Streiken gegen die italienische Version der Agenda 2010

Anders als in Deutschland werden die Angriffe auf die Rechte der Beschäftigten auch von den Gewerkschaften nicht widerstandslos hingenommen

In Deutschland wird ein Streik, der auch in der Öffentlichkeit spürbar ist, noch immer in die Nähe von Aufruhr und Revolution gebracht und in der veröffentlichten Meinung bekämpft. Dieses Erbe der deutschen Volksgemeinschaft war erst wieder beim Streik der Lokführer zu beobachten. In Italien hingegen ist ein ausgeübter Arbeitskampf und nicht nur ein Streikrecht in der Verfassung Bestandteil der Demokratie.

Am Freitag haben Gewerkschaften mit einem Generalstreik große Teile des öffentlichen Lebens zum Stehen gebracht. Besonders die Basisgewerkschaft SI Cobas[1] war dabei sehr aktiv. In Rom kam es zu einer Demonstration gegen Pläne zur Privatisierung von Nahverkehrsgesellschaften. Betroffen waren Busse, Straßenbahnen und U-Bahnen. Vor allem in den Metropolen Rom und Mailand, in denen viele Menschen wegen des Streiks auf das Privatauto angewiesen sind, kam es zu längeren Warteschlangen.

Die Arbeitsniederlegungen waren der Beginn einer längeren Auseinsetzung gegen eine zentrale Arbeitsmarktreform der Regierung Renzi. Am 25. Oktober gab es die erste landesweite Großdemonstration gegen diese Reform, mit der der italienische Ministerpräsident ganz bewusst an die Agenda 2010 des SPD-Bundeskanzlers Schröder anzuknüpfen versucht. Dagegen richtet sich der Widerstand von Gewerkschaften, einigen linken Parteien und der außerparlamentarischer Linken. Es stellt sich hiermit auch die Frage, ob sich in Italien eine Politik der Agenda 2010, die den Preis der Ware Arbeitskraft zulasten der Lohnabhängigen reduzieren soll, in Italien realisieren lässt oder ob es dort einem Bündnis aus Gewerkschaften und außerparlamentarischen Gruppen gelingt, diese Agenda-Politik zu verhindern.

In Deutschland gab es gegen die Agenda-Politik Widerstand von Erwerbslosen und von Teilen der Gewerkschaftsbasis. Die Gewerkschaftsführungen allerdings in die Agendapolitik einbezogen und in bestimmte Gremien kooptiert, die sie vorbereiteten. Damit wurde in Deutschland die Ausweitung der Proteste erfolgreich verhindert. Nun muss sich zeigen, ob die Basis in Italien noch kampffähig ist. Schließlich sind auch in Italien die Zeiten lange vorbei, wo es den Gewerkschaften real gelang, eine Gegenmacht auszuüben.

Streitpunkt Kündigungsschutz

Vor allem die Renten- und Arbeitsmarkt-Reform treibt die Menschen auf die Straße. Genau in der Frage ist der rechte Sozialdemokrat angetreten, die einst erkämpften Sozialstandards zu überwinden. Er sah sich selber in der Tradition eines Gerhard Schröder und seiner Agenda 2010. Dafür wurde von der Konservativen aller Parteien mit Vorschusslorbeeren bedacht. Renzi sollte die Reste des Sozialstaats in Italien schleifen und das Land an den von der deutschen Agenda 2010 vorgegebenen EU-Standard anpassen. Die konservative Badische Zeitung brachte mit aller Klarheit zum Ausdruck, was von Renzi erwartet[2] wird:

Viele Italiener lasten es nicht dem Ministerpräsidenten an, dass er nur häppchenweise Reformen voranbringt. Schuld daran, dass der unerträgliche Status quo in Italien nur ganz langsam verändert wird, seien Mächte, die Italien seit Jahrzehnten im Griff haben und Renzi das Leben schwer machten: ein verknorpeltes und auf Privilegien ausgerichtetes System politischen Schmarotzertums, eine linke Elite, die sich allen notwendigen Änderungen auf dem Weg zu einem modernen und wettbewerbsfähigen Staatswesen entgegen stelle sowie die Gewerkschaften.

Was die Konservativen aller Länder erträumen, versucht Renzi umzusetzen, der deswegen auch in großen Teilen der veröffentlichten Meinung Europas als Reformer verkauft wird. Dazu muss man wissen, dass dieser Begriff längst die Seiten gewechselt hat. Galten zu Zeiten des Fordismus Sozialdemokraten als Reformer, die die Arbeitszeit verkürzen und die Arbeitswelt humaner gestalten wollten, wird die Bezeichnung seit mindestens 2 Jahrzehnten für Menschen gebraucht, die die Gesellschaft nach den Verwertungsinteressen des Kapitals gestalten. Arbeitszeitverlängerung, weniger Rechte für die Gewerkschaften und Beschäftigten gehören dazu. In diesem Sinne versucht sich Renzi als Reformer und hat in Teilen der Gewerkschaften und dem linken Flügel in den eigenen Reihen der Demokratischen Partei (PD) seine Hauptgegner.

Aktuell ist der Job Act der Hauptstreitpunkt. Wie die Agenda 2010 in Deutschland wird er in soziale Rhetorik verpackt. So wird die Schaffung einer allgemeinen Arbeitslosensicherung ebenso vor wie die Abschaffung vieler prekärer Vertragsformen, beginnend bei zeitlich befristeten Honorarverträgen versprochen. Eine nationale Arbeitsagentur soll ins Leben gerufen werden, um die Voraussetzungen für aktive Arbeitsmarktpolitik zu schaffen.

Doch der Kernpunkt des Job Act ist die Schwächung des Kündigungsschutzes, der in Italien sehr rigide war, was der starken Stellung der Gewerkschaften in den 70er Jahren geschuldet ist. Jetzt sollen bei betriebsbedingten Kündigungen zum Beispiel wegen schlechter Wirtschaftslage die Rechte der Lohnabhängigen auf Kündigungsschutzklagen abgeschafft werden; stattdessen sollen sie generell bloß eine Abfindung erhalten. Damit würden entgegen der Rhetorik die prekären Beschäftigungsverhältnisse weiterwachsen.

Widerstand der Prekären

Schon heute leben viele gut ausgebildete junge Italiener in Deutschland, in der Hoffnung, dass sie dort besser überleben können. Aber die Enttäuschung ist groß, weil sie oft die Erfahrung machen müssen, dass der Lohn genau so gering ist wie ihre Rechte.

Einige der jungen Italiener, die sich in den letzten Jahren in der Bewegung gegen die prekäre Arbeits- und Lebensbedingungen engagiert haben, tragen diese Diskussion. In Berlin regten sie die Debatte über einen sozialen Streik[3] an, über den in Italien schon länger diskutiert wurde. Mitte September hatten italienische Aktivisten[4] zu einem europaweiten Kongress nach Rom eingeladen, um das Konzept eines Streiks der Prekären[5] bekannt zu machen.

Hier zeigt sich, dass die verschiedenen Suchbewegungen von Prekären, sich zu organisieren, beispielsweise die Euromaydaybewegung[6] vor einigen Jahren (Prekarisierte aller Länder[7]), trotz aller Rückschläge nicht vergeblich war. Dass nun Prekäre aus Italien die Debatte in Deutschland mit beleben, weckt historische Reminiszenzen. In den 60er Jahren trafen oft gewerkschaftlich gut organisierte italienische Migranten in Deutschland auf eine Arbeiterschaft, die noch in volksgemeinschaftlichen Denken verhaftet war, eine Begegnung, die nicht immer konfliktfrei verlief. Über 60 Jahre später könnte sich diese Konstellation wiederholen. Italienische Beschäftigte hatten historisch erlebt, dass eine gute gewerkschaftliche Organisierung ihnen Erfolge bringt, die aber schnell verloren werden können. Ende der 70er Jahre war der Kampf um die Scala Mobile ein großes innen- und sozialpolitisches Thema.

Die automatische Anpassung der Löhne an die Inflation wurde in der Nachkriegszeit durchgesetzt, als kämpferische Gewerkschaften und ihnen nahestehende Parteien eine starke Stellung hatten. Auf Druck der Weltbank wurde diese Lohnanpassung gegen heftigen Widerstand der starken reformistischen Gewerkschaften[8], aber auch einer militanten Fabrikguerilla[9], die es in jenen Jahren in Italien gab, zurückgenommen.

Auch bei der Organisierung migrantischer Beschäftigter ist Italien weiter. Bereits am 1. März 2010 organisierten sie dort den ersten eigenständigen Streik[10] unter dem Motto „24 Stunden ohne uns“[11]. In der italienischen Logistikbranche kämpfen oft migrantische Beschäftigte seit Jahren für einen Tarifvertrag[12]. Mittlerweile werden ihre Forderungen auch international unterstützt, indem vor IKEA-Filialen protestiert wurde, weil der Konzern sich besonders ablehnend zu den Forderungen der Beschäftigten in Italien zeigt.

Ob der Kampf gegen den Kündigungsschutz in der nächsten Zeit in Italien ein Kristallisationspunkt werden könnte, bei dem traditionelle Gewerkschaften und die Bewegung der jungen Prekären kooperieren, wird sich zeigen. Schon jetzt aber wird deutlich, die italienische Variante der Agenda 2010 wird dort nicht so geräuschlos umgesetzt werden können wie in Deutschland.

Anhang

http://www.heise.de/tp/artikel/43/43172/1.html

Peter Nowak

Links

[1]

http://sicobas.org/

[2]

http://www.badiche-zeitung.de/kommentare-1/leitartikel-reformen-im-schneckentempo–91559507.html

[3]

http://basta.blogsport.eu/

[4]

http://twitter.com/StrikeMeeting/status/494422563876253696

[5]

http://blog.scioperosociale.it/

[6]

http://labournet.de/diskussion/arbeit/aktionen/2006/euromayday2006.html

[7]

http://www.heise.de/tp/artikel/22/22498/

[8]

http://archiv.labournet.de/internationales/it/gewerkschaft.html

[9]

http://www.anares-buecher.de/fabrikguerilla-mailand-1980-militante-der-kolonne-walter-alasia-erzaehlen-ihre-geschichte-p-31346.html

[10]

http://www.swr.de/international/ein-tag-ohne-migranten/-/id=233334/nid=233334/did=6053084/1fgoihc/index.html

[11]

http://www.italienforum.de/cgi-bin/yabb2/YaBB.pl?num=1267460782

[12]

http://de.labournet.tv/video/6673/der-kampf-der-logistikarbeiterinnen-italien

Deutschland trieb Investorenschutz voran

Die Schadenersatzklage des schwedischen Konzerns Vattenfall vor dem Hintergrund deutscher Interessen

4,7 Milliarden Schadenersatz fordert Vattenfall von der Bundesrepublik, weil sich der Konzern durch den vorzeitigen Atomausstieg in seine Gewinnerwartungen beschränkt sieht. Dieser Schritt sorgt seit Langem auch in der linksliberalen Presse für Empörung. Nun hatten manche erwartet und erhofft, dass der Regierungswechsel in Schweden hier Veränderungen bringt.

Schließlich wurde eine konservativ-liberale Regierung, die auf den Ausbau der Atomkraft gesetzt hat, durch ein Bündnis von Sozialdemokraten und Grünen abgelöst, die als AKW-kritisch gelten. Doch schnell stellte sich wieder einmal heraus, dass auch AKW-Kritiker an der Regierung nicht die Macht haben, den Energiekonzernen Vorschriften zu machen. Auch eine rot-grüne Regierung wird Vattenfall weiterhin bei der Klage unterstützen.

Schwedische Grüne für Vattenfall nicht zuständig

Nach Informationen der Taz wurde dem grünen Energieminister vom sozialdemokratischen Premierminister Ibrahim Baylan die Zuständigkeit für Vattenfall entzogen und auf den industriefreundlichen sozialdemokratischen Wirtschaftsminister Damberg übertragen.

Der neue schwedische Premierminister Stefan Löfven von den Sozialdemokraten entschied am vergangenen Donnerstag, dass die Zuständigkeit für Vattenfall vom – grünen – Energieminister Ibrahim Baylan federführend an den sozialdemokratischen Wirtschaftsminister Damberg übergehen solle. Damit dürfte der Einfluss der Grünen auf den gesamten künftigen Vattenfall-Kurs entscheidend sinken. Ein solches Vorgehen ist nicht ungewöhnlich und auch in Deutschland bekannt.

Grüne Minister werden in eine Regierung kooptiert, um möglichen Widerstand von Umweltschützern zu neutralisieren, bekommen aber erst gar keine Zuständigkeit zu Politbereichen, in denen sie ökologisch bedenkliche Entwicklungen auch nur verzögern könnten, wenn davon Kapitalerwartungen tangiert sein könnten.

Dabei kann man ja aus den bisherigen Erfahrungen grüner Regierungsbeteiligungen ohne weiteres davon ausgehen, dass auch die schwedischen Ökopolitiker Vattenfall gar nicht ernsthaft Grenzen setzen wollen. Aber allein die Möglichkeit, dass sie weitere Gutachten anfordern und damit Unruhe im Konzernvorstand auslösen könnten, soll durch den Ressortzuschnitte verhindert werden.

Widerstand gegen TTIP wächst

Die Schadenersatzklage des schwedischen Konzerns findet auch deshalb momentan so viel Beachtung, weil sie in eine Zeit fällt, in der das Transatlantische Freihandelsabkommen zwischen den USA und den EU für viel Aufregung sorgt. Erst am vergangenen Wochenende brachte ein internationaler Aktionstag gegen dieses Abkommen in vielen Städten Europas und der USA Menschen auf die Straße.

Lange Zeit wurde der Widerstand gegen diese Verträge vor allem als Abwehr gegenüber vermeintlich undemokratischen Zumutungen von Seiten der USA interpretiert. Besonders im Kulturbereich waren schon mal Töne zu hören, die eine Überlegenheit der europäischen Kultur gegenüber den USA deutlich machten.

Inzwischen wird stärker wahrgenommen, dass diese Abkommen Konsequenzen der kapitalistischen Entwicklungen sind und dass es Politiker in allen Ländern waren und sind, die die Weichen dafür stellten, dass die Interessen dieses Kapitals eine solche Bedeutung bekommen haben. Der Publizist Hannes Hofbauer spricht in seinen neuesten Buch Die Diktatur des Kapitals von einem politisch gewollten und vorangetriebenen Demokratieabbau.

Deutschland war Vorreiter bei Investitionsschutzabkommen

In dem Buch wird auch aufgezeigt, wie mit Investitionsschutzgesetzen ein Sonderrecht für Konzerne vorangetrieben wurde. Sie breiteten sich nicht zufällig in einer Zeit aus, in der weltweit Rechte des Kapitals einen immer höheren Stellenwert bekamen.

Anfang der 1990er-Jahre gab es nur etwa zehn bekannte Fälle, 2012 zählte die Handels- und Entwicklungsorganisation UNCTAD 514 laufende Verfahren, 2013 sind nochmals 58 neu dazugekommen. Doch die Dunkelziffer ist höher.

Während beim Internationalen Zentrum für die Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) wenigstens noch grob über die Fälle unterrichtet wird, finden viele Verfahren ohne Wissen der Öffentlichkeit statt, weil andere Schiedsorte vereinbart wurden, über die wiederum Stillschweigen herrscht. Deutschland gehörte zu den Ländern, die diese Entwicklung schon früh vorantrieben und davon profitierten.

Bereits 1959 hatte die BRD das weltweit erste Investitionsschutzabkommen mit Pakistan geschlossen. Die BRD war damals aus historischen Gründen militärpolitisch eingeschränkt und wollte auf diese Weise die Sicherung ihrer Kapitalinteressen weltweit sichern. Inzwischen hat Deutschland 140 solcher Abkommen oft mit Ländern des globalen Südens geschlossen.

In der Regel sorgen die Abkommen in Deutschland kaum für Diskussionen. Dagegen ist die Empörung natürlich groß, wenn Vattenfall ebenfalls auf gleichem Wege seine Interessen durchsetzen will. Eine Bewegung gegen das TTIP, die sich nicht für deutsche Standortinteressen einspannen lassen will, müsste aber diese Abkommen insgesamt infrage stellen, auch dann, wenn deutsche Konzerne davon profitieren.

http://www.heise.de/tp/news/Deutschland-trieb-Investorenschutz-voran-2430279.html

Peter Nowak

Ausbruch aus Kontrolle und Zwang

Wissenschaftler befragten Jugendliche in arabischen Städten nach ihren Lebensvorstellungen

Die Ausbreitung der islamistischen Terrormiliz IS in der arabischen Welt lassen fast vergessen, dass erst vor Kurzem der Arabische Frühling die Linke begeisterte. Von Jugendlichen initiiert entstanden Massenbewegungen, die zum Sturz langjähriger autoritärer Herrscher führten. Wissenschaftler der Universität Leipzig und vom Centrum für Nah- und Mitteloststudien Marburg ließen sich durch diese Bewegungen zu einem ambitionierten Forschungsprojekt inspirieren und befragten Jugendliche aus unterschiedlichen Milieus in Algerien, Marokko, Tunesien, Dubai, Ägypten, Libanon und der Türkei. Die Ergebnisse sind…

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Der Tod kam auch aus Ramstein


Während Verwandte von Drohnenopfern gegen das Bundesverteidigungsministerium klagen, werden bereits neue Kriege auch mit Beteiligung der Bundeswehr propagandistisch vorbereitet

Das Bundesverteidigungsministerium[1] trägt eine Mitschuld daran, dass Angehörige der Familie Ali Jaber am 29. August 2012 in einem Dorf in der Provinz Hadramaut im Jemen durch US-Drohnen getötet und verletzt wurden. Das versucht eine 43seitige Anklageschrift zu beweisen, die kürzlich beim Verwaltungsgericht Köln eingegangen ist.

Drei Angehörige der Drohnenopfer im Jemen haben die Klage mit Hilfe internationaler Juristenorganisationen eingereicht[2]. Einer der Kläger ist der Schwager des getöteten Imams Salim bin Ali Jaber. Der hatte sich gegen Al-Qaida gestellt und in einer Freitagspredigt dazu aufgerufen, sich von der islamistischen Organisation zu distanzieren. Diese Predigt hatte im Dorf für Debatten gesorgt. Der Imam und andere Männer, die seinen Kurs unterstützten,hatten Al-Qaida-nahe Islamisten zur Diskussion aufgerufen. Drei von ihnen waren dazu bereit. Die Drohnen töteten sie und die beiden Gegner der Radikalislamisten.

Dass diese Details eines Drohnenangriffs überhaupt bekannt geworden sind, ist bereits ein Erfolg der Anklageschrift der Drohnenopfer. So könnten wir doch etwas nachdenklicher werden, wenn wir wieder einmal in den Nachrichten hören, dass im Jemen, in Pakistan oder Afghanistan Drohnen Extremisten getötet haben.

Die durch die Anklageschrift bekannt gewordenen Details stärkt auch die Kritik der Gegner von bewaffneten Drohnen (Der Sensenmann kommt aus der Luft[3]), die sich weltweit zu organisieren[4] beginnen. Sie haben mit Recht darauf hingewiesen, dass die Drohneneinsätze das gesamte Rechtssystem aushebeln. Diejenigen, die über diese Einsätze entscheiden, sind Richter und Henker in einer Person. Sie vollstrecken Todesurteile ohne Urteil und Verteidigung. Deshalb ist es auch kein Kollataralschaden, wenn wie in Hadramaut Al-Qaida-Gegner Opfer der Drohnen werden. Es gehört schlicht zum System. Alle, die zur falschen Zeit am falschen Ort sind, werden Opfer.

Auch das Argument der Befürworter der Drohneneinsätze, dass man nur so gegen die Islamisten vorgehen kann, zeigt sich an diesem Beispiel als absurd. Der Imam hätte mit seiner Predigt und den Gesprächen mit den Dorfbewohnern sicher einiges gegen den Einfluss von Al-Qaida in seinem Dorf erreichen können. Es hätte vielleicht auch in anderen Dörfern ähnliche Initiativen gegeben und so wäre eine Bewegung entstanden, die den Radikalislamisten tatsächlich gefährlich hätten werden können. Doch welcher Imam wird nun noch eine solche Initiative ergreifen, wenn die Gefahr besteht, dass diejenigen, die die Menschen aus dem Einfluss von Al-Qaida herauslösen wollen, selbst Opfer von Drohnen werden?

Umgekehrt können die Islamisten mit ihrer Propaganda viel Gehör finden, dass es ein Krieg gegen die Moslems ist und bekommen neuen Zulauf. Es ist also für eine universalistische Menschenrechtsperspektive an der Zeit, diese Drohnenangriffe und ihre Verantwortlichen genau so heftig abzulehnen wie den Terror der IS. Drohnenopfer aus Afrika und Asien muss genau so unsere Empathie gehören wie den Opfern der IS.

Die Publizistin Charlotte Wiedemann[5] weist in ihren Texten[6] immer wieder zu Recht darauf hin, dass es sehr wohl Unterschiede bei der Wahrnehmung der Terroropfer gibt, wenn sie aus Europa und den USA oder aus Afrika und Asien kommen. Dahinter steckt ein Kulturrelativismus, der erklärt, dass Menschen aus diesen Kontinenten oder eben deren Gesellschaft und Kultur noch nicht reif für die Menschenrechte seien. Demgegenüber geht ein universalistischer Menschenrechtsbegriff davon aus, dass alle Menschen überall auf der Welt die gleichen Rechte haben. Diese müssen gegen die jeweiligen Länderkulturen und ihre Träger genauso durchgesetzt werden, wie gegen diejenigen, die für die Drohneneinsätze verantwortlich sind.

Schon während des Vietnamkrieges wurden Bombenangriffe in Deutschland koordiniert

Die Anklage rückt nun eine Tatsache in den Mittelpunkt, die hierzulande gerne unter den Tisch fällt. Die Drohneneinsätze werden auch in Deutschland koordiniert – genau darauf stützt sich die Anklageschrift (Bundesregierung: Augen zu und durch[7]). Der US-Stützpunkt Ramstein ist ebenso einer dieser Knotenpunkte wie eine Kaserne am Rande des Städtchens Kalkar in NRW, was auch die Antikriegsbewegung[8] in Deutschland mittlerweile registriert hat.

Bereits in der Vergangenheit wurden Kriege beispielsweise gegen Libyen oder den Irak auch von Einrichtungen auf deutschen Boden koordiniert. Dabei spielte die Airbase Ramstein immer eine wichtige Rolle. Schon während des Vietnamkrieges wurden im US-Stützpunkt Heidelberg Bombenangriffe koordiniert. So wird jetzt die technische Entwicklung nachvollzogen, wenn auch Drohnenangriffe von Einrichtungen in Deutschland vorbereitet werden.

Der gewachsene weltpolitische Einfluss Deutschlands wird dadurch deutlich, dass längst nicht nur Opfer von Kriegseinsätzen klagen, die von US-Einrichtungen auf deutschen Boden koordiniert werden. So haben jahrelang Angehörige und Überlebende der Bombenangriffe auf die Brücke von Varvarin[9] vergeblich durch alle Instanzen geklagt, um einen Schadenersatz zu bekommen. An der Bomberflotte waren auch Flugzeuge der Bundeswehr beteiligt (Verdrängte Kollateralschäden[10]).

Wenige Jahre später, am 3. September 2009, war der deutsche Oberst Klein für das Bombardement im afghanischen Kunduz (War der Befehl zum Abwurf der Bomben falsch?[11]) verantwortlich, das über 140 Menschen das Leben tötete. Die Verwandten der Getöteten und der schwerverletzt Überlebenden scheiterten mit ihrer Klage vor dem Bonner Landgericht (Recht ist, was den Waffen nutzt[12]). Für Oberst Klein war das tödliche Bombardement keine Karrierebremse (Karrieresprung nach fast 100 Toten von Kunduz[13]).

Die Olivgrünen marschieren im Geiste voran

Daher wäre es auch falsch, wenn jetzt in Deutschland selbstgerecht wieder nur auf die USA verwiesen würde, die auf deutschen Boden Drohnenangriffe koordiniert. In Deutschland forderte erst kürzlich die Vorsitzende der Oliv-Grünen, wie die auch aus Teilen der Friedensbewegung entstandene Partei spätestens seit dem von ihr mitgetragenen Jugoslawienkrieg oft genannt wird, einen UN-mandatierten Bundeswehreinsatz der Bundeswehr fordertr[14]. Aauch die lange Zeit als aufmüpfig geltende Grüne Jugend[15] hat gegen diese Forderung wenig anzuwenden[16].

Nur wenige erinnern an die Konsequenzen, wenn eine solche Forderung umgesetzt würde. Der Ausbau für die Bundeswehr, vielleicht sogar die Wiedereinführung der Wehrpflicht stünden dann auf der Tagesordnung. Auf jeden Fall aber gäbe es bald noch mehr Todesopfer, nicht mehr nur durch auf deutschen Boden koordinierte Drohneneinsätze, sondern durch die Bundeswehr.

Vor allem aber würde sich auch das politische Klima in einer Weise ändern, dass Kritiker und Gegner von Kriegseinsätzen fast in der Nähe des Landesverrats gerückt würden. Der Shitstorm und die Häme[17] gegen die Linksparteiabgeordnete Christine Buchholz[18] gibt hier einen kleinen Vorgeschmack, nachdem sie sich für ihre Facebook-Seite[19] mit einem Schild hat fotografieren lassen, wo sie sich mit den kurdischen Kämpfern in Kobane solidarisiert, aber gegen US-Bombeneinsätze ausspricht. Das Foto entstand noch, bevor bekannt geworden ist, dass durch US-Angriffe „versehentlich“ auch kurdische Stellungen bombardiert wurden.

Man kann sicher kritische Fragen an Buchholz stellen, beispielsweise warum sie gegen US- Bombardements eintritt. Dass aber eine Politikerin, für die immer mehr Bomben nicht die Lösung für Probleme auf der Welt sind, genau dafür angegriffen wird, zeigt, dass 2014 in Deutschland Propaganda für einen Krieg auf fruchtbaren Boden fällt. Es besteht also die Gefahr, dass demnächst Bombenopfer vor deutschen Gerichten klagen müssen.

http://www.heise.de/tp/artikel/43/43093/1.html

Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.bmvg.de/portal/a/bmvg

[2]

http://www.ecchr.de/drohnen.html

[3]

http://www.heise.de/tp/news/Der-Sensenmann-kommt-aus-der-Luft-2410468.html

[4]

https://drohnen-kampagne.de

[5]

http://www.charlottewiedemann.de/vita

[6]

http://www.taz.de/Schlagloch-Rassismus/!147680/

[7]

http://www.heise.de/tp/artikel/41/41630/

[8]

http://www.aixpaix.de/autoren/sander/kalkar.html

[9]

http://www.ag-friedensforschung.de/themen/NATO-Krieg/varvarin.html

[10]

http://www.heise.de/tp/artikel/13/13313/

[11]

http://www.heise.de/tp/artikel/31/31072/

[12]

http://www.heise.de/tp/news/Recht-ist-was-den-Waffen-nutzt-2102720.html

[13]

http://www.heise.de/tp/news/Karrieresprung-nach-fast-100-Toten-von-Kunduz-1993019.html

[14]

http://www.taz.de/Goering-Eckardt-fordert-Militaereinsatz/!147638/

[15]

http://www.gruene-jugend.de/

[16]

http://www.tagesschau.de/inland/goering-eckardt-bundeswehr-kobane-103.html

[17]

http://www.fr-online.de/politik/die-linke-freiwillige-selbstentbloessung,1472596,28738820.html

[18]

http://christinebuchholz.de/2014/10/10/solidaritaet-mit-dem-widerstand-in-kobane-nein-zum-us-bombardement/

[19]

http://www.facebook.com/buchholz.christine/photos/a.328468540629033.1073741827.328453390630548/478820092260543/

Europaweite Jagd auf Flüchtlinge

23 EU-Staaten beteiligen sich an Polizeiaktion zum Aufspüren von Illegalen

»Elf Flüchtlinge, überwiegend aus Eritrea und Syrien sind gestern Abend, gegen 23 Uhr, mit dem ICE in Fulda gestrandet. In Gießen und Kassel sind insgesamt neun Flüchtlinge durch die Bundespolizei festgestellt worden. Im Bahnhof Gießen kamen die Flüchtlinge aus Somalia.« Solche Meldungen finden sich zurzeit auf der Homepage der Deutschen Bundespolizei besonders häufig. Denn seit dem 13. Oktober werden Bahnhöfe, Flughäfen und Autobahnraststätten von der Polizei besonders intensiv kontrolliert. Die Beamten sind auf der Suche nach Menschen, die sich ohne gültige Dokumente in Deutschland aufhalten. Sie agieren im Rahmen der EU-weiten Aktion »Mos Maiorum«. Der lateinische Titel bedeutet »Sitte der Ahnen«. Damit wird ein römisches Rechtsmodell bezeichnet, das auf die Befolgung traditioneller Prinzipien basiert. Ziel der Polizeiaktion, die bis zum 26.Oktober andauern soll und an der sich 23 EU-Staaten beteiligen, ist nach Angaben des Bundesinnenministeriums, das Sammeln von »Erkenntnissen zur unerlaubten Migration«.

Für Andreas Linder vom Flüchtlingsrat Baden Württemberg ist diese Polizeimaßnahme ein Ausdruck des vollständigen Scheiterns einer Flüchtlingspolitik, die unter dem Stichwort Dublin II bis heute vor allem von Deutschland weiter vehement verteidigt wird. Danach ist jenes EU-Land für die Geflüchteten zuständig, in dem diese als erstes den EU-Raum betreten. »Weil Italien viele Migranten unkontrolliert passieren lässt, werden die Kontrollmaßnahmen in EU-Länder wie Deutschland verlegt«, betont Lindner. Wie viele Antirassismusgruppen kritisiert auch Lindner, dass bei den Kontrollen das sogenannte Racial Profiling angewandt wird: »Diese Polizeioperation zielt jedoch einzig darauf ab, Menschen aufgrund ihrer Herkunft zu kontrollieren. Dies ist eines Rechtsstaats nicht würdig«, erklärt die Landesvorsitzende der Thüringer Bündnisgrünen Astrid Rothe Beinlich. Ihre Fraktion will im Thüringer Landtag eine Kleine Anfrage einbringen, um zu erfahren, wie viele Menschen in dem Bundesland im Rahmen von »Mos Maiorum« kontrolliert werden.

Doch es gibt auch Aktionen der Zivilgesellschaft. »Wir werden in den nächsten Tagen die Augen offen halten, um zu sehen, wie die Kontrollen ablaufen«, erklärte Madeleine Henfling vom Thüringer Flüchtlingsrat gegenüber »nd«. In Köln haben bereits am Montag ca. 40 Antirassisten im Hauptbahnhof gegen die Kontrollen protestiert.

Für Patrice L., der seinen vollen Namen nicht in der Zeitung lesen will, bedeuten die nächsten 14 Tage eine besondere Belastung. Der in Äthiopien geborene und seit zwei Jahren in Berlin lebende Mann hat keine gültigen Papiere für Deutschland. »Ich werde in den nächsten zwei Wochen Bahnhöfe und Autobahnen meiden«, erklärt er. Dazu raten auch Antirassismusgruppen, die an Bahnhöfen mehrsprachige Warnungen vor den Kontrollen aufgehängt haben.

Peter Nowak

Für die türkische Regierung ist die PKK und nicht die IS der Hauptfeind

Das internationale Recht ist unser Maßstab

Majed Abbadi über die Arbeit der palästinensischen Menschenrechtsorganisation Al-Haq

Al-Haq wurde 1979 von Juristen in Ramallah gegründet und hat einen Sonderstatus als beratende Organisation beim UN-Wirtschafts- und Sozialrat (ECOSOC). Mit Programmdirektor Majed Abbadi sprach für »nd« Peter Nowak.

Was ist die zentrale Aufgabe von Al-Haq?
Das Anprangern von Menschenrechtsverletzungen unter der israelischen Besatzung ist unsere zentrale Aufgabe. Schon die Gründer haben sich die Frage gestellt, wie können die Kämpfe gegen die Besatzung auf eine internationale Ebene gehoben werden? Das internationale Recht ist für uns dabei der zentrale Maßstab.

Wie sieht ihre Arbeit im Konkreten aus?
Wir haben seit den 80er Jahren Feldforschung betrieben, Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, Analysen erstellt und in die internationale Arena gegeben. Daneben veranstaltet das Al-Haq Center für internationales Recht jährlich eine Sommerschule und Seminare auf internationaler Ebene. Damit haben Menschen aus aller Welt die Möglichkeit, sich von der Situation vor Ort mit eigenen Augen zu überzeugen.

Welche Menschenrechtsverletzungen untersuchen Sie zurzeit?
Aktuell liegt der Schwerpunkt unserer Arbeit in der Dokumentation und Analyse der Menschenrechtsverletzungen, die die israelische Armee beim vergangenen Angriff auf Gaza verübt hat. Dabei sind über 2000 Menschen gestorben. Das Agieren der israelischen Armee verstößt gegen internationales Recht, an das sich jede Besatzungsmacht halten muss.

Warum sprechen Sie von Israel als Besatzungsmacht im Gaza-Streifen, obwohl sich seine Armee Mitte 2005 dort zurückgezogen hat?
Es gibt unterschiedliche Formen der Besatzung. Israel kontrolliert das Wasser und die Bodenschätze des Gaza-Streifens, entscheidet wer das Gebiet betreten darf und wer nicht. Daher ist für uns Israel weiterhin eine Besatzungsmacht.

Warum unternimmt die palästinensische Autonomiebehörde so große Anstrengungen, um dem Internationalen Strafgerichtshof IStGH beizutreten?
Der IStGH ist eines der wirkungsvollsten Instrumente, die wir auf internationaler Ebene haben. Wir unterstützen deshalb diesen Schritt vollständig und rufen auch die Freunde Israels in der UNO auf, die Mitgliedschaft Palästinas im IStGH nicht weiter zu blockieren. Schließlich wird dort nicht nach politischen sondern nach juristischen Aspekten geprüft. Wenn es in Israel keine Menschenrechtsverletzungen gegeben hat, wie immer behauptet wird, dann wird der IStGH auch das feststellen. Das wäre doch ein großer Erfolg für Israel. Doch sie versuchen, diesen Schritt zu verhindern, weil sie wissen, dass Israel die Menschenrechte verletzt hat.

Warum fordern Sie gerade von der deutschen Regierung, sie soll sich gegen diese Blockadepolitik engagieren?
Deutschland ist immer als starker Befürworter des IStGH aufgetreten. Nun bezeichnet die deutsche Regierung einen Beitritt Palästinas als eine Gefahr für den Friedensprozess. Dabei könnte der IStGH den Friedensprozess beleben, weil er deutlich machen könnte, dass internationales Recht wichtiger ist als die Politik.

Kümmert sich Al-Haq auch um Menschenrechtsverletzungen der palästinensischen Behörden?
Wir dokumentieren auch Menschenrechtsverletzungen der Autonomiebehörde, egal ob sie in Ramallah oder Gaza sitzt. Wir legen den Verantwortlichen die Daten vor und wenn sie darauf nicht reagieren, machen wir die Fälle in unseren Medien öffentlich. Weil wir gute Kontakte zu palästinensischen Medien haben, konnten wir damit erfolgreich Menschenrechtsverletzungen der Autonomiebehörden thematisieren.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/949001.das-internationale-recht-ist-unser-massstab.html

Peter Nowak

Waffen für Kurdistan

»Mit der Räumung nicht einverstanden«

Eine Woche lang hielten Flüchtlinge die Zentrale des DGB Berlin-Brandenburg in Berlin-Schöneberg besetzt. Nach dem Ablauf eines Ultimatums erstattete die Gewerkschaft in der vergangenen Woche Anzeige wegen Hausfriedensbruchs gegen die etwa 20 Besetzer und ließ das Gebäude von der Polizei räumen. Dabei wurden zwei Flüchtlinge verletzt. Anna Basten arbeitet im Arbeitskreis »Undokumentiertes Arbeiten« bei Verdi, der Lohnabhängige unabhängig vom Aufenthaltsstatus berät. Sie hat mit der Jungle World gesprochen und gibt im Interview nur ihre persönliche Meinung wieder.

Small Talk von Peter Nowak

Verlieren undokumentiert arbeitende Menschen angesichts der Räumung nicht das Vertrauen in die Gewerkschaften und in Ihren Arbeitskreis?

Das fragen wir uns auch. Zurzeit haben wir hier noch keine Antwort, wie sich die Räumung auf unsere Arbeit auswirkt.

Sehen Sie in dem Geschehen generell einen Rückschlag für die flüchtlingspolitische Arbeit der Gewerkschaften?

Auf jeden Fall. Wir sind mit der Räumung überhaupt nicht einverstanden und waren auch nicht in die Entscheidung eingeweiht. Einige Mitglieder unseres Arbeitskreises haben die Flüchtlinge besucht und standen mit einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des DGB in Kontakt. Es gab aber keine offizielle Kontaktaufnahme des DGB-Vorstands mit uns.

Es gibt gewerkschaftsinterne Kritik am DGB-Vorstand. Können solche Diskussionen noch etwas bewirken, wenn derart drastisch vorgegangen wurde?

Die Diskussionen müssen für eine Positionierung der Gewerkschaften in der Flüchtlingsfrage genutzt werden. Dabei müsste die Gewerkschaftsmitgliedschaft von Geflüchteten unabhängig von ihrem Aufenthaltsstatus in den Mittelpunkt gerückt werden. Schließlich wurden im vergangenen Jahr bereits 300 Flüchtlinge bei Verdi aufgenommen.

In der Vergangenheit wurde die Mitgliedschaft von Flüchtlingen unabhängig vom Aufenthaltsstatus meist mit Verweis auf die Satzung abgeblockt. Scheitern solche Forderungen weiterhin an gewerkschaftlichen Satzungsfragen?

http://jungle-world.com/artikel/2014/41/50701.html

Interview: Peter Nowak

Öffentliche Entrechtung

„Kein Mensch ist illegal“, stimmt eine kleine Gruppe von Antirassisten eine bekannte Parole an. „Bleiberecht überall“, stimmen die 9 Männer ein, die seit den 26. August das Dach ihrer Asylunterkunft in der Gürtelstraße in Berlin-Friedrichshain besetzt haben. Sie entschlossen sich spontan dazu, nachdem sie von den Behörden aufgefordert wurden, ihre Zimmer zu räumen und Berlin zu verlassen. Dabei waren sie noch im April  vom Berliner Senat gelobt worden, weil sie bereit waren, das Protestcamp am Berliner Oranienplatz mit einem Mehrbettzimmer im Hostel zu tauschen.  Nicht alle Refugees wollten damals das Zentrum der bundesweiten Flüchtlingsproteste freiwillig aufgeben. „Der Senat wird Euch über den Tisch ziehen“, schrie ein aufgebrachter Mann aus Afrika, der sich      im Zelt verbarrikadiert hatte, den Kompromissbereiten entgegen. Fünf  Monate später zeigte sich, wie Recht er hatte. Die Vereinbarung des Senats, die Asylverfahren der Flüchtlinge  noch einmal zu prüfen, sei nichtig, weil vom falschen Senator unterschrieben,  ließ sich Innensenator Henkel (CDU) durch ein juristisches Gutachten bestätigen.  Während die taz diskutiert, welcher Senator wen  belogen hat, werden die 9 Flüchtlinge auf dem Dach in aller Öffentlichkeit isoliert und ausgehungert. Die Polizei ließ fast eine Woche  weder Getränke noch Essen passieren.   Der große Teil der Berliner Öffentlichkeit ignoriert diese öffentliche Entrechtung.

http://www.konkret-magazin.de/hefte/heftarchiv/id-2014/heft-102014/articles/in-konkret-1393.html

Peter Nowak

aus Konkret-Magazin 10/2014,

Rubrik welt & macht

http://www.konkret-magazin.de/hefte/heftarchiv/id-2014/heft-102014/articles/in-konkret-1393.html

Peter Nowak

Drachen gegen Drohnen

Aktion am kommenden Samstag will auf die Gefahren der unbemannten Kriegsführung aufmerksam machen

Drachen gehören in den herbstlichen Himmel. Drohnen hingegen haben dort nichts verloren, meint ein Antikriegsbündnis und protestiert mit den angeleinten Untieren gegen deren Einsatz.

Lass Deinen Drachen steigen, heißt es am 4. Oktober in vielen Städten in Deutschland. Damit übernehmen Gegner der Etablierung von Kampfdrohnen eine Aktionsform aus Afghanistan. In dem Land mit den meisten Drohneneinsätzen hat die kleine Zivilgesellschaft mit dem Steigenlassen von Drachen gegen den Tod aus der Luft protestiert. Am 4. Oktober wird sie nun erstmals nach Deutschland importiert. In einem Pressegespräch in Berlin machte Elsa Rassbach von der internationalen Frauenfriedensorganisation Code Pink deutlich, dass Deutschland eine wichtige Rolle beim Kampf gegen die Drohnen habe. In der nächsten Zeit werde sich entscheiden, ob es einen weltweiten Wettbewerb beim Bau von Drohnen gibt, oder ob die neuen Waffen geächtet werden.

In Großbritannien, Italien, Frankreich und den Niederlanden stehen Drohnen bereit. In Deutschland soll die Entscheidung in den nächsten Monaten fallen. Zurzeit stehen zwei Drohnenmodelle zur Auswahl, wie Lühr Henken von der Berliner Friedenskoordination ausführte. Die Luftwaffenführung in Deutschland favorisiere die US-Drohne mit dem bezeichnenden Namen Reaper (Sensenmann), führende Verteidigungspolitiker hingegen wollen das israelische Drohnenmodell Heron TP anschaffen. »Die bundesweite Kampagne lehnt die Etablierung einer Drohnentechnologie zur Kriegführung, Überwachung und Unterdrückung grundsätzlich ab«, betonte Henken.

Peter Strutynski vom Kasseler Friedensratschlag sieht die Gefahr, dass mittels Drohnen das Führen von Kriegen für wenige Staaten gefahrloser möglich ist. Die Bevölkerung lehne Kriege weitgehend ab, wenn damit die Gefahr für die eigenen Soldaten verbunden ist. Durch den Einsatz der Drohnen aber soll diese Gefahr vermindert werden. Strutynski wies darauf hin, dass der Libyeneinsatz von maßgeblichen NATO-Verantwortlichen als erfolgreichster Einsatz in der Geschichte des Militärbündnisses bezeichnet wird, weil kein NATO-Soldat getötet oder verwundet wurde. Über die Zahl der Toten auf libyscher Seite wird geschwiegen, wie auch über die Opfer der Drohneneinsätze in Pakistan, Afghanistan und Jemen.

Der Aktionstag am 4. Oktober ist Teil einer längeren Kampagne gegen die Etablierung der Kampfdrohnen. Bereits am 3. Oktober demonstriert ein Antikriegsbündnis in Kalkar. Am Stadtrand in der Seydlitz-Kaserne ist ein NATO-Luftkommando untergebracht, das Drohneneinsätze koordiniert. Auch von der Air Base Ramstein werden Drohneneinsätze vorbereitet. Für die Gegner werde damit Beihilfe zur Todesstrafe geleistet, was im Widerspruch zur Politik der EU-Staaten stehe.

drohnen-kampagne.de

http://www.neues-deutschland.de/artikel/947888.drachen-gegen-drohnen.html

Peter Nowak

„Wir werden nicht vergessen und vergeben“

Die Rede des palästinensischen Präsidenten vor der UN zeigt die Hoffnungslosigkeit für einen Friedensprozess

Reden von palästinensischen Führungspersonen vor der UN-Vollversammlung sorgen seit langem für weltweite Aufmerksamkeit. So inszenierte sich Jassir Arafat 1974 [1]vor der UN als Freiheitskämpfer und brachte sogar eine Waffe mit in den Plenarsaal. Für einen großen Teil der antiimperialistischen Gruppierungen jener Zeit waren Arafat und die PLO nach dieser Rede zu Sympathieträgern geworden. Für Israel und seine Unterstützer war sie ein weiterer Beleg, dass mit diesen Gruppen und ihrem Personal kein Frieden möglich ist.

40 Jahre später sorgt wieder die Rede einer palästinensischen Führungsperson vor der UN-Vollversammlung für Aufregung. Mahmud Abbas, dessen Amtszeit als palästinensischer Präsident eigentlich schon längst abgelaufen ist und der intern durch den Konflikt mit der Hamas geschwächt ist, ging explizit auf Arafats UN-Auftritt ein und richtete scharfe Vorwürfe gegen Israel.

Die israelische Armee habe im Gazakrieg schwere Kriegsverbrechen begangen, erklärte Abbas.“Wir werden nicht vergessen und wir werden nicht vergeben“, rief Abbas. Er kündigte an, die Verantwortlichen wegen Kriegsverbrechen verfolgen zu lassen. Propagandistisch war seine Erklärung, dass die Stunde der Unabhängigkeit für Palästina begonnen habe. Allerdings blieb es bei diesen Bekenntnissen. Konkrete Schritte oder Termine unterblieben – und das hatte seinen Grund. Abbas hat gar keine Möglichkeiten, diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen.

Weltpolitische Ereignisse isolierten Palästina

Im Unterschied zu 1974, als Arafat von einen großen Teil der UN-Vertreter hofiert wurde, hat die Veränderung der weltpolitischen Lage die Unterstützung für die palästinensische Sache schrumpfen lassen. Schon mit dem Ende des nominalsozialistischen Lagers brachen viele Unterstützer weg. Dann sorgte der zweite Golfkrieg dafür, dass auch im arabischen Lager die Gegner der PLO stärker wurden, weil Arafat damals auf Saddam Hussein setzte. Mit den Umbrüchen in den arabischen Ländern, die als Arabischer Frühling bekannt wurden, verstärkten sich die innerarabischen Differenzen.

So führte der Aufstand in Syrien, der sich in zu einem Bürgerkriegentwickelte, in dem die Regionalmächte Iran und Saudi-Arabien um die Hegemonie kämpften, dazu, dass ehemalige Unterstützer bestimmter palästinensischen Fraktionen zu Gegnern wurden.Besonders die Hamas bekam das zu spüren, weil sie sich den islamistischen Gegnern gegen das Baath-Regime annäherte. Der Aufstieg des IS überlagert nun zeitweise den Konflikt zwischen Saudi-Arabien und dem Iran, aber er ist nur zeitweise stillgelegt. Die palästinensische Sache gerät damit nur noch mehr in den Hintergrund.

Wenig Kooperationspartner in Israel

Auch die innenpolitische Entwicklung in Israel wirkt sich zuungunsten Palästinas aus. Während noch in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts auch linkszionistische Kreise auf einen Frieden mit Palästina hinarbeiteten, eine Zwei-Staaten-Lösung anvisierten und dafür Gesprächspartner im
palästinensischen Lager suchten, sind solche Positionen in der israelischen Gesellschaft weitgehend marginalisiert. Dazu trugen demografische Veränderungen bei, die noch dem Arbeiterzionismus nahestehende Einwanderer aus Europa gegenüber Zuwanderern aus Osteuropa, besonders aus Russland, in die Minderheit geraten ließen. Diese sehen die Priorität in einer Politik der Stärke und einen möglichen Friedensvertrag mit den Palästinensern nicht als vordringlich an.

Der gegenwärtige israelische Außenminister Avidgor Liebermann ist ein Protagonist dieser Strömungen, die damit argumentieren, dass es auf palästinensischer Seite keine Partner für ein Friedensabkommen gäbe. Sie sehen sich durch die Rede von Abbas vor der UN-Versammlung bestätigt. Liebermann warf Abbas vor, „falsche Anschuldigungen“ in seiner Rede vorgebracht zu haben und sprach sogar von „diplomatischen Terrorismus“. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu klassifizierte die Abbas-Rede ähnlich.

Auch US-Politiker schlossen sich dem Urteil an. Die Sprecherin des US-Außenministeriums monierte, die Rede von Abbas habe „provozierende Äußerungen“ enthalten, sei kontraproduktiv und untergrabe die „Anstrengungen zur Schaffung einer positiven Atmosphäre“. Doch diese
Klassifizierungen sind ebenso propagandistisch und berechnend wie auf anderer Ebene die Abbas-Rede. Mit der Kritik an der Abbas-Rede versucht die Obama-Administration, die Kluft zu überwinden, die sich zwischen ihr und der israelischen Regierung in den letzten Monaten aufgetan hat. Lange waren die Beziehungen zwischen beiden Staaten nicht so schlecht wie aktuell. Mit der gemeinsamen Kritik an der Abbas-Rede werden die Gegensätze nur scheinbar überbrückt.

Tatsächlich richtete sich die Abbas-Rede an die palästinensische Bevölkerung, was schon der Bezug auf den Arafat-Auftritt 1974 zeigt, der in palästinensischen Kreisen mystifiziert wird. Abbas will sich gegenüber der islamistischen Hamas und anderen Gruppierungen als starker Vertreter der palästinensischen Sache profilieren. Wenn er schon keine ökonomische und politische Macht hat, um wirkliche Veränderungen durchzusetzen, muss die Beschwörung einer gemeinsamen nationalen Zukunft diese Leerstelle füllen. So funktionieren alle Projektionen auf Nationen und insofern ist Abbas da nicht besonders originell.

Vertrauen zwischen Israel konnte er mit seiner Rede schon deshalb nicht zerstören, weil es das seit dem Scheitern des Osloer Friedensprozesses nicht mehr gibt. Wer dafür dieVerantwortung trägt, ist seitdem ein großer Streitpunkt, nicht nur zwischen Israel und Palästina, sondern auch zwischen israelsolidarischen und propalästinensischen Gruppierungen in aller Welt, besonders auch in Deutschland.

Symptom der Sprachlosigkeit

Die Marginalisierung des israelischen Friedenslagers hat seine Ursache nicht zuletzt darin, dass zwischen Israel und Palästina völlig unterschiedliche Vorstellungen über die Ergebnisse des Osloer Prozesses bestanden. Auch viele israelische Friedensaktivisten wussten keine Antwort mehr auf die Frage, wie es noch zu einem Übereinkommen kommen könne. Als dann der islamistische Terror immer massiver wurde, mit dem die israelische Zivilgesellschaft bereits in den 90er Jahren konfrontiert war, wurde das Friedenslager noch weiter dezimiert.

Die Abbas-Rede und die Reaktionen aus Israel sind denn auch eher die Beschreibung eines Zustands der Sprachlosigkeit zwischen beiden Lagern. Viele Israelis sehen das Projekt eines Friedensvertrags zumindest für die nächste Generation als nicht auf der Tagesordnung stehend. Das sehen auch viele Palästinenser ähnlich, was den Zulauf zu den verschiedenen islamistischen Gruppierungen erklärt, die die Zukunft in einen imaginären Jenseits versprechen. Insofern markieren die Rede von Abbas und die Reaktionen aus den Israel den Status Quo.

Wie es zu einem Friedensprozess kommen könnte, der vielleicht nicht zu zwei Staaten führt, aber zu einem Gemeinwesen, in dem alle Menschen mit gleichen Rechten leben können, ist eine Frage an die Zukunft.Sicher aber ist wohl, dass die Protagonisten nicht die Politiker beider Lager sein werden, sondern die Initiativen und Gruppierungen, die bereitsheute über die nationalen und ethischen Grenzen hinweg eine Kooperation leben und praktizieren.

http://www.heise.de/tp/news/Wir-werden-nicht-vergessen-und-vergeben-2404836.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.wrmea.org/1994-november-december/plo-chairman-yasser-arafat-s-first-appearance-at-the-united-nations.html

Geschmäht und geehrt

Stiftung gibt Preisträger für Planet Awards bekannt

Ethecon verleiht den Schmähpreis Black Planet Award in diesem Jahr an den US-Chemieriesen Dow Chemical; der Blue Planet Award geht an den slowenischen Autor und Friedensaktivisten Tomo Kriznar.

Seit 2006 vergibt die Stiftung Ethik & Ökonomie (ethecon) jedes Jahr zwei Preise, die bei den Geehrten allerdings nicht gleichermaßen für Freude sorgen dürften. Der sogenannte Blue Planet Award geht dabei an Personen, die sich besonders dem Kampf für eine solidarische Gesellschaft widmen. Mit dem Schmähpreis Black Planet Award hingegen werden Institutionen und Konzerne »für zahllose von ihnen zu verantwortende Missstände und Verbrechen im Namen der Profite« angeprangert, wie die Ethecon-Pressesprecherin Linda Spieckermann erklärte.

Der diesjährige Schmähpreisträger ist nach dieser Definition ein besonders geeigneter Kandidat: Der US-Chemieriese Dow Chemical ist für einen der größten Chemieunfälle weltweit verantwortlich. In einem Werk des Konzerns im indischen Bhopal traten am 3. Dezember 1984 mehrere Tonnen hochgiftiger Chemikalien aus. Luft, Boden und Flüsse in der Umgebung wurden verseucht. Auch nach 30 Jahren ist die Zahl der Opfer nicht exakt ermittelt, nach Schätzungen starben bis zu 300 000 Menschen an den Folgen des ausströmenden Gases. Über 800 000 Menschen überlebten nach Angaben der indischen Regierung mit schweren Gesundheitsschäden.

Dow Chemical weigert sich bis heute, die Giftbestände auf dem Areal auf eigene Kosten zu beseitigen. Das Werk war gerade wegen der niedrigen Umweltstandards nach Indien verlegt worden. Auch viele der Opfer und ihre Angehörigen wurden bis heute nicht entschädigt. Ethecon verleiht deshalb den Black Planet Award an den Dow-Chemical-Vorstandsvorsitzenden Andrew Liveris, Vorstandsmitglied James Ringler sowie mehrere Großaktionäre.

Weniger bekannt dürfte dagegen der Anwärter für die Ethecon-Ehrung sein: Sie geht in diesem Jahr an den slowenischen Friedensaktivisten und Schriftsteller Tomo Kriznar. Er ist 1956 in Jesenice geboren, reiste bereits in den 1980er Jahren in den Sudan, hielt sich länger in den Nuba-Bergen auf und besuchte die dort lebenden ethnischen Gruppen. Nach seiner zweiten Reise veröffentlichte er Bücher und Filme, in denen er auch die Menschenrechtsverletzungen an der Nuba-Bevölkerung anprangerte.

Einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde Kriznar, als er 2006 als Sondergesandter des slowenischen Präsidenten in die sudanesische Darfur-Region reiste und dort verhaftet wurde. Nach einer internationalen Solidaritätskampagne kam Kriznar nach wenigen Wochen frei, musste aber sein Film- und Fotomaterial, auf dem zahlreiche Menschenrechtsverletzungen der sudanesischen Regierung dokumentiert waren, zurücklassen. »Wir wollen mit der Ehrung dem in Deutschland noch weitgehend unbekannten Menschenrechtler ein Forum geben«, begründet Spieckermann die Preisentscheidung. Tatsächlich sind seine Filme bisher nicht ins Deutsche übersetzt worden.

Das kann sich bis zur Preisverleihung noch ändern. Sie wird ausnahmsweise erst im Frühjahr des kommenden Jahres in Berlin stattfinden. Dann will Kriznar den Preis persönlich in Empfang nehmen. In den vergangenen Jahren wurden die Ethecon-Preise, die es seit 2006 gibt, jährlich Mitte November verliehen. Weil Kriznar zu dieser Zeit noch an einem anderen Projekt arbeitet, wurde die Verleihung verschoben.

Peter Nowak

Gehören Kriege zur Natur der Menschen?

Deutsche Tabubrüche am 1. September

Der Antikriegstag im Zeichen der Militarisierung: deutsche Waffenlieferungen in ein Krisengebiet und Gaucks Kampfansage an die Putin-Regierung

Wenn es in größeren Teilen der Gesellschaft noch historisches Bewusstsein gäbe, hätte es eine große Debatte darüber geben müssen, dass ausgerechnet am 1. September im Bundestag über deutsche Waffenlieferungen in einen kriegerischen Konflikt geredet wurde. Schließlich ist der Jahrestag des deutschen Angriffs auf Polen, also der Beginn des 2. Weltkriegs, in gewerkschaftlichen Kreisen als Antikriegstag bekannt.

Doch nur Teile der Linkspartei monierten gestern, dass an einem solchen historischen Datum wieder einmal über einen Tabubruch in der Militärpolitik beratschlagt wurde. Denn bisher waren deutsche Waffenlieferungen in Kriegsgebiete offiziell tabu, was nicht heißt, dass in der Praxis nicht längst Waffen in Krisengebiete geschickt wurden. Nur sollte jetzt der Aufstieg der islamistischen IS dafür genutzt werden, um nun auch ganz offiziell deutsche Waffenlieferungen auch in Krisengebieten erleichtern und erstmals auch nichtstaatliche Akteure einzubeziehen.

Selbst innerhalb der Regierungskoalition ist dieses Vorgehen umstritten. So hat der SPD-Vize Ralf Stegner Zweifel angemeldet, ob Frieden schaffen mit immer mehr Waffen die richtige Parole sein kann.

Noch einmal: Ich weiß um die deutsche Freiheit als Produkt des militärischen Sieges der Alliierten gegen das völkermordende Nazi-Deutschland und ich bin kein Radikalpazifist sondern dafür, dass die Völkergemeinschaft im Notfall eingreift und die „Freedom tot Protest“ realisiert. Aber nein, dieses um sich greifende leichtfertige Enttabuisieren der militärischen Logik, dieser Neointerventionismus, dieses deutsche „Think big“ (von der Leyen), diese Häme und der angeblich so realpolitische Zynismus gegenüber Beiträgen von Kaßmann und Augstein (Egon Bahr und Helmut Schmidt sind übrigens auch keine Radikalpazifisten- nur mal so bemerkt).

Zu entscheiden gab es für das Parlament nichts

Stegner ist allerdings kein Bundestagsabgeordneter und konnte deshalb am 1. September auch nicht über die Waffenlieferungen im Bundestag debattieren. Am Ende gab es denn auf Druck der SPD sogar eine Abstimmung, bei der eine große Mehrheit aus SPD und CDU/CSU die Regierungspolitik unterstützten. Die Bundesregierung hatte schon am Vortag entschieden, dass die kurdische Armee im Nordirak unter anderem 500 Panzerabwehrraketen, 16.000 Sturmgewehre und mehrere Millionen Schuss Munition für ihren Kampf gegen die IS bekommen.

Das Parlament hatte gar nicht mitzubestimmen, was die CDU/CSU von Anfang klarmachte. Es ist schon seltsam, dass einerseits so viel von einer parlamentarischen Demokratie geredet wird und dann eine gewiss nicht unwichtige Frage, wie die Waffenlieferungen in einen kriegerischen Konflikt derart abgehandelt wird.

In den USA und anderen Ländern haben Parlamentarier unabhängig von der politischen Couleur für das Recht gekämpft, über solche Fragen zu entscheiden. In Deutschland hört man davon wenig. Dort sind die Fronten ganz klar. Die Mehrheit der Abgeordneten von SPD und Union sehen sich als Verteidiger der Regierungspolitik und nicht für die Stärkung des Parlaments.

Auch die Debatte selbst bot keine großen Überraschungen. Die Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU verteidigten auch hier die Regierungspolitik und die Opposition betätigte sich als Kritiker. Dabei waren im Vorfeld der Debatte die Fronten längst nicht so klar. Bei den Grünen gab es in der Frage für oder gegen Waffenlieferungen sogar an der Spitze unterschiedliche Äußerungen. Selbst bei der Linkspartei war Gregor Gysi mit der Forderung nach Waffenlieferungen an die Kurden aufgetreten [1], war dafür innerparteilich stark kritisiert wurden und hat die Forderung dann wieder zurückgezogen.

Kampf gegen Putin gefordert

Doch nicht nur im Bundestag gab es am 1.September 2014 Tabubrüche. Auch Bundespräsident Gauck meldete sich in Polen mit einer Rede [2] zum Jahrestag des Beginns des 2. Weltkriegs zu Wort, die als Kampfansage an die Putin-Regierung verstanden wird.

„Die Geschichte lehrt uns, dass territoriale Zugeständnisse den Appetit von Aggressoren oft nur vergrößern“, hieß es da. Noch betonen in Deutschland alle relevanten Gruppen, dass es im Ukrainekonflikt gegenüber Russland keine militärischen Optionen gibt. Aber wer in den späten 1990er Jahren beim Jugoslawienkonflikt die Kurzlebigkeit solcher Aussagen erleben konnte, weiß, dass es auch hier noch zu Tabubrüchen kommen kann.

http://www.heise.de/tp/news/Deutsche-Tabubrueche-am-1-September-2307047.html

Peter Nowak

Links:

[1]

http://www.taz.de/!143996/

[2]http://www.bundespraesi