Nein zu Spardiktaten und Nationalismus

Besuch in Griechenland: Soziale Projekte aus der Not heraus und Selbstorganisation
Gewerkschafter lernten bei einer Griechenland-Reise ein Land zwischen sozialen Experimenten und faschistischer Gefahr kennen

»Unser Ziel ist es, zu gewährleisten, dass niemand im nächsten Winter an Hunger stirbt.« Diesen Satz sagte ein Abgeordneter der linkssozialistischen Syriza in Griechenland zu einer Gruppe von europäischen Gewerkschaftern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. »Wir wollen uns ein eigenes Bild von dem krisengebeutelten Land machen und unsere Solidarität bekunden«, beschreibt der Berliner Metall-Gewerkschafter Hans Köbrich die Motivation der einwöchigen Solidaritätstour.
Die Gewerkschafter besuchten zahlreiche Solidaritätsprojekte, in denen die Menschen versuchen, die Folgen der Krise zumindest abzumildern. Gleich am zweiten Tag der Delegation besichtigten sie ein im Aufbau befindliches soziales Zentrum in Athen. Es wird in einer ehemaligen Privatschule auf Spendenbasis eingerichtet. Ein Gesundheitszentrum stand ebenso auf der Agenda der Delegation wie ein besetzter ehemaliger Campingplatz, der 20 Jahre nicht mehr genutzt wurde. Anwohner haben die »Bürgerinitiative Alternative Aktion« gegründet und das Areal besetzt, damit sie kostenlos den Strand nutzen können.

Die Solidaritätsreisenden haben verschiedene dieser selbstorganisierten Projekte sowie verschiedene Basisgewerkschaften besucht. Sie haben dabei ihre parteipolitische Neutralität deutlich gemacht. Allerdings wird auf dem auf der Internetplattform Labournet veröffentlichten Reisetagebuch deutlich, dass Aktivisten von Syriza öfter bei den Treffen anwesend waren, während ein Besuch bei der der Kommunistischen Partei nahestehenden Gewerkschaftsverband Pame nicht geplant war. Dabei wäre es sicher auch interessant gewesen, was aus den Beschäftigten geworden ist, die mehrere Monate ein Stahlwerk bei Athen besetzt hatten. Die maßgeblich von der Pame getragene Aktion war von Gewerkschaften in verschiedenen Ländern als Protest gegen die EU-Politik unterstützt worden.

Rechte Gewalt steigt an

Besonders entsetzt waren die Gewerkschafter über das Ausmaß rechter Gewalt, von der in den letzten Monaten besonders Flüchtlinge in Griechenland betroffen sind. Dabei sei die neonazistische Partei der Morgenröte mit ihren gewalttätigen Angriffen nur die Spitze des Eisbergs, berichten die Gewerkschaftler. So hätten die Polizeirazzien in von Flüchtlingen bewohnten Stadtteilen massiv zugenommen. Gleichzeitig seien Antifaschisten, die sich mit den bedrohten Menschen solidarisieren, von staatlicher Repression betroffen.

Die Gewerkschafter sind nach der einwöchigen Delegation also mit sehr gemischten Eindrücken zurückgekehrt. Das Anwachsen der rassistischen und faschistischen Bewegung gehört zweifellos den negativsten Erfahrungen. Prägend war für viele Teilnehmer auch der Alltagswiderstand in Griechenland, der hierzulande kaum bekannt ist. Selbst in linken Medien werde oft nur die Opferhaltung, kritisiert ein Delegationsteilnehmer. »Griechenland wird oft als Experimentierfeld bezeichnet, das zeigen soll, wie weit die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten vorangetrieben werden kann. Wir haben aber auch ein Land kennengelernt, das ein Laboratorium für neue Formen des sozialen Lebens geworden ist.« Ihre so völlig unterschiedlichen Eindrücke wollen die Gewerkschafter auf Veranstaltungen in Deutschland weiter vermitteln. In Berlin berichtet die Reisegruppe am 13.November um 18 Uhr im Haus der IG Metall in der Alten-Jakob-Straße 149. Dort sollen auch Spenden für die soziale und antifaschistische Projekte gesammelt werden.

Das Tagebuch finden Sie unter: www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/2012/griechenreisetagebuch.html
http://www.neues-deutschland.de/artikel/803711.nein-zu-spardiktaten-und-nationalismus.html
Peter Nowak

Nur noch eine Mahlzeit am Tag

Interview Enteignung von Supermarkt-Lebensmitteln, Landbesetzung: Der Koordinator der andalusischen SAT in Sevilla erklärt, wie die Gewerkschaft gegen die Folgen der Krise kämpft

Der Freitag: Ihre Gewerkschaft SAT hat in den vergangenen Wochen mit Landbesetzungen und Enteignungsaktionen in Supermärkten auf sich aufmerksam gemacht. Warum greift die SAT zu solchen Mitteln?

Miguel Sanz Alcántara: Dazu muss man mehr über die Geschichte der SAT wissen. Sie wurde 2007 gegründet und hat sich aus der andalusischen Landarbeitergewerkschaft SOC entwickelt. Dort waren seit 1977 neben vielen unabhängigen Kollegen eine maoistische Strömung sowie Sektoren der christlichen Linken vertreten. Schwerpunkt der SOC war die Organisierung der andalusischen Landarbeiter. Landbesetzungen gehörten seit unserer Gründung zu den wichtigen Kampfmitteln.

Sind die Lebensmittelenteignungen, eine neue Aktionsform?

Wir haben die Lebensmittel aus den Supermärkten enteignet und unter den Erwerbslosen verteilt. Es ist natürlich nicht möglich, mit Lebensmittelenteignungen die Folgen der Wirtschaftskrise zu lindern. Aber wir wollten deutlich machen, dass durch die Krise Menschen Not leiden und sich keine qualitativ wertvolle Nahrung leisten können, während den Banken Millionen geschenkt werden. Immer mehr Menschen müssen entscheiden, ob sie ihr Geld für das Begleichen der Stromrechung oder für Lebensmittel ausgeben. Es gibt zudem immer mehr Kinder, die nur noch einmal am Tag eine Mahlzeit zu sich nehmen. Mit unserer Aktion wollen wir Druck auf die Regierung ausüben, damit den Erwerbslosen genügend Geld für Nahrungsmittel zur Verfügung gestellt wird.

Nach der Aktion gab es auch in Spanien eine heftige Debatte darüber, ob sie legitim war. Befürchten Sie Repressionen gegen Ihre Gewerkschaft?

Die rechtskonservative Regierung zieht die Repressionsschraube gegen Gewerkschaften an. Davon ist nicht nur die SAT betroffen. Seit dem erfolgreichen Generalstreik vom 29. März 2012 waren Gewerkschafter der Arbeiterkommissionen CCOO aber auch der anarchosyndikalistischen Gewerkschaften mit Razzien und sogar Festnahmen konfrontiert. Die SAT wird von der Regierung seit langem ökonomisch stranguliert. Wegen verschiedener Besetzungsaktionen musste unsere Gewerkschaft insgesamt 400.000 Euro Strafe zahlen. Weitere Repressalien machen die SAT nur populärer und die Solidarität wächst. Diese Erfahrungen haben wir in den letzten Monaten gemacht.

Spanien war einer der Zentren der Bewegung der Empörten im letzten Jahr. Wie sieht es zur Zeit mit den Krisenprotesten aus?

Tatsächlich ist die Bewegung der Empörten schwächer geworden. Aber es hat auch inhaltliche Fortschritte gegeben. Während im letzten Jahr von dem Großteil der Empörten noch alle Organisationen, auch die SAT abgelehnt wurde, wird jetzt unterschieden zwischen Organisationen, die für die Krise verantwortlich sind und andere, die dagegen kämpfen. Für den 15. September sind Großaktionen in Spanien geplant, an denen auch Kollegen aus anderen, vor allem südeuropäischen Ländern teilnehmen sollen. Für Mitte Oktober ist ein gemeinsamer Streik von Beschäftigten in Spanien, Italien und Griechenland in der Diskussion. Ob es gelingt, wird von der Rolle der großen Gewerkschaften abhängen.
http://www.freitag.de/autoren/der-freitag/nur-noch-eine-mahlzeit-am-tag
Interview. Peter Nowak