Merkel als „Washingtons Hausmeisterin“: Wenn die Überwachungsdebatte zur Souveränitätsdebatte wird
Eigentlich hätte man erwarten können, dass die NSA-Affäre ihr Verfallsdatum schon hinter sich hat. Schließlich hatte sie, obwohl sie in die heiße Phase des Wahlkampfs fiel, wenig Einfluss auf die Wahlentscheidung. Mit der Piratenpartei und der FDP scheiterten dort zwei Parteien, die sich unterschiedlich intensiv den Datenschutz auf die Fahnen geschrieben haben. Dass wir nun noch einmal eine Neuauflage der NSA-Debatte erleben, liegt nicht in erster Linie im Bekanntwerden, dass auch Merkels Handy nicht vor Überwachung tabu war. Vielmehr nutzen Medien und Politiker die NSA-Debatte, um die nationale Karte zu ziehen und noch einmal über die fehlende deutsche Souveränität zu lamentieren.
Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück machte Ende Juli den Anfang, als er einen deutschen Weg propagierte und sich damit explizit auf den Kurs von Bundeskanzler Schröder während des Golfkriegs 2003 bezog. Allerdings konnte Steinbrück nicht besonders davon profitieren, dass er die nationale Karte zog. Der Grund lag allerdings eher daran, dass die parteipolitischen Absichten so offensichtlich waren.
Merkel – Washingtons Hausmeisterin?
Denn die NSA-Debatte wird nur in den wenigsten Fällen zum Anlass genommen, über die Gefahren einer Massenüberwachung zu diskutieren. Viel häufiger ist das Lamento über die angeblich fehlende nationale Souveränität. Das scheint in Deutschland über alle Parteigrenzen hinweg Konsens zu sein. Gerade in Kreisen, die sich im „Zweifel links“ verorten, wird besonders vehement die nationale Karte gezogen.
So bezeichnet Jakob August Bundeskanzlerin Merkel als „Washingtons Hausmeisterin“ und dekretiert ein „Ende der Nachkriegs-Nostalgie“. Die ganze Wortwahl erinnert an die nationale Rhetorik, die in den frühen 1950er Jahren bereits Sozialdemokraten an den Tag legten, wenn sie damals im Bundestag Bundeskanzler Adenauer als „Kanzler der Alliierten“ bezeichneten.
Auch die deutsche Friedensbewegung war nie frei von nationalen Tönen. Dort wurde immer wieder die fehlende Souveränität Deutschlands angeprangert. Der Publizist Wolfgang Pohrt bezeichnete daher die Friedensbewegung auch schon mal polemisch als „deutsche Erweckungsbewegung“.
Jetzt wird zurückgeschossen im Cyberkrieg
Wenn nun 20 Jahre nach der Wiedervereinigung solche Töne wieder laut werden, heißt dies, dass die Rivalität zwischen einem deutschgeführten EU-Block und den USA, die es schon lange gibt, nun auch offen benannt wird. Schließlich scheint die Zeit günstig, da die USA angeschlagen sind. Am Prägnantesten benennt ein Taz-Kommentator diese Zusammenhänge unter der Überschrift „Rambo und der Cyberkrieg“:
„Die angeschlagene Weltmacht kann es sich nicht leisten, dauerhaft als Buhmann der Welt dazustehen, ganze Erdregionen von sich zu entfremden und als Beinahe-Pleite-Nation wirtschaftlich zunehmend gemieden zu werden. Von ehrlichen Partnern können die USA daher mehr profitieren als von ihrer Rolle als Rambo in der Weltpolitik.“
Auch hier wird die Diktion der deutschen Friedensbewegung übernommen. Natürlich ist Deutschland auch in diesem Cyberkrieg nur das Opfer, das sich verteidigt. So heißt es in dem Taz-Artikel: „Die Vereinigten Staaten von Amerika führen wieder Krieg. Es ist ein stiller und geheimer Krieg ohne Bomben und Panzer. Und dennoch: ein Krieg gegen den Rest der Welt. Ein Informationskrieg, der alle bisherigen Dimensionen sprengt. Es ist der Krieg des 21. Jahrhunderts. Auch Deutschland ist Ziel dieser Cyberattacken.“ Angesichts dieser martialischen Töne, fehlt nur noch der Satz, dass jetzt zurückgeschossen wird.
Die Frage, ob und wo deutsche Spione ebenfalls abhören, wird erst gar nicht gestellt. So wird eben deutlich, dass die Devise nicht generell gegen staatliche Überwachung geht, sondern nur gegen Überwachung durch die USA und andere ehemalige Staaten der Anti-Hitler-Koalition.
Diese Intention wird schon daran deutlich, wie das von dem Historiker Josef Foschepoth verfasste Buch „Überwachtes Deutschland“ rezipiert wird (siehe dazu auch: Lauschen und Horchen). Während die Kapitel, in denen es um die deutsche Souveränität geht, ausführlich kommentiert werden, wird kaum erwähnt, dass in dem Buch auch die diversen Überwachungsmethoden westdeutscher Behörden gegen die DDR ein Thema sind.
Massenhafte Postkontrolle und sogar die Vernichtung von Postsendungen aus der DDR durch BRD-Organe werden in dem Buch beschrieben, werden in der Öffentlichkeit aber wenig beachtet. Wären die USA-Organe dabei, wäre das Interesse sicher größer.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155281
Peter Nowak
Links
[1]
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154656
[2]
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/jakob-augstein-ueber-die-notwendigkeit-der-digitalen-aufruestung-a-930342.html
[3]
http://www.edition-tiamat.de/home.htm?/Autoren/wolfgang_Pohrt.htm
[4]
http://www.edition-tiamat.de/Sonstiges/Klaus%20Bittermann%20-%20Der%20intellektuelle%20Unruhestifter.pdf
[5]
http://www.taz.de/Debatte-USA-und-der-Abhoerskandal/!126829/
[6]
http://herbert.geschichte.uni-freiburg.de/mitarbeiter/foschepoth_josef
[7]
http://www.amazon.de/dp/3525300417/ref=nosim?tag=telepolis0b-21
[8]
http://www.heise.de/tp/artikel/39/39551/1.html