Die deutsche Erpressungspolitik gegen Griechenland geht weiter


Unter Altmaier setzt sich fort, was Schäuble begonnen hat: eine Einmischungs- und Aufpasserpolitik, die das Aufkommen von Rechten in Kauf nimmt

Wenn heute von Politkern Reformen angemahnt oder gefordert werden, bedeutet das für die einkommensarmen Teile der Bevölkerung nichts Gutes. Das kann man im Inland seit mehr als 30 Jahren beobachten.

Noch in den 1970er Jahren waren Reformen mit der Strategie der Sozialdemokratie verbunden, schrittweise Verbesserungen für die Mehrheit der Menschen durchzusetzen. Seit den 1980er Jahren bedeuten Reformen die Zurichtung der Menschen auf die Interessen des Kapitals. Dieses Prinzip gilt im In- und auch im Ausland.

Die Bevölkerung in Griechenland macht schließlich seit 2015 die Erfahrung, wie das Diktat einer von ihr nicht gewählten EU-Troika unter der Federführung Deutschlands ihre Lebensbedingungen entscheidend verschlechtert. Dabei hatte eigentlich eine Mehrheit der griechischen Bevölkerung durch Wahlen und ein Referendum ein „Oxi“, also Nein, zu dieser Politik deutlich gemacht.

Doch die Troika zog die Daumenschrauben an und erreichte mit der Erpressung, dass der einst linkssozialdemokratische Ministerpräsident Tsipras das Gegenteil der Politik umsetzte, für die er ins Amt gewählt wurde. Mittlerweile ist es selbst Teilen der sozialdemokratischen Schwesternparteien peinlich, wie billig Tsipras und seine Partei ihre postulierten Grundsätze aufgegeben hat.

Manche fordern einen Ausschluss aus der Fraktion der Europäischen Linken. Die Verteidiger des Kurses von Tsipras verweisen auf die politische Niederlage, die die Partei und die Mehrheit der Bevölkerung im Sommer 2015 erlitten und die dazu geführt habe, dass die Regierung eine Politik umsetzen muss, von der sie selbst nicht überzeugt sei. Zudem äußern sie die Hoffnung, dass Griechenland das Schlimmste hinter sich habe und bei einer etwas verbesserten ökonomischen Situation den Druck der Troika vermindern könne.

Hoffnungen weckte auch der Rückzug des deutschen Langzeit-Finanzministers Schäuble von seinem Posten. Schließlich hatte der in den entscheidenden Wochen 2015 der griechischen Regierung die Pistole auf die Brust gesetzt – entweder raus aus der Eurozone oder Unterwerfung. Da nun die Mehrheit der Syriza-Leute eben auch nur Sozialdemokraten waren, die nur links blinkten, entschieden sie sich für die Unterwerfung.

Nach Schäuble spielt Altmaier den deutschen Aufpasser in Griechenland

Doch die Hoffnungen auf eine Milderung des Troika-Drucks nach Schäubles Rückzug vom Wirtschaftsministerium erweisen sich als verfrüht. Vor den Finanzministertreffen der EU in Brüssel, auf dem über weitere Hilfstranchen für Griechenland beraten wurde, machte Kanzleramtsminister Peter Altmaier deutlich, was er vom griechischen Protektorat erwartet.

Griechenland müsse alle Reformauflagen erfüllen, um weitere Gelder zu bekommen. Aber der deutsche Protektor belässt es nicht bei allgemeinen Appellen, sondern wird sehr konkret: Deutschland pocht vor allem darauf, dass die griechische Regierung ein System für Zwangsversteigerungen von Häusern und Wohnungen im Internet schafft. Was das für die Betroffenen bedeutet, erfährt man auf einem Blog, der untersucht, welche Folgen die Troika-Politik auf die Bevölkerung hat:

Bisher war die Praxis der Zwangsversteigerungen wegen Schulden an das Finanzamt eher „lethargisch“, da in allen Fällen – besonders „großer“ Schuldner – die programmierten Zwangsversteigerungen meistens fruchtlos verliefen. Und dies, weil auf Basis der „Verordnung über Beitreibung Öffentlicher Einnahmen“ und der griechischen Zivilprozessordnung das Mindestgebot obligatorisch der sogenannte Einheitswert der Immobilien war, was in diesem Fall als „Schutzschild“ wirkte und die „Krähen“ daran hinderte, sich die Immobilien der Steuerpflichtigen zu Spottpreisen „unter den Nagel“ zu reißen. All dies gehört nun jedoch der Vergangenheit an.

Griechenlandblog

Auf dem Blog wird auch erklärt, dass Griechenland entgegen der Hoffnung von Tsipras und Co. auch nach Auslaufen des Memorandums unter strenger Beaufsichtigung stehen wird, bis es zwei Drittel seiner Schulden getilgt hat.

Warum sich Yanis Varoufakis disqualifiziert hat

Die Verschuldung ist eine Methode, um Länder unter Kuratel zu stellen und zu entscheiden, welche Politiker dort noch eine Zukunft haben und welche nicht. Daran beteiligen sich auch regierungsnahe Journalisten wie Wilfried Loth, der in der FAZ kürzlich das neueste Buch des kurzzeitigen griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis rezensierte, das den Titel trägt: Die ganze Geschichte. Meine Auseinandersetzung mit Europas Establishment.

Dabei verschweigt Loth in der Rezension nicht, was die Absicht der deutschen Politik war.

Varoufakis’ Vertrauen in die Stärke des Schwachen ist umso erstaunlicher, als er deutlich sah, dass Wolfgang Schäuble als einer seiner stärksten Gegenspieler mit voller Absicht auf den Grexit zusteuerte. Ein Ende mit Schrecken war dem deutschen Finanzminister lieber als ein Schrecken ohne Ende: Nur so würden sich die anderen Krisenländer der Eurozone auf einen Stabilitätskurs verpflichten lassen.

Mit der Einschätzung, dass das Maßnahmenpaket nicht tragfähig war, das die Troika Ende Juni vorlegte, stimmte er ironischerweise mit Varoufakis überein. Nur zog er daraus eben den Schluss, dass Griechenland jetzt eine „Auszeit“ von der Währungsunion nehmen müsse, während Varoufakis immer noch hoffte, dies verhindern zu können.

Rüdiger Loth, Allein gegen die Troika

Doch Loth kritisiert nun mit keinen Wort dieses antidemokratische Diktat sondern Yaroufakis, weil er nicht die nötige Demut gegenüber dem deutschen Protektor gezeigt hat.

Schade eigentlich. Varoufakis’ enormer finanzpolitischer Sachverstand, der in dem Bericht auch aufscheint, sein Erfindungsreichtum und seine Energie im Kampf gegen griechische Oligarchen und griechischen Klientelismus könnten bei der Überwindung der griechischen Schuldenkrise immer noch hilfreich sein. Die Polemik, mit der er seinen Bericht umrahmt, disqualifiziert ihn freilich für eine solche Rolle.

Rüdiger Loth, FAZ

Geschichtsvergessene Einmischung in die Politik eines anderen Landes

Da ist das Bedauern herauszuhören, dass ein Mann mit einer solchen Begabung wie Varoufakis nicht oder zu wenig für die deutschen Interessen arbeitet. Dass er es auch noch wagt, deutsche Politiker und ihre Hiwis von der Troika zu kritisieren, disqualifiziert ihn in den Augen von Loth für ein politisches Amt in Griechenland. Auf den Gedanken, dass darüber doch eigentlich die griechischen Wähler entscheiden müssten, kommt Loth gar nicht.

Was für eine Geschichtsvergessenheit gegenüber einem Land, das die deutsche Besatzung mit besonderer Grausamkeit zu spüren bekommen hat! Von Deutschlands Schulden wegen nicht gezahlter Reparationen und nicht zurückgezahlter Kredite wagt in Griechenland schon gar niemand mehr zu reden. Das blieb den wenigen Wochen im Frühjahr und Frühsommer 2015 vorbehalten, als die neugewählte griechische Regierung in Einklang mit der Bevölkerungsmehrheit und bestätigt durch Wahlen und ein Referendum es wagte, sich dem europäischen Hegemon Deutschland zu widersetzen.

Mittlerweile haben sich viele aus der enttäuschen griechischen Bevölkerung wieder nationalistischen Themen zugewandt und gehen massenhaft dafür auf die Straße, dass sich das Nachbarland Mazedonien nicht so benennen darf (siehe Namensstreit um Mazedonien: Ausnahmezustand wegen Großdemonstration in Athen). Und die in der Demonstration mit marschierenden Nazis greifen anschließend linke Zentren an.

Dieser Anstieg der Rechten ist auch ein zumindest in Kauf genommener Effekt des Austeritätsdiktats der EU-Troika. Kurz nach der Regierungsübernahme von Syriza wurde ein Troika-Vertreter aus dem Land geschickt. Das war ein Zeichen von Souveränität. Als die Troika-Vertreter zurückkamen, war die Niederlage von Syriza besiegelt. Doch wer klagt jene EU-Politiker – die aus Deutschland an erster Stelle – an, die sich seit Jahren bis heute in die Politik eines souveränen Staates Griechenland einmischen und die Wahlergebnisse ebenso ignorieren wie Ergebnisse von Referenden?

In den USA wurden nun russische Einzelpersonen und Institutionen wegen Einmischung in die Politik des Landes angeklagt .Was ihnen vorgeworfen wird, ist harmlos gegenüber der Einmischung der EU-Troika und besonders Deutschlands in die griechische Innenpolitik.

Diese Mächtigen denken gar nicht daran, dass Griechenland in der Lage sein könnte, diese Politiker und Bürokraten anzuklagen. Und welches Gericht würde eine solche Anklage annehmen? Schließlich ginge es ja hier um die Anklage einer jahrelangen politischen Praxis und wäre nicht Teil eines Theaters wie die Klagen gegen Russland in den USA.

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Peter Nowak

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[1] https://www.kleinerbuchladen.de/shop/rainer-balcerowiak-die-heuchelei-von-der-reform
[2] https://www.dielinke-europa.eu/de/article/8985.gue-ngl-die-fraktion-der-linken-im-europaeischen-parlament.html
[3] https://peteraltmaier.de/
[4] http://www.deutschlandfunk.de/griechenland-altmaier-fordert-einhaltung-von-reformzusagen.1939.de.html?drn:news_id=852491
[5] http://www.griechenland-blog.gr/
[6] http://www.griechenland-blog.gr/2017/08/griechenlands-finanzaemter-sollen-immobilienvermoegen-pluendern/2140507/
[7] http://www.griechenland-blog.gr/2017/08/griechenlands-finanzaemter-sollen-immobilienvermoegen-pluendern/2140507/
[8] http://www.griechenland-blog.gr/2018/02/griechenland-es-gibt-ein-leben-auch-ohne-kruecken/2141902/
[9] https://www.yanisvaroufakis.eu/
[10] https://www.kunstmann.de/buch/yanis_varoufakis-die_ganze_geschichte-9783956142024/t-0/
[11] http://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/yanis-varoufakis-die-ganze-geschichte-15433969-p2.html
[12] http://www.faz.net/aktuell/politik/politische-buecher/yanis-varoufakis-die-ganze-geschichte-15433969-p2.html
[13] https://www.heise.de/tp/features/Namensstreit-um-Mazedonien-Ausnahmezustand-wegen-Grossdemonstration-in-Athen-3960105.html
[14] http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/30837