Durch Hendrik Wallats neues Buch »Gewalt und Moral« zieht sich wie ein roter Faden die Frage, wann die Oktoberrevolution und die von ihr ausgehenden weltweiten linken Bewegungen ihren emanzipatorischen Anspruch verloren haben. Neben Wallat versuchen sich sieben Autoren, ausschließlich Männer, an einer »historisch-philosophischen Annäherung an die Gewaltfrage in Emanzipationsbewegungen«. Dieser im Klappentext formulierte Anspruch wird in dem Buch auf hohem wissenschaftlichem Niveau eingelöst. Oskar Negt erinnert an Nikolai Bucharin, den auch seine Selbstbezichtigung im Interesse der Partei nicht vor der Hinrichtung durch den stalinistischen Terrorapparat bewahren konnte. Sebastian Tränkle beschäftigt sich mit der Reaktion von progressiven Intellektuellen auf revolutionäre Gewalt in der Geschichte. Mit dem Aufsatz »Sozialrevolutionäre versus reaktionäre Gewalt« des Frankfurter Soziologen Detlev Claussen macht das Buch einen linken Grundlagentext wieder zugänglich. Wallats Buch liefert Material, um an die früh abgebrochene Debatte wieder anzuknüpfen. Allerdings sind einige der Beiträge in akademischem Jargon verfasst. Das gilt besonders für Ingo Elbes Beschäftigung mit Carl Schmitt sowie für Gerhard Schweppenhäusers Aufsatz über den Stellenwert der Gewalt bei den Theoretiker_innen der Frankfurter Schule. Philippe Kellermann hingegen schreibt gut verständlich über die denkbar unterschiedlichen Positionen zur Gewalt in der anarchistischen Bewegung.
Peter Nowak
Hendrik Wallat (Hg.): Gewalt und Moral, Eine Diskussion der Dialektik der Befreiung. Unrast Verlag, Münster 2015. 284 Seiten, 18 EUR.
aus: ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und Praxis / Nr. 610 / 17.11.2015
https://www.akweb.de/ak_s/ak610/05.htm