Deutschland – Rettungssanitäter oder Teil des europäischen Problems?

Die Polemik zwischen Eurogruppenchef Juncker und führenden Unionspolitkern ist ein Indiz für die Zuspitzung der Krise

Lange Zeit galt Eurogruppenchef Jean Claude Juncker als Verbündeter der deutschen Bundesregierung in der Euro-Krise. Er sucht nicht nur auf Fotos immer wieder demonstrativ die Nähe zu Mitgliedern der Bundesregierung. Auch in der Disziplinierung der europäischen Peripherie schien es wenige Unterschiede zu geben. Doch jetzt ist ausgerechnet ein Streit unter den ehemaligen Verbündeten ausgebrochen.

Anlass war ein Interview Junckers in der Süddeutschen Zeitung, wo er vor einem Zerfall der Eurozone warnt. Die Welt rede darüber, ob es in einigen Monaten die Eurozone noch gibt, Juncker folgerte:

„Wir müssen jetzt mit allen verfügbaren Mitteln überaus deutlich machen, dass wir fest entschlossen sind, die Finanzstabilität der Währungsgemeinschaft zu gewährleisten.“

Hätte er es dabei belassen, hätte das Interview wohl in Deutschland kaum so viel Aufmerksamkeit erregt. Doch Juncker sparte auch nicht mit Kritik an der deutschen Politik und nahm sich vor allem Politiker aus Union und FDP vor, die Griechenland einen Austritt aus der Eurozone nahe legen. „Nur um einen billigen innenpolitischen Diskurs zu unterstützen, sollte man den Austritt nicht mal als Hypothese behandeln“, moniert Juncker. Und er wurde noch deutlicher:

„Wieso eigentlich erlaubt sich Deutschland den Luxus, andauernd Innenpolitik in Sachen Eurofragen zu machen? Warum behandelt Deutschland die Euro-Zone wie eine Filiale? Wenn das alle 17 Regierungen machten, was bliebe dann übrig von dem was uns gemeinsam ist. Warum ist das so?“

Nun wird sich der sowohl ökonomisch versierte als auch mit den europäischen Machtverhältnissen vertraute Juncker diese Fragen selber beantworten können. Sie sind ein Indiz für die zunehmende Nervosität in Kerneuropa, die eben nicht zu einem Schulterschluss, sondern zu einem Streit verschiedener Machtgruppen führt.

Kann sich Juncker am „Rettungssanitäter Deutschand“ leisten?

Der Fehdehandschuh wurde in Deutschland sofort aufgegriffen. Die CSU-Politiker Alexander Dobrinth und Horst Seehofer griffen den Fehdehandschuh umgehend auf und zweifelten daran, ob Juncker auf den Posten noch der Richtige sei. Dabei ist die Wortwahl der beiden Politiker einer deutschen Regierungspartei interessant.

„Wenn man jetzt dem Rettungssanitäter die Schuld in die Schuhe schiebt für den Unfall, dann zeigt das einfach, wie verdreht die Welt an dieser Stelle ist“, moniert Dobrinth und stellt damit deutlich klar, wie er und viele andere Politiker der Regierungskoalition die Machtverhältnisse in Europa sehen. Der Retter Deutschland steht außerhalb jeder Kritik.

Die gab es freilich schon lange. Seit Monaten erinnern Ökonomen, soziale Initiativen und auch Politiker vor allem aus den südeuropäischen Staaten daran, dass die Wirtschafts- und Niedriglohnpolitik Deutschlands das zentrale Problem in der Eurozone ist. Diese Kritik hat man im politischen Berlin aber weitgehend ignorieren können. Doch nun hat die Verschärfung der Krise den Streit in das sogenannte Kerneuropa getragen, für das zu sprechen die deutsche Politik immer beansprucht hat. Die Auseinandersetzung wird die Krise schon deshalb vergrößern, weil natürlich die berühmten Märkte einen solchen Streit als Ausdruck der Krise sehen und entsprechen reagieren.

Doch das Problem liegt tiefer. Es sind die Konstruktionsfehler der Eurozone, in der wirtschaftlich nicht kompatible Ökonomien zusammengebracht wurden, um auf dem Weltmark gegen China und die USA zu konkurrieren. Es ist das kapitalistische Wertgesetz, dass sich hier gegen die Politik Geltung verschafft. In der Krise fällt nun den Politikern allen Parteien nur ein, hinter ihrem heimischen Standort in Deckung zu geben. Schließlich leben dort ihre Wähler. Dabei müsste jeder europäische Politiker, der es ehrlich meint, das Scheitern dieses gegen jede ökonomischen Gesetze zusammengebastelten Euromodells konstatieren und Modelle einer Rückabwicklung, ohne nationalistische und populistische Anwandlungen gemeinsam mit der Bevölkerung entwickeln

Aber so viel Mut zur Ehrlichkeit fehlt allen Politikern und daher fällt ihnen in der voraussehbaren kritischen Situation nur die Zuflucht zu Populismus und zur Verteidigung ihres jeweiligen Heimat-Standortes ein. Daher dürften wir noch viele solcher Auseinandersetzungen erleben. Auch die sozialen Initiativen, die Modelle für ein soziales Europa entwickeln und dies auch in praktischen Auseinandersetzungen durchsetzten müssten, scheinen im deutschen Sommerloch verschwunden. Derweil bleiben die wenigen sozialen Kämpfe gegen die Eurokrisenpolitik hoffnungslos isoliert.

Es ist bezeichnend, dass die Meldung, wonach griechische Stahlarbeiter nach massiver Polizeirepression jetzt ihren monatelangen Streik aufgeben mussten, nicht auf der Homepage der diversen Krisenbündnisse, sondern des Flugladens wahrgenommen wurde. Die Botschaft an die Zielgruppe ist klar. Auf der Titanic-Eurozone geht die Party weiter bis zum Untergang und die Crew streitet sich . derweil, wer die letzten Rettungsboote losbindet. Fragt sich nur, wer drin sitzen wird.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152495
Peter Nowak