Hitlers Gegner, Stalins Opfer

In Berlin wurde erstmals der deutschen Kommunisten und Sozialisten gedacht, die der stalinistischen Verfolgung in der UdSSR zum Opfer fielen.

»Mein Großvater hatte ein typisch kommunistisches Schicksal«, sagt Oswald Schneidratus. »SPD, USPD, Spartakus, Strafbataillon vor Verdun, KPD, Republik der Wolgadeutschen, Studium in Moskau, als Architekt Neugestaltung Moskaus 1933 bis 1935, bei Stalin in Ehren empfangen. 1936 als Oberstleutnant nach Spanien, 1937 erschossen in Butowo bei Moskau.« Mit diesen Worten skizzierte er in der vergangenen Woche auf dem Rosa-Luxemburg-Platz in Berlin die politische Biographie seines Großvaters.

Dort gedachten Angehörige und Freunde der in Deutschland geborenen Kommunisten und Sozialisten, die den Nazis entkommen konnten und dann in der Sowjetunion der stalinistischen Verfolgung zum Opfer fielen. Schneidratus’ Großvater gehörte dazu. Sein Name war einer von 750, die während der knapp einstündigen Gedenkveranstaltung verlesen wurden. Damit wurde erstmals öffentlich an ein Datum erinnert, das für die stalinistische Verfolgung eine große Bedeutung hat: Am 25. Juli vor 75 Jahren begann mit dem NKWD-Befehl 00439 auf Anordnung Stalins und seines Geheimdienstchefs die sogenannte Deutsche Operation. In der UdSSR lebende Deutsche wurden unter den Generalverdacht profaschistischer Spionage gestellt. Die Operation war Teil der als »großer Terror« bekannten Verfolgungen der Jahre 1937/38.

Viele Überlebende gingen in den Fünfzigern in die DDR, wo sie den Verfolgten des Nationalsozialismus rechtlich gleichgestellt wurden, aber in der Öffentlichkeit nicht von der Verfolgung in der UdSSR reden sollten. Viele Überlebende und Angehörige blieben bis zum Schluss überzeugte Verteidiger des Realsozialismus. Sie wollten schon deshalb nicht über die Verfolgungen unter Stalin sprechen, weil sie den Gegnern im Kalten Krieg nicht in die Hände spielen wollten.

Immer noch fällt es vielen Betroffenen schwer, an die Öffentlichkeit zu gehen. »Einige Angehörige wollten nicht, dass die Namen ihrer ermoderten Verwandten verlesen werden, und das haben wir auch akzeptiert«, sagt Hans Coppi der Jungle World. Er ist Mitglied im Arbeitskreis zum Gedenken an die in der sowjetischen Emigration verfolgten, deportierten und ermordeten deutschen Antifaschisten bei der Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten (VVN-BdA). Nach mehreren Veranstaltungen war die öffentliche Ehrung ein weiterer Schritt, um die damaligen Ereignisse öffentlich zu machen. In der nächsten Zeit soll eine Ausstellung über die Verfolgung in der Sowjetunion konzipiert werden. Mittlerweile hat der Arbeitskreis auch angeregt, einen Gedenk­ort einzurichten. Am Karl-Liebknecht-Haus, der früheren Zentrale der KPD und dem derzeitigen Sitz der Linkspartei, soll eine Gedenktafel mit der Inschrift angebracht werden: »Ehrendes Gedenken an Tausende deutsche Kommunisten und Antifaschisten, die in der Sowjetunion zwischen den 1930er und 1950er Jahren willkürlich verfolgt, entrechtet, in Straflager deportiert, auf Jahrzehnte verbannt und ermordet wurden.« Der Historiker Wladislaw Hedeler hält die Wahl des Gedenkorts für richtig, weil viele der später Ermordeten mit Billigung des KPD-Zentralkomitees in die UdSSR gingen.

Es war sicher auch der Lage des Termins im Sommer geschuldet, dass die Angehörigen auf der Gedenkveranstaltung überwiegend unter sich blieben. Dabei haben sich in den vergangenen Jahren auch jüngere, antifaschistische und antinationale Linke mit dem Stalinismus befasst. Die Leipziger Initiative gegen jeden Extremismusbegriff hat im Unrast-Verlag unter dem Titel »Nie wieder Kommunismus?« ein Buch mit zwölf Aufsätzen zur Kritik an Stalinismus und Realsozialismus herausgegeben. Auch der kürzlich im Verlag Buchmacherei von Philippe Kellermann herausgegebene Band »Gespräche über die Geschichte und Gegenwart der sozialistischen Bewegungen« widmet sich dem Stalinismus und seiner Vorgeschichte. Mit dem Arbeitskreis bei der VVN eint die Autoren beider Bücher ihre Kritik am Stalinismus ohne Bezugnahme auf die Totalitarismus­theorie und ihre Weigerung den Kapitalismus zu verteidigen.
http://jungle-world.com/artikel/2012/31/45968.html
Peter Nowak

Eine Liste mit 750 Namen erinnert an die Opfer

GEDENKEN Vor 75 Jahren begann Stalins Terroraktion gegen deutsche Kommunisten in der UdSSR

Am heutigen Mittwoch gedenken AntifaschistInnen am Rosa-Luxemburg-Platz der Opfer des Stalinismus. Ab 11 Uhr sollen insgesamt 750 Namen von Menschen verlesen werden, die entweder als KommunistInnen und SozialistInnen oder als SpezialarbeiterInnen beim Aufbau der Sowjetunion mithelfen wollten und in die Mühlen des stalinistischen Terrors gerieten.

Am 25. Juli 1937 begann mit dem NKWD-Befehl Nr. 00439 auf Anordnung Stalins und seines Geheimdienstchefs die sogenannte Deutsche Operation. In der UdSSR lebende Deutsche wurden unter den Generalverdacht profaschistischer Spionage- und Diversionstätigkeit gestellt. Die Aktion war Teil der als Großer Terror in die Geschichtsbücher eingegangenen Verfolgungen der Jahre 1937/38. Viele Überlebende gingen in den 1950er Jahren in die DDR, wo sie den Verfolgten des Naziregimes rechtlich gleichgestellt wurden, aber in der Öffentlichkeit nicht über die Verfolgung sprechen sollten.

„Mit der Gedenkaktion zum Jubiläum wird das erste Mal in Berlin öffentlich der namenlosen deutschen Opfer des Großen Terrors in der Sowjetunion gedacht“, betont Hans Coppi vom Arbeitskreis zum Gedenken an die in der sowjetischen Emigration verfolgten, deportierten und ermordeten deutschen Antifaschisten bei der Berliner VVN-BdA. Der Arbeitskreis wurde vor zwei Jahren von Angehörigen der Opfer initiiert und hat bisher mehrere Veranstaltungen organisiert. An der Gedenkaktion soll mit dem 92-jährigen Frido Seydewitz einer der letzten Überlebenden der stalinistischen Verfolgung teilnehmen.

Nicht alle Angehörigen gaben jedoch ihre Zustimmung zur Verlesung der Namen. „Manche waren sich unsicher, ob ihre betroffenen Verwandten damit einverstanden gewesen wären“, berichtet Coppi. „Andere befürchteten, antisowjetischen Stimmungen Rechnung zu tragen.“ Einige unverbesserliche Stalinfans hätten die VeranstalterInnen telefonisch beschimpft.

Unbeeindruckt davon bereitet der Arbeitskreis eine Ausstellung über die Opfer des Stalinismus vor. Zudem will er vor dem Karl-Liebknecht-Haus, der ehemaligen KPD- und heutigen Linkspartei-Zentrale, am Rosa-Luxemburg-Platz einen Gedenkort für sie schaffen.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2012%2F07%
2F25%2Fa0140&cHash=52d77d4abd

Peter Nowak