Hohe Hürden überwinden

Volksbegehren zur Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung
Knapp sechs Wochen nach den Bundestagswahlen werden die Berliner erneut an die Wahlurnen gerufen.
Sie sollen über einen Gesetzesentwurf für die Rekommunalisierung der Berliner Energieversorgung
abstimmen. Festgeschrieben werden soll auch, dass kein Stadtwerk den Strom abstellen darf, wenn Kunden
ihre Rechnungen nicht bezahlen können. Ein Stromnetzbetreiber soll nachhaltig arbeiten und erzielte Gewinne in Energiewendeprojekte vor Ort reinvestieren. Senatsmitglieder, Arbeitnehmer und gewählte Bürger sollen die Aufsichtsgremien bilden. Am 3. November »Vattenfall den Stecker zieh´n«, lautet das Motto des Berliner Energietisches, zu dem sich über 50 Initiativen und zahlreiche Einzelpersonen zusammengeschlossen haben – von Umwelt- und Erwerbslosengruppen bis zur Volkssolidarität.
Sie leiteten das Volksbegehren in die Wege und sammelten Unterschriften.Schließlich hatten amStichtag über 265.000 Berliner dasAnliegen unterstützt. Damit sind diefürs Volksbegehren notwendigen Unterschriften weit überschritten. »Doch die zweite Phase wird nichteinfach«, erklärt Michael Efler vom Energietisch gegenüber dem Sprachrohr. Schließlich müssen 625.000Menschen in Berlin für den von unsvorgelegten Gesetzesentwurf stimmen. »Das ist eine hohe Hürde. Aberwir können sie schaffen«, gibt sich Efler optimistisch. »Wir sind mit Plakatenim Straßenraum sichtbar, es wird Spots für  Kino und Internet geben«, erklärt Pressesprecher Stefan Taschner. Die Initiatoren hätten sich eine zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfindende Abstimmung gewünscht. Das wäre kostengünstiger gewesen und die Beteiligung höher. Doch die CDU, die sich gegen den Energietisch positioniert, setzte sich gegen ihren Koalitionspartner durch. Die SPD plädierte sogar für eine Übernahme des Volksbegehrens durch den Berliner Senat. Mit den Piraten, der Linken und den Grünen hätte  sie im Abgeordnetenhaus eine
Mehrheit erreichen können. Doch dann wäre die große Koalition geplatzt. So kommt es im November zum vierten Berliner Volksbegehren. Bisher ging nur die Abstimmung über die Offenlegung der Wasserverträge für die Initiatoren positivaus. Die über den Erhalt des Flughafens Tempelhof oder Pro Reli scheitertenan mangelnder Beteiligung.
aus Sprachrohr 4/2013
http://medien-kunst-industrie-bb.verdi.de/sprachrohr

Peter Nowak

Mitgehangen, mitgefangen

In Deutschland werden die Forderungen nach mehr direkter Demokratie lauter. Seit einiger Zeit kommt es immer häufiger zu Bürger- und Volksbegehren.

»Hamburg ist spitze«, lautete das Fazit eines Rankings, das die Initiative »Mehr Demokratie« Anfang Oktober veröffentlichte. Sie setzt sich für bundesweite Volksentscheide ein und listet Bundesländer auf, in welchen die gesetzlichen Hürden für dieses Instrument besonders niedrig sind. Hier steht Hamburg an erster Stelle. »Zu ­fast allen Themen können dort Volksbegehren und Bürgerentscheide angesetzt werden«, loben die »Freunde der direkten Demokratie«, wie sich die Anhänger der Volks- und Bürgerentscheide nennen. Diese Selbstbezeichnung ist Ideologie. Soll doch damit betont werden, dass hier die Bevölkerung ihre Meinung ganz ungefiltert von Parteien, Institutionen und Wirtschaft zum Ausdruck bringen kann. Die Grünen sowie die Piraten- und die Linkspartei übertrumpfen sich geradezu in Bekenntnissen zur direkten Demokratie.

Diese drei Parteien hatten am 22. September in Hamburg unabhängig vom Wahlergebnis besonderen Grund zur Freude. Parallel zur Bundestagswahl entschied eine knappe Mehrheit der Wahlberechtigten, dass die Hamburger Energienetze von der Stadt zurückgekauft werden sollen. Lange Zeit war unsicher, ob eine Mehrheit zustande kommen würde, weil eine Koalition aus SPD, CDU, FDP, großen Teilen der DGB-Gewerkschaften und sämtlichen Hamburger Boulevardmedien vor einer Neuverschuldung warnte. Das Hamburger Ergebnis ist auch eine Vorlage für das Bündnis »Berliner Energietisch«, das ebenfalls einen Volksentscheid für den Rückkauf der Energienetze ini­tiiert hat, über den am 3. November abgestimmt wird. Mittlerweile versuchen die Initiatoren, übertriebene Erwartungen an einen Erfolg zu dämpfen. Niedrigere Strompreise nach einer Rekommunalisierung der Energienetze habe man nie versprochen, betonen sie. Damit machen sie explizit die Grenzen der vielbeschworenen direkten Demokratie deutlich.

Auch kommunale Stadtwerke müssen gewinnbringend wirtschaften. Dennoch wäre es für arme Menschen in Berlin ein Fortschritt, wenn es ein Moratorium bei Stromabschaltungen gäbe. Besonders die linken Gruppen im Bündnis »Berliner Energietisch« haben sich dieses Themas unter dem Stichwort »Kampf gegen die Energiearmut« angenommen. Der Hamburger und Berliner »Energietisch« liefern auch eine propagandistische Vorlage für die linken Freunde der direkten Demokratie. Schließlich wird dort eine wirkliche Verbesserung für große Teile der Bevölkerung mittels Volksentscheid gegen den Widerstand von Parteien, Wirtschaft und Presse durchgesetzt. Die Ergebnisse zeigen, dass es dafür in der Bevölkerung eine Mehrheit gibt.

Dennoch wäre es falsch, in der direkten Demokratie generell ein Instrument zur Durchsetzung sozial gerechterer Verhältnisse zu sehen. Gerade in Hamburg hat sich bereits zwei Mal gezeigt, dass sich damit auch die Verfestigung alter Privilegien durchsetzen lässt. Im Jahr 2010 konnte die Bürgerinitiative »Wir wollen lernen« mit einem Volksentscheid eine Bildungsreform verhindern, welche die Privilegien der Hamburger Oberschicht ein wenig eingeschränkt hätte. Bereits 2009 initiierten Altonaer Kaufleute erfolgreich einen Bürgerentscheid für eine Ikea-Filiale im Stadtteil. Die Gegner, die als Alternative die Einrichtung eines sozio­kulturellen Stadtteilzentrums gefordert hatten, konnten sich nicht durchsetzen.

Als erfolgreiches Bürgerbegehren zugunsten der Immobilienwirtschaft bewertete der damalige Leiter der Region Nord der Aurelis Real Estate, Harald Hempen, die Pro-Ikea-Initiative in der Branchenzeitung Immobilienmanager. Dort befasste man sich bereits im August 2012 in einem Themenschwerpunkt mit der Frage, wie kritische Bürger schon vor Entscheidung über Großprojekten einbezogen werden können. Der Immobilienbranche geht es dabei um die Erhöhung der Akzeptanz solcher Projekte bei der Bevölkerung. Man dürfe die Meinungsbildung nicht den Gegnern überlassen, befand der Geschäftsführer von Aurelis Real Estate.

Für den Kultursoziologen und Publizisten Thomas Wagner handelt es sich bei dieser Art der Bürgerbeteiligung um »trojanische Pferde neoliberaler Stadtentwicklung«. Er hat in dem kürzlich erschienen Buch »Die Mitmachfalle« eine Fülle von Beispielen zusammengetragen, bei denen Modelle der Bürgerbeteiligung als moderne Herrschaftsinstrumente genutzt werden. Dabei werden auch manche von der außerparlamentarischen Linken favorisierte Formen der Partizipation kritisch untersucht. Zu ihnen gehört auch das sogenannte Stadtteil-Organizing, das der Sozialwissenschaftler Robert Maruschke in den USA beobachtete. Er kritisiert im Gespräch mit Wagner, dass der US-amerikanische Bürgerrechtler Saul David Alinsky, der ein Wegbereiter des Community Organizing war, auf eine Kooperation mit den Eliten setzte und eine konfrontative Stadtteilpolitik ablehnte. Diese Form des Stadtteil-Organizing korrespondiert mit Mediationsmodellen, die bei derzeit umstrittenen Großprojekten zum Einsatz kommen. Die Bereitschaft zu Pragmatismus und schneller Kooperation ist bei diesen Modellen eine Grundvoraussetzung. Initiativen oder Einzelpersonen, die auf eine Politik der konsequenten Interessenvertretung setzen, gelangen bei diesem Vorgehen schnell in den Ruf, radikal und kompromisslos zu sein, und werden ausgegrenzt.

Das kann widerständigen Stadtteilinitiativen ebenso passieren wie kämpferischen Basisgewerkschaften oder sogar Parlamenten, wenn sie nicht bereit sind, ohne längere Diskussionen die neuesten Wirtschaftskonzepte zu billigen. Die Rede von der direkten Demokratie kann dann durchaus als Drohung aufgefasst werden, den wirtschaftsliberalen Umbau der Gesellschaft zügig umzusetzen. Wenn man bei einer Volksabstimmung die Bevölkerung vor die Wahl stellt, für eine Verlängerung der Ladenöffnungszeiten zu stimmen oder den Rückzug des Investors zu riskieren, dürfte es nicht schwer sein, die entsprechenden Mehrheiten zu erhalten. In der Schweiz, einem Land, das die Befürworter der direkten Demo­kratie gerne als Vorbild bezeichnen, stimmte bei einer Volksabstimmung im vorigen Jahr eine Mehrheit gegen eine von den Gewerkschaften geforderte Verlängerung des gesetzlichen Mindest­urlaubs. Die Furcht, damit die Schweiz als Wirtschaftsstandort zu schädigen, gab den Ausschlag. In Österreich ist Ende September mit den »Neos« bei der Nationalratswahl erstmals eine Partei in das österreichische Parlament gewählt worden, die sich selbst als »Polit-Startup« bezeichnet, eine wirtschaftsliberale Ausrichtung hat und sich für die Erleichterung von Volksabstimmungen einsetzt.

Sollte es in absehbarer Zeit zu schwarz-grünen Koalitionen in Deutschland kommen, dürften Volksabstimmungen auch hierzulande an Bedeutung gewinnen. Für eine solche Kooperation setzt sich Heiner Geißler (CDU) schon länger ein. Er gilt als vehementer Befürworter der Bürgerbeteiligung und kann bereits auf praktische Erfahrungen verweisen. Schließlich haben Geißler als Schlichter im Bahnhofskonflikt und die Grünen in Baden-Württemberg vorgeführt, wie man ein in der Bevölkerung umstrittenes Projekt wie »Stuttgart 21« doch noch verwirklichen kann. Ohne direkte Demokratie wäre das wohl kaum möglich gewesen.

http://jungle-world.com/artikel/2013/42/48635.html

Peter Nowak

Verbilligte Strom-Kontingente für Bedürftige

Forderung der neuen Sozial-AG beim Berliner Energietisch

Start eines Volksbegehrens, das kommunale Energieversorgung in Berlin fordert, ist am 11. Februar. Auf die Aktivisten des Berliner Energietisches, die das Volksbegehren organisieren, kommt eine Menge Arbeit zu. Bis zum 10 Juni 2013 wollen sie 200 000 Unterschriften für ihren Gesetzentwurf sammeln, der eine »demokratische, ökologische und soziale Energieversorgung« in Berlin fordert.

Zu Wochenbeginn gründete sich die Arbeitsgruppe Soziales im Berliner Energietisch neu. Sie will dafür sorgen, dass die sozialpolitischen Grundsätze beim Sammeln der Unterschriften deutlich werden. Auf einem Flyer sollen die sozialprogrammatischen Grundsätze zusammengefasst werden. Zum Kreis der Aktivisten gehören Mitglieder der Gruppe »Für eine linke Strömung (fels), der umweltpolitischen Gruppen BUND und Gegenstrom sowie der Grünen Jugend.

Menschen mit geringen Einkommen machten sich Sorgen, weil häufig die Energiewende für Strompreiserhöhungen verantwortlich gemacht werde, meinte ein Mitglied der AG. »Sie sind daher oft für ökologische Belange oft schwer erreichbar. Gerade sie wollen wir mit unseren sozialpolitischen Forderungen ansprechen und für die Unterstützung des Volksbegehrens gewinnen.«

Bei der Sozial-AG wird nicht vom Energiesparen, sondern von Maßnahmen gegen die zunehmende Energiearmut in der Gesellschaft gesprochen. Davon sind Menschen mit geringen Einkommen besonders betroffen. Als Beispiel werden Stromsperren genannt, von denen auch in Berlin jährlich tausende Menschen betroffen sind. Zu den Maßnahmen gegen die Energiearmut, die in den sozialpolitischen Grundsätzen vorgeschlagen werden, gehört neben der Erhöhung der Regelsätze von Hartz IV und Wohngeld auch ein verbilligtes Stromkontingent. Die Forderung nach einer bestimmte Menge Gratisstrom stieß auf Widerspruch bei Umweltgruppen. Sie befürchteten, dass das im Widerspruch zur Verringerung des Stromverbrauchs stehen könnte
www.neues-deutschland.de/artikel/812303.verbilligte-strom-kontingente-fuer-beduerftige.html

Peter Nowak

Das Problem mit den Kosten

Soziale Folgen steigender Strompreise gab es schon vor der »Energiewende«

Für manche Experten ist das Gelingen der deutschen Energiewende ohne Abstriche beim Wohlstand wichtiger als der Ausgang der Verhandlungen in Doha. Doch wie eine Veranstaltung in Berlin zeigte, zahlen auch hierzulande oft die Armen die Rechnung.
Verkehrte Welt. Wenn es gegen die Energiewende geht, mimt die FDP den Interessenvertreter der Erwerbslosen. Die teuren erneuerbaren Energien seien schuld am bedrohlichen Anstieg der Energiepreise, erklären Politiker der Liberalen. Wie verbreitet die Angst vor steigenden Energiepreisen ist, zeigte auch eine gut besuchte Podiumsdiskussion unter der Fragestellung »Wird die Energiewende unbezahlbar?«, zu der der Berliner Energietisch kürzlich geladen hatte. Dieses Bündnis zahlreicher Gruppen, die sich für eine demokratische und soziale Energieversorgung einsetzen, strebt ein eigenes Stadtwerk in Berlin an. »Die Versorgung mit Energie ist ein Menschenrecht und mit einem Stadtwerk könnte eine sozial gerechte Stromversorgung für alle sichergestellt werden«, begründete der Rechtsanwalt und Aktivist des Energietisches Michael Below diese Forderung.

Auch die Erwerbslosenaktivistin Anne Allex wendet sich vehement gegen die Ausspielung sozialer gegen ökologische Aspekte. »Die meisten Erwerbslosen fallen nicht auf die FDP-Propaganda rein. Sie lassen sich nicht gegen die Energiewende in Stellung bringen«, betont Allex auf der Podiumsdiskussion. Die Angst vor steigenden Energiekosten sei aber ebenso berechtigt wie die vor steigenden Mieten.

Das Problem steigender Energiepreise ist nicht erst mit der Energiewende entstanden, konstatiert Allex unter Verweis auf eine von ihr bereits 1999 herausgegebene Broschüre mit dem Titel »Licht und Heizung bleiben an«. Auch die gern verbreitete Mär von den energieverschwendenden Armen sei Unsinn. Viele Erwerbslose hätten aus Kostengründen elektrische Geräte abgeschafft und auch oft keinen Internetzugang.

Der Vorsitzende der Naturfreunde Deutschland, Michael Müller, sprach von einem Machtkampf zwischen den Lobbyisten der alten und der neuen Energien, der auf dem Rücken der einkommensschwachen Teile der Bevölkerung ausgetragen wird. Dabei seien gerade die Privilegien der energieintensiven Großindustrie entscheidende Preistreiber. Unternehmen mit einem Stromverbrauch ab einer Gigawattstunde (GWh) pro Jahr können sich von der Umlage für erneuerbare Energien befreien lassen oder eine deutliche Reduzierung beantragen. Bisher lag diese Grenze bei 10 GWh. Diese Kosten werden auf kleinere Verbraucher und Haushalte abgewälzt. Parallel steigen die Energiekosten, weil die Zeit der günstigen Rohstoffe vorbei ist.

Swantje Küchler vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft fand wenig Beifall für ihre These, dass die Energiekosten aus ökologischen Gründen noch steigen müssten. Ein kostenloses Mindestkontingent für alle und eine stärkere Besteuerung bei höherem Stromverbrauch hatte mehr Anhänger. Es könne nicht sein, dass der Teil der Bevölkerung am stärksten belastet werde, der die wenigste Energie verbraucht, hieß es aus dem Publikum.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/806116.das-problem-mit-den-kosten.html

Peter Nowak