Robin Wood und Karla Pappel machen mobil

AKTION Bürger besetzen Gärten in der Treptower Beermannsstraße aus Protest gegen den Bau der A 100

„Besetzt“, steht in großen Buchstaben auf einem selbst gemalten Schild. Darüber hängt zwischen Ästen ein Aktivist der Umweltschutzorganisation Robin Wood in einem mit Gurten am Baum gesicherten Schlafsack. Um eine Feuertonne haben sich ein paar Menschen versammelt. Am Sonntag lief die Frist ab, bis zu der alle NutzerInnen das geräumige Gartenareal in der Beermannstraße 22 in Treptow verlassen sollen. Es soll dem Bau der Autobahn A 100 weichen.

„Wir sind nicht mehr gewillt, den Ausverkauf der Stadt widerstandslos zu akzeptieren“, erklärte ein Mitglied der Treptower Stadtteilinitiative Karla Pappel, die die Aktion zusammen mit Robin Wood vorbereitet hatte. „Wir fordern ein Baummoratorium, um die Gartenanlage zumindest über den Winter zu erhalten“, sagte Peter Schwartz von Robin Wood. Nach der Räumung der Cuvry-Brache gäbe es viele Obdachlose, die bei den winterlichen Temperaturen in Gartenanlagen wie in der Beermannstraße überwintern können. Es gehe aber auch darum, das Projekt A 100 insgesamt infrage zu stellen. Er verweist auf ein Interview des designierten Berliner Bausenator Andreas Geisel (SPD), in dem dieser sich für die Schließung des Autobahnrings aussprach.

Auch die Grünen seien immer gegen den Bau der Stadtautobahn gewesen, sagt der Grünen-Abgeordnete Harald Moritz. Als verkehrspoltischer Sprecher seiner Fraktion ist er Teil einer Verhandlungsgruppe, die zwischen BesetzerInnen und dem Senat vermitteln soll.

Diese Vermittlungsgruppe sei ihr nicht bekannt, erklärte dagegen die Pressesprecherin der Senatsverwaltung, Petra Rohland, auf Nachfrage der taz. Ihre Behörde habe von der Besetzung der Kleingartenanlage aus der Presse erfahren und noch keine Entscheidung über das weitere Vorgehen getroffen.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F12%2F02%2Fa0127&cHash=b450c21a0df7807034eec0e19c67ca5e

Peter Nowak

Eingebaute Vorfahrt

Für den Bau einer Autobahntrasse sollen in Berlin Häuser abgerissen werden. Was aus den Mietern wird, die sich die Miete der Ersatzwohnungen nicht leisten können, scheint den Senat nicht zu interessieren.

Ein fast undurchdringliches Wurzelwerk, seltene Tierarten und alte Bäume. Nur das Rauschen der S-Bahn im Minutentakt erinnert daran, dass dieses grüne Idyll nicht irgendwo in der Provinz, sondern in Berlin-Treptow liegt. Nur wenige Meter entfernt von viel befahrenen Straßen, in denen sich rund um die Uhr Stoßstange an Stoßstange drängt, findet sich noch eine ausgedehnte Kleingartenanlage. Für Annika Badenhop und Andreas Germuth ist es ihr »grüner Himmel«. So nennen sie auch ihren Blog, auf dem sie seit Frühjahr 2010 ihre Beobachtungen, die sie als ständige Gartennutzer machen, protokollieren. Akribisch wird dort notiert, wann welcher Vogel in welchem Baum seinen Nistplatz aufgeschlagen hat, welche Pflanze gerade blüht und wo sich ein Waldkauz gezeigt hat. »Natur, Garten und Selbstversorgung« lautet der Untertitel des Blogs, der gut zur derzeitigen Konjunktur des Urban Gardening passt. Doch mit dem grünen Idyll in Treptow soll es in diesem Herbst vorbei sein. Wo derzeit noch hohe Bäume seltenen Tierarten ein Domizil bieten, soll bald eine Großbaustelle für den 16. Bauabschnitt einer Autobahn entstehen.

»Die Bundesautobahn A 100 ist für das Fern-, Regional- und Stadtstraßennetz der Hauptstadt Berlin von großer Bedeutung«, heißt es auf der Homepage der zuständigen Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. »Die Erreichbarkeit des zukünftigen Flughafens Berlin-Brandenburg und des Wissenschaftsstandorts Adlershof sowie die weiträumigen Verbindungen nach Dresden, Cottbus und Frankfurt/Oder werden damit wesentlich verbessert.«

Von den Gartennutzern ist hier ebenso wenig die Rede wie von den zwölf Mietparteien, die noch in der Beermannstraße 22 wohnen. Das Haus befindet sich im Besitz des Bundes und soll noch in diesem Herbst abgerissen werden, damit die Vorarbeiten für die A 100-Trasse beginnen können. Man habe den Mietern Angebote für Ersatzwohnungen gemacht, sagt Birgit Richter von der Senatsverwaltung. Jonas Steinert*, einer der letzten verbliebenen Mieter in der Beermannstraße, berichtet im Gespräch mit der Jungle World, dass er als Freiberufler kein großes Einkommen habe. Daher seien für ihn Ersatzwohnungen, deren Miete zwischen 65 und 120 Prozent über der Miete seiner derzeitigen Wohnung liegen, aus finanziellen Gründen nicht akzeptabel. »Für mich ist eine Erhöhung von maximal zehn Prozent der Nettokaltmiete tragbar«, schrieb Steinert an die Senatsverwaltung.

Statt einer Antwort erhielten Steinert und andere Mieter der Beermannstraße Schreiben, in denen die Senatsverwaltung die Enteignung der Mieter ankündigt. »Ich teile Ihnen mit, dass ich zur Wahrung unserer Interessen in Kürze bei der zuständigen Behörde die vorzeitige Besitzeinweisung und die Enteignung des Mietrechts beantragen werde«, heißt es in den der Jungle World vorliegenden Briefen. Steinert musste sich von einem Rechtsanwalt erklären lassen, dass ihm damit mitgeteilt werde, dass nach Paragraph 116 des Baugesetzbuchs gegen ihn vorgegangen werden soll und er dadurch zahlreiche Rechte, die er als Mieter gegen eine Kündigung hat, verliert.

»Durch die Besitzeinweisung wird dem Besitzer der Besitz entzogen und der Eingewiesene Besitzer. Der Eingewiesene darf auf dem Grundstück das von ihm im Enteignungsantrag bezeichnete Bauvorhaben ausführen und die dafür erforderlichen Maßnahmen treffen«, heißt es in dem Gesetz. Eine vorzeitige Besitzeinweisung dürfe allerdings nur getroffen werden, wenn die »Maßnahme aus Gründen des Wohls der Allgemeinheit dringend geboten« ist, heißt es dort weiter. »Wir sollen für den Bau einer Autobahn, die in Berlin äußerst umstritten ist, aus unseren Wohnungen fliegen«, moniert Karl Pfeiffer. Der Endfünfziger wohnt im Vorderhaus der Beermannstraße. Er sei immer an Verhandlungen interessiert gewesen und lehne auch einen Auszug nicht generell ab.

»Wir sind doch für die Senatsverwaltung nur lästige Verwaltungsakte, die schnell verschwinden sollen. Wenn solche Töne aus der Senatsverwaltung kommen, sagen wir, das lassen wir mit uns nicht machen«, sagt Pfeiffer. Die letzten verbliebenen Mieter sind besonders empört, dass in den Schreiben der Senatsverwaltung eine Räumungsaufforderung der Wohnungen bis zum 31. Oktober enthalten ist. Als Drohung ohne jegliche Grundlage bezeichnet Steinert diesen Passus, den er daher auch nach juristischer Beratung ignoriert hat. Ihn empört, dass der Senat eine solche Drohkulisse aufbaut und damit Angst bei den Mietern erzeugt. Zumal die Senatsverwaltung in dem Schreiben auch betonte, dass sie zur Bereitstellung von Ersatzwohnungen nicht verpflichtet sei. Das klang am 16. Januar 2014 noch ganz anders. Damals erklärte der zuständige Berliner Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Michael Müller (SPD), auf eine mündliche Anfrage des Abgeordneten Harald Moritz (Grüne) zu den sozialen Folgen der Verlängerung der A 100 im Berliner Abgeordnetenhaus: »Im Zusammenhang mit den zuständigen Verwaltungen der Grundstücke … werden insbesondere die Mieterinnen und Mieter unterstützt, bei denen sich die Wohnraumsuche aus privaten Gründen schwierig gestaltet.«

Die verbliebenen Mieter wollen Müller, der gerade kurz vor seinem nächsten Karriereschritt steht, nun an diese Versprechungen erinnern. Nach der parteiinternen Abstimmung hat die Mehrheit der Berliner SPD-Mitglieder Müller zum Nachfolger des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit bestimmt. »Das Thema A 100 spielte parteiintern bei der Abstimmung keine Rolle«, bedauert Mieter Steinert, der extra in die SPD eingetreten ist, um deutlich zu machen, dass das Thema A 100 noch nicht abgehakt sei. Doch er hatte nicht die Gelegenheit, einen dazu vorbereiteten Redebeitrag zu verlesen. Darin hätte er sicher auch daran erinnert, dass Müller neben Wowereit bereits zu einer Zeit, als das Bauvorhaben auch innerhalb der Berliner SPD noch umstritten war, zu einem der vehementesten Befürworter des Autobahnbaus gehörte. Eine Mehrheit für den Ausbau der A 100 kam damals nur zustande, weil Wowereit seine politische Zukunft daran knüpfte. Müller steht also für Kontinuität.

Berthold Kreutz*, ebenfalls ein Mieter der Beermannstraße, kann nur darüber lachen, dass Müller nach seiner parteiinternen Kür zum Nachfolger von Wowereit von der Berliner Boulevardpresse überschwänglich dafür gelobt wurde, dass er seinen Sieg ganz bescheiden mit einer Pizza feierte und sich, anders als sein Vorgänger, in den Imbissbuden der Hauptstadt auskenne. »Mich interessiert nicht, ob ein Regierender Bürgermeister Kaviar isst, sondern wie er mit Mietern mit wenig Geld umgeht«, kommentiert Kreutz diesen Populismus.

Die verbliebenen Mieter der Beermannstraße erhalten Unterstützung von der Treptower Stadtteilinitiative »Karla Pappel«, die in den vergangenen Jahren den Zuzug von Baugruppen in den Stadtteil und die Folgen für die einkommensschwache Bevölkerung thematisierte. Im Film »Die Verdrängung hat viele Gesichter«, der seit Oktober in zahlreichen Berliner Programmkinos läuft, wird diese Auseinandersetzung gut dokumentiert. Für die Mieter der Beermannstraße ist ihre drohende Verdrängung auch mit dem Gesicht des designierten Regierenden Bürgermeisters Michael Müller verbunden. Dessen Vorzimmer wurde bereits am 19. Oktober, einen Tag nach der Urabstimmung der Berliner SPD, bei der sich Müller gegen seine Konkurrenten um das Amt des Bürgermeisters, Jan Stöß und Raed Saleh, durchsetzte, von A 100-Gegnern für einige Stunden besetzt.

Namen von der Redaktion geändert

http://jungle-world.com/artikel/2014/45/50858.html

Peter Nowak