Stefan Heinz/Siegfried Mielke: Alwin Brandes, Oppositioneller - Reformer - Widerstandskämpfer. Metropol, 566 S., br., 23 €.

Moderat

Die von Brandes mitgetragene Politik des angeblich »kleineren Übels« Brüning (gegenüber Hitler) trug zur Verelendung der Massen und zum weiteren Aufstieg der Nazis bei. Hier hätte man sich eine kritischere Haltung der Biografen gegenüber ihres Protagonisten gewünscht.

Eine wenig beachtete Straße erinnert in Berlin-Kreuzberg an Alwin Brandes. Sie führt zur Zentrale der IG Metall. In der Weimarer Republik residierte dort der Deutsche Metallarbeiterverband (DMV), Brandes Wirkungsstätte. Von 1919 bis zur …..

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Noch nicht Geschichte

VVN-Konferenz mahnt

In eindringlichen Worten beschwor der 90-jährige Volkmar Harnisch die Anwesenden, dem Aufstieg einer neuen rechtspopulistischen Bewegung in Deutschland entgegen zu treten. Er war 1944 im Alter von 17 Jahren von den Nazis inhaftiert worden. Am Freitagabend eröffnete er in der TU Berlin eine Konferenz der Vereinigten der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistischen (VVN-BdA). Unter dem Titel »Deutschland wieder gutgemacht?« befasste sie sich mit dem Wandel der Erinnerungspolitik an das NS-Regime. Harnisch ist einer der wenigen noch lebenden Widerstandskämpfe

Wie wird eine Erinnerungspolitik ohne die Zeitzeugen aussehen? Das ist eine Frage, die sich auch der Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme Detlef Garbe in seinem Einführungsreferat stellte. Er warnte vor einem »Aufarbeitungsstolz« deutscher Politiker, die eine neue Rolle Deutschlands in der Weltpolitik damit begründen, dass das Land sich der NS-Geschichte vorbildlich gestellt habe. Garbe erinnerte daran, dass bis in die 1980er Jahre der Kampf um Erinnerungsorte von NS-Terror und Verfolgung eine Aufgabe zivilgesellschaftlicher Organisationen war und von der Politik oft ignoriert oder gar sabotiert wurde. Er betonte, Gedenkpolitik müsse auch weiterhin politisch verunsichern. Wenn die AfD in den Bundestag einziehe, stünden ihr auch Sitze in Kommissionen zu, die sich mit Gedenkpolitik befassen. Zudem beklagte der Historiker daraufhin, dass der Etat für die Aufarbeitung der DDR-Geschichte größer sei als für die Erinnerung an den NS-Terror. Der Publizist Wolfgang Herzberg wiederum, der als Kind jüdischer Kommunisten im britischen Exil geboren wurde, verwahrte sich in einer engagierten Rede gegen die Gleichsetzung der DDR mit dem NS-Regime.

In einer von der Historikerin Cornelia Siebeck moderierten Podiumsdiskussion ging es dann um die Frage, wie eine Erinnerungspolitik aussehen kann, die in die aktuelle Politik kritisch intervenieren will. Nach dem Tod der letzten Zeitzeugen befürchtet sie eine Historisierung des Faschismus. Der Publizist und Jurist Kamil Majchrzak verwies in diesem Kontext auf die Verantwortung der dritten Generation, der Kinder und Enkel von NS-Opfern und Widerstandskämpfern. Dabei griff er eine Diskussion auf, die in Israel schon einige Jahre geführt wird. Majchrzaks Großvater war NS-Widerstandskämpfer und KZ-Häftling. Dessen Erfahrungen hätten auch ihn geprägt.

Für Anne Allex von der AG »Marginalisierte gestern und heute« ist Geschichte der Verfolgung in der NS-Diktatur noch längst nicht vollständig erforscht. Sie wies daraufhin, dass Menschen, die von den Nazis als »arbeitsscheu« und »asozial« klassifiziert wurden, bis heute keine Entschädigung erhalten haben und in den Nachkriegsjahren oft weiter verfolgt wurden. Der Wissenschaftler Stefan Heinz, der in einem Forschungsprojekt der FU Berlin über das Schicksal von Gewerkschaftern und Gewerkschafterinnen im NS-Staat mitarbeitet, ist der Überzeugung, dass vor allem die Widerstandsgeschichte der Arbeiterbewegung gegen die Hitlerdiktatur noch nicht ausgeforscht sei.

Die gutbesuchte Konferenz machte deutlich, dass die Gruppe jener wächst, die sich gegen Versuche stemmt, die Erinnerungspolitik an die Verbrechen des NS-Staates als vergangene Geschichte zu betrachten.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1063300.noch-nicht-geschichte.html

Peter Nowak

Unvergessen

Tagungsnotizen

»Dein unbekannter Bruder« lautet der Titel einer DEFA-Produktion über den kommunistischen Widerstand gegen Hitler in Hamburg. 1982 wurde er von der DDR für die Filmfestspiele in Cannes nominiert, dann aber zurückgezogen und aus dem Kinoprogramm gestrichen. Ein Fall von Zensur der SED? So einfach lässt sich der Vorgang nicht erklären, meint Schauspieler Uwe Kockisch, der im Film die Hauptrolle spielte. Ehemalige Widerstandskämpfer hätten moniert, dass ihr Kampf falsch dargestellt sei. Kokisch interpretierte dies als Streit von Generationen um Geschichtsbilder. Der Film wurde zum Auftakt einer Konferenz im Berliner Haus der Demokratie gezeigt, die sich mit Perspektiven einer Erinnerungskultur des Arbeiterwiderstands befasste. Hans Coppi von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes-Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) stellte die Frage, ob und wie sich diese wandle, wenn kaum noch Zeitzeugen leben. Zum Guten oder Schlechten?

Sabine Kritter von der Gedenkstätte Sachsenhausen registrierte bereits in den letzten Jahren einen Paradigmenwechsel in der Gedenkstättenpädagogik. In Abgrenzung zur Geschichtspolitik der DDR werde der Fokus nun auf bisher marginalisierte Opfergruppen gelegt. Dazu gehören Menschen, die als sogenannte »Asoziale« oder wegen sexueller Andersartigkeit verfolgt worden sind. Der aktivistische Widerstand hingegen sei in den Hintergrund getreten. Kritter gab zudem zu bedenken, dass im Alltag vieler Jugendlicher der Arbeiterwiderstand nicht mehr präsent sei. Auch der Geschichtsdidaktiker Martin Lücke bezweifelte, dass jener noch eine besondere Rolle in der Wissensvermittlung über Opposition und Widerstand gegen die NS-Diktatur einnehme. Ihm widersprach der an der FU Berlin lehrende Politikwissenschaftler Stefan Heinz. Er verwies auf jüngste Forschungen , durch die deutlich geworden sei, dass der Widerstand gegen das NS-Regime in Gewerkschaftskreisen größer als bisher angenommen gewesen ist.

Sodann stellten junge Historiker und junge Gewerkschafter Projekte vor, die sich mit dem Arbeiterwiderstand befassen. Dazu gehört die von der Berliner VVN-BdA initiierte, ehrenamtlich wirkende Arbeitsgruppe »Fragt uns, wir sind die letzten«; fünf Broschüren mit Interviews sind von ihr bisher erschienen. Der Bezirksjugendsekretär der IG Metall-Jugend Berlin-Brandenburg-Sachsen Christian Schletze-Wischmann informierte über eine biografische Videoreihe junger Gewerkschaftsmitglieder. Die Historikerin Bärbel Schindler-Saefkow wiederum berichtete über den langen Weg bis zur Errichtung eines Denkmals für den Arbeiterwiderstand in den Askania-Werken in Berlin Marienfelde. Dabei betonte sie die positiven Erfahrungen mit Jugendlichen einer nahe gelegenen Schule. Praktische Beispiele also, die demonstrieren, dass sich die heutige Jugend sehr wohl interessiert.

Peter Nowak

Nachholende Würdigung

Auf den Spuren verfolgter GewerkschafterInnen

Rezension von Peter Nowak

GewerkschafterInnen gehörten mit zu den ersten, die von den Nazis verfolgt wurden. Oft waren sie Polizei und Unternehmen schon in der Weimarer Zeit verdächtig, besonders wenn sie sich für die Rechte ihrer Kollegen aktiv einsetzten. Die Verfolgungsbehörden konnten also oft auf schon angelegte Akten zurückgreifen. Doch nach 1945 wurde verfolgten Gewerkschaftern in der Regel kaum gedacht. Sie engagierten sich, wenn sie überlebt hatten, in Antifa-Ausschüssen und bei den Neugründungen der Gewerkschaften. Oft starben sie jedoch infolge der Entbehrungen von Verfolgung und KZ-Haft oder schlicht aufgrund der schlechten Lebensverhältnisse von ArbeiterInnen jung.

Daher ist es besonders verdienstvoll, dass seit einigen Jahren an der Freien Universität Berlin das Forschungsprojekt „Gewerkschafter/innen im NS-Staat. Verfolgung – Widerstand – Emigration“ den oft namenlosen verfolgten GewerkschafterInnen ein Gesicht gibt.

Das Projekt  geht maßgeblich auf die Initiative des inzwischen emeritierten Politik-Professors Siegfried Mielke zurück. Ihn hat  gestört, dass gewerkschaftlicher Widerstand – wenn überhaupt wahrgenommen – in der öffentlichen Erinnerungskultur zum Thema Widerstand gegen das NS-Regime eine Nebenrolle spielt.   Im Rahmen des Projekts sind  unter
Einbeziehung einer Reihe NachwuchswissenschaftlerIinnen und Studierender

mehrere Publikationen zum Thema Widerstand und Verfolgung von
GewerkschafternInnen aus verschiedensten Berufen entstanden. Einige
Studien werden in den nächsten Jahren folgen, z. B. zum Widerstand von
Angestellten, Eisenbahngewerkschaftern, Textilarbeitern,
Polizeigewerkschaftern. Einer der Nachwuchswissenschaftler ist der Diplompolitolge Stefan H
einz. Gegenüber express begründet er seine Motivation an der Teilnahme an dem Projekt so:

„Es ist wichtig und letztlich eine politische Angelegenheit, den bisher verkannten Umfang und die kaum wahrgenommene Intensität von Widerstand, Verfolgung und Emigration von
Gewerkschaftern/innen unterschiedlichster politischer Richtungen zu
ermitteln – auch um den „vergessenen“ Widerständlern eine späte Würdigung
widerfahren zu lassen.“

Im Rahmen dieses Projekts ist kürzlich im Metropol-Verlag ein Handbuch erschienen, das die Biographien von 95 Gewerkschaftern – tatsächlich ausschließlich Männern – vorstellt, die hauptsächlich in brandenburgischen Konzentrationslagern Sachsenhausen und Oranienburg,   aber auch im weniger bekannten KZ Sonnenburg, das heute in Polen liegt, inhaftiert   waren. Die an dem Forschungsprojekt beteiligten Wissenschaftler Siegfried Mielke und Stefan Heinz stellen in der ausführlichen Einleitung auch die Frage, warum die Gewerkschaften bisher so wenig unternommen haben, um die Verfolgungsgeschichte vieler ihrer Mitglieder bekannter zu machen. Wesentlich präsenter in der öffentlichen Wahrnehmung ist hingegen der Anpassungskurs, mit dem Funktionäre des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) nach dem Machtantritt der Nazis die Gewerkschaften in das „Dritte Reich“ eingliedern wollten. Trauriger Höhepunkt dieser Anpassungspolitik war der Aufruf des ADGB-Vorstands zur Teilnahme an den von den Nazis organisierten Feiern zum 1. Mai 1933. Einen Tag später ließen die Nazis die Gewerkschaftshäuser besetzen. „Die Auswirkungen der Anpassungspolitik der Organisatoren des ADGB im Frühjahr führten zu der weitverbreiteten Annahme, es habe kaum gewerkschaftlichen Widerstand gegeben. An diese öffentliche Wahrnehmung schließt sich an, dass sowohl die Quantität als auch die Qualität der Verfolgung, die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter betraf, unterschätzt wurden.“ (S. 11) Dabei wird von Heinz und Mielke auch die Verantwortung des DGB benannt. „Die DGB-Gewerkschaften in der Bundesrepublik haben demgegenüber eine große Zahl von Mitgliedern und Funktionäre ihrer Vorläuferorganisationen, die nach 1933 Opfer der NS-Verfolgung waren, in Vergessenheit geraten lassen.“ (S. 13) 1995 äußerte der damalige DGB-Vorsitzende Dieter Schulte sein Bedauern, dass die Gewerkschaften das Gedenken an die Verfolgten vernachlässigt hätten. Das FU-Forschungsprojekt holt nun fast sieben Jahrzehnte nach der Zerschlagung des NS-Systems die versäumte Erinnerungsarbeit nach.

Proletarier hinterlassen weniger Spuren als das Bürgertum

Die Herausgeber gehen auch auf die schwierige Quellenlage ein. ArbeiterInnen hinterlassen offenbar weniger Spuren als Menschen aus dem Bürgertum. Neben den Vernehmungsakten der politischen Polizei und der Gestapo sind auch Berichte, die die Gewerkschafter nach 1945 in Ost- wie Westdeutschland geschrieben haben, um als Verfolgte des NS-Regime anerkannt zu werden, wichtige Quellen, die in dem Buch herangezogen und kritisch ausgewertet werden. In einigen Fällen fließen in die Biographien auch persönliche Angaben von Angehörigen ein.

Die einzelnen Biographien sind sehr interessant und lebendig geschrieben und auch sozialgeschichtlich aufschlussreich. Traditionell interessierten sich viele Menschen auch aus dem Proletariat für das Leben von Adeligen und ‚Stars‘. Das zeigt beispielsweise  die Lektüre der sogenannnten Regenbogenpresse, aber auch das Konsumieren von Fernsehserien , die den „Reichen und Schönen“ gewidmet sind.

In dem Buch wird das Leben von unbekannten ArbeiterInnen dem Vergessen entrissen. Wir lernen in den Biographien Menschen in all ihren Widersprüchen, mit ihrem Mut und politischem Willen, aber auch mit ihren Zweifeln, Ängsten und Fehlern kennen. Gerade weil die Widersprüche nicht verschwiegen werden, ist die Lektüre so anregend. Gleich bei Paul Albrecht (S. 67ff.), dem ersten vorgestellten Gewerkschafter, werden diese Widersprüche deutlich. Als junger Mann war er in der anarchosyndikalistischen Jugend Thüringens aktiv. Ende der 1920er  wechselte er zur KPD,  weil er in deren eigenständiger Gewerkschaftsgründung und der stärkeren Abgrenzung zur SPD einen Linksruck sah. wegen deren Linkskurs zur KPD und engagierte sich in der Revolutionären Gewerkschaftsopposition. Bereits nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 wurde er inhaftiert und misshandelt. Am 1. Juni 1933 wurde er in das Konzentrationslager Sonnenburg gebracht. Nach seiner Freilassung. 1934 setzte er seine Widerstandsarbeit fort. Zwischen 1945 und 1949 war er als Landrat von Genthin führend an der Aufteilung des Großgrundbesitzes beteiligt. Doch nachdem einige Briefe von 1938 bekannt wurden, die er in einem Sorgerechtsstreit mit seiner geschiedenen Frau um den gemeinsamen Sohn geschrieben hatte, verlor Albrecht sein Amt und wurde aus der SED ausgeschlossen (S. 85). In den Briefen hatte er erklärt, mittlerweile auf dem Boden des „Dritten Reiches“ zu stehen. Er warf seiner Frau vor, weiter mit Juden zu verkehren. Erst viele Jahre später, nachdem Albrecht Selbstkritik geübt hatte, wurde er wieder in die SED aufgenommen, bekam aber nur noch Verwaltungsposten beim FDGB. Die  in dem Buch dargelegte Quellenlage löst offen, ob Albrecht den Brief schrieb, um seine Widerstandstätigkeit zu schützen.

Unter den von den Nazis verfolgten GewerkschafterInnen gab es allerdings nicht nur aktive AntifaschistInnen. Exemplarisch sei hier die Biographie des Schauspielers Alfred Braun genannt, der als Sozialdemokrat und Mitglied der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger 1933 inhaftiert war. Nach einem kurzen Exil kehrte er nach Nazi-Deutschland zurück, wo er als  Hörspielregisseur  Karriere beim Berliner Rundfunk machte, die er nach 1945 bruchlos fortsetzte. Ein besonderes Kapitel nehmen die im NS-Staat zeitweise verfolgten gewerkschaftlich organisierten Polizisten ein. Hierfür steht exemplarisch die Biographie von Friedrich Woidelko (S. 778), der im Herbst 1933 für einige Wochen wegen staatsfeindlicher Betätigung verhaftet wurde, obwohl er zu dieser Zeit bereits NSDAP-Mitglied war.

„Nach seiner endgültigen Entlassung am 13. Oktober 1933 sei Woidelko aufgefordert worden,  … zu den Vorfällen zu schweigen und keinen Versuch zu unternehmen, aus der NSDAP auszutreten“ (S. 776). Er blieb bis zum Ende des NS-Regimes NSDAP-Mitglied.  Trotzdem wurde Woidelko nach 1945 eine kleine Rente als Entschädigung gezahlt. Kommunistische Gewerkschafter hingegen, die oft bis 1945 viele Jahre im Konzentrationslager verbringen musste, wurde im Kalten Krieg die Entschädigung verweigert, wenn sie sich weiterhin als Kommunisten betätigten. Viele der vorgestellten Gewerkschafter wollten sich nach 1945 am Aufbau eines antifaschistischen Deutschlands beteiligen. Nur wenige machten Karriere in Spitzenpositionen. Viele hatten zeitweise Konflikte mit der Parteibürokratie, wurden später aber wieder rehabilitiert und kamen auf neue Positionen. Zahlreiche der im Buch aufgeführten sozialdemokratischen Gewerkschaftler in der sowjetischen Besatzungszone unterstützten nach 1945 die Vereinigung der beiden großen Arbeiterparteien zur SED. Zumindest in den vorgestellten Fällen kann nicht davon geredet werden, dass sie gegenüber den ehemaligen KPD-Mitgliedern in der DDR benachteiligt wurden. Generell war in der sowjetischen Besatzungszone und der DDR eine akribische Prüfung die Voraussetzung für die Anerkennung als Opfer des Naziregimes.

In dem Buch werden keine Helden vorgestellt, aber Menschen, die in der Regel nicht auf der Sonnenseite des Lebens standen und die in einer Zeit Widerstand leisteten, in der führende Industrielle und andere Stützen der Gesellschaft die Nazis gefördert haben. Gerade in einer Zeit, in der Neonazis die Krisenverlierer zu rekrutieren versuchen, ist die Erinnerung an diese Menschen sehr wichtig. Auch das Interesse der Studierenden an der Thematik ist in der  letzten Zeit gewachsen. Umso unverständlicher, dass die FU-Forschungsstelle, die diese wichtige historische Aufgabe übernommen hat, noch immer ohne nennenswerte finanzielle Mittel auskommen muss und ohne das ehrenamtlichen Engagement vieler Studierender und Wissenschaftler ihre wichtige Arbeit nicht fortsetzen könnte. Stefan Heinz beschreibt die prekäre Situation so:  „Nahezu alles, was wir machen, wird also aus Drittmitteln bestritten und muss immer wieder aufs Neue extern eingeworben werden, beispielsweise von der Hans-Böckler-Stiftung. Fallen diese Förderungen weg, können wir unsere Forschungen nicht fortsetzen.“

Peter Nowak

Siegfried Mielke (Hrsg.): „Gewerkschafter in den Konzentrationslagern Oranienburg und Sachsenhausen. Biographisches Handbuch“, Bde. 1-4, Berlin 2002-2013: EditionHentrich und Metropol Verlag

aus

express – Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 3/4 2014,

http://www.labournet.de/express/

Peter Nowak

Gewerkschafter und Nazigegner

Handbuch stellt 95 Biografien von Häftlingen der KZ Sachsenhausen und Oranienburg vor

Ein Forschungsprojekt der Freien Universität Berlin beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Geschichte von Widerstand, Verfolgung und Emigration.

Aktive Gewerkschafter gehörten 1933 mit zu den ersten, die von den Faschisten verfolgt wurden. Oft waren sie sogar schon in der Weimarer Zeit Polizei und Unternehmen verdächtig, besonders wenn sie sich für die Rechte ihre Kollegen einsetzten. So konnten die Behörden ab 1933 vielfach auf bereits angelegte Akten zurückgreifen.

Nach 1945 engagierten sich Gewerkschafter, die die Befreiung vom Faschismus erlebt hatten, in Antifaausschüssen und gründeten die Gewerkschaften wieder. Oft starben sie aber viel zu früh infolge der Entbehrungen durch ihre Verfolgung und ihre Haft in Konzentrationslagern. Auch die schlechten Lebensbedingungen in der Arbeiterklasse spielten dabei eine Rolle. Etliche solcher Gewerkschafter sind leider heute vergessen. Daher ist es besonders verdienstvoll, dass seit einigen Jahren an der Freien Universität Berlin das Forschungsprojekt »Gewerkschafter/innen im NS-Staat. Verfolgung – Widerstand – Emigration« den oft namenlosen Verfolgten ein Gesicht gibt. Ein kürzlich im Metropolverlag veröffentlichtes Handbuch stellt die Biografien von 95 Gewerkschaftern vor, die in den KZ Sachsenhausen und Oranienburg inhaftiert waren.

Die Biografien sind sehr interessant und lebendig geschrieben. Dabei war die Quellenlage oft schwierig. Schließlich sind Gewerkschafter in der Regel keine Personen des öffentlichen Interesses gewesen. Daher wurden oft auch die Vernehmungsakten der politischen Polizei und der Gestapo herangezogen. Wenn es möglich war, wurden noch andere Dokumente benutzt. Dazu gehören auch die Berichte, die die Gewerkschafter nach 1945 in Ost- wie Westdeutschland geschrieben haben, um als Verfolgte des Naziregimes anerkannt zu werden. Erfreulich ist, dass die Autoren der Beiträge hier weder eine bloße Heldengeschichte des Widerstands schreiben, noch den Kampf gegen die Nazis im Nachhinein kleinreden wollen.

Die Leser lernen Menschen in all ihren Widersprüchen kennen, mit ihrem Mut und politischem Willen, aber auch mit ihren Zweifeln, Ängsten und Fehlern. Gerade das macht die Lektüre so anregend. Gleich bei Paul Albrecht, der ersten vorgestellten Person, werden diese Widersprüche deutlich. Als junger Mann war er in der anarchosyndikalistischen Jugend Thüringens aktiv, wechselte Ende der 1920er zur KPD und engagierte sich in der Revolutionären Gewerkschaftsopposition. Nach dem Reichstagsbrand am 28. Februar 1933 wurde er inhaftiert und misshandelt. Am 1. Juni 1933 wurde er ins Konzentrationslager gebracht. Nach seiner Freilassung leistete er weiter Widerstand. Zwischen 1945 und 1949 war Albrecht als Landrat von Genthin im Zuge der Bodenreform an der Aufteilung von Großgrundbesitz beteiligt. Doch nachdem einige Briefe bekannt wurden, die er 1938 geschrieben hatte, als er mit seiner geschiedenen Ehefrau einen Sorgerechtsstreit um den Sohn führte, verlor Albrecht sein Amt und wurde aus der SED ausgeschlossen. In den Briefen hatte er erklärt, mittlerweile auf den Boden des Dritten Reiches zu stehen. Er warf dort seiner Frau vor, weiter mit Juden zu verkehren. Erst viele Jahre später, nachdem Albrecht Selbstkritik geübt hatte, wurde er wieder in die SED aufgenommen, bekam aber nur noch Verwaltungsposten beim Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB).

Es ist unverständlich, dass die Forschungsstelle noch immer ohne große finanzielle Mitteln auskommen muss und ohne das ehrenamtlichen Engagement vieler Studenten und Wissenschaftler ihre wichtige Arbeit nicht fortsetzen könnte.

Mielke Siegfried, Stefan Heinz (Hrsg.): Gewerkschafter in den Konzentrationslagern Oranienburg und Sachsenhausen, Biografisches Handbuch, Band 4, Metropol, 870 Seiten, 36 Euro

http://www.neues-deutschland.de/artikel/919656.gewerkschafter-und-nazigegner.html

Vor dem Vergessen gerettet


WIDERSTAND Ein Forschungsprojekt der Freien Universität dokumentiert die Biografien linker GewerkschafterInnen zur NS-Zeit

Seit 2006 erinnert der Name einer kleinen Straße in der Nähe des Hauptbahnhofs an Ella Trebe. Die im Wedding geborene kommunistische Gewerkschafterin wurde am 11. August 1943 zusammen mit 14 weiteren NazigegnerInnen im Konzentrationslager Sachsenhausen erschossen. Ein Gedenkstein im Wedding, der an sie erinnerte, wurde in den 50er-Jahren wieder entfernt – man wollte im Kalten Krieg keine Kommunistin würdigen.

Ella Trebe teilte dieses Schicksal mit vielen antifaschistischen ArbeiterInnen, die sich schon gegen den Nationalsozialismus engagierten, als die heute gefeierten Männer des 20. Juli noch lange nicht an Widerstand dachten. ForscherInnen der „Arbeitsstelle Nationale und Internationale Gewerkschaftspolitik“ an der Freien Universität Berlin (FU) haben jetzt ein Buch veröffentlicht, das die Biografien von 58 kommunistischen GewerkschafterInnen aus Berlin dokumentiert.

Es ist der zweite Band eines umfangreichen Forschungsprojekts zum Thema „MetallgewerkschafterInnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus“. Während der erste Band 82 Biografien aus dem sozialdemokratisch orientierten Deutschen Metallarbeiterverband (DMV) versammelte, geht es nun um AktivistInnen des Einheitsverbandes der Metallarbeiter Berlins (EVMB). Er bestand im Kern aus GewerkschafterInnen, die der DMV wegen kommunistischer Aktivitäten ausgeschlossen hatte, und wurde gegen Ende der Weimarer Republik zum Fokus der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO). Zu einer linken Massenbewegung konnte diese sich allerdings nie entwickeln, die KPD kritisierte die RGO-Politik schon bald als ultralinke Abweichung. Lange dominierte in der Forschung allerdings das Bild der RGO als einer von der KPD-Zentrale gesteuerten Kaderorganisation.

Konflikte mit der KPD

Das Buch zeichnet die unterschiedlichen Beweggründe für das Engagement in der linken Gewerkschaftsopposition nach. Viele der AktivistInnen waren schon während der Novemberrevolution von 1918 in linken Arbeiterräten aktiv und sahen in der RGO die Fortsetzung einer klassenkämpferischen Politik. Dabei gab es immer wieder Konflikte mit den KPD-FunktionärInnen. Auch in der DDR, wo viele der Porträtierten später lebten, war eine RGO-Vergangenheit nicht gerade karrierefördernd, wie an mehreren Beispielen belegt wird. Der Band füllt nicht nur eine Forschungslücke, sondern gibt den vergessenen WiderstandskämpferInnen aus der Arbeiterklasse ihre Biografie zurück.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2013%2F01%2F03%2Fa0174&cHash=f4f0b32f531368844553773bb17d4de4
Peter Nowak

Stefan Heinz, Siegfried Mielke (Hg.): Widerstand und Verfolgung“. Metropol Verlag, Berlin 2012, 304 Seiten, 19 Euro

„Es ist noch vieles aufzuarbeiten


NS-ZEIT Ein Buch informiert über Arbeitsverweigerungen von ZwangsarbeiterInnen in Berlin. Das Interesse am Thema sei vorhanden, sagt Herausgeber Stefan Heinz. Jetzt müsse die Forschung an den Unis verankert werden

INTERVIEW PETER NOWAK

taz: Herr Heinz, der Titel des von Ihnen herausgegebenen Buchs lautet „Der vergessene Widerstand der Arbeiter“. Aber gab es nicht in den 70er- und 80er-Jahren eine Hinwendung zur Geschichte der Arbeiterbewegung und auch des Widerstands?

Stefan Heinz: Einige Widerstandsgruppen sind in der Tat wieder in Vergessenheit geraten. Andere waren bis vor kurzem vergessen oder sind es noch immer. Während DDR-Historiker auf den KPD-Widerstand fixiert blieben, wurden in der Bundesrepublik ab den 70er-Jahren Vorstöße von meist jüngeren Leuten gemacht, Fragen zur Arbeiterbewegung und deren Widerstand gegen das NS-Regime zu thematisieren. Zuvor beschäftigte sich dort die Öffentlichkeit fast ausschließlich mit dem Widerstand konservativer Kreise um den 20. Juli 1944 und der Kirchen. Nach 1989/90 entstand die kuriose Situation, dass bisher nicht zugängliche Archivakten neue Forschungen ermöglicht hätten, die finanzielle Förderung für entsprechende Projekte aber zurückgefahren wurde. Dies entsprach einer Erinnerungskultur, in der linker Arbeiterwiderstand, gerade weil er sich zum Teil als revolutionär verstand, schlicht nicht mehr angesagt war.

In den 90er-Jahren vertraten auch manche linke Historiker die These, dass der Großteil der ArbeiterInnen loyal zum NS-System stand und nur eine verschwindende Minderheit Widerstand leistete. Können das Ihre Forschungen bestätigen?

Ich denke zum einen, dass loyales Verhalten schwer messbar ist, wenn alle, die mit der NS-Politik nicht einverstanden waren, damit rechnen mussten, mundtot gemacht zu werden. Denk- und Verhaltensweisen in der Arbeiterschaft stehen im Widerspruch zur NS-Propaganda einer vereinten „Volksgemeinschaft“. Zum anderen bedeutete Nichtzustimmung keineswegs automatisch widerständiges Handeln, das nur eine Minderheit praktizierte. Wenn zeitliche Phasen betrachtet werden, wird man oft unterschiedliches Verhalten in ein und derselben Person entdecken. Fakt ist, der Arbeiterwiderstand begann schon 1933 und hatte die meisten Verluste zu beklagen. Umfang und Intensität der illegalen Aktivitäten, vor allem von Gewerkschaftern, werden erheblich unterschätzt.

Ein Aufsatz beschäftigt sich am Beispiel von Erich Wollenberg auch mit im Stalinismus verfolgten Kommunisten. Welchen Stellenwert hat das Thema in der Forschung zur Arbeiterbewegung?

Es gibt mehrere Projekte, die sich mit der Verfolgung von Kommunisten im sowjetischen Exil beschäftigen. Diese und andere Forschungen sind wichtig, da auch in diesem Bereich vieles aufzuarbeiten ist. Allerdings sollte darauf geachtet werden, die Funktion von Repression und Gewalt in die Besonderheiten eines politischen Systems einzuordnen, um falsche Gleichsetzungen zwischen Stalins Herrschaft und dem NS-Regime zu vermeiden.

In einem Kapitel beschäftigt sich die Historikerin Gisela Wenzel mit dem Widerstand von in Berlin lebenden polnischen StaatsbürgerInnen. Obwohl die Recherchen weit zurückreichen, ist das Thema kaum bekannt. Wo sehen Sie die Gründe?

Wie Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene haben solche Gruppen kaum eine Lobby, der es ein Bedürfnis ist, sich in ihre Tradition zu stellen und ein Gedenken zu pflegen. Im Vergleich zum Kreis des 20. Juli 1944 war bei diesen Widerständlern eine späte Gewissensentscheidung gar nicht nötig, da sie nie mit den Nazis sympathisiert hatten. Auch hinterließen sie wenig Selbstzeugnisse. Das macht sie für manche uninteressant.

Welche weiteren Aufgaben sehen Sie für die Forschung zum ArbeiterInnenwiderstand in Zukunft?

Es gibt noch sehr viel in den Archiven zu erforschen. Erfreulicherweise wächst das Interesse am Thema bei Studierenden derzeit wieder. Dies belegen auch einige Beiträge in dem Sammelband. Dieses Interesse zu fördern, an den Unis zu verankern und mit einer Gedenkkultur zu verbinden, ist die wichtigste Aufgabe und eine Herausforderung zugleich.

Hans Coppi/Stefan Heinz (Hrsg.): „Der vergessene Widerstand der Arbeiter. Gewerkschafter, Kommunisten, Sozialdemokraten, Trotzkisten, Anarchisten und Zwangsarbeiter“. dietz Verlag, Berlin 2012, 383 Seiten, 29,90 Euro



Stefan Heinz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle „Nationale und Internationale Gewerkschaftspolitik“ am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft der FU Berlin

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig
=2012%2F07%2F07%2Fa0231&cHash=ba7ae1e0de

Interview: Peter Nowak

Das Ende eines lange gepflegten Vorurteils

GESCHICHTE  Linke Gewerkschaftsopposition in der Weimarer Zeit war nicht von Moskau gesteuert, stellt Historiker Stefan Heinz in seinem Buch fest

Deutsche Gewerkschaften sind gegenüber den Bossen zu kooperativ und üben sich in Ritualen, statt in Klassenkämpfen: Solche Klagen sind älter als der DGB. Schon in der Weimarer Zeit befand sich eine linke Minderheit im Konflikt mit den Vorständen des SPD-nahen Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsverbands (ADGB). In der Endphase der Weimarer Republik organisierten sich große Teile dieser Gewerkschaftslinken in der Revolutionären Gewerkschaftsopposition (RGO). Ihr organisatorisches Zentrum war die Berliner Metallbranche.

„Teuflische Pläne, dem Hirn Moskauer Diktatoren entsprungen“: Diese Charakterisierung der Ortsverwaltung des SPD-nahen Deutschen Metallarbeiterverbands (DMV) für die linke Konkurrenz ist bis heute weit verbreitet. Dieses Bild hat der am Otto-Suhr-Institut der FU arbeitende Gewerkschaftsforscher Stefan Heinz infrage gestellt. In seinem 500-seitigen Buch rekonstruiert er die kurze Geschichte des Einheitsverbands der Metallarbeiter Berlins (EVMB), der größten RGO-Gewerkschaft. Dafür wertete er eine Vielzahl von Akten aus den Archiven beider Gewerkschaftsverbände,Überwachungsprotokolle von Polizei und Gestapo, interne Berichte der KPD und SPD sowie Artikel der parteiunabhängigen linken Presse aus.

Heinz weist nach, dass die Initiative zur Gründung nicht von der KPD-Führung oder der Kommunistischen Internationale, sondern von aus dem ADGB ausgeschlossenen GewerkschafterInnen ausging. Für den Forscher liegen die Wurzeln der RGO daher nicht in Moskau, sondern im Kampf gegen die Burgfriedenspolitik von SPD und Gewerkschaften während des Ersten Weltkriegs. Damals hatte sich vor allem unter den Berliner Metallarbeitern ein Kreis linker ArbeiteraktivistInnen herausgebildet.

Als sich im Herbst 1930 die staatlichen Schlichtungsstellen auf die Seite des Unternehmerlagers stellten und Lohnkürzungen festlegten, die vom ADGB akzeptiert wurden, gab der KPD-Vorstand grünes Licht für die Gründung des EVMB. Da dem linken Verband aber keine massenhafte Abwerbung von Mitgliedern aus der alten Gewerkschaft gelang und selbstorganisierte Streiks meist erfolglos blieben, wurde in den KPD-Gremien bald heftig über die RGO diskutiert. Die Auseinandersetzungen nahmen nach dem Machtantritt der Nazis zu.

Viele EVMB-Mitglieder kritisierten alle Versuche der KPD, angesichts der NS-Gefahr mit dem ADGB zusammenzuarbeiten. Der rote Verband hatte sich nach der Zerschlagung des ADGB am 2. Mai 1933 in der Illegalität zunächst konsolidiert und wurde erst durch mehrere Verhaftungswellen in den Jahren 1933 und 1934 empfindlich geschwächt. Im Jahr 1935 wurde der Verband im Zuge der von der KPD verfolgten Volksfrontpolitik, die eine Kooperation mit den SozialdemokratInnen und bürgerlichen Kräften propagierte, gegen den heftigen Widerstand der Basis aufgelöst.

Da die RGO-Politik in der offiziellen KPD-Geschichtsschreibung bald als Linksabweichung galt, wurde auch in der DDR kaum darüber geforscht. Nach erfolglosen Wiederbelebungsversuchen einiger maoistischer Parteien in den 70ern in Westberlin geriet das Thema weitgehend in Vergessenheit. Daher hat Heinz mit seiner Forschungsarbeit eine wichtige Lücke in der Geschichte des Berliner ArbeiterInnnenwiderstandes geschlossen.
 Stefan Heinz: „Moskaus Söldner? Der Einheitsverband der Metallarbeiter Berlins: Entwicklung und Scheitern einer kommunistischen Gewerkschaft“, VSA-Verlag, Hamburg 2010

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2011%2F07%2F29%2Fa0157&cHash=4dbd89600f

Peter Nowak

Teufelswerk?Neue Studie zur RGO –

 

 Stefan Heinz: „Moskaus Söldner? Der Einheitsverband der Metallarbeiter Berlins: Entwicklung und Scheitern einer kommunistischen Gewerkschaft“, VSA-Verlag, Hamburg 2010, 34,80 Euro, ISBN 978-389965-406-6

Das Argument, die Kandidatur auf eigenen Listen gefährde die Gewerkschaftseinheit und die Mitglieder solcher „alternativer“ Listen hätten aus der Geschichte nichts gelernt, ist bis heute verbreitet und wird manchmal bis hinein in die Gewerkschaftslinke vertreten. Damit wird auf die Endphase der Weimarer Republik Bezug genommen, als sich nicht nur SPD und KPD feindlich gegenüberstanden. Auch auf Gewerkschaftsebene lieferten sich der SPD-nahe Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) und die der KPD nahestehende Revolutionäre Gewerkschaftsopposition (RGO) heftige Auseinandersetzungen. Für manche war schon damals klar, wer hinter der Spaltung steht: „Ihr seht auf der anderen Seite das Werk von Moskau.  Teuflische Pläne, dem Hirn Moskauer Diktatoren entsprungen, mit den gemeinsten und verwerflichsten Mitteln, mit Lügen und Verleumdungen in Deutschland in Szene gesetzt, zum Schaden der deutschen Arbeiterklasse, zum Wohle der Kapitalisten“ (S. 442), so drosch die Ortsverwaltung des SPD-nahen Deutschen Metallarbeiterverbands (DMV) in einem Rundschreiben an ihre Mitglieder auf die linke Konkurrenz ein. Diese Lesart der Geschichte hat sich weitgehend durchgesetzt. Die RGO-Politik wird als Werk der Kommunistischen Internationale und des Zentralkomitees der KPdSU angesehen.

Der Berliner Politikwissenschaftler Stefan Heinz hat jetzt in einer monumentalen Arbeit diese These infrage gestellt. Heinz widmet sich auf 572 Seiten der Vorgeschichte, der Entstehung, der Arbeit und dem Ende des Einheitsverbandes der Metallarbeiter Berlins, des ersten Verbands innerhalb der RGO. Dazu wertete er eine Vielzahl von Akten aus den Archiven der beiden Gewerkschaftsverbände aus, aber auch Überwachungsprotokolle von Polizei und Gestapo, interne Berichte der KPD und der SPD sowie Artikel aus der linken Presse, die weder der KPD noch der SPD nahestand. An erster Stelle sind die Berichte der Publikation „Gegen den Strom“ zu nennen, die der Kommunistischen Partei Deutschlands – Opposition (KPO) verbunden war. Sie hatte schon früh für eine Zusammenarbeit aller Arbeiterparteien gegen den NS geworben und analysierte die Ereignisse rund um die Betriebsarbeit mit analytischer Schärfe und ohne parteipolitische Einseitigkeit. Für Heinz liegen die Wurzeln der RGO nicht in Moskau, sondern im Kampf gegen die Burgfriedenspolitik von SPD und Gewerkschaften während des ersten Weltkriegs. Damals hatte sich vor allem unter den Berliner Metallarbeitern ein Kreis linker Arbeiteraktivisten herausgebildet, die sich in Opposition zu den offiziellen Gewerkschaften befanden und während der Novemberrevolution 1918 die Räte als Alternative zu den durch die Burgfriedenspolitik kompromittierten Gewerkschaften propagierten. Viele dieser Aktivisten bildeten den Kern der Revolutionären Obleute, die entscheidenden Anteil am Ausbruch der Novemberrevolution hatten. Viele von ihnen engagierten sich auch im linken Flügel der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei (USPD). In den ersten Jahren der Weimarer Republik initiierten sie Proteste für eine Räteverfassung, die im Januar 1920 in Berlin von der Reichsregierung blutig unterdrückt wurden. Heinz beschreibt dies am Beispiel zweier führender Arbeiteraktivisten, die sich später in der RGO engagierten. „Arbeiter wie Hermann Braun und Karl Jarick erlebten erneut, wie der Ausnahmezustand über Berlin verhängt wurde und 42 Arbeiter bei Protesten ums Leben kamen“ (S. 391). Solche Erlebnisse bestärkten eine ganze Generation von Metallarbeiteraktivisten zum Widerstand gegen die offizielle ADGB-Politik. Dadurch standen sie zugleich immer am Rande des Ausschlusses und wurden mit allen administrativen Mitteln von der Gewerkschaftsbürokratie bestraft. Sie bildeten die Basis für die spätere RGO-Politik, wie Heinz betont.

„Ab 1930/31 konnten die ›roten Verbände‹ dort am ehesten Resonanz beanspruchen, wo bereits in der Anfangsphase der Weimarer Republik in der USPD auf Autonomie gerichtete Radikalpositionen in der Gewerkschaftsfrage vertreten wurden“ (S. 395).

Rationalisierung und Radikalisierung

Sehr gut zeigt Heinz auch die ökonomischen Aspekte auf, die die Herausbildung der RGO begünstigten. Da wären in erster Linie die Folgen der Rationalisierung zu nennen, wodurch vor allem im Metallbereich viele Arbeitskräfte freigesetzt wurden, was die kommunistischen GewerkschafterInnen besonders tangierte. So hieß es in dem Bericht einer kommunistischen Betriebszelle in den Berliner AEG-Werken aus dem Jahr 1926: „Wir haben durch die Rationalisierung 50 Prozent, darunter zwei Drittel unserer aktiven Genossen, verloren. Durch die fortgesetzte Akkordpreissenkung und die Einführung des Fließbandsystems haben unsere Genossen nicht mehr die Zeit und die Möglichkeit, eine größere mündliche Agitation während der Arbeitszeit betreiben zu können“ (S. 418). Zudem ging die ADGB-Bürokratie in der Endphase der Weimarer

 

Zeit verstärkt dazu über, Kollegen durch ihre Unterschrift bestätigen zu lassen, dass sie die Gewerkschaftspolitik der KPD nicht unterstützten. Wer sich weigerte, konnte ausgeschlossen werden. Die Zahl der Ausgeschlossenen  stieg schnell, als infolge der Weltwirtschaftskrise die Angriffe auf die Löhne und die erkämpften sozialen Rechte der Lohnabhängigen von Seiten der Wirtschaft und der Politik zunahmen. Als sich im  Herbst 1930 die staatlichen Schlichtungsstellen auf die Seite des Unternehmerlagers stellten und Lohnkürzungen festlegten, die vom ADGB akzeptiert wurden, war das der unmittelbare Anlass für die Gründung des Einheitsverbands der Metallarbeiter Berlin (EVMB), des ersten RGO-Verbands. Heinz weist nach, dass die Initiative zur Gründung nicht von der KPD-Führung oder der KI, sondern von der Basis ausging. Viele vom ADGB ausgeschlossene GewerkschafterInnen hatten schon lange auf eine eigene kommunistische Gewerkschaft gedrängt.

Kritik aus der KPD

Vor allem die vom ADGB Ausgeschlossenen und Gemaßregelten standen im EVMB auch für einen Kurs der strikten Abgrenzung von den alten Gewerkschaften und zogen sich damit schnell den Unmut der KPD zu. Vor allem, nachdem sich bald herausstellte, dass dem linken Verband eine massenhafte Abwerbung von Mitgliedern aus der alten Gewerkschaft nicht gelingen würde und dass vom EVMB organisierte Streiks deshalb bis auf seltene Ausnahmen erfolglos abgebrochen werden mussten, begann eine Auseinandersetzung mit den KPD-Gremien, die sich bis in die Phase der Illegalität beider Organisationen während des NS hinzog. Die Parteigremien warfen den roten Verbänden vor, die Bündnisarbeit mit den noch unorganisierten Kollegen zu vernachlässigen. „Ich habe in Berlin kontrolliert, dass die Funktionäre der EVMB seit Monaten nicht die reformistischen Zeitungen gelesen haben. Sie haben keinen Dunst, wie man die reformistischen Gewerkschaftsmitglieder für die Oppositionsarbeit im DMV gewinnen will“ (S.231), lautete die Kritik auf einer Sitzung der Kommunisten im Reichskomitee der KPD. Dabei handelte es sich um politische Gegensätze. Während die KPD eine linke Fraktionstätigkeit im DMV nicht aufgeben wollte, wurde eine solche Option immer unwahrscheinlicher, je mehr sich der EVMB als eigenständiger roter Gewerkschaftsverband verstand. Diese Auseinandersetzung sollte 1933/34 noch einmal an Schärfe gewinnen. Während die KPD die Taktik des trojanischen Pferdes propagierte und einen Eintritt von linken GewerkschafterInnen in die nazistische Deutsche Arbeitsfront vertrat, lehnten viele EVMBAktivistInnen diesen Schritt vehement ab. Der rote Verband hatte sich nach der Zerschlagung des ADGB in der Illegalität zunächst konsolidiert. Doch durch mehrere Verhaftungswellen wurden in den Jahren 1933 und 1934 die Strukturen des Verbandes empfindlich geschwächt. Im Zuge der von der KPD verfolgten Volksfrontpolitik, die eine Kooperation mit den Sozialdemokraten propagierte, wurde der EVMB von der KPDFührung schließlich aufgelöst, vor allem weil er die Volksfrontpolitik und den taktischen Eintritt in die DAF nicht mitmachen wollte. Doch viele der AktivistInnen setzten ihren Widerstand fort. Heinz zieht Verbindungen bis zur Uhrig-Gruppe, die während des zweiten Weltkrieges kommunistische Widerstandszellen in vielen Berliner Betrieben aufgebaut hatte. Nachdem die Gestapo ihnen auf die Spur gekommen waren, wurden viele ihrer Mitglieder hingerichtet.

Widerspenstige Genossen

Stefan Heinz hat in seinem Buch die Geschichte einer Generation von ArbeiteraktivistInnen  nachgezeichnet, die im Widerstand gegen die Kriegspolitik des ersten Weltkriegs politisiert, in den Wochen der Novemberrevolution radikalisiert wurden und die syndikalistische Tradition auch in der Auseinandersetzung mit den KPD-Strukturen verteidigt haben. „Ihr im ›roten Metallarbeiterverband‹ praktiziertes, oft widerspenstiges Verhalten gegenüber der eigenen Partei wandten einige Personen später auch in der SED an. Es führte nach den Worten Peschkes (eines EVMB-Aktivsten, P.N.) dazu, dass manche frühere EVMB-Führungskräfte wie er nur ungern als ›erste Garnitur‹ der Partei- und Staatsführung verwendet wurden“ (S. 474). Kennzeichnend  für die EVMB-Aktivisten sind nach Heinz unter anderem „Elemente syndikalistischer Politik, der radikale Anspruch und der sozialrevolutionäre Bewegungscharakter, die Forderung nach eigener Entscheidungsfreiheit, die Verweigerungshaltung bei Eingriffen von Außen“ (S. 475). Mit der gründlichen historischen Rekonstruktion dieser linken Gewerkschaftsopposition liegt eine gerade auch vor dem Hintergrund der aktuellen Krise verdienstvolle und interessante Studie vor – auch wenn das Buch aufgrund seines wissenschaftlichen Stils oft nicht ganz leicht zu lesen ist. Mit seinem Blick auf die Akteure vor Ort beantwortet Stefan Heinz zugleich auch die Frage des Titels: Das waren keine Söldner Moskaus – wie die RGO-AktivistInnen noch heute gerne dargestellt werden.

erschienen im express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 12/10

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Peter Nowak