Fundierte linke Kapitalismuskritik

Detlef Hartmann hat eine Streitschrift gegen Alan Greenspan und die allmächtige US-Zentralbank verfasst

Wenn ein Buch mit dem marktschreierischen Satz beworben wird, dass darin »die unentdeckte Agenda eines epochalen kapitalistischen Angriffs« offengelegt werde, »dessen Ende nicht in Sicht ist und dessen Folgen für die große Mehrheit der Weltbevölkerung katastrophal sind«, ist man zunächst skeptisch. Doch dieses Buch ist in einem für gute linke Literatur bekannten Verlag erschienen. Und der Autor selbst ist bekannt.

Detlef Hartmann hat seit mehr als 40 Jahren als einer der wichtigsten deutschsprachigen Theoretiker des Operaismus einen Namen. Bei diesem sperrigen Begriff handelt es sich um eine linke Strömung, die ihren Ausgangspunkt in den frühen 1960er Jahren in Italien nahm, sich von den kommunistischen Parteien und vom Marxismus-Leninismus abgrenzte. Der Operaismus setzt nicht auf Eroberung der Macht, sondern stellt den Kampf der Menschen gegen die Fabrikarbeit und die Zumutungen der kapitalistischen Gesellschaft in den Mittelpunkt.

Auch in seinem neuesten Buch liefert Hartmann fundierte Kapitalismuskritik. Es ist der erste Band einer Trilogie, die unter dem Obertitel »Krisen – Kämpfe – Kriege« steht. Hartmann hat sich gründlich in das Archiv der Federal Reserve System (FED), der US-Zentralbank, eingearbeitet, Ansprachen, Reden und Schriften von dessen Präsidenten Alan Greenspan und seinen engsten Mitarbeitern ausgewertet. Der Autor schildert deren Rolle bei der Zertrümmerung des fordistischen Kapitalismus, bei der auch gleich dessen Leitbild, der Homo Oeconomicus, mit beerdigt worden sei. »Als Vorsitzender der mächtigsten Zentralbank dieser Welt entfesselt er eine Flut des aus dem Nichts geschöpften Kredits, um die realwirtschaftlichen Kräfte der Offensive zu füttern und aufzurüsten: die unternehmerischen Energien der Herren von Hunderten Startup-Unternehmen und die erneuerungswilligen Kräfte in überkommenen alten Unternehmen.« Hartmann beschreibt die Herausbildung der IT-Branche, den Aufstieg von Amazon, Apple und Google. Er benennt die Folgen von Greenspans Aktivitäten für die große Mehrheit der Bevölkerung. Angst um den Job und die Prekarisierung von Arbeits- und Lebensverhältnissen greift um sich. Ein Wesensmerkmal des Kapitalismus generell. Vorstellungen von einem Kapitalismus mit menschlichem Antlitz verweist der Autor zu Recht in den Bereich der Märchen.

Am Ende des Bands formuliert Hartmann die Hoffnung, dass seine Arbeit einen kleinen Beitrag zur Überwindung des Kapitalismus durch eine soziale Revolution geben könnte. Die Aufstände im arabischen Raum, die Occupy-Bewegung, aber auch die zahlreichen unscheinbareren sozialen Widerständigkeiten im Alltag wertet Hartmann als Hoffnungszeichen. Dazu zählt er auch Protestaktionen von Erwerbslosen, rebellische Mieter und streikende Lohnarbeiter.

In die marxistische Linke setzt Hartmann bei der sozialen Revolution allerdings wenig Hoffnung. Das begründet er nicht nur mit der Praxis des Nominalsozialismus, sondern mit zentralen Essentials der Theorie von Marx und Engels. Sie hätten sich in den Spätwerken auf die Seite des kapitalistischen Fortschritts geschlagen und damit die Opfer des Kapitals in aller Welt verhöhnt. Nur Marxens Frühschriften wie das lange verschollene »Maschinenfragment« lässt Hartmann gelten.

Dieser Ansicht werden viele Leser gewiss widersprechen. Nichtsdestotrotz sollten auch sie dieses Buch lesen, denn es liefert eine solide und überzeugende Erklärung von Krise und Kapitalismus. Darüber sollte man diskutieren und – bitte schön – auch heftig streiten.


Detlef Hartmann: Krisen – Kämpfe – Kriege.
Band 1: Alan Greenspans endloser »Tsunami«.
Assoziation A. 240 S., br., 14 €.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/991819.fundierte-linke-kapitalismuskritik.html

Peter Nowak

Wer braucht schon Fakten?

»11.9. Insidejob der USA« verkünden große Plakate vor dem Brandenburger Tor. Es ist Montag, seit dem 7. März ist dieser Tag für Verschwörungstheoretiker und rechte Esoteriker ein Pflichttermin. Um 18 Uhr versammeln sie sich vor dem Brandenburger Tor in Berlin und mittlerweile auch in 23 weiteren Städten. »Stoppt NWO und Fed« ist auf einem Transparent zu lesen. Die Abkürzungen stehen für »Neue Weltordnung« und die US-Notenbank, letztgenannte ist für die Montagsdemonstranten Feindbild Nummer eins. Auf selbstgebastelten Transparenten finden sich Parolen gegen die Fed und die USA. Ein Plakat zeigt einen Arm in den Farben der US-Flagge, der eine Lunte entzündet, um die Welt in die Luft zu jagen. Das gleiche Motiv war schon am 30. März vor dem Reichstagsgebäude zu sehen, als die Rechtspopulisten von Pro Deutschland mit Reichsbürgern und anderen Splittergruppen der rechten Szene für Putin demonstrierten. Auf der Montagsdemonstration mit etwa 1 200 Teilnehmern sagt ein Redner: »Wir sind nicht rechts oder links. Wir wollen nur, dass es mit Deutschland aufwärts geht.« Das will sicher auch der Mann, der Postkarten mit der Aufschrift »Einigkeit und Recht und Freiheit für des Menschen Tellerrand« verteilt. Beim Klick auf die angegebene Homepage gelangte man noch vor einigen Tagen zum Link des Youtube-Films »Der 2.Weltkrieg. Was man uns vergessen hat, zu erzählen«. Ernst Zündel und andere Altnazis verkünden dort ihre braune »Wahrheit« über Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Wahrheitssucher scheint es auf der Demonstration einige zu geben, immer wieder wird die Forderung nach »ehrlichen Medien« laut. Der Organisator der Berliner Montagsdemonstration vertritt ebenfalls eine ganz eigene historische Wahrheit, wenn er behauptet, für fast alle Kriege in den vergangenen 100 Jahren sei die Fed verantwortlich. Einige Antifaschisten, die die Szene am Brandenburger Tor beobachten, hoffen noch, dass sich die Bewegung verläuft.

http://jungle-world.com/artikel/2014/16/49699.html

Peter Nowak

Immer Montags gegen FED und für den Frieden

Neue Montagsdemonstrationen: „Mischung aus verschwörungsideologischem Denken, rechtsesoterischer Lyrik, zutiefst antisemitischer Bildsprache und Truther-Propaganda“

Es gab in den vergangenen zwei Jahrzehnen diverse Protestbewegungen, die unter dem Begriff Montagsdemonstration an die Manifestationen am Ende der DDR anknüpfen wollen. Aktuell gibt es eine neue Bewegung der Montagsdemonstrationen [1] , die sich hauptsächlich über das Internet koordinieren. An 23 Orten soll es bereits verschiedene Aktivitäten [2] gegeben haben. In einigen Städten sind es Mahnwachen, in anderen Kundgebungen und in manchen auch Demonstrationen . Am kommenden Montag soll sich die Bewegung noch ausweiten.

Auffallend ist die vage moralische Zielsetzung, „Wir wollen Frieden in der Welt“, „Für eine friedliche Zukunft“: Das ist so unbestimmt, dass wohl niemand dagegen ist. Dann taucht doch ein Gegner auf. „FED provoziert Krieg“, lautet das Motto. Die US-Notenbank ist eine Projektionsfläche für allerhand Verschwörungstheorien, nicht selten mit antisemitischen Untertönen [3].

Anonymous für Deutschland?

Einer der Ausgangspunkte dieser neuen Montagsbewegung ist ein neuneinhalb Minuten langes Video unter dem Titel „Anonymous – Nachricht an die deutsche Bevölkerung“ [4] . Die Medienkritikerin Elke Wittich sagt [5] polemisch, aber zutreffend: „Der Inhalt des neuneinhalb Minuten langen Machwerks, in dem außer den ‚Chemtrails‘ fast keine Verschwörungstheorie, ausgelassen wird, lässt sich so zusammenfassen: Die Hacker-Gruppe ‚Anonymous‘ ruft unter anderem zum Kampf gegen ‚Tabuthemen, Geschichtsfälschung, Gehirnwäsche, Masseneinwanderung‘ auf, hält Deutschland für ‚ein besetztes Land‘ und Feminismus ebenso wie ‚deutsches Schuldbewusstsein‘ für das Allerletzte, weil damit das ‚deutsche Volk‘ versklavt oder ausgerottet werden soll. Pathetisch verkündet Anonymous: ‚Die Korrupten fürchten uns. Die Ehrlichen unterstützen uns. Die Heroischen schließen sich uns an.'“

Auf der Internetplattform Ruhrbarone wurde über das „Video im Nazi-Style“ [6] polemisiert. Auch in Hackerkreisen sorgt das nationale Comingout von Anonymous für Verwirrung, Verärgerung und Spott. [7]

Querelen um Anmelder der Berliner Montagsdemonstration

In Berlin tritt ein vorher nicht politisch in Erscheinung getretener Lars Märholz als Anmelder und Organisator der Montagsdemonstration auf. Mittlerweile wächst die Kritik [8] an seinen Umgang mit Kritik und seinem mehr als zweifelhaften politischen Umfeld [9]. Ein Bildmotiv [10] auf Märholz‘ Facebookseite stellt beispielsweise die Bankiersfamilie Rothschild als Monster dar. Wenn Märholz in einem Interview erklärt: Woran liegen alle Kriege in der Geschichte in den letzten 100 Jahren? Und was ist die Ursache von allem? Und wenn man das halt alles ’n bisschen auseinander klabüsert und guckt genau hin, dann erkennt man im Endeffekt, dass die amerikanische Federal Reserve, die amerikanische Notenbank, das ist eine Privatbank, dass sie seit über hundert Jahren die Fäden auf diesem Planeten zieht, muss man sich schon fragen, ob er die FED auch beschuldigt, für die beiden Weltkriege verantwortlich zu sein.

In diesem nach Rechtsaußen anschlussfähigen ideologischen Sammelsurium mischen auch esoterische Reichsbürger [11] mit, für die das deutsche Reich noch immer besteht. Dazwischen tummeln sich politisch nicht festgelegte Menschen, die über Internet von den Demonstrationen erfahren haben.

Warnung vor „Verschwörungstheoretikern und Antisemiten“

In den ersten Wochen wurden diese Demos gegen die FED und alles Böse nicht weiter ernst genommen. Doch nachdem die Anzahl der Teilnehmer gewachsen ist, artikulieren sich auch die Kritiker deutlicher. So warnen [12] linke Jugend- und Studierendenorganisationen vor der Teilnahme vor einer am 14.4. in Magdeburg geplanten Montagsdemonstration [13], die mit Slogans wie „Wir sind das Volk“, „Gegen die Todespolitik der Federal Reserve“ und „Für eine ehrliche Presse“ mobilisiert. Die Kritiker monieren in dem Aufruf und bei den Unterstützern eine „Mischung aus verschwörungsideologischem Denken, rechtsesoterischer Lyrik, zutiefst antisemitischer Bildsprache und Truther-Propaganda“.

http://www.heise.de/tp/news/Immer-Montags-gegen-FED-und-fuer-den-Friede-2169089.html

Peter Nowak

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