„Es ist nur eine weitere Etappe im Kampf der EU gegen Geflüchtete“

Das EU-Abkommen mit der Türkei steht in einer Tradition, die zeigt, dass es für Europa Wichtigeres gibt als Menschenrechte

Am 4.April wurde die zwischen der EU und der Türkei vereinbarte Übereinkunft zur Flüchtlingsrückführung erstmals umgesetzt [1]. Warnungen von zahlreichen Menschenrechtsorganisationen [2], aber auch von UN-Organisationen wurden ignoriert. Denn für den Großteil der verantwortlichen Politiker, einschließlich der bis weit ins linke Milieu mit Lob bedachten Bundeskanzlerin Merkel, ist das Abkommen dann ein Erfolg, wenn die Zahlen der Migranten in Kerneuropa zurückgehen.

Der Verweis auf die vorenthaltenen Menschenrechte schlägt schon deshalb fehl, weil diese Rechte schon lange keine große Rolle mehr in der Flüchtlingsfrage spielen. Es ist dem vielfältigen Widerstand der Migranten zu verdanken, dass die Umsetzung des Abkommens schon am zweiten Tag ins Stocken geriet, weil sie Asylanträge gestellt haben, die dann erst noch abgelehnt werden müssen, was wohl eher eine bürokratische Formsache als ein echter Schutz der Menschen ist.

Dass das EU-Türkei-Abkommen sich in die Politik der europäischen Flüchtlingsabwehr der vergangenen Jahre einreiht, wurde am Montagabend auf einer von der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/ CILIP [3] organisierten Veranstaltung deutlich. Sie stand unter dem bezeichnenden Motto „Europas Staatsgewalten gegen Migration“.

Dort hat Cilip-Redakteur Heiner Busch deutlich gemacht [4], dass das Ziel der EU schon seit Jahren die Flüchtlingsabwehr [5] ist und nicht die Wahrung der Menschenrechte von Geflüchteten. Auch ein Geflüchteter, der in verschiedenen Netzwerken aktiv ist, erklärte: „Der Vertrag der EU mit der Türkei ist nur die Fortsetzung des jahrelangen Kampfes der EU gegen Geflüchtete.“

Zahlreiche afrikanische Diktaturen als Schutzraum für die Festung Europa

So hat die Vereinbarung der EU mit der Türkei viele Vorläufer. Mit zentralen nord- und westafrikanischen Staaten hat die EU ähnliche Vereinbarungen geschlossen, welche die Migranten stoppen sollen. Vor dem sogenannten arabischen Frühling hat auch Libyen unter Gaddafi für einige Zeit die Rolle des Grenzwächters gespielt. Wobei man Berichten von in dieser Zeit in Libyen lebenden Migranten, die sich später in den Gruppen Lampedusa Berlin [6] und Lampedusa Hamburg [7] organisiert hatten, entnehmen kann, dass ihr Leben unter Gaddafi in Lybien wesentlich besser war als danach und auch besser als in vielen von der EU hofierten nordafrikanischen Ländern, einschließlich Marokko aktuell.

Die Menschenrechte wurden in den meisten der Grenzwächterstaaten nicht sonderlich ernst genommen und EU störte sich nicht daran. Daher ist es auch nicht besonders verwunderlich, dass bei den EU-Türkei-Vereinbarungen die diktatorischen Momente in der türkischen Innenpolitik kein Hinderungsgrund waren. Die Referenten bei der Cilip-Veranstaltung beklagten eine historische Amnesie, die den aktuellen Deal zwischen EU und Türkei zum Sündefall der EU stempeln und die Vorgeschichte unterschlagen.

Remember 06.Februar 2014

Ein Grund dafür ist das Fehlen eines gemeinsamen europäischen Gedächtnisses, das sich der Gewalt gegen Migranten bewusst ist. Es sei daher auch nicht gelungen, gemeinsame europäische Gedenktage zu etablieren. So ist in Spanien der 6. Februar 2014 für Flüchtlingsorganisationen und Antirassismusgruppen ein solcher Gedenktag. In Deutschland ist der Termin kaum bekannt.

An diesem Tag hatten Migranten versucht, die Grenze der spanischen Enklave Ceuta zu überwinden. Die spanische Polizei schoss auf die Menschen und tötete mindestens 14 Migranten [8]. Bis heute ist keiner der verantwortlichen Polizisten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen worden. Doch die Flüchtlingsorganisationen und die Angehörigen der Getöteten geben ihren Kampf um Gerechtigkeit nicht auf.

Spätestens im Jahr 2017 wollten sie erneut die Initiative ergreifen, um die Verantwortlichen für das Blutbad im Jahr 2014 zur Verantwortung zu ziehen. Schon Jahre vorher war bekannt geworden, dass die spanische Polizei immer wieder brutal gegen Migranten vorgeht. Die Grenze zwischen Spanien und Marokko wird auch der tödliche Zaum von Melilla [9] genannt.

Grenzsicherung statt Menschenrettung

Am Beispiel des Programms Mare Nostrum, das wesentlich von der italienischen Regierung getragen und finanziert wurde, zeigte Heiner Buch die Grundlage der EU-Flüchtlingspolitik auf. Mare Nostrum hatte die Rettung der Menschen in den Mittelpunkt gestellt und war darin auch sehr erfolgreich Es lief aus, weil außer Italien kein weiterer EU-Staat sich an der Finanzierung beteiligen wollte.

Danach lag der Fokus wieder bei der Grenzsicherung und Flüchtlingsabwehr. Diesem Ziel dient auch das Abkommen mit der Türkei. Daher kann man der EU nicht vorwerfen, sie habe nicht eine klare Agenda in der Flüchtlingspolitik. Das Gerede über den europäischen Sündenfall erweist sich dagegen als inhaltslose Phrase.

http://www.heise.de/tp/news/Es-ist-nur-eine-weitere-Etappe-im-Kampf-der-EU-gegen-Gefluechtete-3162749.html

Peter Nowak

Links:

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Kollegen aus Lampedusa

Die Solidarität mit Flüchtlingen ist in DGB-Gewerkschaften nicht selbstverständlich. Linke Gewerkschafter wollen das ändern.

»Refugees welcome« stand auf ihren T-Shirts und Plakaten. So bekundeten junge Gewerkschaftsmitglieder Anfang Dezember auf dem Jugendforum der IG Metall Berlin-Brandenburg-Sachsen ihre Meinung. Dass diese auch in den DGB-Gewerkschaften nicht überall geteilt wird, hatten Geflüchtete Anfang Oktober selbst erfahren. »Wir haben die Zentrale des DGB-Landesbezirks Berlin-Brandenburg besetzt, weil wir Solidarität erwarteten. Doch wir wurden geräumt. Zahlreiche unserer Freunde wurden dabei verletzt. Wir saßen stundenlang in Polizeihaft und jetzt erwarten uns Anklagen wegen Hausfriedensbruchs.«

So schilderte ein Mitglied der Besetzergruppe auf einer Veranstaltung in Berlin Anfang Dezember die Erfahrungen mit der DGB-Bürokratie. Diese sei gar nicht träge gewesen, als es darum ging, mit den Vorständen sämtlicher Einzelgewerkschaften den Räumungsbeschluss abzustimmen. Die Forderung der Geflüchteten, den Kontakt mit den Einzelgewerkschaften herzustellen, um sich deren Unterstützung zu versichern, sei angeblich aus organisatorischen Gründen nicht zu erfüllen gewesen. Dass der Geflüchtete aus der Besetzergruppe seine Erfahrungen im großen Saal der Berliner IG Metall vortragen konnte, zeigt allerdings auch, dass nach der Räumung in den DGB-Gewerkschaften die Auseinandersetzungen über die Flüchtlingspolitik zugenommen haben.

In Berlin hatte sich im September auf Initiative des an der Basis arbeitenden Zusammenschlusses »Verdi aktiv« eine Gruppe linker Gewerkschafter für die stärkere Unterstützung der Kämpfe von Geflüchteten eingesetzt. Doch erst nach der Räumung der DGB-Zentrale bekam die Initiative größeren Zuspruch. Die Veranstaltung Anfang Dezember war ihr erster öffentlicher Auftritt.

»Ich bin Flüchtling und Verdi-Mitglied«, sagte auch der zweite Redner der Veranstaltung. Asuquo Udo ist in Nigeria geboren und hat jahrelang in Libyen den Lebensunterhalt für sich und seine Familie verdient. »Der Nato-Krieg hat mich zur Flucht gezwungen«, fügt er hinzu. Über Italien kam er nach Hamburg, wo er sich in der Flüchtlingsselbstorganisation »Lampedusa Hamburg« engagierte. »Wir haben deutlich gemacht, dass wir Teil der Gesellschaft sind«, so Udo. Daher waren er und seine Mitstreiter erfreut, dass der Hamburger Verdi-Sekretär Peter Bremme den Flüchtlingen die Mitgliedschaft auch gegen den Widerstand des Verdi-Vorstands anbot. Auf der Website von »Lampedusa-Hamburg« ist neben den Mitgliedern der Beruf vermerkt, den sie vor der Flucht ausgeübt haben. Für Udo ist das sehr wichtig. »Es zeigte uns nicht als hilfsbedürftige Flüchtlinge, sondern als Kollegen.«

Für die Initiatoren der Berliner Veranstaltung hat die Forderung nach einer Gewerkschaftsmitgliedschaft von Geflüchteten eine antirassistische Komponente. Anna Basten vom Arbeitskreis »Undokumentierte Arbeit«, der Menschen ohne Papiere bei der Durchsetzung ihrer Arbeitsrechte unterstützt, sagt, dass Anträge für den Verdi-Bundeskongress im nächsten Jahr vorbereitet werden, die eine Gewerkschaft von Geflüchteten fordern. Wie die Gewerkschaftsvorstände reagieren werden, ist nicht absehbar. Der Berliner Veranstaltung blieben sie fern. Roland Tremper vom Berliner Verdi-Vorstand hatte zugesagt, nachdem der Termin eigens seinem Kalender angepasst worden war, kam aber trotzdem nicht.

Vielleicht diskutieren manche Verdi-Mitglieder ohnehin lieber über andere Dinge, wenn es um Migration geht. Im Verdi-Bildungszentrum Haus Brannenburg wird ein Seminar mit dem Titel »Der europäische Traum zwischen Migration, Integration und Wertekonsens« angeboten. Der Ankündigung zufolge soll über »Zuwanderungsformen, die Akzeptanzprobleme sowie soziale und kulturelle Verwerfungen« diskutiert werden.

http://jungle-world.com/artikel/2014/50/51080.html

Peter Nowak