Inländischer Kiez gegen ausländisches Kapital


Der Kampf für bezahlbaren Wohnraum droht, zwischen den Kampagnen von Ferienwohnungslobbyisten einerseits und identitären Gegenprotesten andererseits zerrieben zu werden.

In Berlin ist die Reisefreiheit gefährdet, weil Touristen nicht mehr entscheiden können, wo sie übernachten. Das behaupten zumindest die Lobbyvereinigungen der Apartment- und Ferienwohnungsbetreiber. Gegenstand ihrer Kritik ist die Zweckentfremdungsverordnung, die die Umwandlung von Miet- in Ferienwohnungen verhindern soll. 60 Mitglieder hat der Verein »Apartmentallianz Berlin« (AAB), der Lobbyarbeit für den Erhalt von Ferienwohnungen macht. Dabei hofft Stephan La Barré vom AAB-Vorstand auf die EU. Sein Verein unterstützt eine Beschwerde, die der »Interessenverband Europäischer Ferienwohnungsbetreiber« (EHHA) bei der EU-Kommission eingereicht hat. Damit wolle man das Gremium auf die angebliche Überregulierung im Bereich der Ferienwohnungen aufmerksam machen, sagte La Barré der Jungle World.

»Diese Entwicklung gefährdet den gesamten bereits langjährig etablierten Wirtschaftszweig der Ferienwohnungen und den noch jungen Wirtschaftszweig des Homesharing und fordert dringend zur Erarbeitung sinnvoller Lösungen auf europäischer Ebene auf«, so der Berliner Lobbyist, dessen Verein Mitglied der EHHA ist. Damit benennt La Barré die beiden Hauptströmungen der Ferienwohnungsbranche. Während sich die etablierten Vermieter von Ferienwohnungen oft gar nicht mehr groß von Hotelbetreibern unterscheiden und kein Kontakt mehr zwischen Mieter und Vermieter besteht, stellt die boomende Homesharing-Bewegung gerade die persönlichen Begegnungen zwischen den Menschen, die Wohnungen oder auch einzelne Zimmer anbieten, und ihren Gästen heraus. Zielgruppe sind oft jüngere Leute, die mit der Vermietung einen Zusatzverdienst generieren und Menschen aus unterschiedlichen Kontinenten zusammenführen. Damit zumindest wirbt die Bewegung.

Im Herbst 2016 wurde in Berlin der 100. Homesharing-Club gegründet. Die Zusammenschlüsse treten wie Bürgerinitiativen auf, die sich um die Entwicklung von Stadtteilen kümmern. Auch Stadtteilspaziergänge werden unter dem Label »Kiez-Walks« organisiert. Doch führen diese nicht zu von Verdrängung bedrohten Projekten, sondern zu für Touristen interessanten Zielen wie Bars und Clubs. Stadtpolitisch aktive Linke haben inzwischen einen kritischen Blick auf die Homesharing-Clubs geworfen und bezeichnen sie als Beispiel für sogenanntes Astroturfing. So werden in NGO-Kreisen Gruppen genannt, die wie eine Bürgerinitiative auftreten, aber Interessen von Konzernen vertreten und auch von diesen unterstützt werden. Der Taz-Reporter Erik Peter hat im vergangenen Jahr aufgedeckt, dass die Homesharing-Clubs von dem Konzern Airbnb finanzielle und logistische Unterstützung bekommen. »Das Unternehmen kümmert sich um die Aktivisten und finanziert Gruppenaktivitäten«, schreibt Peters. Er lässt in seiner Reportage auch Homesharing-Aktivisten zu Wort kommen, die von einer Schnittmenge zwischen ihren Interessen und den Zielen von Airbnb sprechen, aber eine Steuerung durch das Unternehmen bestreiten.

Auch linke Gruppen problematisieren inzwischen, dass Parteien und andere politische Akteure den Tourismus und die Ferienwohnungen zur Hauptursache für die Wohnungsmisere in Berlin erklären. Beispielsweise kritisierte die in den stadtpolitischen Bewegung aktive Gruppe »Andere Zustände ermöglichen« (aze) bereits vor einigen Jahren mit einer Plakatserie Antitourismuskampagnen – unter anderem, weil diese immer auch identitäre Ziele verfolgen. Dass vor einigen Wochen das multinationale Team eines Restaurants in Berlin-Kreuzberg beschimpft wurde und auf den Wänden Parolen gegen ausländisches Kapital auftauchten, zeigt, wie berechtigt diese kritische Intervention war und noch immer ist. Linke sollten die Kampagne für einen Stadtteil, in dem sich Menschen aus unterschiedlichen Kontinenten treffen, weder Lobbyorganisationen der Ferienwohnungsindustrie überlassen noch auf eine imaginierte inländische Kiezidentität rekurrieren.

http://jungle-world.com/artikel/2017/12/55944.html

Peter Nowak