Geht der Protest gegen Stuttgart 21 weiter?

Protestaktionen am Samstag werden unterschiedlich bewertet; Wahlkampf in Baden-Württemberg dominiert das Thema

Die erste zentrale Protestaktion gegen Stuttgart 21 nach Ende der Schlichtung weckte ein großes Medieninteresse. Würde die Bewegung wieder an Fahrt aufnehmen oder hat sie ihren Zenit überschritten? Diese Fragen konnten am Samstag nicht endgültig beantwortet waren. Denn schon die Angaben über die Teilnehmerzahlen waren denkbar unterschiedlich.

Während die Polizei von lediglich 16.000 Demonstranten sprach, was eine Niederlage wäre, sprechen die Protestorganisatoren von ungefähr 50.000 Demonstranten, was angesichts der winterlichen Verhältnisse ein Erfolg wäre. Zu der Demonstration wurde bundesweit aufgerufen; Busse kamen sogar aus Berlin und dem Ruhrgebiet.

Zu den Rednern gehörte die verkehrspolitische Sprecherin der Linken Sabine Leidig, der grüne Oberbürgermeister von Tübingen Boris Palmer und der langjährige SPD-Politiker Peter Conradi, der allerdings im Gegensatz zu seiner Partei langjähriger Gegner des Projekts S21 ist. Wie er haben zahlreiche Sozialdemokraten aus Südwestdeutschland ihren Unmut über die Parteilinie ausgedrückt und wenige Monate vor der Wahl die Krise in der SPD noch verschärft.

Während die SPD mit einer Volksbefragung in Baden-Württemberg S21 durchsetzen will, fordern nun Sozialdemokraten eine Mitgliederbefragung über das Bahnhofsprojekt. Die Union sieht denn auch vor der Landtagswahl die Grünen als wichtigsten Konkurrenten. Schließlich gab es vor einigen Wochen noch Umfragen, die sie als stärkste Partei sah. Doch nach der Schlichtung, die im Ergebnis die Landesregierung stärkte, will die CDU vor allem ihre eigene Basis wieder einfangen. Während die Grünen offen lassen, ob sie bei einer Regierungsbeteiligung Stuttgart 21 stoppen können, versucht sich die Linke als konsequentere Gegnerin des Projekts zu profilieren. Die Landesregierung versucht die neuen Proteste als Wahlkampfshow von Grünen und Linken abzuqualifizieren.

Wie mit dem Schlichterspruch umgehen?

Der Umgang mit dem Schlichterspruch von Heiner Geißler, der eigentlich ein „S21 plus“ bedeutet, spielte natürlich auch auf der Demonstration eine große Rolle. Die Reaktionen schwankten zwischen zähneknirschender Akzeptanz und Ablehnung.

Viele S21-Gegner lobten die Schlichtung als Lehrstück der Demokratie, der Spruch aber habe dann doch gezeigt, dass alles beim Alten bleibe. Palmer gibt nun eine neue Linie vor. Das Projekt würde sich von selber erledigen, denn die von Geißler vorgeschlagenen Nachbesserungen seien nicht durchzuführen, machte der Grüne den Demonstranten Mut.

In diese Richtung gehen zahlreiche Initiativen. So fordert das „Netzwerk Privatbahnen“ einen Stop von S21. Andere Projektkritiker halten den im Schlichterspruch vorgesehenen zusätzlichen Gleise bei einem nicht bestandenen Stresstest für unmöglich, andere halten zusätzliche Schienen nur nach einem neuen Planfeststellungsverfahren möglich.

Jenseits dieser strittigen Details haben die erneuten Proteste auch gezeigt, dass der Wahlkampf in Baden-Württemberg eine wichtige Rolle spielt. Wer dabei der Gewinner sein wird, ist noch völlig unklar. Sicher ist nur, ein Triumpf der Union würde als Bestätigung von S21 interpretiert und Geißler wäre der Retter des Projekts.
 
http://www.heise.de/tp/blogs/8/148924

Peter Nowak

Arbeitskämpfe in China

Die Berliner IG Metall informiert über das Reich der Mitte

So viele Arbeitskämpfe wie derzeit in China gibt es nirgends. Gewerkschafter diskutierten in Berlin, wie der Kontakt zu den Arbeitern dort verbessert werden kann.
Von der Wirtschaftsmacht China ist medial viel die Rede. Dass dort mittlerweile weltweit die meisten Arbeitskonflikte stattfinden, dürfte weniger bekannt sein. Deshalb war der Saal des IG-Metall-Verwaltung in Berlin schnell überfüllt, als am 7. Dezember über die Frage diskutiert wird, was die Arbeitskämpfe in China mit hiesigen Gewerkschaftern zu tun haben. Die Veranstaltung fand im Rahmen einer Ausstellung statt, die noch bis Ende Dezember im Erdgeschoss des IG-Metallhauses zu sehen ist. Dort wurde das Pekinger Museum der Wanderarbeiter nachgebaut und ihr alltägliches Leben geschildert.

Die mittlerweile mehr als 225 Millionen Menschen, die aus den ländlichen Regierungen zur Arbeit in die Stätte kommen, stehen an der Spitze der Konflikte um Lohn und bessere Arbeitsbedingungen. Ein Höhepunkt war ein mehrtägiger Streik, in einer Getriebefabrik der Hondawerke in der Stadt Foshan, der im Mai 2010 mehrere Montagewerke zum Stillstand brachte. Der langjährige Bochumer Opel-Betriebsrat Wolfgang Schaumberg, der erst vor wenigen Wochen von einer mehrwöchigen Chinareise zurückgekehrt ist, betonte, dass dieser größte Streik in einem internationalen Autokonzern in China für die Beschäftigten zu beträchtlichen Lohnerhöhungen geführt hat. Das trifft sich mit den Interessen der chinesischen Regierung, die zur Ankurbelung der Binnennachfrage eine Politik der Lohnerhöhungen propagiert. Schaumberg sieht auch eine Neuorientierung bei den chinesischen Gewerkschaften. Dort werde zunehmend erkannt, dass die traditionellen Gewerkschaften kaum Einfluss auf die Belegschaften hatten. Darum würden in Fabriken mancher Provinzen Arbeiterkomitees als Gesprächspartner anerkannt.

Ralf Ruckus, Experte für soziale Bewegungen in China und Buchautor, sieht diese Entwicklung sehr kritisch. Mit dieser Anerkennung wollen Wirtschaft und Politik die Bewegung wieder integrieren. Ruckus betonte, dass bei den Auseinandersetzungen in den Fabriken die chinesischen Gewerkschaften keine Rolle spielten. Deshalb hält er Gespräche auf Gewerkschaftsebene für überflüssig. Stattdessen propagierte er direkte Kontakte mit chinesischen Arbeitern. Dieser Vorschlag dürfte allerdings aus finanziellen und kulturellen Gründen kaum Chancen auf Verbreiterung haben. Schaumberg sprach sich ebenso wie der Koordinator des Projekts »Arbeitswelten Deutschland China« Peter Franke für Kontakte zu den chinesischen Partnern auf verschiedenen Ebenen aus. Sowohl bei den Gewerkschaften als auch bei den Nichtregierungsorganisationen seien Strömungen zu finden sind, die sich für die Rechte der Beschäftigten einsetzen. Daher hält er eine Kooperation mit unterschiedlichen Akteuren für sinnvoll. Dazu zählt Franke neben Stadtteilgruppen auch Gewerkschaften und Regierungsvertreter.

Als ein negatives Beispiel führte Schaumberg ein Gespräch zwischen zwei deutschen Gewerkschaftern an, die auf einer Delegationsreise die Befürchtung äußerten, China könne mit seiner hohen Einwohnerzahl die internationale Gewerkschaftsvereinigungen dominieren. Für Schauberg stellte sich dagegen die Frage, wie künftige Kämpfe unterstützt werden können. Die Möglichkeiten, bei deutschen Firmen zu intervenieren, die in China investieren, wurden auf der Veranstaltung jedoch nicht erwähnt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/186122.arbeitskaempfe-in-china.html

Peter Nowak

„Nationale Bürgerbewegung Berlin“ marschiert

Berlin – Am späten Freitagabend zogen etwa 25 Neonazis mit Fackeln und einem Transparent mit der Parole „Rassenkampf statt Klassenkampf“ durch den Berliner Stadtteil Moabit.

An einer U-Bahnstation löste sich der Aufmarsch nach knapp 30 Minuten gegen 22.30 Uhr dann auf. Im Anschluss feierten sich die Organisatoren im Internet und verdoppelten die Teilnehmerzahl der für die Berliner Polizei überraschenden Aktion. „Unter dem Lied ‘Ein junges Volk steht auf‘ und einem weiteren ungenannten Lied liefen die nationalen Kräfte kämpferisch die Straße hinunter und zeigten auch vor Ort, dass man sich von Ausländerbanden und Rotfrontgesindel nicht unterkriegen lassen sollte“, heißt es auf der Homepage der „Nationalen Bürgerbewegung Berlin“.

Das ist eines der Label, unter denen Neonazis auftreten, die bis zur ihrer Selbstauflösung im September 2010 als „Freie Nationalisten Mitte“ (FN) firmierten. Auch unter dem Namen „Nationale Befreiungsfront Berlin“ sind sie seit Mitte November im Internet aufgetreten.

Der nächtliche Aufmarsch war ihr erster öffentlicher Auftritt nach der Umbenennung. Dafür haben sie bewusst ein Gebiet mit einem großen Anteil migrantischer Bewohner ausgewählt. Mittlerweile hat die Berliner Polizei Ermittlungen wegen Volksverhetzung aufgenommen.

http://www.bnr.de/content/ae-nationale-buergerbewegung-berlin-ae-marschiert

Peter Nowak

Grüner nimmt Buchläden in Schutz

PROZESS Erstmals werden jetzt linke Buchhändler angeklagt wegen des Inhalts von Schriften, die sie verkaufen. Solche Prozesse gefährden die offene Diskussion, kritisiert der grüne Abgeordnete Dirk Behrendt
Die juristischen Ermittlungen gegen linke Berliner Buchläden haben jetzt auch das Abgeordnetenhaus beschäftigt. Der rechtspolitische Sprecher der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus Dirk Behrendt wollte vom Senat Einzelheiten zu den Ermittlungsverfahren wissen. In der Antwort auf die Kleine Anfrage bestätigte Justizsenatorin Gisela von der Aue (SPD), dass seit dem 1. Januar vier Verfahren gegen BuchhändlerInnen erhoben worden sind – wegen des Vorwurfs des Verstoßes gegen Paragraf 130 a des Strafgesetzbuches, der die „Anleitung zu Straftaten“ sanktioniert.

Gegenstand der Verfahren seien Druckerzeugnisse wie die autonomen Publikationen Interim und Prisma, die bei polizeilichen Durchsuchungen in den Buchläden beschlagnahmt worden seien. Dabei gehe es unter anderem um den Aufruf zu Straftaten gegen öffentliche Gelöbnisse der Bundeswehr, so die Senatorin.

Der erste Prozess beginnt diese Woche: Eine Mitarbeiterin des Buchladens Oh 21 bestätigte der taz, dass ihre Verhandlung am 8. Dezember um 11.30 Uhr am Berliner Amtsgericht eröffnet wird.

Für den rechtspolitischen Sprecher der Grünen ist dieses juristische Vorgehen gegen die Verkäufer umstrittener Schriften grundsätzlich kritikwürdig. Zwar sei gegen die Beschlagnahme von Schriften mit strafbarem Inhalt nichts zu sagen. „Etwas anderes ist allerdings die Strafverfolgung der Buchhändler. Werden diese in Zukunft verfolgt, müssten sie ihr gesamtes Sortiment kennen und strafrechtlich einschätzen, was kaum möglich ist“, so Behrendt. Er befürchtet, dass viele die Hände von kritischen Texten lassen, denn die Einschätzung, ob etwas strafbar ist, könne ja durchaus differieren. „Durch dieses Verhalten wird womöglich auf den Vertrieb von bedenklichen Texten verzichtet, was eine offene Auseinandersetzung behindert“, befürchtet er.

Aufruf im Internet

In einem Solidaritätsaufruf ruft die Kampagne „Unzensiert lesen“ zu sofortiger Einstellung aller Verfahren gegen die BuchhändlerInnen mit einer ähnlichen Begründung auf. „Es geht um die Legitimität von Opposition. Darüber wird nicht in juristischen, sondern in politischen Auseinandersetzungen entschieden“, heißt es in einem Aufruf, der online unter www.unzensiert-lesen.de unterzeichnet werden kann.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2010%2F12%2F06%2Fa0144&cHash=21da2dd7f7

 PETER NOWAK

Aus den Fabrikhallen dieser Welt

Neues kanal B-Video über Arbeitskämpfe in Indien
Ein neues Video thematisiert die Kämpfe indischer Automobilarbeiter im Industriegürtel von Delhi.

»Wir stellen Teile für Maruti her. Ohne uns kann das Auto nicht produziert werden.« Der junge Inder klingt sehr selbstbewusst. Er lebt mit zwei Arbeitskollegen in einer kleinen Wohnung am Rande der indischen Metropole Delhi und verdient monatlich umgerechnet 85 Euro. Porträtiert wird er in dem Video »Die Strategie der Strohhalme«. Die Berliner Filmemacherin und Mitbegründerin des Videokollektivs »kanal B« Bärbel Schönafinger beschäftigt sich in dem knapp einstündigen Film mit der Ausbeutung und dem Widerstand im Industriegürtel von Delhi.

 Zu Wort kamen Beschäftigte, die wegen der miserablen Lebensbedingungen aus den Dörfern in die Großstadt kamen. Eine 17-Jährige hat sogar ihr Alter nach oben korrigiert, um den begehrten Arbeitsplatz zu bekommen. Die 65 Euro, die sie monatlich verdient, schickt sie in ihr Dorf – an ihre Familie, die darauf angewiesen ist. Allein im Industriegürtel von Delhi arbeiten mittlerweile vier bis fünf Millionen Menschen. Sie ruinieren ihre Gesundheit für Löhne, die kaum das Überleben ihrer Familien sichern und schaffen so die Grundlagen für den Aufstieg Indiens zu einer der stärksten Wirtschaftsmächte der Welt. Doch anders als im Fall von China, dem großen Konkurrenten beim Aufstieg, werden die Arbeitsbedingungen in Indien bisher wenig thematisiert. Daher ist dem Video eine große Aufmerksamkeit zu wünschen.

Denn Schönafinger zeigt nicht nur die Ausbeutung, sondern auch die Organisierungsversuche der Beschäftigten. Selbst der 17-jährigen Jungarbeiterin ist die Gewerkschaft »Einheit« bekannt. Einer ihrer Kollegen vergleich sie mit einem Nest aus Strohhalmen, das den Einzelnen auffängt und schützt. Diese Metapher ging in den Titel des Videos ein.

In den Gesprächen machen die Arbeiter deutlich, dass sie sich ihrer Macht bewusst sind. Als während der Fabrikkämpfe im Jahr 2009 die Produktion im Industriegürtel von Delhi stockte, kamen bald auch die Fließbänder von General Motors in verschiedenen US-Werken zum Stehen. Denn die indischen Billiglohnklitschen gehören zur Lagerhalle der weltweiten Automobilindustrie. Die Beschäftigten fordern eine Selbstverwaltung auch in der Gewerkschaft. Deswegen haben sie auch Probleme mit einer der großen indischen Gewerkschaften, die Plakate der Arbeiter entfernen wollte, weil dort das Organisationslogo nicht verzeichnet war. Jawah, ein kommunistischer Gewerkschafter, berichtet über den blutig niedergeschlagenen Generalstreik in der indischen Stadt Faridabad im Jahr 1979. Die Zahl der erschossenen Arbeiter ist bis heute nicht bekannt. Nach der Zerschlagung der Arbeiterorganisationen wurde dort gewaltsam die Leiharbeit durchgesetzt, berichtet der Gewerkschafter. Um zu verhindern, dass die proletarische Unruhe in Delhi ebenfalls unterdrückt wird, bedarf es der weltweiten Aufmerksamkeit und Solidarität. Dazu leistet das Video einen wichtigen Beitrag.

kanal B Ausgabe Nr. 35: Die Strategie der Strohhalme – Proletarische Unruhe im Industriegürtel von Delhi, 58 Min, 10 Euro, bestellen, herunterladen oder ansehen unter: kanalb.org/editions.php

http://www.neues-deutschland.de/artikel/185567.aus-den-fabrikhallen-dieser-welt.html

Peter Nowak

Ruhe auf dem Campus

Zehntausende Studierende demonstrieren gegen das Kürzungsprogramm der Regierung. Solche Bilder kamen in den letzten Tagen aus Italien und Großbritannien. Auch in Österreich sind vor einigen Wochen in verschiedenen Städten Kommilitonen auf die Straße gegangen. Nur in Deutschland herrscht Ruhe auf dem Campus, und auch für Sozialproteste sind die Studierenden zurzeit nicht mehr zu begeistern als die übrige Bevölkerung. Das zeigte sich am 26. November in Berlin. Obwohl an den Hochschulen für die Proteste gegen das Sparpaket der Bundesregierung mobilisiert wurde, beteiligten sich an der Bundestagsbelagerung fast nur die Mitglieder des Studierentenverbandes Die Linke.sds. Vor einem Jahr sah das Bild noch ganz anders aus. Anlässlich des Bildungsstreiks gab es zahlreiche Demonstrationen, und viele Hochschulgebäude in der ganzen Republik waren besetzt.

Der AStA der Wolfgang-Goethe-Universität in Frankfurt am Main erinnerte dieser Tage mit einer Pressemitteilung an die Bildungsproteste vor einem Jahr. Doch dabei handelt es sich um eine nachträgliche Distanzierung. »Es ist schade, dass die wichtigen Inhalte der Protestbewegung durch die Casino-Besetzung überschattet wurden (…) Wir dürfen nicht mehr zulassen, dass eine notwendige Diskussion über Studienbedingungen durch eine unglückliche Aktion überdeckt wird«, heißt es in der Erklärung des AStA. Dabei hatte die Casino-Besetzung viel Unterstützung nicht nur von Studierenden, sondern auch von Seiten kritischer Wissenschaftler erfahren. Die polizeiliche Räumung und die versuchte Kriminalisierung der Aktivisten führten zu einer bundesweiten Solidarisierung.

Es war wesentlich den mehrjährigen studentischen Protesten in Hessen zu verdanken, dass in Hessen die Studiengebühren zurückgenommen wurden, als es eine parlamentarische Mehrheit dafür gab. Auch die schwarz-gelbe Landesregierung hat die Unimaut bisher nicht wieder eingeführt. Studentischer Protest kann also durchaus erfolgreich sein.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/185560.ruhe-auf-dem-campus.html

Peter Nowak

Kunst und Arbeitswelt

Das »Potosi-Prinzip« im Haus der Kulturen

Von außen sieht es aus, als hätte sich in der kleinen Kammer jemand häuslich eingerichtet. Über dem Bett hängen Fotos, in einer Ecke steht ein Fernsehgerät. Der Raum ist eine Unterkunft chinesischer Wanderarbeiter. Die Installation ist Teil des im Erdgeschoss der Berliner IG-Metall-Ortsverwaltung nachgebauten Pekinger Museums der Wanderarbeiter. Dort wird die knapp 30jährige Geschichte der chinesischen Wanderarbeiter auf Bildtafeln, aber auch mit vielen Fotos und Utensilien, anschaulich dargestellt. Dazu gehören extra für die Wanderarbeiter gedruckte Zeitungen ebenso wie die verschiedenfarbigen Aufenthaltsgenehmigungen. Einige Exponate widmen sich der Kultur der Wanderarbeiter in mehreren Generationen. Die Jugendlichen spielen in Bands, die in ihren Texten auf ihre speziellen Probleme eingehen. Auf zahlreichen Fotos wird die Achtung vor der Arbeit beschworen. Die Ausstellung macht deutlich, dass die Wanderarbeiter in China keine vergessene Minderheit mehr sind. Mittlerweile hat die chinesische Politik erkannt, dass sie deren Probleme nicht mehr ignorieren kann. Das im Mai 2008 eröffnete Museum der Wanderarbeiter wäre ohne die Unterstützung durch die offizielle Politik nicht möglich gewesen.

 Das war nicht immer so. Noch am 17. März 2003 ist ein studentischer Wanderarbeiter von der chinesischen Polizei totgeprügelt worden, weil seine Papiere nicht in Ordnung waren. Die vom Arbeitskreis Internationalismus der Berliner IG-Metall organisierte Ausstellung macht deutlich, dass das viel gerühmte chinesische Wirtschaftswunder auf der Arbeitskraft der Wanderarbeiter beruht. Auch viele der bei uns so beliebten Videokameras und Computer wurden von ihnen hergestellt. Auf diese Aspekte wird in mehreren Begleitveranstaltungen hingewiesen.

Die Kisten, mit denen die Utensilien des chinesischen Wanderarbeitermuseums nach Berlin transportiert wurden, befinden sich im Haus der Kulturen der Welt (HdKdW). Sie sind Teil der von Alice Creischer, Max Jorge Hinderer und Andreas Siekmann kuratierten Ausstellung »Das Potosi-Prinzip«. Benannt ist sie nach der bolivarischen Stadt Potosi, im 17. Jahrhundert eine der größten Städte der Welt. Der massive Transport von Silber und Gold aus Lateinamerika nach Europa sorgte damals für einen Akkumulationsschub. Weniger bekannt ist, dass zu dieser Zeit auch Tausende von Bildern nach Europa exportiert wurden, mit denen die Verbreitung der christlichen Religion in Lateinamerika gefeiert wurde.

Im HdKdW sind einige dieser Bilder zu sehen. 25 zeitgenössische Künstler haben sich in ihren Arbeiten mit dem Verhältnis von Christianisierung, Ausbeutung der Arbeitskraft und ursprünglicher Akkumulation auseinandergesetzt. Eine Broschüre dient den Besuchern als Leitfaden für den Gang durch die komplexe Ausstellung. Während im HdKdW die Geburt des europäischen Kapitalismus künstlerisch bearbeitet wird, dokumentiert die Berliner IG-Metallverwaltungsstelle die Geburt einer neuen Arbeiterklasse.

Haus der Kulturen der Welt, John-Forster-Dulles-Allee 10, Mi.-Mo.: 11-19 Uhr, IG-Metall, Jakobstr. 149, Mo.-Do.: 9-18 Uhr, Fr.: 9-15 Uhr.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/185504.kunst-und-arbeitswelt.html

Peter Nowak

Wie weiter nach dem Schlichterspruch zu Stuttgart 21?

Aus „Stuttgart 21″soll ein „Stuttgart 21 Plus“ werden. Das hat Heiner Geißler in seinem Schlichtungsspruch zum Projekt Stuttgart 21 erklärt
Der ehemalige CDU-Generalsekretär will das Projekt baulich attraktiver, umweltfreundlicher, behindertenfreundlicher und sicherer machen. So sollen für seltene Tiere in dem neuen, ökologisch vorbildlichen Stadtviertel „große Schotterflächen“ angelegt werden. Außerdem darf für den Tiefbahnhof kein gesunder Baum im Schlossgarten mehr gefällt werden. Freiwerdende Grundstücke sollen in eine Stiftung eingebracht werden, um eine Spekulation zu verhindern. Zudem hat Geißler der Bahn die Hausaufgabe aufgegeben, einen „Stresstest“ in Auftrag zu geben, mit dem nachgewiesen werden sol, dass der neue Tiefbahnhof mit dem dazugehörigen neuen Gleisnetz um 30 Prozent leistungsfähiger ist, als der bestehende Bahnhof. Dass wird die Bahn sicher bewerkstelligen, fragt sich nur, wie lange es dauert. 
   Eine Überraschung war der Schlichterspruch nicht. Hatte er doch schon vor einigen Tagen deutlich gemacht, dass sein Vorschlag das Projekt nicht stoppen werde. Ein offener Brief bekannter S21-Gegner konnte daran selbstverständlich nichts mehr ändern.

Einen Volksentscheid hatte er mit der Begründung abgelehnt, dass sich der Landtag von Baden-Württemberg dagegen ausgesprochen hatte. Damit hat sich Geißler allerdings selber politisch verortet. Denn nicht der Landtag, sondern die Mehrheit aus Union und FDP hatte sich dagegen ausgesprochen. Es ist genau die Mehrheit, die auch das Projekt Stuttgart 21 verteidigt.

 CDU und FDP sind mit dem Schlichter zufrieden

Die Befürworter einer Volksbefragung finden sich allerdings nicht nur bei den Grünen, die als einzige Parlamentsfraktion gegen das Projekt ist, sondern auch bei der SPD. Sie hofft, dass die Befürworter des Projekts bei einer Befragung gewinnen könnten. Die SPD will mit ihrer Position pro Volksbegehren natürlich auch aus ihrer unkomfortablen Lage herauskommen, in die sie sich manövriert hat. Schließlich gehörte die SPD zu den stärksten Befürwortern des Bahnprojekts, will aber die Landesregierung mit den Grünen bei den nächsten Wahlen ablösen. Deren Spitzenpolitiker haben schon erklärt, dass sie einen Stopp des Projekts nach dem Wahlen nicht versprechen können. Allerdings dürfte die Bahnhofsfrage bei möglichen Koalitionsgesprächen ein großer Stolperstein sein.

Eine Volksbefragung käme dann beiden Parteien gelegen Spricht sich eine Mehrheit für Stuttgart 21 aus, was bei einer landesweiten Befragung durchaus denkbar ist, können die Grünen ihrer Basis vermitteln, warum sie das Projekt bei einer Regierungsbeteiligung akzeptieren. Siegen die Gegner, kann die SPD ohne Gesichtsverslust von ihrer langjährigen Pro-S21-Position abrücken.

Tatsächlich hätte in dieser Frage eine Volksbefragung die beruhigende Wirkung, die manche der unverbindlichen Schlichtung gerne zuzuschreiben wollen, die sie aber nicht hat. Allerdings gibt es bei der Frage des Volksbegehrens natürlich noch viele offene Fragen zum Prozedere. Soll nur in Stuttgart und Umgebung oder im ganzen Land abgestimmt werden? Dass sich Geißler um solche Fragen gar nicht gekümmert hat, sondern eine Volksbefragung gleich ganz ausschloss, machte ihn zum Joker der Stuttgart21-Befürworter. Die standen nach den Massenprotesten des Frühherbstes und vor allem nach dem bundesweit vielkritisierten Polizeieinsatz gegen die Demonstranten mit dem Rücken zur Wand. Deshalb ist es für sie ein Erfolg, dass das Projekt nun sogar noch erweitert werden soll. Daher gehört die die FDP im Landtag von Baden-Württemberg jetzt zu den großen Verteidigern von Geißler und auch die CDU ist mit ihren Parteifreund wieder einmal sehr zufrieden.

Deswegen erklärte der Baden-Württembergische Ministerpräsident Mappus sofort, den Schlichterspruch zu akzeptieren, die von Geißler vorgeschlagenen Modifikationen vornehmen zu wollen und dann gleich die Grünen mit in die Verantwortung zu nehmen, indem er sie aufforderte, die dadurch nötig werdenden Mehrausgaben mit zu unterstützen.

Da Mappus klar ist, dass die Grünen vor den Wahlen politischen Selbstmörder wären, wenn sie darauf eingingen, hat er damit schon deutlich gemacht, wie die Landesregierung künftig argumentieren wird. Sie hat das Ergebnis der Schlichtung akzeptiert und damit zur Befriedung eines schwelenden Konflikts beigetragen. Die Gegner aber haben sich nicht nur mit dem parlamentarischen Prozedere nicht abgefunden, sondern protestieren auch nach der Schlichtung weiter. Nun können sie noch mehr als „Dagegen-Partei“ hingestellt werden.

Auf diese Lesart haben sich die führenden Koalitionspolitiker nicht nur in der Landesregierung von Baden-Württemberg, sondern auch der Bundesregierung schon länger verständigt. Schließlich hat die Bundeskanzlerin im Bundestag das Projekt Stuttgart 21 schon vor Wochen auch zur Sache der Bundesregierung erklärt. Das haben ihr viele als großen politischen Fehler angekreidet. Doch ob sie damit richtig liegen, dürfte sich erst am Wahlabend von Baden-Württemberg zeigen. Tatsächlich dürften vor allem bürgerliche Stuttgart-21-Gegner, und die sind zahlreich, nach dem Schlichterspruch eher wieder bereit zur Stimmabgabe für Union und FDP bereit zu sein. Schließlich bekamen selbst am Höhepunkt der bundesdeutschen Anti-Pershing-Bewegung 1982 Union und FDP eine Mehrheit, obwohl in Umfragen die Gegner des Raketenprojekts die Mehrheit hatte.

Die Grünen eröffnen mit der Parole Jetzt müssen die Bürger entscheiden den Landtagswahlkampf in Baden Württemberg. Während sich die Grünen mit direkter Kritik an Geißler zurückhalten, hat er in den Augen der Landes-SPD eine Chance versäumt, eine Brücke für beide Seiten zu bauen, will aber die vorgeschlagenen Veränderungen mittragen.

Neue Proteste angekündigt

Die S21-Gegner, die das Projekt begraben wollten, sind nun mit einem S21-Plus a la Geißler bestimmt nicht zufrieden. Allerdings scheint man sich noch nicht auf eine einheitliche Linie geeinigt zu haben.

So veröffentlichte das Aktionsbündnis gegen S21 eine konfuse Erklärung, in der die Schlichtung als Fortschritt bezeichnet und Geißler für seine Bemühungen gedankt wird. Dort klopfen sich die Aktivisten selber auf die Schultern dafür, der Bahn Zugeständnisse abgetrotzt zu haben. Daraus könnte man schließen, die S21-Gegner hätten sich mit dem Schlichterspruch abgefunden. Doch der Eindruck täuscht.

Vor allem die Parkschützer, die sich nicht an der Schlichtung beteiligten, haben schon lange angekündigt, dass die Proteste fortgesetzt werden sollen. Für den 11. Dezember wird zu einer erneuten Demonstration gegen das Projekt aufgerufen. Dann wird sich auch zeigen, ob das Thema noch so stark mobilisiert, wie im September 2010.

Der nächste Knackpunkt dürfte die Wiederaufnahme der Baumaßnahmen sein, den die Deutsche Bahn schon angekündigt hat. Die könnte sich allerdings witterungsbedingt noch bis nach den Wahlen verschoben werden. Damit wäre auch der Forderung der Grünen stattgegeben, vor dem Stresstest solle nicht weitergebaut werden. So würde der Konflikt bis zur Wahl eingefroren. Dann könnte man diese „neue Form des bürgerrechtlichen Engagements“, wie die Schlichtung häufig genannt wurde, Schule bei anderen Großprojekten machen. Dann hätte die Schlichtung vor allem den Konflikt entschärft, ohne den Bau eines umstrittenen Projekts in Frage zustellen. Schon beim Bau der zweiten Phase der Startbahn-West in Hessen war diese als Mediation bezeichnete Art der Bürgerbeteiligung, die wenig entscheidet, in die Kritik der dortigen Bürgerinitiativen geraten.

http://www.heise.de/tp/r4/artikel/33/33761/1.html

Peter Nowak

Erwerbsloser bekommt Hausverbot im Jobcenter

AMT Neuköllner soll Sachbearbeiter bedroht haben – er bestreitet das. Rund 60 Hausverbote pro Jahr
„Hiermit verbiete ich Ihnen vom Tag der Zusendung dieses Schreibens für die Dauer eines Jahres, die Liegenschaft des Jobcenters Neukölln zu betreten“, teilte Konrad Tack, Geschäftsführer des Neuköllner Jobcenters, dem Erwerbslosen Peter B. per Einschreiben mit. Er habe bei seinem letzten Termin im Jobcenter seinen Sachbearbeiter bedroht und den Geschäftsablauf gestört, so die Begründung.

Peter B. bestreitet, den Mitarbeiter bedroht zu haben. Er sei aber erregt gewesen und habe mit der flachen Hand auf den Tisch geschlagen, weil ihm zum wiederholten Mal eine Weiterbildung zum Veranstaltungsfachwirt verweigert worden sei. Der 47-jährige Neuköllner, der seit einem schweren Autoanfall zu 70 Prozent arbeitsunfähig ist, will in einer Konzertagentur arbeiten. Vom Jobcenter werde die Förderung mit der Begründung abgelehnt, nach 16-jähriger Arbeitslosigkeit fehle ihm die Berufserfahrung.

Der Sprecher der Berliner Arbeitsagenturen, Uwe Mählmann, erklärt, aus Datenschutzgründen zu dem Fall keine Auskunft geben zu können. Hausverbote seien allerdings keine Seltenheit, die Arbeitsagenturen würden etwa 60 im Jahr aussprechen, „deren Befristung von einen Tag bis zu einen längerfristigen Zeitraum reichen kann“.

Aussprechen kann ein Hausverbot nur der Geschäftsführer, sagt Harald Thome vom Erwerbslosenverein Tacheles e. V. Der Betroffene müsse allerdings zuvor die Möglichkeit haben, den Vorgang aus seiner Sicht darzulegen. Zudem könne der Erwerbslose innerhalb einer Frist Widerspruch gegen das Hausverbot einzureichen, der von einer aus Mitgliedern der Jobcenter-Verwaltung bestehenden Beschwerdestelle entschieden wird.

Das Problem: Von Hausverboten betroffene Erwerbslose sind nicht vom Nachweis bestimmter Pflichten, etwa der Vorlage von Bewerbungen, befreit. Dazu können sie vom Jobcenter geladen werden. Für diese Termine wird das Hausverbot außer Kraft gesetzt. „Schwierig wird es in den Fällen, in denen Erwerbslose selber mit dem Jobcenter in Kontakt treten wollen, etwa um einen Antrag zu stellen“, sagt Martin Künkler von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen. Theoretisch könnten sie ihre Anliegen zwar schriftlich einreichen, doch in der Praxis habe sich gezeigt: Ohne persönliches Erscheinen würden die Anträge häufig liegen bleiben.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2010%2F12%2F01%2Fa0156&cHash=5391150458

Peter Nowak

Nix los mit der sozialen Bewegung?

Der geringe Widerstand gegen die Sparpakete macht die außerparlamentarische Linke ratlos
Etwa 3000 Menschen haben vergangenen Freitag in der Nähe des Berliner Reichstags gegen das Sparpaket der Bundesregierung protestiert. Ein Drittel davon Berliner Schüler, die sich den Protesten angeschlossen haben. Die von den beschlossenen Kürzungen am meisten betroffen sind, die Ärmsten der Gesellschaft, waren hingegen zu Hause geblieben. Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum Deutschland schlägt deshalb eine politische Richtungsänderung vor. Statt der Betroffenen solle die Mittelschicht mobilisiert werden. Den sozialen Bewegungen müsse es gelingen, »exponierte Vertreter der bürgerlichen Mitte für das Anliegen der Deklassierten zu gewinnen, um die soziale Frage als das solidarisch verbindende Element weiter Teile unser Gesellschaft in den Vordergrund zu rücken, ohne sich von der bürgerlichen Mitte vereinnahmen zu lassen«.
Solche konkreten Vorschläge sind wenige Tage nach der Aktion in der Nähe des Bundestages noch selten. Die Ratlosigkeit ist bei vielen Aktivisten groß. Klar ist für viele nur, der heiße Herbst war kälter erwartet.

 Das wurde auf einer Konferenz des bundesweiten Krisenprotestbündnisses in Berlin am vergangenen Wochenende deutlich. Dort wurde eine selbstkritische Analyse angemahnt. Man müsse darüber reden, warum es der sozialen Bewegung nicht gelungen sei, in diesem Herbst einen Punkt zu setzen, meinte Guido Grüner von der Arbeitslosenselbsthilfe (ALSO). Die Organisation hatte mit einer bundesweiten Erwerbslosendemonstration am 10. Oktober die Proteste dieses Herbstes eingeläutet. Aber das Ziel, dass Erwerbslose überall da, wo sich Politiker der Hartz-IV-Parteien treffen, mit Kochtopf und Löffel Krach schlagen, sei bisher nicht erreicht worden, stellte Grüner fest.

Ein Gewerkschafter sieht in der veränderten wirtschaftlichen Situation einen Grund für die aktuelle Protestflaute. Vor einem Jahr habe kaum jemand für möglich gehalten, dass sich die Wirtschaft so schnell wieder erhole und der Anteil der Erwerbslosen und Kurzarbeiter zurückgehe.

Auch die linke Organisation Avanti sieht in der falschen Einschätzung der wirtschaftlichen Entwicklung einen Grund für den Misserfolg. »Kaum jemand hat damit gerechnet, dass die Bundesregierung binnen kurzer Zeit 480 Milliarden Euro mobilisieren würde und schon zwei Jahre nach dem Crash der Finanzwelt ein ›Jobwunder‹ und Wirtschaftswachstum verkünden könnte«, schreibt Avanti in einer Stellungnahme und kommt zu dem ernüchternden Fazit: »Bislang ist der Versuch, die ökonomische in eine politische Krise zu überführen, gescheitert.« Das trifft vor allem auf die Versuche zu, in den sozialen Protesten die Aktionsform der Blockade zu verankern. Eine für den 18. Oktober in Frankfurt am Main geplante Bankenblockade war von den Organisatoren wegen zu geringer Resonanz kurzfristig abgesagt worden. In Berlin scheiterte die »Bundestagsbelagerung« am Freitag ebenfalls.

Florian Wilde, Bundesvorstand des Studierendenverbandes Die Linke.SDS, betrachtet nicht nur in Deutschland die Krisenproteste mit Ernüchterung. »In vielen europäischen Nachbarländern gab es viel größeren Widerstand und auch Streiks. Aber die Verabschiedung der Spar- und Kürzungsbeschlüsse konnte in keinem Land verhindert werden.«

http://www.neues-deutschland.de/artikel/185427.nix-los-mit-der-sozialen-bewegung.html

Peter Nowak

Dunkelziffer dürfte viel höher sein

Wolf-Dietrich Molzow unterstützt die Klage gegen Bayer-Schering
  
ND: Was fordern Sie von Bayer-Schering?
Molzow: Die Firma soll die Verantwortung übernehmen und für die Schäden aufkommen, die durch die Anwendung von Duogynon entstanden sind. Als erstes muss die Firma die Akten öffentlich machen, die vorhanden sein müssen.

Gibt es Schätzungen über die Zahl der Betroffenen?
Es haben sich in der letzten Zeit bei André Sommer etwa 200 Menschen gemeldet. Die Dunkelziffer dürfte aber viel höher sein. Viele Betroffene scheuen die Öffentlichkeit. Zudem dürfte in vielen Fällen der Zusammenhang zwischen körperlichen Schädigungen und der Einnahme von Duogynon noch gar nicht bekannt sein.

Wann haben Sie selber Ihre Missbildungen – ca. 30 cm lange knielose Beine mit nur einem gebogenen Knochen, mangelhaft ausgebildete Hüftgelenke und verkürzte Oberarme – mit dem Medikament in Verbindung gebracht?
Nachdem der Gynäkologe meiner Mutter seine Praxis aus Altersgründen geschlossen hatte, sprach dessen Sprechstundenhilfe meine Mutter auf der Straße an und sagte, das seien die Folgen der Duogynon-Injektion. Meine Mutter hat allerdings nichts unternommen.

Sind Sie in der Angelegenheit aktiv geworden?
Ein Rechtsanwalt, der auf Fälle von Schädigungen durch Medikamente spezialisiert ist, gab mir die Auskunft, ich müsse mir einen Gutachter suchen, der den Zusammenhang zwischen meiner Schädigung und der Einnahme von Duogynon durch meine Mutter bestätigt. Dies dürfte aber sehr schwierig sein. Mittlerweile ist das öffentliche Interesse an den Folgen von Ärzte- und Medikamentenfehlern jedoch gewachsen.

Der Contergan-Skandal ist immer noch der bekannteste Fall.
Er ist auch ein trauriges Beispiel. Das Verfahren wurde gegen die Zahlung einer Geldsumme eingestellt, die bei 1000 Betroffenen über 50 Jahre verteilt für monatlich knapp 200 DM ausgereicht hätte. Man hatte nicht gedacht, dass es so viele Opfer dieses Medikaments gibt und dass sie so lange leben.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/185344.dunkelziffer-duerfte-viel-hoeher-sein.html

Interview: Peter Nowak

Sieg für die Schweizer Sarrazin-Partei

Die von der SVP initiierte Volksabstimmung zur „Ausschaffung von kriminellen Ausländern“ wurde bei einer hohen Wahlbeteiligung von knapp 53 % der Abstimmenden unterstützt
Die rechtskonservative Schweizer Volkspartei jubelt. „Das Schweizer Volk sagt ja zur Ausschaffung krimineller Ausländer“, heißt es auf ihrer Homepage. Die von der SVP initiierte Ausschaffungsinitiative wurde bei einer hohen Wahlbeteiligung von knapp 53 % der Abstimmenden unterstützt. Sie lautet im Wortlaut:

„Sie (die Ausländerinnen und Ausländer) verlieren unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status ihr Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz, wenn sie:
a. wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, wegen einer Vergewaltigung oder eines anderen schweren Sexualdelikts, wegen eines anderen Gewaltdelikts wie Raub, wegen Menschenhandels, Drogenhandels oder eines Einbruchsdelikts rechtskräftig verurteilt worden sind; oder
b. missbräuchlich Leistungen der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe bezogen haben.“

Außerdem werden die Strafen für eine illegale Einreise in die Schweiz und die Missachtung des Einreiseverbots verschärft.

Zur Wahl stand auch noch eine moderate Verschärfung des Ausländerrechts, die die bürgerlichen Parteien jenseits der SVP unterstützt haben, die aber keine Mehrheit bekommen hat. Grüne, Sozialdemokraten und die linkssozialistische Partei der Arbeit haben zur Ablehnung beider Initiativen aufgerufen.

In den letzten Wochen war in der Schweiz eine heftige Diskussion darüber entbrannt, ob aus taktischen Gründen die moderate Verschärfung unterstützt werden soll, um den SVP-Entwurf ins Leere laufen zu lassen. Gegner einer solchen Taktik warnten davor, aus Angst vor der SVP Verschärfungen des Ausländerrechts zuzustimmen. Sie wiesen darauf hin, dass die beschlossene Verschärfung mit internationalen Verträgen kollidiert und deshalb von der Europäischen Justiz gekippt werden kann. Allerdings wurde dieser Einwand auch schon beim Minarettverbot geäußert, das noch in Kraft ist.

Auch dieser Vorstoß war von der SVP initiiert worden und hatte europaweit große Beachtung gefunden. Vor allem die europäischen Rechtsparteien sehen in der SVP ihr großes Vorbild. So erklärte der österreichische FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache nach dem Erfolg der Ausschaffungsinitiative:

„Die Schweizer führen uns wieder einmal vor, wie es geht.“

Die SVP, die von einem Rundfunkkorrespondenten als Schweizerische Sarrazin-Partei bezeichnet wurde, nutzt das Instrument der Volksabstimmung zur Durchsetzung ihrer Politik. Die hiesige Sarrazin-Debatte lässt vermuten, dass in Deutschland bei solchen Volksabstimmungen die Ergebnisse nicht viel anders als in der Schweiz wären.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/148830

Peter Nowak

Klimaschutz mit Haken

Keine Standards für Menschenrechte

Pünktlich zum Klimagipfel im mexikanischen Cancún veröffentlicht die Heinrich Böll Stiftung eine Studie, die sich kritisch mit den Klimafinanzhilfen befasst. »Milliardensummen aus öffentlichen Quellen werden für den internationalen Klimaschutz in Entwicklungsländern benötigt, doch es gibt keine qualitativen Standards dafür«, moniert Barbara Unmüßig von der grünennahen Stiftung. Es bestehe sogar die Gefahr, dass die Finanzhilfen Menschenrechtsverletzungen und neue Umweltzerstörungen förderten.

 Die hiesige Energiediskussion zeigt überdies, wie schnell sogar Atomkraftwerke zu Klimarettern hochgejubelt werden. Ähnliches geschieht im globalen Süden mit Monokulturen für die Gewinnung von Biotreibstoffen. Diese profitträchtige Entwicklung bedroht nicht nur die Ernährungsgrundlage vieler Menschen, sie ist auch wesentliche Triebkraft der klimaschädlichen Abholzung von Urwäldern.

Die aktuelle Studie will mit einem Kriterienkatalog für förderwürdige Klimaprojekte verhindern, dass im Namen des Klimaschutzes Menschenrechte unter die Räder kommen. Doch Papier ist geduldig. Zur konkreten Umsetzung braucht es Druck von sozialen Bewegungen vor Ort. Daher sind zwei Punkte in der Studie besonders wichtig.

Künftig sollten vom Klimawandel Betroffene an den Entscheidungen für Klimaschutzprojekte beteiligt werden. Notwendig sei außerdem die Einrichtung von unabhängigen Beschwerdemechanismen, so dass die Betroffenen, etwa Kleinbauern, Frauen oder indigene Bevölkerungsgruppen, öffentlich Rechenschaft für fehlgeschlagene Projekte einfordern können. Damit könnte man beim Gastgeberland der Klimakonferenz anfangen. Ein in der Provinz Oaxaca geplantes Windkraftprojekt nütze nur den Politikern und den reichen Bauern, während die Region dadurch noch mehr verarme, kritisieren soziale Gruppen aus der Region.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/185214.klimaschutz-mit-haken.html

Peter Nowak

Rote Karten an der Siegessäule

Nach der geringen Resonanz bei den Aktionen gegen das Sparprogramm der Bundesregierung stellt sich die Frage nach der Zukunft der Krisenproteste
„Ohne die Beteiligung der Schüler wäre die Aktion ein totales Desaster geworden“ – das Urteil eines Erwerbslosenaktivisten mag hart klingen. Nach der nur mäßig besuchten Protestaktion anlässlich der Verabschiedung des schwarz-gelben Haushalts im Bundestag am Freitag teilten allerdings viele Teilnehmer die ernüchternde Einschätzung. Mehrere Tausend Menschen hatten zunächst an einer Kundgebung vor dem Brandenburger Tor teilgenommen, später setzte sich noch ein Demonstrationszug in Richtung Großer Stern in Bewegung. Ein Drittel der etwa 3.000 Teilnehmer waren Berliner Schüler, die dem Aufruf des Bündnisses „Bildungsblockaden einreißen“ gefolgt sind.
 Angesichts der geringen Resonanz konnte von einer Bundestagsbelagerung an diesem Tag keine Rede sein. Alle Versuche, auch nur in die Nähe des Gebäudes zu kommen, wurden von der massiv auftretenden Polizei verhindert. Am Ende wurden in der Nähe der Siegessäule rote Karten gegen das Sparpaket hochgehalten. Als dann noch von einem Lautsprecherwagen fälschlich verkündet worden war, dass die unweit gelegene Bundeszentrale der CDU besetzt worden sei, machte sich eine große Polizeiarmada auf den Weg – immerhin konnte rund 1.000 Menschen mit einer weiteren Kundgebung den freitäglichen Autoverkehr für einige Zeit lahmlegen.

Soll das der Höhepunkt des monatelang vorbereiteten heißen Herbstes des sozialen Bewegungen gewesen sein? Die misslungene Bundestagsbelagerung dürfte vorerst der letzte Versuch gewesen sein, unter dem Label „Krisenproteste“ auf die Straße zu mobilisieren. Im Frühjahr 2009 waren die ersten Aktionen unter dem Motto „Wir zahlen nicht für Eure Krise“ organisiert worden. Die Resonanz war nicht berauschend, aber die Organisatoren hielten sie für ausbaufähig. Immerhin hatten zu jener Zeit auch die bürgerlichen Medien außerhalb des Feuilletons mitunter Marx zitiert und entdeckt, dass der Kapitalismus ein Verfallsdatum haben könnte.

Harmlose Gewerkschaften

Doch schnell zeigte sich, dass die Mehrheit der Gewerkschaften bei den Krisenprotesten nicht mitziehen würde. Vor allem die IG Metall propagierte im Schulterschluss mit den Unternehmern die Standortverteidigung, setzte auf Abwrackprämie und Kurzarbeiterregelung. Derweil übten sich die Organisatoren der Krisenproteste in Zweckoptimismus und redeten sich ein, die Bewegung werde doch noch wachsen, wenn die Krise bei den Menschen angekommen ist und die Bundesregierung endlich die Sparprogramme vor legen würde, die sie wegen der Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen lange in den Schubläden behalten hatte.

Im November 2010 muss dies als Selbsttäuschung erkannt werden. Die Bundesregierung hat mit der Gesundheitsreform und dem Sparpaket Maßnahmen eingeleitet, die Millionen Menschen in Zukunft massiv belasten werden. Der Protest dagegen wurde jedoch kaum wahrgenommen. Selbst Demonstrationen mit einer fünfstelligen Teilnehmerzahl – im Rahmen der Aktionswochen des DGB gegen das Sparpaket – fanden auf den Medien nur auf hinteren Seiten Platz. Was nicht zuletzt daran lag, dass die Aktionen derart konstruktiv angelegt waren, dass sie den Medien zu harmlos schien. Das Krisenbündnis musste auf seine eigenen Kräfte zurückgreifen – und die sind,  wie sich nicht erst am 26. November zeigte, sehr schwach.

Frustrierte Aktivisten

Das zeichnete sich schon ab, als die monatelang vorbereitete und für den 18. Oktober geplante Blockade von Großbanken in Frankfurt/Main wegen zu geringer Resonanz abgesagt werden musste. Bis auf einige hämische Artikel gab es in linken Medien und Internetforen kaum eine Auseinandersetzung darüber. Dafür wuchs der Frust bei den Aktivisten, die viel Zeit und Kraft in die Vorbereitung gesteckt hatten. Wie die Bankenblockade hatte auch die Bundestagsbelagerung das Ziel, die sozialen Proteste zu radikalisieren und Möglichkeiten des Widerstands jenseits von Demonstrationen aufzuzeigen. In beiden Fällen ist man nicht näher gekommen.

Auf einer Konferenz des bundesweiten Krisenprotestbündnisses wurde im Anschluss an die Berliner Demonstration am Freitag eine selbstkritische Analyse angemahnt. Man müsse jetzt ernsthaft darüber reden, warum es der sozialen Bewegung nicht gelungen sei, in diesem Herbst einen Punkt zu setzen, forderte Guido Grüner von der Arbeitslosenselbsthilfe. Ein Gewerkschafter bemängelte die überholte Krisenanalyse des Bündnisses. Den raschen Wirtschaftsaufschwung habe vor einem Jahr niemand für möglich gehalten. Statt der Krise komme nun mit sinkenden Arbeitslosenzahlen und weniger Kurzarbeit der Aufschwung „bei den Menschen in den Betrieben“ an – ein Aufschwung, der allerdings erkauft ist mit der Zunahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen und Niedriglöhnen, die mit Hartz IV aufgestockt werden müssen. Für viele Erwerbslose wiederum findet die Krise nicht auf dem Börsenparkett statt, sondern bei Schikanen in Jobcentern und Beschäftigungsmaßnahmen. Ein Bündnis gegen diese Krisen im Leben vieler Menschen ist bisher nicht in Sicht.

http://www.freitag.de/politik/1047-rote-karten-an-der-siegessaeule

Peter Nowak

Der heiße Herbst ist ausgefallen

Nach den geringen Teilnehmerzahlen bei den Protesten gegen das Sparprogramm der Bundesregierung beginnt die Fehleranalyse
Ca. 3.000 Menschen haben gestern in der Nähe des Berliner Abgeordnetenhauses gegen das Sparpaket der Bundesregierung protestiert, das an diesem Tag beschlossen wurde.

Erst am Vortag wurde die geplante Demonstration gerichtlich genehmigt. Sie war wegen der Teilnahme von zwei antifaschistischen Gruppen verboten worden, weil das Landeskriminalamt befürchtete, dass ein Teil der Demonstranten in die Bannmeile eindringen könnte, um in die Nähe des Parlaments zu kommen. Diese Versuche gab es auch. Doch zur großen Überraschung der Polizei tauchte ein Teil der Demonstranten vor der Parteizentrale der CDU auf. Auch wenn ein großes Polizeiaufgebot den Zugang verhinderte, äußerten sich viele Aktivisten zufrieden mit dieser Aktion. Zumal die anderen Ziele des Protestes nicht wurden. Der Bundestag konnte nicht, wie angekündigt, belagert werden. Das Zücken von Roten Karten mehr als 2 Kilometer entfernt davon, war nicht einmal eine symbolische Aktion.

Die Gesamtbilanz des Aktionstages fällt noch viel negativer aus, wenn man berücksichtigt, dass der 26. 11. der Höhepunkt des heißen Herbstes der sozialen Bewegungen gegen die Krisenpolitik der Bundesregierung sein sollte Er begann mit einer lautstarken Erwerbslosendemonstration in Oldenburg. Doch schon die für den 18.Oktober geplante Bankenblockade in Frankfurt/Main musste wegen zu geringer Beteiligung abgesagt werden.

Im Rahmen der gewerkschaftlichen Aktionswochen gegen die Politik der Bundesregierung gab es in den letzten Wochen durchaus Demonstrationen mit einer Teilnehmerzahl im fünfstelligen Bereich. Auch an regionalen Protesten gegen die Sparpolitik, beispielsweise in Dresden, nahmen viele Menschen teil. Darauf wiesen Redner auf der Aktionskonferenz des bundesweiten Sozialprotestbündnisses in Berlin hin, das im Anschluss an die Demonstration begann. Dort äußerten viele Aktivisten ihre Ratlosigkeit angesichts der ausbleibenden Sozialproteste in Deutschland.

Selbstkritische Analyse angemahnt

Guido Grüner von der Oldenburger Arbeitslosenselbsthilfe plädierte dort für eine gründliche, selbstkritische Analyse der Krisenproteste. Ein Gewerkschafter wies darauf hin, dass ein Grund für die Protestflaute auch in der schnellen Erholung der Wirtschaft in Deutschland liege. Es handele sich dabei nicht nur um Propaganda der Bundesregierung, wie der Rückgang der Zahlen für die Kurzarbeit zeigt.

Auf diesen Aspekt wies auch das Bündnisprojekt Avanti in seiner Auswertung hin. „Bislang ist der Versuch, die ökonomische in eine politische Krise zu überführen, gescheitert. Bedeutsam hierfür war die relative Stabilität der bundesdeutschen Wirtschaft und die im weltweiten Vergleich enormen Finanzreserven, aber auch die geschickte Verzögerung der ‚gefühlten Krise‘ durch die Regierung.“ 
 
http://www.heise.de/tp/blogs/8/148822

Peter Nowak