Superviren und die Gefahren von Forschung im Biotechsektor

Gesellschaftliche Debatte zur Biotechnologieforschung gefordert

Am Mittwoch fand im Bundestag ein Fachgespräch zum Umgang mit sicherheitsrelevanten Forschungsergebnissen statt. Das Thema hat in der letzten Zeit im Zusammenhang mit der Forschung an Vogelgrippeviren an Relevanz gewonnen. Wissenschaftlern des niederländischen Erasmus Medical Centers Rotterdam und der Universität von Wisconsin in Madison war es gelungen, eine Variante des Vogelgrippevirus herzustellen, die für Menschen und Tiere vermutlich gefährlicher ist als die bereits bekannten Varianten.

Darauf wies in einem Offenen Brief an Bundeskanzlerin Merkel das in Berlin ansässige gen-ethische Netzwerk und die Organisation Testbiotech hin. Dort wurde die Bundeskanzlerin aufgefordert, sich für einen Stopp der Herstellung von neuen Varianten des Vogelgrippevirus (H5N1) und eine Beschränkung des Zugangs zu den Genom-Daten einzusetzen. Beide Organisationen kritisierten, dass das Bundeskanzleramt eine Stellungnahme ablehnte. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob nicht der Bundestag der richtige Ort für die Debatte war, und ob es immer sinnvoll ist, wenn solche Frage zur Chefsache erklärt werden. Warum die vom gen-ethischen Netzwerk und Testbiotech geforderte gesellschaftliche Diskussion um die Forschung im biotechnischen Bereich befördert werden soll, wenn das Kanzleramt eine Stellungnahme abgibt, ist nicht so recht verständlich.

Dagegen sind die Forderungen der beiden Organisationen sehr begründet. Dazu gehört eine staatliche Überwachung von Laboren, die in der Lage sind, Erbgut künstlich zu synthetisieren. Zudem sollte ein demokratisch legitimierter und transparenter Entscheidungsprozess festgelegt werden, wer über die Durchführung derartiger Forschungsprojekte entscheidet und wer Zugang zu den Daten haben soll.

Eine weitere wichtige Forderung benennt Christof Potthof vom gen-ethischen Netzwerk gegenüber Telepolis. Die Studierenden der biotechnischen Fachbereiche sollten bereits im Grundstudium mit den Missbrauchsmöglichkeiten ihrer Forschung vertraut gemacht werden. Bisher ist es üblich, solche Debatten erst in späteren Semestern zu führen. Potthof befürchtet, dass die Kommilitonen dann schon so tief der naturwissenschaftlichen Logik verhaftet sind, dass sie die Missbrauchsgefahren kaum noch wahrnehmen. Dass drücke sich schon darin aus, dass viele Biologen ihre Forschungen immer damit rechtfertigen, dass sie medizinisch sinnvoll sind. Die Gefahren werden dabei ausgeblendet.

Verfahrensfragen in den Mittelpunkt stellen

Christof Potthof, der auf Einladung der Linke-Bundestagsabgeordnete Petra Sitte an dem Fachgespräch teilnahm, betonte in seiner Stellungnahme, dass es nicht ausreiche, über die Ergebnisse von biotechnologischer Forschung zu reden. Es müsse schon die Formulierung der Forschungsergebnisse in den Focus gerückt werden. Nur dann kann im Vorfeld eine Risikoabwägung zwischen Nutzen und Gefahren von Forschungsergebnissen abgewogen werden.

Solche Forderungen wurden bereits 2006 erhoben, als es um die Forschung zu der Spanischen Grippe ging. In seinen weiteren Ausführungen ging Potthof dann genauer auf die Debatten im Bereich der Grippevirenforschung ein. Gerade auf diesem Gebiet wird auch die Notwendigkeit von mehr Transparenz im Forschungsbereich deutlich. Denn parallel zu einer Forschungsgemeinde, die sich vor öffentlichen Debatten möglichst abschottet, gibt es Gruppen und Netzwerke von Impfgegnern, die mit Halb- und Viertelwissen gemixt mit Spekulationen und Verschwörungstheorien gegen jegliche Impfungen mobil machen.

Eine sich abschottende Wissenschaft bestärkt solche teilweise irrationalen Haltungen sicher noch. Insofern könnte die geforderte gesellschaftliche Debatte über den Nutzen und die Gefahren einer Biotechnologieforschung auch dazu beitragen, eine rationale Debatte über diese Problematik zu fördern. Die Bundestagsdebatte vom 7.11., die in Text und als Video im Internet vorliegt, kann vielleicht einen Beitrag zu dieser geforderten gesellschaftlichen Debatte leisten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/153146
Peter Nowak

Nein zu Spardiktaten und Nationalismus

Besuch in Griechenland: Soziale Projekte aus der Not heraus und Selbstorganisation
Gewerkschafter lernten bei einer Griechenland-Reise ein Land zwischen sozialen Experimenten und faschistischer Gefahr kennen

»Unser Ziel ist es, zu gewährleisten, dass niemand im nächsten Winter an Hunger stirbt.« Diesen Satz sagte ein Abgeordneter der linkssozialistischen Syriza in Griechenland zu einer Gruppe von europäischen Gewerkschaftern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. »Wir wollen uns ein eigenes Bild von dem krisengebeutelten Land machen und unsere Solidarität bekunden«, beschreibt der Berliner Metall-Gewerkschafter Hans Köbrich die Motivation der einwöchigen Solidaritätstour.
Die Gewerkschafter besuchten zahlreiche Solidaritätsprojekte, in denen die Menschen versuchen, die Folgen der Krise zumindest abzumildern. Gleich am zweiten Tag der Delegation besichtigten sie ein im Aufbau befindliches soziales Zentrum in Athen. Es wird in einer ehemaligen Privatschule auf Spendenbasis eingerichtet. Ein Gesundheitszentrum stand ebenso auf der Agenda der Delegation wie ein besetzter ehemaliger Campingplatz, der 20 Jahre nicht mehr genutzt wurde. Anwohner haben die »Bürgerinitiative Alternative Aktion« gegründet und das Areal besetzt, damit sie kostenlos den Strand nutzen können.

Die Solidaritätsreisenden haben verschiedene dieser selbstorganisierten Projekte sowie verschiedene Basisgewerkschaften besucht. Sie haben dabei ihre parteipolitische Neutralität deutlich gemacht. Allerdings wird auf dem auf der Internetplattform Labournet veröffentlichten Reisetagebuch deutlich, dass Aktivisten von Syriza öfter bei den Treffen anwesend waren, während ein Besuch bei der der Kommunistischen Partei nahestehenden Gewerkschaftsverband Pame nicht geplant war. Dabei wäre es sicher auch interessant gewesen, was aus den Beschäftigten geworden ist, die mehrere Monate ein Stahlwerk bei Athen besetzt hatten. Die maßgeblich von der Pame getragene Aktion war von Gewerkschaften in verschiedenen Ländern als Protest gegen die EU-Politik unterstützt worden.

Rechte Gewalt steigt an

Besonders entsetzt waren die Gewerkschafter über das Ausmaß rechter Gewalt, von der in den letzten Monaten besonders Flüchtlinge in Griechenland betroffen sind. Dabei sei die neonazistische Partei der Morgenröte mit ihren gewalttätigen Angriffen nur die Spitze des Eisbergs, berichten die Gewerkschaftler. So hätten die Polizeirazzien in von Flüchtlingen bewohnten Stadtteilen massiv zugenommen. Gleichzeitig seien Antifaschisten, die sich mit den bedrohten Menschen solidarisieren, von staatlicher Repression betroffen.

Die Gewerkschafter sind nach der einwöchigen Delegation also mit sehr gemischten Eindrücken zurückgekehrt. Das Anwachsen der rassistischen und faschistischen Bewegung gehört zweifellos den negativsten Erfahrungen. Prägend war für viele Teilnehmer auch der Alltagswiderstand in Griechenland, der hierzulande kaum bekannt ist. Selbst in linken Medien werde oft nur die Opferhaltung, kritisiert ein Delegationsteilnehmer. »Griechenland wird oft als Experimentierfeld bezeichnet, das zeigen soll, wie weit die Verarmung breiter Bevölkerungsschichten vorangetrieben werden kann. Wir haben aber auch ein Land kennengelernt, das ein Laboratorium für neue Formen des sozialen Lebens geworden ist.« Ihre so völlig unterschiedlichen Eindrücke wollen die Gewerkschafter auf Veranstaltungen in Deutschland weiter vermitteln. In Berlin berichtet die Reisegruppe am 13.November um 18 Uhr im Haus der IG Metall in der Alten-Jakob-Straße 149. Dort sollen auch Spenden für die soziale und antifaschistische Projekte gesammelt werden.

Das Tagebuch finden Sie unter: www.labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/2012/griechenreisetagebuch.html
http://www.neues-deutschland.de/artikel/803711.nein-zu-spardiktaten-und-nationalismus.html
Peter Nowak

Arm, aber durchleuchtet

Sozialhilfeempfänger im Schweizer Kanton Bern müssen einer Offenlegung ihrer persönlichen Verhältnisse zustimmen.

Die Schweiz ist berühmt für ihr Bankgeheimnis, und viele Schweizer wollen auch, dass das so bleibt. Für alle Bürger gilt es jedoch nicht. Das stellte kürzlich das Schweizer Bundesgericht in einem Urteil klar, als es die Verfassungsmäßigkeit des zu Beginn dieses Jahres in Kraft getretenen Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern überprüfte. Geklagt hatten zahlreiche Organisationen, darunter die Demokratischen Juristinnen und Juristen Bern (DJB), die Partei der Arbeit, die Alternative Linke und das Komitee der Arbeitslosen und Armutsbetroffenen Kabba.

Ihrer Ansicht nach verstößt das Gesetz nicht nur gegen die Verfassungsgrundsätze des Datenschutzes, sondern verletzt außerdem das verfassungsmäßig garantierte Recht auf Hilfe in Notlagen. Ihr Hauptkritikpunkt ist der Zwang zur Datenabgabe, die im Berner Sozialhilfegesetz festgeschrieben ist. So müssen Bewerber um Sozialhilfe bereits beim Einreichen ihres Antrags eine Vollmacht ausstellen, die den Sozialbehörden Einblick in sensible persönliche Informationen wie Krankenakten oder Bankdaten ermöglichen soll.

Kritiker sprechen von einem Zwang zur Denunziation und von »Spitzeldiensten gegen Hilfsbedürftige«. Schließlich werde nicht nur der Informationsaustausch zwischen Behörden erleichtert. Das Gesetz verpflichtet auch Vermieter, Firmen, Familienangehörige oder WG-Mitbewohner »zur Erteilung mündlicher und schriftlicher Auskünfte, die für den Vollzug erforderlich sind«. Die Behörden können solche Informationen ohne Zustimmung und Wissen der betroffenen Person einholen.

»Die hysterisch geführte Sozialhilfemissbrauchsdebatte führt im Kanton Bern zur systematischen Entrechtung Hilfsbedürftiger«, schreibt die Schweizer Wochenzeitung. Doch die Mehrheit der Richter beim Schweizer Bundesgericht erklärte den Passus für verfassungsgemäß. In der Anfang Oktober veröffentlichten schriftlichen Urteilsbegründung wird allerdings festgestellt, dass die Vollmacht nur als letztes Mittel zur Anwendung kommen solle. Überdies dürfe bei einer Weigerung, sie zu unterzeichnen, die Sozialhilfe nicht unter das Existenzminimum gekürzt werden. Für den Gerichtspräsidenten Rudolf Ursprung sind die Zweifel daran, dass die buchstabengetreue Lesart des Gesetzes verfassungskonform ist, nicht beseitigt. Die Sozialdienste hätten aber kein Interesse an einer verfassungswidrigen Auslegung, begründete das Mitglied der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP) seine Zustimmung zum Gesetz.

Die SVP sorgt mit Kampagnen gegen Migranten und Muslime, aber auch gegen Sozialhilfeempfänger immer wieder für Schlagzeilen. Die Kläger äußerten sich trotz ihrer Niederlage in einer Erklärung zufrieden, weil das Gericht erkannt habe, dass die Vollmacht aus politischen Gründen in das Gesetz geschrieben worden sei. Außerdem hoffen sie, dass mit dem Urteil einer extensiven Auslegung der Vollmacht Grenzen gesetzt worden sind.

Besonders zufrieden zeigt sich allerdings neben der SVP die wirtschaftsliberale FDP. Beide Parteien haben in Bern die Regelung gegen den Widerstand von Sozialdemokraten und Grünen im Parlament durchgesetzt. Nachdem die Verschärfung im Kanton Bern vor Gericht Bestand hatte, gibt es auch in anderen Kantonen Überlegungen, ähnliche Regelungen einzuführen. Die von manchen Demokratietheoretikern auch hierzulande gelobten Volksabstimmungen sind kaum ein Hindernis, weil Initiativen, die die Interessen von Erwerbslosen und Sozialhilfeempfängern stärken wollen, dabei in der Regel keine Mehrheit bekommen.

Diese Erfahrung mussten auch die Gegner des Berner Sozialhilfegesetzes machen. Unter dem Motto »Datenschutz für alle« hatten verschiedene soziale Initiativen und Erwerbslosengruppen im vorigen Jahr Unterschriften für ein Referendum gesammelt. Dies wurde abgebrochen, weil nur knapp die Hälfte der erforderlichen Unterschriften zusammengekommen war. Erst dann versuchte man, den Schnüffelparagraphen auf juristischem Weg zu stoppen.
http://jungle-world.com/artikel/2012/41/46380.html
Peter Nowak

Proteste in Griechenland – Ruhe in Deutschland

Merkel zeigte sich solidarisch mit griechischer Regierung, aber wo blieb die Solidarität der sozialen Bewegungen mit der griechischen Bevölkerung?

Tausende gehen auf die Straße, ganze Industriezweige sind in den Streik getreten, um heute gegen die Sparpolitik von Angela Merkel zu protestieren. Diese Nachrichten stammen aus Griechenland, wo die Kanzlerin eine eintägige Stippvisite unter Freunden angetreten ist. Weder Gewerkschaften, soziale Bewegungen oder die stärkste Oppositionspartei, die linkssozialdemokratische Syriza, standen auf ihrem Besuchsprogramm. Daher ist auch die Vorstellung absurd, Merkel sei nach Griechenland gereist, um zu erfahren, wie große Teile der Bevölkerung unter dem Krisenprogramm leiden. Vielmehr diente ihre Kurzvisite der Rückenstärkung des konservativen Ministerpräsidenten, dessen Dreiparteienkoalition sich schwertut, die von der EU immer vehementer eingeforderte Umsetzung des Spardiktats durchzusetzen. Für viele Menschen in Griechenland gehört Merkel zu den wichtigsten Protagonisten des Spardiktats. Daher galt in der Zeit ihres Besuches in Athen Sicherheitsstufe 1.

Doch wie reagierten die sozialen Bewegungen in Deutschland, die in den letzten Monaten immer betonten, sie seien solidarisch mit der griechischen Bevölkerung? Selbst die üblichen Solidaritätskundgebungen scheinen ausgefallen zu sein. Lediglich das globalisierungskritische Netzwerk zückte seine stärkste Waffe, die Presseerklärung, und erklärt sich solidarisch mit den „Demonstrierenden in Griechenland“.

Vom Sommerloch in den Winterschlaf?

„Nein zum Kürzungsdiktat der Troika: Besetzen, Blockieren, Demonstrieren“, heißt es auch auf der Homepage des bundesweiten Krisenprotestbündnisses. Wer darin eine zumindest verbale Unterstützung der griechischen Demonstranten erkennen will, irrt. Denn es handelt es sich um den Aufruf zu den Blockuppy-Aktionstagen vom Mai dieses Jahres. Seitdem scheint die Homepage nicht mehr aktualisiert worden zu sein.

Auch das M31-Bündnis, das am 31. März dieses Jahres mit einem europaweiten antikapitalistischen Aktionstag auf sich aufmerksam machte, scheint sich vom Sommerloch in den Winterschlaf begeben zu haben. Zumindest ist auf der Homepage die Zeit am 31. März stehen geblieben. Wer den Terminkalender für den September anklickt, findet nur leere Felder. Dabei hatte der Aktionstag, der von den Protesten gegen die Privatisierung eines Wasserwerks in Thessaloniki beeinflusst war, den Anspruch, der Beginn eines europaweiten Protestzyklus auf antikapitalistischer Grundlage zu sein.

Selbst von den Griechenland-Solidaritätskomitees, die vor allem von Gruppen aus dem trotzkistischen Spektrum gegründet wurden, hört man dieser Tage nichts . Da drängt sich der Verdacht auf, dass sie vor allem gegründet wurden, um bei einem Syriza-Wahlsieg Präsenz zu zeigen. Da es dazu nicht gekommen ist, halten sich die Aktivitäten in engen Grenzen.

Vielleicht wird diese Inaktivität der gesamten Protestbewegung in Deutschland bald Thema der Blockuppy-Tage im Zelt sein, zu dem für übernächstes Wochenende nach Frankfurt geladen wird. Dort soll ein Teil der Vorträge im Zelt nachgeholt werden, die im Mai wegen des Verbots nicht durchgeführt werden konnte. Auf einen Bewegungs- und Aktionsratschlag soll auch über weitere Aktionen diskutiert werden. Eine Art Blockuppy 2013 ist in der Diskussion.

Dabei müsste einmal die Frage diskutiert werden, warum solche Proteste nur als kräftezehrendes Großevent möglich sind, nach dem immer große Pausen folgen, in denen sich die Aktivisten psychisch und finanziell regenerieren müssen. Gerade der fehlende Alltagswiderstand ist der Grund, warum der Griechenlandbesuch Merkels hierzulande ohne Resonanz blieb. Deutschland als fast protestfreie Zone, dieses Szenario haben bereits vor 20 Jahren auf Konferenzen Aktivisten wie Thomas Ebermann heraufziehen sehen. Sie begründeten das Szenario mit der politisch und ökonomisch gestärkten Rolle Deutschlands, in dem die Protestbewegung eine ähnlich marginale Rolle wie in den USA spielen würde. Dieser Vergleich würde auch erklären, warum zumindest in Griechenland, aber sicher auch in anderen Ländern der europäischen Peripherie ein Besuch deutscher Spitzenpolitiker eine ähnliche Protesthaltung hervorruft wie in Lateinamerika der Besuch des US-Präsidenten.

Einige Aktivisten aus Deutschland haben sich doch an Protesten beteiligt. So heißt es auf der Attac-Homepage: „Eine soziale Bewältigung der Krise ist nur durch massiven Widerstand gegen die Kürzungsdiktate, die Verarmungspolitik und den Privatisierungswahn durchsetzbar“, ergänzte Tine Steininger, die am Montag für Attac Deutschland nach Athen gereist ist, um sich den Demonstrierenden anzuschließen. Zudem hat Attac einen Weblog eingerichtet, der aktuell über die aktuellen Proteste in Griechenland informiert.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152951
Peter Nowak

Kein Pride in Belgrad

Homosexuellen-Parade bleibt auch 2012 verboten

Der bei der Berlinale preisgekrönte Film »Parada« hat die rechten Angriffe auf Homosexuelle im Jahr 2010 in Belgrad zum Thema. Darin werden ehemalige Kriegsveteranen zum Schutz des »Belgrad Pride« angeheuert – in der Realität bleibt das undenkbar. Wie schon im letzten Jahr wurde die für Samstag von Schwulen- und Lesbengruppen geplante Demonstration in Belgrad vom serbischen Ministerpräsident und Innenminister Ivica Dacic verboten.

Er habe nach der Auswertung der Sicherheitshinweise entschieden, alle geplanten Versammlungen in der Hauptstadt zu verbieten, teilte das Innenministerium mit und stützte sich damit auf dieselbe Begründung wie 2011, um Kundgebungen von Schwulen und Lesben zu verbieten. Es ist die Reaktion auf Bilder von knüppelschwingenden Männern, die vor zwei Jahren brutal auf feiernde Teilnehmer einer Homosexuellenparade in Belgrad einschlugen.

Auch in diesem Jahr hatten rechte Gruppen zu Angriffen auf die Parade aufgerufen. Mit dem Verbot werden sie aber noch gestärkt. Die Maßnahme ist auch ein Affront gegen die EU. Schon 2010 übte Brüssel Kritik am mangelnden Schutz der Homosexuellen. Der EU-Berichterstatter für den serbischen EU-Beitritt, Jelko Kacin, will weiter Druck auf die serbische Regierung ausüben. »LGBT-Rechte sollten das ganze Jahr über geachtet werden. Die ersten Verurteilungen wegen Hassgewalt haben wesentliche Präzedenzfälle geschaffen«, so Kacin.

Die Organisatoren der Belgrader Parade wollen trotz des Verbots feiern, legen es aber nicht auf eine Konfrontation mit der Polizei an und werden deshalb eine Saalveranstaltung abhalten.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/800298.kein-pride-in-belgrad.html
Peter Nowak

Homosexuellenparade in Belgrad verboten

Wie schon zuvor werden als Grund mögliche Ausschreitungen angegeben

Nach Angaben verschiedener serbischer Medien werden die Behörden eine für den kommenden Samstag geplante Homosexuellenparade in der serbischen Hauptstadt verbieten. Der offizielle Grund lautet, es bestehe die Gefahr von Auseinandersetzungen, weil rechte und nationalistische Gruppen wie die Bewegung Dveri angekündigt hatten, die Parade mit allen Mitteln zu verhindern.

Dass es die serbische Rechte nicht bei Drohungen belässt, zeigte sich in den vergangenen Jahren. Seit sich 2001 in Serbien erstmals Homosexuelle organisierten und in die Öffentlichkeit gingen, traten militante Rechte auf den Plan, um diese anzugreifen. 2010, als in Belgrad die erste große Schwulenparade stattfand, gingen Bilder von knüppelschwingenden Rechten, die tanzende Homosexuelle angreifen, um die Welt. Auch im letzten Jahr war die Parade verboten worden, ebenfalls mit der Begründung mangelnder Sicherheit.

Die Problematik ist mittlerweile auch in Deutschland einem größeren Publikum bekannt, seit der auf der Berlinale ausgezeichnete und kürzlich in den Kinos angelaufenen Film Parada diese Angriffe zum Thema gemacht hat In dem Film schützen Kriegsveteranen die Homosexuellen vor den Angriffen.

Test für die EU-Tauglichkeit Serbiens?

Davon kann im realen Alltag in Serbien keine Rede sein. Seit es die Angriffe auf die Homosexuellen gibt, versuchen diese, Unterstützer in und außerhalb des Landes zu finden. Weil die Kräfte im Inland sehr schwach sind, haben sie schon vor 10 Jahren auf die EU gesetzt. So sehen einige der Gruppen, die sich für die Rechte von Schwulen und Lesben einsetzen, den Umgang mit der Parade als eine Art Lackmuspapier auf die serbische EU-Tauglichkeit. Nachdem der prowestliche Präsident durch einen Exponenten der nationalistischen Rechten, der erst vor wenigen Jahren seinen Frieden mit der EU gemacht hat, abgelöst wurde, haben EU-Behörden diesen Standpunkt noch einmal bekräftigt. So erklärte der Berichterstatter für den serbischen EU-Beitritt Jelko Kacin: „Wir werden den Behörden in Belgrad weiterhin zureden, dass sie sicherstellen, dass die nächste Reise eines MEP zur Pride-Parade in Belgrad nicht nur für eine Pressekonferenz sein wird, so wie meine Reise letztes Jahr. LGBT-Rechte sollten das ganze Jahr über geachtet werden, und die ersten Verurteilungen wegen Hassgewalt haben wesentliche Präzedenzfälle geschaffen.“

Die Anlehnung an die EU ist aus der Sicht der schwachen demokratischen Kräfte im Land verständlich, aber keineswegs unproblematisch. Denn damit wird die diffizile Frage, wie der Umgang der EU mit Serbien zu beurteilen ist, mit der Haltung zur Schwulenparade kurzgeschlossen. Das gibt nationalistischen Gruppen die Gelegenheit, alle diejenigen, die aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen die EU-Politik ablehnen, gegen die angeblich von der EU gesponserten Homosexuellen und ihre Freunde zu mobilisieren. Umgekehrt werden damit Homosexuelle unabhängig von ihrer sozialen Situation und ihrer politischen Positionierung automatisch ins Lager der EU-Freunde gerechnet.

Die Veranstalter wolle nun die Parada nach drinnen verlegen, aber dennoch während des Tages „gewisse Ereignisse“ organisieren. Man werde nicht untägig herumsitzen, wenn das Verbot tatsächlich verhängt werden sollte.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152902
Peter Nowak

Monate auf Visa warten?

Sevim Dagdelen moniert lange Wartezeiten für die Visa nach Deutschland

nd: Sie monieren lange Wartezeiten für die Visa nach Deutschland. In welchen Ländern dauert es besonders lange – und wie lang muss man sich dort gedulden?
Dagdelen: Besonders betroffen sind beispielsweise Russland und China, aber auch die Ukraine oder Ägypten. Die Wartezeit etwa in Shanghai und Kairo beträgt neun, in Moskau, Nowosibirsk oder Peking inzwischen fünf und sechs Wochen. In Kiew sind es sogar 11 Wochen bei normalen Besuchsreisen. Dazu muss man wissen, dass allein Moskau, Nowosibirsk, Shanghai und Peking mit weit über 500 000 Anträgen mehr als ein Viertel aller Visaanträge ausmachen. In Russland ist die Zahl der zu bearbeitenden Visaanträge pro Mitarbeiter/in zuletzt um 15 Prozent gestiegen.

Was ist der Grund? Abschreckung – oder Ineffektivität nach der teilweisen Privatisierung der Visaerteilung?
Lange Wartezeiten schrecken ab, zumal wenn ein großer finanzieller und zeitlicher Aufwand mit fraglichem Ausgang betrieben werden muss. Die Erteilungspraxis ist überaus streng. Bei den Hauptherkunftsländern von Asylsuchenden und afrikanischen Staaten gibt es Ablehnungsquoten von einem Drittel bis über 50 Prozent. Familienbesuche und der wichtige zivilgesellschaftliche Austausch werden durch diese restriktive Visapraxis behindert. Aber auch die wirtschaftlichen Beziehungen werden erschwert. Die Teil-Privatisierung des Visumverfahrens ist für die Betroffenen mit erheblichen Mehrkosten verbunden. »Externe Dienstleister« sollen nach EU-Vorgaben eigentlich nur als »letztes Mittel« zum Zuge kommen. Hiervon kann aber keine Rede sein, wenn die Bundesregierung nicht einmal genügend Personal in den Botschaften einsetzt wie etwa in Russland.

Sie sehen durch die Verzögerungen bei der Visavergabe das EU-Recht verletzt.
Es geht um Artikel 9 Absatz 2 des Visakodex. Dabei handelt es sich um eine verbindliche Verordnung der EU aus dem Jahre 2009. Danach müssen Auslandsvertretungen Antragstellenden innerhalb von zwei Wochen einen Termin zur Beantragung eines Schengen-Visums geben. Diese Frist kann nur in Ausnahmefällen überschritten werden. Bei der deutschen Visapraxis kann von einer Ausnahme aber keine Rede sein, wie die deutlichen Fristüberschreitungen, zum Teil über Monate hinweg, zeigen. Die Bundesregierung versucht, sich mit Verweisen auf saisonale Schwankungen und Reisestoßzeiten zu rechtfertigen. Ein Handbuch zum Visakodex sieht allerdings vor, dass die Personalkapazitäten so anzupassen sind, dass die Frist auch in Stoßzeiten eingehalten werden kann. Da die Bundesregierung das nicht tut, habe ich Beschwerde bei der EU-Kommission eingelegt und Zahlenmaterial über die untragbaren Zustände in wichtigen deutschen Botschaften übermittelt.

Könnten die Visa nicht einfach abgeschafft werden?
Tatsächlich ist für die LINKE die Beseitigung der Visumspflicht noch immer die beste Erleichterung. Damit stehen wir parlamentarisch allerdings allein. Deshalb fordern wir die Bundesregierung zumindest zu einer grundlegenden Korrektur und Liberalisierung der Visapolitik auf. Die Visaregeln und Anforderungen im Verfahren müssen so weit wie möglich gelockert, das Personal aufgestockt und das Verfahren insgesamt erleichtert werden.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/239705.monate-auf-visa-warten.html
Interview: Peter Nowak

Kanton Bern darf weiter schnüffeln

Auskunftspflichten in Sozialhilfegesetz bestätigt

Die Schweiz gilt als Eldorado für Millionäre, die vehement auf ihr Bankgeheimnis bestehen. Für Sozialhilfebezieher gelten solche Privilegien nicht. Dass stellte kürzlich das Bundesgericht in einem Urteil klar, in dem es die Verfassungsmäßigkeit des seit Beginn dieses Jahres in Kraft befindliche Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern überprüfen sollte. Geklagt hatten die Demokratischen Juristinnen und Juristen Bern (DJB) und das Komitee der Arbeitslosen und Armutsbetroffenen Kabba. Ihr Hauptstreitpunkt in war der Zwang zur Datenabgabe, die in dem Berner Sozialhilfegesetz festgeschrieben ist. So müssen: Bewerber um Sozialhilfe bereits Einreichen ihres Antrags eine Vollmacht ausstellen, welche den Sozialbehörden Einblick in sensible persönliche Informationen wie Krankenakten oder Bankdaten ermöglichen soll.Zudem sollen Vermieter, Firmen, Familienangehörige oder WG-Mitbewohner bei Nachfragen der Sozialbehörden zur Datenabgabe verpflichtet werden. Kritiker sprechen von einem Zwang zur Denunziation.
Eine Mehrheit der Richter erklärte den Passus für verfassungsgemäß, eine Minderheit betonte in einem Sondervotum, dass in dem Sozialhilfegesetz festgelegt wird, dass die Vollmacht nur als letztes Mittel zur Anwendung kommen solle.
Für den Gerichtspräsidenten Rudolf Ursprung sind die er Zweifel, ob die buchstabengetreue Lesart des Gesetzes verfassungskonform ist, nicht beseitigt Die Sozialdienste hätten aber kein Interesse an einer verfassungswidrigen Auslegung, begründete das Mitglied der rechtspopulistischen Schweizer Volkspartei (SVP),warum er das Gesetz trotz Zweifel für verfassungskonform hält
.. Die SVP war in den letzten Jahren unter ihrem Vorsitzenden, dem Chemiefabrikanten Blocher, weit nach rechts gerückt und sorgt mit Kampagnen gegen Migranten, Moslems aber auch gegen Sozialhilfeempfänger für Schlagzeilen. Die Kläger zeigten sich trotz ihrer Niederlage in einer Erklärung zufrieden, dass das Gericht erkannt habe, dass die Vollmacht aus rein politischen Gründen in das Gesetz geschrieben wurde. Außerdem hoffen sie, dass mit dem Urteil einer extensiven Auslegung der Vollmacht Grenzen gesetzt sind. Besonders zufrieden zeigen sich allerdings neben der SVP die wirtschaftsliberale FDP. Nachdem die Verschärfung im Kanton Bern vor Gericht bestand hatte, gibt es auch in anderen Kantonen Überlegungen ähnliche Regelungen einzuführen. Die von manchen Demokratietheoretiker hochgelobten Volksabstimmungen sind dagegen kaum ein Hindernis, weil Interessen von Erwerbslosen und Sozialhilfeempfängern dort in der Regel keine Mehrheit bekommen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/238491.
kanton-bern-darf-weiter-schnueffeln.html

Peter Nowak

Hat die Bundesregierung zu stark auf den Dialog mit dem Islam gesetzt?

Unionspolitiker zielt mit seiner Kritik auch auf die Obama-Regierung

Wie gewohnt gibt es in der Bundesregierung und den sie tragenden Parteien die unterschiedlichsten Signale auch zum Umgang mit der gegenwärtigen Auseinandersetzung um den islamfeindlichen Mohammad Movie Trailer. Genau diese Signale sind zumindest von Angela Merkel gewollt, kann sie sich doch, wie heute wieder auf der Bundespressekonferenz als Pragmatikerin präsentieren.

Der CSU-Politiker Hans-Peter Uhl spricht sich dagegen für ein Verbot des Trailers aus und argumentiert mit außenpolitischen Rücksichten. Doch gleichzeitig können konservative Christen im Subtext auch in Uhls Erklärung heraushören, dass es keine grenzenlose Freiheit gäbe und dass die Grenzen der Religionskritik auch bei der nächsten Papstkarikatur aufgezeigt werden könnten.

Wer ist der Adressat der Kritik?

Ganz andere Akzente setzte der außenpolitische Sprecher der Union Philipp Mißfelder (http://www.philipp-missfelder.de/) in einem Deutschlandfunk-Interview. Dort wird scheinbar selbstkritisch eingeräumt, die radikalislamistischen Positionen in den arabischen Ländern unterschätzt zu haben. Doch schnell stellt sich die Frage nach dem Adressaten der Kritik. Seiner Partei stellt er selbstverständlich gute Noten aus: „Eins ist auf jeden Fall auch klar, wenn man den Arabischen Frühling sich anschaut, und da hat unsere Fraktion von Anfang an gewarnt. Es ist müßig, automatisch zu glauben, dass dadurch, dass jetzt in einigen Ländern mehr Freiheit herrscht, automatisch sich auch Demokratie und Menschenrechte, Religionsfreiheit verbessern. Das ist nicht der Fall.“

Dabei bleibt allerdings unklar, welche Konsequenzen Mißfelder aus dieser Einschätzung des arabischen Frühlings zieht, die übrigens in Israel schon vor einem Jahr laut wurde. Hat sich die Bundesregierung aus staatspolitischen Gesichtspunkt nicht richtig verhalten, als sie sich nicht aktiv am Sturz des Gaddaffi-Regimes beteiligte? Schließlich hat dies in der Flüchtlingsabwehr den EU-Staaten und beim Verhör mutmaßlicher Islamisten auch den USA gute Dienste erwiesen. Zudem dürften sich manche Anhänger des libyschen Regimewechsels fragen, ob sich das Unternehmen gelohnt hat, wenn dort nun die Islamisten, die man zunächst vom Gaddafi-Regime foltern ließ und dann bewaffnete, nun am Personal der US-Botschaft Rache nehmen. Sollte man nun trotzdem eine syrische Opposition weiter bedingungslos unterstützen, wenn mittlerweile auch vom Assad-Regime unabhängige Quellen bestätigen, dass Islamisten dort mittlerweile eine wichtige Rolle spielen?

Andererseits könnten auch die Anhänger eines spezifisch deutschen Umgangs mit dem Islam nach dem Sturm auf die deutsche Botschaft im Sudan zu einer kritischen Bilanz kommen. Die Dialog-Linie wird zumindest von den Islamisten nicht belohnt. Hier bietet sich ein Einfalltor für die Atlantiker, die in der Union, aber auch in der SPD und der FDP vertreten sind und einer stärkeren Kooperation mit den USA das Wort reden. Mißfelder gehörte schon in der Vergangenheit zu den Politikern, die vor einer zu starken Entfremdung von den USA warnten. Dabei geht es keinesfalls um eine Unterordnung, sondern um die Frage, ob sich deutsche Interessen eher in guter Kooperation mit den USA oder eher in mehr oder weniger deutlich artikulierten Dissens zu Washington besser vertreten lassen. Für Letzteres stand die rotgrüne Regierung unter Schröder während des Irakkriegs. Damals gehörte Merkel noch zu den Atlantikern. Da sich diese Position allerdings in der Bevölkerung als nicht mehrheitsfähig erwies, zeigte sie auch in dieser Frage viel Flexibilität. Diese Geschmeidigkeit kann man auch führenden Politikern von SPD und Grünen nicht absprechen, die im Libyen-Konflikt der Bundesregierung vorwarfen, nicht eindeutig auf Seiten der Gaddafi-Gegner Position bezogen zu haben.

Hoffnung auf Obama-Niederlage?

Doch Mißfelders Intervention zielt nicht nur auf die deutsche Innen- und Außenpolitik, sondern sehr deutlich wird auch Obamas Nahostpolitik und dabei besonders seine als Versöhnungsgeste verstandene Rede in Kairo kritisiert: „Wenn man die Rede von Obama in Kairo zugrunde legt, wenn man auch zugrunde legt, was er in der Türkei gesagt hat, und das mit der Realität vergleicht, dann ist man sehr weit davon entfernt. Das ist nicht zwangsläufig Barack Obamas Schuld, aber man muss wirklich sagen, es gibt eine große Lücke in der Politik im Nahen Osten, was den Führungsanspruch der USA angeht, und es gibt einfach kein konsequentes Konzept der USA.“ Damit reiht sich Mißfelder in den Reigen der Politiker in den USA, in Israel und in anderen Ländern ein, die den aktuellen islamistischen Furore um den Mohamed Trailer nutzen, um Obama zumindest Schwäche gegenüber der arabischen Welt vorzuwerfen. Der Vorstoß von Mißfelder hat keine unmittelbare Auswirkungen auf die aktuelle Außenpolitik. Sie soll vielmehr im Vorwahlkampf den Atlantikern, die in der Union besonders stark sind und ihre außenpolitische Linie auf Adenauer zurückführen, das Gefühl geben, dass sie in der Partei noch eine nicht unwichtige Stimme haben.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152798
Peter Nowak

Holland-Wahl bestätigt die deutsche Linie

Die Sozialisten haben es doch nicht geschafft, zur stärksten Linkspartei zu werden

Als Niederlage für „die EU-Feinde“ wertete nicht nur die Zeit den Ausgang der Wahlen in den Niederlande. Vielleicht nicht ganz so polemisch in der Wortwahl wird der Wahlausgang in anderen Medien kommentiert. Doch der Tenor ist fast überall ähnlich. Auch in Zeiten der EU-Krise können die EU-Befürworter Erfolge verbuchen.

Damit wird eine Propaganda fortgesetzt, die auch die letzte Phase des Wahlkampfes in den Niederlande selber bestimmte. Eine Kostprobe davon gab die sozialdemokratische Ökonomin und Mandatsträgerin Esther-Mirjam Sent in einem Interview mit der Tageszeitung wenige Tage vor der Wahl. Die Redakteurin und die Interviewpartnerin spielten sich dort gegenseitig die Bälle zu. „Da sind die Rechtspopulisten und die Sozialisten, die mit ihrem Frontmann Emile Roemer gut in den Umfragen dastehen. Was ist los in den Niederlanden?“, liefert die Journalistin die Steilvorlage für die Sozialdemokratin. „Zurzeit haben wir keine klare Orientierung. Das befördert zwei Reflexe. Der erste ist die Sehnsucht nach vergangenen Tagen. Diesen Reflex findet man am äußeren Rand des Parteienspektrums wieder, in der PVV und der SP. Die eine Partei ist sehr rechts, die andere ganz links, aber beide sind konservativ. Ein zweiter Reflex ist die Hinwendung zu weiteren Regeln. Beides ist aussichtslos. Wir müssen uns neu definieren und die Bürger müssen aktuelle Werte mitproduzieren“, antwortete diese.

Holländische Syriza?

Das Beschwören irgendwelcher nicht näher benannten Werte wird mit einer Art neuer Totalitarismustheorie garniert. Da sind die Konservativen von links und rechts oder eben laut Zeit die Euro-Feinde. Dass es sich in einem Fall um die rechtspopulistische, antiislamische Freiheitspartei handelt, die gute Kontakte zu neurechten Strömungen verschiedener europäischer Ländern unterhält, während es sich bei den Sozialisten um eine Art holländischer Linkspartei handelt, wird dabei unterschlagen.

Diese aus einer maoistischen Kleinstpartei hervorgegangenen Linkssozialisten erlebten in den letzten Jahren einen rasanten Aufstieg. In den letzten Wochen wurde schon als Schreckgespenst an die Wand gemalt, dass womöglich diese Sozialisten zur stärksten Partei auf der Linken aufsteigen könnten und in führende Regierungspositionen aufrücken könnten. Die Sozialisten sind sicher keine Europafeinde, aber sie haben sich unter ihren Vorsitzenden Roemer für ein Europa eingesetzt, das sich vom dem von Deutschland diktierten Spardiktat emanzipiert. Insofern können die holländischen Sozialisten durchaus mit der griechischen Syriza verglichen werden. Auch deren Parteivorsitzender kann immer wieder seine Sympathie für die EU und den Euro betonen. Solange er den deutschen Sparkurs vehement ablehnt, gilt er als Anti-Europäer.

Nun können die deutschen Medien und die Bundesregierung beruhigt sein. In Holland, einem Gründungsmitglied der EU, bleiben die fundamentalen Kritiker des deutschen Kurses außerhalb der Regierung. Sicher gibt es auch bei den holländischen Sozialdemokraten einige kritische Stimmen gegenüber einem zu rigiden Sparkurs und einen Appell für einige Lockerungsübungen. Aber in der erwarteten großen Koalition mit den Rechtsliberalen, die als treue Anhänger der deutschen Linie in Holland gelten, werden sie sich wie ihre deutschen Parteifreunde mit einigen netten Formulierungen zufrieden geben.

In deutschen Medien wird schon zu einer schnellen Bildung einer großen Koalition aufgerufen. Schließlich sind solche deutsche Siege im EU-Raum in diesen Tagen nicht so häufig. Nun gab es gleich zwei innerhalb weniger Tage. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum EMS stärkt die deutsche Rolle in mehreren Punkten. Zudem hat das Bild von den vielen Senderwagen aus ganz Europa, die vor dem Eingang des Gerichtsgebäudes auf das Urteil warteten, von dem angeblich das Schicksal Europas abhänge, das Selbstbewusstsein der politischen Klasse in Deutschland gestärkt. Merkel hat daher gleich davon gesprochen, dass es ein guter Tag für Deutschland und die EU war. Der Ausgang der holländischen Wahl würde von ihr sicher auch so kommentiert. Die meisten Medien machen schon in der Wortwahl deutlich, dass für sie ein Kritiker eines deutschen Europas nur ein EU-Feind sein kann.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152775
Peter Nowak

Gesucht – Henry Kissinger

Ein Künstler erinnert gemeinsam mit Menschenrechtlern daran, dass die Verantwortlichen des Militärputsches in Chile noch immer straffrei geblieben sind

Am 14.September wurden in verschiedenen Tageszeitungen Anzeigen mit dem Titel „Verhaftet Kissinger“ geschaltet. Dabei handelt es sich um eine Kooperation zwischen Politik und Kunst. Der in Chile geborene Künstler Alfredo Jaar arbeitet für dieses Kissinger-Projekt mit dem Europäischen Menschenrechtszentrum zusammen. Für Jaar ist das Projekt das Finale dreier Ausstellungen in Berlin, die im besten Sinne engagierte Kunst zeigten. Dabei hinterfragt Jaar auch die Position des Künstlers immer wieder. Das beeindruckendste Beispiel in Berlin war eine Installation über den südafrikanischen Fotografen Kevin Carter, der für das Foto eines hungernden Kindes im Sudan den Pulitzer-Preis bekam und wenig später Selbstmord beging, nachdem Kritik laut geworden war, dass er mit dem Foto eines hungerndes Kindes berühmt werden wollte.

In den Berliner Ausstellungen werden auch verschiedene Arbeiten von Jaar gezeigt, in denen er sich mit dem Militärputsch gegen den linkssozialistischen Präsidenten chilenischen Salvador Allende am 11. September 1973 befasst. Das Vorgehen der Generäle, die gleich in den ersten Tagen nach dem Putsch Tausende Anhänger der gewählten Regierung verhaften, foltern und nicht selten ermorden und auf öffentlichen Plätzen linke Literatur verbrennen ließen, weckte weltweit Assoziationen an den Faschismus. Jaar zitiert Originaldokumente, die nachweisen, dass die damalige US-Regierung und besonders ihr Außenminister Henry Kissinger seit der Wahl von Allende den Sturz der Regierung betrieben haben und dass die Tatsache, dass die Linksregierung demokratisch legitimiert war, dabei kein Hindernis war.

Die Anzeigenkampagne zur Verhaftung Kissingers stellt Jaar bewusst in den Kontext des 39 Jahrestages des Militärputsches. Dieses Datum war in dem letzten Jahrzehnt durch die islamistischen Anschläge vom 11.September 2001 in den Hintergrund des Interesses geraten. Die Forderung, Henry Kissinger vor Gericht zu stellen, ist alt und wird nicht nur wegen seiner Rolle beim Putsch in Chile erhoben. Jaar und die Menschenrechtsorganisation werden deshalb die Anzeigen nicht nur in mehreren deutschsprachigen Zeitungen wie der taz, dem Tagesspiegel und der Berliner Zeitung, sondern auch in Medien von Laos, Kambodscha und Vietnam schalten, wo Menschen auch durch die von Kissinger repräsentierte Politik zu Schaden kamen.

Gefahr der Personifizierung?

Die Aktion erinnert an eine andere Kunstaktion: „Waffenhändler in den Knast“, mit der Künstler (http://www.politicalbeauty.de/center/News.html) gegen die Kraus-Maffei-Eigentümer intervenierten. Wie bei dieser Aktion stellt sich natürlich auch beim Kissinger-Projekt die Frage, ob damit nicht einer Personifizierung von Politik Vorschub geleistet und der Eindruck erweckt wird, Politik sei eine Kette von Verschwörungen. Allerdings ist gerade der Militärputsch tatsächlich eines der wenigen Beispiele für eine reale Verschwörung gegen unliebsame Regierungen.

Zudem sind Politiker wie Kissinger nicht nur Rädchen im Getriebe, sondern agieren in einen gewissen Rahmen durchaus eigenständig und können daher auch zur Verantwortung gezogen werden. Jaars Forderungen hat eine neue Aktualität bekommen, nachdem auch in Chile nach Jahrzehnten der Straflosigkeit, die sich die Militärs selber verordnet hatten, mittlerweile Klagen gegen einige für Morde und Kindesentführungen Verantwortliche begonnen haben.

FAZ-Artikel will US-Politiker wegen Irakkrieg vor Gericht sehen

Wenn aber ein Feuilletonredakteur der FAZ in einem Artikel, der am vergangenen Wochenende erschien, auch führende US-Politiker wegen des Irakkrieges vor Gericht sehen will, fragt man sich schon, ob das konservative Blatt jetzt zur Speerspitze der Anti-Irak-Kriegs-Bewegung geworden ist. Hat die Zeitung im Politikteil diesen Krieg damals nicht nach Kräften publizistisch unterstützt? Wäre da nicht eine redaktionsinterne Tagung über die Rolle des eingebetteten Journalisten im Krieg angebracht?

Ein solch greifbare Forderung fehlt in dem FAZ-Artikel ebenso wie der Name des deutschen Oberst Klein. Der kürzlich beförderte Militär ist für den Tod von fast 100 Toten von Kunduz verantwortlich. Wer ihn in einer deutschen Zeitung vergisst, wenn es um Politiker geht, die wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen vor Gericht gestellt werden sollen, muss sich schon den Vorwurf gefallen lassen, dass die Bereitschaft zur Aufklärung von Verbrechen dann nachlässt, wenn auch deutsche Militärs betroffen sind.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152766
Peter Nowak

Aufbruch der Flüchtlinge

Asylbewerber aus ganz Deutschland wollen am Wochenende in Würzburg zwei Protestzüge nach Berlin starten
Die Einzelaktionen von Asylbewerbern in den vergangenen Monaten haben der bundesweiten Protestbewegung neue Kraft verliehen. Der nun beginnende Flüchtlingsmarsch ist der Höhepunkt. Kurz vor dem Start wurde in Würzburg ein Aktivist festgenommen. Begründung: Verstoß gegen die Residenzpflicht.

»Würzburg, Bamberg, Augsburg, Düsseldorf, Berlin. Alle Flüchtlingsheime schließen«, heißt es auf einem Transparent, das an einem weißen Zelt am Berliner Heinrichplatz hängt. Dort harren seit mehreren Wochen Flüchtlinge aus Berlin und Brandenburg Tag und Nacht aus, um für die Durchsetzung ihrer Rechte zu demonstrieren. »Wir sind Teil einer Protestbewegung, die sich aus den Lagerunterkünften über ganz Deutschland ausgebreitet hat«, erklärte ein Aktivist gegenüber »nd«. Tatsächlich sorgten einige spektakuläre Aktionen in den letzten Monaten bundesweit für Schlagzeilen, wurden aber nicht als Ausdruck einer neuen bundesweiten Flüchtlingsorganisation wahrgenommen.

Der Streik der Asylbewerber hatte am 18. März in Würzburg begonnen. Seither campieren sie dort in der Innenstadt, mehrmals waren sie seither auch in den Hungerstreik getreten, teilweise mit zugenähten Lippen. Nun wollen Asylbewerber aus ganz Deutschland von Würzburg aus nach Berlin aufbrechen. Am Sonnabend will sich eine Flüchtlingsgruppe zu Fuß auf den Weg in die Bundeshauptstadt begeben. Die zweite Gruppe toure mit einem Bus eine längere Route quer durch Deutschland, teilen die Organisatoren mit. Beide Protestzüge sollen Mitte Oktober an ihrem Ziel ankommen.

Der Fußmarsch führt die Flüchtlinge von Würzburg aus über mehrere Stationen durch Bayern und Thüringen, über Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg nach Berlin. Dabei sollen sich Bewohner von am Weg liegenden Asylbewerberheimen dem Protestmarsch anschließen. Die Busroute führt über Hessen, Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg nach Berlin. Auf beiden Touren sind über 20 Stationen geplant, an denen auch demonstriert werden soll.

Die Forderungen der Flüchtlinge richten sich gegen all die Maßnahmen, die ein Protestteilnehmer als »Erniedrigungsmaschinerie« bezeichnet: Essenspakete, Arbeitsverbot, Gutscheine, Lagerunterkünfte, Abschiebungen und Residenzpflicht. Diese Auflage verbietet es Flüchtlingen, den ihnen von den Ausländerbehörden zugewiesenen Landkreis zu verlassen. Die Betroffenen sehen darin nicht nur ihr Recht auf Bewegungsfreiheit, sondern auch die Möglichkeiten eingeschränkt, sich politisch zu engagieren. So waren die öffentlichkeitswirksamen Proteste der letzten Monate nur möglich, weil sich Flüchtlinge über die Residenzpflicht hinwegsetzten und Verhaftungen und Geldstrafen in Kauf nahmen.

In Würzburg nahm die Polizei am Donnerstag mit dieser Begründung den Sprecher der Bewegung Ashkan Khorasani fest. Der Iraner protestierte dort bereits seit dem 19. März und verstieß damit gegen die Residenzpflicht. Die Flüchtlinge werten die Verhaftung kurz vor dem Beginn des Protestmarsches deshalb als »klare Schikane« und Versuch, den Protest zu unterdrücken. Der Marsch soll ein Höhepunkt, aber kein Ende des Flüchtlingsaufbruchs sein. »In den letzten Monaten haben sich in vielen Flüchtlingsheimen Komitees gebildet, in denen sich die Betroffenen selber organisieren«, kündigt ein Aktivist weitere Proteste für ein menschenwürdiges Leben an.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/237965.aufbruch-der-fluechtlinge.html

Peter Nowak

Schön bunt, aber …

Gewerkschaftsfeind: Polnische Beschäftigte lehnen sich gegen ihren chinesischen Arbeitgeber auf
Weil ihr Arbeitgeber gewerkschaftliche Organisation verhindern will und Leute feuert, sind polnische Beschäftigte in Europa auf Tour, um für Solidarität zu werben.

„Solidarität ist gefragt“, lautet der Titel eines Aufrufs, mit dem die anarchosyndikalistische Freie Arbeiterunion (FAU) zur Unterstützung von 25 polnischen Beschäftigten mobilisiert. Es handelt sich dabei hauptsächlich um Frauen, die in der polnischen Sonderwirtschaftszone Tarnobrzeg für den chinesischen Technologiekonzern Chung Hong Fernsehgeräte zusammenschraubten. Dafür sollten sie monatlich nur umgerechnet 350 Euro monatlich verdienen und das in einem Land, in dem sich die Lebenshaltungskosten dem westeuropäischen Niveau annähern. Zudem klagten die Beschäftigten über lange Anfahrtswege von mehr als einer Stunde. Die insgesamt 14 polnischen Sonderwirtschaftszonen werden in Gegend mit hoher Arbeitslosigkeit eingerichtet. Doch ein Teil der Beschäftigten von Chung Hong wollte die schlechten Arbeitsbedingungen nicht hinnehmen und organisierte sich in der libertären Gewerkschaft Arbeiterinitiative (Inicjatywa Pracownicza). Der Konzern reagierte mit Repression. Zunächst wurde ein Gewerkschaftsaktivist entlassen. Als sie sich dagegen mit einen Streik wehrten, wurden am 10. Juli 2012 weitere vierundzwanzig Beschäftigte fristlos gekündigt. Sie versuchen auf juristischen Wege gegen die Entlassungen vorzugehen. Doch noch ist kein Gerichtstermin angesetzt. Die Betroffenen seien durch die Kündigung in einer schwierigen sozialen Situation, weil sich das zuständige Arbeitsamt auf dem Standpunkt stellt, die Beschäftigten hätten durch ihre gewerkschaftliche Tätigkeit ihre Entlassung selber verschuldet und ihnen die finanziellen Leistungen gekürzt, begründet der Berliner FAU-Sekreätr Andreas Förster den Solidaritätsaufruf gegenüber nd. Trotzdem haben sich die Gekündigten bisher allen Spaltungsversuchen widersetzt. Chung Hong wollte einige der Entlassenen wieder einstellen, doch die beharren auf ihrer Forderung, dass sämtliche Kündigungen zurück genommen werden müssen.

In den letzten Wochen gab es in verschiedenen europäischen Ländern Solidaritätsaktionen mit den Entlassenen, unter anderem in Großbritannien, Norwegen und Deutschland. Ende August protestierten ca. 20 Unterstützer vor der IFA-Elektronikmesse in Berlin. Der Ort wurde ausgewählt, weil Chung Hong ein wichtiger Zuliefererbetrieb für den weltweit bekannten südkoreanischen Elektronikkonzern LG (Lifes Good) ist, der zentral auf der IFA vertreten ist“, erklärt Förster.
Die Aktionen sind auch Suchprozesse. Denn die Frage, wie kann eine effektive Solidarität mit gemaßregelten Beschäftigten in einer hochgradig globalisierten Ökonomie aussehen kann, ist nach wie vor offen. In dem konkreten Fall hindert ein chinesischer Konzern polnische Beschäftigte, die begehrte Konsumartikel wie Fernsehgeräte und Smartphons auch für den Markt in Deutschland produzieren, an gewerkschaftlicher Organisierung. Förster hat auch das Bild des kritischen Konsumenten vor Augen, wenn er betont, dass es wichtig sei, bei den Käufern in Deutschland an dem konkreten Beispiel die Arbeitsbedingungen verdeutlichen, unter denen die so begehrten elektronischen Geräte produziert werden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/237827.schoen-bunt-aber.html

Peter Nowak

Bekommt die griechische Bevölkerung mehr Zeit zum Atmen beim Opfern?

Merkel will weitere Opfer von der griechischen Bevölkerung. Wie die reagiert, dürfte eine wichtige Frage sein, die in den hiesigen Medien kaum diskutiert wird

Soll Griechenland in der Eurozone bleiben oder nicht? Diese Frage geht auch nach dem Besuch des griechischen Ministerpräsidenten Samaras in Berlin weiter. Auch wenn Merkel in der gemeinsamen Pressekonferenz betonte, dass sie Griechenlands Verbleib in der Eurozone wünsche, setzte sie sogleich hinzu, dass die griechische Regierung den Worten Tagen folgen müsse. Dass heißt konkret, die griechische Regierung muss noch weitere Sparprogramme in einem Land durchsetzen, in dem große Teile der Bevölkerung schon weit jenseits der Armutsgrenze leben.

In der letzten Zeit gab es etwa verschiedene Berichte über die Situation des griechischen Gesundheitswesens, wo es oft nur noch Medikamente gegen Bargeld gibt. Dass Merkel diese Zustände nicht unbekannt sind, kleidete sie in die Worte, dass die Regierung von der Bevölkerung bereits große Opfer verlangt habe. Auf diesen Weg soll sie weitermachen und dabei habe Samaras die Unterstützung der deutschen Regierung. Dass aber weitere Opfer bei einer Bevölkerung, die in wenigen Monaten eine im Euroraum beispiellose Senkung ihres Lebensstandards erfahren hat, die Frage aufwerfen, von was sollen die Leute überhaupt noch leben, wird dabei völlig ausgeblendet.

Denn auch der griechische Ministerpräsident wollte vor allem als gelehriger Schüler gelten, der beteuerte, wie gut seine Regierung die von der EU diktierten Vorgaben umsetzen will. Er erklärte es zur Frage der nationalen Ehre, dass seine Regierung die Schulden zurückzahle, und wollte selber dafür bürgen. Hierin offenbarte sich ein seltsames Demokratieverständnis, das eher an den feudalistischen Spruch: „Der Staat bin ich“ erinnert und nicht für die Situation in einer bürgerlichen Demokratie angemessen scheint, in der Politiker bekanntlich nur für kurze Zeit im Amt sein sollen. Zudem hat Samaras noch als Oppositionspolitiker heftig gegen die EU-Diktate mobil gemacht.

Wie lange hält die griechische Regierung?

Wie will Samaras seine Bürgschaft einhalten, wenn seine Koalition scheitern sollte und nach abermaligen Neuwahlen doch noch eine Koalition mit der Linksopposition Syriza an die Regierung kommt. Die hatte bekanntlich die Schuldenstreichung oder zumindest die Neuverhandlung über das Rettungspaket zur zentralen Forderung erhoben. Wenn der konservative Gegenspieler die Frage der Schuldenbegleichung zur nationalen Ehre erklärt, liefert er ein direktes Kontrastprogramm zur Linksopposition und gibt damit auch jegliche Druckmittel aus der Hand, um mehr Zeit für die Durchsetzung der Opfer unter der Bevölkerung zu erreichen. Die Dramatik der Situation drückte er in den Worten aus, er wolle mehr Zeit zum Atmen haben.

Für viele Menschen in Griechenland sind das nicht bloß Worte. Während sich verschiedene Politiker von Union und FDP nun weiter darüber streiten, ob Griechenland etwas mehr Zeit gewährt werden soll oder nicht, und die SPD und die Grünen durchaus mit Verweis auf deutsche Interessen eher dafür plädieren, sind sich diese Parteien aber darin einig, dass die griechische Bevölkerung noch weitere Opfer bringen muss. Es geht dann zwischen SPD und Grünen auf der einen und den Parteien der Regierungskoalition auf der anderen Seite nur darum, wie lange die griechische Regierung Zeit gewährt werden soll. Völlig ausblendet wird dabei, dass ein Großteil der griechischen Bevölkerung für Parteien gestimmt hat, die für eine Schuldenstreichung eingetreten sind und dass in den gesamten letzten Monaten Zigtausende Menschen für diese Forderungen auf die Straße gegangen sind. Die griechische Bewegung für einen Schuldenmemorandum bekam für ihre Forderungen über alle Parteien hinweg Unterstützung.

Wie die parlamentarische und mehr noch die außerparlamentarische Opposition in Griechenland darauf reagieren wird, dass der konservative Ministerpräsident weiter Opfer auf ihre Kosten ankündigt, ist völlig offen. Sollte der Druck auf der Straße wieder wachsen, werden die Risse in der heterogenen Koalition in Athen stärker werden. Nur Bernd Riexinger von der Linken und Teile der außerparlamentarischen Bewegung erinnern daran, dass eigentlich nicht die griechische Bevölkerung, sondern die Banken von der Troika „gerettet“ werden. Schließlich ist auch in der kleinen außerparlamentarischen Bewegung hierzulande das Interesse an den Ereignissen in Griechenland schnell wieder geschwunden, nachdem der Wahlsieg der Konservativen feststand. Wurden noch Mitte Mai im Berliner IG-Metall-Haus Delegierte der streikenden Stahlarbeiter aus Griechenland von Hunderten bejubelt, so gab es kaum Reaktionen, als die Stahlarbeiter nach massiven Druck von Polizei und Unternehmen den Ausstand vor einigen Wochen erfolglos beenden mussten.

Die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland interessiert sich sowieso nur für die Frage, ob es dem Standort Deutschland mehr nützt, wenn Griechenland in der Eurozone gehalten wird oder nicht, und will, so der aktuelle Politbarometer, der griechischen Bevölkerung nicht mehr Zeit zum Durchatmen zwischen den Opfergängen gönnen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152656
Peter Nowak

»Die Bewegung ist schwächer, aber inhaltlich schärfer«

Mitglieder der andalusischen Gewerkschaft Sindicato de Trabajadores (SAT) machten vor kurzem durch die Aneignung von Lebensmitteln in spanischen Supermärkten und Besetzungen von brachliegendem Land international auf sich aufmerksam (Jungle World 33/2012). Die Jungle World sprach mit Miguel Sanz Alcántara über die Reaktionen auf die Aktionen und über gewerkschaftliche Organisierung in Spanien und Europa. Er ist Koordinator der SAT in Sevilla.

Interview: Peter Nowak

Landbesetzungen und Aneignungen in Supermärkten gehören nicht zu den klassischen Gewerkschaftsaktivitäten. Warum greift die SAT zu solchen Mitteln?

Beide Aktionen müssen getrennt voneinander diskutiert werden. Landbesetzungen gehören seit ihrer Gründung am 23. September 2007 zu den Aktionsformen unserer Gewerkschaft. Eine ihrer Vorgängerinnen war die andalusische Landarbeitergewerkschaft Sindicato de Obreros de Campo (SOC). Sie ist 1977 kurz nach dem Ende des Franco-Regimes entstanden. Dort waren neben einer maoistischen Strömung auch Teile der christlichen Linken aktiv. Schwerpunkt der SOC war die Organisierung der andalusischen Landarbeiter. Sie stützte sich dabei auf Erfahrungen, wie sie im Franco-Faschismus mit den illegalen comisiones jornaleras (Ausschüsse von Tagelöhnerinnen und Tagelöhnern) gemacht wurden. Dabei standen Landbesetzungen mit der Forderung nach einer Neuaufteilung des Bodens unter der bäuerlichen Bevölkerung im Mittelpunkt der Gewerkschaftsarbeit.

Ist die Kollektivierung von Lebensmitteln eine neue Aktionsform?

Wir haben die Lebensmittel aus den Supermärkten geholt und unter den Erwerbslosen verteilt, um Druck auf die Regierung auszuüben. Sie muss sicherstellen, dass die Grundbedürfnisse der Mehrheit der Bevölkerung befriedigt werden. Es ist natürlich nicht möglich, mit 20 Einkaufswägen voller Lebensmittel die Folgen der Wirtschafskrise zu lindern. Aber wir wollten deutlich machen, dass in der Krise viele Menschen Not leiden. Sie müssen entscheiden, ob sie ihr geringes Einkommen für die Begleichung der Stromrechnung oder für Lebensmittel ausgeben, während die großen Unternehmen mit Millionen subventioniert werden.

Hat die Umverteilungsaktion nicht auch viel Zuspruch in autonomen und anarchistischen Kreisen gefunden?

Es gab viel Zustimmung und auch Nachfolgeaktionen. Aber nicht alle waren im Sinne unserer Gewerkschaft. So hat eine Gruppe andalusischer Jugendlicher mit Bezug auf uns eine Aktion in einem Supermarkt durchgeführt, sich dabei aber vor allem auf alkoholische Getränke beschränkt. Davon hat sich die SAT distanziert.

Nach der Aktion gab es in Spanien eine heftige Debatte über deren Legitimität. Befürchten Sie weitere Repressionen gegen ihre Gewerkschaft?

Die SAT wird von der Justiz seit langem ökonomisch in Bedrängnis gebracht. Wegen verschiedener Besetzungsaktionen musste unsere Gewerkschaft insgesamt 400 000 Euro Strafe zahlen. Weitere Repressalien gegen die SAT sind durchaus wahrscheinlich, aber wir fürchten uns nicht davor. Schließlich haben sie in der Vergangenheit unserer Gewerkschaft Sympathie eingebracht. Mittlerweile hat die SAT auch eine europaweite Spendenaktion initiiert. Die Kontodaten finden sich auf unserer Website (»Llamamiento urgente de solidaridad«).

Wie sieht es mit der Solidarität der anderen spanischen Gewerkschaften aus?

Im Unterschied zu den großen Gewerkschaften UGT und CCOO, die viele öffentliche Gelder zur Verfügung haben, kann unsere Gewerkschaft ausschließlich auf Eigenmittel zurückgreifen. An der Basis gibt es immer wieder Zusammenarbeit bei Streiks und sozialen Auseinandersetzungen. Aber die großen Gewerkschaften sehen uns als Konkurrenz und haben natürlich kein Interesse daran, dass wir an Einfluss gewinnen. So wird SAT-Mitgliedern auf Demonstrationen das Rede­recht verweigert. Wir sehen unsere Rolle vor allem darin, Druck von unten auch auf die großen Gewerkschaften auszuüben, damit sie eine kämpferische Politik machen und die Linie der Sozialpartnerschaft aufgeben.

Wie ist die Zusammenarbeit mit den in Spanien traditionell starken anarchosyndikalistischen Gewerkschaften?

Wir haben gute Kontakte zu den anarchosyndikalistischen Basisgewerkschaften in konkreten Auseinandersetzungen. Sie versuchen ebenso wie die CCOO, verstärkt Menschen mit prekären Jobs im wachsenden Dienstleistungssektor zu organisieren. Allerdings haben wir als SAT aufgrund unserer Geschichte eine Struktur, die es uns einfacher macht, diese Beschäftigten zu organisieren.

Hat es die SAT aufgegeben, sich auf die Organisierung der Landarbeiter zu konzentrieren?

Für uns sind beide Sektoren wichtig. Wir haben natürlich auf die ökonomischen Veränderungen reagiert. Während Ende der siebziger Jahre der Agrarsektor dominierte, ist in den letzten beiden Jahrzehnten der Dienstleistungssektor in den Städten kontinuierlich gewachsen. Die Beschäftigten sind oft junge Menschen, die die Dörfer in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen verlassen. Doch sie finden nur extrem prekäre Arbeitsplätze. Wir können unserer Erfahrung bei der Organisierung der Landarbeiter nutzen, wenn wir gewerkschaftliche Strukturen im Dienstleistungssektor aufbauen.

Vor einigen Jahren entstand in Spanien die »Euromayday«-Bewegung, die gezielt Prekäre aus dem Dienstleistungsbereich organisierte und auch in Deutschland bekannt wurde. Mittlerweile ist es um sie ruhig geworden. War die SAT daran beteiligt?

Die SAT hat dort von Anfang an mit anderen außerparlamentarischen Linken zusammengearbeitet. Auch in Spanien war die Bewegung nur für einige Jahre erfolgreich. Trotzdem sehen wir die Erfahrungen sehr positiv. Wir haben in der »May­day«-Bewegung viel darüber gelernt, wie sich Prekäre im Dienstleistungssektor wehren und organisieren können. Dabei sehen wir die Bewegung in einem größeren Zusammenhang der Neuorientierung einer außerparlamentarischen Linken, die weder in politischen Parteien noch in den bisherigen Gewerkschaften organisiert war und die auch eine Distanz zur anarchosyndikalistischen Bewegung hat. Hier spielte der Zapatismus in den neunziger Jahren eine große Rolle. Später kamen die theoretischen Schriften von Antoni Negri und Michael Hardt hinzu. Vor allem ihr Buch »Empire« hatte einen großen Einfluss auf diese außerparlamentarische Linke und die in Spanien starke globalisierungskritische Bewegung. Diese Vorstellungen gerieten 2003 mit dem Krieg gegen den Irak in eine Krise. Schließlich lautet die zentrale These in »Empire«, dass die Nationalstaaten und der klassische Imperialismus am Ende sind. Viele Aktivisten sahen diese These durch den Krieg gegen den Irak in Frage gestellt. Zudem verlor Negri in großen Teilen der außerparlamentarischen Bewegung an Sympathie, weil er sich hinter die EU in ihrer gegenwärtigen Form stellte. Viele Aktivisten aus diesen Bewegungen der vergangenen Jahre sind jetzt bei der SAT aktiv.

Mit der Bewegung der »Empörten«, die im vorigen Jahr von Spanien auch auf andere Länder übergriff, scheint eine neue außerparlamentarische Bewegung schon wieder Geschichte. Könnte die SAT davon profitieren?

Die Bewegung der »Empörten« hat zu einer Stärkung der Basisgewerkschaften geführt. Viele Aktivisten arbeiten jetzt bei der SAT mit. Dabei war in wenigen Monaten ein inhaltlicher Wandel zu beobachten. Die »Empörten« wandten sich in ihrer Gründungsphase pauschal gegen alle Organisationen. Deshalb durften auch SAT-Mitglieder dort nicht ihre Flugblätter verteilen. Doch nach einigen Monaten begannen die Aktivisten zu unterscheiden zwischen Organisationen, die den Kapitalismus verteidigen oder reformieren wollten, und solchen, die ihn bekämpfen. Die Bewegung ist schwächer, aber inhaltlich schärfer geworden. Die letzten großen gewerkschaftlichen Mobilisierungen wären ohne sie nicht denkbar gewesen. Dabei ist vor allem der landesweite Generalstreik am 29. März dieses Jahres zu nennen.

War das eine einmalige Aktion, oder sind weitere geplant?

Der Erfolg des 29. März bestand darin, dass die Auseinandersetzungen auf einem hohen Niveau geführt wurden und die Streikbeteiligung sehr groß war. Aber mit einem eintägigen Generalstreik, wie er von den großen Gewerkschaften propagiert wird, ist es natürlich nicht getan. Auch nach dem 29. März gingen die Auseinandersetzungen in ganz Spanien weiter. Dazu gehören Landbesetzungen und Lebensmittelaneignungen in Andalusien, aber auch Aktionen wie der Bergarbeiterstreik in Andalusien, der durch den Marsch der Beschäftigten nach Madrid im ganzen Land ein großes Echo fand. Zurzeit laufen die Vorbreitungen für einen Aktionstag am 15. September auf Hochtouren. Zudem gibt es Überlegungen, Mitte Oktober einen gemeinsamen, gleichzeitigen Streik von Beschäftigten in Spanien, Italien und Griechenland zu organisieren. Wir wissen nicht, ob er zustande kommt. Er hätte aber für eine europaweite Organisierung gegen die Krisenfolgen eine große Bedeutung.

http://jungle-world.com/artikel/2012/34/46112.html
dänische Übersetzung: http://www.modkraft.dk/artikel/fagforening-derfor-stj%C3%A6ler-vi-madvarer
Interview: Peter Nowak