MietaktivistInnen wollen politisches Gehör finden

EINFLUSS Ein Hearing soll der künftigen Koalition Mieterforderungen näherbringen

„Neues Regieren braucht ein gutes Hearing!“, lautet das Motto eines Anfang November geplanten Workshops von Berliner Stadtteil- und MietaktivistInnen. Dort wollen sie PolitikerInnen der anvisierten Berliner Koalition aus SPD, Grünen und Linken ihre Forderungen vorlegen. Ein Rederecht haben sie dort allerdings nicht. Wohnungspolitische Initiativen haben maximal drei Minuten Zeit, ihre wichtigsten Probleme zu benennen und ihre Forderungen vorzutragen. Angestoßen wurde die Initiative von Thilo Trinks vom Bündnis Pankower Mietenprotest und Kurt Jotter, der in den 1980er Jahren in Westberlin die außerparlamentarische Politikkunstgruppe „Büro für ungewöhnliche Maßnahmen“ mitbegründet hat. Der ironische Ton ist auch im Aufruf zum Hearing zu erkennen. Man biete den PolitikerInnen ein „unwiderstehliches Hearing als öffentliche Bestandsaufnahme von Fehlern und Chancen berlinweit – hoch besinnlich wie zur Vorweihnachtszeit und inspirierend, wie es
nach einer Wahl sein muss“. An den Vorbereitungstreffen haben unter anderem VertreterInnen der Stadtteilinitiativen Kotti & Co. und Bizim Kiez teilgenommen. Das Bündnis „Zwangsräumung verhindern“ war beobachtend dabei. „Wir setzen auf außerparlamentarischen Druck und halten Abstand zu allen Parteien, würden uns aber freuen, wenn unsere Forderungen vom Senat aufgegriffen werden“, betont Bündnismitglied David Schuster gegenüber der taz. Manche MieterInnenorganisation verfolgen die Hearing-Bemühen skeptisch. „Die Initiative zeigt, wie prekär die Situation für viele MieterInnen in Berlin zurzeit ist und wie sehr sie auf eine Änderung der Politik hoffen. Ob die Forderungen dieser Menschen mit diesem Hearing umgesetzt
werden, muss ich aber außerordentlich bezweifeln“, meint Joachim Oellerich von der Berliner Mietergemeinschaft gegenüber der taz. Auch der Regisseur des Film „Mietrebellen“ und stadtpolitische Aktivist Matthias Coers, der die Hearing-Initiative begrüßt, betont im Gespräch mit der taz, sie könne nur erfolgreich sein, wenn der außerparlamentarische Druck einer starken
MieterInnenbewegung aufrecht erhalten werde. Am 31. Oktober findet um 19 Uhr im Nachbarschaftshaus in der Cuvrystaße 13 das nächste Vorbereitungstreffen des Hearings statt. Dann werden auch endgültig Termin und Ort bekannt gegeben.

Taz vom 26.1o.2016

Peter Nowak

Friede den Protesthütten, Krieg der Immobilienwirtschaft

Haus der Kulturen der Welt widmet sich mit Ausstellung und Langzeitprojekt der Frage, wie Menschen in Großstädten künftig wohnen werden

Wohnungen als Spekulationsmasse? Architekten und Aktivisten wollen kritisch beleuchten, dass das Menschenrecht auf Wohnen zunehmend der Immobilienwirtschaft überlassen wird.

Der Teekocher mit dem Aufkleber der Kreuzberger Stadtteilinitiative Kotti & Co. gehört zum Inventar des Protest-Gecekondu, das Mieter im Mai 2012 am Kottbuser Tor errichtet haben. Nun findet sich der Teekocher im Haus der Kulturen der Welt (HKW).

Dort wurde im Rahmen der Ausstellung »Wohnungsfrage«, die am Donnerstag eröffnet wurde, die Protesthütte nachgebaut. »Das HKW hat uns die Möglichkeit gegeben, mit dem Architekten Teddy Cruz und der Wissenschaftlerin Fonna Forman aus San Diego eine Antwort auf die Frage des Wohnens zu suchen. Sehr schnell waren wir uns einig, dass die Frage des Wohnens niemals nur eine räumliche oder architektonische ist, sondern immer auch eine politische und eine ökonomische Frage«, sagt Sandy Kaltenborn von Kotti & Co dem »nd«.

Im Rahmen der Ausstellung wird die temporare Hütte nicht nur im HKW zu sehen sein. Vom 6. bis 8. November wird sie neben der Protesthütte am Kottbuser Tor aufgebaut. Dort wird auch die Filminstallation »Miete essen Seele auf« von Angelika Levi zu sehen, in der die Geschichte des sozialen Wohnungsbaus in Kreuzberg verarbeitet wird.

Mit der Ausstellung experimenteller Wohnungsformate und künstlerischer Arbeiten, einer Publikationsreihe und einer internationalen Akademie will das HKW einen »Diskurs über sozialen, bezahlbaren und selbstbestimmten Wohnungsbau anregen«. Den »Andrang der Bevölkerung nach den großen Städten«, die »kolossale Steigerung der Mietspreise«, die Verdrängung der »Arbeiter vom Mittelpunkt der Städte an den Umkreis«: Die Ausstellung will sich kritisch damit auseinandersetzen, dass das Menschenrecht auf Wohnen zunehmend der Immobilienwirtschaft überlassen wird. Das Gestalten von Wohnungen, Nachbarschaften und Städten solle wieder als soziokulturelle Praxis verstanden werden.

Zu diesem Zweck werden (Film)Installationen, Bildessays oder Architekturmodelle gezeigt. Die entwickelten Wohnkonzepte werden in der Ausstellung 1:1 umgesetzt.

In der Ausstellung wird außerdem an Beispielen aus verschiedenen Teilen der Welt gezeigt, wie Wohnungen für die Allgemeinheit errichtet werden können, wenn der kapitalistische Verwertungszwang zurückgedrängt ist. So zeigt der Dokumentarfilm »Häuser für die Massen«, wie in Portugal nach der Nelkenrevolution 1974 die Mieter- und Stadtteilbewegung Teil eines allgemeinen gesellschaftlichen Aufbruchs wurde.

Auch die Senioren der Stillen Straße, die 2012 mit der Besetzung ihres von Schließung bedrohten Treffpunkts in Pankow für Aufmerksamkeit sorgten, sind Kooperationspartner der Ausstellung. Gemeinsam mit ihnen entwickelte das Londoner Architekturbüro »Assemble« die Installation Teilwohnung. So ist ein Wohnkomplex entstanden, der im Erdgeschoss kollektiv genutzte Gemeinschaftsräume und Werkstätten beherbergt. Die anderen Etagen sind den privaten Räumen der Bewohner vorbehalten. »Der Entwurf ermöglicht ein gemeinsames und zugleich selbstbestimmtes Wohnen von Menschen jeden Alters und stellt damit einen Gegenentwurf zu isolierten Wohnanlagen dar«, betont einer der Architekten.

In der einwöchigen Akademie will das Haus außerdem WissenschaftlerInnen, PraktikerInnen, KünstlerInnen und andere ExpertInnen aus unterschiedlichen Bereichen und Disziplinen zusammen bringen. Das Künstlertrio Lisa Schmidt-Colinet, Florian Zeyfang und Alexander Schmoeger beispielsweise dokumentiert die Geschichte des Wohnungsbaus in Kuba seit der Revolution. Im Zentrum stehen die aus Arbeitern bestehenden Microbrigaden, die mit von der Regierung mit Material ihre eigenen Wohnungen und daneben auch kommunale Gebäude wie Schulen und Krankenhäuser errichten.

Insgesamt stehen 18 Vorträge auf dem Programm. Andrej Holm spricht über »Staatsversagen und Marktekstase« auch das Auf und Ab der Berliner Mietskasernen wird beleuchtet.

In der Eröffnungsansprache benannte der Intendant des HKW, Bernd Scherer, die Faktoren, die die Verbreitung solcher menschenfreundlichen Alternativen behindern. »Wohnungen werden nicht nur gebaut, um darin zu wohnen, sondern um Geld anzulegen und mit den wachsenden Preisen und Mieten zu spekulieren«, benannte er eine Situation, die nicht nur in Berlin Mieter mit geringen Einkommen leidvoll erfahren.

Bis 14. Dezember. Die Akademie findet bis zum 28. Oktober statt. Haus der Kulturen der Welt, John-Foster-Dulles-Allee 10, 10557 Berlin. Programm und weitere Infos unter: www.hkw.de

https://www.neues-deutschland.de/artikel/988862.friede-den-protesthuetten-krieg-der-immobilienwirtschaft.html

Peter Nowak