieb der mittlerweile inhaftierte Journalist Deniz Yücel, der in der Tageszeitung Die Welt einen sehr kritischen Artikel[8] über Grup Yorum verfasste, aber trotzdem konzedierte:

Auch wenn sie den Begriff Popstar vehement ablehnen, stehen nach jedem Konzert Leute Schlange, um Selfies mit ihnen zu machen, am liebsten mit Altin. „Gut, Vorbild bin ich gerne“, räumt sie ein. Aldin ist eine Sängerin der Band.
Deniz Yücel


Solidarität in der Türkei größer als in Deutschland

Yücel kritisiert den zu konventionellen Musikstil der Musiker, die schon im Outfit deutlich machen, dass sie nicht Subkultur, sondern Teil der Gesellschaft sein wollen. Er kritisiert aber auch ihre Verortung in der antiimperialistischen Linken der Türkei. Dies ist auch der Grund dafür, dass Grup Yorum von den deutschen Behörden wie ein Sicherheitsrisiko behandelt wird.

Ihr wird eine politische Nähe zu einer in der Türkei und in Deutschland verbotenen linken Organisationen zugeschrieben. Dabei wird ausgeblendet, dass die Band in der Türkei nicht nur bei der gesamten, extrem zersplitterten türkischen wie auch der kurdischen Linken viele Fans hat. Selbst Politiker der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP, der größten Oppositionspartei im Parlament, besuchen öffentlichkeitswirksam Grup Yorum-Konzerte in Istanbul. Von einer solchen Solidarität gegen die Auftrittseinschränkungen ist in Deutschland nichts bekannt.

Der Arbeitskreis Internationale Politik der Linken fordert Aufklärung[9] über die Kooperation deutscher und türkischer Behörden bei der Verfolgung der Musiker. Das müsste doch in einer Zeit, in der so kritisch über das deutsch-türkische Verhältnis gesprochen wird, ein großes Thema sein.

Doch anders als die Gülen-Bewegung, die als sogenannte gemäßigte Oppositionelle von Deutschland aufgebaut wird, gibt es eine solche Protektion für entschiedene Linke aus der Türkei nicht. Daher sorgt es auch nicht für große Diskussion, dass eine Band, die in der Türkei nicht erst in den letzten Jahren immer wieder Opfer von Repression und Verfolgung[10] wurde, nun in Deutschland ähnliches zu erwarten hat.

Im Osthessischen Raum, wo die konservative Fuldaer Zeitung[11] das Meinungsmonopol hat, gehört schon Mut dazu, auch nur die selbstverständlichen Grundrechte auch für eine Band der türkischen Opposition einzuklagen. Zu den wenigen Aus nahmen gehört der Direktkandidat der Linken für die Bundestagswahl, Nick Papak Amoozegar[12]. In einer Pressemitteilung schreibt er:

Grup Yorum hat in der Türkei ein Millionenpublikum mit ihren Liedern, sie standen immer auf der Seite der Benachteiligten und Unterdrückten. Dadurch sind sie in der Türkei und in Deutschland Repressionen ausgesetzt, erhalten Auftrittsverbote, Einreiseverbote, bis hin zu Haftstrafen. Angesichts der erschreckenden Entwicklung des autoritären Regimes in der Türkei, das Parlamentarier einkerkert, ihnen das Mandat entzieht, massenhaft Lehrern, kritischen Wissenschaftlern, Künstlern und Journalisten die berufliche Grundlage nimmt, muss Deutschland Stellung für Demokratie beziehen und darf nicht willfähriger Erfüllungsgehilfe von Diktatoren sein.
Nick Papak Amoozegar

Er beendet die Pressemitteilung mit der Parole: „Grup Yorum gibt nicht auf, und wir stehen an ihrer Seite.“

Streit um das Sicherheitskonzept der Veranstalter

Das wird auch nach dem Wochenende weiter nötig sein. Denn nun soll eine Kundgebung am Fuldaer Stadtrand, auf der Grup Yorum neben zahlreichen anderen Bands auftritt, mit massiven Polizeiauflagen belegt werden. Neben dem Verbot, Bandmaterialen zu verkaufen und Spenden einzusammeln, sollen die Auf- und Abbauzeiten für die Bühne und die Zelte und sogar die Länge der Transparente akribisch festgelegt werden.

Eine Mitorganisatorin der Kundgebung beklagt im Gespräch mit Telepolis besonders, dass die osthessischen Behörden das Sicherheitskonzert der Veranstalter massiv torpedieren sollen. Das irritiert die Veranstalter, weil nicht nur in der Türkei, sondern auch in Deutschland Islamisten und Faschisten Veranstaltung von Linken angreifen. Die Mitveranstalterin wehrt sich auch gegen die Behauptung, dass mit den Konzerten Aktivitäten von türkischen Linken finanziert werden. Im Gegenteil, würden solche Konzerte für die Veranstalter Verluste bedeuten.

Die Mitorganisatorin betont, dass sie für Transparenz eintritt und bereit ist, über alle Ausgaben und Einnahmen im Zusammenhäng mit dem Konzert öffentlich Rechenschaft abzulegen. An was es in Deutschland aber fehlt, ist eine zivilgesellschaftliche Bewegung, die solche Initiativen aufgreift und die Grundrechtseinschränkungen gegen Grup Yorum in der Türkei und in Deutschland mit der gleichen Entschiedenheit bekämpft, wie die Inhaftierung von Deniz Yücel, der ja bei aller Kritik auch Respekt für die Band in seinem Artikel[13] erkennen ließ.
https://www.heise.de/tp/features/Grup-Yorum-Verbote-Schikanen-finanzielle-Verluste-3744759.html

Peter Nowak
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.heise.de/tp/news/Wenn-eine-Band-zum-Sicherheitsrisiko-erklaert-wird-2869319.html
[2] http://munihfm.net/grup-yorum-konzert-in-fulda-mit-massiven-auflagen/
[3] http://osthessen-news.de/n11534770/spitzen-politiker-anton-hofreiter-ganz-nah-muessen-offene-gesellschaft-verteidigen.html
[4] https://www.gruene-fulda.de/home/volltext-news/article/dr_anton_hofreiter_buendnis_90_die_gruenen_in_fulda/
[5] http://osthessen-news.de/n11561904/verwaltungsgericht-untersagt-auftritt-von-grup-yorum-auf-messe-galerie.html
[6] https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?cmsuri=/juris/de/nachrichten/zeigenachricht.jsp&feed=juna&wt_mc=rss.juna&nid=jnachr-JUNA170604370
[7] https://www.juris.de/jportal/portal/page/homerl.psml?cmsuri=/juris/de/nachrichten/zeigenachricht.jsp&feed=juna&wt_mc=rss.juna&nid=jnachr-JUNA170604370
[8] https://www.welt.de/kultur/pop/article143151517/Wo-hoert-die-Musik-auf-wo-faengt-die-Propaganda-an.html
[9] http://www.diether-dehm.de/index.php/kunstkultur/1162-welche-rolle-spielt-bundesregierung-bei-auftrittsverboten-von-grup-yorum
[10] https://weltnetz.tv/video/954-zerschlagene-instrumente
[11] http://www.fuldaerzeitung.de/
[12] http://osthessen-news.de/n11555675/linke-schickt-nick-papak-amoozegar-ins-rennen.html
[13] https://www.welt.de/kultur/pop/article143151517/Wo-hoert-die-Musik-auf-wo-faengt-die-Propaganda-an.html

Die Heuchelei in der deutschen Türkeipolitik

Solange der türkische Geheimdienst türkische und kurdische Linke bespitzelte, gab es keine Empörung

Heute scheint es, wenn es um das deutsch-türkische Verhältnis geht, in Deutschland keine politischen Differenzen mehr zu geben. Erdogans Spitzel endlich ausweisen[1] fordert Sevim Dagdelen von den Linken. Über Twitter beschwört sie die ganz große Koalition gegen Erdogan. Sahra Wagenknecht (Linke) und Norbert Lammert CDU) überbieten sich in Verbalinjurien[2] gegen den autoritären türkischen Präsidenten und warnen vor den Folgen eines erfolgreichen Referendums.

Das ist natürlich folgenlose Rhetorik, die unter Umständen noch dem Erdogan-Lager nutzt, wenn es darauf verweisen kann, dass ihn eine ganz große Koalition in Deutschland weghaben will. Dabei hätte eine Linke, die ihren Namen verdient und nicht immer die deutsche Souveränität mal gegen die USA und seit Monaten besonders vehement gegen die Erdogan-Türkei verteidigen will, genügend Gründe, die staatliche Heuchelei in der deutschen Türkeipolitik in den Mittelpunkt zu rücken.

Da würden erst kürzlich gegen kurdische Verbände die Daumenschrauben angezogen. Sie machen sich jetzt schon strafbar, wenn sie Konterfeis von Öcalan[3] und Symbole von syrischen Kurdenorganisationen[4] tragen, die eine wichtige Rolle beim Kampf gegen die Islamisten spielen.

Doch das ist keine Erpressung von Erdogan und Co., sondern Folge einer deutsch-türkischen Justizkooperation. Auch Deutschland will verhindern, dass kurdische und türkische Linke in Deutschland zu selbstbewusst werden. Da störte es auch nie, dass auch der türkische Geheimdienst in Deutschland Organisationen der türkischen und kurdischen Linken bespitzelte.


Die Spitzelberichte wurden sogar in den Prozess eingeführt

Im Münchner 129b-Verfahren gegen 10 türkische Linke[5] übermittelte die „Polizeigeneraldirektion Istanbul“ den deutschen Behörden ganz offiziell die Erkenntnisse, die türkische Spitzel in linken migrantischen Organisationen in Deutschland gesammelt haben. Das ist alltägliche Praxis in der deutsch-türkische Kooperation auf dem Gebiet der Justiz. Ohne die wären auch viele Prozesse gegen vermeintliche PKK-Mitglieder in Deutschland nicht möglich.

Als vor einigen Wochen bekannt wurde, dass in Moscheen vermeintliche Gülen-Anhängern von türkischen Agenten bespitzelt[6] wurden, gab es einen kleinen Skandal[7]. In München kommen die Spitzelergebnisse auch im Prozess zur Sprache.

Nun gibt es neue Aufregung, weil der türkische Geheimdienst den deutschen Kollegen eine Liste mit den Taten mutmaßlicher Gülten-Anhänger ausgehändigt hatte. Der Grund der Empörung ist aber nicht recht klar. Denn hier wurde nur eine jahrzehntelange Praxis fortgesetzt, die schon lange vor der Ära Erdogan begonnen hat. In den 1990er Jahren als in der Türkei vor allem in Kurdistan zahlreiche Oppositionelle ermordet wurden oder verschwunden sind, war die Zusammenarbeit besonders intensiv.

Lissy Schmidt oder wie eine Aufklärerin der deutsch-türkischen Kumpanei sterben musste

Ins Visier gerieten auch in Deutschland Menschen, die sich damals mit den verfolgten türkischen und kurdischen Oppositionellen solidarisieren. Die deutsche Journalistin Lissy Schmidt, die am 3. April 1994 im irakischen Teil Kurdistans ermordet wurde[8], bekam längst nicht die große Solidarität wie der verhaftete Journalist Deniz Yücel.

Sie musste sterben, weil sie über Jahre hinweg nicht nur die Rolle der türkischen Konterguerilla bei der Verfolgung Oppositioneller aufdeckte, sondern auch zeigte, wie deutsche Waffen in der Türkei und in Kurdistan gegen Oppositionelle eingesetzt wurden[9].

Vielleicht wäre ihr 23. Todestag am 3. April dieses Jahres eine gute Gelegenheit an die heute leider weitgehend vergessenene Aufklärerin der Kumpanei der Waffenschmiede, der Repressionsorgane und der Politik zu erinnern. Das würde vielleicht verhindern, dass man sich heute an ganz großen Koalitionen gegen Erdogan berauscht und sich selber an nationaler Rhetorik übertrumpft, während gleichzeitig die entschiedenen türkischen und kurdischen Oppositionellen auch in Deutschland weiter verfolgt werden.

Die vom türkischen Geheimdienst bespitzelten vermeintlichen Gülen-Anhänger wurden teilweise von den deutschen Behörden informiert und es wurde vor Reisen in die Türkei gewarnt, weil sie dort verhaftet werden könnten. Die bespitzelten kurdischen und türkischen Linken hingegen werden nicht über diese Gefahren informiert.

Sie landen auch in Deutschlands oft in Gefängnissen wie die promovierte Ärztin Dilay Banu Büyükavci[10]. Sie arbeitete in einem Nürnberger Klinikum und war in zahlreichen feministischen und migrantischen Initiativen aktiv. Einiger ihrer Arbeitskolleginnen haben mittlerweile eine Solidaritätsinitiative für ihre Freilassung gegründet.

Es gibt also überhaupt keinen Grund, jetzt gegen Erdogan die große nationale Einheitsfront zu bilden. Die Forderung nach sofortiger Beendigung der deutsch-türkischen Kooperation auf dem Gebiet der Justiz und die Einstelllung aller Verfahren gegen türkische und kurdische Oppositionelle in Deutschland und die Aufhebung des Verbots ihrer Organisationen müsste im Mittelpunkt stehen.
https://www.heise.de/tp/features/Die-Heuchelei-in-der-deutschen-Tuerkeipolitik-3668629.html

Peter Nowak

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http://www.heise.de/-3668629

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.sevimdagdelen.de/erdogans-spitzel-endlich-ausweisen/
[2] https://twitter.com/de_sputnik/status/846776400329650176
[3] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/thomas-de-maiziere-verbietet-portraets-von-pkk-anfuehrer-abdullah-oecalan-a-1138207.html
[4] http://www.navdem.com/de/presseerklaerung-zum-verbot-der-kurdischen-symbole/
[5] https://www.tkpml-prozess-129b.de/de/17-06-2016/
[6] https://www.heise.de/tp/features/Ditib-als-Bauernopfer-3604641.html
[7] https://www.heise.de/tp/features/BND-erklaert-Guelenbewegung-zu-den-guten-Islamisten-3658634.html
[8] https://www.medico.de/die-ermordung-der-lissy-schmidt-13754/
[9] https://cpj.org/killed/1994/lissy-schmidt.php
[10] https://www.tkpml-prozess-129b.de/de/die-angeklagten/banu-b/