„Wenn die Arbeit der Filmemacher endet, beginnt die Arbeit der Aktivisten“


Auf der Biennale prämiert: „The Silence of Others“. Der Film thematisiert die nicht aufgearbeitete faschistische Vergangenheit der spanischen Regierungspartei

Politisch engagierte Filme sind schon lange auch bei vielen Rezensenten in Verruf geraten. Dass wurde an der Häme deutlich, als der Sozialkritiker Ken Loach[1] 2016 für seinen Film „Daniel Blake“ die Goldene Palme verliehen bekam, und dafür ein Wohlfühl-Movie aus Deutschland das Nachsehen hatte. Damals wurde in vielen Kommentaren das Ende eines politisch-engagierten Kinos gefordert.

Das Kino muss kritische Fragen stellen[2] – „Filmemachen ist ein Teil des politisches Kampfes“[3]. Diese Devise von Ken Loach, über dessen politischen Engagement vor allem zum Nahostkonflikt gestritten werden muss, dürfte auch auf Almuda Carracedo[4] zutreffen.

Die spanische Journalistin und Filmemacherin konnte am vergangenen Sonntag gemeinsam mit ihren Kollegen Robert Bahar[5] gleich zwei Filmpreise von der Berlinale in Berlin entgegen nehmen: den Panorama-Publikumspreis[6] und den 33. Friedensfilmpreis[7].

Doppelt ausgezeichnet wurde der Film „The Silence of Others“, der sich einem sehr aktuellen Thema widmet: Dem Schweigen über die Verbrechen des Franco-Regimes in Spanien und der Tatsache, dass bis heute in Spanien eine Partei an der Macht ist, die in der Traditionslinie dieses Regimes steht.

Ganz Spanien ist ein Massengrab

Zu Beginn des Films sehen wir eine alte Frau, die täglich Blumen an die Absperrung einer Autostraße stellt. Dort hatten Falangisten zahlreiche Dorfbewohner erschossen und verscharrt. Darunter auch ihre Mutter. Bald erfahren wir, dass fast in jedem Ort vermeintliche oder tatsächliche Gegner der Franco-Diktatur begraben liegen.

Während seiner Herrschaft war es lebensgefährlich, darüber auch nur zu reden. Die Angehörigen der Toten wurden in der Regel selber als Rote stigmatisiert und ausgegrenzt. Viele versteckten sich über Jahrzehnte in einer Hütte vor den Nationalisten. Nach Francos Tod ging die Politik des Verschweigens weiter.

Denn die Eliten des Franco-Regimes waren nur zu begrenzten bürgerlichen Freiheiten bereit, wenn ihre Verbrechen tabu bleiben. In dem Film wird sehr gut benannt, dass am Anfang des Ereignisses, der später spanischer Bürgerkrieg genannt wurde, ein Militärputsch stand, mit dem faschistische Militärs die soziale Revolution großer Teile der verarmten Bevölkerung buchstäblich vernichtet hatten.

Das ist ihnen mit Unterstützung von Mussolini-Faschismus und Nationalsozialismus gelungen. Die Hoffnungen der spanischen Franco-Gegner, dass mit deren Ende auch das spanische Regime fällt, wurden bitter enttäuscht. Im Kalten Krieg wurde Franco hofiert von den USA, dem Vatikan und EU-Politikern. Gespenstige Aufnahmen werden im Film gezeigt, wo sich der greise Franco wenige Wochen vor seinen Tod von Alt- und Neonazis aus Spanien und dem Ausland feiern lässt. Er galt als Vorkämpfer gegen den Bolschewismus wie noch heute ein Mitbegründer einer Stiftung, die Francos Erbe bewahren will, unverhohlen in die Kamera sagt.

Im Film wird auch deutlich gemacht, dass so auch viele Mitglieder der heutigen spanischen Regierungspartei Partido Popular[8] denken. Das erklärt, warum noch immer Straßennamen in spanischen Städten nach den faschistischen Generälen benannt sind und Franco-Statuen zu sehen sind.

Hoffen auf globale Gerechtigkeit als Ergebnis einer Niederlage

Erst das Wissen darum, dass es für Opfer im postfaschistischen Spanien keine Gerechtigkeit gibt, führte dazu, dass die Hoffnung auf eine transnationale Strafverfolgung gesetzt wurde. Die Theorie, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wenn sie im Ursprungsland nicht verfolgt werden, auch von anderen Gerichten überall auf der Welt geahndet werden können, wurde nach dem Ende der Militärdiktaturen in Südamerika entwickelt.

Was von den Vertretern dieses Ansatzes und auch im Film nicht thematisiert wird, ist die Tatsache, dass diese Kämpfe um eine internationale Justiz das Ergebnis einer Niederlage sind. Wie in Spanien haben auch die Militärs in Argentinien und Chile ihre Macht nicht durch eine Revolution der Bevölkerung verloren.

Dann hätte dort die Möglichkeit bestanden, sie vor Gericht zu stellen und Gerechtigkeit für die Opfer durchzusetzen. Vielmehr konnten die Militärs trotz ihres Verlusts an Macht maßgeblich die politische Ordnung nach ihrem Abtreten bestimmen. Die Straffreiheit für ihre Verbrechen war dabei ein zentrales Element.

Erst danach begann der Kampf um eine transnationale Justiz. Die Verhaftung Pinochets hat da Auftrieb gegeben. Obwohl er schließlich wieder nach Chile zurückkehren konnte, war damit der Mythos der Unantastbarkeit und Straflosigkeit der Gewaltherrscher erschüttert.

Es gab auch Folterer und Massenmörder aus der zweiten Reihe, die tatsächlich zu langen Haftstrafen verurteilt wurden und sie auch absitzen müssen. Der Film begleitet Franco-Opfer zu Gesprächen mit den Initiativen aus Lateinamerika. Darunter sind noch einige sehr alte Zeitzeugen der Verbrechen aus dem Bürgerkrieg.

Es sind Oppositionelle dabei, die sich in den 1960er Jahren gegen das Franco-Regimes wandten, verhaftet und gefoltert wurden und dann über Jahre in der Nachbarschaft ihrer Folterer leben mussten. Eine andere Opfergruppe waren ledige Mütter, deren Kinder in der Franco-Zeit für tot erklärt und an regimenahe Familien gegeben wurde.

Der Film zeigt den langen und mühsamen Weg zur Gerechtigkeit für die Opfer. Einer der berüchtigten Folterer wurde schließlich verhört, auf freiem Fuß ist er noch immer. Die spanische Regierung blockiert alle Versuche der argentinischen Justiz, hier Anklagen zu erheben. Schließlich ist ja die alte Franco-Partei in neuem Gewand weiter an der Macht.

Den Filmemachern könnte man vorwerfen, dass manche ihrer Darstellungen noch zu optimistisch waren. So wird nicht erwähnt, dass der Richter Garzon, der Ermittlungen wegen der Verbrechen des Franco-Regimes geführt hatte, schließlich von rechten Organisationen angezeigt wurde. Ihn wurden die Fälle entzogen und ihm drohte selber ein Verfahren.

Es wird im Film gezeigt, wie die linke Mehrheit im spanischen Rathaus durchsetzen konnte, dass nach Faschisten benannte Straßen umbenannt und das System verherrlichende Symbole entfernt werden sollten. Man sieht, wie einzig die Madrider Vertreter der Regierungspartei dagegen stimmten. Man erfährt aber nicht, wie die Rechte gegen den Beschluss Sturm gelaufen und die Umsetzung teilweise sabotiert hat.

Eine Entfrancoisierung Spaniens steht noch an

Durch die Fokussierung des Films auf die internationale Justiz wird nicht thematisiert, ob das Auftauchen einer neuen linken Protestbewegung in Spanien angesichts der Krise ab 2010 nicht auch innenpolitisch die Diskussion über die Aufarbeitung der Franco-Verbrechen neu auf die Agenda gesetzt hat.

Schließlich sind sowohl die Bewegungspartei Podemos als auch die Bürgerlisten in Madrid und Barcelona die parteiförmigen Folgen dieser neuen Bewegungen[9]. Zudem haben die neuen Aktivisten Erfahrung mit der Repression der modernen Francisten machen müssen.

Platzbesetzer, Gewerkschaft aber auch zunehmend wieder kritische Künstler[10] machten die Erfahrung, dass man in Spanien schnell ins Gefängnis[11] kommt, wenn man die Regierung und ihre politische Vorfahren kritisiert.

Diese Zusammenhänge werden in „Silence of Others“ nicht thematisiert. Was aber der Film auf jeden Fall deutlich gemacht hat: eine Entfrancoisierung Spaniens steht noch aus. Sie wird sich vor allem gegen die aktuelle Regierungspartei PP richten, die im Katalonien-Konflikt die nationalchauvinistischen Ressentiments der alten Rechten bedient.

Man kann zum Experiment eines katalonischen Nationalstaats geteilter Meinung sein. Man kann allerdings, nachdem man den Film gesehen hat, nicht mehr bestreiten, dass die unaufgearbeitete Geschichte des Francismus und deren Fortleben in der aktuellen spanischen Regierungspartei Realität und keine katalonische Propaganda ist.

In den Tagen, in denen der sogenannte Katalonien-Konflikt die Medien beherrschte, haben einige Gegner der katalonischen Nationalbewegung bestritten, dass das Erbe des Franco-Regimes heute in Spanien immer noch ein Problem ist.

Sie beteiligten sich damit an dem „Pakt des Schweigens“, den der Film so gut angreift. Es ist sympathisch, wie Almuda Carracedo sofort die „Bewegung für die Aufarbeitung der Verbrechen“ als die eigentlichen Gewinner der Preise benannte und erklärte, dass sie mehr als nur eine Künstlerin ist.

„Wenn die Arbeit der Filmemacher endet, beginnt die Arbeit der Aktivisten.“ Das macht deutlich, dass die Figur der engagierten Künstler nicht mit Ken Loach ausstirbt. Dass strichen auch die Jurymitglieder des Friedensfilmpreises Matthias Coers[12] und Peter Steudtner[13] in ihrer Laudatio heraus.

Peter Nowak
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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.imdb.com/name/nm0516360/
[2] http://www.critic.de/interview/das-kino-muss-wieder-fragen-stellen-2480/
[3] https://web.archive.org/web/20120223064211/http://archiv.tagesspiegel.de/drucken.php?link=archiv/17.06.2006/2600594.asp
[4] https://journalism.nyu.edu/about-us/profile/almudena-carracedo/
[5] https://journalism.nyu.edu/about-us/profile/robert-bahar/
[6] https://www.berlinale.de/de/presse/pressemitteilungen/auszeichnungen__/pue-presse-detail_44308.html
[7] https://www.friedensfilm.de/
[8] http://www.pp.es/
[9] https://www.edition-assemblage.de/krisenproteste-in-spanien/
[10] https://rap.de/news/125437-spanischer-rapper-wegen-texten-zu-3-5-jahren-verurteilt/
[11] https://rap.de/news/125437-spanischer-rapper-wegen-texten-zu-3-5-jahren-verurteilt
[12] https://www.friedensfilm.de/index.php?id=279
[13] https://www.friedensfilm.de/index.php?id=278