Streit um Spendenkampagne

LINKS Organisation der außerparlamentarischen Linken muss für Konferenz neue Räume suchen
Am zweiten Februar-Wochenende wollte die Neue Antikapitalistische Organisation (NAO) den linken Internationalismus wieder beleben. VertreterInnen linker Organisationen aus Portugal, Polen, Syrien, der Türkei, Großbritannien, Dänemark und Griechenland waren eingeladen. Für den 12./13. Februar hat die Organisation der außerparlamentarischen Linken, in der sich trotzkistische Grupppen mit
Antifa-AktivistInnen zusammengeschlossen haben, Workshops, Film- und Diskussionen sowie ein Konzert vorbereitet.Doch nun suchen die VeranstalterInnen neue Räume, weil der Vertrag mit dem Statthaus Böcklerpark gekündigt wurde. Anlass war ein Facebook-Eintrag,
wonach Mehreinnahmen aus dem Konzert der Kampagne „Waffen für die YPG/YPJ – Solidarität mit Rojava“ zukommen sollen. In der kurdischen Provinz im Norden Syriens kämpfen kurdische Guerillas gegen den sogenannten IS. Der Berliner NAO-Sprecher Michael Prütz
spricht von einer Kündigung aus heiteren Himmel und vermutet eine Einflussnahme aus der Kreuzberger Politik. Alex Hadlich vom Trägerverein das Statthauses Böcklerpark führt mehrere Gründe für die Kündigung an. „Wir arbeiten mit Jugendlichen, und zu unserem
Selbstverständnis gehört die Ablehnung von Waffengewalt. Daher kann ich diese Spendenkampagne politisch nicht unterstützen.“ Auch Sicherheitsgründe hätten zur Vertragskündigung geführt, denn türkische NationalistInnen hätten Proteste angekündigt. Zudem hätten sich BürgerInnen ans Bezirksamt gewandt. Eine Einflussnahme habe es aber nicht gegeben. „In der Vergangenheit haben immer wieder linke Veranstaltungen in unseren Haus stattgefunden, und das soll auch so bleiben“,so Hadlich.
aus Taz-Berlin, 2.2.2016
Peter Nowak

„Notfalls auch Schusswaffen an der Grenze einsetzen“

»Berufsausübungsverbot«

Seit knapp 30 Jahren gibt es den »M99 – Gemischtwarenhandel für Revolutionsbedarf« in der Manteuffelstaße 99 in Berlin-Kreuzberg, dem nun die Zwangsräumung droht. Der Betreiber Hans-Georg Lindenau wohnt auch dort. Der gebürtige Franke ist querschnittsgelähmt. Er hat mit der Jungle World gesprochen.

Ist die Ladenbezeichnung ein Werbegag für die linke Szene?

Schon Ende der achtziger Jahre habe ich mich von den als Zensur empfundenen Dogmen der linken Infoladenszene verabschiedet. Der Name spielt darauf an, dass ich am Jahrestag der Revolution von 1848 geboren bin, und ich auch heute noch Revolutionsbedarf habe, ohne einer im Detail festgelegten Linie zu folgen.

Kürzlich hat Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) die Räumung Ihres Ladens bis Ende Februar als Schlag gegen die autonome Szene bezeichnet. Fühlen Sie sich geehrt?

Mich erinnert diese Hetze im Wahlkampf an die Situation 1984. Damals wurde so die Räumung des »Kunst- und Kulturcentrums Kreuzberg« (Kuckuck) vorbereitet, in dem ich aktiv war. Im M99 habe ich diese Arbeit fortgesetzt. Wenn ich einen Räumungstermin bekomme, wünsche ich mir eine Demonstration zur Anhalter Straße 7, wo das Kuckuckshaus noch ohne Fassade und Vorplatz steht.

Bereiten Sie sich auf die drohende Zwangsräumung vor?

Ich will keine Zwangsräumung verhindern, sondern kämpfe dafür, in meinen Laden und in meiner Wohnung bleiben zu können. Daher fordere ich einen Runden Tisch mit Politik und Hauseigentümern, wie vom ehemaligen Kreuzberger Bürgermeister Franz Schulz zugesagt.

Gäbe es nach einer Räumung für Sie eine Alternative?

Ich hätte in meiner sozialen Umgebung Kreuzbergs keine Chance, meine seit 1990 rollstuhlabhängigkeitsgelebte Wohnen-und-Arbeiten-Symbiose mit seit Jahrzehnten auf mich persönlich abgestimmter, besuchsfrequentierter Anwesenheitsassistenz fortzusetzen. Beim Verlust meiner Ladenwohnung würde ich mich psychisch in die isolierte Rollstuhlklasse mit Berufsausübungsverbot zurückversetzt fühlen.

Bekommen Sie Solidarität?

Am 9. Januar gab es die erste Solidaritätsdemonstration durch Kreuzberg. Die Initiativen Bizim und »Zwangsräumung verhindern« haben mir ermöglicht, ein Solidaritätsplakat unter dem Motto »M99 Himmelfahrt« zu erarbeiten. Damit sollen Spenden eingenommen werden, weil ich schon heute durch die drohende Räumung hohe Kosten habe.

http://jungle-world.com/artikel/2016/04/53398.html

Small Talk von Peter Nowak

Staatsräson vor gewerkschaftlicher Solidarität?

Die Gefangenengewerkschaft (GG/BO) ist in den letzten Monaten schnell gewachsen. Von den Basisgewerkschaften IWW und FAU wird sie unterstützt. Nur die zuständige DGB-Gewerkschaft ver.di hatte sich bisher dazu nicht geäußert. Das hat sich jetzt geändert. In einer Sendung des Deutschlandfunks vom 4. Januar, in der über den gewerkschaftlichen Kampf der Gefangenen berichtet wurde, erklärte der Justizvollzugsbeamte und Vorsitzende der Bundesfachkommission Justizvollzug bei ver.di, Andreas Schürholz, auf die Frage einer Unterstützung der GG/BO: »Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, sind aber übereinstimmend zu der Überzeugung gekommen, dass wir das als Gewerkschaft ver.di nicht leisten können, einfach aus dem Grunde, wir sind quasi die Vertreter des Staates, die Gefangenen haben unseren Anordnungen zu folgen, und als Gewerkschaft sind wir eine Organisation, wo Solidarität groß geschrieben wird, wie wollen wir da Gefangene vertreten?« In einer Replik attestiert der Pressesprecher der GG/BO Oliver Rast dem ver.di-Mann »fehlendes gewerkschaftliches Bewusstsein« . Statt die Durchsetzung gewerkschaftlicher Mindeststandard auch für Kolleg_innen im Knast, sehe Schürholz seine Rolle darin, den Staat als Bediensteter der Vollzugsbehörde zu vertreten sowie für die Durchsetzung von Unterordnung und Gehorsam bei den Gefangenen zu sorgen. Diese Kritik dürften auch viele ver.di-Mitglieder teilen. Zahlreiche Untergliederungen der Gewerkschaft unterstützen die Forderungen der GG/BO.

aus ak 612, Januar 2016

https://www.akweb.de/ak_s/ak612/14.htm

Peter Nowak

Hungern für Gewerkschaftsrechte

Gefangene in der JVA Butzbach führen zehntägigen Hunger- und Bummelstreik

Knapp zehn Tage haben mehrere Insassen der hessischen Justizvollzugsanstalt Butzbach die   Nahrung verweigert. Sie traten in den Hungerstreik, um für ihre Knastarbeit den Mindestlohn sowie Zugang zur Rentenversicherung zu bekommen. Zudem fordern sie, auch im Knast ihre Rechte als Gewerkschaftsmitglieder wahrzunehmen zu können. Die Gefangenen und ihre Gewerkschaft GG/BO hatten wochenlang vergeblich versucht, mit der zuständigen hessischen Justizministerin Kühne-Hörmann in Verhandlungen zu treten. Weil die CDU-Politikerin die GG/BO ignorierte, begannen die Kollegen den Hungerstreik, den sie am 10. Dezember beendeten.

Einen großen Erfolg hat der Streik bereits gebracht. In zahlreichen Zeitungen wurde über den ungewöhnlichen Kampf für Gewerkschaftsrechte berichtet und auch die Gefangenengewerkschaft  bekam dadurch weitere Publicity. In den knapp eineinhalb Jahren seit ihrer Gründung haben sich ihr mehr als 800 Mitglieder angeschlossen und auch das Medienecho war in den letzten Monaten enorm. Oliver Rast, der Sprecher der GG/BO, wird immer wieder um Interviews und Stellungnahmen gebeten. Das große mediale Interesse hat ihn selber überrascht.

Durch die zahlreichen Presseberichte ist auch in größeren Teilen der Öffentlichkeit bekannt geworden, dass die bundesdeutschen Gefängnisse eine staatlich geschützte Niedriglohnzone sind. So erhalten Gefangene hinter Gittern maximal einen Stundenlohn von 1,87 Euro, trotz des 2015 eingeführten Mindestlohns von 8,50 Euro. Die Gefangenen müssen es als besonderen Hohn empfunden haben, dass die Parole „Mindestlohn für Alle“ für sie nicht galt. Dieser Diskurs hat sicher mit dazu beigetragen, dass sich die GG/BO so schnell ausbreitete.

In zwölf der 16 Bundesländer gilt im Gefängnis noch die Arbeitspflicht. PolitikerInnen aller Parteien argumentieren daher, dass im Knast kein normales Arbeitsverhältnis bestehe und es deshalb auch keine Gewerkschaftsrechte geben müsse. Diese Position wird allerdings nicht nur von der GG/BO sondern auch von UnterstützerInnengruppen heftig kritisiert. So hat sich das „Netzwerk für die Rechte inhaftierter ArbeiterInnen“ gegründet, das die Butzbacher Gefangenen während ihres Hungerstreiks unterstützte. Es hat zahlreiche Kundgebungen und Informationsveranstaltungen initiiert. Eine Unterstützungserklärung des Netzwerks wurde von über 150 WissenschaftlerInnen, MenschenrechtsaktivistInnen, GewerkschafterInnen und AktivistInnen aus unterschiedlichen sozialen Bewegungen unterzeichnet.

„Nach dem Ende des Hunger- und Bummelstreiks wird die Auseinandersetzung um die Erfüllung der sozial- und vollzugspolitischen Zielsetzungen der inhaftierten Gewerkschafter und engagierten Inhaftierten auf anderen Ebenen weitergeführt werden“, erklärte Rast gegenüber der DA. Er hofft, dass sich die Solidaritätsstrukturen außerhalb des Knastes festigen. Tatsächlich bestünde eine wichtige Aufgabe darin, genauer zu erkunden, welche Firmen in der Niedriglohnzone Knast arbeiten lassen und wie viel sie dabei verdienen. Hier könnten Ansätze für weitere Aktionen der KollegInnen drinnen und draußen entstehen.

aus Direkte Aktion: Januar/Februar 2016

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Peter Nowak

Mutige Sieben

Seit Jahr und Tag  kämpft die  stadtpolitische Gruppe „Dragopolis“ gegen  den Bau  teurer Eigentumswohnungen auf  dem Dragonergelände in Berlin-Kreuzberg.  Jüngst aber widmete sie sich  einem geschichtspolitischem Thema. Gemeinsam mit der “Initiative Gedenkort Januaraufstand“  erinnerten sie an einen ungesühnten  Mord  vor 97 Jahren. Am 11. Januar 1919 sind  sieben unbewaffnete Besetzer der SPD-Zeitung Vorwärts feige ermordert worden . Sie waren von den Verteidigern des Domizils der SPD-Zeitung „Vorwärts“ auf jenem Areal während der Januarkämpfe ausgesandt,  um die Kapitulation mit den Regierungssoldaten auszuhandeln.   Die Opfer waren der Journalist Wolfgang Fernbach, der  Mechaniker Karl Grubusch, der  Schmied Walter Heise, der  Kutscher Erich Kluge, der Klempner Werner  Möller, der  Werkzeugmacher Arthur   Schöttler und  der  Schlosser Paul Wackermann.  Auf der Gedenkveranstaltung wurde aus zeitgenössischen Dokumenten zitiert, darunter den aus  Erinnerungen  der persönlichen Vertrauten und  Nachlassverwalterin   Rosa Luxemburgs, Mathilde Jakob, wie auch aus der dreibändigen „Geschichte  der Novemberrevolution“, die der Vorsitzende  der betrieblichen Räteorganisation „Revolutionäre Obleute“ Richard Müller   Mitte der 20er Jahre  veröffentlichte (  2011 im Verlag „Die Buchmacherei“ wieder aufgelegt).  Müller  beschrieb detailliert, wie  die sieben Parlamentäre gezwungen wurden, sich vor ihrer er Ermordung  zu entkleiden; die Soldaten nahmen ihnen zudem alle  Wertsachen ab.   Als anschließend  die Verteidiger des „Vorwärts“ mit erhobenen Händen aus dem Gebäude kamen,  wurden sie „unter scheußlichen Misshandlungen“ in die  Dragonerkaserne getrieben und dort zunächst in einem Stall interniert…..

Auf  enigen zeitgenössischen Fotos,   die  auf der  Gedenkveranstaltung präsentiert wurden, waren bereits auf Fahrzeugen der Freikorps gemalte Hakenkreuze zu sehen.  Der Journaliist und Historikers Sebastian Haffner l sah in der brutalen Gewalt gegen die  Arbeiter, die im Januar 1919 ihre Revolution – auch wieder die  SPD-Führung – retten und fortführen wollten,   den Auftakt  ür die vielen Morde n in den folgenden Jahren sowie ein Menetel für den Staatsterror in der NS-Zeit.  Dies läßt sich gut am Schicksal on Mathilde Jakob  ablesen. Mehrfach bereits in der Weimarer Republik verhaftet, wurde sie von den Nazis als Jüdin nach Theresienstadt deportiert, wo sie mit 70 Jahren starb.    Mittlerweile trägt ihren Namen ein Platz in Moabit, wo sie  lange wohnte-  An die  ermordeten  Vorwärts-Parlamentäre erinnert bis nur  eine Tafel  am  Eingang des  auf dem Dragonergelände befindlichen Finanzamt Friedrichshain-Kreuzberg.  Das soll sich ändern. „Dragopolis“ will sich dafür einsetzen, dass bis  zum 100ten  Jahrestag des feigen Mordes vom 11. Januar Wege auf dem weiträumigen Dragoner-Gelände nach den Opfern benannt werden.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/999043.mutige-sieben.html

Peter Nowak

Abschiebung in die Fremde

Nachdem die Balkan-Länder zu »sicheren Herkunftsstaaten« erklärt worden sind, werden nun massenhaft Roma dorthin abgeschoben. Viele Jüngere kennen die Länder nicht einmal, weil sie in Deutschland geboren wurden. Auf dem Balkan droht ihnen Diskriminierung.

Bis Mitte Dezember führten Gzim und Ramiz Berisha das Leben ganz normaler Teenager in Hannover. Sie gingen zur Schule und engagierten sich in der Freizeit in der Roma-Selbstorganisation »Amaro Drom«. Doch der 16. Dezember sollte ihr Leben grundlegend ändern. In den frühen Morgenstunden wurden die 13- und 15jährigen Schüler mit ihren Familien abgeschoben. Es waren zwei von insgesamt 125 Menschen, die allein an diesem Tag aus Niedersachsen zwangsweise in die Balkanländer deportiert wurden. Darunter waren viele Kinder und Jugendliche, die in Deutschland geboren wurden. Sie haben von Anfang an die deutsche Sprache gelernt und erfüllten damit die Voraussetzung, die hierzulande von Politik und Öffentlichkeit an eine gelungene Integration gestellt wird. Wobei diese Forderung bei in Deutschland Geborenen wie Gzim und Ramiz Berisha ohnehin fragwürdig ist, die ja auf die dummdeutsche Frage, woher sie kommen, wahrheitsgemäß nur angeben können: Aus Deutschland.

Dass die Berishas jetzt in ein ihnen völlig fremdes Land deportiert wurden, ist die Folge einer Regelung, die vor einigen Monaten für eine kurze Zeit für Debatten sorgte. Damals wurden die Balkan-Länder Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Serbien, Kosovo, Albanien und Mazedonien zu »sicheren Herkunftsländern« erklärt. Bei den Grünen gab es deswegen einige innerparteiliche Auseinandersetzungen. Die Parteibasis war wohl mehrheitlich dagegen, weil bekannt ist, dass in diesen Ländern Roma noch immer auf verschiedenen Ebenen diskriminiert werden. Doch im Bundesrat stimmte der grüne Ministerpräsident Baden-Württembergs, Winfried Kretschmann, für diese Regelung. Bei ihrer Klausur im neuen Jahr haben sich die Grünen dafür nachträglich selbst gerühmt. Damit habe man in der Öffentlichkeit das Signal ausgesendet, dass man auch zu Abschiebungen bereit sei, lobte die FAZ.

Nachdem die Regelung den Bundesrat passiert hatte, konnte in allen Bundesländern die Abschiebemaschinerie anrollen. Allein in drei fränkischen Regierungsbezirken Bayerns erhielten nach Angaben des Bayerischen Flüchtlingsrates Ende November 800 Geflüchtete vom Balkan die Aufforderung, sich in einer Kaserne in Bamberg einzufinden, von wo sie abgeschoben wurden. Auch ein junger Mann, der als Epileptiker auf ärztliche Versorgung angewiesen ist, war davon betroffen. In Nordrhein-Westfalen sitzt der Rapper Hikmet Prizreni alias Prince-H seit Oktober in Abschiebehaft. In den vergangenen Monaten hat er sich künstlerisch für die Rechte von Geflüchteten eingesetzt. Während des Roma-Tages am 8. April 2015 trat er vor dem Brandenburger Tor in Berlin auf. Weil er wegen eines Drogendelikts zu einer Bewährungsstrafe verurteilt wurde, soll der Künstler das Land verlassen, in dem er seit 27 Jahren lebt.

Die Öffentlichkeit reagiert auf die Massenabschiebungen kaum. Schließlich liegt der Fokus seit einigen Monaten auf der angeblich einmaligen deutschen Willkommenskultur. Während damit von Grünen ein neuer Patriotismus ausgerufen wurde, werden Menschen, die oder deren Eltern vor zwei Jahrzehnten aus den Balkanländern geflohen waren, weggeschoben wie ein lästiges Möbelstück. Hier wird eine klare Hierarchie unter Geflüchteten aufgebaut. Die Pressesprecherin von »Amaro Drom«, Anita Burchardt, bringt den Zynismus der deutschen Flüchtlingspolitik auf den Punkt: »Sie sind abgeschoben worden mit der Begründung, dass Deutschland Platz schaffen muss. Deutschland muss Platz schaffen, indem Menschen, die geduldet sind, abgeschoben werden in die Länder, welche von der Bundesregierung als ›sichere Herkunftsländer‹ eingestuft worden sind.«

Das Schicksal von Gzim und Ramiz Berisha wurde im Gegensatz zu vielen faktisch Namenlosen bekannt, weil die beiden Teenager sich in der Roma-Selbstorganisation engagiert hatten. Die versucht nun, die Teenager und ihre Eltern zurückzuholen, und hat eine Online-Petition gestartet. »Gzim und Ramiz Berisha wurden in ein Land abgeschoben, das sie noch nie zuvor gesehen haben – den Kosovo«, heißt es in der Begründung. Man wolle es nicht akzeptieren, dass in Deutschland aufgewachsene Jugendliche einfach aus ihrem Zuhause weggerissen und irgendwohin geschickt werden.

Lediglich glücklichen Zufällen ist es geschuldet, dass die im Kosovo geborene Nizaqete Bislimi nicht abgeschoben wurde. Wegen eines Formfehlers der zuständigen Ausländerbehörde konnte sie mit ihren Eltern und Geschwistern in Deutschland bleiben. Heute ist sie Anwältin und engagiert sich für die Rechte von Geflüchteten. In einem Interview mit dem Neuen Deutschland beklagte sie die Einteilung in gute und schlechte Flüchtlinge: »Eine Mandantin vom Balkan berichtet, sie bekomme keine Beratung in der Gemeinschaftsunterkunft, weil man dort annehme, sie müsse ohnehin in Kürze ausreisen. Lieber wolle man den syrischen Flüchtlingen helfen.« Bislimi hält es nicht für unwahrscheinlich, dass diese Politik dazu führen könne, dass syrische Geflüchtete Roma aus den Balkan-Staaten vorwerfen, dass sie ihnen den Platz in Deutschland wegnähmen, wenn sie nicht freiwillig ausreisten.

Die Abschiebung von in Deutschland geborenen Menschen in »sichere Herkunftsländer«, aus denen sie gar nicht kommen, ist natürlich auch eine Drohung an Neuankömmlinge. Ihnen wird so mitgeteilt, dass der Staat sie ein- und aussortiert und nicht nur darüber entscheidet, wann sie zu verschwinden haben. Staatliche Instanzen entscheiden auch über das Leben von in Deutschland geborenen Kindern

http://jungle-world.com/artikel/2016/02/53306.html

Peter Nowak

Staatsräson oder Solidarität?

Ver.di: Justizbeamte und Gefangene nicht der gleichen Gewerkschaft

Die Gefangenengewerkschaft (GG/BO) ist in den letzten Monaten schnell gewachsen, hat auch in Österreich Mitglieder gewonnen. Von den Basisgewerkschaften IWW und FAU wird sie unterstützt. Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di hat allerdings Probleme mit den KollegInnen hinter Gittern. In einer Radiosendung über den gewerkschaftlichen Kampf der Gefangenen erklärte der Justizvollzugsbeamte und Vorsitzende der Bundesfachkommission Justizvollzug bei ver.di, Andreas Schürholz, auf die Frage einer Unterstützung der GG/BO: »Wir haben uns intensiv damit auseinandergesetzt, sind aber übereinstimmend zu der Überzeugung gekommen, dass wir das als ver.di nicht leisten können. Wir sind quasi die Vertreter des Staates, die Gefangenen haben unseren Anordnungen zu folgen.«

In einer Replik warf der Pressesprecher der GG/BO, Oliver Rast, Schürholz »fehlendes gewerkschaftliches Bewusstsein« vor. Statt die Durchsetzung gewerkschaftlicher Mindeststandards auch für Gefangene einzufordern, sehe der ver.di-Mann seine Rolle darin, »den Staat in der Gestalt als Bediensteter der Vollzugsbehörde zu vertreten, sowie für die Durchsetzung von Unterordnung und Gehorsam bei den Gefangenen zu sorgen«.

Auf Nachfrage wollte Barbara Wederhake von der Fachgruppe Justiz in der ver.di-Bundesverwaltung Schürholz’ Äußerungen nicht kommentieren. Es gebe allerdings keinen Beschluss von ver.di zur GG/BO. Die zuständigen Gremien hätten sich mit der Frage nicht beschäftigt. Dass Schürholz erklärt hatte, dass Justizangestellte und Gefangene nicht in einer Gewerkschaft organisiert sein können, findet Wederhake allerdings verständlich. Es könne zu dieser Frage allerdings in ihrer Gewerkschaft unterschiedliche Meinungen geben. Tatsächlich haben sich in den vergangenen Monaten zahlreiche ver.di-Gliederungen und soziale Verbände mit der GG/BO solidarisch erklärt. Dazu gehört der ver.di-Erwerbslosenausschuss Berlin und die verr.di-Jugend, aber auch der Rat der Paritätischen Verbände.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/998085.staatsraeson-oder-solidaritaet.html

Peter Nowak

Kiezlegende droht der Rauswurf

In Kreuzberg regt sich Widerstand gegen die Kündigung des »Gemischtwarenladens für Revolutionsbedarf«

Seit 1985 verkauft Hans-Georg Lindenau in der Manteuffelstraße seine »Revolutionsartikel«. Doch am 31. Dezember soll Schluss sein. Dagegen organisiert sich Widerstand.

Schwarzrote Fahnen flattern neben einem Stapel Antifaaufkleber. In Regalen finden sich Plakate und Flugblätter zu verschiedenen Themen der außerparlamentarischen Linken. Im »Gemischtwarenhandel für Revolutionsbedarf« in der Manteuffelstraße 99 kann man den Geist des rebellischen Kreuzberg der späten 80er Jahre noch spüren.

Doch zum 31. Dezember soll damit Schluss sein. An diesen Tag soll Ladeninhaber Hans Georg Lindenau, den alle nur HG nennen, die Räume besenrein an die Idema Immobilien- und Verwaltungsgesellschaft übergeben, die das Haus vor einigen Jahren erworben hat. Es ist der achte Hauseigentümer, seit Lindenau vor 30 Jahren den Laden eröffnet hat. Damals waren in Kreuzberg zahlreiche Häuser besetzt. Der Stadtteil an der Mauer wurde bei Linken, Alternativen und Aussteigern beliebt. Sie waren die ersten Kunden und Nutzer des Ladens.

In den letzten Jahrzehnten hat sich Kreuzberg rasant verändert. Doch der M99 ist bis heute Anlaufpunkt für Menschen aus aller Welt, die noch etwas vom Flair des alten Kreuzberg mitbekommen wollen. In den nächsten Tagen ist die Gelegenheit dazu besonders günstig. Denn Lindenau und seine Unterstützer bereiten den Widerstand gegen die Zwangsräumung vor. »Ich gehe hier nicht freiwillig raus«, erklärt HG, der bei einer Räumung nicht nur den Laden, sondern auch seine Wohnung verlieren würde, die er nach einer Querschnittslähmung in den hinteren Räumen rollstuhlgerecht eingerichtet hat.

An der Kampagne gegen die Räumung beteiligen sich viele Kunden. Das ist im Sinne von Lindenau, der sich nie als Geschäftsmann gesehen hat. »Von Anfang an haben Menschen, die im M99 Aufkleber, Infomaterial und die angesagten linken T-Shirts und Kapuzenpollover erworben haben, geholfen, den Betrieb aufrechtzuerhalten«, benennt HG das Konzept.

Jetzt tragen die Unterstützer dazu bei, dass im ganzen Stadtteil Plakate mit dem Motto »Bizim M99« (Wir sind alle M99) zu sehen sind. Die Parole ist an die Kampagne »Bizim Bakkal« angelehnt, mit der sich vor einigen Monaten Nachbarn für den Erhalt eines gekündigten Gemüseladens in der Kreuzberger Wrangelstraße engagierten (»nd« berichtete). Die Kündigung wurde zurückgenommen.

Mittlerweile kämpft die Bizim-Initiative gegen die Verdrängung von Mietern und kleinen Läden in ganz Kreuzberg. Sie engagiert sich auch für den Erhalt des M99. »HG ist kein profitorientierter Geschäftsmann, sondern sieht sich und seine Arbeit als einen Teil der Kultur von unten. Deshalb gibt es auch eine Freebox – hier kann jeder geben und nehmen, was er kann und möchte«, begründete eine Aktivistin der Bizim-Bewegung das Engagement für den Erhalt des Ladens. Der sei ein Anlaufpunkt für die Nachbarschaft, die nicht zu der kaufkräftigen Zielgruppe der neuen Läden gehört, die sich auch in Kreuzberg ausbreiten, betont sie.

Unter dem Motto »HG/M99 bleibt« soll am 9. Januar für den Erhalt des Ladens demonstriert werden. Beginn ist um 14 Uhr am Heinrichplatz.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/996345.kiezlegende-droht-der-rauswurf.html

Von Peter Nowak

Hip-Hopper Prince H. in Abschiebehaft

Der Musiker setzte sich nicht nur für die Rechte der Roma, sondern für die aller Geflüchteten ein

Der Hip-Hopper Hikmet Prizreni a.k.a Prince H. macht zurzeit Schlagzeilen aus traurigem Anlass. Seit mehr als 2 Monaten befindet sich der 34-Jährige in Abschiebehaft [1]. Am 9.10.2015 wurde er von der Polizei gemeinsam mit seinen Bruder bei einem Routinebesuch einer Behörde in Essen verhaftet.

Prizreni wurde 1981 in der kosovarischen Stadt Pristina geboren. Als er 7 Jahre alt war, sind seine Eltern mit ihm und seinem jüngeren Bruder nach Deutschland geflohen. Über den Beginn seiner künstlerischen Laufbahn schreibt er: „Als ich 13-14 Jahre alt war, fing ich an zu tanzen und Musik zu machen. Ich habe in meiner Freizeit hart trainiert und hatte viele Auftritte.“

Im Internetforum spricht er auch offen über das, was er heute als großen Fehler bezeichnet. Wegen eines Drogendelikts wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Daraufhin entzog ihm die Ausländerbehörde die Aufenthaltserlaubnis. Fortan befand er sich im Status eines Geduldeten. Jeden Monat musste er seinen Aufenthaltsstatus verlängern lassen. Die Angst vor einer Abschiebung war groß.

Künstler solidarisierten sich mit den von Abschiebung Bedrohten

Bereits im April 2015 initiierten Freunde des Künstlers eine Onlinepetition [2] für sein Bleiberecht. Sie wurde von 1812 Personen unterzeichnet.

Nachdem die Abschiebehaft des Hip-Hoppers bekannt wurde, ist die Zahl seiner Unterstützer enorm gewachsen [3]. Im traditionsreichen Konzertsaal S036 organisierten Künstlerkollegen ein Solidaritätskonzert unter dem Motto „Freiheit für Hikmet. Alle sollen bleiben“ [4]. Selbst Sido ruft zur Teilnahme auf. „Geht dahin. Ist eine gute Sache“, schreibt er.

Die Solidarität dürfte auch damit zusammenhängen, dass der Hip-Hopper in den letzten Monaten als Stimme der Geflüchteten bekannt geworden ist. Einer der Höhepunkte war ein Auftritt aus Anlass des Internationalen Roma-Tags am 8.April 2015. Auf dem Abschlusskonzert [5] brachte Prince H. auf einer Bühne am Brandenburger Tor das Publikum zum Tanzen.

Der Musiker setzte sich nicht nur für die Rechte der Roma, sondern für die aller Geflüchteten ein. Deshalb unterstützen [6] auch zahlreiche Flüchtlingsorganisationen Prince H. Die Publicity könnte dazu beitragen, dass er Erfolg hat.

Vor sieben Jahren sollte der als Afrohesse bekannt gewordene Hip-Hopper nach Algerien abgeschoben [7] worden. Auch er hatte keine Beziehungen zu dem Land und wehrte sich gegen die Deportation. Nachdem er längere Zeit ohne Papiere in Deutschland gelebt hat und sogar eine Platte [8] aufnahm, drohte ihm nach seiner Verhaftung die unmittelbare Abschiebung. Auch für ihn setzten sich viele Künstlerkollegen ein und er hatte Erfolg. Seine Abschiebung konnte verhindert [9]werden. Heute ist er ein erfolgreicher Künstler [10].

Peter Nowak

http://www.heise.de/tp/news/Hip-Hopper-Prince-H-in-Abschiebehaft-3055178.html

Links:

[1]

http://roma-art-action.com/Free-Hikmet

[2]

https://www.openpetition.de/petition/online/abschiebungsanordnung-nach-27-jahren-wir-fordern-ein-bleiberecht-fur-hikmet

[3]

http://www.alle-bleiben.info/freiheit-und-bleiberecht-fuer-hikmet-kampf-um-sein-bleiberecht-geht-weiter-und-brauchen-dafuer-eure-unterstuetzung-sowohl-politisch-als-auch-finanziell/

[4]

http://www.alle-bleiben.info/soli-konzert-freiheit-fuer-hikmet-alle-bleiben/

[5]

http://bundesromaverband.de/romaday-8-april-2015-berlin/

[6]

http://oplatz.net/

[7]

http://www.fr-online.de/home/illegal-in-deutschland-afro-hesse-ist-unerwuenscht,1472778,3384058.html

[8]

https://itunes.apple.com/in/album/der-verschollene-immigrant/id104291351

[9]

http://www.bene-lux.de/positionen/fluechtlinge/2105916.html

Abgeschoben in die Heimat der Eltern

Bis Mitte Dezember hatten Gzim und Ramiz Berisha den Alltag von Teenagern in Hannover. Sie gingen zur Schule und hatten einen großen Freundeskreis. Doch der 16. Dezember veränderte ihr Leben grundlegend. In den frühen Morgenstunden wurden die 13- und 15-jährigen Schüler mit ihren Eltern in den Kosovo abgeschoben. Von dort waren diese Anfang der 90er Jahre geflohen.

Dass Jugendliche, die in Deutschland geboren wurden und hier integriert sind, in die Herkunftsländer ihrer Eltern abgeschoben werden, ist kein Einzelfall. Allein am 16. Dezember wurden mit der Familie Berisha insgesamt 125 Menschen aus Niedersachsen zwangsweise in die Balkanländer deportiert. Darunter waren mehrere Kinder und Jugendliche, die in Deutschland geboren wurden.

»Die Praxis ist durch die Gesetze in Deutschland leider gedeckt«, erklärt Anita Burchardt. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern bekommt ein Mensch mit der Geburt in Deutschland nicht die hiesige Staatsbürgerschaft. Burchardt ist Pressereferentin des Vereins Amaro Drom. Dort hatten sich auch Gzim und Ramiz Berisha engagiert. Der Verein hat jetzt gemeinsam mit der Romaorganisation Amaro Drom eine Onlinepetition für eine Rückkehr der beiden Jungen und ihr Bleiberecht gestartet. Mittlerweile wurde sie von über 2000 Menschen unterzeichnet.

»Wir wollen erreichen, dass die beiden Schüler in ihr altes Leben nach Deutschland zurückkehren, aber wir wollen an Hand ihres Schicksals auch darauf hinweisen, dass zurzeit im ganzen Bundesgebiet in Deutschland geborene Jugendliche Angst haben müssen, von heute auf morgen in ein Land abgeschoben zu werden, zu dem sie keinen Bezug haben und dessen Sprache sie nicht kennen«, betont Burchardt.

Bei den in Deutschland geborenen Kindern geduldeter Flüchtlinge fällt die Duldung weg, wenn die Herkunftsländer ihrer Eltern als sicher eingestuft wurden. Die neue Abschiebewelle ist die Folge einer Gesetzesänderung, mit der auch Kosovo zum sicheren Herkunftsland erklärt wurde. »Sichere Herkunftsstaaten sind eine politisch begründete Erfindung, die durch eine politisch-juristische Praxis anschließend vermeintlich legitimiert wird«, kritisiert der Vorsitzende von Ternengo Drom e Romengo, Nino Novaković.

Petition unter: dasND.de/petitionberisha

https://www.neues-deutschland.de/artikel/995636.abgeschoben-in-die-heimat-der-eltern.html

Peter Nowak

Arbeitskampf hinter Gittern vorläufig beendet

Gefangene in Hessen erreichen mit ihrem Protest für Mindestlohn und Rentenversicherung einen Teilerfolg

Ihr Ziel haben die Häftlinge nicht durchsetzen können. Doch mit der Streikaktion hievten sie ihr Anliegen in die Öffentlichkeit.

Nach zehn Tagen haben mehrere Dutzend Insassen der hessischen Justizvollzugsanstalt Butzbach ihren Hunger- und Bummelstreik beendet. Auf einer Sitzung der Interessenvertretung der Gefangenen und der Butzbacher Sektion der Gefangenen-Gewerkschaft/Bundesweite Organisation (GG/BO) mit Vertretern der hessischen Linksfraktion kündigten die Gefangenen am Donnerstag das vorläufige Ende ihrer Aktion an.

Der Widerstand hatte große Aufmerksamkeit erregt, weil erstmals Gefangene die Nahrung verweigert haben, um einen Mindestlohn für ihre Arbeit im Gefängnis sowie Zugang zur Rentenversicherung durchzusetzen. Zudem forderten sie, ihre Rechte als Gewerkschaftsmitglieder auch im Gefängnis wahrnehmen zu können. Bisher bekommen sie im Gefängnis einen Stundenlohn von 1,87 Euro.

Die Gefangenen hatten wochenlang vergeblich versucht, mit der zuständigen hessischen Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) in Verhandlungen zu treten. Auch auf ein Schreiben des Komitees für Grundrechte und Demokratie, in dem die Einbeziehung von Gefängnisinsassen in die Rentenversicherung gefordert wird, verweigerte Kühne-Hörmann konkrete Auskünfte. Im November erklärten die Butzbacher Gefangenen in einem Offenen Brief, sollte Eva Kühne-Hörmann bis zum 1. Dezember »keine Bemühungen zeigen, die festgefahrenen Verhandlungen mit der JVA über die Anliegen der Inhaftierten wieder in Bewegung zu bringen, wollen mehrere Dutzend Inhaftierte in einen unbefristeten Hungerstreik treten«. Zu Monatsbeginn starteten sie dann die jetzt beendete Aktion.

Der Sprecher der bundesweiten Gefangengewerkschaft, Oliver Rast, spricht nach dem Ende der Aktion von einem Teilerfolg. »Mindestlohn, Sozialversicherung und Gewerkschaftsfreiheit für inhaftierte Menschen sind dadurch für eine viel breitere Öffentlichkeit zu einem Thema geworden«, betont Rast gegenüber »nd«. Die Auseinandersetzung sei ausgesetzt, aber nicht beendet. Ein vor einigen Wochen gegründetes »Netzwerk für die Rechte inhaftierter ArbeiterInnen« will sich auch nach dem Ende des Hungerstreiks weiter engagieren. »Wir unterstützen die Forderungen, die in diesen Kämpfen vertreten werden und meinen, dass sie im besten Interesse aller Lohnarbeitenden sind, die gegenseitige Konkurrenz zu minimieren«, erklärt Netzwerk-Mitbegründer Gregor Zattler gegenüber »nd«. Eine vom Netzwerk verfasste Solidaritätserklärung für die Gefangenen wurde von über 150 Wissenschaftlern, Gewerkschaftern und Aktivisten aus sozialen Bewegungen unterzeichnet.

Auch in der hessischen Politik wird die Auseinandersetzung mittlerweile nicht nur von der Linkspartei wahrgenommen. So haben sich die justizpolitische Sprecherin der hessischen SPD-Landtagsfraktion, Heike Hofmann, und eine Delegation grüner Landtagsparlamentarier zu Besuch bei den Gefangenen in Butzbach angekündigt. Besonders die Grünen waren als Teil der hessischen Regierungskoalition in die Kritik geraten, weil sie zur ignoranten Haltung der Justizministerin geschwiegen hatten. Ein Mitbegründer der Grünen kann sich noch an die Zeiten erinnern, als die Partei Gruppen in hessischen Gefängnissen hatte. »Wir hatten durchgesetzt, dass wir uns auch hinter Gittern monatlich treffen und uns so an der politischen Debatte beteiligen konnten. Das wäre doch auch ein Modell für die Arbeit der Gefangenengewerkschaft«, erklärte ein ehemaliges Mitglied einer grünen Knastgruppe, das anonym bleiben möchte.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/994525.arbeitskampf-hinter-gittern-vorlaeufig-beendet.html

Peter Nowak

„Massiver staatlicher Rechtsbruch am LAGeSo“

Entrechtung von Geflüchteten mitten in Berlin

Keine Rente für Knackis

Strafgefangene in Deutschland müssen hinter Gittern arbeiten. Einen Rentenversicherungsanspruch erhalten sie dadurch jedoch nicht. Eine Gefangenengewerkschaft will das ändern.

Angesichts von Niedriglöhnen und prekären Arbeitsverhältnissen droht vielen Menschen die Altersarmut. In einer Gesellschaft, in der viele Menschen von der Lohnarbeit nicht mehr leben können, reicht auch die Rente allerhöchstens zum Sterben. Tausenden Menschen, die oft über Jahre gearbeitet haben, ist schon heute die Altersarmut sicher. Es handelt sich um Strafgefangene. Sie werden noch immer nicht in die Rentenversicherung einbezogen. Dabei sah das 1977 von der damaligen sozialliberalen Koalition beschlossene Strafvollzugsgesetz genau das ausdrücklich vor. Doch bis heute wurde dieses Gesetz nicht erlassen. Die Bundesregierung hat bereits 2011 die Gründe klar benannt: »Die aufgeschobene Inkraftsetzung der Regelungen im Strafvollzugsgesetz beruht im Wesentlichen auf finanziellen Vorbehalten der Bundesländer, welche die Beiträge zur Sozialversicherung übernehmen müssten. Die Vorbehalte bestehen unverändert.«

Das zeigte sich erneut, als sich vor zwei Wochen die Justizminister der Länder zu ihrer turnusmäßigen Herbstkonferenz in Berlin trafen. Mit einer Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung befassten sich die Minister nicht. »Es ist skandalös, wie schleppend das grundrechtliche Anliegen der arbeitenden Strafgefangenen, in das Rentensystem einbezogen zu werden, behandelt wird«, so Martin Singe von der »Arbeitsgruppe Strafvollzug« im »Komitee für Grundrechte und Demokratie«. Die Organisation setzt sich seit Jahren für die Rechte von Gefangenen ein.

Bereits vor einigen Monaten richtete das Komitee an sämtliche Länderjustizminister ein Schreiben, in der die Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung angemahnt wird. Aus den Antwortbriefen wird deutlich, dass es sowohl bei CDU und CSU als auch bei der SPD noch immer entschiedene Gegner dieser sozialen Gleichbehandlung gibt. Zu denen gehört auch die Justizministerin von Schleswig-Holstein, Anke Spoorendonk. Die Politikerin des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW), der Partei der dänischen Minderheit, die gemeinsam mit SPD und Grünen in dem Bundesland regiert, behauptet in dem Schreiben an das Grundrechtekomitee, eine Einbeziehung in die Rentenversicherung würde für die meisten Gefangenen keine Auswirkungen auf die Reintegration in die Gesellschaft haben. Wenn es doch welche gäbe, seien die Gefangenen selber schuld, so die Logik der Ministerin. Soweit es tatsächlich zu finanziellen Auswirkungen durch die Nichteinbeziehung in die gesetzliche Rentenversicherung komme, handle es sich »um eine Folge einer vorangegangenen eigenverantwortlichen – wenn auch strafrechtlich sanktionierten – Lebensführung der Strafgefangenen«, welche dem Betroffenen und nicht dem Staat zuzurechnen sei, schrieb Spoorendonk.

Auch das von SPD und Grünen regierte Rheinland-Pfalz gehört weiterhin zu den Gegnern einer Einbeziehung der Strafgefangenen in die Rentenversicherung. Dabei verschweigt das zuständige Ministerium die Gründe nicht, mit denen die Altersarmut von Tausenden von Menschen in Kauf genommen wird. »Nach Einschätzung des rheinland-pfälzischen Ministeriums der Justiz würde eine solche Rentenversicherungspflicht nicht zu einer wirkungsvollen Verbesserung der sozialen Absicherung führen. Im Gegenzug würde das Land Rheinland-Pfalz jedoch zur Finanzierung der Rentenversicherungsbeiträge mit entsprechenden Kosten belastet werden.«

Eine solch ignorante Haltung können sich die Politiker auch deshalb leisten, weil es bis auf das Grundrechtekomitee kaum Gruppen gibt, die sich für gleiche soziale Rechte für Gefangene einsetzen. Das war in den siebziger Jahren noch anders. Damals galt auch unter Juristen und Kriminologen die Devise »Resozialisierung statt Strafe«, auf breiter Front wurden soziale Rechte für Strafgefangene gefordert. Im Jahr 1975 gab es in Bielefeld eine Tagung unter dem Titel »Die Gewerkschaften und die soziale und ökonomische Situation der Strafgefangenen und Entlassenen«. Die auf der Konferenz gehaltenen Reden finden sich in dem von Klaus Lüdersen, Karl F. Schumann und Manfred Weis im Suhrkamp-Verlag herausgegebenen Band »Gewerkschaften und Strafvollzug«, der nur noch antiquarisch erhältlich ist.

40 Jahre nach der Tagung hat sich eine Gefangenengewerkschaft/bundesweite Organisation (GG/BO) gegründet, deren zentrale Forderungen die Einbeziehung der Strafgefangenen in die Rentenversicherung und in den Mindestlohn sind (Jungle World 2/2015 und 21/2015). Diese Forderungen artikulierte die GG/BO auch am Rande der Justizministerkonferenz vor zwei Wochen. Es müsse endlich Schluss sein mit den »vorwilhelminischen Arbeitsverhältnissen« mitten in Deutschland, erklärte GG/BO-Sprecher Oliver Rast.

Die Umsetzung einer bereits vor 38 Jahren im Bundestag beschlossenen Regelung wird auch von dem Engagement der Betroffenen abhängen. Die GG/BO wächst schnell, sie hat bereits über 800 Mitglieder. Dabei beschränken sich die Kollegen hinter Gittern nicht auf die Mitgliedschaft. In der JVA Butzbach haben Gewerkschaftsmitglieder eine Petition unter dem Motto »Volle Gewerkschaftsfreiheit hinter Gittern« verfasst. Neben der Einbeziehung in die Rentenversicherung und dem Mindestlohn fordern sie die Abschaffung des Arbeitszwangs im Gefängnis. Sollte die hessische Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (CDU) bis zum 1. Dezember nicht zu Verhandlungen bereit sein, wollen mehrere Gewerkschaftsmitglieder in der JVA Butzbach für diese Forderung in den Hungerstreik treten.

http://jungle-world.com/artikel/2015/48/53061.html

Peter Nowak