Symbolpolitik gegen Erdogan

Über die Todesstrafe darf die Türkei in Deutschland nicht abstimmen lassen, aber tödliche Waffen werden weiter in das Land exportiert

„Kassel entrüsten“ lautete das Motto einer symbolischen Aktion[1], mit der Antimilitaristen den Rüstungskonzern Krauss-Maffei Wegmann in Nordhessen mit selbstgebastelten Panzersperren blockierten. „Panzerhersteller beliefert Despoten und Regime in der ganzen Welt mit seinen Waffen, das wollen wir verhindern“, erklärte Simon Kiebel von der Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen[2] zur Aktion.

Zu den bevorzugten Exportländern dieser Waffen gehört neben Katar die Türkei. Das dürfte manche wundern, die das Zerwürfnis zwischen der Erdogan-Türkei und Deutschland verfolgt haben. Dabei liefen die Militärgeschäfte auch in dieser angeblich so kritischen Phase in den deutsch-türkischen Beziehungen wie geschmiert weiter. Der Rüstungskonzern Rheinmetall hat bereits mit der Bundesregierung konferiert[3], damit die von ihm angepeilte Nachrüstung der Panzer der türkischen Armee nicht noch scheitert. Sogar eine Panzerfabrik will Rheinmetall in der Türkei errichten.

Wenn dann Nichtregierungsorganisationen wie Greenpeace in ihrer Pressemitteilung[4] die besondere moralische Verwerflichkeit der geplanten Investition darin entdecken, dass das Unternehmen der Erdogan-Familie nahesteht, wird das ganze Elend einer Position deutlich, die von Ökonomie- und Staatskritik nichts wissen will. Wäre die Panzerfabrik eher zu rechtfertigen, wenn die Unternehmen der Opposition nahestehen würden?

Dass es im Kapitalismus auch in der Türkei unter Erdogan um sachliche und nicht um personelle Beziehungen geht, auch wenn sich die Unternehmensführung natürlich in der Regel mit den jeweils Regierenden gutstellt, wenn die gute Profitbedingungen garantieren, wird bei einer solchen Kritik ausgeblendet. Das führt dazu, dass die Kritiker der Türkei meistens an die Bundesregierung appellieren können, Erdogan klare Kante zu zeigen und die meistens die Forderungen schon längst erfüllt hat. Denn es geht in der Regel um Symbolpolitik.

Der Flüchtlingsdeal, an dem die türkische Regierung genau so großes Interesse hat wie die deutsche, wie auch die Rüstungsgeschäfte und die Kooperation mit dem türkischen Militär im Rahmen der NATO gehen natürlich weiter. Schließlich war auch nach dem Militärputsch von 1980, bei dem die Repression gegen die türkische Opposition wesentlich blutiger war als unter Erdogan, der Natoausschluss kein Thema. Im Gegenteil: Die Nato hat mit Befriedigung gesehen, dass Friedhofsruhe in dem Land am Bosporus gewaltsam hergestellt wurde, manche sprechen sogar zugespitzt vom Nato-Putsch[5].

Wie Deutschland die Todesstrafe verabscheuen lernte

Die jüngste Volte in der medial ausgetragenen Fehde ist die Erklärung der Bundesregierung, wonach in Deutschland lebende türkische Staatsbürger über die Wiedereinführung der Todesstrafe hierzulande nicht abstimmen dürfen. Nun steht das Thema zurzeit gar nicht auf der Agenda. Erdogan hatte mehrmals angedroht, ein Referendum gegen die Todesstrafe anzuberaumen. Es gab aber bisher keine konkrete Vorbereitung dazu. Manche politische Analysten bezweifeln, ob es dazu kommt.

Damit würden die Spannungen mit der EU weiterwachsen und alle Verhandlungen storniert. Es gibt aber durchaus Anzeichen, dass die türkische Regierung einen totalen Bruch mit der EU vermeiden und die bisherige Schaukelpolitik fortsetzen will. Zudem ist nach dem trotz massiven Druck und dem vielleicht sogar unregelmäßigen, knappen Ausgang des Referendums unklar, ob Erdogan für die Einführung der Todesstrafe eine Mehrheit bekommen würde. Es könnte allerdings sein, dass die Zustimmung wächst, wenn die Terrorismushysterie weiter angeheizt wird.

Jedenfalls handelt es sich um keine aktuelle Entscheidung. So diente das prophylaktische Verbot des Referendums über die Todesstrafe vor allem der Selbstinszenierung Deutschlands als aufgeklärte Nation. Dass die Todesstrafe generell mit europäischen Werten nicht übereinstimmt, ist eher eine Behauptung. In Frankreich wurde die Todesstrafe erst 1981 nach dem Wahlsieg der Linkskoalition abgeschafft. In Großbritannien wurde gegen heftigen Widerstand großer Teile der Tories die Todesstrafe abgeschafft, nachdem sie vorher für 5 Jahre ausgesetzt war[6].

Auch hier war die Labour Party der eigentliche Motor. Das macht deutlich, dass der Kampf gegen die Todesstrafe historisch ein Thema der Linken war, während große Teile der Konservativen das Recht auf staatliches Töten nicht aus der Hand geben wollten. In der Linken gab es zu dem Zeitpunkt eine Zäsur, als die auf einen Staatssozialismus fixierte Fraktion die staatliche Repression einschließlich der Todesstrafe in der immer autoritärer werdenden Sowjetunion verteidigte.

Auch in Deutschland war der Kampf gegen die Todesstrafe ein linkes Thema, bis zum Ende des Nationalsozialismus. In einer auf historische Themen spezialisierte Onlineplattform[7] ist zu lesen:

Im Parlamentarischen Rat der Jahre 1948/49 waren die Vorzeichen zunächst umgekehrt: Denn plötzlich stand die unausgesprochene Frage im Raum, wie mit deutschen Kriegsverbrechern verfahren werden sollte. So schlug ausgerechnet der rechtsgerichtete Abgeordnete Hans-Christoph Seebohm vor, ein Verbot der Todesstrafe in der neuen Verfassung zu verankern. Seine „Deutsche Partei“ begriff sich als Interessenvertretung der ehemaligen Nationalsozialisten. Die SPD-Abgeordneten jedoch zögerten, wollten sie doch keineswegs der Bestrafung von Kriegsverbrechern Grenzen setzen. Letztlich setzte sich aber bei den SPD-Abgeordneten die Haltung durch, die Ablehnung der Todesstrafe sei ein wichtiges Element der Abkehr von der NS-Barbarei. Am 6. Mai 1949 wurde trotz Einwände der CDU-Abgeordneten mit deutlicher Mehrheit ein knapper und klarer Satz als Artikel 102 ins Grundgesetz aufgenommen: „Die Todesstrafe ist abgeschafft“.
Historeo[8]

Die Maßnahme mit der hohe NS-Täter vor der Hinrichtung bewahrt werden wollte, sollte sich bald für die BRD auszahlen. Da das Land früher als andere westeuropäische Nachbarn die staatliche Hinrichtung abgeschafft hatte, konnte sie jetzt als Vorbild für andere Länder inner- und außerhalb der EU fungieren. Auch Israel blieb natürlich nicht von dem neudeutschen Sendungsbewusstsein verschont.

Nachdem die israelische Justiz des für die Shoah verantwortlichen Adolf Eichmann habhaft werden konnte und die Justiz des Landes zu dem Schluss kam, dass für seine Verbrechen nur die Todesstrafe in Frage kommt, konnte sich Westdeutschland schon als moralische Instanz aufspielen, die aus der Geschichte gelernt und deshalb die Todesstrafe abgeschafft hat.

Hier nahm die Erzählung vom zivilisierten Deutschland, das aus seinen Verbrechen gelernt hat, Konturen an. Dass Eichmann von führenden deutschen Sicherheitsdiensten und Politikern gedeckt und der zuständige antifaschistische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer mit gutem Grund eher auf die israelische als auf die deutsche Justiz vertraute[9], wurde natürlich nicht erwähnt.

Dieser kleine historische Diskurs scheint mir notwendig, weil diese Aspekte völlig ausgeblendet werden, wenn sich die Bundesregierung heute den Kampf gegen die Todesstrafe zu ihren Markenzeichen macht.



„Die Nazis hatten den Leichen keine Nummern aufgemalt“

Wie stark die NS-Vergangenheit auch in die neudeutsche Menschenrechtspolitik hineinwirkt, zeigt sich bei der Berichterstattung über Ermittlungen der deutschen Justiz über angebliche Verbrechen des syrischen Regimes. Der Streit über die Glaubwürdigkeit der Quellen[10] soll hier einmal ausgespart bleiben. Doch frappierend ist, dass die Analogie zu den NS-Verbrechen gezogen wird und sogar die Nazis im Ergebnis noch etwas besser wegkommen. So heißt es in einen Bericht der eng mit syrischen Oppositionellen verbundenen Soziologin Kirsten Helberg in der Taz[11]:

Die Kommission für Internationale Gerechtigkeit und Verantwortung (CIJA) hat etwa eine Million syrischer Dokumente gesichert, die Befehlsketten und Verantwortlichkeiten beweisen. Und auch die Caesar-Fotos führen direkt zu Regime-Vertretern. Denn an den Leichen der Gefangenen sind Nummern angebracht. „Unglaublich“ findet das der ehemalige Chefankläger beim Internationalen Strafgerichtshof für Ruanda, Stephen Rapp. „Wir hatten keine Beweismittel in Form von Dokumenten wie in Syrien“, so Rapp. Selbst in Nürnberg habe es das nicht gegeben.
Kirsten Helberg[12]

Es soll nun keineswegs in Abrede gestellt werden, dass syrische Oppositionelle das Recht haben, Verbrechen des Regimes auch im Ausland untersuchen zu lassen. Dass aber ein deutscher Ermittler sofort auf die Naziverbrechen rekurriert, zeigt eben wie eng noch nach 70 Jahren in die aktuelle deutschen Menschenrechtspolitik das Bestreben eingeschrieben ist, deutlich zu machen, dass andere mindestens genau so wüten, wie es die Nazis getan haben.

Auch das Erdogan-Regime wird schon mal mit den Nazis verglichen. Wenn hingegen Erdogan und seine Adepten den Nazivorwurf gegen Deutschland erheben, ist die Empörung groß. Wenn dann noch ein Großteil, aber keineswegs die Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen mit türkischem Pass, beim Referendum für Erdogans Staatsprojekt stimmen, wird deren Demokratiefähigkeit bezweifelt. Manche haben gar dieses Wahlergebnis zum Anlass genommen, um die doppelte Staatsbürgerschaft zu bekämpfen.

Nur in den deutschen Verhältnissen sucht kaum jemand die Ursachen für das Ergebnis. Sie hätten vielleicht mal das Theaterstück NSU-Monologe[13] hören sollen, das auf langen Interviews von drei nahen Angehörigen von NSU-Opfern beruht. Sie beschreiben sehr eindrücklich, wie sie alle von den deutschen Behörden als Täter behandelt wurden, wie gegen sie ermittelt wird und ihre Nachbarn über sie ausgefragt wurden. Ist es verwunderlich, dass alle drei berichteten, dass es ihnen wichtig war, ihre ermordeten Angehörigen in der Türkei zu beerdigen? Auf einem mehrtätigen Tribunal[14] werden die Opfer darüber berichten.

https://www.heise.de/tp/features/Symbolpolitik-gegen-Erdogan-3713702.html
Peter Nowak
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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.dfg-vk.de/stoppt-den-waffenhandel/ruestungskonzern-mit-panzersperren-blockiert
[2] https://www.dfg-vk.de
[3] http://www.presseportal.de/pm/30621/3630701
[4] https://www.greenpeace-magazin.de/nachrichtenarchiv/deutsche-panzer-fuer-erdogan-rheinmetall-will-der-tuerkei-eine-fabrik-bauen
[5] http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Tuerkei/30jahre-putsch.html
[6] http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45234182.html
[7] http://www.historeo.de/datum/todesstrafe-in-deutschland-debatte-1952
[8] http://www.historeo.de/datum/todesstrafe-in-deutschland-debatte-1952
[9] http://www.zeit.de/kultur/film/2015-09/staat-gegen-fritz-bauer-lars-kraume
[10] https://www.heise.de/tp/features/Folter-und-Hinrichtungen-AI-erhebt-schwere-Vorwuerfe-gegen-syrische-Regierung-3619601.html
[11] https://www.taz.de/Berichte-von-syrischen-Folteropfern/!5406173/
[12] https://www.taz.de/Berichte-von-syrischen-Folteropfern/!5406173/
[13] https://heimathafen-neukoelln.de/spielplan?url=DieNSUMonologe
[14] http://www.nsu-tribunal.de/

Aleppo: Warum gibt es in Deutschland kaum Erleichterung über ein Ende der Kämpfe…

… und die Niederlage der Islamisten? Das hat vielleicht weniger mit der Entwicklung in Syrien als mit der deutschen Geschichte zu tun

„Macht Euch keine Sorgen, bald werden keine Bilder aus Aleppo mehr kommen.“ Dieser Satz auf der Titelseite der Taz[1] über einem Bild von Menschen, die aus einem in diesen Tagen besonders umkämpften Stadtteil von Aleppo ins Nachbarviertel geflohen sind, soll Stimmung machen. „Mehr Macht für die UN-Vollversammlung“, forderte die Publizistin Kirsten Hilberg auf der gleichen Titelseite in einem Kommentar[2]:

Doch Aleppo ist mehr als eine Priorität Assads. Es symbolisiert das Ende einer Ära und sendet international ein fatales Signal. Ruanda, Srebrenica, Grosny – was „nie wieder“ geschehen sollte, wiederholt sich im Jahr 2016 in Echtzeit vor aller Augen und bestens dokumentiert. Der Massenmord in Syrien steht für das Versagen sämtlicher internationaler Institutionen und Mechanismen, die nach dem Zweiten Weltkrieg errichtet wurden, um Kriege und Kriegsverbrechen zu verhindern. Vereinte Nationen, Internationaler Strafgerichtshof, Genfer Konvention? Lächerlich. Die Botschaft, die von Aleppo an die Machthaber dieser Welt ausgeht, lautet: Ihr könnt Zivilisten töten, so viele ihr wollt, solange ihr einen Freund im Weltsicherheitsrat habt. Aus dem moralischen Anspruch „Nie wieder!“ muss deshalb eine konkrete Anleitung zum Schutz von Zivilisten werden. Etwa so: Bei offensichtlichen Kriegsverbrechen würde man nicht mehr auf Einstimmigkeit im Weltsicherheitsrat warten, sondern die UN-Vollversammlung entscheiden lassen, was zu tun ist – zur Not auch militärisch.

Kristin Helberg

Bei diesen Argumentationslinien fühlt man sich an die 1990er Jahre zurückversetzt, als die einst pazifistischen Grünen kriegsfähig wurden. Wieder einmal geht es darum, einen „Massenmord“ zu verhindern. Nur etwas schlauer ist man in den letzten Jahren doch geworden. Ein neues Auschwitz, wie es damals Grüne herbei halluzinierten, will man in Aleppo nicht verhindern. Doch ansonsten sind alle Elemente vorhanden, um die Schwelle zur Kriegsfähigkeit weiter zu senken.

Dabei wird im Fall Aleppo oft mit Zitaten aus sozialen Netzwerken gearbeitet, die mehr auf das Gefühl als auf Analyse setzen. Das wird bei dem eingangs angeführten Zitat besonders deutlich. Es sagt erst einmal nur aus, dass sich Menschen im Kriegsgebiet nichts Sehnlicheres wünschen, als ein Ende der Kämpfe.

Das ist auch die Version der Journalistin Karin Leukefeld, eine der wenigen Pressevertreter, die bis zum Schluss in Syrien akkreditiert waren. Ihr wird aber sicherlich nicht zu Unrecht, eine gewisse politische Nähe zum Baathismus nachgesagt. Doch durch ihre Recherchen vor Ort gelang es ihr, ein Bild der syrischen Gesellschaft zu zeigen, dass sich den Gut-Böse-Einteilungen entzieht, die gerade in der letzten Zeit in den großen Teilen der Medien in Deutschland Konjunktur haben.

Daher sollte man bei allen Vorbehalten gegenüber Leukefelds recht unkritischer Haltung zur syrischen Regierung, ihre Schlussfolgerung, dass viele Einwohner Aleppos, unabhängig von ihrer Haltung zum Regime über ein Ende der Kämpfe froh sind, nicht vorschnell als einseitig abtun.

„Ob man für oder gegen die Regierung ist, spielt für viele Menschen in Aleppo schon lange keine Rolle mehr. Sie wollen vor allem den Kämpfen entkommen. Insofern gibt es im Gebiet unter Kontrolle der Regierung durchaus Personen, die mit der Regierung nicht einverstanden sind, die aber noch viel weniger damit einverstanden sind, dass die Opposition sich von bewaffneten Gruppen unterstützen lässt“, so Leukefelds Einschätzung[3] der Situation in Aleppo.

Sie weist auch darauf hin, dass in Aleppo nicht eine wehrlose Zivilbevölkerung einem hochgerüsteten Regime gegenüberstand. Es gab bewaffnete islamistische Formationen, die gegen die Regierungstruppen gekämpft haben, und so gab es auch in allen Teilen Aleppos, in den Bereichen, die von der Regierung gehalten wurden, ebenso von den von der bewaffneten Opposition beherrschten Regionen, Verwüstung und Tod. Und dann gab es noch in den von der Opposition beherrschten Teilen Aleppos den islamistischen Terror, der merkwürdigerweise von vielen Kommentatoren der Ereignisse gar nicht erwähnt wird.

„Man darf nicht vergessen, dass Menschen auf der Straße hingerichtet wurden, dass die Frauen sich tief verschleiern mussten“, so Leukefeld. Man sollte auch nicht vergessen, dass viele Aktivisten der demokratischen Opposition, die einst gegen das Baath-Regime rebellierten, Opfer dieser Islamisten wurden. Doch nachdem Russland in den Konflikt eingriff und auch noch Erfolge zu verzeichnen hatte, schienen sich für manche diese Islamisten in Luft aufgelöst zu haben.

Zu den eifrigsten Leugnern des Islamismus in Syrien gehörte Bente Scheller[4], die das Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Beirut[5] leitet und vorher in Afghanistan war. Haben einst die Marketenderinnen die Kriegsplätze des Mittelalters abgegrast, so übernehmen diese Rolle heute Mitarbeiter von bestimmten Institutionen.

In einem Taz-Beitrag stellt sie die steile These auf, dass Assad mit Hilfe Russlands einen Massenmord verübt[6]. Besonders abstrus ist der Vorwurf an die Friedensbewegung, weitgehend tatenlos zuzusehen. Denn unabhängig davon, was man von deren Positionierung hält, ist die Friedensbewegung in Deutschland doch weitgehend marginalisiert und hat nun wirklich keinen Einfluss auf das was in Syrien passiert oder nicht passiert. Doch Scheller geht es um etwas Anderes. Sie will den Krieg in Syrien nicht beenden sondern verlängern:

An die Stelle einer Verantwortungsmoral ist die Gesinnungsmoral getreten. Lieber bleibt man seinem schlichten Weltverständnis treu, nachdem westliche Waffen keinen Frieden schaffen, als sich damit auseinanderzusetzen, dass nicht jeder Konflikt sich lösen lässt, ohne militärische Optionen auch nur zu erwägen. Das syrische Regime hat an keiner Stelle Konzessionen gemacht. Es nutzt das internationale Feigenblatt der Verhandlungen, um in seinem Schatten eine gnadenlose Militäroffensive gegen die eigene Bevölkerung zu vollstrecken – etwas, das gerade Pazifisten umtreiben sollte.

Bente Scheller

In ihrem Artikel ist von den verschiedenen islamistischen Banden, die in vielen Gebieten die Opposition vertrieben haben, nicht ein einziges Mal die Rede. Dafür wird viel Verständnis für die bewaffnete Opposition und nicht einmal verbal eine Distanz zu deren radikalislamistischen Fraktionen geäußert. Die Zitate aus sozialen Netzwerken, mit denen die Menschen, die in den Kampfgebieten wohnten, ihre Ohnmacht und Verzweiflung äußerten, werden instrumentalisiert.

Es wird nicht einmal die Überlegung angestellt, ob die Menschen nicht vor allem ein Ende der Kämpfe wollten. So könnte der Sieg der Regierung und ihrer Unterstützer tatsächlich auch für die Gegner des Regimes eine gute Nachricht sein. Jetzt können sie wieder Kraft schöpfen und sich auf den Widerstand gegen Assad konzentrierten, was in der Zeit viel schwieriger war, als die Bewaffneten die Szene beherrschten.

Warum gibt es in den Tagen, in denen in Aleppo vielleicht diese Bilder tatsächlich niemand mehr zu sehen bekommt, weil der Krieg vorerst zumindest dort beendet und die Islamisten vertrieben sind, kaum irgendwo eine Stimme, die darin eine Chance für die leidgeprüfte Bevölkerung sieht. Warum wird jetzt sogar in vielen Medien davor gewarnt, dass der künftige US-Präsident Trump in der Syrienfrage die Kooperation mit Russland sucht?

Die Erklärung sollte weniger in Syrien als in der deutschen Geschichte gesucht werden. Die fast durchweg negative Berichterstattung über die russische Intervention in Syrien noch verschärft durch einen möglichen Beistands Trumps wirkt wohl für manche in Deutschland so, als würde noch einmal eine Anti-Hitler-Koalition entstehen. Dieses Mal aber gegen den Islamismus, der in manchen Aspekten durchaus faschistische Züge hatte.

Der Begriff des Islamfaschismus kann durchaus auf einige der Formationen angewandt werden, die auch in Syrien ihr Unwesen trieben. Wenn jetzt in den deutschen Medien gar keine Erleichterung aufkommt, dass in der zweitgrößten Stadt Syriens diese Kräfte besiegt sind und die Bevölkerung jetzt zumindest keine Angst vor den Bomben und den Islamfaschisten mehr haben muss, könnte das durchaus daran liegen, dass im unterbewussten kollektiven Gedächtnis manche an Berlin 1945 dachten.

Für die meisten Deutschen waren die Soldaten der Roten Armee auch nur „die Russen“, und damals waren sie mit den USA verbündet. Man stelle sich nur vor, Hitlers Privatsekretärin Traudl Junge[7] hätte aus ihrem toten Winkel[8] in der Reichskanzlei die Möglichkeit gehabt, die sozialen Netzwerke über die Situation im Berlin in den letzten Wochen vor dem Ende des NS zu füttern. Man hätte genügend Zitate über tote Kinder, über zerbombte Häuser, über Hunger und Not finden können und man hätte damit das sogenannte Gewissen der Welt überzeugen können, doch abzulassen von der Forderung der bedingungslosen Kapitulation des NS.

Diese Vorstellung war in Deutschland weit verbreitet und deswegen hat sich auch ein Großteil der Bevölkerung nicht befreit, sondern von fremden Truppen erobert gesehen. Kann nicht hier ein Grund liegen, dass so viele gar kein gutes Wort über den Sieg über die Islamisten in Aleppo finden können?

In den 1980er Jahren haben Publizisten wie Eike Geisel[9] und Wolfgang Pohrt[10] die Befindlichkeiten der damaligen deutschen Friedensbewegung mit der NS-Vergangenheit Deutschlands abgeglichen[11]. Es wäre heute an der Zeit in ähnlicher Weise die aktuellen Befindlichkeiten deutscher Medien und Politiker im Syrienkonflikt zu hinterfragen. Sieht man nicht heute in den Russen und den fremden Truppen, die in Syrien die Islamisten besiegt haben, die Wiedergänger der Alliierten, die in Berlin für Deutschlands bedingungslose Kapitulation durchsetzten?

https://www.heise.de/tp/features/Aleppo-Warum-gibt-es-in-Deutschland-kaum-Erleichterung-ueber-ein-Ende-der-Kaempfe-3572873.html?view=print


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[1] https://www.taz.de/Katastrophale-Lage-in-Aleppo/!5362452/
[2] https://www.taz.de/Kommentar-Kaempfe-um-Aleppo/!5362341/
[3] http://www.n-tv.de/politik/Die-Syrer-wollen-ein-Ende-der-Kaempfe-article19323121.html
[4] https://www.boell.de/de/person/bente-scheller
[5] https://www.boell.de/de/navigation/naher-mittlerer-osten-5293.html
[6] https://www.boell.de/de/2016/12/12/beim-sterben-wegsehen
[7] https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=12218257X
[8] http://www.imdb.com/title/tt0311320
[9] http://www.hagalil.com/archiv/98/06/geisel.htm
[10] https://www.perlentaucher.de/autor/wolfgang-pohrt.html
[11] http://www.zeit.de/1981/45/ein-volk-ein-reich-ein-frieden