„Die Gerichtsvollzieherin wird den Räumungstitel nicht vollstrecken können“

Der Mieterwiderstand in Kreuzberg nimmt neue Formen an und wendet sich gegen die Folgen einer Krise, die angeblich in Deutschland noch gar nicht angekommen ist

Mit einer Selbstverpflichtungserklärung haben sich Initiativen und Einzelpersonen bereit erklärt, die Zwangsräumung der Familie Gülbol in der Lausitzer Straße 8 in Berlin-Kreuzberg verhindern zu wollen.

Weil die Familie bei der vom Gericht verfügten Mietnachzahlung Fristen versäumte, wurde ihr vom Hauseigentümer gekündigt. Ein erster Räumungsversuch musste am 22. Oktober abgebrochen werden, nachdem sich ca. 150 Unterstützer vor dem Hauseingang versammelt hatten (Kein Durchkommen für Gerichtsvollzieherin). Die Gerichtsvollzieherin hatte angekündigt, das nächste Mal mit Polizeibegleitung wieder kommen.

„Ich erkläre hiermit, mich an einer Sitzblockade vor dem Haus der Familie zu beteiligen, sollte es einen weiteren Räumungsversuch geben. Die Gerichtsvollzieherin wird auch dann den Räumungstitel nicht vollstrecken können“, heißt der einscheidende Satz, der von Politikern, Wissenschaftern, aber auch Stadtinitiativen und – vereinen unterschrieben wurde.

Gegen die Auswirkungen einer Krise, die in Deutschland angeblich nicht angekommen ist

Die an der Fuldaer Fachhochschule lehrende Politikwissenschaftlerin Gudrun Hentges will mit ihrer Beteiligung an der Blockade ein Zeichen gegen steigende Mieten setzen, erklärt sie gegenüber Telepolis. „Davon bin ich auch als Akademikerin betroffen. Ich wohne in Schöneberg in einem Haus, das wurde in 10 Jahren sieben Mal verkauft.“

Der Kontakt zur Frauen- und Mädchenabteilung des Fußballvereins Türkiyemspo, die ebenfalls blockieren will, ist in der Protesthütte am Kottbuser Tor entstanden, in der sich seit mehreren Monaten Mieter der Initiative Kotti und Co gegen die drohende Verdrängung aus dem Stadtteil wehren, erklärt das Mitglied des Türkiyemspor-Fördervereins Robert Claus. „Es geht nicht um Kreuzberger Sozialromantik, aber es soll sicher gestellt werden, dass Menschen mit niedrigen Einkommen weiter in dem Stadtteil wohnen können“, stellte er klar.

Die wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Europäische Ethnologie an der Humboldtuniversität Manuela Bojadžijev hat nicht nur den Einzelfall im Blick. „Mir geht es um die Frage, wie wir in Berlin mit den Folgen der Wirtschafts- und Bankenkrise umgehen, von der immer behauptet wird, sie ist in Deutschland noch gar nicht angekommen“, erklärt sie gegenüber Telepolis. Dass die Familie Gülbol kein Einzelfall ist, bestätigt auch David Schuster vom Bündnis „Zwangsräumungen gemeinsam verhindern“:

„Seit Ende Oktober melden sich wöchentlich betroffene Familien bei uns, alle mit Migrationhintergrund.“

So soll ein schwerkrankes Seniorenehepaar ihr Domizil in einem der Mitte gehörenden Haus in der Lübbener Straße, in der sie seit 37 Jahren leben, bis zum Monatsende räumen.

Vorbild Spanien?

Dass sich seit Ende Oktober wöchentlich Betroffene bei der Initiative melden, liegt daran, dass die erste erfolgreiche Verhinderung der Räumung von Familie Gülbol ihnen Mut gemacht hat. Auch vorher gab es bereits den Räumungsdruck vor allem unter Hartz IV-Empfängern. Durch Erhöhungen der Miete oder der Nebenkosten rutschen sie schnell in den Bereich, in dem das Jobcenter nicht mehr den vollen Mietpreis übernimmt. Bisher sind die Betroffenen dann entweder ausgezogen, was oft der Verlust ihres bisherigen Lebensumfeldes bedeutete oder sie haben die Mietdifferenz aus dem Hartz IV-Satz bezahlt, was weitere Einschränkungen in anderen Bereichen bedeutete.

Viele haben sich auch Geld geliehen und damit verschuldet. Dass sich mehr Betroffene zum Widerstand entscheiden, macht deutlich, welch großes Rolle eine Infrastruktur im Stadtteil, die in Kreuzberg vor allem durch die Protesthütte entstanden ist und ein erfolgreiches Beispiel ist, bei dieser Entscheidung spielt. Zurzeit versuchen die Initiativen Mieter- und Erwerbslosenproteste zu koordinieren. Schließlich soll der Widerstand nicht erst beginnen, wenn der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht, sondern im Vorfeld, wenn es um die Frage geht, ob die Jobcenter die Kosten für die Miete übernehmen.

Die Berliner Mieterbewegung hat sicher auch von den Erfahrungen in anderen Ländern gelernt. In Spanien, wo die Situation der Mieter in der Krise wesentlich dramatischer als in Deutschland ist, hat sich in den letzten Monaten eine landesweite Bewegung gegen Zwangsräumungen entwickelt. Die Politik musste mit einem bedingten Räumungsmoratorium darauf reagieren.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153238
Peter Nowak

„Berlin spürt die Folgen der Krise“

Doro Zinke ist Vorsitzende des DGB, Bezirk Berlin-Brandenburg. Der Gewerktschaftsbund ruft am 14. November um 14 Uhr auf dem Pariser Platz unter dem Motto „Nein zur sozialen Spaltung Europas“ zu einer Solidaritätskundgebung mit den Generalstreik auf, zu dem an diesen Tag Gewerkschaften in Italien, Spanien, Portugal, Malta, Zypern und Griechenland gegen die europäische Krisenpolitik aufrufen. Auf dieser Kundgebung spricht auch eine Vertreterin des Griechenlandsolidaritätskomitees, in dem zahlreiche linke Gruppen vertreten sind. Das Bündnis organisiert eine Demonstration, die im Anschluss an die DGB-Kundgebung um 16:30 auf dem Pariser Platz unter dem Motto „Gemeinsam gegen die Krise kämpfen“ beginnt.

Der DGB ruft am heutige Mittwoch zu einer Solidaritätskundgebung für die von der Eurokrise gebeutelten EU-Länder auf. Warum?

taz: Frau Zinke, was sind die konkreten Forderungen des DGB-Berlin-Brandenburg?
Doro Zinke: Die EU konzentriert sich einseitig auf die Ökonomie, die Europäische Union braucht aber auch ein soziales Gesicht: dazu gehören Beschäftigungsprogramme für Jugendliche genauso wie eine intensive Bekämpfung des Lohndumping europaweit und die Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Damit können auch öffentliche Dienstleistungen bezahlt werden, die ein Stück Lebensqualität sichern helfen.

In dem Aufruf wird auch vor der Einschränkung von Gewerkschaftsrechten gewarnt. Gibt es dafür Beispiele und gibt es die auch in Deutschland?
In Spanien und Griechenland werden die Gewerkschaftsrechte eingeschränkt und in Großbritannien der Gang zum Arbeitsgericht für Beschäftigte erschwert. Die Einführung des Niedriglohnsektors in Deutschland drückt auf die Löhne und damit auf die Tarifpolitik der Gewerkschaften. Das ist eine subtile Form von Einschränkung, die sich natürlich auch in Berlin auswirkt.

Hat der sich in den letzten Jahren in Deutschland massiv entwickelnde Niedriglohnsektor nicht mit zur Krise in Europa beigetragen?
Der Niedriglohnsektor führt zur Lohndrückerei. Wer jahrzehntelang für wenig Geld schuften musste, kann kaum etwas zusätzlich für die Rente ansparen. So wird Altersarmut programmiert. Leben am Rande des Existenzminimums verletzt die Menschenwürde! Wenn ich die Aufstockung meines Lohnes durch Steuergeld benötige, zeigt das das Dilemma auf: wir Steuerzahler subventionieren Jobs und Geringverdienern wird das Gefühl vermittelt, ihre Arbeitskraft sei nichts oder nur wenig wert.


Wie stark ist bei den DGB-Mitgliedern das Bewusstsein einer Notwendigkeit der Solidarität mit Streiks in anderen EU-Ländern?

Der DGB hat acht Mitglieder: die Einzelgewerkschaften. Deren Mitglieder haben in vielen Fragen fast genau so unterschiedliche Bewusstseinslagen wie der Rest der Bevölkerung. Die meisten Menschen in Deutschland können sich gar nicht vorstellen, was die Politik der Troika in Griechenland bedeutet: dass Tarifverträge außer Kraft gesetzt werden, der Arbeitgeber einseitig Lohnkürzungen vornehmen darf, kein Geld mehr da ist für Milch für die Kinder, Renten halbiert wurden. Und dass alle diese Schweinereien an der Verschuldung des Landes nichts ändern, sondern das Land immer stärker an den Rand des Abgrunds treibt.

Im Anschluss an die DGB-Kundgebung plant ein linkes Bündnis eine Solidaritätsdemonstration. Gibt es Kontakte zu beiden Aktionen?
Ein Vertreter des Griechenland-Solidaritäts-Komitees wird auf der DGB-Kundgebung sprechen und eine Gewerkschaftskollegin auf der Abschlusskundgebung der Solidaritäts-Demonstration.

Soll die Kundgebung der Beginn weiterer Solidaritätsaktionen mit den KollegInnen in anderen europäischen Ländern sein?
Das können wir jetzt noch nicht sagen. Es hängt davon ab, was unsere internationalen Organisationen von uns erwarten und die deutschen Gewerkschaften für realistisch halten.
Interview: Peter Nowak

Erster europaweiter Generalstreik geplant

In Deutschland rufen jetzt auch DGB-Gewerkschaften zu Kundgebungen auf.

Am 14. November gibt es eine Premiere in der europäischen Protestagenda. In Italien, Spanien, Portugal, Zypern und Malta organisieren die Gewerkschaften erstmals koordiniert einen Generalstreik gegen die Krisenpolitik. Zu dem vom Europäischen Dachverband initiierten Streik rufen auch zahlreiche Basisgewerkschaften auf.

Schien sich der Ausstand zunächst auf Südeuropa zu beschränken, wollen sich nun auch belgische Gewerkschaften daran beteiligen. Dazu dürfte auch beigetragen haben, dass das Ford-Werk in Genk geschlossen werden soll. In einer Spontanaktion beteiligten sich daraufhin 200 Arbeiter am 7. November an einer Protestaktion vor den Fordwerken in Köln, was einen Großeinsatz der Polizei auslöste. Für den 14. November planen die belgischen Ford-Arbeiter erneute Streiks und Proteste.

Weckruf an die Kollegen in Deutschland

„Wir wollten unsere Kölner Kollegen warnen. Jeden Tag kann es passieren, dass die da oben weitere Stellenstreichungen und ganze Werksschließungen verabschieden“, begründete ein belgischer Arbeiter seinen Protest in Köln. Diese Worte könnten durchaus auch bei einigen Kollegen im Bochumer Opelwerk auf offene Ohren stoßen. Schließlich ist das Werk von Schließung bedroht und noch 2004 hatten die Beschäftigten einen einwöchigen wilden Streik organisiert. Doch nach der Einschätzung von Wolfgang Schaumberg, der lange Zeit in der linksgewerkschaftlichen Gruppe Gegenwehr ohne Grenzen aktiv war, ist dort aktiver Widerstand zurzeit nicht zu erwarten. „Alle rechnen sich aus, ob sie mit Abfinden aus dem Betrieb ausscheiden sollen“, beschreibt Schaumberg die aktuelle Situation.

So kommt unter den Kollegen kein Widerstandswille auf und die Unterstützer aus der näheren und weiteren Umgebung, die noch 2004 den Streik mitgetragen haben, werden nicht zu Aktionen bereit sein, wenn es keine Signale aus dem Werk gibt, so die Einschätzung. Wenn sich selbst bei Opel-Bochum trotz Schließungsdrohung und kämpferischen Traditionen wenig regt, kann man in anderen Teilen der Metallbranche auf noch weniger Bereitschaft zählen, sich am Streik zu beteiligen. Die IG-Metall hat in einem auch gewerkschaftsintern umstrittenen Aufruf mit dem Titel „Für ein krisenfestes Deutschland und ein soziales Europa“ ein Loblied auf die „Wirtschaftslokomotive Deutschland“ angestimmt, die kräftig Dampf ausstoße. Damit sie das auch in Zukunft tut, soll nach den Vorstellungen der IG-Metall der Lohn erhöht und einige Steuerreformen umgesetzt werden. Von den Streiks in vielen europäischen Ländern ist in dem Aufruf nichts zu lesen.

Diese Linie der Sozialpartnerschaft hat sich in der IG-Metall während der aktuellen Wirtschaftskrise verstärkt. Die staatliche Politik mit Kurzarbeiterregelung und Abwrackprämie wurde von der IG-Metall unterstützt. Hintergrund dieser Politik ist nach Meinung des Sozialwissenschaftlers Peter Birke, der zum aktuellen Krisenbewusstsein geforscht hat, die Fragmentierung in der Lohnarbeiterschaft in Deutschland. Ein Krisenbewusstsein sei bereits seit mehreren Jahren vorhanden, was einen Gewöhnungsprozess befördert. Zudem erschwere die Spaltung der Arbeiterschaft in Kernbelegschaften und Leiharbeiter einen gemeinsamen Widerstand. Daher wird es in Deutschland am Mittwoch wohl nicht zu Streiks, wohl aber zu Kundgebungen und Demonstrationen kommen, zu denen auch der DGB und zahlreiche linke Gruppen aufrufen.

Wie in Berlin ist auch in zahlreichen anderen Städten am kommenden Mittwoch ein gemeinsamen Vorgehen von Gewerkschaften und Solidaritätsinitiativen geplant. Letztere sehen die Teilnahme der Gewerkschaften als Erfolg und erhoffen sich eine stärkere Beteiligung an den Aktionen. Die europäische Revolution, wie sie Ex-Kanzler Helmut Schmidt kürzlich prophezeite, wird am 14. November sicher nicht auf der Tagesordnung stehen. Aber ein erfolgreicher Streik in mehreren Ländern könnte dafür sorgen, dass länderübergreifende Ausstände und andere Proteste im EU-Raum zukünftig zunehmen. Dazu wird es aber nur kommen, wenn wie Arno Klönne mit Recht anführt, die „vaterländischen Illusionen“ unter den Lohnabhängigen sich auflösen. Darüber wird bisher aber nur am linken Flügel der Bewegung diskutiert. Das Berliner M31-Bündnis, das zum europaweiten Aktionstag am 31. März mobilisierte, will mit sich in seinem Aufruf zum Aktionstag gegen jede Standortlogik aussprechen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153163
Peter Nowak

Kämpferisch für Bildung

Nicole Andersson ist Mitglied der französischen Gewerkschaft SUD-Éducation

nd: Im französischen Wahlkampf spielte Bildungspolitik eine große Rolle. Was hat sich nach dem Regierungswechsel verändert?
Es hat sich durch den Regierungswechsel nichts Wesentliches verändert, lediglich die prekären Beschäftigungsverhältnisse nehmen auch im Bildungsbereich zu. Die Sozialisten hatten im Wahlkampf versprochen, die 60000 unter Sarkozy gestrichenen Stellen im Bildungsbereich wieder zu besetzen. Doch es sind keine neuen Vollzeitkräfte geschaffen worden. Dafür nehmen die Zeitarbeitsverträge zu. Vor allem ältere Menschen aber auch schlecht ausgebildete junge Arbeitskräfte werden hier zu niedrigen Löhnen eingestellt. Dadurch wird der Lehrerberuf insgesamt entwertet.

2.) Gibt es Widerstand wegen der nicht eingehaltenen Wahlversprechen?

Nein, es ist zurzeit schwer Widerstand zu mobilisieren. Die meisten Menschen warten ab und wollen der Regierung Gelegenheit geben, ihre Politik umzusetzen. Es ist zudem generell schwerer, gegen die Politik der Sozialisten als der Konservativen Widerstand zu mobilisieren. Manche, die gegen die Politik von Sarkozy auf die Straße gegangen sind, argumentieren nun, dass die öffentlichen Kassen wohl wirklich leer sein müssen, wenn auch die Sozialisten diesen Diskurs ebenfalls übernehmen.

3.) Wie positionieren sich die Gewerkschaften zur neuen Regierung?

Die großen Gewerkschaften verhalten sich abwartend und mobilisieren ihre Basis nicht. Lediglich die Basisgewerkschaft SUD und die anarchosyndikalistischen Gewerkschaften rufen auch gegen die Politik der neuen Regierung zum Widerstand auf. Dass die Streikbereitschaft in Frankreich in der letzten Zeit nachließ, liegt auch daran, dass die Streiktage nicht bezahlt werden und daher jeder Ausstand für die Beschäftigten mit Einkommensverlusten verbunden ist. Oft haben sie die Streiktage auf ihren Urlaub anrechnen lassen.

4.) Beschäftigt sich die SUD-Education auch mit der Frage einer emanzipativen Bildung?

Das ist ein wichtiges Thema. Uns geht es auch darum, die soziale Spaltung im französischen Schulsystem zu bekämpfen. Während die Privatschulen boomen, fehlt für die Ausstattung der Schulen in Stadtteilen mit der einkommensschwachen Bevölkerung oft das Geld.

5.) Welche Widerstandsmöglichkeiten haben sie?

N.C.: Die SUD-Education hat zur Verweigerung der Dossiers aufgerufen, mit denen Schülern schon von der Grundschule an bewertet werden soll. Dort sollen auch Angaben über das Elternhaus der Schüler einfließen. Lehrer, die sich dieser Datensammlung verweigert haben, wurde der Lohn gekürzt. Die neue Regierung lehnt die Rückzahlung des einbehaltenen Betrags mit der Begründung ab, dass damit die Lehrer belohnt würden, die gegen ein Gesetz verstoßen haben. Dabei wurde es mittlerweile von der Regierung zurückgenommen.

6.) Die SUD hat auch in Deutschland viel Beachtung gefunden. Wie ist ihr aktuelle Entwicklung?

N.C.: Gegründet wurde die SUD nach den großen Streik von 1995 von Basisgewerkschaftern, die mit den großen Gewerkschaften unzufrieden waren. Lange galt sie als ultralinks. Der heutige Präsident Hollande beschimpfte die SUD noch beim großen Streik 2009 als unverantwortliche Gewerkschaft, die bekämpft werden muss. Doch heute ist der Reiz des Neuen vorbei und die SUD hat sich als kämpferische Basisgewerkschaft stabilisiert.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/803634.kaempferisch-fuer-bildung.html
Interview. Peter Nowak

Superviren und die Gefahren von Forschung im Biotechsektor

Gesellschaftliche Debatte zur Biotechnologieforschung gefordert

Am Mittwoch fand im Bundestag ein Fachgespräch zum Umgang mit sicherheitsrelevanten Forschungsergebnissen statt. Das Thema hat in der letzten Zeit im Zusammenhang mit der Forschung an Vogelgrippeviren an Relevanz gewonnen. Wissenschaftlern des niederländischen Erasmus Medical Centers Rotterdam und der Universität von Wisconsin in Madison war es gelungen, eine Variante des Vogelgrippevirus herzustellen, die für Menschen und Tiere vermutlich gefährlicher ist als die bereits bekannten Varianten.

Darauf wies in einem Offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel das in Berlin ansässige gen-ethische Netzwerk und die Organisation Testbiotech hin. Dort wurde die Bundeskanzlerin aufgefordert, sich für einen Stopp der Herstellung von neuen Varianten des Vogelgrippevirus (H5N1) und eine Beschränkung des Zugangs zu den Genom-Daten einzusetzen. Beide Organisationen kritisierten, dass das Bundeskanzleramt eine Stellungnahme ablehnte. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob nicht der Bundestag der richtige Ort für die Debatte war, und ob es immer sinnvoll ist, wenn solche Frage zur Chefsache erklärt werden. Warum die vom gen-ethischen Netzwerk und Testbiotech geforderte gesellschaftliche Diskussion um die Forschung im biotechnischen Bereich befördert werden soll, wenn das Kanzleramt eine Stellungnahme abgibt, ist nicht so recht verständlich.

Dagegen sind die Forderungen der beiden Organisationen sehr begründet. Dazu gehört eine staatliche Überwachung von Laboren, die in der Lage sind, Erbgut künstlich zu synthetisieren. Zudem sollte ein demokratisch legitimierter und transparenter Entscheidungsprozess festgelegt werden, wer über die Durchführung derartiger Forschungsprojekte entscheidet und wer Zugang zu den Daten haben soll.

Eine weitere wichtige Forderung benennt Christof Potthof vom gen-ethischen Netzwerk gegenüber Telepolis. Die Studierenden der biotechnischen Fachbereiche sollten bereits im Grundstudium mit den Missbrauchsmöglichkeiten ihrer Forschung vertraut gemacht werden. Bisher ist es üblich, solche Debatten erst in späteren Semestern zu führen. Potthof befürchtet, dass die Kommilitonen dann schon so tief der naturwissenschaftlichen Logik verhaftet sind, dass sie die Missbrauchsgefahren kaum noch wahrnehmen. Dass drücke sich schon darin aus, dass viele Biologen ihre Forschungen immer damit rechtfertigen, dass sie medizinisch sinnvoll sind. Die Gefahren werden dabei ausgeblendet.

Verfahrensfragen in den Mittelpunkt stellen

Christof Potthof, der auf Einladung der Linke-Bundestagsabgeordnete Petra Sitte an dem Fachgespräch teilnahm, betonte in seiner Stellungnahme, dass es nicht ausreiche, über die Ergebnisse von biotechnologischer Forschung zu reden. Es müsse schon die Formulierung der Forschungsergebnisse in den Focus gerückt werden. Nur dann kann im Vorfeld eine Risikoabwägung zwischen Nutzen und Gefahren von Forschungsergebnissen abgewogen werden.

Solche Forderungen wurden bereits 2006 erhoben, als es um die Forschung zu der Spanischen Grippe ging. In seinen weiteren Ausführungen ging Potthof dann genauer auf die Debatten im Bereich der Grippevirenforschung ein. Gerade auf diesem Gebiet wird auch die Notwendigkeit von mehr Transparenz im Forschungsbereich deutlich. Denn parallel zu einer Forschungsgemeinde, die sich vor öffentlichen Debatten möglichst abschottet, gibt es Gruppen und Netzwerke von Impfgegnern, die mit Halb- und Viertelwissen gemixt mit Spekulationen und Verschwörungstheorien gegen jegliche Impfungen mobil machen.

Eine sich abschottende Wissenschaft bestärkt solche teilweise irrationalen Haltungen sicher noch. Insofern könnte die geforderte gesellschaftliche Debatte über den Nutzen und die Gefahren einer Biotechnologieforschung auch dazu beitragen, eine rationale Debatte über diese Problematik zu fördern. Die Bundestagsdebatte vom 7.11., die in Text und als Video im Internet vorliegt, kann vielleicht einen Beitrag zu dieser geforderten gesellschaftlichen Debatte leisten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153146
Peter Nowak

Nein zu Spardiktaten und Nationalismus

Besuch in Griechenland: Soziale Projekte aus der Not heraus und Selbstorganisation
Gewerkschafter lernten bei einer Griechenland-Reise ein Land zwischen sozialen Experimenten und faschistischer Gefahr kennen

»Unser Ziel ist es, zu gewährleisten, dass niemand im nächsten Winter an Hunger stirbt.« Diesen Satz sagte ein Abgeordneter der linkssozialistischen Syriza in Griechenland zu einer Gruppe von europäischen Gewerkschaftern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. »Wir wollen uns ein eigenes Bild von dem krisengebeutelten Land machen und unsere Solidarität bekunden«, beschreibt der Berliner Metall-Gewerkschafter Hans Köbrich die Motivation der einwöchigen Solidaritätstour.
Die Gewerkschafter besuchten zahlreiche Solidaritätsprojekte, in denen die Menschen versuchen, die Folgen der Krise zumindest abzumildern. Gleich am zweiten Tag der Delegation besichtigten sie ein im Aufbau befindliches soziales Zentrum in Athen. Es wird in einer ehemaligen Privatschule auf Spendenbasis eingerichtet. Ein Gesundheitszentrum stand ebenso auf der Agenda der Delegation wie ein besetzter ehemaliger Campingplatz, der 20 Jahre nicht mehr genutzt wurde. Anwohner haben die »Bürgerinitiative Alternative Aktion« gegründet und das Areal besetzt, damit sie kostenlos den Strand nutzen können.

Die Solidaritätsreisenden haben verschiedene dieser selbstorganisierten Projekte sowie verschiedene Basisgewerkschaften besucht. Sie haben dabei ihre parteipolitische Neutralität deutlich gemacht. Allerdings wird auf dem auf der Internetplattform Labournet veröffentlichten Reisetagebuch deutlich, dass Aktivisten von Syriza öfter bei den Treffen anwesend waren, während ein Besuch bei der der Kommunistischen Partei nahestehenden Gewerkschaftsverband Pame nicht geplant war. Dabei wäre es sicher auch interessant gewesen, was aus den Beschäftigten geworden ist, die mehrere Monate ein Stahlwerk bei Athen besetzt hatten. Die maßgeblich von der Pame getragene Aktion war von Gewerkschaften in verschiedenen Ländern als Protest gegen die EU-Politik unterstützt worden.

Rechte Gewalt steigt an

Besonders entsetzt waren die Gewerkschafter über das Ausmaß rechter Gewalt, von der in den letzten Monaten besonders Flüchtlinge in Griechenland betroffen sind. Dabei sei die neonazistische Partei der Morgenröte mit ihren gewalttätigen Angriffen nur die Spitze des Eisbergs, berichten die Gewerkschaftler. So hätten die Polizeirazzien in von Flüchtlingen bewohnten Stadtteilen massiv zugenommen. Gleichzeitig seien Antifaschisten, die sich mit den bedrohten Menschen solidarisieren, von staatlicher Repression betroffen.

Die Gewerkschafter sind nach der einwöchigen Delegation also mit sehr gemischten Eindrücken zurückgekehrt. Das Anwachsen der rassistischen und faschistischen Bewegung gehört zweifellos den negativsten Erfahrungen. Prägend war für viele Teilnehmer auch der Alltagswiderstand in Griechenland, der hierzulande kaum bekannt ist. Selbst in linken Medien werde oft nur die Opferhaltung, kritisiert ein Delegationsteilnehmer. »Griechenland wird oft als Experimentierfeld bezeichnet, das zeigen soll, wie weit die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten vorangetrieben werden kann. Wir haben aber auch ein Land kennengelernt, das ein Laboratorium für neue Formen des sozialen Lebens geworden ist.« Ihre so völlig unterschiedlichen Eindrücke wollen die Gewerkschafter auf Veranstaltungen in Deutschland weiter vermitteln. In Berlin berichtet die Reisegruppe am 13.November um 18 Uhr im Haus der IG Metall in der Alten-Jakob-Straße 149. Dort sollen auch Spenden für die soziale und antifaschistische Projekte gesammelt werden.

Das Tagebuch finden Sie unter: www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/2012/griechenreisetagebuch.html
http://www.neues-deutschland.de/artikel/803711.nein-zu-spardiktaten-und-nationalismus.html
Peter Nowak

Zwangsbehandlung durch die Hintertür?

Anders als die Beschneidung von Kindern ist die Zwangsbehandlung von als psychisch krank erklärten Menschen hierzulande kein großes Thema

Die heute im Bundeskabinett beschlossene Formulierungshilfe zur Regelung der betreuungsrechtlichen Einwilligung in eine ärztliche Zwangsmaßnahme hat in der Öffentlichkeit kaum für Diskussionen gesorgt. Auslöser der Initiative ist ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom Juni 2012. Es hatte entschieden, dass Psychiatriepatienten nicht gegen ihren Willen behandelt werden dürfen.

Ein ähnliches Urteil hatte bereits im letzten Jahr das Bundesverfassungsgericht gefasst. Damit ist jede Zwangsbehandlung gesetzwidrig. Nun müssen Gesetze formuliert werden, die diesen Urteilen Rechnung tragen. Doch die heute unter Federführung des Bundesjustizministeriums verfasste Änderung will die Zwangsbehandlung unter bestimmten Umständen wieder ermöglichen und wird denkbar unterschiedlich interpretiert.

Hilfe oder Folter?

In einer Pressemitteilung aus dem Bundesjustizministerium wird von Hilfe für die Betroffenen gesprochen.

„Mit dem heute vorgelegten Entwurf wird Betroffenen konkret geholfen. Wenn jemand wegen einer Krankheit seinen freien Willen verliert, muss der Staat zum Wohle des Patienten helfend eingreifen können. Die Neuregelungen knüpfen an die bisherige Rechtsprechung an. Künftig können psychisch Kranke unter engen Voraussetzungen auch dann ärztlich behandelt werden, wenn ihnen die Fähigkeit zur freien Willensbildung fehlt.“

Für Rene Talbot von den Psychiatrieerfahrenen ist die Änderung dagegen schlicht gesetzwidrig. Damit werde das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das jede Zwangsbehandlung ausschließt, konterkariert. Den Verweis auf die Hilfe für die Betroffenen hält Talbot für zynisch. „Es ist schon merkwürdig, dass die Verbände dieser Betroffenen, denen damit angeblich geholfen werden soll, gegen diese Änderung protestieren“, erklärt er gegenüber Telepolis.

Tatsächlich schlagen zahlreiche Organisationen Alarm, in denen sich von Menschen zusammengeschlossenen haben, die mit psychiatrischen Maßnahmen Erfahrungen sammeln mussten. Die beschlossene Änderung legalisiere Foltermaßnahmen gegen Psychiatriepatienten, warnt die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener in einer Erklärung. Der heutige Beschluss sei auf massiven Druck von Seiten der Bundesländer sämtlicher politischer Couleur zustande gekommen, so Talbot.

Gerade das grün-rot regierte Baden-Württemberg sei dabei federführend gewesen. Zudem hatten in vielen Medien Psychiater gegen die Abschaffung der gerichtlichen Abschaffung der Zwangsbehandlung agiert. Auch sie betonten immer, dass ihre Einwürfe im Interesse der Patienten seien, so der Leiter Berliner Psychiater in einem Kommentar in der Taz. Als die Psychiatrieerfahrenen eine Antwort darauf formulierten und ebenfalls in der taz platzieren wollten, bekamen sie darauf bis heute keine Antwort.

Zwangsbehandlung im Gegensatz zu Beschneidung kein Thema

Das Desinteresse, das ihrem Anliegen entgegenschlägt ist besonders deshalb bemerkenswert, weil in den letzten Wochen so viel und sehr lebhaft darüber diskutiert wurde, dass das Selbstbestimmungsrecht von Menschen nicht eingeschränkt werden darf. Dabei ging es um die Beschneidung von Kindern.

Auch der Rechtsanwalt und Publizist Oliver Tolmein stellte diesen Zusammenhang in der FAZ her. Auf dem Höhepunkt der Beschneidungsdebatte machte er sich darüber Gedanken, warum das juristische Verbot für Zwangsbehandlungen kaum wahrgenommen wird:

„Angesichts des vehementen Interesses der deutschen Öffentlichkeit an der körperlichen Unversehrtheit von Menschen, die Eingriffen selber nicht zustimmen können, ist erstaunlich, wie wenig Beachtung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofes gefunden hat, die viele Tausende vor einer Zwangsbehandlung bewahrt. Die Bundesrichter haben mit ihrer aktuellen Entscheidung ihre bisherige Rechtsprechung aufgegeben (die erstaunlicherweise genau das für rechtens hielt) und festgestellt, dass das Betreuungsrecht keine ausreichende Rechtsgrundlage für eine Zwangsbehandlung enthält.“

http://www.heise.de/tp/blogs/8/153139
Peter Nowak

Reise zum unbekannten Kontinent Jobcenter

Eine neue Kampagne will aus einem politischen Konflikt eine Serviceleistung machen

Niemand soll sagen, dass die Piraten nicht die Politik verändern. Schließlich hat die Lektüre eines über die [http://www.heise.de/tp/blogs/8/152639 Probleme des Geschäftsführers der Piratenpartei Ponader sogar einige Leser zu einer neuen Initiative animiert. Weil Ponader dort berichtete, dass Erwerbslose, die sich zum Jobcenter begleiten lassen, eine bessere Gesprächsatmosphäre haben und ihre Forderungen auch oft besser durchsetzen können, kamen sie auf die Idee, die Initiative „Wir gehen mit“ zu gründen. Nach dem Vorbild der Internet-Mitfahrzentralen suchen auch die Mitläufer Interessenten, die sich dann mit den Begleitung suchenden Erwerbslosen kurzschließen sollen. Die Initiative betont ihre parteipolitische Neutralität, doch wer sich durch die Protokolle klickt, wird feststellen, dass die Piratenparte dort einen wichtigen Einfluss hat.

Zu den Zielen der Initiative gehört die „moralische Unterstützung für den der Verwaltungsmaschine ausgelieferten Menschen“. „Es ist ein Geben und Nehmen und beruht auf Gegenseitigkeit. Die Begleiter möchten selbst erfahren, wie unser Sozialsystem von innen aussieht“, heißt es auf Homepage. Diese Formulierung hört sich so an, als hätte ein bis dato von den sozialen Realitäten in unserem Land uninformierter FAZ-Leser über den Umweg über das Schicksal von Herrn Ponader erfahren, dass es in Deutschland Armut und die vielfältigen Zumutungen des Hartz IV-Regimes gibt. Das Mitlaufen wäre dann eine Art Ausflug zu den unbekannten Kontinent Jobcenter, so wie in den 60er Jahren junge weiße Studierende in den USA die Aktivisten der Bürgerrechtsbewegung unterstützt und dadurch von der Realität von Rassismus und struktureller Gewalt überzeugt wurden. Solche Erfahrungen können tatsächlich das Bewusstsein verändern, wie es eben bei vielen jungen Akademikern in den USA in den 60er Jahren der Fall war. Ob allerdings die Mitläufer dazu bereit sind, muss offen bleiben.

Mitläufer oder solidarische Begleiter?

Denn auffällig ist, dass jeder Hinweis darauf ausgeblendet wird, dass es Begleitaktionen zum Jobcenter nicht erst seit der Gründung der Mitläufer gibt. Nach Einführung von Hartz IV haben viele Selbsthilfegruppen und Erwerbsloseninitiativen Erwerbslose zum Jobcenter begleitet. Sie mussten über die soziale Realität nicht aus der FAZ erfahren, sondern sind oft selber aktive Erwerbslose, die sich seit Jahren gegen Schikanen am Amt wehren und sich mit der Begleitung mehr Solidarität erhoffen.

Ein Unterschied zwischen den Mitläufern und den sozialen Begleitern fällt schon bei einem Blick auf die Internetseiten auf. Während Letztere ganz klar Stellung gegen das Hartz IV-Regime nehmen, bleiben die Mitläufer hier äußerst vage. Bis auf einige Klagen über Ungerechtigkeiten und fehlenden Datenschutz im Amt findet sich keine Position zu Hartz IV. „Uns geht es nicht um die politische Dimension der Sache, sondern um die direkte Hilfe und moralische Unterstützung für die Hilfesuchenden und um die Deeskalation der Situation im Gespräch“, so der Initiator der Mitläufer Till Riebeling.

Menschliches Sozialsystem mit Hartz IV?

Wie das menschliche Sozialsystem aussehen soll, das auf der Internetseite postuliert wird, bleibt unklar. Während Begleitaktionen eindeutig parteiisch auf Seiten der Erwerbslosen sind, lautet das Credo der Mitläufer: „Unsere Arbeit kommt beiden Seiten zugute. Sie hilft, die Gesamtsituation zu entspannen, was sowohl für den Sachbearbeiter als auch für den Hilfesuchenden zu einer besseren und damit konstruktiveren Atmosphäre und besseren Ergebnissen für alle Beteiligten führt.“ Damit wird das Machtgefälle zwischen den Jobcentermitarbeiter und den Erwerbslosen ausgeblendet.

Wenn eine Seite darüber entscheiden kann, ob dringend benötigte Gelder angewiesen werden oder nicht, ob Sanktionen verhäng werden oder eine Aufforderung zur Mietsenkung verschickt wird, dann wird der Ruf nach einem fairen Umgang schnell zum Hohn. Deswegen kritisieren auch viele aktive Erwerbslose die neue Initiative. „Ich möchte kein Mitläufer sein und würde es auch niemand raten“, erklärte ein Berliner Erwerbsloser, der seit Jahren selber Begleitungen anbietet und sich auch selber begleiten lässt. Dass die neue Initiative Zulauf bekommt, überrascht den Mann nicht. Schließlich fehlt in großen Teilen Deutschlands eine soziale Infrastruktur, die Menschen mit wenig Kontakten eine solidarische Begleitung ermöglicht. Dann werden auch Serviceinitiativen als Rettungsanker gesehen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153132
Peter Nowak

Soliaktionen für Südeuropa

Gewerkschaften und linke Gruppe wollen Streikende unterstützen
Anlässlich des geplanten Generalstreiks in Südeuropa in der kommenden Woche finden in Deutschland in zahlreichen Städten Solidaritätsveranstaltungen statt.

In mehreren südeuropäischen Ländern wird am 14. November zum Generalstreik gegen die Krisenpolitik aufgerufen. In Portugal, Italien und Griechenland, Zypern und Malta wird für den ersten europaweiten den ersten europaweiten Generalstreik schon seit Monaten unter dem Kürzel N14 mobilisiert. In Deutschland hingegen wurde noch vor wenige Wochen auf der Internetplattform Indymedia darüber geklagt, dass hierzulande der Aktionstag wohl mal wieder verschlafen werde. Doch mittlerweile hat sich das Bild geändert. In zahlreichen Städten, darunter in Berlin, Köln und Frankfurt/Main finden am 14. November Solidaritätsveranstaltungen mit den Streikenden in Südeuropa statt. Organisiert werden sie von Bündnissen und Gruppen, die sich schon bereits in den vergangenen Monaten an Krisenprotesten in Deutschland beteiligt haben. Dazu gehört unter Anderem das Blockuppy-Bündnis, das im Mai 2012 von der Polizei stark behinderte europaweite Aktionstage in Frankfurt/Main organisiert hat. Auch das M31-Bündnis, das den antikapitalistischen Aktionstag am 31.März zur Zentrale der Europäischen Zentralbank nach Frankfurt/Main eingeladen hatte, will sich wieder an den Protesten beteiligen. In den letzten Wochen gab es in linken Kreisen Kritik, dass nach dem als Erfolg eingeschätzten Aktionstag am 31.März von dem Bündnis wenig zu hören war. Dabei wurde vor den Aktionstag der Anspruch formuliert, dass er der Beginn europaweiter Proteste werden soll. Damit wird auch eine Problematik der Krisenproteste in Deutschland deutlich. Weil die Gruppen meistens wenig lokale Verankerung haben, gehen die Aktionen oft an die finanzielle und zeitliche Substanz der Aktivisten. Daher ist nach der Großdemonstration oft wenig Zeit für weitergehende Aktivitäten.
Kooperation mit den Gewerkschaften
Bei den Aktionen zum 14. November wird von vielen linken Gruppen die Kooperation mit dem DGB gesucht. So hat in Berlin das Griechenlandkomitee, das dort die Proteste vorbereitet, sogar die eigene Kundgebung vorverlegt, nachdem auch der DGB-Berlin zu den Protesten aufgerufen hat. „Der Berliner DGB hat gebeten, die Aktionen am 14.11. gemeinsam durchzuführen. Das Griechenlandsolidaritätskomitee und die unterstützenden mehr als 20 Organisationen entsprechen diesem Wunsch“, beschreibt Komiteemitglied Michael Prütz gegenüber nd die Kooperation. Um 15 Uhr veranstaltet der DGB auf dem Pariser Platz eine Solidaritätskundgebung mit den Generalstreiks in Südeuropa, auf der auch ein Vertreter des Griechenlandsolidaritätskomitees spricht. Dafür ruft der DGB ruft zur anschließenden
Teilnahme an der Demonstration des Bündnisses auf und hält dort einen Redebeitrag. Diese Art der Zusammenarbeit zwischen DGB und linken Gruppen ist auch in anderen Städten geplant. Allerdings gibt es von linken Gruppen auch Kritik an der Haltung der Gewerkschaften. Sie beziehen sich dabei auf eine Erklärung der IG-Metall mit dem Titel „Für ein krisenfreies Deutschland und ein solidarisches Europa“ vom 19. Oktober. Dort wird auf die Krisenproteste mit keinen Wort eingegangen, dafür aber der Wirtschaftsstandort Deutschland als „Lokomotive, die viel Rauch ausstößt und auf Touren ist, bezeichnet. Gefordert wird von IG-Metall-Vorsitzenden Berthold Huber, dass diese dampfende Lokomotive mit Lohnerhöhungen und Förderprogrammen weiter Dampfen soll. . Ganz andere Akzente setzt hingegen die anarchosyndikalistische Basisgewerkschaft FAU in ihrem Aufruf zum Aktionstag.
Gegen einen europaweiten Angriff auf die Arbeiterklasse hilft kein
nationales Kleinklein, heißt es dort. Ein (teil-)europäischer Generalstreik wäre ein historischer Meilenstein.“

https://www.neues-deutschland.de/artikel/803535.soliaktionen-fuer-suedeuropa.html
Peter Nowak

Unimaut vor dem Aus

Auch in der CSU wächst die Zahl jener, die die Studiengebühren abschaffen wollen. Noch vor einem Jahr wollte die eigene Partei ihrem Parteivorsitzenden Horst Seehofer nicht folgen, als der laut über die Abschaffung der Unimaut nachdachte. Der Stimmungswandel ist einem Urteil des bayerischen Verfassungsgerichtshofs geschuldet, das einem von den Freien Wählern initiierten Volksbegehren zur Abschaffung der Studiengebühren grünes Licht gab. Dabei waren nicht nur die CSU, sondern auch die Grünen und die SPD davon ausgegangen, dass das Gericht das Volksbegehren wegen möglicher Eingriffe in das Haushaltsrecht stoppen wird.

Bevor die Initiatoren des Volksbegehrens mit dem Sammeln der knapp 900 000 notwendigen Unterschriften begonnen haben, will nun auch die CSU auf die Gebühren verzichten. Auch bei der mitregierenden FDP beginnt die Diskussion. Das schnelle Einlenken macht deutlich, dass die Regierungspartei das Thema für so relevant hält, dass sie es aus dem beginnenden Wahlkampf raushalten will. Studiengebühren sind also auch für die Konservativen keine Wahlwerbung. Diesen Erfolg können sich die studentischen Gegner der Unimaut auf die Fahne schreiben. Nur hört man über sie in den Medien wenig. Dafür kann die bürgerliche CSU-Konkurrenz von den Freien Wählern jetzt den Erfolg für sich verbuchen. Dabei wurde dort, wie jetzt auch bei der CSU, hauptsächlich damit argumentiert, dass fast alle anderen Länder auf Kosten Bayerns auf die Unimaut verzichten und es daher ein Akt der Gerechtigkeit ist, wenn der Freistaat nachzieht. Dann bliebe nur die schwarzgelbe Landesregierung von Niedersachsen als Verteidiger der Studiengebühren übrig. Auch dort beginnt demnächst der Wahlkampf.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/802410.unimaut-vor-dem-aus.html
Peter Nowak

Kein Durchkommen für Gerichtsvollzieherin

Mieteraktivisten verhinderten in Berlin- Kreuzberg eine Wohnungsräumung

„Ob Ali ob Kalle, wir bleiben alle“, hallte es am Montagmorgen durch die Lausitzer Straße in Berlin-Kreuzberg. Dort hatten sich vor dem Eingang der Nummer 8 ca. 150 Menschen versammelt. Sie wollten verhindern, dass die seit Jahren in diesem Haus lebende fünfköpfige Familie G. zwangsgeräumt wird.

Die Familie hatte Einspruch gegen eine Mieterhöhung erhoben und in sämtlichen juristischen Instanzen verloren. Weil die Familie die vom Gericht verfügten Mietnachzahlungen erst zwei Monate nach der gesetzten Frist beglich, wurde ihnen vom Hauseigentümer gekündigt. Der Bundesgerichtshof hielt die Kündigung wegen der verspäteten Nachzahlung für rechtmäßig. Für den 22. Oktober hatte sich die Gerichtsvollzieherin angesagt. Die Familie wandte sich an Nachbarn und Mieterorganisationen, die zum Kiezfrühstück in die Lausitzer Straße 8 mobilisierten. Daher war der Hauseingang blockiert, als die Gerichtsvollzieherin um 9 Uhr aus ihrem Auto stieg.

Sie versuchte gar nicht erst ins Haus zu gelangen sondern fuhr wieder weg. Es ist wahrscheinlich, dass sie das nächste Mal unangekündigt und mit Polizeibegleitung wieder kommt. Trotzdem sehen sowohl die betroffene Familie als auch die Aktion als Erfolg. „Die Verhinderung der Räumung ist ein Zeichen praktischer Solidarität mit von Verdrängung bedrohten Mieter in Berlin“, erklärte David Schuster vom Bündnis „Zwangsräumungen verhindern“ gegenüber Telepolis.

Mieterwiderstand wird Alltag

Die positive Einschätzung wird verständlich, wenn man die Räumungsverhinderung in einen größeren politischen Kontext einordnet. Es sind nicht mehr langjährige politische Aktivisten, sondern Betroffene, die sich gegen eine als ungerecht empfundene Entscheidung wehren, die den Berliner Mieterwiederstand der letzten Monate prägten. Schon vor der Familie G. hat sich die ganz in der Nähe lebende Frau C. entschlossen, sich gegen die Räumung zu wehren.

Sie hatte Schilder mit entsprechenden Aufschriften in die Fenster ihrer Parterrewohnung gehängt, wodurch sympathisierende Nachbarn und Unterstützer auf ihren Fall aufmerksam wurden. Zum Forum für Menschen wie Frau C. und Familie G. wurde in den letzten Monaten das Mietercamp am Kottbuser Tor, das die lockeren Zeltplanen mittlerweile durch einen Container ersetzt hat und damit deutlich machte, dass ihr Protest auch in der kalten Jahreszeit weitergeht.

Mittlerweile haben sich Architekten und Sozialwissenschaftler mit einem Aufruf für eine Wohnungspolitik, die sich an sozialen Belangen richtet, den Forderungen der Mieteraktivisten angeschlossen. Aber nicht nur in Kreuzberg hat sich der Mietenprotest ausgeweitet.

Im Ostberliner Stadtteil Pankow verhinderten Senioren mit einer Besetzung die Schließung ihres Treffpunktes. Jetzt soll die Einrichtung von der Volkssolidarität weitergeführt werden. Zu den Unterstützern aus aller Welt gehörten auch die als „rebellische Großeltern“ bekannt gewordenen Senioren, die in Spanien die Occupy-Bewegung unterstützen.

Auch der Widerstand gegen Zwangsräumungen ist in Spanien in Zeiten der Krise in weiten Teilen der Gesellschaft akzeptiert. In Deutschland steht die Bewegung noch am Anfang. Nicht nur die Erwerbslosenaktivisten, die 2006 die Berliner Kampagne gegen Zwangsumzüge gründeten, sind mit der jüngsten (Protest-)Entwicklung sehr zufrieden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153041
Peter Nowak

Arm, aber durchleuchtet

Sozialhilfeempfänger im Schweizer Kanton Bern müssen einer Offenlegung ihrer persönlichen Verhältnisse zustimmen.

Die Schweiz ist berühmt für ihr Bankgeheimnis, und viele Schweizer wollen auch, dass das so bleibt. Für alle Bürger gilt es jedoch nicht. Das stellte kürzlich das Schweizer Bundesgericht in einem Urteil klar, als es die Verfassungsmäßigkeit des zu Beginn dieses Jahres in Kraft getretenen Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern überprüfte. Geklagt hatten zahlreiche Organisationen, darunter die Demokratischen Juristinnen und Juristen Bern (DJB), die Partei der Arbeit, die Alternative Linke und das Komitee der Arbeitslosen und Armutsbetroffenen Kabba.

Ihrer Ansicht nach verstößt das Gesetz nicht nur gegen die Verfassungsgrundsätze des Datenschutzes, sondern verletzt außerdem das verfassungsmäßig garantierte Recht auf Hilfe in Notlagen. Ihr Hauptkritikpunkt ist der Zwang zur Datenabgabe, die im Berner Sozialhilfegesetz festgeschrieben ist. So müssen Bewerber um Sozialhilfe bereits beim Einreichen ihres Antrags eine Vollmacht ausstellen, die den Sozialbehörden Einblick in sensible persönliche Informationen wie Krankenakten oder Bankdaten ermöglichen soll.

Kritiker sprechen von einem Zwang zur Denunziation und von »Spitzeldiensten gegen Hilfsbedürftige«. Schließlich werde nicht nur der Informationsaustausch zwischen Behörden erleichtert. Das Gesetz verpflichtet auch Vermieter, Firmen, Familienangehörige oder WG-Mitbewohner »zur Erteilung mündlicher und schriftlicher Auskünfte, die für den Vollzug erforderlich sind«. Die Behörden können solche Informationen ohne Zustimmung und Wissen der betroffenen Person einholen.

»Die hysterisch geführte Sozialhilfemissbrauchsdebatte führt im Kanton Bern zur systematischen Entrechtung Hilfsbedürftiger«, schreibt die Schweizer Wochenzeitung. Doch die Mehrheit der Richter beim Schweizer Bundesgericht erklärte den Passus für verfassungsgemäß. In der Anfang Oktober veröffentlichten schriftlichen Urteilsbegründung wird allerdings festgestellt, dass die Vollmacht nur als letztes Mittel zur Anwendung kommen solle. Überdies dürfe bei einer Weigerung, sie zu unterzeichnen, die Sozialhilfe nicht unter das Existenzminimum gekürzt werden. Für den Gerichtspräsidenten Rudolf Ursprung sind die Zweifel daran, dass die buchstabengetreue Lesart des Gesetzes verfassungskonform ist, nicht beseitigt. Die Sozialdienste hätten aber kein Interesse an einer verfassungswidrigen Auslegung, begründete das Mitglied der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP) seine Zustimmung zum Gesetz.

Die SVP sorgt mit Kampagnen gegen Migranten und Muslime, aber auch gegen Sozialhilfeempfänger immer wieder für Schlagzeilen. Die Kläger äußerten sich trotz ihrer Niederlage in einer Erklärung zufrieden, weil das Gericht erkannt habe, dass die Vollmacht aus politischen Gründen in das Gesetz geschrieben worden sei. Außerdem hoffen sie, dass mit dem Urteil einer extensiven Auslegung der Vollmacht Grenzen gesetzt worden sind.

Besonders zufrieden zeigt sich allerdings neben der SVP die wirtschaftsliberale FDP. Beide Parteien haben in Bern die Regelung gegen den Widerstand von Sozialdemokraten und Grünen im Parlament durchgesetzt. Nachdem die Verschärfung im Kanton Bern vor Gericht Bestand hatte, gibt es auch in anderen Kantonen Überlegungen, ähnliche Regelungen einzuführen. Die von manchen Demokratietheoretikern auch hierzulande gelobten Volksabstimmungen sind kaum ein Hindernis, weil Initiativen, die die Interessen von Erwerbslosen und Sozialhilfeempfängern stärken wollen, dabei in der Regel keine Mehrheit bekommen.

Diese Erfahrung mussten auch die Gegner des Berner Sozialhilfegesetzes machen. Unter dem Motto »Datenschutz für alle« hatten verschiedene soziale Initiativen und Erwerbslosengruppen im vorigen Jahr Unterschriften für ein Referendum gesammelt. Dies wurde abgebrochen, weil nur knapp die Hälfte der erforderlichen Unterschriften zusammengekommen war. Erst dann versuchte man, den Schnüffelparagraphen auf juristischem Weg zu stoppen.
http://jungle-world.com/artikel/2012/41/46380.html
Peter Nowak

Tod im Jobcenter nicht verharmlosen

Angriff auf Mitarbeiterin in Neuss sorgt für Debatten

Der gewaltsame Tod einer Jobcentermitarbeiterin aus Neuss Ende September sorgt weiter für heftige Diskussionen unter aktiven Erwerbslosen. Die Bundesagentur für Arbeit kündigte in einem Brief an, verharmlosende oder beleidigende Beiträge juristisch verfolgen zu wollen.

Ein Erwerbsloser griff am 26. September eine Jobcentermitarbeiterin aus Neuss mit einem Messer an und verletzte sie tödlich. Zuvor hatte er bei einem anderen Mitarbeiter eine Vereinbarung unterschreiben, die auch seinen Datenschutz tangierte. Der Mann wollte nach einer Bedenkzeit seine Unterschrift unter die Einwilligung zurückziehen, traf aber den zuständigen Mitarbeiter nicht mehr an. Der tödliche Angriff wurde von den Erwerbslosen verurteilt, aber in Foren wurde auch über die Zustände in den Jobcentern diskutiert, die solche Bluttaten erst möglich machen. Diese Diskussionen ebenso wie die Presseberichte zum Thema scheinen beim zuständigen Jobcenter auf Unmut zu stoßen. Das Erwerbslosenforum Deutschland hat eine Mail bekannt gemacht, die von der Vorsitzenden der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesanstalt für Arbeit (BA) Christiane Schönefeld an alle Mitarbeiter der Arbeitsagenturen und Jobcenter in NRW geschickt wurde
Darin wird heftige Medienschelte geübt: „Von einem Teil der Medien wird der Tod unserer Kollegin in der Berichterstattung zum Anlass genommen, Missstände und gesellschaftliche Verwerfungen anzuprangern. Zudem wird dort angekündigt, das systematisch Internetforen und Blogs auf mögliche strafbare Äußerungen im Zusammenhang mit dem Tod der Mitarbeiterin kontrolliert werden. Schönefeld moniert in der Mail „verharmlosende, verfälschende und sogar menschenverachtende Beiträgen“ und kündigt juristische Konsequenzen an „Wir werten diese Beiträge bundesweit auf justiziable Äußerungen aus und die Verfasser werden gerichtlich belangt“.
Werner Marquis, der bei der Regionaldirektion der Bundesanstalt für Arbeit für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, bestätigte gegenüber nd die Echtheit des Schreibens.

Martin Behrsing vom Erwerbslosenforum kann die Wut und die Trauer über die Wut und Trauer der Jobcenter- Mitarbeiter nachvollziehen. „ Mit Messern oder anderen gefährlichen Gegenständen geht man nicht in eine Behörde“, lehnt der jedes Verständnis für die Bluttat ab. Im Erwerbslosenforum seien Beiträge, in denen Verständnis für die Bluttat gezeigt wurde und das Opfer zum Täter gemacht wurde, konsequent gelöscht worden, betont er. Auch Postings aus dem rechten Umfeld, in dem die nichtdeutsche Herkunft des Täters zum Anlass für offen rassistische Hetze genutzt wurde, seien sofort gelöscht worden. „Das Erwerbslosen Forum Deutschland gehört eher dem demokratischen linken Spektrum an. Beiträge, die in eine völkische, nationalistische, sexistische und rassistische Richtung, werden konsequent von uns gelöscht und entsprechende Internet-User ausgeschlossen“, stellte Behrsing gegenüber nd die Grundsätze des Forums klar.
Doch er zeigt sich auch die Diktion von Schönefelds Schreiben befremdet. „Es bestehen jetzt berechtigte Sorgen, dass Jobcenter nur all zu leicht zu Hochsicherheitstrakten umgebaut werden, die dann ganz bestimmt kein Ort der Kommunikation sein können.“ Doch gerade diese Kooperation sei das beste Mittel um Bluttaten wie in Neuss zu verhindern.
„Wir wünschen uns dass es ein Nachvollziehen für viele betroffene Erwerbslose gibt, die durch nicht zu rechtfertigende Sanktionen bzw. Zahlungseinstellungen kaum noch Verständnis für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufbringen können“, betont Behrsing.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/801008.tod-im-jobcenter-nicht-verharmlosen.htm

Peter Nowak
https://www.neues-deutschland.de/artikel/801008.tod-im-jobcenter-nicht-verharmlosen.htm
Peter Nowak

Proteste in Griechenland – Ruhe in Deutschland

Merkel zeigte sich solidarisch mit griechischer Regierung, aber wo blieb die Solidarität der sozialen Bewegungen mit der griechischen Bevölkerung?

Tausende gehen auf die Straße, ganze Industriezweige sind in den Streik getreten, um heute gegen die Sparpolitik von Angela Merkel zu protestieren. Diese Nachrichten stammen aus Griechenland, wo die Kanzlerin eine eintägige Stippvisite unter Freunden angetreten ist. Weder Gewerkschaften, soziale Bewegungen oder die stärkste Oppositionspartei, die linkssozialdemokratische Syriza, standen auf ihrem Besuchsprogramm. Daher ist auch die Vorstellung absurd, Merkel sei nach Griechenland gereist, um zu erfahren, wie große Teile der Bevölkerung unter dem Krisenprogramm leiden. Vielmehr diente ihre Kurzvisite der Rückenstärkung des konservativen Ministerpräsidenten, dessen Dreiparteienkoalition sich schwertut, die von der EU immer vehementer eingeforderte Umsetzung des Spardiktats durchzusetzen. Für viele Menschen in Griechenland gehört Merkel zu den wichtigsten Protagonisten des Spardiktats. Daher galt in der Zeit ihres Besuches in Athen Sicherheitsstufe 1.

Doch wie reagierten die sozialen Bewegungen in Deutschland, die in den letzten Monaten immer betonten, sie seien solidarisch mit der griechischen Bevölkerung? Selbst die üblichen Solidaritätskundgebungen scheinen ausgefallen zu sein. Lediglich das globalisierungskritische Netzwerk zückte seine stärkste Waffe, die Presseerklärung, und erklärt sich solidarisch mit den „Demonstrierenden in Griechenland“.

Vom Sommerloch in den Winterschlaf?

„Nein zum Kürzungsdiktat der Troika: Besetzen, Blockieren, Demonstrieren“, heißt es auch auf der Homepage des bundesweiten Krisenprotestbündnisses. Wer darin eine zumindest verbale Unterstützung der griechischen Demonstranten erkennen will, irrt. Denn es handelt es sich um den Aufruf zu den Blockuppy-Aktionstagen vom Mai dieses Jahres. Seitdem scheint die Homepage nicht mehr aktualisiert worden zu sein.

Auch das M31-Bündnis, das am 31. März dieses Jahres mit einem europaweiten antikapitalistischen Aktionstag auf sich aufmerksam machte, scheint sich vom Sommerloch in den Winterschlaf begeben zu haben. Zumindest ist auf der Homepage die Zeit am 31. März stehen geblieben. Wer den Terminkalender für den September anklickt, findet nur leere Felder. Dabei hatte der Aktionstag, der von den Protesten gegen die Privatisierung eines Wasserwerks in Thessaloniki beeinflusst war, den Anspruch, der Beginn eines europaweiten Protestzyklus auf antikapitalistischer Grundlage zu sein.

Selbst von den Griechenland-Solidaritätskomitees, die vor allem von Gruppen aus dem trotzkistischen Spektrum gegründet wurden, hört man dieser Tage nichts . Da drängt sich der Verdacht auf, dass sie vor allem gegründet wurden, um bei einem Syriza-Wahlsieg Präsenz zu zeigen. Da es dazu nicht gekommen ist, halten sich die Aktivitäten in engen Grenzen.

Vielleicht wird diese Inaktivität der gesamten Protestbewegung in Deutschland bald Thema der Blockuppy-Tage im Zelt sein, zu dem für übernächstes Wochenende nach Frankfurt geladen wird. Dort soll ein Teil der Vorträge im Zelt nachgeholt werden, die im Mai wegen des Verbots nicht durchgeführt werden konnte. Auf einen Bewegungs- und Aktionsratschlag soll auch über weitere Aktionen diskutiert werden. Eine Art Blockuppy 2013 ist in der Diskussion.

Dabei müsste einmal die Frage diskutiert werden, warum solche Proteste nur als kräftezehrendes Großevent möglich sind, nach dem immer große Pausen folgen, in denen sich die Aktivisten psychisch und finanziell regenerieren müssen. Gerade der fehlende Alltagswiderstand ist der Grund, warum der Griechenlandbesuch Merkels hierzulande ohne Resonanz blieb. Deutschland als fast protestfreie Zone, dieses Szenario haben bereits vor 20 Jahren auf Konferenzen Aktivisten wie Thomas Ebermann heraufziehen sehen. Sie begründeten das Szenario mit der politisch und ökonomisch gestärkten Rolle Deutschlands, in dem die Protestbewegung eine ähnlich marginale Rolle wie in den USA spielen würde. Dieser Vergleich würde auch erklären, warum zumindest in Griechenland, aber sicher auch in anderen Ländern der europäischen Peripherie ein Besuch deutscher Spitzenpolitiker eine ähnliche Protesthaltung hervorruft wie in Lateinamerika der Besuch des US-Präsidenten.

Einige Aktivisten aus Deutschland haben sich doch an Protesten beteiligt. So heißt es auf der Attac-Homepage: „Eine soziale Bewältigung der Krise ist nur durch massiven Widerstand gegen die Kürzungsdiktate, die Verarmungspolitik und den Privatisierungswahn durchsetzbar“, ergänzte Tine Steininger, die am Montag für Attac Deutschland nach Athen gereist ist, um sich den Demonstrierenden anzuschließen. Zudem hat Attac einen Weblog eingerichtet, der aktuell über die aktuellen Proteste in Griechenland informiert.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152951
Peter Nowak

Ist Kritik an Situation in Jobcenter gleich ein Fall für die Justiz?

Die Mail einer Regionaldirektorin der BA wirft Fragen auf

Der gewaltsame Tod einer Jobcentermitarbeiterin aus Neuss vor einer Woche sorgt weiter für heftige Diskussionen unter aktiven Erwerbslosen. Ein Erwerbsloser hatte die Mitarbeitern mit einem Messer angegriffen und tödlich verletzt, nachdem er bei einem anderen Mitarbeiter gegen seinen Willen eine Vereinbarung unterschreiben musste, die auch seinen Datenschutz tangierte. Der Mann wollte nach einer Bedenkzeit seine Unterschrift unter die Einwilligung zurückziehen, traf aber den zuständigen Mitarbeiter nicht mehr an.

Der tödliche Angriff wurde von den Erwerbslosen verurteilt, aber in Foren wurde auch über die Zustände in den Jobcentern diskutiert, die solche Bluttaten erst möglich machen. Diese Diskussionen ebenso wie die Presseberichte zum Thema scheinen beim zuständigen Jobcenter auf Unmut zu stoßen. Das Erwerbslosenforum Deutschland hat nun eine Mail bekannt gemacht, die von der Vorsitzenden der Regionaldirektion Nordrhein-Westfalen der Bundesanstalt für Arbeit, Christiane Schönefeld, an alle Mitarbeiter der Arbeitsagenturen und Jobcenter in NRW geschickt wurde. Gleich zu Beginn wird Medienschelte geübt: „Der traurige Anlass hat bundesweit Bedeutung. Von einem Teil der Medien wird der Tod unserer Kollegin in der Berichterstattung zum Anlass genommen, Missstände und gesellschaftliche Verwerfungen anzuprangern.“

Zudem scheint die BA systematisch Internetforen und Blogs auf mögliche strafbare Äußerungen im Zusammenhang mit dem Tod der Mitarbeiterinnen zu kontrollieren. Schönefeld schreibt in der Mail von „verharmlosenden, verfälschenden und sogar menschenverachtenden Beiträgen“ und kündigt an: „Wir werten diese Beiträge bundesweit auf justiziable Äußerungen aus und die Verfasser werden gerichtlich belangt.“

Werner Marquis, der bei der Regionaldirektion der Bundesanstalt für Arbeit für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zuständig ist, bestätigte gegenüber Telepolis die Echtheit des Schreibens. Die vom Erwerbslosenforum veröffentlichte Version sei allerdings nur ein Ausschnitt des Schreibens, das Schönefeld bereits am 1. Oktober verfasste. Mit der Veröffentlichung habe man keine Probleme, weil die BA davon ausgehe, dass von ihr verschickte Mails gestreut würden, betonte Marquis. Zur Art der Kontrolle der Internetbeiträge konnte er sich nicht äußern. Es werde aber alles dokumentiert, und es seien auch erste Anzeigen in Fällen gestellt worden, in denen die Äußerungen strafrechtlich relevant waren.

Kooperation angemahnt

Im Erwerbslosenforum seien Beiträge, in denen Verständnis für die Bluttat gezeigt wurde und das Opfer zum Täter gemacht wurde, konsequent gelöscht worden, betont Martin Behrsing gegenüber Telepolis. Auch Postings aus dem rechten Umfeld, in dem die nichtdeutsche Herkunft des Täters zum Anlass für offen rassistische Hetze genutzt wurde, seien ebenfalls sofort entfernt worden. Doch auch über die Diktion von Schönefelds Schreiben zeigt er sich befremdet. Schließlich könnten auch Berichte von Betroffenen, die über ihre Erfahrungen am Jobcenter berichten, in die Nähe von Straftaten gerückt werden. Schließlich hat das ELO bereits Erfahrungen mit juristischen Ermittlungen, nachdem Erwerbslose eine Entführung in einem Aachener Jobcenter diskutiert und kommentiert hatten.

„Wir wünschen uns, dass es ein Nachvollziehen für viele betroffene Erwerbslose gibt, die durch nicht zu rechtfertigende Sanktionen bzw. Zahlungseinstellungen kaum noch Verständnis für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aufbringen können“, betont Behrsing und sprach sich für mehr Kooperation zwischen Erwerbslosen und Jobcentermitarbeitern aus .

Vor allem die gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter der Jobcenter müssten ein Interesse daran haben, dass eine Diskussion über die Zustände und den Druck in den Jobcentern beginnt. Schließlich klagen auch Jobcenter-Mitarbeiter in persönlichen Gesprächen, dass sie selber Druck von ihren Vorgesetzen ausgesetzt sind, den sie wiederum an die Erwerbslosen weitergeben sollen oder müssen. In Frankreich hatte sich vor einigen Jahren die Mitarbeiterin eines Arbeitsamtes persönlich verpflichtet, keinen Druck auf Erwerbslose auszuüben. Erwerbslose haben in Deutschland unter dem Motto „Fabienne gesucht“ Unterstützung von Jobcenter-Mitarbeitern angemahnt. Das Schreiben von Schönfeld vermittelt hingegen ein ganz anderes Signal.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152945
Peter Nowak