Mehr Einfluss für den Bundestag in der EU


Bundesverfassungsgericht stärkt die Rechte des Bundestages, aber nicht die Demokratie in Europa

Die heutige Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts stärkt die Rechte des Bundestages in einem Europa, in dem Parlamentsrechte vor allem der Länder der Peripherie durch wesentlich von Deutschland mit initiierte Sparprogramme missachtet werden

„Grüner Sieg“, heißt es auf der Homepage der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/ Die Grünen. Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht ihren Antrag stattgegeben und die Bundesregierung gerügt, weil sie das Parlament zu spät und ungenügend über europäische Entscheidungen informiere.

Konkret hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts entschieden, dass die Bundesregierung gegenüber den Deutschen Bundestag sowohl im Hinblick auf den Europäischen Stabilitätsmechanismus als auch hinsichtlich der Vereinbarung des Euro-Plus-Paktes in seinen Unterrichtungsrechten aus Art. 23 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt hat.

Dieser Artikel räumt dem Bundestag in Angelegenheiten der EU weitgehende Informations- und Mitwirkungsrechte ein. Das Gericht erklärte jetzt, dass es sich auch bei den völkerrechtlichen Verträgen um solche Angelegenheiten der EU handelt, wenn sie in einem besonderen Näheverhältnis zum Recht der Europäischen Union stehen. Ausdrücklich stellt das Gericht klar, dass diese Informationspflicht sich nicht nur auf die Initiativen der Bundesregierung beschränkt: „Die Unterrichtungspflicht erstreckt sich vielmehr auch auf die Weiterleitung amtlicher Unterlagen und Dokumente der Organe, Gremien und Behörden der Europäischen Union und anderer Mitgliedstaaten.“

Der Bundestag müsse die Gelegenheit haben, sich mit den Initiativen zu befassen und eigene Stellungnahmen zu verfassen, bevor die Bundesregierung dazu rechtsverbindliche Erklärungen abgibt oder Vereinbarungen unterzeichnet. Die Grenzen der Informationspflicht sieht das Gericht im Grundsatz der Gewaltenteilung begründet. Solange bestimmte Vorhaben noch in der Beratungsphase sind, bestehe noch keine Pflicht, den Bundestag zu unterrichten. Wenn die Bundesregierung allerdings mit Zwischen- und Teilergebnissen an die Öffentlichkeit geht, müsse auch das Parlament informiert werden.


Ein guter Tag für die Demokratie und Europa?

Erwartungsgemäß feiern die Grünen die Entscheidung in den höchsten Tönen und sprechen von „einer guten Entscheidung für die Demokratie in Deutschland und Europa“. Doch gerade hier müssten Fragezeichen gesetzt werden. Tatsächlich stärkt die Gerichtsentscheidung zunächst lediglich die Rechte des Deutschen Bundestags – auch bei europäischen Entscheidungen, die alle anderen EU-Staaten tangiert. Damit werden auch die Rechte des Bundestags in Europa gestärkt, wodurch auch auf diesem Gebiet die realen Kräfteverhältnisse in der EU sichtbar werden.

In zentralen Fragen ist Deutschland die Führungsmacht und das passt durchaus nicht allen EU-Regierungen, noch weniger der Bevölkerung. Die Warnungen vor einem deutschen Europa bzw. dem deutschem Sparmodell sind mittlerweile nicht nur in Griechenland, sondern auch in Spanien, Belgien und Italien zu hören. Die Gerichtsentscheidung stärkt diese Machtstellung im Bereich des Parlaments. Einen guten Tag für eine Demokratie in Europa kann daher nur sehen, wer das Machtgefälle und auch die unterschiedlichen Interessen der Länder der EU ausblendet.

Schließlich war die deutsche Regierung maßgeblich daran beteiligt, als Druck auf die Regierungen von Griechenland, Italien, Spanien und Portugal ausgeübt wurde, bei den Verhandlungen mit der EU Parlamentsrechte zu minimieren. Da sollten Verpflichtungen eingegangen werden, die ausdrücklich nicht durch Änderungen der Mehrheitsverhältnisse mittels Wahlen tangiert werden durften. In vielen Ländern der europäischen Peripherie gab es Klagen, dass mit dem EU-Fiskalpakt und der Schuldenbremse gerade die Entscheidungen von Wahlen und damit auch die Parlamentsrechte ausgehebelt würden. Daher ist es zumindest ein sehr deutscher Blick, wenn nun die verstärkte Informationspflicht des Parlaments als guter Tag für die Demokratie in Europa gefeiert wird.

Folgen für den EMS

Obwohl die Grünen die Gerichtsentscheidung besonders feierten, zeigten sich auch alle Parteien mit der Entscheidung zufrieden. Uneinigkeit gibt es lediglich über die Folgen für das weitere parlamentarische Prozedere um den EMS. Die Grünen sehen klare Konsequenzen bei den morgigen Verhandlungen zum EMS und fordern die Bundesregierung auf, die Parlamentsrechte auch bei den Begleitgesetzen zum Fiskalpakt zu stärken.

Es hätte den Grünen gut angestanden, auch für die Parlamente von Portugal, Spanien und Griechenland solche Rechte einzufordern. Dann wäre die Entscheidung tatsächlich ein guter Tag auch für die Demokratie in Europa gewesen. So ist es ein Machtzuwachs des deutschen Parlaments in Europa.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152236
Peter Nowak

Die Schonfrist ist vorbei

Die neue Partei hat eine ausgewachsene Abgrenzungsdebatte am Hals. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, die eigenen Positionen zu klären

Eben waren die Piraten noch die Trendsetter der Saison. Niemand schien ihren Erfolgskurs aufhalten zu können. Doch seit einigen Tagen weht den politischen Newcomern scharfer Gegenwind entgegen. Wie hält es die neue Partei mit Meinungen, die in der Gesellschaft als rassistisch, antisemitisch oder sexistisch geächtet sind, lautet die große Frage.

Ausgelöst hat die Debatte ein Urteil des Parteischiedsgerichts, das letzte Woche feststellte, dass das Piratenmitglied Bodo Thiesen nicht ausgeschlossen werde, obwohl er öfter Geschichtsauffassungen vertritt, die sonst nur am ganz rechten Rand überhaupt ernsthaft diskutiert werden. So zeigte Thiesen Verständnis für den Angriff des NS-Regimes auf Polen und stellte das Ausmaß der Shoah in Zweifel.

Weil aber Thiesen deswegen in der Vergangenheit schon gerügt worden sei, könne er nicht ein zweites Mal wegen dieser Äußerungen bestraft werden, befand das Gericht. Damit blieb inhaltlich offen, wie die junge Partei es nun mit ihren Rechten hält.

Rasanter Aufstieg

Schnell wurde klar, dass der Fall Thiesen keine Ausnahme ist. „Immer wieder fallen Mitglieder der Partei durch rassistische, sexistische, aber auch anderweitig diskriminierende Aussagen oder Verhaltensweisen auf“, heißt es in einen Offenen Brief von Piratenmitgliedern, die sich für eine stärke Abgrenzung nach Rechts stark machten. Er war schon geschrieben worden, bevor der Fall Thiesen wieder Schlagzeilen machte.

Das Anliegen der vor allem jungen Piraten stieß aber nicht überall bei der Partei auf Zustimmung. Vor allem der erst vor wenigen Wochen gewählte Berliner Piratenvorsitzende Semken bekundete, er halte von der Abgrenzung nach Rechts gar nichts. Obwohl er sich für seine verbalen Angriffe auf Antifaschisten entschuldigte, hat nicht nur die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/Bund der Antifaschisten seinen Rücktritt gefordert. Auch parteiintern gibt es weiterhin Stimmen, die Semken zum Amtsverzicht auffordern. Der will aber einstweilen im Amt bleiben.

Vielleicht kommt ihm zur Hilfe, dass mittlerweile andere bekannte Piratenmitglieder ebenfalls in die Kritik geraten sind. Der Berliner Geschäftsführer der Piratenpartei, Martin Delius, verglich den rasanten Aufstieg seiner Formation mit den Wahlerfolgen der NSDAP in der Endphase der Weimarer Republik. Nun fragen sich viele Beobachter staunend, warum die Partei in jede Falle stolpert, die ausgelegt wird.

Vom Erfolgsmodell zum Handicap

Was vor wenigen Wochen noch als Erfolgsmodell der neuen Partei hochgelobt wurde, ihr Hang zur Unprofessionalität, und ihre nicht nur gespielte Naivität, wird nun, wo es um eine sehr konkrete politische Frage geht, zum Handicap. Denn in der Frage, wie hältst Du es mit rechten Positionen reicht es eben nicht, zu sagen, dazu hat unsere Mitgliedschaft noch keine Meinung und ist am Diskutieren.

Eine rege Debatte gibt es in vielen Ortsgruppen tatsächlich. Da die Piraten alle Beiträge ins Netz stellen, kann man von Ausschlussforderungen gegen ein Bielefelder Piratenmitglied lesen wegen der Äußerung, dass viele Juden die gesamte Welt für ihre Interessen opfern würden. Der Betroffene allerdings will seine Worte keineswegs als antisemitisch verstanden wissen. In Schleswig-Holstein wiederum ist ein Direktkandidat für die Landtagswahl mit der Forderungen aufgefallen, die finanzielle Unterstützung für den Zentralrat der Juden zu reduzieren.

Solche Äußerungen fände man wahrscheinlich auch bei vielen anderen Parteien, wenn sie ihre internen Debatten so offen ins Netz stellen würden. Allerdings stellt sich die neue Partei gerne außerhalb von Zeit und Geschichte. Das wurde schon bei der Bundespräsidentenwahl deutlich, als die Vertreter der Piraten in der Bundesversammlung lediglich mit Verweis auf das Alter der beiden Kandidaten begründeten, warum sie weder Gauck noch Klarsfeld mitwählen könnten.

Wider die Korrektheit

Diese als Naivität getarnte historische Amnesie lockt Menschen aus dem rechten Lager an. Zumal der auch im Freitag als Vordenker der Piraten interviewte Wätzold Plaum, die politische Korrektness als eine der drei Säulen bezeichnete, auf der das von den Piraten bekämpfte gegenwärtige politische System beruht. Auf den Kampf gegen die politische Correctness aber berufen sich unterschiedliche rechte Strömungen. Dazu gehören die auch im Umfeld der Piraten aktiven Männerrechtler, die in der Partei gegen die von ihnen halluzinierte feministische Diktatur agitieren. Ihre Ausfälle wurden allerdings bisher in der Öffentlichkeit bisher erstaunlich gleichmütig hingenommen.

Diese Schonfrist ist für die Piraten nun vorbei. Für die junge Partei ist die Debatte eine große Chance, ihre Positionen zu klären. Schließlich hatten auch die Grünen in ihrer Anfangsphase Mitglieder aus verschiedenen Strömungen unter ihrem Dach, die später marginalisiert oder zum Austritt gedrängt wurden. Gelingt es den Piraten allerdings nicht, sich vom rechten Rand zu trennen, könnten sie tatsächlich zu einer Partei werden, wie sie die neurechte Wochenzeitung Junge Freiheit schon lange sucht. Die hat sich in ihrem Kommentar auch demonstrativ gegen jede Abgrenzung nach Rechts ausgesprochen.
http://www.freitag.de/politik/1216-die-schonfrist-ist-vorbei
Peter Nowak

Dresden: Rechter Aufmarsch blockiert

An den Blockaden beteiligten sich Menschen allen Alters und der verschiedenen politischen Richtungen.
Am Samstagabend sah man in Dresden-Neustadt viele feiernde Menschen. Sie hatten bei winterlichen Temperaturen teilweise über 10 Stunden auf der Straße ausgeharrt, um den bundesweit größten Aufmarsch von Rechtsextremisten zu verhindern. Wie auch in den vergangenen Jahren, hatte die ansonsten zerstrittene Rechte zum Jahrestag der alliierten Bombardierung von Dresden in die Elbestadt mobilisiert.

Mehrere Tausend Rechte aus Deutschland und dem europäischen Ausland hatten sich am Bahnhof Neustadt versammelt. Doch am Nachmittag erklärte die Polizei, dass sie sich wegen der Blockaden nicht in der Lage sehe, die Demonstration zu gewährleisten. Eine ähnliche Konstellation hatte es schon am 8.Mai 2005 in Berlin gegeben, wo auch eine von Linken und Teilen der Zivilgesellschaft getragene Blockade einen rechten Aufmarsch verhinderte.

In Dresden war dies in den vergangenen Jahren nicht gelungen. Deshalb hatte die rechte Szene die Dresden-Demonstration zu einem festen Termin erklärt. Dass der rechte Aufmarsch in diesem Jahr verhindert werden konnte, lag vor allem an der Kooperation von Antifaszene und Teilen der Zivilgesellschaft, die sich nicht mehr nur auf rein symbolische Proteste, wie Friedensgebete und der von der von führenden sächsischen Politikern initiierte Menschenkette beschränken wollte. An den Blockaden beteiligten sich Menschen allen Alters und der verschiedenen politischen Richtungen.

Während der Mobilisierung zu der Aktion hatte die Polizei Plakate und Flyer beschlagnahmt. Auch die Kampagnenhomepage war abgeschaltet worden. Nach Einschätzung von Aktivisten hat dieses Vorgehen der Polizei die Mobilisierung verstärkt und das Bündnis verbreitert.

Ob mit der erfolgreichen Blockade die Dresdner Aufmärsche der Vergangenheit angehören, ist unklar. Auf rechten Internetseiten wird schon für das Jahr 2011 mobilisiert. Bei den Rechtsextremen wird verbreitet, dass sie alleine von der Polizei gehindert worden seien: „Wenn etwas den Marsch blockiert hat, dann lediglich die Polizei die den linksextremen Pöbel zum Vorwand genommen hat um den Notstand auszurufen.“ Auf Altermedia wird denn auch überlegt, das nächste Mal zu anderen Mitteln zu greifen: „Auf nationaler Seite wird die Frage sein, wie man künftig Veranstaltungen dieser Art durchführt. Der Wille das unter legitimen Mitteln zu tun, ist zwar löblich, aber letztlich doch nicht realisierbar sobald sich abzeichnet, dass die Sache ein paar Nummern größer wird als man dies auf Seiten des Systems bereit ist zuzulassen. Das war am 8. Mai 2005 in Berlin so oder im September 2008 anlässlich des von „pro Köln“ organisierten Anti-Islamkongress.“

 http://www.heise.de/tp/blogs/8/147080

Peter Nowak