Haft macht altersarm


Die Justizministerkonferenz hat kürzlich die Aufnahme von Straf­gefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung angemahnt. Die Bundesländer verschleppen dieses Vorhaben seit 41 Jahren.

»Auf Initiative von Berlin hat die Justizministerkonferenz am 7. Juni 2018 beschlossen, dass die Einbeziehung von Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten in die gesetzliche Rentenversicherung sinnvoll ist.« Mit dieser kurzen Pressemitteilung weckte die Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung in der vergangenen Woche Hoffnung bei Tausenden Gefangenen. Die Justizministerinnen und -minister der Länder bekundeten auf ihrem jüngsten Treffen die Absicht, endlich ein Gesetz zu befolgen, das bereits 1977 vom Bundestag in Bonn beschlossen worden war. Allerdings war es nie in Landesrecht übernommen worden, die Gegner des Vorhabens hatten stets auf fehlendes Geld verwiesen (Jungle World 48/2015). Ein weiterer Grund dürfte darin bestehen, dass Strafgefangene keine politische Lobby haben.

Die Folgen sind der juristischen Ignoranz sind gravierend: Selbst wer im Gefängnis jahrelang geschuftet hat, muss wegen der fehlenden Rentenbeiträge aus der Haftzeit mit einiger Wahrscheinlichkeit mit Armut im Alter rechnen. Auch eine gewerkschaftliche Organisierung wird Strafgefangenen verweigert, die 2014 gegründete Gefangenengewerkschaft/Bundesweite Or­ganisation (GG/BO) wird bislang nicht als Gewerkschaft anerkannt. Die GG/BO forderte in den vergangenen vier Jahren neben dem Mindestlohn für Strafgefangene wiederholt auch deren Einbeziehung in die Rentenversicherung. Wie eng die ­beiden Forderungen zusammenhängen, wird deutlich, wenn man die Grundlage der Rentenberechnung betrachtet. Würde sie sich an den Dumpinglöhnen orientieren, für die Gefangene derzeit schuften müssen, würde sich auch bei ihrer Einbeziehung in die Rentenversicherung an der Altersarmut nichts ändern. Das betont auch der Sprecher der GG/BO, Marco Bras dos Santos, im Gespräch mit der Jungle World. Er sieht es als Erfolg für seine Organisation, dass die Landesjustizminister überhaupt wieder auf ein Gesetz verwiesen haben, dessen Umsetzung die Bundesländer seit 41 Jahren verschleppen.

Selbst wer im Gefängnis jahrelang geschuftet hat, muss wegen der fehlenden Rentenbeiträge aus der Haftzeit mit Armut im Alter rechnen.

Doch für Santos gehören nicht nur der Mindestlohn und die Einbeziehung der arbeitenden Gefangenen in die Rentenversicherung zusammen. Er fordert auch die Koalitionsfreiheit für die Kollegen hinter Gittern. Das würde ihnen ermöglichen, für ihre Forderungen in den Arbeitskampf zu treten. Solche Schritte würden den Gefangenen nach derzeitiger Rechtslage als Meuterei ausgelegt, für die sie eine weitere Bestrafung fürchten müssten. So können die Gefangenen kaum für ihre Arbeitsrechte eintreten. Gefangene, die sich in den vergangenen vier Jahren in der GG/BO gewerkschaftlich orga­nisierten, waren ohnehin häufig mit Zellendurchsuchungen, Verlegungen und anderen Sanktionen konfrontiert. Mit großer Unterstützung für ihre Forderungen nach Mindestlohn und Aufnahme in die Rentenversicherung können sie außerhalb der Gefängnisse nicht rechnen. So berichten nur sehr wenige Medien überhaupt darüber, dass die Justizministerkonferenz an die seit vier Jahrzehnten verschleppte Rentenversicherung für Gefangene erinnert hatte.

Das Komitee für Grundrechte und Demokratie gehört zu den wenigen Organisationen, die seit Jahren Mindestlohn und Rentenbeiträge für Strafgefangene fordern. Die Sprecherin des Komitees, Britta Rabe, bewertet die Erklärung der Justizminister im Gespräch mit der Jungle World positiv, weist allerdings auf viele offene Fragen hin: So sei überhaupt noch nicht geklärt, wie die Rentenversicherung geregelt werden soll, etwa was die Bemessungsgrundlage für die Beitragshöhe angeht. Zudem sei kein Termin genannt worden, ab dem die Gefangenen in die Rentenversicherung einbezogen werden sollen. Rabe weist auch auf eine Frage hin, die über die erforderlichen konkreten Regelungen hinausweist: Warum sollten nicht auch die Gefangenen entschädigt werden, die in Altersarmut leben, weil die Politik die Anwendung eines Gesetz über vier Jahrzehnten verschleppt hat? Solche Fragen müssten Juristen in der nächsten Zeit auf jeden Fall prüfen, sagt sie. Die Zeit der schönen Absichtserklärungen bei der Rente für Gefangene sei längst vorbei.

Das dürfte auch den Verantwortlichen in den Bundesländern dämmern. Es wird interessant sein zu sehen, wie diejenigen Länder, die sich bislang gegen die Aufnahme der Strafgefangenen in die Rentenversicherung gesträubt haben – neben Bayern waren es auch Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein –, künftig mit der Erinnerung durch die Justizministerkonferenz umgehen werden. Dass die Justizminister keinen Termin genannt haben, kommt den Ländern entgegen, denn so gibt es keine Frist, aus der sich unter Umständen ein einklagbarer Rechtsanspruch für die Gefangenen ableiten ließe.

https://jungle.world/artikel/2018/25/haft-macht-altersarm

Peter Nowak

Endlich auf dem Weg

Peter Nowak über einen Beschluss der Justizminister zur Rente für arbeitende Gefangene

Es sind nur zwei Sätze, die vielleicht verhindern könnten, dass Tausende Menschen im Alter in Armut leben müssen. »Auf Initiative von Berlin hat die Justizministerkonferenz am 07.06.2018 beschlossen, dass die Einbeziehung von Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten in die gesetzliche Rentenversicherung sinnvoll ist«, heißt es in einer Mitteilung des Berliner Justizsenats. Die Nachricht ging unter, dabei enthält sie eine kleine Sensation: Immerhin bekunden die Länderminister damit die Absicht, ein seit 41 Jahren verschlepptes Vorhaben umzusetzen. Seit 1977 steht zu Recht im Strafvollzugsgesetz die Forderung, arbeitende Gefangene in das Rentenversicherungssystem zu integrieren. Die Angleichung der Lebensverhältnisse »hinter Mauern« mit denen »draußen« gehört zum Kern des Resozialisierungsprinzips

Das Argument für den Ausschluss war bislang das fehlende Geld. Doch der eigentliche Grund liegt darin, dass Gefangene keine Lobby haben. So wurde von der Politik akzeptiert, dass sie in Altersarmut leben müssen, auch wenn sie im Gefängnis jahrelang zu Niedriglöhnen gearbeitet haben. Einen Mindestlohn bekommen sie bis heute nicht. Auch das Recht auf eine gewerkschaftliche Organisierung wird ihnen abgesprochen. Deswegen wird die 2014 gegründete Gefangenengewerkschaft bis heute nicht anerkannt. Sie hat neben dem Mindestlohn auch den Einbezug in die Rentenversicherung wieder auf die Tagesordnung gesetzt.

»Wo bleibt die Koalitionsfreiheit?«, fragt der Sprecher der Solidaritätsgruppen, Marco Bras dos Santos

Viele Organisationen der Straffälligenhilfe unterstützen diese Forderungen seit Jahrzehnten. »Wo bleibt die Koalitionsfreiheit?«, fragt der Sprecher der Solidaritätsgruppen, Marco Bras dos Santos,
die der Gefangenengewerkschaft zur Seite stehen. Dann könnten die arbeitenden Gefangenen notfalls mit einem Arbeitskampf dafür sorgen, dass die Absichtserklärung zu für sie akzeptablen Bedingungen umgesetzt wird. Denn noch sind weder die Rentenhöhe noch der Termin für die Einbeziehung der arbeitenden Gefangenen in die Rentenversicherung klar. Das kritisiert auch Britta Rabe vom Komitee für Grundrechte und Demokratie, das sich seit Jahren für dieses Anliegen einsetzt. Die Bundesregierung sei jetzt gefordert, schnellstmöglich das entsprechende Gesetz zu erlassen.
Rabe fordert, dass der Mindestlohn als Bemessungsgrundlage für die Rentenhöhe herangezogen werden müsse. Das zeigt auch, wie notwendig weiterhin eine solidarische Öffentlichkeit ist. Und warum sollten nicht auch die Gefangenen entschädigt werden, die in Altersarmut leben müssen, weil die Politik ein Gesetz seit vier Jahrzehnten verschleppt hat, das genau dies verhindern sollte? Es gibt einen Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz. Warum soll es nicht auch einen Rechtsanspruch für Gefangene auf Mindestlohn und Rente für ihre Arbeit geben?

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1091213.endlich-auf-dem-weg.html?

Peter Nowak

Neidkampagne gegen Cicciolina?


Der früheren Abgeordneten des italienischen Parlaments Ilona Staller wird eine rechtmäßige Pension geneidet, die Kollegen mit Mafia-Beziehungen ohne jeden Einspruch gestattet wird

Geldsorgen wird Ilona Staller in Zukunft nicht mehr haben. Die unter ihren Künstlerinnennamen Cicciolina bekannte auf Pornos spezialisierte italienisch-ungarische Schauspielerin hat mit Erreichen ihres 60. Lebensjahres Anspruch auf eine jährliche Pension von 39.000 Euro. Denn sie war von 1987 bis 1992 in der Fraktion der Radikalen Partei, die mit ihren Verzicht auf jegliche Ideologie und ihrer Konzentration auf Volksentscheide und Bürgerbeteiligungen als eine Art Vorläuferin der Piratenpartei im Vorinternetzeitalter gelten kann, Mitglied des italienischen Abgeordnetenhauses.

Die Radikalen sowie ihre diversen Nachfolgeprojekte gehörten denn auch teilweise zum Parteienbündnis um Berlusconi, teilweise waren sie Bestandteil der Mitte-Links-Bündnisse, die in Opposition zu Berlusconi standen. Zu dieser Zeit hatte Staller, die keine Berlusconi-Freundin ist, ihre parlamentarische Episode, nicht aber ihre politischen Aktivitäten beendet. Sie trat für eine nuklearfreie Welt und die vollständige sexuelle Freiheit ein. Für die Rechte von Gefängnisinsassen setzte sie sich ebenso ein, wie für die weltweite Abschaffung der Todesstrafe, ein Ende von Tierversuchen und jegliche Formen der Zensur.

Im Jahr 2002 versuchte sie, mit solchen Forderungen vergeblich für das ungarische Parlament zu kandidieren. Um ihre linke Politeinstellung zu verdeutlichen, entblößte sie häufiger bei Wahlkampfauftritten die linke Brust. Ob ihr diese Symbolik in Ungarn geschadet hat oder eher ihre angeblichen Kontakte zum ungarischen Geheimdienst vor 1989, ist unklar. Auch ohne Parlamentssitz machte Cicciolina immer wieder auf sich aufmerksam.

So bot sie in den 1990er Jahren den irakischen Diktatur Saddam Hussein ihren Körper an, wenn er ein Ende der Diktatur in seinem Land zusicherte. Auch Osama Bin Laden unterbreitete sie ein solches Angebot, wenn er im Gegenzug von seinen terroristischen Plänen abließ. Beide sehr speziellen Versuche einer Konfliktlösung hatten bekanntlich keinen Erfolg. Wieweit Cicciolina diese Aktionen ernsthaft betrieb, ob es sich um Kunstprojekte oder um eine Selbstdarstellerin in eigener Sache handelte, bleibt umstritten. Zumindest ihre Ehe mit dem US-amerikanischen Objektkünstler Jeff Koons würde dafür sprechen, dass in Cicciolinas Handeln künstlerische Einflüsse keine unbedeutende Rolle spielen.

Kampagne gegen unliebsame Frau?

Warum aktuell die Meldungen über ihre Rentenansprüche in den italienischen Medien lanciert werden und teilweise für Empörung sorgen, ist unverständlich. Denn dabei handelt es sich keineswegs um ein besonderes Privileg, das nur ihr gewährt wird. Das machte sie auch in einem Statement gegenüber dem Guardian deutlich, der ihre Rentenansprüche an prominenter Stelle publizierte.

„Alle ehemaligen Mitglieder des Parlaments bekommen eine Pension und da ist es nur fair, dass ich sie auch bekomme,“ erklärte sie der Zeitung und damit hat sie vollständig recht. Cicciolina profitiert von einem Gesetz, das sämtlichen italienischen Abgeordneten nach Erreichen des 60ten Lebensjahres den jährlichen Rentenanspruch garantiert. In diesen Genuss sind in der Vergangenheit auch Parlamentarier gekommen, die wegen Bestechung oder Verbindung zur Mafia rechtskräftig verurteilt worden sind. Solche Vorwürfe kann man Cicciolina keinesfalls machen.

Ihre mit ihren speziellen Mitteln popularisierten Forderungen nach Libertinage in allen Lebensbereichen mögen skurill und naiv sein, sie stören wohl einige im gegenwärtigen italienischen Polit-Establishement. Daher dürfte die mediale Empörung gerade über ihre Rentenansprüche auch eine Ablenkungsfunktion haben. In Zeiten der Wirtschaftskrise, wo alle sparen müssen, soll mit einer Neidkampagne gegen unliebsame Personen die Kritik von der Regierung abgelenkt werden.

Sollten ihre parlamentarischen Gelüste schon gestillt sein? Vielleicht sucht ja die Piratenpartei noch bekannte Gesichter für das EU-Parlament? Dann sollten sie mal bei Ilona Staller nachfragen. Schließlich sind viele ihrer Themen, mit der sie in der parlamentarischen Arena punktete, mit dieser Formation kompatibel. Und durch ihre Rentenansprüche hat sie ihre politische Unabhängigkeit gestärkt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/150503

Peter Nowak