Kann eine Linke die Politik von Tsipras noch verteidigen?

Die neoliberale Politik der griechischen Regierung sorgt für Streit in der Europäischen Linken

Der Aufruf[1] von Gregor Gysi war so simpel wie vage. „An alle linken und progressiven Kräfte. Einheit herstellen, um neoliberale Politik zu besiegen“, lautete er.

Doch jetzt hat sich die Europäische Linke[2], ein Zusammenschluss unterschiedlicher linker Parteien und Organisationen über die Politik der griechischen Syriza-Regierung zerstritten. Schließlich ist die maßgebliche Regierungspartei Griechenlands Teil dieser Europäischer Linken. Vor einigen Jahren war Alexis Tsipras von Syriza der unumstrittene Star der Europäischen Linken[3].

Schließlich hat er 2015 mit einer Partei links von der Sozialdemokratie die Wahlen in Griechenland gewonnen. Es begannen die wenigen Wochen eines politischen Aufbruchs in Europa. Denn die Syriza-Regierung schien ihr Wahlprogramm zunächst ernst zu nehmen. Sie verwies Vertreter der Troika, die die das wesentlich von Deutschland organisierte Austeritätsdiktat exekutierten, aus dem Land und initiierte einige Reformen.

In vielen Europäischen Ländern setzten sich Menschen für ein Ende oder zumindest für eine Lockerung der Austeritätspolitik ein. Für einige Wochen wurde Tsipras so zum Hoffnungsträger von vielen Menschen, die hofften, in Griechenland werde sich beweisen, dass eine andere Politik möglich ist.

Doch es war maßgeblich die Regierung Merkel-Schäuble, die mit allen Mitteln die Austeritätspolitik umsetzten. Bei der aktuellen Merkelverklärung bis in Teile der Linken und der Grünen solle man sich wieder daran erinnern.

Tsipras und die Mehrheit seiner Partei beugten sich dem Diktat und setzten fortan ziemlich geräuschlos die Politik um, die sie in der Opposition bekämpften (siehe: Alexis Tsipras: Vom Revolutionär zum Konservativen[4]). Wie viele linke Parteien an der Macht hatte auch Tsipras vergessen, warum Syriza gewählt worden waren. Die Verteidigung der eigenen Machtposition war wichtiger. Trotzdem bestand Syriza darauf, weiter Teil der Europäischen Linken zu sein.

Nicht alle waren damit einverstanden. Nun hat die französische Linkspartei die Europäische Linke verlassen, nachdem sie mit ihrer Forderung, Syriza auszuschließen, gescheitert war.

Hat Tsipras seine Ideale verraten?

Die Sprecherin der französischen Linkspartei Sophie Rauszer[5] hat in einem ND-Interview [6]Tsipras Verrat vorgeworfen.

ND: Warum tritt Ihre Partei gerade jetzt aus der Europäischen Linkspartei aus?
Sophie Rauszer: Es galt, Klarheit über unsere Haltung gegenüber der Austeritätspolitik der EU zu schaffen. Weil der griechische Regierungschef Alexis Tsipras seine vor Jahren übernommenen Verpflichtungen verraten hat, haben wir gefordert, seine Partei Syriza aus der Europäischen Linkspartei auszuschließen – die sich im Übrigen in der Griechenlandfrage festgefahren hat. Da dies abgelehnt wurde, haben wir jetzt unsererseits die Konsequenzen gezogen. Ein Jahr vor der nächsten Europawahl war es Zeit für eine solche Klarstellung.
ND: Was werfen Sie Syriza und damit Tsipras vor?
Sophie Rauszer: Sie sind das Synonym für Austerität. Die griechische Regierungskoalition hat das Streikrecht eingeschränkt, hat die Renten gekürzt, hat ganze Bereiche der Wirtschaft privatisiert und unter Wert an China und Deutschland abgetreten.

Interview, Neues Deutschland[7]
Unterstützung bekommt Syriza vom keynesianischen Ökonomen und Politiker der Linkspartei, Axel Troost[8], der sich damit faktisch zum unkritischen Verklärer der Tsipras-Regierung macht.

Schutzschirm über Tsipras und nicht über die Opfer seiner Politik

Korrekterweise erinnert er daran, dass Syriza die Austeritätspolitik zunächst auf den massiven Druck umsetzte. Troost verweist in seiner Erklärung auf die von Gläubigern Griechenlands diktierten Bedingungen und die nach wie vor anhaltende faktische Abhängigkeit der Regierung in Athen. Doch dann wird er zum Apologeten der griechischen Regierung und ihrer Wandlung von linken zu rechten Sozialdemokraten.

Troost konstatiert, es sei der Syriza-geführten Regierung gelungen, einige Weichen Richtung Zukunft zu stellen. So habe Athen am Aufbau eines modernen Staats gearbeitet, was aus linker wie aus rechter Sicht überfällig gewesen sei. Und mit der in der Regierungszeit von Alexis Tsipras erarbeiteten Wachstumsstrategie werde Syriza in den nächsten Wahlkampf ziehen, zeigt sich Troost optimistisch.

Die Spielräume für eine soziale Politik werden langsam wachsen. Der Einsatz war also nicht umsonst.

Axel Troost

Woher Troost dieses optimistische Fazit nimmt, ist nicht ersichtlich. In Griechenland sind die Umfragewerte für Syriza niedrig und die Rechte versucht die Chance zu nutzen, sich wieder an die Macht zu bringen. Auch die Neofaschisten der Goldenen Morgenröte versuchen davon zu profitieren, dass Tsipras und seine Partei nicht mehr als Alternative wahrgenommen werden.

Zum Glück gibt es im linken Spektrum noch Alternativen wie eine Syriza-Abspaltung und die Kommunistische Partei Griechenlands. Es sind aber auch hausgemachte Gründe, die verhindern, dass diese Parteien stärker werden. Statt sich intensiver mit dem Gründen des Scheiterns von Tsipras zu befassen, wird von Troost und anderen in der Linken ein Schutzschirm über ihn und seine Partei gehalten und nicht über die Opfer seiner Politik.

Mit dem Verweis auf den Druck der Troika und der europäischen Regierungen werden die hausgemachten Fehler einfach unter dem Tisch fallen gelassen. Zudem wird die Tatsache verschwiegen, dass Tsipras heute die Politik der rechten Sozialdemokratie durchsetzt.

In der von verschiedenen sozialen Initiativen herausgegebenen Publikation Faktencheck: Europa[9] wird die Bilanz der Syriza-Jahre auf den Punkt gebracht – allerdings ebenfalls die Syriza-Regierung ganz aus der Verantwortung genommen: „Bilanz der Troika-Politik in Griechenland: krasse Verschuldung, krasse Verelendung, krasser Abbau von demokratischen und gewerkschaftlichen Rechten. Konkret geht es neben der sozialen Verelendung auch um den Abbau von Streikrechten und die Durchsetzung von Zwangsräumungen.“

Warum verteidigen Gysi, Troost etc. die Syriza-Regierung?

Natürlich gehen von solchen Statements auch klare politische Signale aus.

Wenn in der Europäischen Linken ein Politiker akzeptiert wird, der wie ein Konservativer agiert, mit dem Unterschied, dass im letzteren Fall der außerparlamentarische Widerstand stärker wäre, dann ist damit die Botschaft verbunden: Wenn wir an der Regierung sind, wird sich auch nicht viel ändern. Wir werden im Zweifel immer an der Seite derer stehen, die grundlegende Veränderungen verhindern.

Das Abwürgen einer starken sozialen Massenbewegung und die Weigerung, eine Politik jenseits der EU überhaupt nur zu überlegen, sind die Kennzeichen von Syriza nach deren Unterwerfung. Dabei hätte sich nach dem erfolgreichen Referendum über ein Nein zum Austeritätsdiktat für einen kurzen Zeitraum die Möglichkeit gegeben, der EU die Stirn zu bieten und auch innenpolitisch einen Bruch mit der bisherigen Politik durchzusetzen.

Dann hätte es auch in anderen EU-Staaten zum Widerstand gegen die Troika kommen können. Doch in der Stunde der Entscheidung zeigte sich, dass Tsipras und seine Syriza Sozialdemokraten waren und als solche agierten. Danach exekutierten sie die Troikapolitik fast reibungslos.

Damit hätte sich Syriza einen Platz unter rechten Sozialdemokraten von Schlage eines Schröder etc. verdient. Dass sie weiterhin von der Linken beschirmt werden, zeigt wie gering die Unterschiedliche zwischen den unterschiedlichen Spielarten der Sozialdemokratie sind.

Dass die französische Linkspartei nun selber den Bruch verzogen hat, heißt noch lange nicht, dass sie nun mit ihrer bisherigen Politik bricht. Es geht um Wahlarithmetik. In manchen Teilen der Wählerschaft der französischen Linken gibt man sich noch kämpferisch, was Syriza auch getan hat, solange sie in der Opposition war.

Für die anstehenden Europawahlen präsentiert sich die Linke zersplittert. Die französische Linkspartei will ein eigenes Bündnis gründen und auch Yanis Varofakis[10] wirbt mit seiner proeuropäischen linksliberalen Diem 21[11] um Wählerunterstützung.

Peter Nowak
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.die-linke.de/start/europaeische-linke/erklaerungen-des-praesidenten/detail/an-alle-linken-und-progressiven-kraefte-europas-einheit-herstellen-um-neoliberale-politik-zu-besieg/
[2] https://www.die-linke.de/start/europaeische-linke/
[3] http://www.spiegel.de/politik/ausland/griechenland-syriza-soll-vorbild-fuer-europas-linke-werden-a-1014940.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Alexis-Tsipras-Vom-Revolutionaer-zum-Konservativen-3907283.html
[5] https://www.transform-network.net/de/netzwerk/autorinnen/detail/sophie-rauszer/
[6] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1093356.europaeische-linke-der-verrat-von-tsipras.html
[7] https://www.neues-deutschland.de/artikel/1093356.europaeische-linke-der-verrat-von-tsipras.html
[8] https://www.axel-troost.de/de/article/9836.der-einsatz-war-nicht-umsonst.html
[9] http://faktencheck-europa.de/ankuendigung-faktencheck-europa-nr-4/
[10] https://www.yanisvaroufakis.eu
[11] https://diem25.org/main-de/
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Ein Sieg der Seeheimer und Seehofers aller Parteien

Scholz, Schulz, Seehofer sind austauschbar und in welchen Parteien sie Karriere machen, ist es auch

Über mehrere Tage wurden die Gespräche für eine neue Regierung aus den Unionsparteien und der SPD so inszeniert, als ginge es dabei um entscheidende Weichenstellungen und ein Großteil der Medien spielte mit. Statt kritischer Aufklärung übten sie sich in Mystifizierungen aller Art.

Das beginnt schon damit,…

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Nach dem Syriza-Wahlsieg: Wie geht es mit der Austeritätspolitik weiter?

„Tsipras wurde durch das Nein in den Verhandlungen in Brüssel geschwächt“

Sven Giegold, Sprecher der Eurogruppe Grüne, über das griechische Nein und die Frage einer neuen europäischen Linken

Nach dem Nein zur Troika-Politik haben Sie getwittert, dass die Wiederaufnahme der Verhandlungen ein Gebot der Stunde ist. Das fordert auch die griechische Regierung. Müsste nicht jetzt ein Schuldenschnitt auf der Tagesordnung stehen?

Sven Giegold: Nach dem „OXI“ drohte eine Eskalationsspirale, die Griechenland schnell aus dem Euro drängen kann. Ein Grexit ist und bleibt unvernünftig. Denn die preisliche Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands ist bereits weitgehend wiederhergestellt, unter enormen sozialen und wirtschaftlichen Kosten. Mit einem Grexit müssten die Menschen noch ein zweites Mal bezahlen: durch den Verlust einer stabilen Währung und mit einer schweren Währungsumstellungskrise.

Ökonomisch ist das auch für die Gläubiger unsinnig, denn je ärmer Griechenland wird, desto weniger kann es seine Schulden zurückbezahlen. Allerdings scheint es, dass etliche Entscheidungsträger in den Mitgliedsländern der EU nicht die Vernunft, sondern eine wirtschaftspolitische Ideologie durchsetzen wollen. Trotzdem sind die politischen Kosten einer drohenden Kosovoisierung Griechenlands für Europa und für das Ansehen in der Welt so hoch, dass ich immer noch Hoffnung habe, dass Merkel, Hollande und Renzi doch noch ihrer Verantwortung gerecht werden und nach einer fairen Einigung mit Tsipras suchen. Dazu muss sich Griechenland zu jenen Reformen verpflichten, auf die es wirklich ankommt: eine leistungsfähige öffentliche Verwaltung, Korruptionsbekämpfung, ein gerechtes und effizientes Steuerwesen.

Was der griechischen Wirtschaft dagegen schadet, sind neue pro-zyklische – also krisenverschärfende – Sparprogramme oder Steuererhöhungen. Das schreckt Investoren ab. Vertrauen für Investitionen kann nur geschaffen werden, wenn die Überschuldung gelöst wird. Das muss kein Schuldenschnitt sein. Auch eine Umschuldung mit einer Begrenzung der Zinszahlungen und Tilgungen gemäß der wirtschaftlichen Entwicklung, können helfen.

Sie hatten in einen Kommentar EU-Parlamentspräsident  Martin Schulz dafür kritisiert[1], dass er im Vorfeld des Referendums eine Ablösung von Ministerpräsident Tsipras forderte. Sie schreiben dort, dass eine solche Einmischung nur dem Nein-Lager in Griechenland nützt. Aber war das nicht ein ungewollter positiver Nebeneffekt gewesen. Schließlich hat die griechische Regierung betont, dass ein Nein keine Absage an die EU und den Euro  ist, sondern  die  Position derer stärkt, die  eine Alternative zur Austeritätspolitik im EU-Raum haben wollen. Wäre das nicht ein guter Grund für Sie gewesen, ein Nein beim Referendum mit zu unterstützten?

Sven Giegold: Die europäischen Grünen haben sich aus Respekt vor der Entscheidung der griechischen Bürger mit Empfehlungen zurückgehalten. Ich halte nichts davon, wenn man aus Deutschland den Bürgern in Griechenland schlaue Ratschläge gibt, wie sie bei einer so schwierigen Entscheidung abstimmen sollen. Zurückhaltung hätte auch der Rolle eines zur Neutralität verpflichteten Präsidenten des Europaparlaments gut gestanden. Es ist leider nicht das erste Mal, dass Martin Schulz demokratische Haltung vermissen lässt.

Aber zum vermeintlich glorreichen „Oxi“: Ich bin mir sehr unsicher, ob das Nein die Verhandlungsposition der Griechen wirklich gestärkt hat, weil es die Entscheidungsträger in Europa nur noch stärker zusammenschweißt. Zudem ist die Stimmungslage in der europäischen Bevölkerung bereits sehr kritisch gegenüber Tsipras. Die Absage an die weitere Sparpolitik kann in der europäischen Realpolitik als Absage zur weiteren Mitgliedschaft im Euro gewertet werden. Diese Interpretation ist aber nicht von der Mehrheit in Griechenland gewollt und könnte im Ergebnis zu einer Katastrophe führen. Wir müssen uns bewusst machen: Das „Oxi“ ist kein Nein zum Euro oder Europa.

„Eine wirtschaftlich-soziale Katastrophe in Griechenland würde allen wieder einmal demonstrieren: Linke Regierungen können es nicht“

Jakob Augstein schrieb[2] vor einigen  Tagen auf Spiegel Online: „Das griechische Scheitern ist Merkels Scheitern.“ Wäre das nicht ein weiterer  Grund gewesen für ein Nein gewesen?

Sven Giegold: Wenn man nüchtern analysiert, so sieht aber die Welt auch etwas anders aus: Die Situation ist für Angela Merkel mit dem Nein viel bequemer. Sie hat nun eine Ausrede, die eigene CDU/CSU-Fraktion nicht von einer fairen Vereinbarung überzeugen zu müssen. Mit einem Ja in Griechenland wäre das ungleich unbequemer gewesen. Diese Analyse ändert nichts daran, dass ich weiterhin hoffe und auch erwarte, dass sie sich letztlich trotzdem für einen fairen Kompromiss entscheidet. Den Griechen den Euro vor die Füße zu werfen, ist aber für sie jetzt einfacher geworden.

Gesine Schwan, bisher nicht als Linke bekannt, hat kürzlich in einem Interview[3] erklärt, die deutsche Regierung wolle Tsipras scheitern sehen, „damit es keine  Ansteckungsgefahr in Spanien und Portugal gibt“. Wäre es noch ein guter Grund für ein Nein gewesen, damit es endlich ernst zu nehmende Alternativen innerhalb  Europas zur Austeritätspolitik gibt? Schließlich betonen auch die Podemos-Politiker ihre proeuropäische Haltung.

Sven Giegold: Gesine Schwan ist im Verhältnis zum gesamten politischen Spektrum natürlich links der Mitte. Leider bin ich auch hier nicht so optimistisch wie sie. Wenn Merkel, Hollande und Co. sich gegen faire Verhandlungen entscheiden, wird das OXI zum Pyrrhus-Sieg. Denn eine wirtschaftlich-soziale Katastrophe in Griechenland würde allen wieder einmal demonstrieren: Linke Regierungen können es nicht. Dass das zu einem großen Teil das Verschulden der europäischen Institutionen ist: geschenkt. Denn bei den eigenen politischen Strategien muss man die gegebenen Kräfteverhältnisse und die Strategien des Gegenübers immer einbeziehen, sonst schießt man sich nur selbst ins Knie und verliert die Unterstützung.

Wäre es nicht jetzt an der Zeit auch in Spanien und anderen Ländern  der europäischen Peripherie Referenden zu fordern. Schließlich gab es auch dort einen starken Widerstand gegen die Austeritätspolitik, die von den dortigen Regierungen rücksichtslos durchgesetzt wurde?

Sven Giegold: Grundsätzlich bin ich immer für die Stärkung der direkten Demokratie, solange dabei die Grundrechte nicht zur Disposition gestellt werden. Allerdings sind Volksabstimmungen nur dann emanzipatorisch, wenn klar ist, worüber abgestimmt wird und eine faire und breite öffentliche Debatte stattgefunden hat.

In Griechenland jedoch war das nicht der Fall. Es wurde gleichzeitig über verschiedene Fragen abgestimmt: Über die Austeritätspolitik und die Demütigung der griechischen Regierung in der letzten Verhandlungswoche sowie über das Verhältnis zwischen Griechenland und Europa bzw. dem Euro. In Spanien wie auch in Portugal und Irland waren zwar die Troika-Programme genauso ungerecht wie in Griechenland, aber sie wurden in Wahlen mehrfach bestätigt. Die dortigen Wahlen waren im Grunde mehrfach Volksabstimmungen über den Kurs in der Finanzkrise. Der Kurs gefällt mir zwar nicht, aber es wäre arrogant, diese Wahlen nicht zu respektieren.

„Es kann keine pauschale Unterstützung für Tsipras geben

Ist es nicht überhaupt ein Versäumnis der Grünen in Europa, Kräfte wie Syriza nicht viel stärker zu unterstützen?  Schließlich handelt es sich um eine  Bewegungen, die mit den autoritären Konzepten der traditionalistischen Linken gebrochen haben, starke Elemente von Basisdemokratie  praktizieren und damit auch Themen aufgreifen, die am Anfang vieler grüner und ökologischer Bewegungen gestanden haben.

Sven Giegold: Syriza selbst ist ein breites Bündnis. Da gibt es Sozialdemokraten und moderne Marxisten. In Syriza gibt es auch Teile, die sich in Deutschland oder Frankreich bei den Grünen politisch zuhause fühlen würden. Die griechischen Grünen sind ein Teil, wenn auch ein sehr kleiner, der Syriza-Regierung.

Allerdings finde ich Basisdemokratie nicht die richtige Beschreibung für eine Regierung, die ausschließlich aus Männern besteht, deren wichtige Entscheidungen wiederum in einem sehr kleinen Kreis von Männern getroffen werden und die ihre Koalitionsmehrheit mit Rechtspopulisten und Rassisten findet. Es gibt zudem in Syriza einen starken altlinken Flügel, der derzeit in Braunkohle und Goldabbau unter Menschenrechtsverletzungen und Naturzerstörung die wirtschaftliche Zukunft sieht. Der macht derzeit unserem grünen Umweltminister das Leben zur Hölle. Hinzu kommt eine relevante Gruppe von Trotzkistinnen und Trotzkisten, mit denen – Ausnahmen bestätigen die Regel – nur schwer auszukommen ist.

In dieser Situation kann es keine pauschale Unterstützung für Tsipras geben. Es kann daher nur um kritische Solidarität gehen. Wir Grüne waren Syriza gerade am Anfang durchaus wohlgesonnen, weil wir ihren Einsatz gegen die Austeritätspolitik richtig finden und unterstützen. Wir waren auch mehrfach vor Ort zu Gesprächen, auch um dazu beizutragen, einer Isolierung der Regierung zu verhindern. Aber wir müssen auch sehen, dass Tsipras‘ Leute gerade aus linker Sicht vieles nicht erreicht haben. Wie die deutsche Linkspartei den Claqueur der Tsipras-Regierung in Deutschland macht, finde ich deshalb peinlich.

Könnte ein Erfolg von Syriza, Podemos und vielleicht bald ähnlichen  Bewegungen in  anderen Ländern nicht günstige Bedingungen für die Herausbildung einer modernen emanzipatorischen Linken unter Einschluss von Teilen der Grünen in Europa bieten?

Sven Giegold: Wir Grünen sind eine pro-europäische Partei, die in den Institutionen durch breite gesellschaftliche Bündnisse viele Veränderungen durchgesetzt hat und noch viele erstreiten wird. Mir gefällt der europapolitische Diskurs von Podemos und Syriza in der Mehrheit nicht. Von ihnen höre ich nie, dass sie in Europa weitere Macht teilen wollen und dazu die Europäische Demokratie stärken wollen. Zudem: Wer die demokratischen Institutionen wie Podemos als „Kaste“ verächtlich macht, vereinfacht populistisch und wird die demokratischen Institutionen irgendwann verlieren.

„Deutschland ist dabei, sich in Europa als selbstsüchtiger Hegemon aufzustellen“

Der Ökonom Thomas Piketty erklärte[4] kürzlich in einem Interview, dass Deutschland historisch gesehen seine Schulden sowohl im Ersten wie auch im Zweiten Weltkrieg nicht bezahlt hat. Warum  machen die  Grünen solche historischen Fakten nicht mehr bekannt?

Sven Giegold: Das haben wir im Bundestag gemacht. Allerdings bezweifle ich, dass man damit politisch weit kommt. Entscheidend bleibt vielmehr: Deutschland ist dabei, sich in Europa als selbstsüchtiger Hegemon aufzustellen. Durch die Folgen der Finanzkrise in Frankreich und die Selbstschwächung Großbritanniens ist Deutschland jetzt eindeutig das wirtschaftlich und politisch mächtigste Land in Europa.

Bislang ist daraus aber nicht das Verständnis gewachsen, diese Macht im Interesse aller in Europa zu nutzen. Vielmehr setzt Deutschland eine einseitige Wirtschaftspolitik durch, die die Anpassungslast in der Krise einseitig bei den anderen Ländern abwälzt. Symbolisch dafür sind das Festhalten an den hohen Exportüberschüssen, die letztlich Instabilität in der Eurozone und darüber hinaus schaffen, und die Verweigerung einer solidarisch finanzierten Investitionspolitik in Europa. Deutsche Hegemoniepolitik in Europa ist nicht nur egoistisch, sondern sie funktioniert auch nicht.

Die europäische Einigung bleibt die größte Chance, die wir haben, Demokratie, Menschenrechte und Ökologie auch unter den Bedingungen der wirtschaftlichen Globalisierung zu stärken. Trotz aller Widersprüche des realen Handelns der EU – durch eine Schwächung der europäischen Einigung wird nichts besser. Die Chancen, dem Kapitalismus und im Besonderen dem Finanzmarktkapitalismus mit demokratisch erstrittenen Regeln menschliche Grenzen zu setzen, werden durch die Schwächung Europas ungleich schlechter. Somit ist die europäische Einigung im Interesse der Mehrheit und praktisch aller progressiven Bewegungen in Europa.

Vertiefte Europäische Demokratie ist schwer zu erreichen und die Fehler Europas sind schwer zu korrigieren. Aber das europäische Projekt von links aufzugeben, wäre ein unverzeihlicherFehler, denn eine bessere Wette haben wir nicht. Der Nationalstaat wird sicher nicht die Ebene sein, auf der wir der ökonomischen Globalisierung demokratisch begegnen können.

„Mangel an Erfolgen“

Hätte nicht gerade ein Ja in Griechenland die Kräfte auch in der Linken, die die EU für nicht reformfähig halten und einen Austritt und damit eine Renationalisierung von links fordern, gestärkt?

Sven Giegold: Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Tsipras wurde durch das Nein in den Verhandlungen in Brüssel geschwächt. Damit ist es noch wahrscheinlicher geworden, dass er einen schlechten Deal nach Hause bringt oder das Land in das Chaos eines Grexit stürzt. Leider!

Sie haben die Politik der griechischen Regierung in letzter Zeit häufiger kritisiert. Wo sehen Sie deren Hauptfehler?

Sven Giegold: Bis heute sehe ich in der Syriza-Regierung eine Chance, Griechenland grundlegend zu verändern. Allerdings hat sich gezeigt, dass sie es auch nicht alleine schaffen. In den ersten fünf Monaten ist bei den zentralen Problemen – Leistungsfähigkeit der Verwaltung, Klientelismus und Steuerverwaltung – nichts vorangegangen. Anders als versprochen, wurde die Lagarde-Liste mit 1063 reichen griechischen Kontoinhabern in der Schweiz nicht abgearbeitet. Stattdessen wurden Steuerzahlern mit Millionenausständen gegenüber dem Fiskus, Rabatte gewährt, wenn sie ihre Steuern doch begleichen. Der Vorschlag, die Namen von Steuersäumigen mit mehr als z.B. 500.000 Euro Rückstand ins Internet zu stellen, wurde nicht umgesetzt. Bei der Kürzung der Militärausgaben ist es unter Syriza nicht weiter vorangegangen. Es ist eine wenig überzeugende Ausrede, dass die Erfolge nur wegen der Troika ausgeblieben sind. Im Gegenteil, es gibt viele negative Zeugnisse: Auch die Syriza-Regierung pflegt ihre mächtigen Klientelismen.

Dieser Mangel an Erfolgen ist leider fatal. Sie war ein Hauptgrund, warum es so leicht war, die griechische Regierung in der Eurogruppe zu isolieren. Bei sichtbaren Erfolgen hätten Tsipras und Varoufakis mit einer ganz anderen Glaubwürdigkeit auftreten können. Es ist einfach nur bitter, dass sie es Schäuble und anderen Scharfmachern gegenüber Griechenland so leicht gemacht haben.

Eine häufige Kritik an Syriza lautete, dass sie die Vermögen der Reichen in Griechenland bisher nicht angetastet hat. Aber ist diese Kritik bei den Grünen nicht verwunderlich, die darüber streiten, ob sie reiche Erben stärker besteuern soll?

Sven Giegold: In der Politik ist manches verwunderlich. Ich finde es auch nicht akzeptabel, dass manche Grünen und Sozialdemokraten bei der Reform der Erbschaftssteuer hinter Schäuble zurückfallen. Allerdings erleben die Verantwortlichen in den Landesregierungen jeden Tag, wie schwer es ist, sich gegen die Wirtschaftsverbände durchzusetzen. Aus dieser Erfahrung folgen Konsequenzen für die Rolle mächtiger Lobbys in der Demokratie.

Jenseits dessen ist es für emanzipatorische Realpolitik entscheidend, auch solche politischen Strategien zu formulieren, die die Wirtschaft inhaltlich spalten, statt gemeinsam gegen sich zu positionieren. So ist es gerade bei der Erbschaftssteuer doch so: Der Mangel an Besteuerung verfälscht den Wettbewerb. Reiche Erben haben einen unverdienten Vorteil gegenüber allen anderen. Für eine angemessene Vermögensbesteuerung spricht eben nicht nur die Verteilungsgerechtigkeit und der demokratische Zusammenhalt einer Gesellschaft, sondern auch die Leistungsgerechtigkeit. Solche Argumente glaubwürdig zu formulieren, ist nicht reaktionär, sondern notwendig für erfolgreiche Veränderung im Hier und Jetzt. Das ist letztlich auch der Kern unseres Green New Deals.

Sven Giegold[5] ist Mitglied des Europäischen Parlaments[6] und Sprecher der Eurogruppe Grüne[7]. Er hat im Streit der griechischen Regierung mit den EU-Institutionen beide Seiten kritisiert.

http://www.heise.de/tp/artikel/45/45412/1.html

Interview: Peter Nowak

Anhang

Links

[1]

http://www.sven-giegold.de/2015/griechisches-referendum-taktlose-einmischung-von-martin-schulz/

[2]

http://www.spiegel.de/politik/ausland/augstein-zu-griechenland-nein-zum-referendum-kolumne-a-1041705.html

[3]

http://www.freitag.de/autoren/jan-pfaff/politik-wird-durch-zwang-ersetzt

[4]

http://www.zeit.de/2015/26/thomas-piketty-schulden-griechenland

[5]

http://www.sven-giegold.de/

[6]

http://www.europarl.europa.eu/meps/de/96730/SVEN_GIEGOLD_home.html

[7]

http://www.gruene-europa.de/

Diktat an Griechenland jetzt direkt aus dem Kanzleramt?

Lässt sich Tsipras in die deutsche EU einbinden?

Skepsis und Solidarität

Die Freude über den Sieg von Syriza bei der Wahl in Griechenland war bei der außerparlamentarischen Linken in Deutschland groß. Für Unbehagen sorgt die Wahl der rechtspopulistischen Partei Anel als Koalitionspartner.

Wochenlang dümpelte die Kampagne für den europaweiten »Blockupy«-Aktionstag, der am 18. März in Frankfurt/Main stattfinden soll, vor sich hin. Wie soll man auch an einem Mittwoch die Massen zu einem symbolischen Protest anlässlich der Eröffnungsfeier für das neue Gebäude der Europäischen Zentralbank (EZB) bewegen, wenn die Mitarbeiter der EZB ihre Arbeit dort schon vor einigen Monaten aufgenommen haben? Zudem gab es auch lange Zeit zahlreiche politische Diskussionen darüber, warum ausgerechnet die EZB zum Ziel der Proteste gemacht wurde. Hatte diese nicht trotz des Widerstands der deutschen Bundesregierung Geld in den Euro-Raum gepumpt und damit schon vor zwei Jahren Spekulationen über ein Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone die Grundlage entzogen?

Doch der Wahlsieg von Syriza in Griechenland hat der Kampagne für den »Blockupy«-Aktionstag Auftrieb gegeben. Für die Mitglieder der Vorbereitungsgruppe ist der Glücksfall eingetreten, dass eine gemäßigt linke Regierung im Euro-Raum den Beweis dafür antreten möchte, dass auch in der Euro-Zone eine andere Politik möglich ist, ohne gleich den Kapitalismus infrage zu stellen. Dem Experiment einer linkskeynesianischen Politik stellt sich nicht nur die Bundesregierung, sondern auch die EZB entgegen. Diese hat eine Sondergenehmigung für den Einsatz griechischer Staatsanleihen aufgehoben. Die Bonds werden seit dem 11. Februar nicht mehr als Sicherheiten für EZB-Kredite akzeptiert. Mit dieser Entscheidung erschwert die EZB den griechischen Banken den Zugang zu frischem Geld. Der konservativen griechischen Vorgängerregierung wurde dieser Zugang noch ermöglicht, obwohl sie den versprochenen Kampf gegen die Korruption nie begonnen hat. Der Regierung unter dem neuen Ministerpräsidenten Alexis Tsipras will die EZB hingegen schon von Anfang an die Möglichkeiten begrenzen.

Eine bessere Werbung konnte sich das »Block­upy«-Bündnis nicht wünschen. Auf der Homepage des Bündnisses wird das ganz offen erklärt. Dort wird zunächst eingeräumt, dass es große Zweifel gab, ob die Entscheidung für den Aktionstag am 18. März nicht ein Fehler gewesen sei. Mit dem Blick auf die Wahl in Griechenland heißt es dann: »Nun können wir sagen: Dieser Fehler war ein Glücksfall.« Man verneige sich »vor dieser Entschlossenheit und Rebellion, vor dem langem Atem und der Hoffnung«, wird das griechische Wahlergebnis kommentiert. Allerdings wird die Begeisterung dann doch etwas abgeschwächt: »Eine andere, bessere Welt wird nicht per Kabinettsbeschluss eingeführt.« Man stehe nicht an der Seite eines Regierungsprojektes, sondern an der »der kämpfenden Menschen in Griechenland und der solidarischen Linken«.

Der Widerspruch, ein Wahlergebnis zu feiern, aber auf Distanz zur sich darauf stützenden Regierung zu gehen, erklärt sich aus der Zusammensetzung des »Blockupy«-Bündnisses, das von Attac bis zum Bündnis »Ums Ganze« reicht. Gerade den linken Vertretern des Bündnisses dürfte die Koalition von Syriza mit der rechtskonservativen Partei Anel besonders missfallen. »Die Chance der griechischen Wahl misst sich daher nicht nur am Umgang der Regierung mit den Auflagen der Troika, sondern gleichermaßen an ihrem Verhältnis zu den Fragen der linken Bewegungen. Sozial geht nicht national, nicht patriarchal, nicht homophob, nicht antisemitisch, nicht rassistisch.«

Auch die »Neue antikapitalistische Organisation« (NaO), ein Bündnis trotzkistischer und antifaschistischer Gruppen, findet deutliche Worte zum Koalitionspartner Syrizas. Anel »ist eine antisemitische, rechtspopulistisch-nationalistische Kraft, die den Teil des griechischen Kapitals repräsentiert, der sich mehr Widerstand gegen EU und Deutschland wünscht«, heißt es dort. »Die Koalition mit der Anel-Partei erschwert sehr die Solidarität«, sagt NaO-Sprecher Michael Prütz der Jungle World. Zugleich ist Prütz aber davon überzeugt, dass die Regierung Syrizas ohne eine starke Solidaritätsbewegung scheitern würde. Bereits vor den letzten Wahlen gründete die NaO ein Griechenland-Solidaritätskomitee. Daraus ist ein Netzwerk entstanden, auf das sich die Solidaritätsgruppen stützen können. Ende Februar wollen sie sich in Köln zu einer ersten Vernetzungskonferenz treffen. Im Rahmen des »Blockupy«-Aktionstags soll es dann zu einer europäischen Kooperation kommen.

Der langjährige IG-Metall-Gewerkschafter Hans Köbrich hat in den vergangenen zwei Jahren mehrmals linke außerparlamentarische Projekte in Griechenland besucht und deren Mitglieder zu Besuchen in Deutschland eingeladen. 2013 beteiligte sich eine griechische Delegation an der »Revolutionären 1. Mai-Demonstration« in Berlin. Sie wollten explizit in Deutschland, dem Land, in dem die Austeritätspolitik für den Euro-Raum konzipiert wurde, ihren Protest zum Ausdruck bringen. In den kommenden Wochen soll wieder eine Solidaritätsdelegation nach Deutschland kommen. Nur ist ihr Großteil dann Teil der neuen Regierungsmehrheit in Griechenland. Doch Köbrich betont, dass es keine Syriza-Jubelveranstaltung geben wird: »Solidarität muss immer kritisch sein.« Allerdings betont der Gewerkschafter auch, dass er der neuen griechischen Regierung nicht vorschnell das Etikett einer weiteren reformistischen Illusion verpassen will. »Ich sehe in der neuen Regierung keine neue Sozial­demokratie, die nur Wohltaten verteilen will. Ich sehe in der Abwahl der alten Eliten eine Chance für reale emanzipatorische Veränderung, die wir nutzen müssen«, sagt er im Gespräch mit der Jungle World.

Während Köbrich Chancen für eine außerparlamentarische Linke ausloten will, haben auch der Vorsitzende des DGB, Reiner Hoffmann, und die Vorsitzenden der Einzelgewerkschaften IG Metall, GEW, IG BCE, NGG, Verdi, EVG und IG Bau einen Aufruf unterzeichnet, der unter dem Motto steht: »Griechenland nach der Wahl – keine Gefahr, sondern eine Chance für Europa«. Sie werten den Wahlsieg von Syriza als eine Chance für mehr Sozialdemokratie im Euro-Raum. Bezeichnenderweise mochte als einzige DGB-Gewerkschaft die Gewerkschaft der Polizei diesen Aufruf nicht unterzeichnen.

Auffällig ist, dass in der Solidaritätsbewegung für Griechenland bisher ein Thema kaum aufgegriffen wurde, das von Tsipras bereits lange vor der Wahl und bei seiner Regierungserklärung im Parlament erneut angesprochen wurde. Es geht um Schulden Deutschlands an Griechenland. Dabei bezieht sich Tsipras auf eine Zwangsanleihe, die die griechische Nationalbank während der NS-Besetzung an das Dritte Reich in Höhe von 476 Millionen Reichsmark zahlen musste. Sie wurden nie zurückgezahlt. Nach griechischen Berechnungen entspräche dies heute elf Milliarden Euro. Griechische Widerstandsorganisationen fordern seit vielen Jahren Reparationszahlungen, sie nennen einen Gesamtbetrag von 162 Milliarden Euro ohne Zinsen für alle Reparationsforderungen. Keine bisherige Regierung hat gewagt, eine solche Forderung an Deutschland zu richten. Das könnte sich unter der neuen Links-rechts-Koalition ändern.

Die Bundesregierung hat auf Tsipras’ Parlamentsrede mit der lapidaren Antwort reagiert, weitere Reparationszahlungen seien ausgeschlossen. Nur handelt es sich bei den nicht zurückgezahlten Zwangsanleihen nicht um Reparationen, sondern schlicht um Schulden. Hier könnte sich auch das Feld für eine linke Bewegung auftun, die bei aller Kritik an Syriza und der neuen griechischen Regierung diese Forderung nach Bezahlung der Schulden an Griechenland in den Mittelpunkt stellen könnte. Zudem könnte sich eine kritische Linke gegen den Sozialchauvinismus wenden, der sich in der deutschen Politik und führenden Medien gegenüber einem Großteil der griechischen Bevölkerung artikuliert. Das begann schon vor einigen Jahren, als die Bild-Zeitung und andere Boulevardblätter über »Pleite­griechen« höhnten, die doch gefälligst ihre Inseln zum Verkauf anbieten sollten. In der kommenden Zeit dürfte wieder die Kampagne »Kein deutsches Geld an Griechenland« reanimiert werden, und zwar in einem Land, das sich standhaft weigert, die Schulden aus der Nazizeit zu begleichen.

In Griechenland geborene Linke wie Mark Terkessidis und Margarita Tsomou haben sich in der Taz irritiert darüber gezeigt, wie ausgiebig in manchen deutschen Medien die Koalition von Syriza und Anel kommentiert wurde, während die Kritik an der Wahl des Koalitionspartners Anel auch in der außerparlamentarischen Linken in Griechenland einen geringeren Stellenwert hat. Die Kritik an den griechischen Rechtspopulisten in Deutschland wäre glaubwürdiger, wenn der antigriechische Sozialchauvinismus deutscher Medien und der Umgang der deutschen Regierung mit den Schulden aus der Nazizeit genauso skandalisiert würden.

http://jungle-world.com/artikel/2015/07/51416.html

Peter Nowak

Wenn die Linke gewinnt, regiert das Chaos

Im Vorfeld der griechischen Wahlen, wird eine Drohkulisse aufgebaut, um einen Wahlerfolg der Linken zu verhindern. Doch was passiert, wenn Syriza doch stärkste Partei wird und sogar eine Regierung bilden kann?

Das Sprachrohr der Finanzwelt spricht Klartext: „Die FTD sagt in ihrer Wahlempfehlung, wen die Griechen wählen sollten, in deutscher und griechischer Sprache“, hieß es in der Ausgabe von Donnerstag. „Widersteht den Demagogen“, lautet die Überschrift und im Text wird schnell klar, dass damit der Spitzenkandidat der Linkssozialisten gemeint ist, der noch wenige Tage zuvor in einem Gastbeitrag in der FTD deutlich machen wollte, dass er nicht der Linksradikale ist, als der in der deutschsprachigen Presse fast unisono geführt wird. Dabei stützten sich die Zeitungen auf die Übersetzung des Parteinamens und verzichteten auf die politische Einordnung von Syriza. In dem Beitrag erläuterte Tsipras seinen „Rettungsplans für Griechenland“, der zutiefst sozialdemokratische Grundzüge hat.

„Die kurzfristige Stabilisierung Griechenlands wird der Euro-Zone zugutekommen, während sie an einem kritischen Punkt in der Entwicklung der Binnenwährung steht. Schlagen wir keinen anderen Weg ein, wird uns die Sparpolitik mit umso höherer Gewissheit zum Ausstieg aus dem Euro zwingen“, wiederholte Tsipras Argumente, die mittlerweile selbst von konservativen Ökonomen vertreten werden. Obwohl er sich dabei auch auf US-Präsident Obama berief, werden seine Argumente in der FTD überhaupt nicht ernsthaft diskutiert. Das wird in der Wahlempfehlung deutlich. Dort heißt es: „Widerstehen Sie der Demagogie von Alexis Tsipras und seiner Syriza. Trauen Sie nicht deren Versprechungen, dass man einfach alle Vereinbarungen aufkündigen kann – ohne Konsequenzen.“ Dass diese Vereinbarungen EU-Diktate waren, gegen die sich auch die Konservativen von der NEA anfangs gesträubt hatten, haben die Redakteure der Financial Times nicht vergessen. So bekommt auch ihr Favorit noch gleich eine Mitschuld an der aktuellen Situation zugewiesen:

„Ihr Land braucht endlich einen funktionierenden Staat. Damit es geordnet regiert wird, empfehlen wir die Nea Demokratia. Das fällt uns nicht leicht. Die Nea Demokratia hat über Jahrzehnte eine falsche Politik betrieben und die heutige Misere mitzuverantworten. Trotzdem wird Ihr Land mit einer Koalition unter Antonis Samaras besser fahren als unter Tsipras, der das Rad zurückdrehen will und eine Welt vorgaukelt, die es so nicht gibt.“

Es fragt sich nur, ob dieser Aufruf in Griechenland nicht den entgegengesetzten Effekt hat. Solche als Empfehlungen getarnten Befehle aus Deutschland will man dort auch nach 65 Jahre nach Kriegsende nicht gerne von dem Land hören, das seine eigenen Schulden an Griechenland nie bezahlt hat. Darauf hat einzig der Publizist Otto Köhler kürzlich hingewiesen. In Deutschland wurde auch nicht über den Brief des Syriza-Abgeordneten Panagiotis Kouroumplis diskutiert, in dem er die geplante Politik der Linkssozialdemokraten erläutert. Trotzdem ist der Wahlausgang ungewiss und der Wahlfavorit der Financial Times Deutschland könnte stärkste Partei werden, was noch immer nichts über die Regierungsbildung aussagt.

EU-Verantwortliche auf dem Todestrip?

Wenn es so kommt, liegt es an dem massiven Druck, der europaweit auf die griechischen Wähler ausgeübt wird. Noch wenige Stunden vor Wahlbeginn warnte Luxemburgs Premierminister und starker Mann in der EU Jean-Claude Junker vor unabsehbaren Folgen bei einen Wahlsieg von Syriza und malte einen EU-Austritt Griechenlands an die Wand, den Syriza mehrheitlich ablehnt. Junker betont noch einmal, „Über die Substanz des Sparprogramms für Griechenland kann nicht verhandelt werden“. Junker steht für die Politik, die der sozialdemokratische Ökonom Paul Krugmann als Todestrip der EU-Verantwortlichen bezeichnet hat.

Die Drohkulisse, die vor den Wahlen um Griechenland aufgebaut wird, wirkt. Selbst in der linksliberalen Tageszeitung empfiehlt ein Kommentator eine Stimmabgabe für die Konservativen. Viele Sparer haben in den letzten Tagen ihre Einlagen von den Konten ab, weil sie befürchten, dass die EU ihre Drohungen, eines Rausschmisses aus dem Euro ernst meint.

Chilenisches Szenario in Griechenland?

Was aber wird passieren, wenn der Druck gerade das Gegenteil bewirkt und Syriza eine Regierung bilden kann, aber nicht gleich die neoliberale Politik fortführt, wie die Linkspartei in ihrer Berliner Regierungszeit? Dann könnte das Drohszenario schon als Vorbereitung auf undemokratische Maßnahmen gewertet werden. Manches erinnert an die Drohungen gegen die Regierung der Unidad Popular 1970 in Chile. Auch damals wurde deren sozialistischer Präsidentschaftskandidat als gefährlicher Linksradikaler apostrophiert. Als die Bevölkerung an den Wahlurnen die Linksregierung unterstützte, wurde, wie der Filmemacher Patricio Guzmann in dem Film „Die Schlacht um Chile“ dokumentierte das Szenario „Allende bedeutet das Chaos“ mit Unterstützung vom US-Geheimdienst und chilenischen Rechtskräften in die Tat umgesetzt, bis ein rechter Militärputsch die Investitionsbedingungen in Chile erheblich verbesserte.

Auch in Griechenland stünden gleich mehrere Rechtskräfte für ein solches Szenario bereit. Die Rechtspopulisten von der Laos haben schon einige Monate mitregiert, ohne dass ein Junker oder eine FTD vor ihnen warnte. Die offen neonazistische Partei der Goldenen Morgenröte hat schon vor einigen Tagen vor den Fernsehkameras deutlich gemacht, dass sie zum Kampf gegen die Linke zur Verfügung steht, als der Sprecher gleich eine Abgeordnete der Kommunisten und von Syriza tätlich angriff. Dass es keine Warnung vor diesen Rechten gibt, zeigt sicher, dass sich mit ihnen sicher kein seriöser EU-Politiker sehen lassen will. Aber als Männer für das Grobe können sie schon gebraucht werden. Mittlerweile bereiten linke Initiativen und Gewerkschafter schon die Gründung von Solidaritätskomitees für Griechenland vor, für alle Fälle.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152217
Peter Nowak