Kapitalismuskritik mit dem Club of Rome

„Ist der Kapitalismus ein Verbrechen?“ In Berlin wurde die Frage auf einer „Vorverhandlung des Kapitalismustribunals“ aufgeworfen

„Ist der Kapitalismus ein Verbrechen?“ Diese Frage stellen sich auch in Deutschland wieder mehr Menschen, nachdem sie mit erlebt haben, wie eine durch Wahlen und ein Referendum bestätigter Weg für eine Reformalternative innerhalb der EU durch Deutsch-Europa verhindert wurde.

Das mag auch ein Grund gewesen sein, warum sich am schwülheißen Samstagabend viele Menschen im Heimathafen Neukölln zur zweiten Vorverhandlung des Kapitalismustribunals [1] versammelten, um genau die Frage nach der Kriminalität des Kapitalismus zu erörtern [2]. Bereits einen Monat zuvor hatte man in an gleichen Ort über die ökologische Frage debattiert.

Wider das T.I.N.A.-Denken von Thatcher bis Schäuble

Bei beiden Treffen war das Publikum für zwei Stunden zum Zuhören verurteilt. Anfangs berichtete eine junge Frau, die sich T.I.N.A nannte und das Bonmot der Pinochet-Freundin Margret Thatcher erinnerte, das heute von Schäuble und Gabriel in Griechenland fortgesetzt wird: “There is no alternative“. Der Slogan beinhaltete in der Vergangeheit auch, dass Versuche alternativer Systeme blutig zerschlagen wurden.

Das hat Pinochet 1973 beim Putsch gegen die Allende-Regierung vorexerziert und seine Gesinnungsgenossin und persönliche Freundin Thatcher beim Bürgerkrieg gegen die streikenden Bergarbeiter, die als Feind im Innern bezeichnet wurden, fortgesetzt. Viel zu wenig beachtet wird, dass auch die Austeritätsdiktate gegen Griechenland eine Schwächung der Gewerkschaften und eine Beschneidung ihrer Rechte beinhalten.

Auf diese Ebene gelangten allerdings die Gespräche am Samstagabend nicht. Es blieb hauptsächlich bei der moralischen Ablehnung des Kapitalismus. T.I.N.A. berichtete über die Zwangsräumung einer einkommensschwachen Nachbarsfamilie und schilderte, wie die Unterstützer der Familie von der Polizei weggetragen wurden. Dass es in Berlin seit Jahren Widerstand gegen Zwangsräumungen [3] gibt, die durch eine wissenschaftliche Studie [4] noch Auftrieb bekommen haben, blieb unerwähnt. So wirkte das trotzige Bekenntnis von T.I.N.A. auch eher theatralisch. Der Eindruck wurde noch verstärkt, als der rote Bühnenvorhang gelüftet wurde und der Blick auf die Podiumsdiskutanten aus dem Wissenschaftsbereich freigegeben wurde.

Der Ökonomieprofessor Graeme Maxton [5] betonte, dass es ihm mehr um Ökologie als um die Wirtschaft ginge und er daher auch keine Antworten auf die Krise des Kapitalismus habe. Der Keynesianer Trevor Evans [6] geißelte mit starken Worten die gegenwärtigen Praktiken des Kapitalismus, betonte aber immer wieder, wie gut doch der Kapitalismus in den 60er Jahren funktionierte. Dass damals weltweit eine außerparlamentarische Bewegung gegen das Leben in diesem Kapitalismus auf die Straße ging, wurde dabei ebenso ausgeblendet wie der Vietnamkrieg, der damals seinen blutigen Höhepunkt erreichte.

Es blieb dem Politikwissenschaftler Ulrich Brand [7] vorbehalten, sowohl gegen eine Verklärung des keynsianistischen Kapitalismus als auch gegen eine Trennung von Ökologie und Ökonomie zu warnen. Zugeschaltet war Linkssozialistin Lucie Redler [8], die noch einmal das „Griechenland-Diktat“ verurteilte. In dieser Frage waren sich Podium und Publikum weitgehend einig. Doch schon die Dramaturgie der Veranstaltung erweckte Unmut. Denn die Frauen und Männer, die kurze Fragen stellen, die die an Lehrsätze aus dem Brecht-Theater erinnerten, waren Teil der Aufführung. Erst in den letzten 20 Minuten kam dann das Publikum zu Wort.

Politik der Angst

So sprachen neben Verteidigern des Kapitalismus auch Gewerkschafter, die daran erinnerten, dass man über den Kapitalismus nicht reden kann, ohne auch die Lohnabhängigen zu erwähnen, die im Kapitalismus ihre Arbeitsverkauf verkaufen müssen. Er erinnerte daran, dass heute in Deutschland viele Menschen ihre Reproduktionskosten nicht mehr durch ihren Lohn bezahlen können und daher als Aufstocker in das Hartz IV-Regime geraten.

Das wiederum funktioniere nach der gleichen Politik der Angst, die Ulrich Brand für die Austeritätspolitik in Griechenland konstatierte. So wie an Griechenland ein abschreckendes Exempel statuiert wurde, damit andere linke Bewegungen in Europa gar nicht erst auf die Idee kommen, ebenfalls dem Diktat Deutschlands Parole zu bieten, werde an Erwerbslosen mit Sanktionen und Schikanen diese Politik der Angst vorexerziert.

Dann war allerdings das Hearing schon zu Ende und es wurde auf die nächste Verhandlung am 4. Oktober im Haus der Kulturen verwiesen, auf der über die Schäden geredet werden soll, die der Kapitalismus anrichte. In Wien soll dann im nächsten Jahr das Kapitalismustribunal tagen. Ursprünglich war der Termin für Dezember vorgesehen. Doch wegen der vielen eingereichten Beispiele für die Ungerechtigkeit am Kapitalismus habe man den Termin verschoben.

Damit wird deutlich, wie groß das Bedürfnis nach einem solchen Tribunal ist. Allerdings ist es kein Zufall, dass die positiven und negativen Erfahrungen der Arbeiterbewegung dort kaum zu Wort kommen Schließlich ist die Expertengesellschaft des Club of Rome [9] für das Künstlerkollektiv Haus Bartleby Inspiration für das Kapitalismustribunal geworden. Dabei war die Lektüre von Personen aus dem Mittelstand, die dann aus ihrem Beruf ausgestiegen sind und zu Kritikern bestimmter Logiken des Kapitalismus geworden sind, ein wichtiger Anreiz.

Schließlich steht die Arbeit des Hauses Bartleby unter dem Motto der „Karriereverweigerung“. Wie und ob Hartz IV-Empfänger, die keine Gelegenheit hatten, eine Karriere zu verweigern, aber bei einer Verweigerung einer Niedriglohnstelle mit Sanktionen rechnen müssen, in diesen Tribunal einen Ansprechpartner haben, muss sich zeigen. Zumal der Club of Rome bisher nicht für antikapitalistische Strategien bekannt geworden ist.

Vielleicht hilft ein Besuch im Museum des Kapitalismus?

Die Frage, ob der Kapitalismus ein Verbrechen ist, könnte vielleicht ein Besuch im Museum des Kapitalismus [10] beantworten, das nun zum zweiten Mal ebenfalls in Berlin-Neukölln seine Pforten geöffnet hat.

Dort kann sich der Besucher selber spielerisch über die Wirkungsweise des Kapitalismus und seiner Folgen informieren und käme vielleicht zu dem Schluss, dass der Normalzustand des Kapitalismus schon auf Ausbeutung beruht und die scheinbar starken Worte, die den Kapitalismus als kriminell geißeln, auf der Sehnsucht nach einem fairen Kapitalismus beruhen, den es nie gegeben hat.

Im Publikum des Kapitalismustribunals wurden diese Zusammenhänge durchaus verstanden, wie gelegentliche Unmutsbekundungen zeigten, wenn sich ein Experte den guten, alten Kapitalismus der 1960er Jahre zu sehr schönredete.

Peter Nowak

Links:

[1]

http://capitalismtribunal.org/de

[2]

http://www.heimathafen-neukoelln.de/spielplan?url=Kapitalismustribunal2

[3]

http://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de/

[4]

https://www.sowi.hu-berlin.de/de/lehrbereiche/stadtsoz/forschung/projekte/studie-zr-web.pdf)

[5]

http://www.graememaxton.com/home

[6]

http://www.hwr-berlin.de/fachbereich-wirtschaftswissenschaften/kontakt/personen/kontakt/trevor-evans/

[7]

http://politikwissenschaft.univie.ac.at/index.php?id=17066

[8]

https://de-de.facebook.com/lucy.redler

[9]

http://www.clubofrome.de

[10]

http://www.museumdeskapitalismus.de/