Armut trotz Lohnarbeit steigt

Subvention für Unternehmer: Hartz IV ist längst nicht mehr nur eine Art prekäre Grundsicherung für Erwerbslose, sondern auch für Erwerbstätige

Immer öfter reicht das Einkommen von Beschäftigten nicht mehr zum Leben und die Betroffenen müssen mit Hartz-IV-Leistungen aufstocken. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle DGB-Studie. Demnach ist das Verarmungsrisiko Erwerbstätiger in den letzten Jahren gestiegen und weist große regionale Unterschiede auf. In den alten Bundesländern waren Ende 2011 durchschnittlich fast 29 Prozent der Hartz-IV-Empfänger zwischen 15 und 64 Jahren erwerbstätig. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR waren es fast ein Drittel. In Brandenburg, Sachsen und Thüringen ist sogar mehr als ein Drittel der Hartz-IV-Bezieher berufstätig. Zwischen 2007 und 2010 stieg die Zahl der Haushalte mit mindestens einem erwerbstätigen Hartz-IV-Bezieher in den alten Bundesländern um 14 Prozent und in Ostdeutschland um 11 Prozent.

Berlin: arm, aber Hartz IV

Am stärksten war der Anstieg von erwerbstätigen Hartz-IV-Empfängern in Berlin. „Arm, aber Hartz IV“, könnte man einen vielzitierten Spruch des amtierenden Regierenden Bürgermeisters variieren. Aber auch in Bremen, Hessen und Hamburg ist die Zahl der erwerbstätigen Hartz-IV-Empfänger stark gestiegen. Die Studie belegt einmal mehr eine in der Öffentlichkeit noch immer zu wenig wahrgenommene Tatsache: Hartz IV ist längst nicht mehr nur eine Art prekäre Grundsicherung für Erwerbslose, sondern auch für Erwerbstätige.

Die Vorstellung der klassischen Nationalökonomie, dass die Unternehmen für die Reproduktionskosten der bei ihnen Beschäftigten aufkommen müssen, wird so tendenziell immer häufiger außer Kraft gesetzt. Hartz IV ist so auch eine Subvention für die Kapitalseite. Schließlich sind die Reproduktionskosten für den Erhalt bzw. die Wiederherstellung der Arbeitskraft der Beschäftigten unabdingbar. Genau diese Funktion kann in immer mehr Fällen nur noch mittels Hartz IV sichergestellt werden.

In einigen Branchen des boomenden Niedriglohnsektors mag es für die Unternehmen tatsächlich nicht möglich sein, die Reproduktionskosten der Beschäftigten zu tragen. Das trifft beispielsweise auf den boomenden Spätkaufsektor, aber auch für Internetcafes oder Friseurläden zu. In anderen Fällen bedeutet die Lohnsubvention durch Hartz IV einen Extraprofit für die Unternehmer, weil sie nicht einmal mehr für die Reproduktionskosten der Beschäftigten aufkommen müssen. Das ist auch eine Folge der fehlenden Verhandlungsmacht der Beschäftigten und der Gewerkschaften.

Es ist kein Zufall, dass der Anteil der erwerbstätigten Hartz-IV-Empfänger in den neuen Bundesländern besonders hoch ist. Schließlich wurde dort in den 1990er Jahren die Strategie des fast gewerkschaftsfreien Niedriglohnsektors durchgesetzt und dann auf die alten Bundesländer übertragen.

„Helft Heinrich“

Der DGB zieht aus den Ergebnissen der Studie das Fazit, dass ein Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro die Zahl der Hartz-IV-Aufstocker senken und zu einer finanziellen Entlastung der Kommunen und Gemeinden beitragen kann. Zudem würde er die Beschäftigten davor schützen, Lohnarbeit zu fast jeder Bedingung anzunehmen. Genau aus diesem Grunde aber sind Kapitalverbände, die FDP und Teile der Union strikt gegen diese Mindestlöhne. Schließlich hat der Hartz-IV-Bezug sanktionierende und disziplinierende Wirkung und führt zudem noch zur Stigmatisierung. Wenn BILD-Leser voller Stolz posten, keine Hartz IV-Bezieher in ihrem Bekanntenkreis zu haben, wie Christian Baron und Britta Steinwachs in ihrer kürzlich veröffentlichten Untersuchung von „Diskriminerung von Erwerbslosigkeit durch BILD-Zeitungsleser“ dokumentieren, dann wird diese Funktion besonders deutlich. Auch die Autoren unterliegen dabei noch einem Irrtum: Nicht nur Erwerbslose, sondern auch Erwerbstätige mit Niedriglohn werden hier diskriminiert.

Angesichts der Studienveröffentlichung erscheint es gar nicht so absurd, dass belgische Gewerkschaften im letzten Jahr mit der Kampagne „Helft Heinrich“ vorgeschlagen haben, Arbeitnehmer in Deutschland beim Kampf für höhere Löhne zu [www.ak-gewerkschafter.de/2011/07/15/interview-mit-manni-engelhardt-zu-helft-heinrich/ unterstützen]. Auch die Begründung war bedenkenswert.

Höhere Löhne in Deutschland würden auch den Druck der deutschen Regierung vor allem auf die Staaten der europäischen Peripherie verringern, dort ähnliche Niedriglohnsektoren einzuführen. Nur mit dem entscheidenden Unterschied, dass in Griechenland und Spanien kein Spielraum für die staatliche Lohnsubventionierung nach dem Hartz-IV-Äquivalent besteht und dort die Menschen in die nackte Armut getrieben werden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152278
Peter Nowak

Populistische Kampagne

Die Gegner der Energiewende sammeln sich. Nicht immer zeigen sie ihre Opposition offen. Während aus der Wirtschaft über die Kosten geklagt und das Gespenst des Blackout an die Wand gemalt wird, finden sich in der Politik plötzlich merkwürdige Sachwalter der Interessen der Normalverbraucher. An vorderster Front dabei: Politiker von FDP und Union, die gegen jeden Beweis behaupten, einzig die Subvention Erneuerbaren sei an der Erhöhung der Strompreise schuld. Ausgerechnet die FDP entdeckt nun ihr Herz für die Geringverdiener und erklärt den Ausbau von Solar- und Windenergie zur Ursache einer zunehmenden Zahl von Stromabschaltungen in Haushalten von einkommensschwachen Menschen. Das ist eben die Partei, deren ehemaliger Vorsitzender Guido Westerwelle ein angebliches Anspruchsdenken der unteren Schichten mit der spätrömischen Dekadenz verglich. Doch die Häufung von Stromabschaltungen wegen unbezahlter Rechnungen ist auch eine Folge der politisch gewollten Verarmungspolitik mit Niedriglöhnen und Hartz IV.

Als Soforthilfe mit ökologischen Hintergrund hat die LINKE–Vorsitzende Katja Kipping eine Verschrottungsprämie für stromfressende Geräte vorgeschlagen. Dass solche Vorschläge von FDP und Union sofort abgelehnt wurden, verwundert nicht. Denn letztlich geht es ihnen nicht um von Stromabschaltungen betroffene Menschen. Die populistische Kampagne gegen die Erneuerbaren als angebliche Strompreistreiber macht aber deutlich, wie wichtig es ist, ökologische und soziale Fragen zu verbinden.

Der Kampf um Klimagerechtigkeit muss auch hierzulande geführt werden. Dazu gehört auch das Thema, dass den privaten Haushalten tatsächliche oder vermeintliche Kosten der Energiewende aufgebürdet werden, während die Industrie zum großen Teil davon befreit ist. Jeder Versuch hier Gerechtigkeit einzuführen wird schon im Ansatz mit dem Argument der gefährdeten Arbeitsplätze abgewürgt. Doch davon sollte sich eine linke Umweltbewegung nicht schrecken lassen.

http://www.neues-deutschland.de/
artikel/230689.populistische-kampagne.html

Peter Nowak

Widerstand im Dreiländereck

Hunderte Atomkraftgegner aus der Schweiz, Frankreich und- Deutschland haben am Wochenende für die sofortige Stilllegung des AKW Fessenheim und die Förderung erneuerbarer Energien demonstriert. »Mit der Tour de Fessenheim wird die Tradition des Widerstands im Dreyecksland neu belebt«, meint ein Freiburger Aktivist und verweist auf das nie in Betrieb genommene AKW Wyhl, dass Ende der 70er Jahre durch Aktivisten aus Deutschland, Frankreich und der Schweiz verhindert worden ist.

Auf der Anti-AKW-Tour wurde de neugewählte französische Präsident Hollande an sein Wahlversprechen erinnert, Fessenheim so schnell wie möglich abzuschalten. Bei der ersten Sitzung der Überwachungskommission Fessenheim nach dem Regierungswechsel stellte sich aber heraus, dass die Abschaltung des AKW noch dauern wird. Ein zeitaufwendiges Verfahren sei nötig und zudem hat das Betreiberunternehmen Electricité de France (EDF) schon angekündigt, dass es bei einer Abschaltung eine Entschädigung fordern will.
Ingo Falk von der Anti-Atomgruppe Freiburg betonte bei einer Kundgebung in Colmar, dass es nicht reiche, ein AKW stillzulegen. Vielmehr sei eine Energiewende nötig. Daher forderten die AKW-Gegner nicht nur die Stilllegung von Fessenheim sondern besuchten auf ihrer Tour auch verschiedene Orte einer alternativen Energieerzeugung. So wurde eine Kleinwasserkraftwerkanlage in Emmendingen und ein Solardach in Pfaffenheim besichtigt.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/230677.jeder-tag-birgt-das-risiko-
eines-super-gau.html
Peter Nowak

Bild, Deutschlands frechster Arbeitsloser und „Volkes Stimme“

Kann Bild „nur Trends verstärken, aber keine eigenen setzen“, wie Ex-Bundeskanzler Schröder meint?

„Ich habe meinen Frieden mit Bild gemacht“, erklärt Ex-Kanzler Gerhard Schröder in der Geburtstagsausgabe von Bild, die am Samstag kostenlos in Millionen Haushalte verschenkt wurde. Das Schröder-Interview steht dort gleich am Anfang. Dabei wird deutlich, dass der Autokanzler, Bild nie den Krieg erklärt hat. Schließlich hat er das Bonmot geprägt, dass man zum Regieren „Bild, Bams und Glotze“ braucht.. Dass hat der BILD-Redaktion so gut gefallen, dass sie es gleich für den Titel des Interviews verwenden. Dort wird Schröder noch einmal daran erinnert, dass nicht nur seine Frau bei Bild ihre journalistische Laufbahn begonnen hat, sondern auch sein Pressesprecher von dort kam und danach dort weitermachte.

Ein Gedanke, dem auch entschiedene Bild-Kritiker zustimmen dürften, fand sich aber denn noch in dem Schröder-Gespräch. Bild könne „nur Trends verstärken, aber keine eigenen setzen. Es muss immer eine Stimmung da sein, an die Bild anknüpfen kann“.

Zumindest die Soziologen Britta Steinwachs und Christian Baron werden dieser Einschätzung zustimmen. Sie haben im Rahmen der Reihe Kritische Wissenschaften in der edition assemblage unter dem Titel „Faul, frech, dreist“ eine Untersuchung zur „Diskriminierung von Erwerbslosen durch Bild-Leserinnen und -leser“ herausgebracht. Zur Grundlage haben sie dabei die Berichterstattung über den von Bild zu „Deutschlands frechsten Arbeitslosen“ stilisierten Arno Dübel genommen und dabei erstmals auch die Postings auf Bild-Online untersucht und in ihre Studie mit einbezogen. Auf mehr als 20 Seiten sind sie zum Teil im Anhang abgedruckt. Auch wenn dieser Anhang etwas lang geraten ist, ist die Lektüre doch sinnvoll, weil man hier einen ungefilterten Eindruck von „Volkes Stimme“ bekommt.

Lohnarbeit um jeden Preis als Strafe

Denn die Internetpostings drücken anders Leserbriefe aus, was relevante Teile der Bevölkerung über Menschen denken, deren höchstes Ziel eine Lohnarbeit um jeden Preis und zu allen Bedingungen ist. Genau das aber fordern viele derjenigen, die sich zu Dübel bei Bild.de geäußert haben, von ihm ein. Es wird von vielen geradezu als Unverschämtheit angesehen, nicht jede Arbeit zu machen. Selbst Krankheit und Alter sind dabei kein Milderungsgrund. Mindestens zur „Pappe aufheben im Park“ oder Einkaufswägen zusammenstellen, musste er nach ihrer Meinung verurteilt werden .

Dabei wird deutlich, dass es den meisten Dübel-Gegnern um Sanktionierung und Strafe ging. Manche wollten ihn mit einer stupiden Arbeit bestrafen, andere wünschten, dass er im Winter unter Brücken schlafen muss oder „ganz weggesperrt“ wird. Mehrere bekundeten, dass ihnen nicht Dübel, sondern nur sein Hund leid tue. Oft verwiesen diejenigen, die sich besonders gegen Dübel hervortaten, darauf, dass sie auch zu jedem Preis arbeiten und keine staatlichen Hilfen in Anspruch nehmen würden. Einige betonten, dass sie keine Hartz-IV-Empfänger in ihren Freundes- und Bekanntenkreis hätten. Selbst unter der Minderheit, die Dübel gegen besonders harte Anwürfe in Schutz nahm, argumentierten viele, er sei doch so kaputt und krank, dass man „den armen Mann“ mit seinen Hartz IV-Satz dahinvegetieren lassen solle. Nur ganz wenige erinnerten an internationale Konventionen und Gesetze, die es verbieten, einen offensichtlich kranken Mittfünfziger mittellos auf die Straße zu setzen. Einige sahen gerade darin eine besondere Perfidie des Sozialstaates und beendeten ihre Postings nicht selten mit dem Aufruf „Armes Deutschland“.

Diskriminierung von Erwerbslosen durch Lohnabhängige?

So begrüßenswert es ist, dass Baron und Steinwachs die Rolle der Bildleser in den Mittelpunkt ihre Untersuchung zu stellen und damit plumpe Manipulationsthesen den Boden entziehen, so bleiben doch bei ihren Erklärungsansatz einige Fragen offen. Sie bevorzugen den Ansatz des Klassismus und sehen in den Hassmails auf Dübel ein Beispiel für die Diskriminierung von Erwerbslosen durch Lohnabhängige. Allerdings ist schon die Trennung schwierig und nicht wenige der Poster dürften pflichtbewusste Erwerbslose gewesen sein, die ihre ständige Suche nach Lohnarbeit von jemand wie Dübel lächerlich gemacht sehen.

Zudem bleibt bei dem Klassismusansatz die Rolle von Bild unklar. Plausibler wäre es, die Bild-Berichterstattung im Fall Dübel als ein Beispiel von Sozialchauvinismus zu interpretieren, wo sich ein Bündnis von Elite und Teilen der Bevölkerung gegen missliebige Minderheiten austobt. Dass es nicht nur virtuell bleibt, zeigte sich, als Dübel von einer betrunkenen Rentnerin in Mallorca tätlich angegriffen wurde, weil sie wie Bild der Meinung war, er verprasse dort ihre Steuergelder.

Bild hat im Fall Dübel nicht nur immer die passenden Schlagzeilen geliefert und Dübel über Monate ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt, wobei dieser allerdings auch bereitwillig mitspielte. Selbst als er einen Bügeljob angenommen hatte, war Bild gleich wieder an Ort und Stelle und sorgte so schnell dafür, dass er den wieder aufgab.

Hier bilden sich Analogien zur Rolle vom Bild bei der Hetze gegen zwei Männer, die ihre Strafen wegen Sexualdelikten verbüßt hatten und in einem Haus in einer Kleinstadt von Sachsen-Anhalt wohnen. Bild hat diese Männer und ihren aktuellen Wohnort immer wieder an die Öffentlichkeit gezerrt, ein Bündnis von Teilen der Bevölkerung und offenen Neonazis versuchten in den letzten Wochen mehrmals dieses Haus zu stürmen. Als einer der Männer einen neuen Wohnort in einer größeren Stadt wählte, stand ein Bild-Reporter sofort vor der Haustür, so dass dieser fluchtartig zurück in die Kleinstadt von Sachsen-Anhalt zog.

Die bei edition assemblage veröffentlichte Studie zeigt ebenso wie eine im Auftrag der gewerkschaftsnahen Otto-Brenner-Stiftung erstellte Untersuchung, dass für Bild bei aller nach außen vermittelten Lockerheit und Selbstironie auch nach 60 Jahren ihr Geschäftsgeheimnis darin besteht, die regressiven Stimmungen in Teilen der Bevölkerung in Schlagzeilen zu gießen, kampagnenfähig zu machen und zu verstärken. Dass dabei zu einer ungeliebten Minderheit erklärte Menschen zu Opfern werden, wird in Kauf genommen.

Christian Baron/Britta Steinwachs: Faul, frech, dreist. Die Diskriminierung von Erwerbslosigkeit durch BILD-Leser*innen. Edition Assemblage, Münster 2012, 143 Seiten, 14,80 Euro.
http://www.heise.de/tp/blogs/6/152269
Peter Nowak

Werte aus Beton

Anfang der Woche fand in Berlin die Jahrestagung deutscher Immobilienunternehmen statt. Mieter haben dagegen protestiert.

Auf der Jahrestagung der Immobilienwirtschaft, die Anfang der Woche vom Handelsblatt im Hotel Ritz am Potsdamer Platz in Berlin veranstaltet wurde, war auch die Wirtschaftskrise ein Thema. Selbstverständlich ist das nicht, verzeichnete doch der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen im vergangenen Jahr zweistellige Wachstumsraten.

In Zeiten der Finanzkrise gelten Gebäude als relativ sichere Anlage für Kapital, das sich anderweitig nicht mehr investieren lässt. Diese Flucht in den Beton treibt die Preise in die Höhe. Schon warnen Analysten vor dem Platzen einer Immobilienblase. Axel Gedaschko, ein langjähriger CDU-Politiker und der derzeitige Präsident des Bundesverbands Deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen, möchte jedoch nicht von einer Blase auf dem Immobilienmarkt sprechen. »Eine Blase wird man immer daran festmachen können, ob die Mietenentwicklung und die Entwicklung der Kaufpreise in einer Korrelation stehen. Solange das gegeben ist, ist der Kaufpreis real. Wenn er sich abkoppelt, kriegen wir eine Blasenentwicklung. Da sind wir noch nicht.« Für Gedaschko ist die Rechnung sehr einfach: »Bislang wirkt der Markt gesund, auch dort, wo die Preise explodieren – solange diejenigen, die in den Wohnungen wohnen, sie bezahlen wollen.« Am Beispiel der Stadt München, die bei den Mietpreisen schon seit Jahren bundesweit an der Spitze liegt, präzisiert Gedaschko: »Derjenige, der dort baut, zu extrem hohen Kosten, kriegt auch die extremen Mieten.«
So lässt es sich wohnen. Allerdings nur, wenn man das nötige Geld hat. Die Immobilienbranche lässt vorwiegend Luxuswohnungen bauen, wie in diesem Gebäude in Berlin
So lässt es sich wohnen. Allerdings nur, wenn man das nötige Geld hat. Die Immobilienbranche lässt vorwiegend Luxuswohnungen bauen, wie in diesem Gebäude in Berlin (Foto: PA/dpa )

Schließlich erfährt der Wohnungsneubau in Deutschland die großen Zuwächse bei teuren und luxuriösen Projekten für Menschen, die sich solche extremen Mieten leisten können.

Mittlerweile hat die Immobilienwirtschaft berechtigte Hoffnungen, dass bald noch mehr Wohnungen zu dieser Kategorie des Luxussegments zählen werden. Das Zauberwort heißt energetische Sanierung. Das von der Bundesregierung verfolgte Konzept der Gebäudesanierung zur Minimierung des Energieverbrauchs bietet für die Immobilienwirtschaft gleich mehrere Vorteile. Die Mieten steigen und die Rechte der Miete werden eingeschränkt, denn bei der energetischen Sanierung wurden deren Einspruchsrechte beschnitten.

Doch auf der Tagung wurde auch Kritik an der Politik laut, die doch eigentlich von der Union bis zur Linkspartei, wo sie denn in Regierungsverantwortung stand, alles für die Rendite der Immobilienwirtschaft unternommen hat. Dennoch mahnen deren Vertreter eine höhere Förderung für die Gebäudesanierung an und lamentieren über eine Benachteiligung gegenüber den Erzeugern erneuerbarer Energien, die es leichter hätten, vom Staat Geld zu erhalten. Wenn es um Mieterrechte geht, wünscht man sich so wenig Staat und so viel Markt wie möglich, aber eine noch umfangreichere staatliche Förderung wird auch von überzeugten Wirtschaftsliberalen gefordert.

Hier unterscheidet sich die Immobilienwirtschaft nicht von anderen Branchen. Ohne staatliche Subventionen würden die selbst gesteckten Klimaschutzziele nicht ereicht, behaupten deren Sprecher und schieben so die Ökologie vor, um die besten Verwertungsbedingungen für ihre Klientel zu schaffen.

Auch die Menschen mit wenig frei verfügbarem Einkommen, die Mieter, die sich die extremen Mieten nicht leisten können, wurden auf der Tagung der Immobilienwirtschaft nicht vollständig vergessen. Die Bundesregierung und die Länder müssten verhindern, dass Hartz-IV-Empfänger durch die Gebäudesanierung vertrieben werden, so Gedaschko. Dort, wo kein Ausgleich von Mehrkosten durch staatliche Transferleistungen möglich sei, müsse durch die Höhe der Förderung »der Effekt vermieden werden, dass der preiswerte Wohnraum in Deutschland energetisch wegsaniert wird«, sagte der Verbandspräsident.

Die etwa 700 Demonstranten, die am vergangenen Montag gegen die Tagung der Immobilienwirtschaft demonstrierten, hätte er mit solchen Bekundungen nicht beeindrucken können. Mehrere Redner von linken Gruppen, Stadtteil- und Mieterinitiativen sprachen von einer drohenden »energetischen Segregation«.

Mit dieser Einschätzung befinden sie sich in guter Gesellschaft. Seit Monaten schlagen auch Wohnungsbaugesellschaften, Genossenschaften und Mieterverbände Alarm und warnen, dass die Anzahl der Wohnungen, die für Menschen mit einem geringen Einkommen noch bezahlbar sind, durch den energetischen Wohnungsbau weiter sinke. Sie fordern eine Wiederaufnahme für den sozialen Wohnungsbau, den es in Deutschland längst nicht mehr gibt. Wie in vielen Städten haben sich auch in verschiedenen Berliner Bezirken Mieterinitiativen gegründet, die beim Protest vor dem Hotel Ritz dabei waren. Die Mitglieder der Gruppe »Fulda-Weichsel« aus Neukölln präsentierten sich mit selbstgebastelten Straßenschildern, sie wehren sich seit Monaten gegen die sozialen Folgen einer energetischen Sanierung.

»Lernt eure Nachbarn kennen«, beendete eine Rednerin von Fulda-Weichsel ihren Redebeitrag bei der Demonstration. Diesen Ratschlag haben die Mieter, die in den Wohnblöcken am Kottbusser Tor im Berliner Bezirk Kreuzberg leben, längst befolgt. In den siebziger Jahren wurden diese Wohnblöcke mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus gefördert, nun können sich viele der Bewohner die steigenden Mieten und Nebenkosten nicht mehr leisten. In einer seit Ende Mai vor den Wohnblöcken errichteten Holzhütte diskutieren die Anwohner über Wohnungspolitik und Möglichkeiten, sich gegen die Mietsteigerungen zu wehren. Gemeinsam werden Nachtwachen organisiert (Jungle World 24/12). Das »Kotti-Gecekondu«, wie die Hütte auch genannt wird, ist inzwischen mehr als ein Nachbarschaftstreff. »Mittlerweile ist es ein Ort geworden, an dem Menschen aus unterschiedlichen Stadtteilen über Mieterwiderstand reden. Auch aus anderen Städten sind schon Menschen angereist«, sagt eine Mieterin, die sich am Protest beteiligt. Den Stadtsoziologen Andrej Holm verwundert dieses Interesse nicht: »Der Mieterwiderstand braucht öffentliche Orte, an denen er sichtbar wird«, sagte er am Sonntag bei einer Veranstaltung zu den Mieterprotesten am Kottbusser Tor.

Das »Kotti-Gecekondu« könnte man auch als Gegenmodell zum »BMW Guggenheim Lab« betrachten, das am Wochenende im Prenzlauer Berg eröffnet wurde. Zum Thema »Confronting Comfort« sollen dort in den kommenden Wochen Veranstaltungen stattfinden. Während auf der Homepage des »Guggenheim Lab« viel von »Urbanität« und »nachhaltigen Lösungen für das Stadtleben« die Rede ist, diskutieren die Mieter in Kreuzberg darüber, was hinter Slogans wie »Recht auf Stadt« und »eine Stadt für alle« steht, die im Mieterwiderstand sehr populär sind. Wie schnell solche Slogans an ihre Grenzen stoßen, haben Mietergruppen aus dem Wedding erfahren müssen. Sie organisierten am Vortag des 1. Mai eine »Mieten­stopp«-Demonstration, an der sich etwa 4 000 Menschen beteiligten. Doch von der mit dem Quartiersmana­gement verbundenen Initiative der Gewerbetreibenden wurden sie in der Stadtteilzeitung Ecke als auswärtige Randalierer diffamiert. Dass zeigt, dass auch die Selbstorganisation im Kiez nicht immer solidarisch ist.

http://jungle-world.com/artikel/2012/25/45680.html

Peter Nowak

Demografie und Arbeitswelt


Tarifpartner wollen Modelle für alternsgerechtes Arbeiten im Dienstleistungsbereich entwerfen

Alle reden davon, dass die Zahl der jüngeren Menschen in unserer Gesellschaft zurückgeht. Was bedeutet die Entwicklung für die Arbeitswelt? Dieser Frage widmete sich eine Konferenz in Berlin.

Mit einer Konferenz in Berlin wurde diese Woche der Startschuss für das bislang größte Demografie- und Tarifprojekt zur Zukunft der Dienstleistungsbranche in einer alternden Gesellschaft gegeben. Getragen wird es von der Gewerkschaft ver.di, Branchenverbänden und Politik. Unter dem Namen »Zusammen wachsen, Arbeit gestalten« sollen bis 2014 für fünf große Dienstleistungsbereiche – Handel, Pflege, Erziehungs- und Sozialdienst, ÖPNV und Straßenmeistereien – Modelle für alternsgerechte Arbeit entwickelt und erprobt werden. Experten aus 50 Tarifgebieten sind beteiligt.

»Der zu erwartende Rückgang der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter um gut fünf Millionen in den kommenden 15 Jahren macht deutlich, dass die Zeit drängt«, erklärte Projektleiterin Tatjana Fuchs. Als einen wichtigen Schritt nannte sie eine Verständigung über Bedingungen für ein gesundes und motivierendes Arbeiten »vom Berufsstart bis zum Renteneintritt«. Wie ver.di-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger erklärte, sollen Beschäftigte »auch in Zukunft gesund und sozial abgesichert in Rente gehen können«.

Davon können allerdings viele Arbeitnehmer schon heute nur träumen. Vor allem im Einzelhandel und im Pflegebereich sind niedrige Löhne und der Arbeitsdruck besonders stark ausgeprägt. Deshalb könnten sich die Bedingungen für die Beschäftigten sogar verbessern, wenn durch die demografische Entwicklung Arbeitskräftemangel herrscht. Es war der Vertreter des Unternehmerlagers, der diesen Punkt offen ansprach. Bald werde die Zeit vorbei sein, so Rainer Marschaus, Tarifexperte der Metro AG, wo Mitarbeiter mit der Drohung eingeschüchtert werden können, es warteten Hunderte, die seine Stelle gerne übernehmen würden.

Verbessern sich durch diese Situation die Kampfbedingungen für Gewerkschaften? Die Antwort von ver.di-Frau Nutzenberger fiel zurückhaltend aus. Einerseits bekräftigte sie die Kritik ihrer Gewerkschaft an der Rente mit 67. Andererseits ließen gleich mehrere Podiumsteilnehmer durchblicken, dass sie von einer Verlängerung der Lebensarbeitszeit ausgehen – den Kampf also verloren geben. Nutzenberger betonte an dieser Stelle erneut, dass die Arbeitsbedingungen derart verbessert werden müssten, dass gute Arbeit von der Ausbildung bis ins hohe Alter möglich würde. Die Frage nach dem Beginn des Rentenalters blieb hierbei offen. Auch von der Notwendigkeit des lebenslangen Lernens und Weiterbildens sprachen mehrere Podiumsteilnehmer. Auch hier wurde die Frage ausgeblendet, wie aus einem Recht eine Pflicht zum lebenslangen Lernen wird.

Der Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium Gerd Hoofe blieb mit seiner Argumentation ganz dem Standort Deutschland verpflichtet, wenn er davor warnte, dass ein durch die demografische Entwicklung bedingter Arbeitskräftemangel die Wirtschaft Deutschlands gefährde. Unternehmen, die kräfteschonende Arbeitsbedingungen schaffen und das Wohlbefinden der Beschäftigten in den Mittelpunkt stellen, sind für ihn daher gleich ein Beitrag zur Stärkung des deutschen Wirtschaftsstandorts.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/230445.demografie-und-arbeitswelt.html
Peter Nowak

Es gibt ein enormes ökonomisches Interesse am Weiterbetrieb des AKW Fessenheim

Widerstand im Dreiländereck gegen ältestes französisches AKW

Elke Brandes ist Mitglied der Umweltorganisation BUND und gehört zum Organisations-Team der Tour de Fessenheim. Aufgerufen wird zu einer grenzüberschreitenden Demonstration gegen den Betrieb des Atomkraftwerkes im elsässischen Fessenheim, die an diesem Wochenende stattfindet.

Dem Atomkraftwerk (AKW) Fessenheim wurde vor wenigen Monaten bei einer 10-Jahres-Inspektion die Sicherheit für den weiteren Betrieb bescheinigt. Auch der neue französische Präsident François Hollande will den Meiler offenbar nicht vor 2017 stilllegen. Warum organisieren Sie weiter den Protest?

Elke Brandes: Jeder weitere Tag, an dem dieses Atomkraftwerk in Betrieb ist, birgt das Risiko eines Super-GAU wie in Fukushima. In der Region um Fukushima hatten die Menschen noch Glück im Unglück, denn es wehte meist ein Wind in Richtung Meer, der dafür sorgte, dass die Todeszone auf einen Radius von 30 bis 40 Kilometer beschränkt blieb. Bei einem Super-GAU im AKW Fessenheim würde bei den vorherrschenden Windverhältnissen nicht nur die Region um das nur 24 Kilometer entfernte Freiburg unbewohnbar, sondern selbst Stuttgart, Schwäbisch Hall und Nürnberg könnten für Jahrzehnte unbewohnbar werden. Das AKW Fessenheim enthält ein radioaktives Inventar, das 1.760 Hiroshima-Bomben entspricht.

Ein Tsunami dürfte am Oberrhein wohl ausgeschlossen sein. Was könnte nach Ihrer Ansicht einen Super-GAU im AKW Fessenheim auslösen?

Elke Brandes: Zunächst einmal: Es bedarf keiner Ursache von außen. Auch das AKW Fessenheim ist konstruktionsbedingt nur für eine Betriebsdauer von 25 Jahren ausgelegt. Diese Frist endete im Jahr 2002. Dabei wurden bereits in den ersten Jahren des Betriebs Risse in einem der beiden Reaktordruckbehälter und in dessen 54 Tonnen schwerem Deckel festgestellt. Der Reaktordeckel von Block 1 etwa wurde im Juli 1996 ersetzt – doch die Reaktordruckbehälter können nicht ausgetauscht werden. Dabei wird das Material durch den Neutronenbeschuss aus dem Kern immer brüchiger.

…und welche Risiken sehen Sie durch Erdbeben oder andere äußere Ursachen?

Elke Brandes: Das Rheintal ist eine geologische Bruchzone und daher Erdbebengebiet. Im Jahr 1356 wurde die von Fessenheim rund 35 Kilometer entfernte Schweizer Stadt Basel durch ein Erdbeben zerstört. Es handelte sich um das stärkste überlieferte Erdbeben in Mitteleuropa. Im Juni 2011 wurde durch ein Gutachten bestätigt, dass das am Rheinseitenkanal gelegene Atomkraftwerk nicht ausreichend gegen die Folgen eines Dammbruchs gesichert ist. Laut einer TV-Dokumentation auf France 2 hielt der Betreiber-Konzern einen internen Bericht zurück, in dem katastrophale Untersuchungsergebnisse über den Zustand des Rheinseitenkanals zu lesen sind. Und auch gegen einen möglichen Terrorangriff nach dem Vorbild des 11. September 2001 ist das Atomkraftwerk nicht ausreichend geschützt. Seine Betonhülle mit einer Stärke von 80 Zentimetern kann nicht einmal dem gezielten Absturz eines Cessna-Kleinflugzeugs standhalten. Dies sind nur drei Beispiele aus einer ganzen Reihe von nicht zu leugnenden Gefahren.

Wenn es so gefährlich ist, wie Sie darstellen, warum bleibt das AKW dennoch am Netz?

Elke Brandes: In einem Jahr wirft ein Reaktorblock durchschnittlich 300 Millionen Euro an Profit ab. Bei den zwei Reaktorblöcken des AKW Fessenheim sind dies also insgesamt rund 600 Millionen Euro im Jahr. Solange teure Nachrüstungen oder pannenbedingte Stillstandzeiten diesen Profit nicht minimieren, bleibt ein enormes ökonomisches Interesse am Weiterbetrieb. Bekanntlich unterstützt auch die französische kommunistische Gewerkschaft CGT den Weiterbetrieb der Atomkraftwerke. Kürzlich wurde aufgedeckt, dass sich diese Gewerkschaft maßgeblich über Zuwendungen von Konzernen und insbesondere des französischen Stromkonzerns EdF finanziert.

Was unternimmt die Anti-AKW-Bewegung?

Elke Brandes: Elsässische, Nordschweizer und badische Anti-AKW-Initiativen treffen sich regelmäßig, um ihre Arbeit zu koordinieren. Dabei wird auch Wert gelegt auf die Unterstützung der Initiativen gegen die geplanten atomaren Endlager in Benken in der Nordschweiz, in Bure in Lothringen und in Gorleben im Wendland. Auch Kontakte zu Gruppen aus dem CASTOR-Widerstand werden gepflegt. Wichtig ist für uns zudem, dass in Baden-Württemberg die Atomkraftwerke Neckarwestheim und Philippsburg stillgelegt werden.

Neben Großdemonstrationen ist die „Tour de Fessenheim“, die wir in diesem Jahr zum siebten Mal organisieren, für uns eine Möglichkeit, das Bewusstsein für das sogenannte Restrisiko wachzuhalten und zugleich auf die gerade im hiesigen Dreieckland vielfältigen Initiativen zur Realisierung der Energiewende hinzuweisen: kleine Wasserkraftwerke, Windkraftwerke, Solarzellen, Sonnenkollektoren und so weiter. Für einen Atomausstieg, der auch in Deutschland erst noch erkämpft werden muss, ist nicht zuletzt entscheidend, ob wir den Umstieg auf die Vollversorgung durch erneuerbare Energien durchsetzen können.

http://www.heise.de/tp/artikel/37/37135/1.html
Peter Nowak

Pranger gegen Panzerfamilie?

„Wer hat Informationen, die zur Verurteilung dieser Menschen führen?“ – eine Kunstinitiative stellt Eigentümer der Rüstungsfirma Krauss Maffei Wegmann bloß

Ein Banner in den Berliner Kunstwerken, wo noch bis zum Monatsende im Rahmen der Berlin-Biennale Occupy seinen Spagat zwischen Kunst und Politik versucht, sorgt für Aufregung und zeigt Wirkung. „Endlich geben wir dem deutschen Panzerhandel ein Gesicht!“, begründen die Politikkünstler von Zentrum für Politische Schönheit ihre durchaus nicht unumstrittene Outing-Aktion, mit der sie in Form eines Steckbriefs die Familie hinter der Waffenschmiede Krauss Maffei-Wegmann exponiert. Dazu wird im Stil von XY-Ungelöst aufgerufen, alles über die abgebildeten Personen zu melden.

Auch Details der persönlichen Lebensführung gehören ausdrücklich dazu. Auf der Homepage der Kampagne wird dieses Schnüffeln im Privaten damit begründet, dass in Deutschland der Handel mit schweren Kriegsgerät nicht strafbar ist. Also hoffen die Kunstaktivisten, dass ein anderes Vergehen bekannt wird, beispielsweise eine Steuerhinterziehung oder die unangemeldete Beschäftigung einer Hausangestellten, damit sie die Personen doch noch ins Gefängnis bringen können.

„Wer hat Informationen, die zur Verurteilung dieser Menschen führen?“, heißt es auf der Homepage. Die Ähnlichkeit mit Denunziationsaufrufen sticht ins Auge. Das wirft die Frage auf, ob ein politisch unterstützenswertes Ziel – wie die Skandalisierung des Waffenhandels im Allgemeinen und des Waffendeals an Saudi-Arabien – solche Mittel rechtfertigt. Die Beteiligung am Outing scheint nicht besonders hoch. Auf der Kampagnenhomepage zumindest heißt es auf den Steckbriefen der Panzerfamilie, es seien noch keine Angaben eingetroffen. Andererseits finden sich zu einzelnen Mitgliedern teilweise sehr detaillierte biographische Angaben.

Waffenhändler mit Apo-Vergangenheit

So wird der Mozartliebhaber Volkmar von Braunbehrens gefragt, wie er seine Rolle als Miteigentümer einer Waffenschmiede mit seiner Funktion als Vorstandsmitglied der linksliberalen Menschenrechtsorganisation Humanistische Union vereinbaren kann. Braunbehrens Vergangenheit als Aktivist der Studentenbewegung um 1968 wird ebenso aufgeführt, wie seine Strafanzeigen gegen Freiburger Hausbesetzer 2009. Bis vor kurzem gehörte auch Burkhard von Braunbehrens zur Panzerfamilie. Doch vor wenigen Tagen hat er sich öffentlich gegen den Panzerdeal mit Saudi-Arabien gestellt. In einem Interview mit der Tageszeitung erklärte er:

„Ich halte die mögliche Lieferung von Panzern an Saudi-Arabien für eine schlimme Antwort auf die arabische Rebellion. Sie verstößt sowohl gegen die deutschen als auch gegen die europäischen Interessen.“

Ansonsten gibt er sich in dem Interview allerdings sehr wortkarg. Meldungen, dass Burkhard von Braunbehrens nach seiner öffentlichen Distanzierung vom Panzer-Deal mit Saudi-Arabien vom Aufsichtsrat als Mitgesellschafter gefeuert worden sein soll, wollte er weder bestätigten noch dementieren. Erstaunlich zugeknöpft gab sich der Apo-Veteran bei Fragen zu anderen Waffendeals von Krauss-Maffei Wegmann. So wollte er ausdrücklich nicht kritisieren, dass das Unternehmen auch vom Wettrüsten zwischen Griechenland und der Türkei profitiert. In einer Stellungnahme geht der Apo-Veteran allerdings in die Offensive.

„Sie haben in mir eine Person, die die öffentliche Herausforderung annimmt, und die sich und ihr Tun und Lassen im Einklang mit dieser Republik, ihrer Verfassung, ihrer mehrheitlich demokratisch beschlossenen Politik und ihrer Gesetze sieht“, schreibt Braunbehrens, der auf der Internetseite vor einem Panzer aus eigener Produktion steht.

„Ich persönlich bin unbedingt dafür, dass Europa eine eigene Waffenproduktion unterhält, solange es Waffen auf der Welt gibt. Um diese Produktion auf hohem technologischen Niveau aufrecht zu erhalten, ist Export notwendig, weil der heimische und europäische Markt allein zu klein ist.“

In seiner Entgegnung zeigt der durch die Apo sozialisierte von Braunbehrens auch die Problematik einer rein moralisch aufgeladenen Kritik. So kritisiert er, dass in einem Brief die alliierten Bombardierungen deutscher Städte in der Endphase des zweiten Weltkriegs als Argument gegen den Waffenhandel genommen wurden, mit Recht als populistische Argumentation, weil doch gerade der Krieg gegen den NS ein Beispiel für eine historische Situation ist, wo es Schlimmeres als einen Krieg gebe.

http://www.heise.de/tp/blogs/6/152245

600 Euro teure Unterschrift

Amtsgericht verurteilt Castor-Gegner zu einer Geldstrafe
Allein die Absicht zum »Schottern« ist strafbar. Hermann Theisen kommt sein schriftlicher Widerstand gegen Atommülltransporte teuer zu stehen.

Das Amtsgericht Lüneburg hat am 18. Juni den Heidelberger Anti-AKW-Aktivisten Hermann Theisen zu einer Geldstrafe von 600 Euro verurteilt, weil er die Absichtserklärung »Castor? Schottern! 2010? mit unterzeichnet hatte. Dort hatten ca. 1000 Aktivisten bekundet, zur Verhinderung der Castortransporte in das Wendland Steine aus dem Gleisbett der Bahn entfernen zu wollen. Das Gericht folgte der Auffassung der Staatsanwaltschaft, dass er damit zur Störung öffentlicher Betriebe aufgerufen habe.
Die Verteidiger von Theisen hatten dagegen argumentiert, dass es während der Castortransporte keinen öffentlichen Bahnverkehr gäbe. Zudem sei die Absichtserklärung kein Aufrufung sondern eine Erklärung zum eigenen Handeln.
Bereits Mitte März war Gotthilf Lorch (nd berichtete) und am 31. Mai Olaf Meyer ebenfalls wegen Aufforderung zu einer Straftat zu Geldstrafen verurteilt worden. Während das Gericht bei Meyer allerdings die Busse in 16 Tagessätze aufgliederte, verhängte das Gericht gegen Theisen 15 Tagessätze. Diese kleine Differenz kann juristische Folgen haben.
Bis zu 15 Tagessätzen kann das Gericht entscheiden, ob es eine Revision zulässt oder wegen Geringfügigkeit ablehnt. Ab 16 Tagessätze ist ein zweites Verfahren zwingend vorgeschriebne, wenn eine der Prozessparteien dies fordert.
Herman Theisen spricht deshalb von juristischen Tricks und will gegen eine mögliche Ablehnung der Revision Rechtsmittel prüfen lassen. Auch politisch gibt sich Theisen kämpferisch.
„Meiner Meinung nach liegt weder ein Aufruf vor, noch stellt Schottern eine Straftat dar. Ich habe mit meiner Unterschrift meinen Widerspruch zur herrschenden Atompolitik öffentlich bekundet. Schottern ist eine Aktionsform unter vielen, dessen Ziel es ist den Castortransport zu verzögern, um den gesellschaftlichen Widerstand gegen die menschenverachtende Atomenergie sichtbar zu machen,“ sagte er unmittelbar nach dem Urteil.
Die Pressesprecherin der Kampagne „Castor? Schottern!“ Hannah Spiegel sieht die Justiz in der Defensive:
„Das Urteil lässt darauf schließen, dass die Justiz einerseits die Prozesse um „Castor? Schottern!“ vom Tisch haben will, da ihnen klar ist, dass sie rechtlich schlechte Karten haben. Andererseits würde aber eine Einstellung oder gar ein Freispruch ihre Hetze gegen „Castor? Schottern!“ als politische Kriminalisierung und Einschüchterung entlarven.“.

Für die große Mehrheit der Unterzeichner wird ihre Unterschrift keine juristischen Folgen haben, betont Spiegel. Allerdings stehen noch gerichtliche Verfahren gegen mehrere Personen an, de Plakate zur Aktion „Castro? Schottern!“ geklebt haben sollen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/
230265.600-euro-teure-unterschrift.html

Peter Nowak

Mehr Einfluss für den Bundestag in der EU


Bundesverfassungsgericht stärkt die Rechte des Bundestages, aber nicht die Demokratie in Europa

Die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stärkt die Rechte des Bundestages in einem Europa, in dem Parlamentsrechte vor allem der Länder der Peripherie durch wesentlich von Deutschland mit initiierte Sparprogramme missachtet werden

„Grüner Sieg“, heißt es auf der Homepage der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen. Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht ihren Antrag stattgegeben und die Bundesregierung gerügt, weil sie das Parlament zu spät und ungenügend über europäische Entscheidungen informiere.

Konkret hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Bundesregierung gegenüber den Deutschen Bundestag sowohl im Hinblick auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus als auch hinsichtlich der Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes in seinen Unterrichtungsrechten aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt hat.

Dieser Artikel räumt dem Bundestag in Angelegenheiten der EU weitgehende Informations- und Mitwirkungsrechte ein. Das Gericht erklärte jetzt, dass es sich auch bei den völkerrechtlichen Verträgen um solche Angelegenheiten der EU handelt, wenn sie in einem besonderen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen. Ausdrücklich stellt das Gericht klar, dass diese Informationspflicht sich nicht nur auf die Initiativen der Bundesregierung beschränkt: „Die Unterrichtungspflicht erstreckt sich vielmehr auch auf die Weiterleitung amtlicher Unterlagen und Dokumente der Organe, Gremien und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten.“

Der Bundestag müsse die Gelegenheit haben, sich mit den Initiativen zu befassen und eigene Stellungnahmen zu verfassen, bevor die Bundesregierung dazu rechtsverbindliche Erklärungen abgibt oder Vereinbarungen unterzeichnet. Die Grenzen der Informationspflicht sieht das Gericht im Grundsatz der Gewaltenteilung begründet. Solange bestimmte Vorhaben noch in der Beratungsphase sind, bestehe noch keine Pflicht, den Bundestag zu unterrichten. Wenn die Bundesregierung allerdings mit Zwischen- und Teilergebnissen an die Öffentlichkeit geht, müsse auch das Parlament informiert werden.


Ein guter Tag für die Demokratie und Europa?

Erwartungsgemäß feiern die Grünen die Entscheidung in den höchsten Tönen und sprechen von „einer guten Entscheidung für die Demokratie in Deutschland und Europa“. Doch gerade hier müssten Fragezeichen gesetzt werden. Tatsächlich stärkt die Gerichtsentscheidung zunächst lediglich die Rechte des Deutschen Bundestags – auch bei europäischen Entscheidungen, die alle anderen EU-Staaten tangiert. Damit werden auch die Rechte des Bundestags in Europa gestärkt, wodurch auch auf diesem Gebiet die realen Kräfteverhältnisse in der EU sichtbar werden.

In zentralen Fragen ist Deutschland die Führungsmacht und das passt durchaus nicht allen EU-Regierungen, noch weniger der Bevölkerung. Die Warnungen vor einem deutschen Europa bzw. dem deutschem Sparmodell sind mittlerweile nicht nur in Griechenland, sondern auch in Spanien, Belgien und Italien zu hören. Die Gerichtsentscheidung stärkt diese Machtstellung im Bereich des Parlaments. Einen guten Tag für eine Demokratie in Europa kann daher nur sehen, wer das Machtgefälle und auch die unterschiedlichen Interessen der Länder der EU ausblendet.

Schließlich war die deutsche Regierung maßgeblich daran beteiligt, als Druck auf die Regierungen von Griechenland, Italien, Spanien und Portugal ausgeübt wurde, bei den Verhandlungen mit der EU Parlamentsrechte zu minimieren. Da sollten Verpflichtungen eingegangen werden, die ausdrücklich nicht durch Änderungen der Mehrheitsverhältnisse mittels Wahlen tangiert werden durften. In vielen Ländern der europäischen Peripherie gab es Klagen, dass mit dem EU-Fiskalpakt und der Schuldenbremse gerade die Entscheidungen von Wahlen und damit auch die Parlamentsrechte ausgehebelt würden. Daher ist es zumindest ein sehr deutscher Blick, wenn nun die verstärkte Informationspflicht des Parlaments als guter Tag für die Demokratie in Europa gefeiert wird.

Folgen für den EMS

Obwohl die Grünen die Gerichtsentscheidung besonders feierten, zeigten sich auch alle Parteien mit der Entscheidung zufrieden. Uneinigkeit gibt es lediglich über die Folgen für das weitere parlamentarische Prozedere um den EMS. Die Grünen sehen klare Konsequenzen bei den morgigen Verhandlungen zum EMS und fordern die Bundesregierung auf, die Parlamentsrechte auch bei den Begleitgesetzen zum Fiskalpakt zu stärken.

Es hätte den Grünen gut angestanden, auch für die Parlamente von Portugal, Spanien und Griechenland solche Rechte einzufordern. Dann wäre die Entscheidung tatsächlich ein guter Tag auch für die Demokratie in Europa gewesen. So ist es ein Machtzuwachs des deutschen Parlaments in Europa.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152236
Peter Nowak

Wenn die Linke gewinnt, regiert das Chaos

Im Vorfeld der griechischen Wahlen, wird eine Drohkulisse aufgebaut, um einen Wahlerfolg der Linken zu verhindern. Doch was passiert, wenn Syriza doch stärkste Partei wird und sogar eine Regierung bilden kann?

Das Sprachrohr der Finanzwelt spricht Klartext: „Die FTD sagt in ihrer Wahlempfehlung, wen die Griechen wählen sollten, in deutscher und griechischer Sprache“, hieß es in der Ausgabe von Donnerstag. „Widersteht den Demagogen“, lautet die Überschrift und im Text wird schnell klar, dass damit der Spitzenkandidat der Linkssozialisten gemeint ist, der noch wenige Tage zuvor in einem Gastbeitrag in der FTD deutlich machen wollte, dass er nicht der Linksradikale ist, als der in der deutschsprachigen Presse fast unisono geführt wird. Dabei stützten sich die Zeitungen auf die Übersetzung des Parteinamens und verzichteten auf die politische Einordnung von Syriza. In dem Beitrag erläuterte Tsipras seinen „Rettungsplans für Griechenland“, der zutiefst sozialdemokratische Grundzüge hat.

„Die kurzfristige Stabilisierung Griechenlands wird der Euro-Zone zugutekommen, während sie an einem kritischen Punkt in der Entwicklung der Binnenwährung steht. Schlagen wir keinen anderen Weg ein, wird uns die Sparpolitik mit umso höherer Gewissheit zum Ausstieg aus dem Euro zwingen“, wiederholte Tsipras Argumente, die mittlerweile selbst von konservativen Ökonomen vertreten werden. Obwohl er sich dabei auch auf US-Präsident Obama berief, werden seine Argumente in der FTD überhaupt nicht ernsthaft diskutiert. Das wird in der Wahlempfehlung deutlich. Dort heißt es: „Widerstehen Sie der Demagogie von Alexis Tsipras und seiner Syriza. Trauen Sie nicht deren Versprechungen, dass man einfach alle Vereinbarungen aufkündigen kann – ohne Konsequenzen.“ Dass diese Vereinbarungen EU-Diktate waren, gegen die sich auch die Konservativen von der NEA anfangs gesträubt hatten, haben die Redakteure der Financial Times nicht vergessen. So bekommt auch ihr Favorit noch gleich eine Mitschuld an der aktuellen Situation zugewiesen:

„Ihr Land braucht endlich einen funktionierenden Staat. Damit es geordnet regiert wird, empfehlen wir die Nea Demokratia. Das fällt uns nicht leicht. Die Nea Demokratia hat über Jahrzehnte eine falsche Politik betrieben und die heutige Misere mitzuverantworten. Trotzdem wird Ihr Land mit einer Koalition unter Antonis Samaras besser fahren als unter Tsipras, der das Rad zurückdrehen will und eine Welt vorgaukelt, die es so nicht gibt.“

Es fragt sich nur, ob dieser Aufruf in Griechenland nicht den entgegengesetzten Effekt hat. Solche als Empfehlungen getarnten Befehle aus Deutschland will man dort auch nach 65 Jahre nach Kriegsende nicht gerne von dem Land hören, das seine eigenen Schulden an Griechenland nie bezahlt hat. Darauf hat einzig der Publizist Otto Köhler kürzlich hingewiesen. In Deutschland wurde auch nicht über den Brief des Syriza-Abgeordneten Panagiotis Kouroumplis diskutiert, in dem er die geplante Politik der Linkssozialdemokraten erläutert. Trotzdem ist der Wahlausgang ungewiss und der Wahlfavorit der Financial Times Deutschland könnte stärkste Partei werden, was noch immer nichts über die Regierungsbildung aussagt.

EU-Verantwortliche auf dem Todestrip?

Wenn es so kommt, liegt es an dem massiven Druck, der europaweit auf die griechischen Wähler ausgeübt wird. Noch wenige Stunden vor Wahlbeginn warnte Luxemburgs Premierminister und starker Mann in der EU Jean-Claude Junker vor unabsehbaren Folgen bei einen Wahlsieg von Syriza und malte einen EU-Austritt Griechenlands an die Wand, den Syriza mehrheitlich ablehnt. Junker betont noch einmal, „Über die Substanz des Sparprogramms für Griechenland kann nicht verhandelt werden“. Junker steht für die Politik, die der sozialdemokratische Ökonom Paul Krugmann als Todestrip der EU-Verantwortlichen bezeichnet hat.

Die Drohkulisse, die vor den Wahlen um Griechenland aufgebaut wird, wirkt. Selbst in der linksliberalen Tageszeitung empfiehlt ein Kommentator eine Stimmabgabe für die Konservativen. Viele Sparer haben in den letzten Tagen ihre Einlagen von den Konten ab, weil sie befürchten, dass die EU ihre Drohungen, eines Rausschmisses aus dem Euro ernst meint.

Chilenisches Szenario in Griechenland?

Was aber wird passieren, wenn der Druck gerade das Gegenteil bewirkt und Syriza eine Regierung bilden kann, aber nicht gleich die neoliberale Politik fortführt, wie die Linkspartei in ihrer Berliner Regierungszeit? Dann könnte das Drohszenario schon als Vorbereitung auf undemokratische Maßnahmen gewertet werden. Manches erinnert an die Drohungen gegen die Regierung der Unidad Popular 1970 in Chile. Auch damals wurde deren sozialistischer Präsidentschaftskandidat als gefährlicher Linksradikaler apostrophiert. Als die Bevölkerung an den Wahlurnen die Linksregierung unterstützte, wurde, wie der Filmemacher Patricio Guzmann in dem Film „Die Schlacht um Chile“ dokumentierte das Szenario „Allende bedeutet das Chaos“ mit Unterstützung vom US-Geheimdienst und chilenischen Rechtskräften in die Tat umgesetzt, bis ein rechter Militärputsch die Investitionsbedingungen in Chile erheblich verbesserte.

Auch in Griechenland stünden gleich mehrere Rechtskräfte für ein solches Szenario bereit. Die Rechtspopulisten von der Laos haben schon einige Monate mitregiert, ohne dass ein Junker oder eine FTD vor ihnen warnte. Die offen neonazistische Partei der Goldenen Morgenröte hat schon vor einigen Tagen vor den Fernsehkameras deutlich gemacht, dass sie zum Kampf gegen die Linke zur Verfügung steht, als der Sprecher gleich eine Abgeordnete der Kommunisten und von Syriza tätlich angriff. Dass es keine Warnung vor diesen Rechten gibt, zeigt sicher, dass sich mit ihnen sicher kein seriöser EU-Politiker sehen lassen will. Aber als Männer für das Grobe können sie schon gebraucht werden. Mittlerweile bereiten linke Initiativen und Gewerkschafter schon die Gründung von Solidaritätskomitees für Griechenland vor, für alle Fälle.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152217
Peter Nowak

Blockupy und Mai-Demo

Sicherheitsstaat in Aktion

Nicht erst die Blockupy-Proteste, schon der antikapitalistische Aktionstag am 31.März war ein Beispiel für den Polizeistaat in Aktion. Nachdem es zu Steinwürfen auf verschiedene Gebäude in der Innenstadt gekommen war, wurden mehrere hundert Menschen bis zu sechs Stunden eingekesselt. Der Versuch der Veranstalter, eine kürzere Route anzumelden, um die Demonstration fortzusetzen, wurde von der Polizei abgelehnt und mit deren Auflösung beantwortet.

Das Verhalten der Polizei löste kaum öffentliche Kritik aus. Vielmehr waren in den folgenden Tagen die eingeschlagenen Fensterscheiben das Hauptthema. Damit wurde auch das Verbot der Blockaden am 17./18.Mai begründet. Die in Frankfurt führende, konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung hat maßgeblich das Drehbuch für das Verbot geschrieben.

Die März-Demonstration in Frankfurt

«Stadt muss Flagge zeigen», titelte das Blatt schon am 11.April. «Warum suchen linksextreme Demonstranten immer wieder ausgerechnet diese Großstadt heim? Die Antwort dürfte einfach sein: Weil Frankfurt wie keine andere deutsche Stadt für die Finanzwelt steht und sich deshalb besonders eignet, um den Protest gegen Kapitalismus und die europäische Finanzpolitik kundzutun», schreibt die Faz-Korrespondentin Katharina Iskandahar und listet konkrete Gegenmaßnahmen auf. «Dass es als liberale Großstadt aber auch darum geht, im Sinne der Bürger zu entscheiden und, wenn auch nur symbolisch, ein Verbot auszusprechen, hat die Politik lange Jahre versäumt.»

Dass es sich am Ende nun keinesfalls um ein symbolisches Verbot handelte, dürfte ganz im Sinne der Geschäftswelt gewesen sein. Aber auch Journalisten, die die Repression gegen Blockupy kritisierten, beteiligten sich an der Spaltung in gute und böse Kapitalismuskritiker. So begründet der Kommentator der Taz, Martin Kaul, sein Eintreten für Blockupy mit der Begründung, die «Märzrandalierer» seien daran nicht beteiligt.

Damit wurde eine Demonstration von über 5000 Menschen (am 31.März) unter Generalverdacht gestellt, obwohl die Organisatoren immer betont haben, dass sie eine politische Demonstration planten, die das Ziel, die neue Baustelle der EZB im Frankfurter Osten, erreicht und sich nicht unterwegs in Scharmützel mit der Polizei verwickeln lassen will.

Eine kleine Gruppe von Demonstrierenden setzte sich über diese von den OrganisatorInnen und der übergroßen Mehrheit der Teilnehmenden gewünschte Maßgabe hinweg. Bei der Demonachbereitung in Berlin gab es deshalb eine Diskussion über den Umgang der radikalen Linken mit einem solchen unsolidarischen Verhalten.

Das Problem besteht darin, politische Kritik zu formulieren, ohne in die allseitige Forderung nach Distanzierung von den Autonomen einzustimmen. Besonders die FAU, die Sozialistische Initiative Berlin (SIB) und die Internationalen KommunstInnen (IK) betonten die Notwendigkeit einer politischen Kritik an der scheinmilitanten Aktionen. Nach ihrer Auffassung ist es ein zutiefst autoritäres Verhalten, wenn gegen den Willen des Großteils der Demonstrierenden Scharmützel an der Demoroute provoziert werden, von deren Folgen alle Teilnehmenden betroffen sind.

Zudem würden dadurch Menschen nicht nur aus politischen Gründen abgeschreckt. Schließlich haben Migranten, Eltern mit kleinen Kindern, Personen mit gesundheitlichen Handicaps viele gute Gründe, einer Konfrontation mit der Polizei aus dem Weg zu gehen. So werde der neoliberale Leistungsgedanken reproduziert, wenn nur der Fitteste, Schnellste, Jüngste an Protesten teilnehmen kann.

Es ist auch nicht möglich, mit den politisch Verantwortlichen für die Scharmützel in eine politische Diskussion zu treten, weil sie aus verständlichen Gründen nicht offen auftreten. Damit wird aber die Kritik an ihrem autoritären Verhalten noch unterstrichen. Die Debatte über den notwendigen Umgang damit wird sicher weitergehen.

Die Berliner Mai-Festspiele

Auch in Berlin schränkte die Polizei das Demonstrationsrecht von mehr als 20.000 Menschen massiv ein, die sich am Abend des 1.Mai an einer revolutionären Maidemonstration in Berlin beteiligt hatten. Die hohe Teilnehmerzahl und die Beteiligung von Menschen aller Altersgruppen wurde sogar von den Medien registriert, die bisher die Maidemonstration immer als unpolitisches Ritual einstuften. Als Grund für den Zulauf wurden die unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnisse vieler Menschen im Krisenkapitalismus sowie die zunehmenden Probleme, in Berlin eine bezahlbare Wohnungen zu bekommen, genannt.

Erstmals beteiligte sich die Jugend der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di mit einem eigenen Wagen. Die Polizei erklärte schon im Vorfeld, die Demonstration werde spätestens vor dem Gebäude des Springerkonzerns enden. Doch der neuralgische Punkt wurde ohne große Zwischenfälle passiert. Danach hätte dem Weg nach Mitte zum angemeldeten Endpunkt am August-Bebel-Platz nichts mehr im Wege gestanden. Doch die politische Botschaft einer großen Demonstration der radikalen Linken, die im den Zentrum der Macht endet, war für die politisch Verantwortlichen nicht tragbar.

Also startete die Polizei in der Höhe des Jüdischen Museum eine Provokation. Ohne Grund stürmte sie in die Spitze der Demonstration, riss Transparente weg und knüppelte auf die Menschen in den vordersten Reihen ein. Es gab zahlreiche Verletzte. Ein Demonstrant lag mehr als zehn Minuten bewusstlos auf dem Straßenpflaster, bevor medizinische Hilfe eintraf. Die Medien nahmen diese Gewalt kaum zur Kenntnis, denn sie ging nicht von den Demonstrierenden aus. Trotzdem löste die Polizei die Demonstration auf.

Wenige Tage später wurde bekannt, dass auf der Route einige Rohrbomben gefunden wurden, die nicht wirklich gefährlich waren, aber einen weiteren Vorwand für ein Demoverbot gegeben hätten, wenn die Polizeiprovokation nicht geklappt hätte.

Die Mai-Demonstration in Frankfurt

Laut Veranstalter demonstrierten am 19.Mai mehr als 25.000 Menschen in der Frankfurter Innenstadt gegen die Politik der EU-Troika.

Das Spektrum der Demonstranten reichte von Gewerkschaften (vorwiegend der GEW), der Linkspartei, Attac bis zu den linksradikalen Bündnissen Ums Ganze und der Interventionistischen Linke. Auch ein großer Block «Gewerkschafter gegen Stuttgart 21» war dabei. Große Gruppen aus Italien und Frankreich drückten das Bedürfnis aus, im europäischen Maßstab Aktionen zu koordinieren und handlungsfähig zu werden.

Aus aktuellem Anlass wandten sich viele Parolen gegen die autoritäre Staats- und Sicherheitspolitik, die in den Tagen vor der Demonstration in den Frankfurter Straßen zu erleben war. Flächendeckende Protestverbote, das Anhalten von Bussen, Aufenthaltsverbote für viele Aktivisten in der Frankfurter Innenstadt haben die Diskussion über den Abbau der Grundrechte parallel zur wirtschaftlichen und sozialen Krise wieder belebt. Die Demonstranten haben dafür den Begriff «Coopucky» kreiert. Tatsächlich hat nur die Polizei das Bankenviertel blockiert. «Ihr habt Euch selbst blockiert», lautete denn auch eine häufig gerufene Parole auf der Demonstration.

Doch das geht am Kern der Vorgänge vorbei. Die Belagerung des Bankenviertels durch die Staatsmacht legte das Bankengeschäft keineswegs lahm. Was die Polizei in den letzten Tagen lahm gelegt hat, war vielmehr der Protest gegen den Krisenkapitalismus. Wenn die Protestorganisatoren in einer Presseerklärung trotzig behaupten: «Die Blockupy-Aktionstage mit der Besetzung des Paulsplatzes und des Römerbergs sowie die heutige Demonstration zeigen: Wir lassen nicht zu, dass Frankfurt zur demokratiefreien Zone wird. Empörung lässt sich nicht verbieten», dann ist das vor allem Zweckoptimismus. Die vergangenen Tage haben vielmehr gezeigt, dass alle Proteste, die über eine Großdemonstration hinausgehen, effektiv behindert wurden.

Statt, wie geplant, die Kritik am Kapitalismus zu artikulieren, stand der Protest gegen die Demokratieeinschränkungen im Mittelpunkt. Die Frankfurter Polizei erklärte nach der Demonstration denn auch, die Bürger seien größtenteils zufrieden. Es herrsche nun das Gefühl, «dass alles nicht so schlimm sei». Das könnte auch erklären, warum die massiven Grundrechtseinschränkungen ohne große Proteste hingenommen wurden.

Die Zahl der Aktivisten war am 17. und 18.Mai kleiner als erwartet. Das hängt damit zusammen, dass es erkennbar schwierig ist, die Krisenproteste mit aktuellen sozialen Kämpfen zu verbinden. So ist in den letzten Wochen wieder viel von einer Schließung des Opelwerks in Bochum die Rede. Dort gibt es eine kämpferische Minderheit in der Belegschaft, die schon vor Jahren mit selbst organisierten Streiks auf sich aufmerksam gemacht hat. Trotzdem war die drohende Schließung von Opel-Bochum auf der Demonstration genauso wenig ein Thema wie die Abwicklung vieler Schlecker-Filialen in den letzten Wochen. Dabei hat die Berliner Schlecker-Gesamtbetriebsrätin Mona Frias einen gewerkschaftlichen Unterstützungsaufruf für Blockupy mit unterzeichnet.

Doch es sind weder in erster Linie die abschreckenden Maßnahmen der Polizei noch große Fehler der Protestorganisatoren, die verhindern, dass Opel- oder Schlecker-Beschäftigte sich massenhaft an den Blockupy-Protesten beteiligen. Die Ungleichzeitigkeit der Krisenpolitik und ihrer Wahrnehmung durch die Betroffenen erschwert einen gemeinsamen Widerstand.

Diese Entkoppelung stellt für Linke ein großes Problem dar, «das keineswegs mit bloßen Appellen und weltweiten Aufrufen bewältigt werden kann», schreiben die Sozialwissenschaftler Peter Birke und Max Henninger in dem von ihnen kürzlich im Verlag Assoziation A herausgegebenen Buch «Krisen Proteste». In zwölf Texten werden die sozialen Bewegungen seit 2009 analysiert. Das Buch liefert einige Anregungen für eine Perspektivdebatte nach Blockupy.

Blockupy und Mai-Demo


Peter Nowak

Journalisten im Konflikt mit der Justiz

MEDIENinternational: Pressefreiheit in Russland

Der Andrang war groß im Büro von »Reporter ohne Grenzen« in Berlin. Die Organisation hatte am Donnerstag den russischen Journalisten Leonid Nikitinski zu einem Pressegespräch eingeladen. Nikitinski arbeitet seit 2003 als Gerichtsreporter für die kremlkritische Zeitung »Nowaja Gaseta« in Moskau. Der Grund seines Besuchs war eine Drohung gegen seinen Kollegen Sergej Sokolow, der bei der »Nowaja Gaseta« zu Kriminalfällen arbeitet. Dabei hat er sich wohl einige Feinde bei der Justiz gemacht.

Nach Angaben Nikitinskis war der russische Chefermittler Alexander Bastrykin am 4. Juni mit Sergej Sokolow in einen Wald bei Moskau gefahren, hatte ihn dort wegen eines kritischen Artikels beschimpft und gedroht, sollte dem Journalisten etwas zustoßen, werde er selbst die Ermittlungen leiten. Bereits zuvor hatte der Chefermittler den Journalisten bei einem gemeinsamen Pressetermin heftig angegriffen. Sokolow floh jedenfalls sofort ins Ausland. Bastrykin ist als oberster Ermittler auch für die Untersuchungen im Mordfall Anna Politkowskaja verantwortlich. Die Journalistin hatte für die »Nowaja Gaseta« über die Gewalt in Tschetschenien berichtet und wurde vor fünfeinhalb Jahren in Moskau erschossen. Bastrykin habe Politkowskaja gegenüber Sokolow als »Schlampe« bezeichnet, berichtete Nikitinski und wertete den Vorfall als Zeichen dafür, dass »die Presse unter Putin insgesamt wieder stärker kontrolliert werden soll«. Dennoch habe die Sache für ihn eher eine lächerliche als eine bedrohliche Note: »Weder Politkowskaja noch andere Kollegen wurden gewarnt, man hat sie einfach auf offener Straße ermordet.«
Tatsächlich fand die Kontroverse zwischen Bastrykin und der »Nowaja Gaseta« ein – vorläufig – glückliches Ende: Am selben Abend, da Nikitinski in Berlin auftrat, entschuldigte sich der Chefermittler bei Sokolow für seinen unzulässigen »emotionalen Ausbruch«. Der Journalist selbst gab zu, dass seine Vorwürfe gegen Bastrykin möglicherweise zu harsch gewesen seien, und die »Nowaja Gaseta« erklärte den Konflikt für ausgeräumt.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/229850.journalisten-im-konflikt-mit-der-justiz.html

Peter Nowak

Parlamentarisches Foulspiel um das Betreuungsgeld?

Fehlten heute so viele Bundestagsabgeordnete, um den Herzenswunsch der CSU doch noch zu torpedieren?

Sommer, Sonne, Fußball-EM: da träumen viele Lohnabhängigen davon, mal Pause zu machen. Die Wenigsten haben es so einfach wie die Bundestagsabgeordneten, die einfach einen wichtigen Termin in ihrem Wahlkreis nennen müssen, um Bundestagssitzungen fernzubleiben. Meistens fällt es gar nicht auf. Denn Fußball-Deutschland interessiert sich weit mehr für die Zusammensetzung der Elf als über die Anwesenheitsliste des Parlaments. Die Tatsache, dass heute lediglich 211 Bundestagsabgeordnete anwesend waren und das Parlament damit beschlussunfähig war, ist nur deswegen zum Medienthema geworden, weil an diesem Tag auch darüber entschieden wurde, wann das eigentlich nur noch von der CSU gewollte, ansonsten von einer breiten Bevölkerungsmehrheit abgelehnte Betreungsgeld in Kraft treten kann. Die Stimmung der Opposition machte der SPD-Bundesgeschäftsführer Thomas Oppermann in einen Twitter-Eintrag deutlich: „Koalition ohne Mehrheit, Betreuungsgeld nicht mehr vor der Sommerpause.“ Abgeordnete der FDP und auch der Union, die gegen das als Herdprämie verspottete Betreuungsgeld sind, schwiegen zu der Beschlussunfähigkeit.

Für den Zusammenhalt der Koalition ist dieses als Parlamentsboykott oder als Panne klassifizierte Fernbleiben sicher nicht förderlich. Deswegen ist die CSU auch besonders wütend, hat sie doch gehofft, ihre Klientel mit einer schnellen Verabschiedung des Betreuungsgeldes zufrieden stellen zu können. Denn je länger sich das Prozedere der Verabschiedung verzögert, desto unwahrscheinlicher wird, dass der CSU ihr Herzenswunsch noch erfüllt wird. Schließlich hat sich eine ganz große Koalition von Feministinnen bis zu den Gewerkschaften und Wirtschaftsverbänden dagegen ausgesprochen. Letztere sind dabei entscheidend, die Wirtschaft braucht in Zeiten des Bevölkerungsrückgangs in Deutschland Humankapital auch unter Frauen mit Kindern. Die ökonomischen Argumente dürften sich auch in diesem Fall gegen das Bauchgefühl von Konservativen durchsetzen, die hinter einer Kita immer noch das Gespenst der staatlichen Kindererziehung wittern.

Hat CSU ihre Niederlage begriffen?

Die Reaktionen der CSU auf ihr heutiges Scheitern im Parlament zeigen eigentlich, dass sie sich wohl schon mit der Niederlage in dieser Frage abgefunden hat. Sie findet natürlich starke Worte, um ihr Klientel ruhig zu stellen, und spricht von „dreckigem Foulspiel“, wobei sie offen ließ, ob sie damit neben der Regierung auch die Abgeordneten der eigenen Koalition meinte. Wenn auch Abgeordnete der FDP und der Union jetzt eilfertig auf die Opposition zeigen und dieser einen schlechten Stil bzw. Obstruktionspolitik vorwerfen, so können sie nicht verhindern, dass das Scheitern vor allem als eine Blamage der Bundesregierung wahrgenommen wird. Schließlich hätten die Fraktionsvorsitzenden der sie tragenden Parteien dafür sorgen müssen, dass alle ihre Mandatsträger anwesend sind, wenn ihnen wichtig gewesen wäre, dass das Betreuungsgeld wie geplant eingeführt wird. Sie stellen bei der Abstimmung zu anderen zentralen Punkten oft unter Beweis, dass die Disziplinierung funktioniert. Dass sie bei diesem Punkt gar nicht versucht wurde, macht eben deutlich, dass das Betreuungsgeld außer der CSU der Mehrheit der anderen Fraktionen nicht wichtig genug ist, um die Abgeordneten zu einem weiteren Freitag im Parlament zu vergattern. Die CSU dürfte verstanden haben – und sie hat ja auch nicht viele Alternativen. Einen Koalitionsbruch an dieser Frage wird sie nicht riskieren.

Das zeigte sich an der defensiven Argumentation der CSU-Bundestagsabgeordneten Dorothee Bär, die seit Monaten immer wiederholt, dass das Betreuungsgeld kommen werde und eine andere Lösung für die CSU überhaupt nicht akzeptabel sei. Nach der Verschiebung argumentierte sie im Interview mit dem Deutschlandfunk ungewöhnlich defensiv. Sie könne nicht verstehen, warum man die Experten, die in der nächsten Woche nach den nun obsoleten Plänen im Bundestag angehört werden sollten und die sich terminlich darauf eingestellt hätten, derart vor dem Kopf stößt. Auch dort wird sich die Erkenntnis durchzusetzen beginnen, dass die Koalitionspartner, wenn sie nicht einmal einen Freitag dafür opfern wollen, auch sonst nicht mehr bereit sind, für den Wunschkatalog der CSU ihren Kopf hinzuhalten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152216
Peter Nowak

Vermieten soll sich wieder lohnen


In vielen Großstädten wird es für Menschen mit geringem Einkommen und die Bezieher von ALG II immer schwieriger, bezahlbare Wohnungen zu finden. Und die Situation dürfte sich weiter verschärfen, denn die Mieter bezahlen auch die energetische Haussanierung.

Nerimin T. ist wütend: »Seit über einem Jahr versuchen wir, unseren Vermietern und den Politikern klarzumachen, dass wir uns die immer weiter steigenden Mieten nicht mehr leisten können. Doch wir wurden nicht beachtet. Deswegen gehen wir jetzt auf die Straße.« Die ältere Frau beteiligt sich an einem Protestcamp, das die von Mieterhöhung betroffenen Bewohner am Kottbusser Tor im Berliner Bezirk Kreuzberg am 26. Mai errichtet haben. Auf Holzpaletten angebracht, finden sich neben ersten Presseberichten über die Aktion auch die Gründe für den Protest, die mit wenigen klaren Sätzen beschrieben werden: »Wir protestieren hier gegen die jährlich steigenden Mieten im sozialen Wohnungsbau. Wir protestieren hier gegen die Verdrängung von Menschen, die hier seit Jahrzehnten ihr Zuhause haben«, heißt es dort. Für Nerimin T. ist die Gefahr real. Die eine Hälfte ihrer Rente verschlinge die Miete, die andere Hälfte die Nebenkosten, rechnet die Rentnerin vor. »Mir bleibt zum Leben kein Geld mehr. Wenn das so weitergeht, muss ich mit dem Zelt auf der Straße schlafen.« Ihre Nachbarn stimmen ihr zu.

Viele von ihnen sind in der Türkei oder in Kurdistan geboren, sie leben seit mehr als drei Jahrzehnten in der Gegend am Kottbusser Tor. Ulrike M. gehört zu den prekär beschäftigten Akademikern, die erst in den letzten Jahren dorthin gezogen sind. Alt- und Neumieter sind sich in ihren Forderungen einig, oft sitzen sie bis spät in die Nacht gemeinsam im Protest-Gecekondu, wie die Hütte des Protestcamps in Anlehnung an ähnliche Holzbauten in der Türkei genannt wird. Solche Hütten werden am Rande der Großstädte über Nacht von Menschen aufgebaut, die in den türkischen Metropolen keine anderen Unterkünfte finden.

Einigen Passanten in Kreuzberg fällt beim Anblick der Protesthütte sofort die »Occupy«-Bewegung ein. »Uns geht es nicht darum, ›Occupy‹-Regeln einzuführen. Wir wollen ein Mittelpunkt der Berliner Mieterproteste werden«, sagt Ulrike M. hingegen. Die Chancen stehen gut. Schließlich organisieren sich in zahlreichen Berliner Stadt­teilen Mieter gegen die drohende Verdrängung. In dem Film »Mietenstopp«, der von einem Team der Filmfabrik, einem Zusammenschluss von Berliner Filmemachern, gemeinsam mit Mieterinitiativen im vorigen Jahr gedreht wurde, kommen Aktivisten aus Treptow, vom Kreuzberger Chamissoplatz und dem Neuköllner Schillerkiez zu Wort. Es ist nur ein kleiner Ausschnitt des derzeitigen Mietenprotests in Berlin.

Das Spektrum reicht von Hartz-IV-Empfängern, die sich gegen die zu knapp bemessenen Mietzuschüsse durch die Jobcenter wehren, die viele zum Verlassen ihrer Wohnungen zwingen, bis zur Neuköllner Stadtteilgruppe AntiGen, in der sich Menschen zusammengeschlossen haben, die als sogenannte Kreative in einer verkürzten Kritik oft für die Mieterhöhungen verantwortlich gemacht werden. Nur eine Initiative der Touristen gegen Gentrifizierung fehlt bisher noch, denn auch Touristen werden häufig für die Misere auf dem Berliner Wohnungsmarkt verantwortlich gemacht.

Vor allem Politiker der Grünen und der SPD taten sich mit der Kritik an Touristen hervor. Mit solchen Schuldzuweisungen will man vergessen machen, dass politische Entscheidungen der Grund dafür sind, dass bezahlbarer Wohnraum für viele in Berlin immer schwerer zu finden ist. In erster Linie gehören dazu die Einsparungen im sozialen Wohnungsbau, die von sämtlichen Parteien mitgetragen wurden und bewusst auch dazu dienen, Stadtteile aufzuwerten. So sollen in der Barbarossastraße in Schöneberg in den sechziger Jahren errichte Wohnblocks abgerissen werden, die mit Mitteln des sozialen Wohnungsbaus errichtet wurden. Die Kommunalpolitiker bekunden offen, dass sie für diese Bewohner in den aufgewerteten Stadtteilen keinen Platz sehen. Nur weil sich einige Mieter seit mehreren Monaten erfolgreich gegen den Abriss der intakten Gebäude wehren, ist die Verdrängung noch nicht abgeschlossen.

Der Stadtsoziologe Andrej Holm lässt auch das von Politikern aller Parteien bemühte Argument der »leeren Kassen« nicht gelten, wenn es um eine mieterfreundlicheren Politik geht. »Nach Schätzungen der Senatsverwaltung würden 100 Millionen Euro ausreichen, um eine wirklich soziale Mietobergrenze im sozialen Wohnungsbau zu finanzieren. Diese Ausgabe hält Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) jedoch für ›politisch nicht durchsetzbar‹«, schreibt Holm auf seinem »Gentrification Blog«. Er verweist auch darauf, dass selbst vorsichtige Prognosen durch die mehrmonatige Verzögerung der Eröffnung des Flughafens Berlin-Brandenburg von Mehrkosten in Höhe von mindestens 500 Millionen Euro ausgehen.

Auch die von der schwarz-gelben Bundesregierung geplante bundesweite energetische Häusersanierung wird im Wesentlichen von den Mietern bezahlt. »Der Vermieter darf elf Prozent der Modernisierungskosten auf die Jahresmiete aufschlagen. Wir gehen von ungefähr 300 Euro pro Quadratmeter aus. Davon elf Prozent wären 33 Euro pro Quadratmeter«, rechnet Ulrich Ropertz vom Deutschen Mieterbund vor. Die Organisation schlägt vor, die Kosten für die energetische Gebäudesanierung auf Mieter, Vermieter und die öffentliche Hand aufzuteilen. Doch selbst für die Umsetzung solch minimaler Reformen ist öffentlicher Druck nötig.

Schon heute können Mieterinitiativen zumindest die Pläne von Investoren und Vermietern behindern. So wehrt sich die nach örtlichen Straßen benannte Initiative Fulda/Weichsel seit Monaten im Berliner Bezirk Neukölln erfolgreich dagegen, dass die Eigentümer im Rahmen der energetischen Sanierung die Mieten derart erhöhen, dass viele derzeitige Bewohner sie sich nicht mehr leisten können. Mittlerweile werden Mitglieder der Initiative öfter in andere Stadtteile eingeladen, um zu berichten, wie es ihnen gelungen ist, für längere Zeit Widerstand zu leisten. Schließlich ist die Bereitschaft, sich zu wehren, oft groß, wenn das Schreiben mit der Modernisierungsankündigung im Briefkasten gelandet ist. Nach wenigen Monaten aber bleiben meist nur wenige Hartnäckige übrig, während viele der Mieter in der Auseinandersetzung mit der Hausverwaltung resi­gnierten.

Die Filmemacher Teresina Moscatiello und Jakob Rühle haben diese Entwicklung vor zwei Jahren in ihrem Film »Lychener 64« am Beispiel eines Hauses dokumentiert, in dem sie selbst wohnten. Ein Mitglied von Fulda/Weichsel sagt der Jungle World: »Wenn die einzelnen Mieter neben einem guten Rechtsschutz und anwaltlicher Hilfe ein soziales Umfeld haben, wenn sie sich mit ihren Nachbarn austauschen können, haben sie durchaus die Chance, Mieterhöhungen und andere Eingriffe der Vermieter in den Mietvertrag deutlich zu minimieren.« Wie der Film »Mietenstopp« zeigt, handeln mittlerweile viele Initiativen nach diesem Prinzip der solidarischen Nachbarschaft.

Wenn aber, wie es die Pläne der Bundesregierung vorsehen, die Rechte der Mieter eingeschränkt werden sollten und ihnen beispielsweise bei der energetischen Sanierung weniger Möglichkeiten zur Mietminderung zugestanden werden, stößt das Nachbarschaftsprinzip an seine Grenzen.

Eine bundesweite Vernetzung mit klaren politischen Forderungen, die eine Grundlage für bundesweite Großdemonstrationen gegen die geplante Verschlechterung der Mieterrechte sein könnte, ist bisher nicht in Sicht. Dafür wächst der Widerstand vor Ort. Mittlerweile haben in vielen großen und mittelgroßen Städten Gruppen Zulauf, die sich gegen hohe Mieten engagieren. So gingen am 2. Juni in Potsdam mehrere Tausend Menschen unter dem Motto »Mietenstopp jetzt« auf die Straße. Auch in Berlin wird derzeit wieder unter dem Motto »Keine Rendite mit der Miete« zum Protest aufgerufen. Anlass ist die Jahrestagung der Immobilienwirtschaft, die am 18. und 19. Juni im Hotel Ritz abgehalten werden soll. Dort möchte man sich gemeinsam mit Politikern über bessere Bedingungen für die Besitzer von Immobilien beraten.

http://jungle-world.com/artikel/2012/24/45631.html
Peter Nowak