Wie unterschiedliche politische Ausrichtungen im Zuge der Ukraine-Krise den Krieg wieder denkbar machen
„Alle EU-Staaten sollten gemeinsam beschließen, den Verteidigungshaushalt um mindestens ein Drittel anzuheben, parallel zum Aufstocken konventioneller Streitkräfte und technologischer Innovationen. Das würde in Moskau zur Kenntnis genommen werden. Putin wird dem nur wenig entgegensetzen können, hat er doch die heimische industrielle Basis eigenhändig demontiert. Der Westen würde nur wiederholen, was US-Präsident Ronald Reagan in den 1980ern vorexerzierte.“
Dieser Ratschlag [1] für einen Rückfall in die Eiszeit des kalten Krieges wurde nicht in der Springerpresse, sondern in der grünennahen Taz veröffentlicht und sorgte für heftige Leserreaktionen. Viele Taz-Leser sehen sich noch irgendwie der Friedensbewegung zugehörig und Ronald Reagan ist für sie noch immer Sinnbild des Gegners.
Doch der Verfasser des Ratschlags, Taz-Autor Klaus Helge Donath, hat nur konsequent zu Ende gedacht, wohin die Ukraine-Politik der Grünen führt. Keine Partei im deutschen Bundestag hat sich in den letzten Wochen so unverbrüchlich auf die Seite der Kiewer Maidan-Bewegung einschließlich ihres Rechten Sektors gestellt [2] und die russische Regierung gleichzeitig so vehement angegriffen wie seit den Tagen Ronald Reagans kaum ein westlicher Politiker. Donath behauptet natürlich, sein Vorbild Reagan habe gezeigt, dass man den Gegner besiegen könne, ohne einen heißen Krieg zu führen. Doch schon diese Aussage ist falsch. Es wurden unter Ronald Reagan wie unter seinen Vorgängern heiße Kriege geführt, allerdings nicht zwischen den USA und der Sowjetunion, sondern zwischen deren Verbündeten im globalen Süden.
Der Vietnamkrieg war nur das bekannteste Beispiel. Zudem stellt sich Donath nicht die Frage, welchen sozialen Preis die Politik des Totrüstens für viele Menschen hätte. Denn in der Konsequenz seines Vorschlags würden die Rüstungsfirmen profitieren, während die Ausgaben für Soziales, Bildung etc. weiter zurückgefahren würden.
Weil die Kritik an dem Kommentar bei der Taz-Leserschaft nicht abbrechen wollte, schaltete sich die Taz-Chefredakteurin Ines Pohl schließlich persönlich in die Debatte ein und stellte rhetorisch die Frage [3], „ob wir damit nicht unsere kriegs- und militärkritische Tradition verraten, auf unzulässige Weise vereinfachen und unsere Leserschaft für dumm verkaufen. Die Redaktion blieb darüber uneins.“
Nun haben die Redakteure der Taz spätestens seit 1999, als die Grünen in die Bundesregierung eintraten, schon häufiger Kriege unterstützt. Sie kann also durchaus schon auf eine längere Tradition von bellizistischer Theorie zurückgreifen und wurde deswegen von Antimilitaristen auch heftig kritisiert.
Altes Feindbild Russland
Allerdings hat die aktuelle Debatte noch einmal spezifische Elemente, vor allem die klare Frontstellung gegen Russland, was nicht nur bei Donath deutlich wird. Die Polenkorrespondentin der Taz, Gabriele Lesser, hat in den letzten Jahren sehr gute Reportagen über die NS-Verbrechen und ihre einheimischen Profiteure geschrieben. Jetzt sieht [4] sie in Putin einen Wiedergänger Hitlers.
Sogar die Aussiedlung der Deutschen aus Polen nach dem 2. Weltkrieg wird herangezogen, um die Kritik an Putin zu historisieren. „Die traumatischen Ängste der Polen, Balten und Ukrainer sind mit dem Hitler-Stalin-Pakt 1939 verbunden, dem anschließenden Überfall auf Polen und die spätere Besatzungszeit“, schreibt die Autorin und betrachtet hier die Geschichte ausschließlich durch die Brille des Teils der Bevölkerung, der in der Sowjetunion den Hauptfeind sah und gesehen hat.
Dass es nach dem 1. Weltkrieg in den genannten Ländern einen Flügel der Arbeiterbewegung gab, der eine sozialistische Räterepublik aufbauen wollte und blutig niedergeschlagen wurde, wird dabei schon einmal vernachlässigt. Nach ihrer Niederlage waren diese linken Gewerkschafter und Arbeiter einer massiven Repression der nationalen Bewegungen in diesen osteuropäischen Ländern ausgesetzt.
Ebenfalls ausgeblendet wird die Perspektive der jüdischen Bevölkerung in diesen Ländern, die von eben dieser nationalistischen Bewegung massiv verfolgt und dann in Arbeitsteilung mit dem NS-Regime ermordet wurde. Auch für sie war daher die Sowjetunion keinesfalls das Trauma, sondern eine Hoffnung für die wenigen Überlebenden.
Wie sehr die Autorin die Perspektive der nationalistischen Kräfte einnimmt, zeigt sich, wenn sie über die Zeit nach dem Sieg nur kurz schreibt:
Wenn Lesser, die in der Vergangenheit auch eindrucksvolle Berichte über die Verfolgung von Juden in Osteuropa geschrieben hat, es also besser weiß, den antisowjetischen Widerstand aus deren Selbstsicht ganz ohne Anführungsstriche schreibt, werden die von diesen Kräften ausgehenden antisemitischen Verfolgungen zu einer nicht mehr erwähnenswerten Randspalte der Geschichte.
Genauso handeln die Politiker verschiedener Parteien, die der Grünen an vorderster Front, die sich undifferenziert mit den Maidan-Protesten solidarisierten und es nicht für nötig hielten, sich von den Rechtsradikalen auch nur rhetorisch abzugrenzen. Besonders unappetitlich und geschichtsklitternd wird es, wenn Lesser dann noch die Umsiedlung der Deutschen in die sowjetisch-russischen Verbrechen aufnehmen will:
Nicht als Befreier der letzten noch Überlebenden der NS-Vernichtungslager, sondern schon 1944/45 wird hier die Rote Armee als russische Besatzungsmacht bezeichnet. Damit bedient Lesser ein Geschichtsbild, wie es lange Zeit nur am rechten Rand und bei Vertriebenenorganisationen gepflegt wurde. Wenn dann noch die Umsiedlung der deutschen Bevölkerung aus den osteuropäischen Ländern nach der Niederlage des NS zum russischen Diktat wird, ist das rechte Geschichtsbild komplett. Unterschlagen wird, dass den Umsiedlungen ein Beschluss sämtlicher Alliierter der Anti-Hitler-Koalition vorausging.
An diesem etwas ausführlicher zitiertem Beispiel soll verdeutlicht werden, wie in Krisenzeiten rechte und nationalistische Mythen selbst in liberalen und scheinbar aufgeklärten Kreisen wieder neu aufbereitet werden. Sie können durchaus dazu beitragen, eine Bevölkerung, die sich gar nicht in einen Konflikt hineinziehen lassen will, kriegsbereit zu machen.
Wenn schon mal die KSK eingreifen soll
Wenn vor einigen Tagen Bild einen möglichen KSK-Einsatz [5] zur Befreiung der in der Ostukraine entführten Bundeswehrsoldaten in die Diskussion brachte, wird schnell klar, dass die Aufwärmung der rechten historischen Mythen mit aktuellen politischen Ereignissen gekoppelt wird.
„Wir machen Hausbesuche weltweit“, wird den Bundeswehr-Spezialkräften nachgesagt. Nun wurden die Entführten auch ohne deutschen Hausbesuch an der ukrainisch-russischen Grenze freigelassen. Doch eine neue Eskalation im deutsch-russischen Verhältnis ist in der Zukunft nicht ausgeschlossen. Denn die Bundesverteidigungsministerin hat den Einsatz von Bundeswehrsoldaten in Zivil in der Ukraine verteidigt und auch für die Zukunft nicht ausgeschlossen.
Das ist nur möglich, weil es in den letzten Tagen in Deutschland kaum kritische Diskussionen über den Hintergrund der Entsendung gegeben hat. Dabei wären vielfältige kritische Nachfragen angebracht. Das fängt schon damit an, dass sie weiterhin permanent als OSZE-Beobachter bezeichnet werden, was der Mission eine zivile Note gibt und die Festsetzung der Männer besonders verwerflich erscheinen lässt.
Dabei ist schon seit Tagen bekannt und auch offiziell bestätigt worden, dass es sich bei den festgehaltenen Personen „nicht um offizielle Mitglieder der zivilen Beobachtermission“ der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit handelt, sondern um Soildaten als Militärbeobachter aus Deutschland, Dänemark, Tschechien, Polen und Schweden, die aufgrund von bilateralen Verträgen mit der Ukraine ins Land gereist sind, um die Lage zu beurteilen („Das ist ein Verstoß gegen alle Standards“ [6]). Welche politischen Stellen sind für den Einsatz verantwortlich? Waren Provokationen eingeplant? War die Aktion mit anderen Ländern abgesprochen oder handelt es sich um eine Soloaktion?
Das sind nur einige der Fragen, die eine kritische Opposition stellen müsste. Wenn Linke und Grüne ihre kritische Aufklarungsarbeit bei der NSA-Affäre hier zum Maßstab nehmen würden, müssten sie auch in diesem Fall einen Untersuchungsausschuss fordern. Aber es ist eine Sache, die USA in Deutschland anzuprangern und die deutsche Regierung höchstens dafür zu kritisieren, dass sie nicht souverän genug sei, oder mit genau der kritischen Brille die Politik der deutschen Regierung zu betrachten.
„Wir schlittern in einen Krieg“
Da könnte sich die Opposition in Deutschland Kollegen in den USA als Vorbild nehmen. „Wir schlittern in einen Krieg“, warnt [7] der US-Russlandforscher Stephen Cohen ebenfalls in der Taz. Er sieht dabei in erster Linie die Politik der US-Regierung in der Verantwortung, aber blendet die Rolle der Putin-Regierung aus und lobt die Politik der Bundesregierung.
Trotz dieser Schwäche in Cohens Analyse, hat sein Ansatz einen großen Pluspunkt. Er stellt die Politik der Regierung seines Landes in der Ukraine-Krise in den Mittelpunkt der Kritik. Im Gegensatz dazu geben sich Einige aus dem grünalternativen Spektrum als Scharfmacher, die an die Politik von Ronald Reagan anknüpfen wollen, alte antirussische Geschichtsmythen recyceln und Antisemitismus und Nationalismus nur bei ihren Gegnern sehen. Damit sind sie auf einem alten historischen Gleis. Bereits 1914 verteidigten die Mehrheitssozialdemokraten ihre Kriegsunterstützung damit, dass Deutschland vor Russland verteidigt werden müsse.
http://www.heise.de/tp/news/Stell-Dir-vor-es-gibt-Krieg-und-die-Opposition-macht-mit-2182068.html
Peter Nowak
Links:
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