Die Geschichte von Hilde und Rose Berger
Kürzlich hat der Gießener Psychosozial-Verlag einen Interviewband mit der Lebensgeschichte der mittlerweile verstorbenen Hilde und Rose Berger veröffentlicht und damit das Schicksal der jüdischen Familie Berger in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Der Band enthält mehrere Interviews, die die Geschwister zwischen 1978 und 1997 in den USA gaben, sowie einen von Hilde Berger 1980 verfassten Bericht über ihr Leben und ihre politisches Engagement in Berlin. Schon früh befanden sie sich in Opposition zum streng religiösen Vater und dem deutschnationalen Klima an ihrer Schule. Zunächst engagierten sie sich in einer zionistischen Jugendorganisation, wo sie die Schriften von Marx und Engels kennenlernten. Rose, Hilde und Hans Berger wurden Mitglieder der Kommunistischen Jugendorganisation, gerieten aber bald in Opposition zu den autoritären Organisationsstrukturen, die Kritik verunmöglichten.
Nach ihren Ausschluss aus der KP-Jugend engagierten sich die drei Geschwister mit FreundInnen in einer trotzkistischen Organisation und bauten nach 1933 deren illegalen Organisationsstrukturen in Berlin auf. Hier böte sich sicherlich Material zum Weiterforschen an. Denn noch immer ist die trotzkistische Widerstandsbewegung gegen den NS wenig bekannt. Hilde Berger liefert auch einige Beispiele vom unverantwortlichen Handeln der KPD, die noch im Frühjahr 1933 die Namen oppositioneller KommunistInnen, die als Konterrevolutionäre bezeichnet werden, in ihren Publikationen veröffentlichte. Natürlich kamen auf diese Weise auch die Nazis und die Polizei an die Daten.“Mein Bruder und ich hatten Angst, dass die Kommunisten unsere Namen veröffentlichten. Also beschlossen wir, woanders hinzuziehen“, erinnerte sich Hilde Berger.
Dass Hans Berger 1936 verhaftet und nach der Verbüßung seiner sechsjährigen Haftstrafe in Auschwitz ermordet wurde, war allerdings nicht auf diese Denunziation der Stalinisten sondern auf das Einschleusen eines Spitzels in die Organisation zurückzuführen. Regina Berger konnte nach Frankreich fliehen und überlebte die deutsche Besatzung in der Illegalität. Ihre Schwester entkam nach mehreren Gefängnisaufenthalten in Deutschland nach Polen, wo sie bald von den deutschen Häschern eingeholt wurde. Im KZ Plaszow musste sie als Schreibkraft Oskar Schindlers berühmt gewordene Liste abtippen und konnte sich und einigen FreundInnen das Leben retten. Dort traf sie auch auf den späteren Krupp-Manager Berthold Beitz als Teil der deutschen Administration. Als die Rote Armee näherrückte, bekam sie eine Unterhaltung von SS-Männern mit, nach der die dort aufgelisteten Gefangenen in den tschechoslowakischen Ort Brünnltiz gebracht werden sollen. „Mir wurde klar, dass dieser Brünnlitz-Transport bessere Überlebenschancen hatte als die anderen Transporte. Deshalb trug ich mich, Kuba und einige andere enge Freunde ebenfalls auf diese Transportliste ein“, erinnert sich Hilde Berger.
Ein Kritikpunkt soll bei dem ansonsten verdienstvollen Buch angebracht werden. Der Herausgeber Reinhard Hesse kritisiert Hilde Berger als rigoros, weil sie sich nach 1945 geweigert hatte, Berthold Beitz einen Persilschein auszustellen. Sie erkannte an, dass er Leben von Juden gerettet hat, erinnerte sich aber auch seine antisemitische Gespräche und seiner Bereitschaft, von den Geretteten, Geschenke anzunehmen. Im Dokumententeil des Buches ist der Briefwechsel zwischen Berger und Beitz von 1948 abgedruckt. Nachdem sich Berger geweigert hat, ihn zu entlasten, drohte Beitz, „mit ihnen müsste jemand mal richtig „deutsch“ reden“. Diese Unverschämtheit gegenüber einer Frau, die knapp den deutschen Vernichtungswahn überlebt und einen großen Teil ihrer Angehörigen und Freunde verloren hat, wird von Hesse nicht etwa zurückgewiesen sondern verteidigt. Dafür darf sich Beitz in der Einleitung gespreizt darüber auslassen, dass Hilde Berger sich nicht in seine „komplexe und dilemmatische Lage“ hineinversetzen konnte. Sich in die Lage von Hilde Berger hineinzuversetzen, kam den Elitemenschen Beitz der schon 1948 von seinen neuen Karrierechancen in der Nachkriegsrepublik schwärmte, natürlich nicht in den Sinn. Dafür bekam Beitz kürzlich auf einem Staatsbegräbnis Lob von Politik und Wirtschaft. Die Bergers waren bis zum Erscheinen dieses Buches vergessen.
„Ich schrieb mich selbst auf Schindlers Liste“. Die Geschichte von Hilde und Rose Berger, (Hrg. Reinhold Hesse), Gießen, Psychosozial Verlag, 2013, 223 Seiten, 19,90 Euro
aus:
Sozialistische Zeitung/ SoZ, November 2013,
http://www.sozonline.de/2013/11/inhalt-soz-112013/#more-8816
Peter Nowak