Deutschlands Waffenexporte boomen – wo bleibt die Friedensbewegung?

Das Komitee für Grundrechte gibt sich empört sich empört. „Die Rüstungsexportpolitik der Bundesregierung wird immer skandalöser“, erklärt .Pressesprecher Martin Singe in der aktuellen Pressemitteilung.

Tatsächlich hat die Bundesregierung die Rüstungsexporte massiv ausgeweitet. Innerhalb kurzer Zeit wurde bekannt, dass der geheim tagende Bundessicherheitsrat bereits im Juli 2011 dem Export von 270 Leopard II-Panzern nach Saudi-Arabien zugestimmt hat. Nun soll Katar 200 Leopard-Panzer erhalten. Der Nahe Osten wird also mit deutscher Hilfe massiv aufgerüstet. Beide Staaten sind auch in den syrischen Bürgerkrieg involviert und vor allem Saudi Arabien hat es schon geschafft, der zivilen Demokratiebewegung gegen ein autoritäres Regime eine militärische Logik aufzuzwingen.

Dass dabei Demokratiebelange keine Rolle spielen, wird am Beispiel dieses Staates besonders deutlich. Innenpolitisch stellt das islamische Regime in Riad sogar noch den Iran in punkto Frauenfeindlichkeit und Verfolgung von gesellschaftlichen und religiösen Minderheiten in den Schatten und auch in ihrer Feindschaft gegen Israel lässt sich das saudische Regime wohl nicht vom Iran übertreffen. Trotzdem ist es seit mehr als 20 Jahren Bündnispartner des Westens. Schon beim zweiten Golfkrieg 1990 war es im Kampf gegen das Regime von Saddam-Hussein mit anderen nicht minder reaktionären Staaten im arabischen Raum involviert. Wie wichtig der Koalition der Willigen diese Kooperation war, zeigte sich daran, dass die USA Israel klargemacht haben, dass es sich nicht gegen die Angriffe des irakischen Regimes mit Scud-Raketen wehren durfte. Denn dass hätten die beteiligten arabischen Regime als Affront betrachtet.

Als im zweiten Anlauf schließlich das irakische Regime gestürzt war, wurde die saudische Partnerschaft umso bedeutender. Denn nun hatte der Iran einen enormen Machtzuwachs in der Region erfahren und wieder war Saudi-Arabien an vorderster Front zur Stelle, um nun den diese Macht einzudämmen. Wenn nun in solche Länder deutsche Waffen geliefert zu werden, wird eindeutig der zumindest offiziell hochgehaltene Grundsatz aufgegeben, Waffen nicht in Spannungsgebiete zu liefern. Eine solche Entwicklung kann nur überraschen, wer Politik mit Moral verwechselt.

Hoffnung auf die deutsche Friedensbewegung?

Wenn Singe nun schreibt, dass die Friedensbewegung gefordert sei, muss man zunächst fragen, wem er damit meint. Soll Günther Grass wieder ein Gedicht schreiben oder die Ostermarschierer sich moralisch empören? Ein großer Teil dieses Spektrums hat nach dem Ende der Ost-West-Spaltung ihr politisches Koordinatensystem verloren und nur die Wahl eines republikanischen Präsidenten in den USA könnte es wieder etwas ins Lot bringen.

Mit der Beschäftigung der deutschen Machtpolitik tat sich die westdeutsche Friedensbewegung schon in den 1980er Jahren schwer, als es Deutschland primär als potentielles Opfer der Großmächte gesehen hat. Allerdings haben sich in der letzten Zeit jenseits dieser Friedensbewegung Bündnisse gegen die Militarisierung der Politik entwickelt, die auch mediales Aufmerksamkeit erlangt haben. An erster Stelle sei hier das Zentrum für politische Schönheit genannt, das mit nicht unumstrittenen künstlerischen Mitteln agiert. Das Zentrum ist auch Teil der Aktion aufschrei, das in den nächsten Wochen bundesweit gegen den Waffenhandel agieren will. Mit dem Bündnis [Krieg beginnt hier http://warstartshere.de/] wollen sich auch Gruppen der radikalen Linken eine antimilitaristische Praxis erarbeiten . und haben es bereits in dem vor wenigen Wochen veröffentlichten Verfassungsschutzbericht an prominente Stelle geschafft Dass die Zunahme solcher Aktivitäten etwas mit dem zunehmenden militärischen Engagement Deutschlands zu tun haben könnte, wird aber von der Politik natürlich nicht gerne gehört.

Interessant wird sein, wie sich die IG-Metall zur Frage der Rüstungsexporte künftig positioniert. Sie war erst im Herbst 2011 in die Kritik geraten, weil aus einem der Gewerkschaft nahestehenden Denkfabrik ein Papier verfasst wurde, das nur als Lob der Rüstungsexporte verstanden werden kann, weil die ja schließlich Arbeitsplätze schaffen. Dass das Papier gewerkschaftsintern umstritten ist, zeigt ein Interview mit Jürgen Bühl vom IG-Metall-Vorstand. „Wir gehören nicht zur Rüstungslobby. Wir haben immer eine klare Position für Frieden und Abrüstung bezogen“, beteuert er und spricht sich für Konzepte der Rüstungskonversion als der Umwandlung von Rüstungs- und Zivilgüter aus. Diese Diskussion war vor 20 Jahren schon weiter vorangeschritten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152508
Peter Nowak

Mit Faktor C nach Utopia


Die venezolanische Kooperative Cecosesola besteht seit 45 Jahren. Die Arbeit ohne Vorgesetzte und Hierarchien sorgt bei Linken für Bewunderung. Dabei hätten die Gewerkschaftsfeindlichkeit und die spirituelle Ideologie der Kooperative deutliche Kritik verdient.

45 Jahre Selbstverwaltung, eine kollektive und solidarische Arbeitsweise ohne Chefs und Hierarchien, kurz gesagt: »gelebte Utopie«. So wurde die venezolanische Kooperative für die soziale Versorgung des Bundesstaates Lara (Cecosesola) von drei Mitgliedern beworben, die kürzlich Vorträge in mehreren deutschen Städten hielten. 1967 gründete sich Cecosesola in der Millionenstadt Barquisimeto im Westen Venezuelas. Zunächst betrieb sie ein Beerdigungsinstitut, dann ein Busunternehmen, bis sie sich schließlich auf den Verkauf von Obst und Gemüse auf den Wochenmärkten spezialisierte. Mittlerweile hat die Kooperative zudem sechs Projekte für die Gesundheitsversorgung eröffnet.

Solche Meldungen erfreuen die hiesigen Freunde der Alternativ- und Kommunenbewegung. Sie gehörte ebenso zu den Gastgebern der venezolanischen Kooperativisten wie Attac und das Netzwerk Selbsthilfe. Schließlich ist es erfreulich, von einem Projekt aus Venezuela zu hören, das schon so lange besteht und offensichtlich unabhängig von der Regierung unter Hugo Chávez bleiben konnte. Darauf legen die Mitglieder der Kooperative bis heute sehr großen Wert. Selbst in den Hochzeiten der Auseinandersetzung zwischen der Regierung und der Opposition vor zehn Jahren hielten sie an ihrem Grundsatz der Neutralität fest. So hat Cecosesola 2002 den oppositionellen Unternehmerstreik gegen die Regierung Chávez nicht unterstützt, sich allerdings auch nicht an Kampagnen der Regierung beteiligt. Insgesamt ist der Umgang der Kooperative mit der Regierung von Pragmatismus geprägt. Mitglieder der Cecosesola beteiligten sich im Rahmen der partizipativen Demokratie an der Ausarbeitung des Kooperativengesetzes, das viel mehr Möglichkeiten als in der Vergangenheit eröffnet hat. Allerdings kritisieren sie den Gründungsboom, der nach der Neufassung des Gesetzes im venezolanischen Kooperativensektor begonnen hat. Viele Neugründungen hätten nur auf dem Papier bestanden oder nur kurze Zeit funktioniert, lautet die Kritik.

Tatsächlich scheint es auf den ersten Blick erstaunlich, dass eine derartige Kooperative nun schon 45 Jahre lang innerhalb einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung existiert, ohne dieser erlegen zu sein. Daraus speisen sich zu einem großen Teil das Interesse und die Sympathie, die der Kooperative entgegengebracht werden. Vor einigen Monaten ist das Buch »Auf dem Weg. Gelebte Utopie einer Kooperative in Venezuela« im bisher auf soziale Kämpfe spezialisierten Buchmacherei-Verlag erschienen, das die Entwicklung der Kooperative aus Sicht der heutigen Mitglieder beschreibt. Es macht vor allem die von der Kooperative selbst in zwei Büchern und einer Broschüre dokumentierte Geschichte des Projekts in deutscher Sprache zugänglich. Das Buch kam wenige Wochen vor der Rundreise der drei Mitglieder auf den Markt. Das könnte eine Erklärung dafür sein, warum in der Öffentlichkeit bisher kaum auf die problematischen Elemente in der Geschichte der Kooperative eingegangen wurde. Dazu gehört auf jeden Fall die Feindschaft gegenüber gewerkschaftlicher Organisation. So heißt es über einen internen Konflikt in den siebziger Jahren: »Die meisten aus unserem Team, das für den Beteiligungsprozess stand, waren nie Mitglieder einer Partei. Die Ausnahme waren zwei Parteiaktivisten, die anscheinend eine Gelegenheit witterten, sich ein bisschen Macht zu verschaffen, und innerhalb der Organisation eine Gewerkschaft aufbauen wollten. Sie begannen eine systematische Organisation, schafften die Abteilungsversammlungen ab und verlangten sogar eine Extrabezahlung. Sie wollten, dass alles nur noch in großen Versammlungen diskutiert werden sollte, wo die Berufsagitatoren den Ton angaben und mit lauten Reden ihren Standpunkt durchsetzten.«

Cecosesola schlug den vermeintlichen gewerkschaftlichen Angriff zurück. Doch ähnliche Vorgänge gab es erneut. In ihrer offiziellen Selbstdarstellung macht die Kooperative den Zusammenschluss konkurrierender Busunternehmen dafür verantwortlich, der dadurch angeblich den billigeren Buslinien der Cecosesola Scherereien bereiten wollte: »Der Verband wollte damit die Kontrolle über den öffentlichen Verkehr in der Stadt erlangen und außerdem durch übertriebene Lohnforderungen und das Verbreiten von internem Chaos Cecosesola zur Anhebung der Fahrpreise zwingen.« Doch alle Versuche, eine Lohnerhöhung in der Kooperative durchzusetzen, scheiterten. In der offiziellen Chronik der Kooperative heißt es, dass es danach »keine Gewerkschaft mehr« gab. Denn letztlich hätten die Beschäftigten die Logik des Maßhaltens verstanden. »Wo Schmalhans Küchenmeister ist, kann der Mensch keine großen Gelage feiern.« Nach einigen Jahren versuchten Fahrer jedoch, auf gerichtlichem Weg ausstehende Löhne einzuklagen. Die Cecosesola-Chronik stellt diese Kläger so dar: »Wegen ihrer Aggressivität und weil sie immer in Gruppen auftraten, nannten wir sie die ›afrikanischen Bienen‹. Diese Fahrer wurden von der Regierung beraten sowie von der Oppositionsgruppe unterstützt und sollten bis zur letzten Konsequenz auf ihren Forderungen bestehen.« Die Intereressenvertretung unzufriedener Beschäftigter ist in der »gelebten Utopie« der Cecosesola nicht vorgesehen. Dabei hätte der Konflikt ohne Verschwörungstheorien sehr einfach beschrieben werden können. Die Kooperative versuchte, mit billigen Busfahrten Sympathien in der Bevölkerung zu gewinnen, und hielt deshalb auch die Löhne niedrig. So konnte sie andere regionale Busunternehmen niederkonkurrieren. Die dort entlassenen Busfahrer waren gezwungen, für die Kooperative zu Dumpinglöhnen zu schuften. Dies ließen sich manche nicht bieten und kämpften mit Gewerkschaftsgründungen oder gerichtlichen Klagen für höhere Löhne. Für ein solches Verhalten hat die Kooperative einen eigenen Begriff geprägt, »die Tendenz zur eigennützigen Komplizenschaft«. Darunter wird der Kampf für höhere Löhne ebenso gefasst wie etwa die kostenlose Aneignung von Lebensmitteln aus einem umgestürzten Lastwagen. Der Drang zum Plündern und Streiken sei eine Folge der Dominanz der westlich-patriarchalen Kultur, zu deren Grundzügen der Kooperativenideologie zufolge nicht nur »der Wunsch nach individueller Aneignung und Bereicherung sowie das Streben nach Macht und Erfolg« gehören, sondern auch die »Angst vor den Absichten der anderen und ein allgemeines Misstrauen«.

Dass sich Cecosesola Gewerkschaftern gegenüber misstrauisch und ängstlich verhält, muss wohl ein Relikt westlicher Kultureinflüsse sein. Darüber könnte das »kollektive Gehirn« einmal beraten, das ebenso als Zielvorstellung der Kooperative genannt wird wie der »Weg zur Harmonie«. Bei der Kooperation müsse ein in der Wissenschaft nicht bekannter »Faktor C« berücksichtigt werden, eine produktive Energie, die durch die Solidarität einer Gruppe von Menschen entsteht. Hier entpuppt sich die Cecosesola als eine spirituelle Kreativgemeinschaft, dies ist die ideologische Basis für den als besonderen Gütebeweis angeführten wirtschaftlichen Erfolg. Ähnlich wie die spirituelle Weltanschauungsgemeinschaft »Humanistische Bewegung«, die besonders in Lateinamerika tätig ist, beruft sich Cecosesola auf eine besondere Lesart von Wissenschaft und Mystik und verkauft die Unterordnung unter diese Ideologie als Selbstverwaltung.

Deshalb meldet Alix Arnold, die Übersetzerin der Texte, leise Bedenken an: »Manches Loblied auf die Flexibilität liest sich merkwürdig in Zeiten, in denen es den Unternehmen gelungen ist, eine brutale Flexibilisierung durchzusetzen.« Da sich Arnold seit Jahren in selbstorganisierten Lohnkämpfen, beispielsweise bei »Gate Gourmet«, engagiert, wäre jedoch auch ein Einspruch gegen die Gewerkschaftsfeindlichkeit zu erwarten gewesen. Doch ihre Zweifel tut sie ab mit dem Verweis auf die guten Erfahrungen, die sie während der Besuche in der Kooperative gemacht habe. Damit ist sie sich einig mit John Holloway, einem Vordenker der globalisierungskritischen Bewegung, der im Nachwort schreibt: »Der Besuch bei Cecosesola (…) hat meinen Geist in eine neue Richtung geweitet.« Das unkritische Bejubeln einer »spirituellen Gemeinschaft« als »gelebte Utopie« zeigt den Wunsch vieler Linker, den alltäglichen Klassenkämpfen zu entkommen und mit »Faktor C« den »Weg zur Harmonie« zu ebnen.
http://jungle-world.com/artikel/2012/30/45929.html
Peter Nowak

Deutschland – Rettungssanitäter oder Teil des europäischen Problems?

Die Polemik zwischen Eurogruppenchef Juncker und führenden Unionspolitkern ist ein Indiz für die Zuspitzung der Krise

Lange Zeit galt Eurogruppenchef Jean Claude Juncker als Verbündeter der deutschen Bundesregierung in der Euro-Krise. Er sucht nicht nur auf Fotos immer wieder demonstrativ die Nähe zu Mitgliedern der Bundesregierung. Auch in der Disziplinierung der europäischen Peripherie schien es wenige Unterschiede zu geben. Doch jetzt ist ausgerechnet ein Streit unter den ehemaligen Verbündeten ausgebrochen.

Anlass war ein Interview Junckers in der Süddeutschen Zeitung, wo er vor einem Zerfall der Eurozone warnt. Die Welt rede darüber, ob es in einigen Monaten die Eurozone noch gibt, Juncker folgerte:

„Wir müssen jetzt mit allen verfügbaren Mitteln überaus deutlich machen, dass wir fest entschlossen sind, die Finanzstabilität der Währungsgemeinschaft zu gewährleisten.“

Hätte er es dabei belassen, hätte das Interview wohl in Deutschland kaum so viel Aufmerksamkeit erregt. Doch Juncker sparte auch nicht mit Kritik an der deutschen Politik und nahm sich vor allem Politiker aus Union und FDP vor, die Griechenland einen Austritt aus der Eurozone nahe legen. „Nur um einen billigen innenpolitischen Diskurs zu unterstützen, sollte man den Austritt nicht mal als Hypothese behandeln“, moniert Juncker. Und er wurde noch deutlicher:

„Wieso eigentlich erlaubt sich Deutschland den Luxus, andauernd Innenpolitik in Sachen Eurofragen zu machen? Warum behandelt Deutschland die Euro-Zone wie eine Filiale? Wenn das alle 17 Regierungen machten, was bliebe dann übrig von dem was uns gemeinsam ist. Warum ist das so?“

Nun wird sich der sowohl ökonomisch versierte als auch mit den europäischen Machtverhältnissen vertraute Juncker diese Fragen selber beantworten können. Sie sind ein Indiz für die zunehmende Nervosität in Kerneuropa, die eben nicht zu einem Schulterschluss, sondern zu einem Streit verschiedener Machtgruppen führt.

Kann sich Juncker am „Rettungssanitäter Deutschand“ leisten?

Der Fehdehandschuh wurde in Deutschland sofort aufgegriffen. Die CSU-Politiker Alexander Dobrinth und Horst Seehofer griffen den Fehdehandschuh umgehend auf und zweifelten daran, ob Juncker auf den Posten noch der Richtige sei. Dabei ist die Wortwahl der beiden Politiker einer deutschen Regierungspartei interessant.

„Wenn man jetzt dem Rettungssanitäter die Schuld in die Schuhe schiebt für den Unfall, dann zeigt das einfach, wie verdreht die Welt an dieser Stelle ist“, moniert Dobrinth und stellt damit deutlich klar, wie er und viele andere Politiker der Regierungskoalition die Machtverhältnisse in Europa sehen. Der Retter Deutschland steht außerhalb jeder Kritik.

Die gab es freilich schon lange. Seit Monaten erinnern Ökonomen, soziale Initiativen und auch Politiker vor allem aus den südeuropäischen Staaten daran, dass die Wirtschafts- und Niedriglohnpolitik Deutschlands das zentrale Problem in der Eurozone ist. Diese Kritik hat man im politischen Berlin aber weitgehend ignorieren können. Doch nun hat die Verschärfung der Krise den Streit in das sogenannte Kerneuropa getragen, für das zu sprechen die deutsche Politik immer beansprucht hat. Die Auseinandersetzung wird die Krise schon deshalb vergrößern, weil natürlich die berühmten Märkte einen solchen Streit als Ausdruck der Krise sehen und entsprechen reagieren.

Doch das Problem liegt tiefer. Es sind die Konstruktionsfehler der Eurozone, in der wirtschaftlich nicht kompatible Ökonomien zusammengebracht wurden, um auf dem Weltmark gegen China und die USA zu konkurrieren. Es ist das kapitalistische Wertgesetz, dass sich hier gegen die Politik Geltung verschafft. In der Krise fällt nun den Politikern allen Parteien nur ein, hinter ihrem heimischen Standort in Deckung zu geben. Schließlich leben dort ihre Wähler. Dabei müsste jeder europäische Politiker, der es ehrlich meint, das Scheitern dieses gegen jede ökonomischen Gesetze zusammengebastelten Euromodells konstatieren und Modelle einer Rückabwicklung, ohne nationalistische und populistische Anwandlungen gemeinsam mit der Bevölkerung entwickeln

Aber so viel Mut zur Ehrlichkeit fehlt allen Politikern und daher fällt ihnen in der voraussehbaren kritischen Situation nur die Zuflucht zu Populismus und zur Verteidigung ihres jeweiligen Heimat-Standortes ein. Daher dürften wir noch viele solcher Auseinandersetzungen erleben. Auch die sozialen Initiativen, die Modelle für ein soziales Europa entwickeln und dies auch in praktischen Auseinandersetzungen durchsetzten müssten, scheinen im deutschen Sommerloch verschwunden. Derweil bleiben die wenigen sozialen Kämpfe gegen die Eurokrisenpolitik hoffnungslos isoliert.

Es ist bezeichnend, dass die Meldung, wonach griechische Stahlarbeiter nach massiver Polizeirepression jetzt ihren monatelangen Streik aufgeben mussten, nicht auf der Homepage der diversen Krisenbündnisse, sondern des Flugladens wahrgenommen wurde. Die Botschaft an die Zielgruppe ist klar. Auf der Titanic-Eurozone geht die Party weiter bis zum Untergang und die Crew streitet sich . derweil, wer die letzten Rettungsboote losbindet. Fragt sich nur, wer drin sitzen wird.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152495
Peter Nowak

Arbeitsrechte werden geschleift

Gewerkschaftsstudie weist auf neue Deregulierungen in der EU hin
In der Krise wird in der EU der Arbeitsmarkt flexibilisiert. Rechte der Beschäftigten bleiben auf der Strecke.

Im Schatten der Krise werden in vielen EU-Ländern die Arbeitsbeziehungen weiter dereguliert und Arbeitsrechte abgebaut. Zu diesem Ergebnis kommt eine aktuelle Studie mit dem Titel »Arbeitsrechtsreformen in Krisenzeiten – eine Bestandaufnahme in Europa«, die von Isabelle Schömann und Stefan Clauwaert im Auftrag des Europäischen Gewerkschaftsinstituts erstellt wurde.
Hebammen

Massive Einschnitte für Arbeitnehmer

»Unter dem Zeichen des Kürzungsdiktats werden Gewerkschaften und Arbeitnehmern Einschnitte zugemutet. Viele bekommen sie noch gar nicht mit, vor allem in den Ländern, die vergleichsweise gut dastehen, wie z.B. Deutschland«, betont DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach im Vorwort. Dazu trügen Informationsmangel sowie das Bestreben von Politikern und den meisten Medien bei, die Kürzungsprogramme als alternativlos darzustellen.

Dieser Desinformationspolitik wollen die beiden Autoren mit ihrer Studie entgegentreten. Und die Befunde sind alarmierend. So seien in Ungarn nach der Machtübernahme der rechtskonservativen Regierung gravierende Verschlechterungen des Arbeitsrechts durchgesetzt worden. Ähnliche Entwicklungen werden auch in Slowenien und Estland festgestellt. In Ländern wie Spanien, Italien, Portugal und Griechenland habe der Druck europäischer und internationaler Institutionen wie des Internationalen Währungsfonds (IWF) massive Einschränkungen der Gewerkschaftsrechte und Einschnitte ins Arbeitsrecht erzwungen, berichten die Autoren.

Sie stellen fest, dass die EU-Kommission Arbeits- und grundlegende Sozialrechte ignoriere und zur weiteren Flexibilisierung des Arbeitsmarkts und Deregulierung der Arbeitsrechte beitrage. Befristete Arbeitsverhältnisse, Teilzeit- und Leiharbeit seien ein europaweiter Trend. Dass diese Einschnitte unter dem Deckmantel der Krisenpolitik durchgezogen werden, zeigt sich besonders in Spanien. So wurde im Februar 2012 in einem der zahllosen Krisenprogramme das Verbot von Überstunden in Leiharbeitsverhältnissen abgeschafft. In Slowenien wurde die Dauer befristeter Arbeitsverhältnisse von zwei auf drei Jahre erhöht und in Polen können junge Menschen unbegrenzt in immer neuen befristeten Arbeitsverhältnissen beschäftigt werden.

»Tarifverträge werden ausgehebelt, um Löhne zu drücken. Gewerkschaften werden gezwungen, Löhne zu senken und Tarifsteigerungen auszusetzen«, fasst Annelie Buntenbach die Ergebnisse der Studie zusammen. Die Gewerkschafterin spricht Arbeitszeitverlängerungen ebenso an wie Rentenkürzungen, die Verkleinerung des öffentlichen Sektors und die Forcierung von Privatisierungen. »Mit dem bisherigen Krisenmanagement wird die Chance vertan, Europa sozial und nachhaltig aufzubauen«, so der Befund von Buntenbach.

Herausforderung auch für den DGB

Die Studie ist allerdings auch eine Herausforderung an die Gewerkschaften. Schließlich hätten diese nicht nur in Deutschland allzu oft im Schulterschluss mit der Politik die kurzfristigen Interessen der Kernarbeiter vertreten, anstatt den Protest zu befördern, meinen Kritiker. DGB-Gewerkschaften mussten sich in der Vergangenheit auch nicht Kritik von Kollegen aus anderen europäischen Ländern anhören. Ob die Studie zu einem Umdenken beim DGB und ihren Einzelgewerkschaften wie der IG-Metall, die in der Krise besonders den Schulterschluss zur Politik suchte, führen wird, muss sich zeigen,

http://www.neues-deutschland.de/artikel/233971.arbeitsrechte-werden-geschleift.html
Peter Nowak.

Griechenland in oder out?

Nicht nur in Deutschland hat die Debatte über einen Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone an Fahrt gewonnen

Als kürzlich Berlins Vizekanzler Philipp Rösler wieder einmal laut über einen Austritt Griechenlands aus der EU-Zone redete, wurde von einigen SPD-Politikern dessen Rücktritt gefordert. Er habe mit seinem unverantwortlichen Geschwätz mit dazu beigetragen, dass nun auch Deutschland von den Ratingagenturen abgewertet wurde, lautete die ganz auf den Standort bezogene Kritik der Sozialdemokraten. Denn für die Interessen der griechische Bevölkerung einzutreten, könnte ja wieder fast als Vaterlandsverrat gewertet werden – und davor haben besonders deutsche Sozialdemokraten große Angst.

Da brauchte vor einigen Wochen der FDP-Wirtschaftslobbyist Brüderle das V-Wort nur kurz in den Mund zu nehmen, als manche Sozialdemokraten nach dem Wahlsieg des französischen Parteifreunds Hollande zu forsch gegenüber der Bundesregierung auftraten. Und schon waren sie wieder kleinlaut. Als vor wenigen Tagen nun der bayerische Finanzminister Markus Söder Rösler noch überbot und einen Austritt Griechenlands aus der Eurozone als fast unabwendbar bezeichnete, kam denn auch von der SPD keine große Resonanz. Sie haben mittlerweile längst mitbekommen, dass Griechenland-Schelte und EU-Kritik populär ist.

Schon längst gibt es Bestrebungen, bei den nächsten Wahlen mit einer populistischen Partei der EU-Kritiker anzutreten. Noch sind sich die beteiligten Personen nicht ganz einig, aber es sieht so aus, als liefe es auf die Kandidatur der Freien Wähler hinaus. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass sie damit das politische Koordinatensystem in Deutschland durcheinanderbringen könnte. Besonders betroffen davon während die aktuellen Regierungsparteien. So kann die Intervention von Rösler und Söder auch als ein vorgezogener Wahlkampf betrachtet werden. Es ist klar, dass die EU-Politik dort eine zentrale Rolle einnehmen wird.

Schließlich sind Söder und Rösler in Europa nicht alleine mit der Forderung nach einem schnellen Austritt Griechenlands aus der Eurozone. Die Regierung von Lettland hat diese Forderung bereits gestellt. Wenig überraschend war, dass sich der als EU-Kritiker bekannte tschechische Präsident Klaus es sich nicht nehmen ließ, sich ebenfalls in dieser Frage zu Wort melden. Er forderte in einem Beitrag im Handelsblatt nicht nur einen schnellen Austritt Griechenlands aus der Eurozone, sondern auch einen Abschied von der sozialen Marktwirtschaft und von grünen Utopien.

Schrankenloser Kapitalismus ohne Sozialklimbim

Mit seinem Bekenntnis zum schrankenlosen Kapitalismus ohne Sozialklimbim und Umweltauflagen ist er sich auch mit den Politikern einig, die Griechenland in der Eurozone halten wollen Schließlich werden im Windschatten der Krise europaweit Arbeits- und Gewerkschaftsrechte abgebaut. Darauf haben Isabelle Schömann und Stefan Clauwaert in einer im Auftrag des Europäischen Gewerkschaftsinstituts verfassten Studie mit dem Titel Arbeitsrechtsreformen in Krisen – eine Bestandsaufnahme in Europa kürzlich hingewiesen.

EU-Politiker wie Barroso wollen am Beispiel Griechenland deutlich machen, wie weit man die Wirtschaft eines Landes deregulieren kann. Das soll natürlich ein Pilotprojekt für andere EU-Länder werden. Klaus, Rösler und andere wollen das Exempel eher im Rausschmiss Griechenlands sehen. An der Deregulierung im Interesse des Kapitals haben beide Fraktionen keine Kritik. „Mit dem bisherigen Krisenmanagement wird die Chance vertan, Europa sozial und nachhaltig aufzubauen“, so der Befund von Annelie Buntenbach vom DGB-Vorstand im Vorwort der erwähnten Studie des Gewerkschaftsinstitut. Die Studie ist allerdings auch eine Herausforderung an die Gewerkschaften und die sozialen Bewegungen. Doch die sind hierzulande kaum präsent, weder in der Griechenlanddebatte noch in der Solidarität in einer sich gerade ausweitenden sozialen Bewegung in Spanien.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152480
Peter Nowak

Ölpest wird teuer

Die Manager des Shell-Konzerns sind empört. Soll der Konzern doch fünf Milliarden Dollar Entschädigung zahlen, weil in Nigeria Öl aus einer Shell-Pipeline die Umwelt verschmutzt hat. In dem rund 120 Kilometer vor der Küste Nigerias gelegenen Bonga-Ölfeld war während der routinemäßigen Beladung eines Öltankers im Dezember 2011 ein Leck entstanden. 30 000 bis 40 000 Barrel (siehe Lexikon) Rohöl traten aus und verursachten eine der schlimmsten Ölverschmutzungen in Nigeria seit mehr als zehn Jahren. Vor allem die Höhe der Entschädigungsforderung der nigerianischen Behörde zur Bekämpfung von Ölunfällen (NOSDRA) überrascht. Ausgehend von den Schätzungen, wonach im Bonga-Feld maximal 40 000 Barrel Öl ausgetreten sind, wären dies rund 125 000 Dollar je Barrel.

Im Vergleich dazu ist die Strafe für die Ölpest nach der Explosion der Plattform »Deepwater Horizon« im Golf von Mexiko – verursacht vom Konkurrenten BP – milde: Die beliefe sich auf 1100 Dollar je Barrel, falls dem britischen Ölmulti nicht grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen wird. Und selbst im Falle grober Fahrlässigkeit war in den USA vor Gericht nur von 4300 Dollar je Barrel die Rede. Die Shell-Manager wiegeln ab: Es handele sich hier nur um einen Vorschlag der Behörde an die nigerianische Regierung, der nach Ansicht des Ölkonzerns keine rechtliche Grundlange habe.

Doch schon die Forderung aus Nigeria zeugt von einem neuen Selbstbewusstsein zumindest in einigen Ländern des Südens. Für Nigeria ist die jüngste Ölpest ja nicht die erste. Schließlich wurde durch den Kampf und die Hinrichtung des nigerianischen Bürgerrechtlers Ken Saro-Wiwa 1995 weltweit bekannt, wie die Ölförderung eine ganze Region im Nigerdelta zerstörte. So gab es dort 2008 ein Pipeline-Leck, bei dem nach Schätzungen einer US-Beratungsfirma für Ölunfälle mehr als 100 000 Barrel Öl ausliefen.

Das Beispiel der aktuellen Forderung in Nigeria sollte Schule machen. Zudem sollte die internationale Zivilgesellschaft dafür kämpfen, dass Shell tatsächlich angemessene Entschädigungen zahlen muss.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/233310.oelpest-wird-teuer.html
Peter Nowak

Ziviler Widerstand in Syrien geht weiter

Aktivisten der Initiative „Adopt a Revolution“ erinnern an die Arbeit der gewaltfreien Bürgerkomitees in Syrien und warnen vor dem Eindruck, dass das Regime schon am Ende ist

Wer in den letzten Wochen die Nachrichten über Syrien verfolgt hat, konnte den Eindruck gewinnen, das Land sei endgültig im Bürgerkrieg versunken. Auch der mörderische Anschlag vom Mittwoch, der die Führung empfindlich traf, scheint dafür zu sprechen, dass nun endgültig die militärische Logik die Oberhand gewonnen hat. In einer solchen Situation drohen zivile Formen der Auseinandersetzung an den Rand gedrängt zu werden. Deshalb erinnert die Initiative Adopt a Revolution, die sich seit Monaten für eine Stärkung der sozialen und zivilgesellschaftlichen Kräfte in Syrien einsetzt, in einer Pressemitteilung daran, dass auch in der aktuellen Situation der Widerstand dieser Kräfte in Syrien weitergeht.

„In einer krisenhaften Situation wie der aktuellen in Damaskus, braucht es zivilgesellschaftliche Akteure mehr denn je, um für Transparenz und zivile Unterstützung der Bevölkerung zu sorgen. Die lokalen Komitees leisten diese Funktion, weshalb wir unsere Unterstützung jetzt mit Hochdruck fortführen“, heißt es in der aktuellen Pressemeldung von Adopt a Revolution.

Deren Berliner Koordinator Elias Perabo betont gegenüber Telepolis, dass es zur Zeit in Syrien ein Nebeneinander zwischen der zivilen Opposition und der militärischen Kräfte gäbe. In der Regel würden auch die zivilen Oppositionsgruppen die bewaffneten Kräfte als Schutztruppe begreifen. Das sei auch eine Folge des Gefühls der Hilflosigkeit und des Eindrucks, von der internationalen Öffentlichkeit allein gelassen zu werden. Dabei gehe es bei der internationalen Hilfe nicht um ein Eingreifen von Armeen der Nato-Länder, das sogar manche Publizisten in linken Medien propagieren, wo die Situation in Syrien kurzschlüssig mit dem Kampf gegen die Niederschlagung des Nationalsozialismus verglichen wird. Dabei wird schon ein grundlegender Unterschied ausgeblendet: Es gibt in Syrien nicht die Volksgemeinschaft wie in Deutschland, die bis zum Untergang mit dem Regime verbunden ist. Im Gegenteil ist es gerade der Widerstand der Bevölkerung, der Syrien in den Mittelpunkt des Weltinteresses brachte.

Noch keine Schlacht um Damaskus

Adopt a Revolution unterhält nach eigenen Angaben allein im Raum Damaskus Kontakt mit 16 Bürgerkomitees und verbreitet deren Widerstand, aber auch die Repression gegen die Aktivsten. Dabei betont Perabo, es sei wichtig dem Eindruck entgegenzutreten, der Kampf gegen das Regime sei schon gewonnen. „Die Schlacht um Damaskus hat noch nicht begonnen, es gibt aber erste Schritte“, betont der Aktivist. Nach seinen Aussagen leben gerade die zivilen Aktivisten in und um Damaskus in großer Angst vor der Repression des Regimes. So habe es in einem damaszener Stadtteil, wo die Opposition aktiv sei, in den letzten 24 Stunden 38 Tote gegeben, die durch die Mörserangriffe regierungstreuer Truppen umgekommen seien. In Damaskus sei die auf bis zu 8.000 Mann geschätzte Republikanische Garde noch weitgehend intakt. Zudem seien Militärs aus anderen Landesteilen wie aus der Region um die Golanhöhen nach Damaskus beordert werden. Deshalb sei die Angst der Opposition dort besonders groß. In anderen Regionen des Landes, etwa in den kurdischen Gebieten, hingegen sei der Optimismus größer, dass die letzten Tage des Regimes begonnen habe, so Perabo. Das liege auch daran, dass dort die Kräfteverhältnisse so seien, dass das Regime dort keine Macht mehr hat.

Auch über den Sturz des Regimes hinaus denken

In den letzten Monaten gab es auch in den hiesigen Medien eine heftige Debatte über die Rolle vor allem der bewaffneten syrischen Opposition, deren Kontakte ins Ausland, vor allem nach Saudi-Arabien und andere Golfstaaten und in die Türkei und über die Menschenrechtsverletzungen der FSA (die sogenannte „Freie syrische Armee“). Dabei wurde von manchen Publizisten der islamistische Einfluss in der bewaffneten Opposition in den Mittelpunkt gestellt, während Journalisten, die auf den Sturz des aktuellen Regimes abzielten, den islamistischen Einfluss eher vernachlässigten, und solche Vorwürfe teilweise als Regimepropaganda abtaten.

Dagegen betont Perabo, dass Adopt a Revolution sich seit Monaten auch mit Einfluss konfessioneller Gewalt in Syrien befasst. Es sei auch von Seiten der Opposition in den letzten Wochen zu Vertreibungen von Alewiten, besonders in den Zentren der Opposition um Horms, gekommen. In der letzten Zeit hätten solche Aktionen weiter zugenommen. Auch Perabo befürchtet, dass sich die konfessionellen Muster in den Auseinandersetzungen verstärken könnten. Daher versucht die Initiative Adopt a Revolution zivile Kräfte zu unterstützen, die sich gegen eine religiöse Zuspitzung wenden. Dazu gehört auch eine Studierendenbewegung, die sich zur Zeit in Syrien entwickelt.

Damit bricht die Initiative auch mit einer in der deutschen Internationalismusbewegung weitverbreiteten Tradition, die Kräfte, die unterstützt werden, möglichst nicht zu kritisieren. So wurden noch in der Lateinamerikasolidarität der 1980er Jahre blutige Abrechnungen innerhalb der linken Gruppen, die in El Salvador die Guerilla bildeten, ausgeblendet oder gar verteidigt. Der kritische Blick auf den Umgang auch der bewaffneten Opposition in Syrien mit den Menschenrechten durch Adopt a Revolution zeigt einen Lernprozess. Schließlich könnte die zivile Opposition nach dem Sturz des Assad-Regimes noch Solidarität brauchen, wenn sich die bewaffneten Kräfte dort machtpolitisch durchsetzen und sich zeigt, dass ihre Ziele gar nicht so demokratisch sind.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152427
Peter Nowak

Solidarität für türkische Aktivistin

Basak Sahin Duman von Auslieferung bedroht

Eigentlich wollte Basak Sahin Duman nur ein paar Tage Urlaub in Kroatien machen. Doch die Reise wurde zum Albtraum, denn die türkische Staatsbürgerin, die seit 2006 mit ihrem Ehemann in Deutschland lebt, wurde am 29. Mai am Flughafen von Zagreb verhaftet und sitzt seitdem in Auslieferungshaft. Der Grund: Die türkische Justiz hatte einen internationalen Haftbefehl erlassen, nachdem Duman wegen angeblicher »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« zu einer Haftstrafe von sieben Jahren verurteilt worden war.
Duman wird vorgeworfen, sich 2004 als Medizinstudentin in linken Initiativen engagiert und an einer Demonstration teilgenommen zu haben. Gegen 24 Teilnehmer dieser Aktion hat die türkische Justiz langjährige Haftstrafen verhängt. Mehrere der Betroffenen sitzen in türkischen Gefängnissen. Andere konnten sich durch die Flucht in verschiedene europäische Länder der Inhaftierung entziehen. Duman erhielt Asyl in Deutschland. Mittlerweile liegt dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein Antrag vor, die Urteile zu überprüfen.

Nach der Verhaftung Dumans hat sich rasch ein internationales Solidaritätskomitee gegründet, das ihre sofortige Freilassung fordert. »Sie darf nicht in das Land ausgeliefert werden, in dem demokratische Grundrechte ausgehebelt und Oppositionelle sowie demokratische Basisbewegungen gezielt verfolgt und unterdrückt werden«, heißt es in einem Aufruf, den zahlreiche Migranten- und Menschenrechtsorganisationen unterzeichnet haben. Die Urteile der türkischen Gerichte, so der Aufruf weiter, dienten dazu, die »Sozialistische Plattform der Unterdrückten« (ESP) als Teil der in der Türkei verbotenen kommunistischen Partei MLKP darzustellen. Damit wäre die Kriminalisierung all ihrer Mitglieder verbunden. Zudem würden alle Wähler der ESP, die sich inzwischen als Partei konstituiert hat, zu Terroristen erklärt.

In mehreren europäischen Metropolen haben bereits Protestaktion vor kroatischen Botschaften stattgefunden, auch in Kroatien wurde für Dumans Freilassung demonstriert. Mit einer erstinstanzlichen Entscheidung der kroatischen Justiz wird in den nächsten Tagen gerechnet.

Ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amts erklärte gegenüber einer Bundestagsabgeordneten der LINKEN, dass von deutscher Seite einer Rückkehr von Duman nichts im Wege stehe, eine konsularische Betreuung aber nur bedingt möglich sei, weil sie keine deutsche Staatsangehörige ist.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/233089.solidaritaet-fuer-
tuerkische-aktivistin.html
Peter Nowak

Transnationale Diffusion

Ein Versuch über den Zusammenhang von Krisen und Protesten

Gemeinsam mit dem Historiker Peter Birke betreut der freie Übersetzer Max Henninger die Zeitschrift „Sozial.Geschichte Online“, ein Nachfolgeprojekt der von der Bremer Stiftung für Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts herausgegebenen Reihe „1999“. Zusammen haben sie vor einigen Wochen im Verlag Assoziation A das Buch „Krisen Proteste“ herausgegeben, das Texte aus den letzten Ausgaben der Zeitschrift versammelt und so versucht, Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen Erscheinungsformen der Krise und den – oft asynchronen – Protesten gegen deren Ursachen und Auswirkungen herzustellen. Lesenswert ist dieser ambitionierte Versuch auch deshalb, weil dabei der Blick auf Auseinandersetzungen gerichtet wird, die in der in Deutschland und der EU derzeit dominierenden nationalen, bestenfalls eurozentristischen Perspektive der Krisenlösungspolitiken nicht erscheinen. Peter Nowak sprach mit Max Henniger über das Projekt.


War es Zufall, dass Euer Buch „Krisen Proteste“ pünktlich vor dem Höhepunkt der hiesigen Krisenproteste, den Blockupy-Aktionstagen heraus kam?

M.H.: Das war nicht geplant. Das Projekt hatte einen Vorlauf von mehr als sechs Monaten. Peter Birke und ich haben uns zu Beginn der zweiten Jahreshälfte 2011 überlegt, einige der in Sozial.Geschichte Online veröffentlichten Beitrage über die Krisenentwicklung in verschiedenen Ländern in Buchform zu veröffentlichen.

Können Sie kurz die Entwicklung von „Sozial.Geschichte Online“ skizzieren?

M.H.: „Sozial.Geschichte Online“ erscheint seit 2009 mehrmals jährlich als Publikation der Stiftung für Sozialgeschichte in Bremen. Die koordinierende Redaktion liegt bei Peter Birke und mir. Es handelt sich um das Nachfolgeprojekt der 1986 ins Leben gerufenen Print-Zeitschrift “1999”, die zwischen 2003 und 2007 unter dem Namen “Sozial.Geschichte” erschienen ist. Thematische Schwerpunkte von “1999” und “Sozial.Geschichte” waren die Geschichte des Nationalsozialismus und die globale Arbeitsgeschichte. Auf „Sozial.Geschichte Online“ wird darüber hinaus auch verstärkt über aktuelle Protestbewegungen und ihre Hintergründe berichtet.

Wie erfolgte die Auswahl der Texte für das Buch?

M.H.: Die Entwicklung der aktuellen Weltwirtschaftskrise und der mit ihr einhergehenden Proteste waren bereits seit Jahren Gegenstand von Beiträgen, die „Sozial.Geschichte Online“ in der Rubrik “Zeitgeschehen” veröffentlicht hat. Ins Buch aufgenommen haben wir Beiträge zu denjenigen Entwicklungen, deren Bedeutung wir im Rückblick als besonders hoch einschätzen. Dazu gehört etwa die von Helmut Dietrich verfasste Chronik der im Dezember 2010 begonnenen Revolte in Tunesien, die im Folgejahr zahlreiche weitere Aufstände im nordafrikanischen und nahöstlichen Raum nach sich gezogen hat.

Könnte man aus dem Titel des Buches „Krisen Proteste“ – ohne Komma oder Bindestrich -herauslesen, dass Ihr keinen Zusammenhang zwischen den beiden Themen seht?

M.H.: Es gibt jedenfalls keinen mechanischen Zusammenhang. In dem Buch geht es auch um Regionen, beispielsweise Ostafrika, die zwar stark von den sozialen Folgen der Krise betroffen sind, bislang aber nicht durch Proteste von sich reden gemacht haben. Gleichzeitig stellt sich in manchen Ländern auch die Frage, wie sich Protestbewegungen, die bereits vor Ausbruch der Krise aktiv waren, im Zuge der Krise verändern. Das gilt beispielsweise für die in vielen Ländern seit Beginn des Jahrtausends zu verzeichnenden Studierendenproteste.

Sie gehen in einem eigenen Aufsatz auf die Ernährungskrise in Afrika südlich der Sahara ein Wo sehen Sie den Zusammenhang zur Krise?

M.H.: Der Beitrag soll den Blick für das globale Ausmaß der Krisenfolgen schärfen. Zu oft wird nur auf Europa und die USA gesehen. Dabei waren die Proteste gegen die Verteuerung von Grundnahrungsmitteln, zu denen es 2007 und 2008 in mehr als dreißig asiatischen, afrikanischen und lateinamerikanischen Ländern gekommen ist, die erste globale Antwort auf die sich aus der Krise ergebenden Hunger- und Spardiktate. Auf Haiti führten die Proteste im April 2008 zum Sturz der Regierung von Jacques-Édouard Alexis. Die „Food Riots“ gehören aber auch zur Vorgeschichte der Aufstände in Tunesien, Ägypten und anderen arabischen Ländern. Die Ernährungskrisen und Hungersnöte, die Länder wie Niger, Somalia und Äthiopien in den letzten zwei Jahren erfasst haben, sind ebenfalls zur globalen Krise in Beziehung zu setzen. Wichtige Stichworte sind hier der Anstieg der Weltmarktpreise für Grundnahrungsmittel, die durch weltweite Investitionen in die Agrotreibstoffproduktion bedingte Verknappung landwirtschaftlicher Nutzflächen und der Aufkauf fruchtbarer Ländereien durch exportorientierte Unternehmen aus Ländern wie Südkorea und Saudi Arabien.

Im Länderbericht zu Deutschland hat Peter Birke die Hamburger „Recht auf Stadt“-Bewegung und die Besetzung des Gängeviertels in den Mittelpunkt gestellt. Wo ist hier der Zusammenhang zu den Krisenprotesten?

M.H.: Anhand der „Recht auf Stadt“-Bewegung lässt sich zeigen, wie die Krisenfolgen hierzulande in einer eher schleichenden Verschlechterung der Lebensverhältnisse vieler Menschen spürbar werden. Das Protestgeschehen in Deutschland bleibt relativ zersplittert. Dabei sind es aber nicht nur Bewegungen, deren Parolen ausdrücklich die Krise thematisieren, die auf die Krisenfolgen reagieren.

Im Gegensatz zu Eurem Buch „Krisen Proteste“ sind die realen Krisenproteste im Wesentlichen noch nationalstaatlich organisiert. Sehen Sie transnationale Bezugspunkte?

M.H.: Es gibt eine transnationale Diffusion der Proteste. Die Food Riots von 2007/08 und das Übergreifen der tunesischen Revolte auf andere arabische Länder sind Beispiele dafür. Die US-amerikanische Occupy-Bewegung hat auch Impulse aus Ländern wie Ägypten und Spanien aufgenommen. Dennoch scheitern Versuche, die Übertragung von Protestbewegungen aus einem nationalen Kontext in den anderen zu organisieren, oft an der Unterschiedlichkeit der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse. Allein in Europa besteht ein sehr ausgeprägtes Gefälle zwischen Zentrum und Peripherie. Um nur ein Beispiel herauszugreifen: In Spanien liegt die Jugenderwerbslosigkeit bei rund 40 Prozent, in Deutschland unter zehn Prozent. Diese unterschiedliche Ausgangslage erschwert zunächst einmal gemeinsame Kämpfe.

Könnte das nicht auch ein Kommentar zu den Blockupy-Protesten sein?

M.H.: Wir haben in der Einleitung geschrieben, dass die raum-zeitliche Entkoppelung von Krisenpolitik und Krisenfolgen für die Linke ein zentrales Problem darstellt, das keineswegs durch bloße Appelle zu bewältigen ist. Die Organisatoren der Krisenproteste der letzten Monate stehen heute vor diesem Problem.

Peter Birke / Max Henninger (Hg.): Krisen Proteste. Beiträge aus Sozial.Geschichte Online ISBN 978-3-86241-413-0, 312 Seiten, April 2012, 18 Euro

Mit Beiträgen von: Peter Birke, Kristin Carls, Helmut Dietrich, Andy Durgan/Joel Sans, Silvia Federici, The Free Association, Max Henninger, Gregor Kritidis, Pun Ngai/Lu Huilin, Karl Heinz Roth

Weitere Informationen über: http://www.stiftung-sozialgeschichte.de/

http://www.labournet.de/express/index.html

Deutscher Ökonomenkrieg

Der offene Streit unter Wirtschaftswissenschaftlern markiert eine zunehmende Uneinigkeit innerhalb der deutschen Eliten über die Europapolitik

„Der Aufruf baut ein Schreckgespenst auf und schürt Furcht. Der Öffentlichkeit, die nach Orientierung verlangt, und der Politik, die in schwierigen Entscheidungssituationen Kurs zu halten versucht, wird damit nicht geholfen.“ Dieses harsche Urteil erheben bekannte deutsche Ökonomen, die sich ganz selbstverständlich als Politikberater und Sinnstifter sehen, in einem Offenen Brief. Ihre Adressaten sind ebenso bekannte Ökonomen, die genau wie sie den Anspruch erheben, die deutsche Wirtschaft retten zu wollen.

Deutscher Stammtisch

Der wohl von Hans-Werner Sinn verfasste und von 200 anderen Wirtschaftswissenschaftlern unterzeichnete Brief hat im Sommerloch, großen Wirbel verursacht. Adressiert war er an die „Lieben Mitbürger“, in ihm wurden die als Beitrag zur Eurorettung bezeichneten Entscheidungen des EU-Gipfels von Brüssel für falsch erklärt – richtiger wäre gewesen, sie hätten geschrieben, sie seien nicht in deutschem Interesse, wie sie es verstehen.

Dabei sparen die Verfasser nicht mit populistischen Klischees. So heißt es dort: „Die Steuerzahler, Rentner und Sparer der bislang noch soliden Länder Europas dürfen für die Absicherung dieser Schulden nicht in Haftung genommen werden.“ Nicht dem Euro und dem europäischen Gedanken werde mit den Beschlüssen geholfen, statt dessen „der Wallstreet, der City of London, auch einigen Investoren in Deutschland“.

Solche Formulierungen lesen sich, als hätten die Verfasser das Programm für eine rechtspopulistische Partei schreiben wollen, die einen vermeintlich soliden Mittelstand von ausländischen Banken in die Zange genommen sieht. Nun gibt es seit Monaten Versuche, eine solche Partei aus der Taufe zu heben. Da es dort aber viele Personen wie Hans-Olaf Henkel etc. mit einen großen Ego gibt, ist noch nicht klar, ob sie sich auf eine gemeinsame Kandidatur einigen können. Im Gespräch ist eine bundesweite Kandidatur der Freien Wähler, aber bis zu den Wahlen kann es auch noch andere Konstellationen geben. Der Brief der Ökonomen ist Wasser auf die Mühlen aller, die die „solide deutsche Wirtschaft“ von verantwortungslosen Mit-Europäern retten wollen.

Der Text wendet sich explizit an Sparer und Rentner, die dann gemeinsam mit Mittelstandsfunktionären und Teilen der Elite eine Abkehr von Europa und ein Zurück zur DM als letztes Mittel propagieren könnten. Diese Intervention macht deutlich, dass es mittlerweile in der Mitte der Gesellschaft eine Strömung gibt, die die deutschen Interessen nicht mehr nur im Euro vertreten sieht und durchaus auch eine Rückkehr zur DM mit allen Konsequenzen in Kauf nimmt. Demgegenüber sind die Kritiker dieser Position der Meinung, dass der Standort Deutschland weiterhin nur mit dem Euro gestärkt werden könne. Sie fürchten das Entstehen einer populistischen Bewegung gegen den Euro oder zumindest gegen die weitere Abgabe von Kompetenzen an EU-Gremien und sehen darin eher Nachteile für den Standort Deutschland, den zu stärken beide Fraktionen als ihre Aufgabe sehen.

Streit unter bürgerlichen Ökonomen

Interessant ist, dass sich im aktuellen Ökonomenkrieg auf beiden Seiten der Barrikade Wirtschaftswissenschaftler tummeln, die in den vergangenen Jahren für massive Kürzungen von Sozialleistungen, für die Agenda 2010 und andere Maßnahmen zur Stärkung des Standorts Deutschland eingetreten sind. Mehrere von ihnen haben ihre wissenschaftliche Reputation der Initiative Soziale Marktwirtschaft zur Verfügung gestellt. Dazu gehört der auch als [http.//www.ftd.de/politik/europa/:der-boulevardprofessor/180714.html Boulevardprofessor] bezeichnete Hans-Werner Sinn ebenso wie sein aktueller Antipode Thomas Straubhaar.

Den Brief der Euro-Verteidiger haben auch einige gewerkschaftsnahe Ökonomen wie Peter Bofinger und Gustav Horn unterschrieben. Sie haben sich beim Streit der Ökonomen gegen populistische Positionen gestellt, wie sie in dem von Sinn verfassten Brief zum Ausdruck kommen. Aber eine eigenständige Positionierung, die die Interessen der Lohnabhängigen im EU-Raum ohne Bezüge zu Standortrettungen zum Ausdruck bringt, kommt in beiden Briefen nicht vor.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152351
Peter Nowak

Erneut Verfassungskrise in Rumänien

Der Machtkampf zwischen Anhängern und Gegnern des Präsidenten Basescu spitzt sich zu

Höhepunkt ist die geplante Amtsenthebung des konservativen Präsidenten Basescu durch die sozialliberale Regierungskoalition um Ministerpräsident Ponto. In der letzten Woche waren schon die Präsidenten von Senat und Abgeordnetenhaus ausgetauscht worden. Auch hier waren dem Präsidenten nahestehende Personen abgewählt und durch Parteigänger der Regierung ersetzt worden.

In manchen Medien wird von einem stillen Putsch gesprochen. Vergleiche mit Paraguay wurden gezogen, wo auch kürzlich eine Parlamentsmehrheit einen gewählten Präsidenten absetzte. Während es sich allerdings in Paraguay um einen sozialen Konflikt handelte – für die Grundbesitzer war der Präsident zu sehr der Campesinobewegung verbunden -, hat die Verfassungskrise in Rumänien vor allem machtpolitische Gründe.

Seit Jahren stehen sich zwei Machtblöcke gegenüber, die die Marktwirtschaft bedingungslos verteidigen. Auf der einen Seite stehen die Sozialdemokraten, die sich aus der nominal Kommunistischen Partei gebildet haben, auf der anderen Seite stehen Teile des bürgerlichen Lagers, das sich teilweise aus der Opposition gegen das nominalsozialistische Regime herausgebildet hat. Es ist denn auch eher diese unterschiedliche Herkunft und weniger die konkreten politischen Unterschiede, die den Machtkampf in Rumänien bestimmen.

Verdacht auf Wahlbetrug

Eine Schlüsselrolle spielt dabei der machtbewusste Präsident Traian Basescu, der ebenfalls seit Jahren sein Amt mit allen Mitteln verteidigt. Bei den letzten Wahlen im Jahr 2009 siegte er mit einem hauchdünnen Vorsprung vor den Kandidaten der vereinigten Opposition. Manche Beobachter sprachen sogar von Wahlbetrug. Seit Jahren gab sich der Präsident als Populist, der öfter die Beschlüsse des Parlaments ignorierte und sich dabei auf die Bevölkerung berief.

Weil sich Basescu auch mit Weggefährten aus dem bürgerlichen Lager zerstritten hatte, bildete sich ein Bündnis aus Sozialdemokraten und Nationalliberalen, das einen betont EU-freundlichen Kurs steuerte. Basescu hatte aus taktischen Gründen hingegen mittlerweile EU-kritische Töne angeschlagen, was vor allem in den ländlichen Regionen Rumäniens auf Sympathie stieß.

Die aktuelle Zuspitzung des schon jahrelang schwelenden rumänischen Machtkampfs wurde vom Sturz der konservativen Regierung im Mai durch ein Misstrauensvotum im Parlament ausgelöst. Daraufhin übernahm die Koalition der Präsidentenkritiker die Regierung und machten sich sofort an die Arbeit, den Präsidenten zu entmachten. Eine Zusammenarbeit wie in Frankreich scheint in Rumänien wegen persönlicher Feindschaften der Spitzenpolitiker schwer denkbar.

Endgültige Niederlage des Präsidenten längst nicht sicher

Doch ob nicht am Ende wieder Basescu über seine Gegner triumphiert, ist noch längst nicht ausgemacht. Er könnte wie bei der Wahl 2009 am Ende doch als Verlierer dastehen. Denn nach einer Niederlage im Parlament muss der Präsident sein Amt sofort aufgeben. Allerdings muss innerhalb von 30 Tagen ein Referendum abgehalten werden. Damit könnte Basescu an die Macht zurückkommen.

Allerdings hat die sozialliberale Regierung die Hürden für eine erfolgreiche Ablösung des Präsidenten gesenkt. Jetzt reicht eine Mehrheit der abgegebenen Ja-Stimmen für eine Absetzung des Präsidenten. Vorher mussten die Wahlberechtigten zustimmen. An dieser hohen Hürde ist bereits 2007 ein Abwahlverfahren gegen Basescu gescheitert. Auch die Eingriffsmöglichkeiten des Verfassungsgerichts wurden reduziert. Dieser Machtkampf ist allerdings kein stiller Putsch, wie es auch in einigen Medien hierzulande interpretiert wird. Es ist vielmehr ein relativ normales Prozedere in einer bürgerlichen Demokratie, dass neue Mehrheiten im Parlament auch personelle Konsequenzen nach sich ziehen, zumal in einer Situation wie in Rumänien, wo die innenpolitische Situation so polarisiert ist.

Die zahlreichen Elemente der Volksabstimmung und Referenden, die in der rumänischen Verfassung existieren, werden von manchen Verfechtern der direkten Demokratie gar als Fortschritt gegenüber der Situation in Deutschland gesehen. Allerdings wird am Beispiel der rumänischen Innenpolitik auch deutlich, dass diese Instrumente für populistische Spiele verfeindeter Machtpolitiker und Machtblöcke genutzt werden können. Die Bevölkerung, die vor einigen Monaten mit Protesten auf sich aufmerksam machte, bleibt dabei weitgehend ausgeschlossen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152342
Peter Nowak

Bleibt Merkel am Ende doch Siegerin in der EU?

Immer häufiger werden Zweifel daran laut, ob der erste Eindruck nach dem EU-Gipfel richtig war

Nach der Brüsseler EU-Konferenz in der letzten Woche wurde Bundeskanzlerin Merkel in den Medien im In- und Ausland als Verliererin angesehen. Auch die Opposition im Berliner Bundestag hatten nur Hohn und Spott für eine Bundeskanzlerin übrig, die gegen alle vorherigen Verlautbarungen akzeptieren musste, dass sich marode Banken direkt Gelder aus dem Europäischen Rettungsschirm leihen können. Ökonomen halten diese Regelungen für sehr vernünftig.

In den letzten Tagen wurden dann auch Berichte über die entscheidenden Stunden in Brüssel in den Medien lanciert. Danach habe der italienische Ministerpräsident Monti mit Rücktritt gedroht, wenn die deutsche Regierung in dieser Frage kein Entgegenkommen gezeigt hätte. Damit wäre, kaum dass Griechenland im Sinne der EZB abgestimmt hat, mit Italien ein neues Land für Monate politisch handlungsunfähig geworden.

Da der maßgeblich von den EU-Gremien zum Rücktritt gedrängte Langzeitministerpräsident Berlusconi noch immer überlegt, ob er sich als Rache noch einmal mit einem dezidierten Anti-EU-Kurs zur Wahl stellt und es vielleicht möglich wäre, ob er damit bei den Wählern punkten könnte, wäre mit einer italienischen Regierungskrise ein neuer massiver Unsicherheitsfaktor in das knirschende EU-Gebäude gekommen. Da Italien, Spanien und Frankreich in Brüssel zusammenarbeiteten, sei die deutsche Politik in Brüssel isoliert gewesen, so die Gipfelberichte (Allein gegen den Rest Europas).

Keine automatische Bankenhilfe beschlossen

Doch nun mehren sich die Zweifel, ob der erste Eindruck überhaupt richtig war. Denn bei den Berichten aus Brüssel wurde oft vergessen, dass die Beschlüsse mit vielen Konditionen verbunden waren und so erst einmal auf die lange Bank geschoben werden können. So betonte Regierungssprecher Steffen Seibert, dass in Brüssel kein Instrument einer automatischen Bankenhilfe beschlossen worden ist. Vielmehr wurde in den Vereinbarungen festgehalten, dass man sich auf den Weg zu einer europäischen Bankenaufsicht machen wolle.

Erst wenn die existiere, seien direkte Hilfen an die Banken möglich. Nun ist die Einrichtung einer solchen Bankenaufsicht aber alles andere als gesichert. Im Gegenteil. Der Artikel 6 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU schreibt einen einstimmigen Beschluss des EU-Rats aller 27 Mitgliedsländer vor. Beobachter der EU-Politik halten es für ziemlich sicher, dass zumindest Tschechien und Griechenland dagegen sind.

In beiden Ländern regieren EU-skeptische Politiker mit und von Großbritanniens Politikern ist schon lange bekannt, dass sie sich als Lobbyisten des Londoner Finanzplatz sehen und alles ablehnen, was nach Bankenregulierung und -aufsicht klingt.

Der christdemokratische Vorsitzende des Europa-Ausschusses im Bundestag Günther Krichbaum erklärtauch unumwunden: „Meine Prognose ist: Die Briten werden sich äußerst schwer tun, ein Vertragswerk zu ratifizieren, das den Londoner Finanzplatz schwächt.“

Also bleiben die Brüsseler Beschlüsse zunächst einmal vor allem Absichtserklärungen. Dass wissen auch die Merkel-Kontrahenten auf dem EU-Gipfel, die wie der italienische und spanische Ministerpräsident selber beinharte Marktliberale sind. Nur müssen sie eben die Sparbeschlüsse, die große Einschnitte für die Bevölkerungen bedeuten, irgendwie schmackhaft machen. So kann Monti als angeblicher Sieger in Brüssel besser seine Pläne einer massiven Kürzung der Ausgaben der öffentlichen Verwaltungen durchsetzen. 30 Milliarden Euro sollen dabei eingespart werden und Personalstellen im fünfstelligen Bereich werden.

Unterschiedliche Stimmen aus der CSU

Auch in Deutschland wissen selbst manche von Merkels Parteifreunden nicht, ob sie sie als Siegerin oder Verliererin von Brüssel sehen sollen. Während der CSU-Vorsitzende Seehofer vor einigen Tagen sogar mit einem Koalitionsbruch drohte, wenn die Regierung Deutschlands Position zur Schuldenfrage in Europa nicht verteidigen kann, gibt der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber in einem Interview Entwarnung:

„Ich möchte das ausdrücklich festhalten! Der Herr Monti interpretiert das so, dass er die Haftung über die Hintertür bekommt. Es steht ausdrücklich in den Dokumenten von der Einlagensicherung nichts drin. Aber unter Bankenunion versteht natürlich Herr Monti nicht nur die Rekapitalisierung der Banken und eine europäische Aufsichtsstruktur, sondern auch am Ende eine gesamtschuldnerische Haftung für alle Einlagen, und genau das ist die Brandmauer, wo Merkel klar gesagt hat, das geht nicht, und das werden wir auch im Europäischen Parlament so festlegen.“

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152332
Peter Nowak

Kann eine Obsttüten-Aktion antisemitisch sein?

Die christliche Friedensorganisation Pax Christi will darauf aufmerksam machen, „dass Obst und Gemüse mit der Ursprungsangabe ‚Israel‘ vielfach aus völkerrechtswidrigen Siedlungen stammt“

„Handeln im Geist von Frieden und Völkerverständigung“, heißt es auf der Website, auf der die christliche Friedensorganisation Pax Christi für die Obsttüten-Aktion „Besatzung schmeckt bitter“ wirbt. Auf der einen Seite der Homepage findet sich das Foto eines ökumenischen Zusammentreffens vor der Sicherheitsmauer zum Westjordanland, auf der anderen Seite sieht man bunt gemaltes Obst vor der düster grauen Mauer.

In diesem naiven Szenario wirkt der Text etwas deplaziert, der das eigentliche Anliegen der Obsttütenaktion ist: „Mit der bundesweiten Aktion ‚Besatzung schmeckt bitter‘ möchte die Nahostkommission von pax christi Verbraucher/innen darauf aufmerksam machen, dass Obst und Gemüse mit der Ursprungsangabe ‚Israel‘ vielfach aus völkerrechtswidrigen Siedlungen stammt.“

Auf der Linkliste der Kampagnenhomepage wird auch die Kampagne „Keine Waren aus israelischen Siedlungen in den Warenkorb“ beworben. Das Motto erinnert semantisch doch sehr stark an einen Warenboykott gegen Israel und so war eine heftige Debatte um die als Verbraucherschutz und Konsumentenkritik firmierende Papiertüten-Aktion absehbar und vielleicht sogar eingeplant.

Kein Israelboykott?

Die Debatte entzündete sich an der Person des sozialdemokratischen Oberbürgermeisters von Jena. Albrecht Schröter gehört neben bekannten jüdischen Oppositionellen zu den Unterstützern des Aufrufs und geriet daher im In- und Ausland heftig in die Kritik. Die Jerusalem Post schrieb:

„Führende deutsche Nichtregierungsorganisationen klagten den Sozialdemokratischen Bürgermeister von Jena im Bundesland Thüringen, Albrecht Schröter, wegen der Unterstützung des Boykotts israelischer Produkte an, der so aggressiv ist, dass er die Nazi-Kampagne „Kauf nicht bei Juden“ wiederholt und zur Delegitimierung des jüdischen Staates beiträgt.“

Damit wurde die Obsttüten-Aktion mit Aufrufen kurz geschlossen, die einen Boykott von Waren aus Israel fordern. Dagegen stellte Schröter klar: „Einen generellen Boykott von Waren aus Israel halte ich nicht für richtig.“ Diese Differenzierung drang allerdings nicht so richtig durch.

Ein Grund liegt wohl an der Aktion selber. .“Der Aufruf ist wegen seiner Fehlinterpretierbarkeit und seiner Undifferenziertheit sehr umstritten und fand in Thüringen keine weiteren Unterzeichner“, heißt es selbst in einem Text, der Schröter verteidigt und manche seiner Kritiker recht unreflektiert als Strippenzieher bezeichnet .

Allerdings haben natürlich auch die Schröter-Kritiker politische Interessen. So zählt der stellvertretende Vorsitzende der Deutsch-israelischen Gesellschaft Erfurt, Kevin Zdiara, ebenso dazu wie die nach rechts offene ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin Vera Lengsfeld, die polemisch fragt, ob der OB Jena judenwarenrein halten wolle.

Gemeinsamkeiten im Kampf gegen rechts?

Wie öfter in der letzten Zeit, vor allem seit den islamistischen Anschlägen vom 11.9. in den USA, hat sich auch gegen Schöters Unterschrift eine Allianz gebildet, die von Rechtskonservativen bis zu israelsolidarischen Ex-Linken reicht, die die Antisemiten heute vor allem in den unterschiedlichen Spielarten der Linken und bei den Nichtregierungsorganisationen sehen. Schröter taugt für manche Rechtskonservativen schon deshalb zum Feindbild, weil er als einer der wenigen Politiker in Regierungsverantwortung für die Blockaden des Neonaziaufmarsches in Dresden eingetreten ist und dabei auch keine Berührungsängste zur außerparlamentarischen Linken hatte.

Etwas beruhigt hat sich mittlerweile der Streit durch eine „Gemeinsame Erklärung“, die Schröter mit der Deutsch-Israelischen Gesellschaft Erfurt und der Jüdischen Landesgemeinde Thüringen unterzeichnet hat. Die Unterzeichner betonen bei allen Differenzen zu der Obsttüten-Aktion, dass es keine persönlichen Diffamierungen geben dürfe und dass die Gemeinsamkeiten im Kampf gegen Rechts weiterhin überwiegen.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152323
Peter Nowak

Kampf um ein deutsches Europa mit Bild, Glotze und BamS

Kampf um ein deutsches Europa mit Bild, Glotze und BamS
Das von Wolfgang Schäuble ins Gespräch gebrachte Referendum ist vor allem Populismus

Den Bundestagsabgeordneten wurde in die Sommerpause ein ungewöhnlicher Ratschlag mitgegeben. Sie sollen nicht so weit raus schwimmen und immer das Handgepäck griffbereit haben. Schließlich ist der ESM-Vertrag und der Fiskalpakt noch nicht in trockenen Tüchern, auch wenn am Freitag kurz vor Mitternacht eine große Mehrheit zugestimmt hat. Doch weil auf dem EU-Gipfel in Brüssel wenige Stunden zuvor gegen Merkels hinhaltenden Widerstand beschlossen wurde, dass auch strauchelnde Banken unter den Rettungsschirm schlüpfen können, muss das Parlament bald erneut entscheiden. Zudem fragen sich viele, wie das Bundesverfassungsgericht entscheiden wird, das unmittelbar nach der Abstimmung am Freitag in Sachen ESM von rechten und linken Politikern angerufen wurde. Es geht schlicht und einfach darum, dass die deutsche Verfassung eben rein nationalstaatlich ausgelegt war und mit den Erfordernissen einer europäischen Politik kollidiert.

Dieses Dilemma haben auch führende Politiker wie Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble erkannt, der in die Sommerloch-Debatte den Vorschlag einer Volksabstimmung ins Gespräch brachte, mit das Grundgesetz so umgestaltet werden kann, dass Befugnisse auf die EU-Ebene übertragen werden können.

Populistische EU-Kritik

Nun ist es schon ein seltsamer Vorgang, dass ein Vertreter der Unionsparteien CDU/CSU, die immer gegen Volksabstimmungen aufgetreten sind und sich beharrlich dagegen gesperrt haben, dass für Deutschlands Reunion eine neue in einer Volksabstimmung beglaubigte Verfassung erarbeitet wird, auf einmal einen solchen Vorschlag in die Debatte wirft. Da es überhaupt noch keine erarbeiteten Gesetzentwürfe gibt, die zur Abstimmung gestellt werden, verfolgt Schäuble damit durchaus wahltaktische Züge.

Der in breiten Kreisen der Bevölkerung vorhandene Unmut über das intransparente Prozedere der EU-Gesetzgebung soll hier populistisch genutzt werden. Der Soziologe Thomas Wagner hat aufgezeigt, wie angeblich basisdemokratisches Instrumente, wie die Volksabstimmung schon längst Tools für populistische Regierungspraktiken geworden sind (Ein Hauch Bonapartismus in Berlin?).

Besonders, wenn solche Referenden von amtierenden Politikern lanciert werden, liegt der Verdacht nahe. Beispiele aus der Schweiz und Österreich gibt es in den letzten Jahren dafür genug. Dort sind es häufig rechtspopulistische Organisationen und Parteien, die solche Volksabstimmungen für ihre Politik nutzen. Daran knüpfen auch bundesdeutsche Rechtsparteien an. So sprach sich ein Redner der NPD am vergangenen Freitag auf einer Kundgebung in Berlin für eine Volksabstimmung zum ESM und zum Fiskalpakt aus. Nur wenige hundert Meter demonstrierte das linksreformerische Spektrum von Attac bis Linken und Grünen gegen ESM und Fiskalpakt und forderten ebenfalls eine Volksabstimmung. Nun ist es manchmal nicht zu vermeiden, fast die gleichen Forderungen wie die NPD zu haben. Wenn aber eine Attac-Gruppe auf Postkarten die Abstimmung über den Fiskalpakt mit den Ermächtigungsgesetz der Nazis 1933 vergleicht, was die Organisationen mittlerweile bedauert und die gleiche Kritik aus dem Mund von NPD-Funktionären kommt, ist es schon kein Zufall mehr, sondern Ergebnis einer verkürzten und ungenauen EU-Kritik.

Die wird auch in einem Interview mit der ehemaligen sozialdemokratischen Justizministerin Herta Däubler-Gmelin deutlich, die eine der Kläger gegen den EMS und Fiskalpakt ist. Dort betont sie einerseits für ein besseres Europa zu sein, beklagt aber heftig, dass dem Bundestag durch diese Verträge Kompetenzen entzogen werden.

Kein Wort wird dagegen darüber geäußert, dass Parlamenten in Italien, Portugal und vor allem Griechenland in den letzten Monaten durch die wesentlich von Deutschland forcierte europäische Sparpolitik massiv Kompetenzen entzogen worden sind. Ein Großteil der jetzigen Kritiker des Kompetenzverlustes des deutschen Bundestags haben dazu geschwiegen, als der damalige sozialdemokratische Ministerpräsident Griechenlands von der EU-Troika geradezu genötigt wurde, sein angekündigtes Referendum zu den Sparbeschlüssen zurück zu nehmen und selber zurückzutreten.

An der Spitze der Politiker, die sich vehement gegen eine solche Befragung der Bevölkerung wandten, gehörte auch Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Das ist aber nicht verwunderlich. Denn, dass die Bevölkerung über die ihnen zugemuteten sozialen Zumutungen abstimmen kann, ist auch im Schäuble Vorschlag nicht vorgesehen. Es geht vielmehr darum, dafür zu sorgen, dass der Einfluss Deutschlands in Europa erhalten bleibt.

Gerade in den letzten Wochen nach der Wahl eines Präsidenten in Frankreich, der sich im Gegensatz zu seinen Vorgänger gegen das deutsche Sparmodell ausgesprochen hat, kann Merkel nicht mehr schalten und walten, wie sie will in der EU. Das wurde beim Brüsseler Gipfel vor wenigen Tagen schon deutlich, wo Spanien und Italien den neuen Wind aus Frankreich genutzt haben, um Merkel bei ihrem Spardiktat Paroli zu bieten (Allein gegen den Rest Europas).

Stimmung entfachen

Schäuble selbst hat das neue Selbstbewusstsein der anderen EU-Partner zu spüren bekommen. Er konnte nicht zum Leiter der EU-Gruppe ernannt werden, was die Bundesregierung scheinbar schon als selbstverständlich vorausgesetzt hatte. In Kommentaren war nach dem Gipfel in Brüssel schon von zwei Niederlagen Deutschlands die Rede, einer im Fußball und einer beim EU-Gipfel. In einer solchen Situation bekommen populistische Strömungen nicht nur am rechten Rand Auftrieb, die darüber lamentieren, dass Deutschland Zahlmeister Europas sei und dann noch überstimmt werde.

Mit einer Volksabstimmung kann eine solche Stimmung erst richtig entfacht werden. Deutsche Politiker können gegen eine weitere Aufweichung der deutschen Linie in der EU ins Feld führen, dass sie dann zu Hause um ihre Mehrheiten fürchten müssen und eine EU wohl ohne Griechenland, nicht aber ohne Deutschland funktionieren würde. Wenn nach dem Brüssel-Gipfel in regierungsnahen Zeitungen kommentiert wurde, Merkel habe dort eine Schlacht, aber nicht den Krieg verloren, ist das ernst zu nehmen. Jetzt soll der Kampf um ein deutsches Europa auch mit Bild, BamS und Glotze geführt werden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152315
Peter Nowak

Mehr Einfluss für den Bundestag in der EU


Bundesverfassungsgericht stärkt die Rechte des Bundestages, aber nicht die Demokratie in Europa

Die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stärkt die Rechte des Bundestages in einem Europa, in dem Parlamentsrechte vor allem der Länder der Peripherie durch wesentlich von Deutschland mit initiierte Sparprogramme missachtet werden

„Grüner Sieg“, heißt es auf der Homepage der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen. Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht ihren Antrag stattgegeben und die Bundesregierung gerügt, weil sie das Parlament zu spät und ungenügend über europäische Entscheidungen informiere.

Konkret hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Bundesregierung gegenüber den Deutschen Bundestag sowohl im Hinblick auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus als auch hinsichtlich der Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes in seinen Unterrichtungsrechten aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt hat.

Dieser Artikel räumt dem Bundestag in Angelegenheiten der EU weitgehende Informations- und Mitwirkungsrechte ein. Das Gericht erklärte jetzt, dass es sich auch bei den völkerrechtlichen Verträgen um solche Angelegenheiten der EU handelt, wenn sie in einem besonderen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen. Ausdrücklich stellt das Gericht klar, dass diese Informationspflicht sich nicht nur auf die Initiativen der Bundesregierung beschränkt: „Die Unterrichtungspflicht erstreckt sich vielmehr auch auf die Weiterleitung amtlicher Unterlagen und Dokumente der Organe, Gremien und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten.“

Der Bundestag müsse die Gelegenheit haben, sich mit den Initiativen zu befassen und eigene Stellungnahmen zu verfassen, bevor die Bundesregierung dazu rechtsverbindliche Erklärungen abgibt oder Vereinbarungen unterzeichnet. Die Grenzen der Informationspflicht sieht das Gericht im Grundsatz der Gewaltenteilung begründet. Solange bestimmte Vorhaben noch in der Beratungsphase sind, bestehe noch keine Pflicht, den Bundestag zu unterrichten. Wenn die Bundesregierung allerdings mit Zwischen- und Teilergebnissen an die Öffentlichkeit geht, müsse auch das Parlament informiert werden.


Ein guter Tag für die Demokratie und Europa?

Erwartungsgemäß feiern die Grünen die Entscheidung in den höchsten Tönen und sprechen von „einer guten Entscheidung für die Demokratie in Deutschland und Europa“. Doch gerade hier müssten Fragezeichen gesetzt werden. Tatsächlich stärkt die Gerichtsentscheidung zunächst lediglich die Rechte des Deutschen Bundestags – auch bei europäischen Entscheidungen, die alle anderen EU-Staaten tangiert. Damit werden auch die Rechte des Bundestags in Europa gestärkt, wodurch auch auf diesem Gebiet die realen Kräfteverhältnisse in der EU sichtbar werden.

In zentralen Fragen ist Deutschland die Führungsmacht und das passt durchaus nicht allen EU-Regierungen, noch weniger der Bevölkerung. Die Warnungen vor einem deutschen Europa bzw. dem deutschem Sparmodell sind mittlerweile nicht nur in Griechenland, sondern auch in Spanien, Belgien und Italien zu hören. Die Gerichtsentscheidung stärkt diese Machtstellung im Bereich des Parlaments. Einen guten Tag für eine Demokratie in Europa kann daher nur sehen, wer das Machtgefälle und auch die unterschiedlichen Interessen der Länder der EU ausblendet.

Schließlich war die deutsche Regierung maßgeblich daran beteiligt, als Druck auf die Regierungen von Griechenland, Italien, Spanien und Portugal ausgeübt wurde, bei den Verhandlungen mit der EU Parlamentsrechte zu minimieren. Da sollten Verpflichtungen eingegangen werden, die ausdrücklich nicht durch Änderungen der Mehrheitsverhältnisse mittels Wahlen tangiert werden durften. In vielen Ländern der europäischen Peripherie gab es Klagen, dass mit dem EU-Fiskalpakt und der Schuldenbremse gerade die Entscheidungen von Wahlen und damit auch die Parlamentsrechte ausgehebelt würden. Daher ist es zumindest ein sehr deutscher Blick, wenn nun die verstärkte Informationspflicht des Parlaments als guter Tag für die Demokratie in Europa gefeiert wird.

Folgen für den EMS

Obwohl die Grünen die Gerichtsentscheidung besonders feierten, zeigten sich auch alle Parteien mit der Entscheidung zufrieden. Uneinigkeit gibt es lediglich über die Folgen für das weitere parlamentarische Prozedere um den EMS. Die Grünen sehen klare Konsequenzen bei den morgigen Verhandlungen zum EMS und fordern die Bundesregierung auf, die Parlamentsrechte auch bei den Begleitgesetzen zum Fiskalpakt zu stärken.

Es hätte den Grünen gut angestanden, auch für die Parlamente von Portugal, Spanien und Griechenland solche Rechte einzufordern. Dann wäre die Entscheidung tatsächlich ein guter Tag auch für die Demokratie in Europa gewesen. So ist es ein Machtzuwachs des deutschen Parlaments in Europa.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152236
Peter Nowak