Vergessene Opfer

Konzernkritiker erinnern an Bhopal und Sudankonflikt

»Fluchtursachen bekämpfen, nicht die Flüchtlinge«, lautete das Motto der Tagung der konzernkritischen Stiftung »Ethecon« am Wochenende in Berlin. Viele Menschen müssten fliehen, weil die reichen Nationen der Welt ihre Länder zerstören, betonte Judith Kopp von Pro Asyl. Seit 2006 verleiht die Ethecon-Stiftung jährlich einen Positivpreis, den Blue Planet Award, für Personen und Institutionen, die sich für eine soziale und ökologische Welt engagieren. Der Black Planet Award hingegen geht an Personen und Institutionen, die für Ruin und Zerstörung der Erde verantwortlich gemacht werden. Üblicherweise folgen die Empfänger des Negativpreises der Einladung nicht. So war auch diesmal kein Vertreter des Chemiekonzerns Dow Chemical anwesend, um die Schmährede des indischen Arztes Mali Muttana Mallapi aus Bhopal zu hören.

Die Stadt steht für eines der größten Verbrechen des Konzerns. Tausende Menschen wurden durch ein Leck in der dortigen Chemiefabrik am 3. Dezember 1984 getötet und Hunderttausende verletzt. Noch immer kämpfen die Opfer und ihre Angehörigen um eine Entschädigung. Weil sich der Konzern weigert, das Fabrikgelände zu sanieren, sterben noch immer Menschen und Kinder vergiften sich erneut. Für den Ethecon-Mitbegründer Axel Köhler-Schnura ist Bhopal die Folge einer verbrecherischen Konzernpolitik. »Dow Chemical ist von Steuerhinterziehung, Fälschung von Messungen, Bestechung bis zu Kriegstreiberei in zahllose Verbrechen gegen Mensch und Umwelt verwickelt und muss gestoppt werden«, betont Köhler-Schnura. Auch mit den todbringenden Chemikalien Dioxin und Agent Orange ist der Name verknüpft.

Gewürdigt wurde hingegen der slowenische Filmemacher und Journalist Tomo Križnar. In seiner Rede widmete sich der Menschenrechtsaktivist der indigenen Bevölkerung in Sudan, die im Konflikt zwischen dem Norden und dem Süden zwischen die Fronten geraten ist. Viele Menschen wurden aus ihren Dörfern vertrieben und leben unter erbärmlichen Bedingungen in Erdhöhlen. Križnar hat ihr Schicksal auch mit Filmen einer größeren Weltöffentlichkeit bekannt gemacht. In Berlin forderte er, Indigene wie die Nuba gegen die militärischen Übergriffe des Al-Bashir-Regimes durch ein Protektorat sowie den Einsatz von zivilen Überwachungsdrohnen zu schützen. Auch internationale Konzerne macht der Sudanaktivist verantwortlich. So seien viele Regionen Afrikas für sie interessant geworden, weil dort das für die Handyproduktion notwendige Coltan abgebaut wird. »Während für Gorillas und andere bedrohte Tierarten Nationalparks errichtet werden, ist die indigene Bevölkerung weiterhin schutzlos der islamistischen Diktatur in Sudan ausgeliefert«, so Križnars bitteres Resümee.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/992202.vergessene-opfer.html

Peter Nowak

Geschmäht und geehrt

Stiftung gibt Preisträger für Planet Awards bekannt

Ethecon verleiht den Schmähpreis Black Planet Award in diesem Jahr an den US-Chemieriesen Dow Chemical; der Blue Planet Award geht an den slowenischen Autor und Friedensaktivisten Tomo Kriznar.

Seit 2006 vergibt die Stiftung Ethik & Ökonomie (ethecon) jedes Jahr zwei Preise, die bei den Geehrten allerdings nicht gleichermaßen für Freude sorgen dürften. Der sogenannte Blue Planet Award geht dabei an Personen, die sich besonders dem Kampf für eine solidarische Gesellschaft widmen. Mit dem Schmähpreis Black Planet Award hingegen werden Institutionen und Konzerne »für zahllose von ihnen zu verantwortende Missstände und Verbrechen im Namen der Profite« angeprangert, wie die Ethecon-Pressesprecherin Linda Spieckermann erklärte.

Der diesjährige Schmähpreisträger ist nach dieser Definition ein besonders geeigneter Kandidat: Der US-Chemieriese Dow Chemical ist für einen der größten Chemieunfälle weltweit verantwortlich. In einem Werk des Konzerns im indischen Bhopal traten am 3. Dezember 1984 mehrere Tonnen hochgiftiger Chemikalien aus. Luft, Boden und Flüsse in der Umgebung wurden verseucht. Auch nach 30 Jahren ist die Zahl der Opfer nicht exakt ermittelt, nach Schätzungen starben bis zu 300 000 Menschen an den Folgen des ausströmenden Gases. Über 800 000 Menschen überlebten nach Angaben der indischen Regierung mit schweren Gesundheitsschäden.

Dow Chemical weigert sich bis heute, die Giftbestände auf dem Areal auf eigene Kosten zu beseitigen. Das Werk war gerade wegen der niedrigen Umweltstandards nach Indien verlegt worden. Auch viele der Opfer und ihre Angehörigen wurden bis heute nicht entschädigt. Ethecon verleiht deshalb den Black Planet Award an den Dow-Chemical-Vorstandsvorsitzenden Andrew Liveris, Vorstandsmitglied James Ringler sowie mehrere Großaktionäre.

Weniger bekannt dürfte dagegen der Anwärter für die Ethecon-Ehrung sein: Sie geht in diesem Jahr an den slowenischen Friedensaktivisten und Schriftsteller Tomo Kriznar. Er ist 1956 in Jesenice geboren, reiste bereits in den 1980er Jahren in den Sudan, hielt sich länger in den Nuba-Bergen auf und besuchte die dort lebenden ethnischen Gruppen. Nach seiner zweiten Reise veröffentlichte er Bücher und Filme, in denen er auch die Menschenrechtsverletzungen an der Nuba-Bevölkerung anprangerte.

Einer größeren Öffentlichkeit bekannt wurde Kriznar, als er 2006 als Sondergesandter des slowenischen Präsidenten in die sudanesische Darfur-Region reiste und dort verhaftet wurde. Nach einer internationalen Solidaritätskampagne kam Kriznar nach wenigen Wochen frei, musste aber sein Film- und Fotomaterial, auf dem zahlreiche Menschenrechtsverletzungen der sudanesischen Regierung dokumentiert waren, zurücklassen. »Wir wollen mit der Ehrung dem in Deutschland noch weitgehend unbekannten Menschenrechtler ein Forum geben«, begründet Spieckermann die Preisentscheidung. Tatsächlich sind seine Filme bisher nicht ins Deutsche übersetzt worden.

Das kann sich bis zur Preisverleihung noch ändern. Sie wird ausnahmsweise erst im Frühjahr des kommenden Jahres in Berlin stattfinden. Dann will Kriznar den Preis persönlich in Empfang nehmen. In den vergangenen Jahren wurden die Ethecon-Preise, die es seit 2006 gibt, jährlich Mitte November verliehen. Weil Kriznar zu dieser Zeit noch an einem anderen Projekt arbeitet, wurde die Verleihung verschoben.

Peter Nowak