»Ausbeutung wieder ein Thema«

Seit mehr als zwei Jahren kämpfen die ehemaligen Bauarbeiter des Einkaufszentrums Mall of Berlin um ihren Lohn. Über den aktuellen Stand sprach die Jungle World mit Clemens Melzer und Tinet Ergazina von der Berliner Sektion der Basisgewerkschaft Freie Arbeiterinnen- und Arbeiterunion (FAU).

Small Talk mit Clemens Melzer und Tinet Ergazina (FAU) von Peter Nowak

Sie haben den Bauinvestor Harald Huth verklagt. Warum?

Clemens Melzer: Wir verklagen nicht Huth persönlich, sondern eines seiner zahlreichen Unternehmen, die HGHI Leipziger Platz GmbH. Laut dem ­Arbeitnehmerentsendegesetz haftet der Auftraggeber wie ein Bürge für die Zahlung des tariflichen Mindestlohns an die Arbeitnehmer seiner Subunternehmen.

Warum klagen Sie erst jetzt?

Melzer: Am Bauprojekt war ein ganzes Geflecht von Unternehmen beteiligt. Die HGHI Holding GmbH beauftragte als Generalunternehmerin die Fettchenhauer Controlling und Logistic GmbH. Diese beauftragte als Subunternehmen unter anderem die Openmallmaster GmbH und die Metatec Fundus GmbH & Co. KG, für die unsere Mitglieder gearbeitet haben. Wir haben stets alle Akteure als verantwortlich benannt und in einem offenen Brief an die damalige Arbeitssenatorin Dilek Kolat auch auf die Rolle von Staat und Politik hingewiesen. Die Arbeiter haben zuerst die Subunternehmen verklagt und in acht von zehn Fällen Recht bekommen. Jedoch hat Metatec direkt nach dem Urteil Insolvenz angemeldet und Openmallmaster ist für das Gericht nicht mehr auffindbar.

Warum klagt eigentlich nur ein Bauarbeiter?

Tinet Ergazina: Die erste Klage ist schon fertig, weitere sind in Vorbereitung. Zwei Kollegen befinden sich in Berlin, die anderen arbeiten in anderen Ländern. Aber alle bestehen auf der Zahlung ihres Lohns.

Dieser Lohnkampf sorgt für große Aufmerksamkeit, trotzdem bekamen die Arbeiter ihr Geld nicht. Zeigen sich hier die Grenzen einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik?

Melzer: Nicht das Konzept einer kämpferischen Gewerkschaftspolitik stößt an seine Grenzen. Es ist der lange juristische Weg. Wenn sich in Zukunft Bauarbeiter in ­einem höheren Grad organisieren und es möglich wird, in Fällen von Lohnraub zu Arbeitskampfmaßnahmen zu greifen, dann wären langwierige Gerichtsprozesse gar nicht unbedingt notwendig. Die Frage ist doch, wie es sein kann, dass diese Arbeiter allen Widrigkeiten zum Trotz nicht aufgegeben haben? Auf der Baustelle wurden Hunderte Arbeiter extrem ausgebeutet. Die Arbeiter, die auf ihren Löhnen und schriftlichen Verträgen bestanden, wurden oft sofort gefeuert. Es gab einen fast unendlichen Nachschub an Arbeitern, die noch nichts über die Zustände wussten, und ein einzelner Arbeiter war leicht zu ersetzen. Das Beispiel der Arbeiter, die trotzdem nicht aufgegeben haben, zeigt, dass es auch unter diesen Umständen möglich ist, Widerstand zu leisten. Wenn andere daraus lernen, wird es in Zukunft einfacher sein.

Proteste vor der Mall of Berlin sind seltener geworden. Ist der Lohnkampf in der Linken kein Thema mehr?

Ergazina: Wo immer die FAU Berlin hingeht, werden unsere Mitglieder auf die »Mall of Shame« angesprochen. Es ist weiterhin ein großes Thema. Die große Unterstützung, die wir im Rahmen dieses Kampfes erfahren haben, zeigt, dass Lohnarbeit und Ausbeutung wieder ein Thema in der deutschsprachigen Linken sind. Gewerkschaftsneugründungen wie zuletzt die Basisgewerkschaft Unterbau an der Frankfurter Goethe-Universität und die Gefangenengewerkschaft GG/BO, aber auch der wilde Streik bei Daimler in Bremen und das Sick-out, die gezielten Krankmeldungen, bei mehreren Flug­gesellschaften dieses Jahr lassen darauf schließen, dass immer häufiger der Mut da ist, sich zu organisieren.

Small Talk von Peter Nowak

http://jungle-world.com/artikel/2016/49/55356.html

Noch immer kein Lohn

PROZESS Die rumänischen Bauarbeiter, die am Bau der Mall of Berlin beteiligt waren, kämpfen weiter

Am heutigen Freitag wird es um 11 Uhr im Raum 227 des Berliner Arbeitsgerichts um einen Lohnkampf gehen, der seit fast zwei Jahren andauert. Der rumänische Bauarbeiter Ovidiu Mindril will von einem Subunternehmen, über das er bei der Mall of Berlin beschäftigt war,
Lohn einklagen, der ihm vorenthalten wurde. In den letzten Monaten wurde über zehn Klagen von sieben Bauarbeitern vor dem  Arbeitsgericht verhandelt. Zwei Verfahren haben die Kläger verloren, weil das Gericht den Beteuerungen der Subunternehmer glaubte, die Arbeiter nicht zu kennen. Ein Verfahren ist noch offen. Obwohl die übrigen Verfahren von den Beschäftigten gewonnen wurden, kann
von einem Erfolg nicht gesprochen werden. Denn den entgangenen Lohn haben sie noch immer nicht erhalten. „In einem Fall meldete das Subunternehmen Insolvenz an, nachdem es zur Zahlung verurteilt worden war. Ein anderer Subunternehmer wird per Haftbefehl gesucht,
weil er eine Vermögensangabe verweigerte“, benennt Hendrik Lackus die Gründe dafür, dass die Arbeiter bisher leer ausgingen. Lackus ist bei der Basisgewerkschaft Freie Arbeiter Union (FAU) aktiv, die die Bauarbeiter seit 2014 unterstützt. Auch die Generalabnehmerin
der Mall of Berlin, Fettchenhauer Controlling & Logistic GmbH, hat mittlerweile Insolvenz angemeldet. Für die FAU steht jetzt der Investor, die Harald Huths HGHI GmbH, in der Verantwortung. In einem Brief wurde er von der Gewerkschaft aufgefordert, die ausstehenden Löhne zu zahlen. Sie beruft sich dabei auf die Generalübernahmehaftung, nach der der Investor für ausstehende Löhne haftet, wenn die Subunternehmen und die Generalübernehmerin nicht zahlungsfähig sind. Die Harald Huths HGHI GmbH hat bisher nicht auf die Forderung der FAU reagiert und ließ auch eine Anfrage der taz unbeantwortet.


aus Taz vom 10.6.2016

Peter Nowak