Widerstand gegen Bebauung


Initiative fordert Stopp der Planungen für das Freudenberg-Areal


Noch ist die riesige Fläche des Freudenberg-Areals am Friedrichshainer Traveplatz leer. Doch das soll sich bald ändern. Unterdessen sorgen die Bebauungspläne bei den Nachbarn für Widerstand.

Die Ideenwerkstatt Freudenberg-Areal, in der sich mehr als 50 Anwohner zusammengeschlossen haben, fordert einen Stopp der bisherigen Planungen, die der Investor Bauwert bereits Anfang Mai im Rathaus Friedrichshain-Kreuzberg vorstellte. In dem Papier werden 13 Forderungen der Anwohner aufgeführt, auf die in den Neuplanungen eingegangen worden sei. Während ein Großteil der Einwände, wie die Errichtung eines Bürgerhauses, die Schaffung von Kinderspielflächen, Restaurants und Geschäften auf dem Areal unstrittig sind, hat sich der Streit an zwei zentralen Fragen entzündet. »Die Baumasse ist nicht reduziert, sondern gegenüber der vorherigen Planung sogar noch erweitert worden und die vorgesehenen Grünflächen sind weiterhin völlig unzureichend«, moniert Anwohner Sven Moritz. Sofort nachdem die Bebauungspläne auf dem 26 000 Quadratmeter großen Gelände der ehemaligen Autozubehörfabrik Freudenberg zwischen Boxhagener Straße und Weserstraße veröffentlicht wurden, waren die dichte Bebauung und die fehlenden Grünflächen zentrale Kritikpunkte. Zudem wird aus der Initiative die geringe Zahl der Wohnungen mit sozialverträglichen Mieten moniert.

Mit den veränderten Bauplänen seien nicht nur die Erwartungen der Nachbarn enttäuscht worden. Auch die Ergebnisse der drei Runden Tische, die im April von der Mieterberatungsgesellschaft ASUM mit allen Beteiligten durchgeführt wurden, seien in die neuen Planungen an entscheidenden Punkten nicht eingeflossen, kritisiert Moritz. »Dass Grünflächen und Schulen im Bezirk fehlen, ist unstrittig. Jetzt stellt sich die Frage, wie Bezirk und Senat damit umgehen«, sagt Maren Schulze, die für die ASUM die Runden Tische durchführte. Diese Frage stelle sich nicht nur an einen Investor, sondern an die Politik: Schließlich würden auch bei der geplanten Bebauung des RAW-Geländes erneut Diskussionen über die fehlenden Grünflächen und die hohe Bebauungsdichte laut werden, ist sich Schulze sicher.

Der Bürgermeister von Friedrichshain-Kreuzberg, Franz Schulz (Grüne), kann manche Verlautbarungen der Anwohnerinitiative nicht nachvollziehen. Vor allem dass in deren Presseerklärungen die Bebauungspläne des Freudenberg-Areals als »Blockmonster« bezeichnet werden, ärgert ihn. »Hier handelt es sich um einen soliden Städtebau, der sich gut in die Umgebung einfügt«, betont Schulz. Er sieht in dem veränderten Entwurf der Bebauungspläne einen guten Kompromiss. »Wenn man mehr will, muss man die Grundstücke aufkaufen.« Doch der Staatssekretär für Stadtentwicklung, Ephraim Gothe (SPD), habe mehrmals deutlich gemacht, dass das Land Berlin keine Grundstücke kauft, verweist Schulz auf die Verantwortung des Senats. Zudem beklagt der Bezirksbürgermeister das Fehlen eines Wohnungsbauförderungsprogramms für private Investoren.

Die Anwohnerinitiative moniert, dass sich Kommunalpolitik und Senat gegenseitig die Verantwortung zuschieben. Sie will weiter in der Nachbarschaft mit Flugblättern und Stadtteilspaziergängen gegen die Bebauungspläne mobilisieren.

www.neues-deutschland.de/artikel/823163.widerstand-gegen-bebauung.html

Peter Nowak

Verdursten mitten im Meer

Moussa Tourés Film »Die Piroge« erzählt vom Hoffen und vom Schrecken auf einem afrikanischen Flüchtlingsboot

»Bring mir ein T-Shirt von einem britischen Fußballklub mit«, bittet der kleine Junge im Senegal seinen Vater, der sich wie viele Menschen in Afrika auf der Suche nach einem besseren Leben zur Flucht nach Europa entschlossen hat. Einige Wochen später wird er wieder in Dakar sein. Dazwischen liegen Tage des Hoffens und des Schreckens, die in dem preisgekrönten Film »Die Piroge« des senegalesischen Autors Moussa Touré auf faszinierende Weise dargestellt werden.

Zunächst ist die Stimmung auf dem kleinen Boot noch gelöst und die Menschen sind voller Hoffnung auf ein neues Leben in Europa. Ein junger Mann träumt von einer Karriere als Fußballspieler, ein anderer will als Musiker irgendwo in Europa sein Glück versuchen. Andere haben bescheidenere Ziele. Sie wollen auf den andalusischen Feldern arbeiten und ihren Familien und Angehörigen in der Heimat das Geld zum Leben schicken.

Auch die kleinen und größeren Streitereien zwischen den Passagieren an Bord werden gezeigt. So stören die ständigen Gebete einen anderen beim Schlafen. Das Huhn eines älteren Mannes sorgt ebenfalls für Zank. Als eine blinde Passagierin an Bord entdeckt wird, die die Transfergebühren nicht bezahlt hat, droht die Stimmung zu kippen. Doch die Wut des Kapitäns legt sich, als er die Kochkünste der Frau schätzten lernt.

Die hoffnungsvolle Stimmung an Bord hält nicht lange an. Ein schwerer Sturm zieht auf und die hohen Wellen machen das Boot manövrierunfähig. Nach dem Ende der Schreckensnacht ist ein Drittel der Passagiere über Bord gespült worden. Unter den Toten ist auch der einarmige Mann, der sich am Beginn der Reise geweigert hatte, mit den anderen Passagieren zusammen seine Dokumente auf der Überfahrt zu vernichten, um eine Identifikation zu erschweren. Er wollte wenigstens noch die Hoffnung behalten, im Todesfall in der Heimat beerdigt zu werden. Dieser letzte Wunsch sollte nicht in Erfüllung gehen.

Die meisten Männer, die den Sturm überlebt haben, sterben nun einen langsamen, qualvollen Tod. Viele verdursten auf dem manövrierunfähigen Boot mitten im salzigen Ozean. Ihr Sterben wird im Film in langen Einstellungen gezeigt. Als eine spanische Küstenwache die Piroge entdeckt, sind nur noch Wenige am Leben. Nachdem sie sich einige Tage von dem Horror erholen konnten, werden sie umgehend mit dem Flugzeug in ihre Heimat abgeschoben. Vorher haben sie ein kleines Taschengeld bekommen. Damit kann der Vater seinem Sohn doch noch seine Bitte nach einem Fußball-T-Shirt erfüllen. Allerdings kauft er es nicht in Europa, sondern am Flughafen der senegalesischen Hauptstadt Dakar.

»Die Geschichte, die Moussa Touré erzählt, ist beides: schmerzhaft individuell – über die einzelnen Männer auf dem Boot – und gleichzeitig unermesslich, da die Erfahrung, die sie schildert, von Millionen von Menschen auf der Welt geteilt wird«, schrieb ein Kommentator der »New York Times«, als der Film in den USA lief. Am Sonntag hat »Die Piroge« (»La Pirogue«) im Kino in den Hackeschen Höfen in Anwesenheit des Regisseurs seine hiesige Premiere. Im Anschluss wird Moussa Touré für ein Publikumsgespräch zur Verfügung stehen.

Previews am 2.6., 17 Uhr und am 3.6., 20 Uhr im Hackesche Höfe Kino, Rosenthaler Str. 40/41, Mitte. Ab 6.6. läuft der Film im regulären Programm dieses Kinos.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/823097.verdursten-mitten-im-meer.html

Peter Nowak

Erster Blockupy-Tag erfolgreich?

Die Aktivisten haben an verschiedenen Stellen der Stadt gegen die Auswirkungen der Krisenfolgen protestiert

Demonstrieren und weiterziehen, laut, bunt, provokant. So übertitelten die FAZ und HR-Online ihre Berichte über die Blockupy-Proteste, die am Freitag am frühen Morgen in der Innenstadt von Frankfurt/Main begonnen hatten.

In der Frankfurter Innenstadt waren sie unübersehbar. Die Aktivisten hatten sich auch eine große Aufgabe gestellt. Gleich an verschiedenen Stellen der Stadt wollten sie gegen die Auswirkungen der Krisenfolgen protestieren. Der Protesttag begann mit einer Belagerung der Europäischen Zentralbank (EZB) am frühen Morgen. Eine Kundgebung vor der Deutschen Bank folgte. Am Nachmittag schlossen sich Proteste gegen prekäre Arbeitsverhältnisse in der Frankfurter City und der Abschiebung von Flüchtlingen am Rhein-Main- Flughafen an. Überall waren mehrere hundert Menschen vor Ort. Im Gegensatz zum letzten Jahr, als von Stadtverwaltung, Polizei und Justiz sämtliche Blockupy-Proteste verboten worden waren, blieb die Lage heute weitgehend entspannt.

Im Vorfeld waren auch die zuvor verbotenen Aktionen am Frankfurter Flughafen vom Kasseler Verwaltungsgerichtshof aufgehoben worden. Auch die von den Behörden geforderten Routenänderungen bei der für den Samstag geplanten Großdemonstration hatten vor Gericht keinen Bestand.

Flüchtlinge durften nicht demonstrieren

Doch ganz repressionsfrei verliefen die Proteste nicht. Wenn die Aktivisten den Polizeiketten an der EZB oder am Flughafen zu nahe kamen, wurde Pfefferspray gegen die Demonstranten eingesetzt.

Am Donnerstag wurden Busse mit anreisenden Aktivsten aus mehreren Städten über mehrere Stunden festgehalten. Ein Augenzeuge berichtete gegenüber Telepolis:

„Die Polizei hat fünf Busse aus Berlin sowie je einen Bus aus Münster und Hamburg auf dem Weg zu den Blockupy-Aktionstagen in Frankfurt gestoppt. Alle Aktivistinnen und Aktivisten aus Berlin wurden fotografiert, ihr Gepäck wird durchsucht und ihre Personalien aufgenommen. Ein Teil der Anreisenden wurde gezwungen, in den Zug umzusteigen. Eine Gruppe Geflüchteter kehrte nach Berlin um. Sie hätten sonst möglicherweise ihre Aufenthaltsrechte gefährdet, weil sie sich mit der Teilnahme an der Demonstration der Residenzpflicht widersetzt haben, der ihre Bewegungsfreiheit erheblich einschränkt und gegen die sie sich seit Jahren wehren.“

Mit der Maßnahme gegen die Flüchtlinge setzte die Polizei den Grundsatz um, dass eben nicht alle Menschen, die hier leben, die gleichen Rechte haben. Außerdem wurde damit auch eine Schwäche der Protestbewegung offengelegt, die zurzeit eben nicht die Möglichkeiten hat, das Demonstrationsrecht für Alle, die es wollen, durchzusetzen.


War der Blockupy-Auftakt ein Erfolg?

Deshalb ist es auch fraglich, ob es nicht reiner Zweckoptimismus ist, wenn die Blockupy-Aktivisten erklären, dass die politische Botschaft von Blockupy lautet: „Wir können den Alltag des kapitalistischen Systems stören.“ Dass erinnert an ähnliche Siegesparolen anlässlich des G8-Treffens 2007 in Heiligendamm.

Schon ist zwischen dem Blockupy-Bündnis und der Polizei ein Streit darüber ausgebrochen, ob nun, wie die Aktivisten behaupten, sämtliche Eingänge der EZB zeitweise blockiert waren. Die Polizei bestreitet es. Dass ist aber gar nicht entscheidend, weil im Internetzeitalter die Geschäfte der EZB auch bei geschlossenen Toren funktionieren.

Schon bevor sie richtig begonnen haben, wird über die Sinnhaftigkeit der Blockupy-Proteste diskutiert. In der Taz gab es sogar eine Pro- und Contra-Debatte . Dort kritisiert der Kommentator Martin Reeh, dass sich die Aktivisten nicht darauf beschränken, Druck auf die Bundesregierung auszuüben. Damit soll die Protestbewegung in ein rotgrünes Fahrwasser bugsiert werden. Dagegen gehört es Zu deren Pluspunkten, dass sie einen Regierungswechsel nicht unbedingt mit einem Politikwechsel gleichsetzt.

Dass sie zudem Themen wie die prekären Arbeitsverhältnisse und die Abschiebung als Teil der kapitalistischen Realität ins Visier nahm und damit an Praxen von Alltagswiderstand anknüpft, ist eigentlich der interessanteste Moment bei Blockupy. Dass es gelungen ist, eine pakistanische Gewerkschafterin für den Protest zu gewinnen, ist ein Erfolg. Die Beteiligung von Gewerkschaftern aus Deutschland aber ist bisher schwach. Ob sich das bei der Großdemonstration am Samstag ändert, muss sich zeigen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154358
Peter Nowak

Dokument einer skrupellosen Entmietung

Mietermanagement, dieser technokratische Begriff umschreibt die Praxis der Vertreibung von Mietern aus ihren Wohnungen, wenn sie Investitionsinteressen der Eigentümer im Weg sind. Viel ist über diese Methoden schon geschrieben worden, Jetzt werden sie in dem 52minütigen Film „Betongold“ eindringlich dokumentiert. Darin beschreibt die Regisseurin Katrin Rothe die Geschichte ihrer eigenen Vertreibung. Die Grimme-Preisträgerin war Mieterin in der Bergstraße 62, eines der Häuser in Berlin-Mitte, die lange Zeit unsaniert waren. Es ist der Film, in dem Filmemacher die Geschichte ihrer eigenen Vertreibung dokumentieren. Bereits 2010 hatte ein Filmteam in Lychener 64 (http://sinafilm.de/lychener-64-berlin-prenzlauer-berg/) die Entmietung dieses Hauses in Prenzlauer Berg dargestellt. „Betongold“ setzt dort an, wo die Bewohner erfahren haben,, dass das Haus an die Inter Group Immobilien verkauft wurde, eine für Luxusmodernisierungen bekannte Firma. Die Mieter schließen sich zusammen, holen sich juristische Informationen und machen deutlich, dass sie in dem Haus wohnen bleiben wollen. Einige beginnen sich auch politisch zu engagieren. Im Film zeigt mehrere Ausschnitte, wo bei stadtpolitischen Protesten der letzten Monate das von Rothe gebastelte Schild „Bergtraße 62“ mitgeführt wurde.

„Für rigides Vorgehen gegen Bestandsmieter bekannt“

Doch das Mietermanagement der Inter Group und ihres Geschäftsführers Sascha Klupp zeigt bald Wirkung. Mehrmals wöchentlich werden Kaufinteressenten durch die Wohnungen geschleust. Als Rothe auf ihrem Recht besteht, die Personalien der Menschen sehen zu wollen, die ihre Wohnung spazieren, eskaliert die Situation. Die Maklerin verbietet ihr, mit den Interessen auch nur zu sprechen. Selbst ein unaufgeräumtes Schlafzimmer wertet sie als Störung der Verkaufsgespräche und droht damit, dass die Mieterin die Kosten tragen muss. Hinzu kommen von aufdringlichen Kaufinteressenten, die fast rund um die Uhr auf Rothes Handy-Mailbox anrufen. Für die Mieterin artet diese aufdringliche Art der Kontaktaufnahme immer mehr in Telefonterror auf. Als Meldungen vom Brandanschlag auf die Wohnung eines Mieteraktivisten in der Gleimstraße 52 bekannt werden, bekommt auch sie Angst. Schließlich ging dieses ebenfalls von der Inter Group gekaufte Haus als „teuerste Luxussanierung im Prenzlauer Berg“ durch die Medien. Die Onlinezeitung Prenzlberger Stimme kommentierte den Umgang der Inter Group mit Mietern der von ihr erworbenen Häuser:
„Das Verhältnis zwischen Eigentümer und Mieter wurde nicht zuletzt durch die Person eines Mitarbeiters des Eigentümers belastet, der sowohl in der Gleimstraße 52, als auch bei eigenen Projekten für sein rigides Vorgehen gegen Bestandsmieter bekannt ist.“
Tatsächlich zeigten diese Metholden auch in der Bergstraße 64 bald Wirkung. Das Haus leerte sich immer mehr. Auch Rothe verließ schließlich mit einer Abfindung von 50000 Euro
die Wohnung. In der mit dem Eigentümer geschlossenen Vereinbarung musste sie sich verpflichten, die von ihr betreute Homepage, die über die Entmietung des Hauses informierte, zu löschen. Nun hat sie mit dem Film ein Medium gefunden, indem sie eindringlich dokumentiert, was in Berlin und vielen anderen Städten tagtäglich praktiziert wird.

aus: Mieterecho-Online

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/betongold.html
Peter Nowak
Link zum Film: http://www.karotoons.de/betongold.html

Hollande und seine deutschen Kritiker

Dass auch Oppositionspolitiker in der Auseinandersetzung mit der französischen Regierung Hollande kritisieren, macht deutlich, dass sie die deutsche Austeritätspolitik im Kern unterstützen

Deutschland und Frankreich wollen sich gemeinsam für einen hauptamtlichen Präsidenten der Euro-Gruppe einsetzen. Dieses Vorhaben verkündeten der französische Staatschef Hollande und Bundeskanzlerin Angela Merkel nach ihren Treffen in Paris. Ziel sei „mehr wirtschaftspolitische Koordinierung“ und eine „stärkere Zusammenarbeit der Euro-Gruppe“. Zudem soll die Euro-Gruppe ein eigenes Budget erhalten. Man habe einen „qualifizierten gemeinsamen Vorschlag“ gemacht, hieß Merkels diplomatische Sprachregelung.

Der Zweck wurde auch nicht verschwiegen. Man wolle nicht erst warten, bis in EU-Staaten Defizitverfahren wirksam werden, deshalb soll die wirtschaftspolitische Koordinierung verstärkt werden. Dass die französische und deutsche Regierung beim Willen zum Durchregieren einig sind, kann die Differenzen zwischen ihnen nicht verdecken, die im Vorfeld des Treffens erneut deutlich wurden.

Frankreich kann nicht machen, was es will

Am Tag vor Merkels Frankreich-Besuch nahm das verbale Trommelfeuer gegen den Sozialdemokraten in Paris noch einmal zu. Anlass war eine eigentlich völlig harmlose Erklärung des französischen Präsidenten, in der er auf die Reformaufforderungen der EU-Kommission an sein Land reagierte. Hollande betonte, das seine Regierung längst Vorbereitungen für die Umsetzung der Reformen getroffen hat und dafür keine Vorgaben aus Brüssel brauche. Diese Erklärung hat vor allem innenpolitische Implikationen.

Schließlich hatte sich Hollande im Wahlkampf mit seiner Ablehnung des deutschen Austeritätsprogramms profiliert. Kaum an der Regierung hat er sich immer mehr der Merkel-Linie untergeordnet und dafür viel innenpolitische Kritik einstecken müssen. Wenn er nun betont, dass seine Regierung auch ohne Druck aus Brüssel die nötigen Reformen umsetzt, will er sich zumindest nicht nachsagen lassen, er kapituliere vor dem Ausland. Doch Politiker von der Union bis zu den Grünen wollen Hollande selbst diese Ausflucht nicht lassen und verlangen die totale Unterordnung unter die deutsche Linie.

„Wenn ein Land in der EU und der Euro-Zone glaubt, sich nicht an Verabredungen halten zu müssen, ist dies besorgniserregend“, meinte der stellvertretende Unions-Fraktionsvize Michael Fuchs. Sein Kollege Michael Meister gerierte sich als Lehrmeister, in dem er Hollande vorwarf, offenbar nicht zu verstehen, was für Europa nötig sei. Auch der FDP-Politiker Rainer Brüderle will die französische Regierung mit der Aussage brüskieren, dass das erste Jahr der Hollande-Regierung ein verlorenes Jahr war.

Kann man beim Regierungspersonal verstehen, dass sie noch immer nicht überwunden haben, dass Sarkozy die Wahlen mit den Versprechen verloren hat, die Politik der deutschen Regierung kopieren zu wollen, so mag es auf den ersten Blick erstaunen, dass mit Sven Giegold auch ein grüner Europapolitiker, der vor 10 Jahren noch einer der Köpfe der damals aufstrebenden Attac-Bewegung war, sich in die Phalanx der Hollande-Kritiker einreihte. Als ein Armutserzeugnis für die französische Europapolitik bewertete Giegold Hollandes Ablehnung eines Diktats aus Brüssel. Manche sehen eher in dieser Erklärung ein Armutszeugnis eines als Oppositionellen gestarteten Politikers, der schon nach einer Legislaturperiode die für eine Karriere nötige Lektion in Realpolitik gelernt hat.

Frankreich: zu groß, um gerettet zu werden

Dabei hätten gerade Politiker der SPD und der Grünen, sollten sie es mit ihrer Kritik an der deutschen Austeritätspolitik Ernst nehmen, allen Grund, die französische Regierung zu verteidigen. Wie der Ökonom Michael Krätke richtig analysiert, kann sich am Umgang mit Frankreich das Schicksal des Euro entscheiden. Frankreich ist nicht nur zu groß, um zu fallen, sondern auch zu groß, um gerettet zu werden. Damit hat Frankreich als eines der wenigen EU-Länder eine starke Machtposition gegenüber Deutschland.

Wenn selbst die Regierung dieses Landes nicht in der Lage ist, sich gegenüber Deutschland durchzusetzen und zumindest eine in Details weniger wirtschaftsliberale Politik zu betreiben, wie sollte es dann eine griechische, spanische oder portugiesische Regierung schaffen? Daher rät Krätke den Anhängern eines Reformkurses, sie sollten darauf drängen, dass in der EU Fragen nach einem flächendeckende Mindestlohn oder einer 35-Stunden-Woche wieder auf die Agenda kommen, die in Frankreich anders als in Deutschland in Ansätzen umgesetzt waren.

Wenn sich Politiker wie Giegold in der Auseinandersetzung mit Hollande auf die deutsche Regierung schlagen, senden sie gegenüber ihren Wählern und das europäische Ausland das Signal aus, dass sich auch unter ihrer Ägide die Austeritätspolitik im Kern nicht ändern wird.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154353

Peter Nowak

Antirassismus nach Wetterlage

Eine »Riesendemo in Berlin« hat am Samstag in Berlin nicht stattgefunden. Mit jener Ankündigung warb das antirassistische Bündnis »Fight Racism Now!« auf Plakaten und Flugblättern für eine Demonstration, die an den 20. Jahrestag der fundamentalen Einschränkung des Asylrechts und den drei Tage später verübten Brandanschlag von Neonazis auf ein von Migranten bewohntes Haus in Solingen erinnern sollte, bei dem fünf Menschen gestorben waren. Bei schlechtem Wetter fanden sich in Berlin und Solingen jeweils knapp 1 000 Menschen ein. Den vom Berliner Bündnis geplanten Auftakt am Mahnmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Roma hatte die Versammlungsbehörde wegen der Nähe zur Fanmeile für das Champions-League-Finale verboten. Das antinationale Bündnis »Ums Ganze« hatte bundesweit zur Demonstration in Berlin aufgerufen und stellte in einem eigenen Block etwa ein Drittel der Teilnehmer. Mit Parolen wie »Deutschland ein falscher Gedanke, keine Grenzen, keine Schranken« wandten diese sich gegen jeden positiven Bezug auf Staat und Nation. Auf einem Transparent stand unter dem Konterfei von Thilo Sarrazin der Spruch: »Jede Partei hat die Sozialchauvinisten, die sie verdient.« An der Spitze der Demonstration gingen Flüchtlinge, die seit September in einem Camp am Oranienplatz vollständige Bewegungsfreiheit und die Abschaffung aller Flüchtlingslager fordern. In diesem Block wurde auch ein großes Transparent mit den Namen und den Todestagen von über 200 Menschen getragen, die seit 1991 in Deutschland entweder durch rechte Gewalt, bei Abschiebungen oder durch Selbstmorde in Abschiebegefängnissen umgekommen sind. Dass die Zahl der Teilnehmer trotz monatelanger Diskussionen um den NSU-Terror nicht größer war, erklären die Veranstalter mit dem schlechten Wetter.

http://jungle-world.com/artikel/2013/22/47801.html

Peter Nowak

Aktivisten kritisieren Justiz als parteiisch

MIETER-PROTESTE GEGEN RICHTERINNEN-VORTRAG

„Zwangsräumung beginnt hier“ steht auf dem Transparent, mit dem rund 20 MieteraktivistInnen am Mittwochnachmittag an aufgeregten Angestellten vorbei das Hotel Esplanade betraten. In einem Konferenzraum veranstaltet der Bundesverband freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen e. V. (BfW) am Mittwochnachmittag ein Seminar zum neuen Mietrecht, auf dem „praktische Hinweise für die tägliche Arbeit“ vermittelt werden sollen.

Hauptreferentin ist die Vorsitzende Richterin des Landgerichts, Regine Paschke. Gerade als sie den neuen Kündigungsgrund „Mietverzug der Kaution“ erläutert, unterbrechen die BesucherInnen von der Berliner Kampagne gegen Zwangsräumungen das Seminar. Eine Sprecherin erklärt, dass in dem Seminar vermittelt werden soll, wie Kündigungen möglichst problemlos ablaufen sollen. Das neue Mietrecht sei eine Waffe in den Händen der Hausbesitzer gegen Millionen MieterInnen.

Prozess um Calvinstraße

Auch gegenüber der taz äußert Bündnis-Aktivistin Sarah Walter später Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz. So sei Richterin Paschke in den letzten Jahren mehrmals bei Seminaren der BfW und als Autorin der Zeitschrift Grundeigentum hervorgetreten. Für Walter ist es deshalb nur folgerichtig, dass Paschke in Mietrechtsprozessen eigentümerInnenfreundliche Urteile gefällt habe. So habe sie in einem Prozess von MieterInnen der Calvinstraße 21 Mietminderungen während der Sanierungsarbeiten für unzulässig erklärt. Selbst eine Mieterin, deren Fenster durch einen ungenehmigten Anbau verdeckt wurde, sei kein Recht auf Mietminderung zugestanden worden. Die Richterin wollte sich zu den Vorwürfen nicht äußern.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F05%2F31%2Fa0133&cHash=14d44b7b200fe2464f93517f20aea6eb

Peter Nowak

Sanierungsfall EU?

EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) und Markus Ferber (CSU) streiten für noch mehr Deutschland in der EU

Die Deutsch-belgisch-luxemburgische Handelskammer steht gewöhnlich nicht im Zentrum des Medieninteresses. Doch jetzt hat eine Rede für Schlagzeilen gesorgt, die EU-Kommissar Günther Oettinger dort vorgetragen hat und die via Bild schnell Gegenstand der öffentlichen Debatte wurde.

Lautsprecher der deutschen Konservativen

Einige markante Zitate wurden dabei aus der Rede herausgegriffen. Statt die Wirtschafts- und Schuldenkrise zu bekämpfen, zelebriere Europa „Gutmenschentum“ und führe sich als „Erziehungsanstalt“ für den Rest der Welt auf, monierte Oettinger.

Diskutiert wurden auch Oettingers Bewertungen unterschiedlicher Regierungen im EU-Raum. „Mir machen Länder Sorgen, die im Grunde genommen kaum regierbar sind: Bulgarien, Rumänien, Italien.“ In Großbritannien regiere Premiere Cameron mit einer „unsäglichen Hinterbank, seiner englischen Tea-Party“.

Interessant ist auch Oettingers Positionierung zu aktuell heiß diskutierten innenpolitischen Reizthemen in Deutschland: „Deutschland ist auf dem Höhepunkt seiner wirtschaftlichen Leistung – besser wird es nicht mehr.“ Doch die deutsche Politik habe im Moment die falsche Tagesordnung: Mindestlohn, Betreuungsgeld und Frauenquote – das seien nicht die Antworten auf zukünftige Herausforderungen.

Spätestens hier wird deutlich, dass sich Oettinger hier am rechten Flügel der Union positioniert. Diese Positionierung durchzieht auch seine Beurteilung der Situation in der EU. Es ist kein Zufall, dass sie vor einem Gremien vorgetragen wird, in dem die Kern-EU-Länder vertreten sind, die schon mal in der Diskussion als Kandidaten für einen Nord-Euro gehandelt werden. So artikuliert Oettinger das Unverständnis politischer Kreise nicht nur in Deutschland, die den Rest der EU noch mehr an die Kandare nehmen und die Führungsmacht Deutschlands und seiner engsten Verbündeten spüren lassen wollen.

Dabei ist die Metapher vom Sanierungsfall EU sicher kein Zufall. Staaten, die saniert werden sollen, kommen unter Ausnahmerecht und werden notfalls unter Kuratel gestellt. So könnte dem Lamento über die Unregierbarkeit bestimmter EU-Staaten die Forderung folgen, dass sie gleich von einem aus Brüssel bestimmten Gremium verwaltet werden. Schließlich geht es ja vor allem darum, die von der EU beschlossenen Vorgaben umzusetzen.

Nun sind solche Vorstellungen durchaus keine Zukunftsmusik. Wer verfolgt hat, wie die Troika-Politik in Griechenland, Portugal und anderen EU-Ländern umgesetzt wurde und wie hier Abstimmungen der Bevölkerung bekämpft und Wahlen als lästiges Beiwerk behandelt werden, kann erkennen, dass Oettinger hier nur sehr prononciert ausgesprochen hat, was eigentlich schon seit Längerem EU-Politik ist.

Zudem war es auch keine Geheimrede, die von Bild enthüllt wurde. Es ist eher wahrscheinlich, dass der Redner sehr daran interessiert war, dass seine Worte durch die Art und den teilweise irreführenden Duktus der Veröffentlichung erst so richtig im Land bekannt wurden. So kann auch manch konservativer Unionswähler, der überlegt, das nächste Mal der Alternative für Deutschland die Stimme zu geben, die Interessen des deutschen Standorts bei der Regierungspartei in guten Händen wähnen.

Frankreich im Visier

Dass Oettinger dabei neben Bulgarien und Rumänien auch Italien als Sanierungsfall aufführt, zeigt deutlich, dass es sich hier nicht nur um eine Auseinandersetzung zwischen dem sogenannten Kerneuropa und der europäischen Peripherie geht. Das wird auch durch die Reaktionen auf die Oettinger-Rede deutlich.

So hat der CSU-Europaabgeordnete Markus Ferber im Interview mit dem Deutschlandfunk darauf verwiesen, dass der Adressat für Oettingers Kritik die EU-Kommission sein muss, ist sich in der Sache aber mit dem EU-Kommissar einig. Es geht ihnen darum, die Austeritätspolitik noch umfassender im EU-Raum durchzusetzen. Dabei hat Ferber gleich noch einen weiteren „Sanierungsfall“ ins Visier genommen, den Oettinger auch als derzeit nicht zukunfstfähig bezeichnet hat: das Nachbarland Frankreich.

Seit dort ein sozialdemokratischer Präsident die Wahlen gewonnen hat, wurde das Land zum Feindbild, obwohl sich Hollande in wesentlichen Punkten entgegen seiner Wahlversprechen der Merkel-Linie untergeordnet hatte. Doch weil Hollande zumindest einige soziale Grausamkeiten der konservativen Vorgängerregierung abmilderte, steht er seit Monaten in Kritik von Konservativen à la Ferber. Der hat im Interview denn auch sein Unverständnis geäußert, dass die EU-Kommission beim Defizitverfahren weiterhin Geduld mit Frankreich zeige. Frankreich muss liefern, verwendet Ferber hier die gleiche Wortwahl, die er bereits vor 18 Monaten auch in Bezug auf Griechenland gebraucht hat.

Im Gegensatz dazu will Ferber Spanien entgegen kommen, weil dessen rechtskonservative Regierung gegen den Widerstand großer Teil der Bevölkerung die sozialen Grausamkeiten umsetzt, die Berlin vorgibt. Gegen eine so offen vorgetragene Politik von Zuckerbrot und Peitsche regt sich im EU-Raum Widerstand, und das scheinen sowohl Oettinger als auch Ferber nicht nur in Kauf zu nehmen. So ist Oettingers Schelte der britischen „Teaparty“ Wasser auf die Mühlen der britischen EU-Gegner. Doch es ist durchaus im deutschen Interesse, wenn das Land austreten würde. Schließlich würde dann das prodeutsche Lager in der EU noch unangefochtener und gestandene Deutschnationale aller Parteien haben den Briten nie vergessen, dass sie 1989 keine Freunde der deutschen Wiedervereinigung waren.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154341
Peter Nowak

Gemeinsam auf »Bild« spucken

Die »Bild«-Zeitung will im Vorfeld der Bundestagswahlen am 21. September unaufgefordert eine Sonderausgabe an mehr als 40 Millionen Menschen in Deutschland verschicken. Damit wolle man der Wahlmüdigkeit entgegentreten, begründet Springer die Werbeaktion. Bereits im vergangenen Jahr hat eine Aktion in ähnlicher Größenordnung für zahlreiche Proteste gesorgt. Jetzt haben sich die Kritiker erneut zu Wort gemeldet. Unter den diesjährigen Protestierern ist auch die Online-Druckerei INnUP. Sie verschickt auf Wunsch zehn kleine und drei große Aufkleber mit dem Motto »Bitte keine ›Bild‹ einwerfen« – ebenfalls kostenlos. Damit will die Online-Druckerei nicht nur »eine demonstrative Ablehnung der ›Bild‹-Zeitung auf dem eigenen Postkasten, sondern auch eine persönliche Stellungnahme für eine freie und anspruchsvolle Berichterstattung, fernab dem Boulevard-Journalismus« ermöglichen, wie es auf der Kampagnenseite heißt.

http://www.innup.de/Sticker-Gegen-Bild_Verteilung

http://www.neues-deutschland.de/artikel/822806.bewegungsmelder.html

Peter Nowak

Blockupy reloaded

Am kommenden Freitag und Samstag sind erneut Krisenproteste in Frankfurt/Main geplant. Aber die Resonanz ist ungewiss

Am kommenden Freitag könnte in der City von Frankfurt/Main das Geschäftsleben zum Stillstand kommen. Das zumindest ist der Plan des Blockupy-Bündnisses, in dem zahlreiche linke Gruppierungen und Parteien seit Monaten Krisenproteste in der Main-Metropole vorbereiten.

Die Protestagenda ist zweigeteilt. Am Freitag sind zwei zentrale Blockadeaktionen geplant. Eine soll vor der Europäischen Zentralbank beginnen und sich dann in die Frankfurter Innenstadt ausbreiten. Auf einer Pressekonferenz am Montag erklärten die Aktivisten ihr Konzept:

„Mit Sitz- und Stehblockaden werden wir alle Korridore zum Eurotower dicht machen. Wenn uns die Polizei – wie im letzten Jahr – Gitter und Zäune in den Weg stellt und die EZB dadurch faktisch abriegelt, werden wir diese Absperrungen in unsere Blockaden einbeziehen. Mit kreativen Hilfsmitteln wie Großpuppen oder Absperrbändern, mit Transparenten, klassischen Sitzblockaden, Trommeln oder Straßentheater werden wir die EZB und alles, für was sie steht, ‚einsperren‘.“

Im Anschluss an die EZB-Blockaden soll der Protest vor der Zentrale der Deutschen Bank Artikuliert werden, wo u.a. die Spekulation mit Nahrung kritisiert werden soll. Freitagmittag soll sich der Widerstand sich auch auf der Frankfurter Einkaufsmeile ausbreiten. Dort sollen die prekären Arbeitsbedingungen im deutschen Einzelhandel und die oft mörderischen Verhältnisse der globalen Textilproduktion im Mittelpunkt des Protestes stehen, wie sie bei den Bränden in asiatischen Zuliefererfirmen internationaler Textilketten zum Ausdruck kommen.

Ein zweites Blockadeziel ist der Frankfurter Flughafen, wo der Protest gegen die Abschiebung von Flüchtlingen ausgedrückt werden soll. Am Samstag soll dann eine internationale Großdemonstration stattfinden, auf der auch Aktivisten aus dem europäischen Ausland erwartet werden.


Wer lässt sich mobilisieren?

Bei dem ehrgeizigen Protestprogramm stellt sich natürlich die Frage, ob es genügend Teilnehmer an den Blockupy-Aktionstagen geben wird, damit es auch realisiert werden kann. Im letzten Jahr war die Resonanz an den Blockadetagen zu gering, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Doch da sämtliche Aktionen von den Behörden verboten und von der Polizei rigoros unterbunden wurden, fiel diese Mobilisierungsschwäche nicht besonders ins Gewicht. Durch die rigorose Verbotspolitik setzte eine Mobilisierung bis in linksliberale Kreise ein, wodurch die Abschlussdemonstration von Blockupy im letzten Jahr ein Erfolg wurde.

In diesem Jahr musste das Blockupy-Bündnis bisher ohne eine solche Mobilisierung durch Polizei und Staat auskommen. Statt Totalverbote setzen die Behörden in diesem Jahr auf begrenzte Kooperation und auf Auflagen, die Blockaden verhindern sollen. Anders als im letzten Jahr gibt es jetzt ein Aktivistencamp als Schlafplatz und Anlaufstelle für die Protester, das bereits bezogen wurde.


Erste Verbote

Allerdings scheint in den letzten Tagen die Kooperationsbereitschaft der staatlichen Apparate an die Grenzen zu stoßen. So wurde die geplante Kundgebung am Frankfurter Flughafen verboten. Jetzt muss gerichtlich geklärt werden, ob ein Flughafen entgegen anderer Urteile zum protestfreien Raum werden soll.

Die allgemeine Nervosität im Vorfeld der Protesttage hat auch dazu geführt, dass die Frankfurter Universität eine Diskussionsveranstaltung mit der Linken-Politikerin Sarah Wagenknecht kurzfristig auf dem Unicampus untersagen will. Nur wenige Wochen vorher konnte am gleichen Campus der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf Einladung der Jusos ohne Probleme sprechen.

Ein Anziehen der Repressionsschraube würde sicher zur Mobilisierung beitragen. Allerdings würde damit eher verhindert, dass auch einige strittige Fragen geklärt werden können. So kann man feststellen, dass Aktivisten in vielen europäischen Ländern erwarten, dass es auch in Deutschland größere Proteste gegen eine Krisenpolitik gibt, die vor allem in der europäischen Peripherie desaströse Auswirkungen hat. In Deutschland sind aber die Proteste auch deshalb so schwach, weil der Standort Deutschland von der Krise profitiert und ein Teil der Lohnabhängigen daran partizipiert. Der wachsende Teil der Menschen, die in den Niedriglohnsektor gedrängt werden und durchaus auch Leidtragende der Krisenpolitik sind, haben oft weder Zeit noch Geld, sich an solchen Protesten zu beteiligen. Deshalb gibt es Diskussionen darüber, ob nicht der Widerstand gegen Zwangsräumungen, wie er in den letzten Monaten in Berlin bekannt wurde, auch zu einer Form der Krisenproteste werden sollte.

Umstritten ist zudem der Bezug linker Krisenprotestler auf die Occupy-Bewegung, wie er sich im Begriff Blockupy ausdrückt. Schließlich war die Occupy-Bewegung in Deutschland immer eher unbedeutend, zurzeit existiert nur noch ein Camp in Hamburg. Und auch weltweit ist sie schon längst zum Gegenstand für Soziologieseminare geworden.

Jenseits dieser offenen Fragen ist das nächste Protestziel schon klar. Wenn im Frühjahr 2014 die Europäische Zentralbank in Frankfurt/Main in ihr neues Gebäude einzieht, soll es dort abermals internationale Proteste geben.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154332
Peter Nowak

1.000 gegen Rassismus

ASYL Linke Gruppen erinnern an Aushöhlung des Asyls und Solingen-Anschlag

Die angekündigte „Riesendemo in Berlin“ hat nicht stattgefunden. Mit diesen Slogans hatte das antirassistische Bündnis „Fight Racism now!“ für eine Demonstration geworben, mit der an den 20. Jahrestag der Einschränkung des Asylrechts erinnert werden sollte. Ebenso an den drei Tage später verübten Brandanschlag von Neonazis auf ein von MigrantInnen bewohntes Haus in Solingen, bei dem fünf Menschen starben. Am Samstag fanden sich nun bei strömendem Regen knapp 1.000 Menschen am verlegten Auftaktort in der Wilhelmstraße ein.

Den geplante Auftakt am Mahnmal für die ermordeten Roma hatte die Polizei wegen der Nähe zur Fanmeile des Champions-League-Finale abgelehnt. Bündnissprecher Felix Jourdan fand dies „irritierend“, kritisierte gegenüber der taz aber vor allem, „dass der deutsche Staat für ermordete Roma ein Mahnmal baut und gleichzeitig aktuell verfolgte Roma stigmatisiert und abschiebt“. Auch in Redebeiträgen und auf Transparenten wurden Zusammenhänge zwischen dem Rassismus rechter Gruppierungen und der staatlichen Politik thematisiert. „Jede Partei hat die Sozialchauvinisten, die sie verdient“, lautete etwa die Parole unter dem Konterfei des wegen seiner rassistischen Thesen umstrittenen SPD-Mitglieds Thilo Sarrazin.

An der Spitze der Demonstration gingen Flüchtlinge, die seit September vorigen Jahres in einem Camp am Oranienplatz ihre vollständige Bewegungsfreiheit und die Abschaffung aller Lager fordern. Die wegen des Dauerregens verkürzte Demonstration endete an diesem Camp mit einem witterungsbedingt nur mäßig besuchten Abschlusskonzert.

Viele DemoteilnehmerInnen waren mit Bussen aus verschiedenen westdeutschen Städten angereist. Vor allem das antinationale Ums-Ganze-Bündnis hatte bundesweit nach Berlin mobilisiert und stellte mit einem eigenen Block etwa ein Drittel der DemoteilnehmerInnen. Mit Parolen wie „Deutschland ein falscher Gedanke, keine Grenzen, keine Schranken“ oder „Gegen jeden Antisemitismus“ wandten sich die AktivistInnen gegen jeden positiven Bezug auf Staat und Nation.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F05%2F27%2Fa0104&cHash=54d0809de095cf2258159e1d90eea4f9
Peter Nowak

„Eine Art politische Urszene für die Generation NSU“


In Berlin erinnerte man sich gestern an den 20ten Jahrestag der Einschränkung des Asylrechts und den Brandanschlag in Solingen

Eine „Riesendemo in Berlin“ hat am gestrigen Samstag nicht stattgefunden. Mit diesen Slogan hatte das antirassistische Bündnis Fight Racism now! auf Plakaten und Flugblättern für eine Demonstration geworben, mit der an den 20ten Jahrestag der Einschränkung des Asylrechts und den drei Tage später verübten Brandanschlag von Neonazis auf ein von Migranten bewohntes Haus in Solingen bei dem fünf Menschen starben, erinnert werden sollte. Bei strömenden Regen fanden sich knapp 1.000 Menschen am verlegten Auftaktort in der Wilhelmstraße ein.

Den von dem Bündnis geplanten Auftakt am Mahnmal für die ermordeten Roma hatte die Versammlungsbehörde wegen der Nähe zur Fanmeile des Champions-League-Finale abgelehnt. Auch in Solingen hatten etwa 1000 Menschen auf einer Demonstration an den Anschlag in der Stadt wenige Tage nach der fast vollständigen Abschaffung des Aslyrechts erinnert. Bündnissprecher Jourdan begründete in einem Interview, warum er die Notwendigkeit sieht, 20 Jahre später mit einer Demonstration an die beiden Daten zu erinnern.

„Bei der Abschaffung des Grundrechts auf Asyl ging es um die politischen Grundkoordinaten der Berliner Republik. Der Nationalismus und Rassismus der Wendejahre bekam Verfassungsrang. Aus »Wir sind ein Volk« wurde »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus«. Und genau das hat der Bundestag vor 20 Jahren mit Zweidrittelmehrheit beschlossen. Die Nazis haben das als ihren Triumph erlebt und mit dem Mordanschlag von Solingen drei Tage später haben sie diesen Triumph auch öffentlich für sich reklamiert. Das ist eine Art politische Urszene, denn genau hier ist die Generation NSU entstanden: Nazis und Rassisten, die erfahren haben, dass sich rassistische Gewalt politisch auszahlt.“

Aktuell kann man solche Mechanismen am Beispiel der Kampagne gegen Roma und Sinti beobachten, die obwohl EU-Bürger oft auch von der Politik und verschiedenen rechten Parteien bekämpft werden. Prompt tritt mit den Publizisten Rolf Bauerdick ein Autor in die Fußstapfen von Sarrazin und erklärt seinem geneigten Publikum, dass nicht etwa der Antiziganismus, sondern die Sinti und Roma selber sowie antirassistische Forscher das wahre Problem seien.


Jede Partei hat den Sarrazin, den sie verdient

In zahlreichen Redebeiträgen und auf Transparenten wurden Zusammenhängen zwischen dem Rassismus rechter Gruppierungen und der staatlichen Politik bis in die Gegenwart gezogen. „Jede Partei hat die Sozialchauvinisten, die sie verdient“, lautete die Parole unter dem Konterfei des SPD-Mitglieds Thilo Sarrazin, der mit seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ gegen Hartz IV Empfänger und MigrantInnen agierte.

An der Spitze der Demonstration gingen Flüchtlinge, die seit September letzten Jahres in einem Camp am Oranienplatz ihre vollständige Bewegungsfreiheit und die Abschaffung aller Lager fordern. Die wegen des Dauerregens verkürzte Demonstration endete an diesem Camp mit einem witterungsbedingt nur mäßig besuchten Abschlusskonzert.

Zahlreiche Demoteilnehmer waren mit Bussen aus verschiedenen westdeutschen Städten nach Berlin angereist. Vor allem das antinationale Ums-Ganze-Bündnis hatte bundesweit nach Berlin mobilisiert und stellte mit einem eigenen Block etwa ein Drittel der Demoteilnehmer in Berlin. Bereits in der nächsten Woche steht ein weiterer antirassistischer Protesttermin an. Im Rahmen der Blockupy-Aktionstage in Frankfurt/Main soll am 31. Mai unter der Parole Blockupy-Deportation Airport die Abschiebung von Flüchtlingen über den Frankfurter Flughafen thematisiert und wenn möglich blockiert werden.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154323
Peter Nowak

Ist die Polizei ohne Pfefferspray wehrlos?


Auf dem Parteitag der Berliner SPD wird ein Verbot des Einsatzes von Pfefferspray gegen Demonstrationen gefordert; die Gewerkschaft der Polizei demonstriert dagegen

Vor dem Parteitag der Berliner SPD gab es am Samstag unerwartete Bilder. Die Polizei war dort nicht nur zum Schutz vor potentiellen Protesten vertreten, sondern ist auch selber zum Demonstrieren gekommen. Die Gewerkschaft der Polizei wandte sich damit gegen einen Antrag der Jusos auf dem Parteitag, der ein Verbot des Einsatzes von Pfefferspray gegen Demonstrationen forderte.

Ist Pfefferspray legal? Die Frage kann ganz unterschiedlich beantwortet werden. Einem potentiellen Demonstrationsteilnehmer sei dringend abgeraten, sich mit Pfefferspray in der Tasche bei einer Polizeikontrolle erwischen zu lassen. Generell ist der Besitz von Pfefferspray nur legal, wenn es als Mittel zur Abwehr von Tieren gekennzeichnet ist.

Anders ist die Situation bei Polizeibeamten. Sie dürfen Pfefferspray bei Demonstrationen mitführen und nicht zur Tierabwehr nutzen. Seit 2007 hat der Einsatz von Pfefferspray gegen Demonstranten und renitente Fußballfans zugenommen. Der Grund ist aus polizeitaktischer Sicht einleuchtend: Es hat das bis dahin häufig verwendete CS-Gas ersetzt. Weil es von gasförmiger Konsistenz ist, war damit ein gezielter Einsatz häufig schwierig. Oft wurden auch völlig Unbeteiligte, aber auch Polizeibeamte durch den Gaseinsatz in Mitleidenschaft gezogen.

Das flüssige Pfefferspray kann hingegen viel gezielter gegen bestimmte Gruppen eingesetzt werden. Doch stellte sich heraus, dass das Pfefferspray für die Polizei vielleicht eine handliche Waffe ist, für bestimmte Personen kann der Einsatz aber gravierende gesundheitliche, möglicherweise sogar lebensgefährliche Folgen haben.

Potentiell tödlich

So werden in einer vom wissenschaftlichen Dienst des Deutschen Bundestages herausgegebenen Untersuchung die gesundheitlichen Beeinträchtigungen und eventuelle Langzeitfolgen von Pfeffersprayeinsätzen so beschrieben:

„Indirekte gesundheitliche Gefahren beim Einsatz von Pfefferspray bestehen insbesondere für solche Personen, die unter Drogeneinfluss stehen oder Psychopharmaka eingenommen haben. So beschrieb etwa das US-amerikanische Justizministerium im Jahre 2003 zahlreiche Todesfälle im Zusammenhang mit dem Einsatz von Pfefferspray, (insbesondere) gegen (inhaftierte) Personen, die unter unmittelbarem Drogeneinfluss standen. Nach Angaben von Spiegel-Online ereigneten sich zudem im Jahre 2009 in Deutschland mindestens drei Todesfälle nach einem Polizeieinsatz mit Pfefferspray. Alle Todesopfer standen während der Exposition mit Pfefferspray unter dem Einfluss von Drogen oder Psychopharmaka.“

Vor allem die Grünen, aber auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty international haben sich nach Pfeffersprayeinsätzen gegen Demonstranten immer wieder kritisch zu Wort gemeldet. In einem von der Bundestagsabgeordneten der Linken, Karin Binder, in Auftrag gegebenen Gutachten kommt Björn Schering zu dem Schluss, dass der Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei wegen der gesundheitlichen Gefährdung verboten werden muss. Doch erst ein Antrag der Jusos zum Berliner SPD-Parteitag an diesem Wochenende, in dem der Polizei der Einsatz von Pfefferspray untersagt werden soll, sorgte für eine große gesellschaftliche Debatte.

Alternative Schusswaffen?

Besonders vehement hat sich die Gewerkschaft der Polizei für den Einsatz von Pfefferspray positioniert. Sie haben nicht nur die Demonstration vor dem SPD-Parteitag organisiert. Anfang Mia erklärte der Landesvorsitzende der Berliner Gewerkschaft der Polizei, Michael Purper:

„Wenn sich die Jusos also durchsetzen sollten und die rechtlichen Voraussetzungen bei einem Einschreiten vorliegen, dann ist das eigentlich nur auf eine Weise zu interpretieren: Dass die SPD mehr Schusswaffengebrauch der Polizei will – oder?“

Dass die SPD diese Einwände ignoriert, ist unwahrscheinlich. Selbst wenn der Antrag der Jusos eine Mehrheit finden würde, hätte es keine Folgen, weil die CDU als Koalitionspartner in Berlin schon deutlich gemacht hat, dass mit ihr ein Verbot von Pfefferspray nicht durchzusetzen ist.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154318
Peter Nowak

Burschenschaften unter Druck


Im gesellschaftlichen Abseits sind sie längst angekommen. Wie weit geht ihr Rechtskurs?

Bereits vor Beginn des diesjährigen Burschentags, des alljährliche Treffen der Deutschen Burschenschaften in Eisenach, brandete eine alte Diskussion wieder auf. Eine Neuauflage des Ariernachweises sei dort geplant, berichtete Spiegel-Online mit Verweis auf Materialien, die der Redaktion zugespielt worden waren.

Der Streit darüber hält nun bereits zwei Jahre an und hat die Burschenschaften an den Rand der Spaltung gebracht. Es streiten sich dort ein rechtskonservativer Flügel, der seine Kontakte in die Unionsparteien nicht aufgeben will, und ein völkischer Flügel, der sich auf die verschiedenen politischen Kräfte rechts von der Union beziehen möchte und dafür auch bereit ist, einen gesellschaftlichen Einflussverlust in Kauf zu nehmen. Hauptstreitpunkt zwischen den beiden Flügeln ist die Frage, wer überhaupt Mitglied der Burschenschaft werden darf. Vor zwei Jahren wollte ein aus Asien stammender Studierender Mitglied werden, was dem völkischen Flügel nicht passte, der sich auch durchsetzte.

In diesem Jahr gibt es nun eine Neuauflage der Auseinandersetzung. Der rechte Flügel hat Anträge zur Mitgliedschaft vorbereitet. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins soll nicht mehr nur zwischen „deutscher“ und „nicht-deutscher“ Abstammung, sondern zwischen „deutscher“, „abendländisch-europäischer“ und „nicht-abendländisch-europäischer“ Abstammung unterschieden werden. Wenn sich jemand aus letzterer Gruppe bewirbt, soll eine „Einzelfallprüfung durch den Rechtsausschuss der Deutschen Burschenschaft“ nötig sein.

„Die Struktur dieser Regelung führt fast zwangsläufig zu ähnlichen Kriterien, wie sie die Nürnberger Rassengesetze von 1935, auch ‚Ariergesetze’genannt, vorsahen. Nach denen durfte im Dritten Reich ’nur Volksgenosse sein, wer arischen oder artgleichen Blutes war'“, kommentierten die Spiegel-Online-Journalisten den erneuten Vorstoß. In einer Pressemitteilung bestätigt die Burschenschaft indirekt die Mitteilungen von Spiegel-Online:

„Bereits wenige Minuten nach Abschluß der Pressekonferenz titelte Spiegel online ‚Burschenschafter planen Neuauflage des ‚Ariernachweises“. Der bei der Pressekonferenz anwesende Redakteur hat sich dabei auf ihm illegal zugespielte Unterlagen berufen. Seine Anfragen während der Pressekonferenz zu geplanten Änderungen der Aufnahmekriterien in die Deutsche Burschenschaft waren von den beiden Vertretern der Deutschen Burschenschaft nicht beantwortet worden. Als Grund wurde angegeben, daß entsprechende Anträge noch nicht diskutiert und auch nicht beschlossen wurden.“

Plädoyer für einen Rechtskampf

Doch nicht nur in der Frage der Mitgliedschaft zeigt sich der extrem rechte Kurs der Deutschen Burschenschaft. So hat mit Hans-Helmuth Knütter ein Mann die diesjährige Festrede unter den bezeichnenden Titel „Vom Rechtsstaat zum Linksstaat“ gehalten, der selber laut Informationen von Panorama seit Jahren in extrem rechten Kreisen aktiv sein soll und die in diesen Kreisen beliebte Webseite Links-enttarnt gegründet hat.

Er hat in seiner Rede zur Gründung eines Rechtskampf-Fonds zu mehr rechter Einigkeit und patriotischem Selbstbewusstsein aufgerufen. Allerdings ist mittlerweile nicht mehr zu übersehen, dass die Burschenschaften genauso wie ihr Referent Knütter im gesellschaftlichen Abseits stehen. Das zeigt sich in erster Linie nicht nur an Erklärungen des fzs (freier zusammenschluss von studentInnenschaften), der seit Jahren eine Auflösung der Burschenschaften fordert, sondern auch an anderen Entwicklungen: ein guter Seismograph für den Bedeutungsverlust ist die Entlassung des Berliner Staatssekretärs für Soziales, Michael Büge, durch einen CDU-Senator, weil Büge trotz starken Druck nicht bereit war, die Burschenschaft Gothia zu verlassen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/15431
Peter Nowak

Unruhen in Stockholms Vorstädten

Auslöser ist die Erschießung eines 69-Jährigen durch die Polizei

Gleich drei Nächte hintereinander brannten in Stockholms Vororten Autos. Hunderte Jugendliche und junge Erwachsene waren nach Medienberichten nachts auf der Straße, eintreffende Fahrzeuge der Polizei oder der Feuerwehr wurden mit einem Hagel aus Steinen beworfen. Zu den Zielen der Angreifer gehörte eine Polizeiwache in dem Stockholmer Stadtteil Jakobsberg. Beschädigt wurden auch zwei Schulen und ein Kulturzentrum im Stockholmer Vorort Husby. Dort geschah auch der Vorfall, der zum Auslöser der Proteste wurde.

Dort war ein 69-jähriger Mann von der Polizei erschossen worden, weil er von seinem Balkon mit einem Messer gedroht haben soll. Ein Einsatzkommando war darauf in die Wohnung eingedrungen und hatte den 69-Jährigen angeblich in Notwehr erschossen. Zunächst behauptete die Polizei, der Angeschossene sei sofort von der Ambulanz in ein Krankenhaus gebracht worden. Diese Version konnte durch Nachbarn und Augenzeugen schnell widerlegt werden: Es kam nie eine Ambulanz und der Mann wurde erst mehrere Stunden nach dem Eindringen des Sondereinsatzkommandos in seine Wohnung tot herausgebracht. Diese offensichtliche polizeiliche Falschdarstellung verstärkte bei der migrantischen Bevölkerung in den Stockholmer Vororten die Wut.

Ist Rassismus das Problem?

Auch in den größeren Medien wurde die Frage gestellt, ob rassistisches Polizeiverhalten für den Tod des Mannes verantwortlich ist.

„Ein mit einem Messer bewaffneter 69-jähriger ‚Karl-Erik‘ in einem Villenvorort hätte eine einfache Polizeistreife auf den Plan gerufen. Derselbe 69-jährige ‚Ahmed‘ in Husby ist durch eine schwerbewaffnete Spezialeinsatzgruppe gleich vorbeugend hingerichtet worden“, erklärte ein Aktivist der Organisation Megafonen. Sie ist in den letzten Monaten als Sprachrohr migrantischer Jugendlicher aufgetreten, die mit betont unideologischen Lösungsansätzen in den Stadtteilen für Aufmerksamkeit sorgte.

Wegen ihrer selbstbewussten Vertretung migrantischer Interessen wurde die Organisation von rechten Kräften wie den Schwedendemokraten angefeindet. Schwedische Linke hingegen blickten skeptisch auf das Agieren von Megafonen wegen deren Pragmatismus. Die jüngsten Unruhen dürften zur Aufwertung der Organisation sorgten.

Schließlich handelt es sich um eine der wenigen, die noch die Stimme der migrantischen Jugend in der schwedischen Öffentlichkeit vernehmbar vertreten. In Frankreich, wo es in den Vororten vieler Großstädte in unregelmäßigen Abständen auch zu Unruhen kommt – meist ist auch hier der Auslöser Polizeibrutalität -, gibt es solche Organisationen oft nicht mehr. Wo aber keine Interessenvertretung der subalternen Gruppen mehr zu finden ist, werden deren Artikulationsformen als sinnlose Gewalt wahrgenommen und entsprechend sanktioniert. So ist es wohl vor allem Megafonen zu verdanken, dass nach den Stockholmer Unruhen auch in schwedischen Medien von Polizeibrutalität gesprochen wird und dass berichtet wurde, dass migrantische Bewohner, die vermitteln wollten, von der Polizei als Affen, Ratten und Neger beschimpft worden seien.

„Husby wurde in den letzten Jahren in Stich gelassen“

Aber auch die sozialen Ursachen der Revolte kommen in den schwedischen Medien zur Sprache. So hieß es im sozialdemokratischen Aftonbladet: „Husby wurde in den letzten Jahren in Stich gelassen.“ In der linken schwedischen Zeitung Internationalen wurde von der verlorenen Hoffnung einer ganzen Generation gesprochen, die sich durch die Revolte artikuliert.

Hintergrund der Unruhen ist eine Sozialpolitik der Mitte-Rechts-Regierung, deren Kennzeichen Steuererleichterungen für die Vermögenden gepaart mit Sozialkürzungen ist, die einkommensarme Menschen empfindlich treffen. Mittlerweile gehört Schweden laut einem OECD-Bericht zu den westlichen Industrieländern, mit den am stärksten wachsenden Einkommensunterschieden. Weil die Sozialpolitik der schwedischen Mitte-Rechts-Regierung im Kern in vielen europäischen Ländern praktiziert wird, könnte man auch sagen, dass die Unruhen von Stockholm möglicherweise einen Blick in die Zukunft Europas bieten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154306
Peter Nowak