Ungefragt gefällt und umgepflügt


VERDRÄNGUNG Eigentümer lässt Bäume in Eilaktion abholzen. Mieter sollen zum Auszug bewegt werden

Auf der Website der MieterInneninitiative Barbarossastraße 59 kann man die Bäume im Garten noch bewundern. Doch die Idylle existiert nicht mehr: Am vergangenen Mittwoch ließ der Eigentümer der Schöneberger Immobilie die Bäume fällen und die Sträucher umpflügen. Einige Tage zuvor hatten MieterInnen die Aktion juristisch gestoppt. „Wir haben das Eilverfahren bis zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg betrieben, aber die Verfügung zum Schutz der Bäume wurde letztlich verworfen“, erklärte der Rechtsanwalt und Anwohner Fred Skroblin gegenüber der taz. „Als Mieter haben wir weder Kosten noch Mühe zum Erhalt der grünen Oase gescheut.“ Er sieht in der Aktion eine Machtdemonstration des Eigentümers. Das 1964 im sozialen Wohnungsbau errichtete Gebäude mit 105 Mietwohnungen soll nach den Plänen der Hochtief Projektentwicklung GmbH durch Lofts für Gutverdienende ersetzt werden.

Dagegen wehrt sich eine Gruppe von MieterInnen mit Protestkundgebungen und noch anhängigen Klagen. Daher sieht Skroblin die kurzfristig terminierte Baumfällaktion auch nicht als Niederlage. Die Wut sei dadurch auch bei NachbarInnen, welche die drohende Aufwertung der Gegend beunruhigt, noch gewachsen. Besonders das Bezirksamt steht in der Kritik: Hätte es die Genehmigung zum Fällen verweigert, wäre dies erst wieder ab 1. Oktober möglich gewesen – denn am 1. März tritt eine Schutzperiode ein. Diese Frist nutzten in den letzten Tagen auch andere EigentümerInnen, um vorher Fakten zu schaffen. So protestierten am 27. Februar vor der Boxhagener Straße 33 in Friedrichshain rund 50 Personen gegen eine Baumfällaktion im Garten, die nur mit starker Polizeipräsenz durchgeführt werden konnte. Auch dort befürchten die AnwohnerInnen den Beginn einer Luxusmodernisierung.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2012%
2F03%2F02%2Fa0143&cHash=f8ab83bbb9
Peter Nowak

Abrissprogramm in Schöneberg

In Schöneberg soll Sozialer Wohnungsbau Nobelwohnungen weichen

„Aufbauprogramm 1964“. Das Schild mit dem Berliner Bären kündet am Eingang der Barbarossastraße 59 in Schöneberg von einer Zeit, als in Westberlin durch Sozialen Wohnungsbau bezahlbarer Wohnraum mit guter Ausstattung errichtet wurde. Wer heute durch die Wohnungen geht, findet sie überwiegend noch in gutem Zustand. Die meisten Wohnungen haben lackierte Dielen und geflieste Bänder. Doch sie stehen leer und sind unverschlossen. In mehreren Etagen wurden die Heizungsrohre entfernt. Der Barbarossastraße steht ein „Abbruchprogramm 2011“ bevor.

 Das Gebäude mit 106 Mietwohnungen soll nach den Plänen des Projektentwicklers Hochtief abgerissen werden. Schon seit Monaten werden die Mieter/innen in Einzelgesprächen zum Auszug überredet. Wer durch die vielen leeren Wohnungen geht, sieht den Erfolg dieser Strategie. Hannah Wiesniewska gehört zu den Mieter/innen, die bleiben wollen. „Eine solch preiswerte Wohnung finde ich in Berlin nicht mehr“, erklärt sie. Zudem blickt sie vom Balkon ihrer Wohnung in der fünften Etage direkt auf den Alice-Salomon-Park, einem kleinen Idyll mitten in Schöneberg. „Wenn ich hier sitze, ist es für mich wie Urlaub“, sagt Wiesniewska. Sie befürchtet, dass im Park einige Bäume gefällt werden, wenn die Neubaupläne von Hochtief umgesetzt werden. Schließlich ist im Bebauungsplan von einer „Besonnung des Hofs durch den südlichen Durchgang“ die Rede, wo bisher die Parkbäume für Schatten sorgen. Mit dem Neubau wäre zudem der Verlust von rund 2000 qm Grünfläche auf dem Grundstück Barbarossastraße 59/60 verbunden. Dort soll der Südflügel des neuen Gebäudes mit hochwertigen Wohnungen errichtet werden

Keine Hilfe von der Bezirkspolitik
Die Mieter/innen des Hauses wandten sich mehrfach an die Bezirkspolitiker, um sie davon zu überzeugen, dass eine Sanierung des Gebäudes aus sozialen und ökologischen Gründen die bessere Lösung wäre. Doch dabei stießen sie auf taube Ohren. Die Bezirksverordnetenversammlung stimmte für den  Abriss, obwohl der Baustadtrat Bernd Krömer (CDU) dabei erklärte, dass die Mieter/innen zu ihren jetzigen Konditionen in der Gegend „wohl nichts finden werden“. Er steht hinter den Neubauplänen von Hochtief und auch die Vertreter von SPD und B90/Grüne haben sich nicht widersetzt. Dabei ist die Barbarossastraße 59 nur ein Pilotprojekt, denn der Bezirk will in der Gegend weitere Gebäude aus den 60er Jahren abreißen. Eine „schrittweise und grundstücksbezogene Rekonstruktion oder Anlehnung an historische Baufluchten“ soll „die Qualität des Viertels aufwerten und weiterentwickeln“, heißt es im Bebauungsplan. Im Klartext sollen die im Zuge des Sozialen Wohnungsbaus errichteten Häuser und ihre Mieter/innen Platz machen für die von der Politik umworbenen Besserverdienenden, um das Viertel aufzuwerten.

Juristischer Ausgang offen
Von der Politik werden diese Bauvorhaben gefördert, behindert werden sie von Mieter/innen, die sich nicht vertreiben lassen. Mittlerweile laufen Räumungsklagen gegen die renitenten Mieter/innen. Der Rechtsanwalt Fred Skroblin, der mehrere Mieter/innen vertritt, hält den juristischen Ausgang für offen. Das zeige sich auch daran, dass den Mieter/innen Prozesskostenbeihilfe gewährt wurde, was die Aussicht auf einen möglichen Erfolg im Gerichtsverfahren voraussetzt. Hochtief begründet den geplanten Abriss mit einer mangelnden wirtschaftlichen Verwertbarkeit des Hauses in seinem jetzigen Zustand (zur Verwertungskündigung siehe MieterEcho Nr. 339/März 2010). Das Gericht muss entscheiden, ob der Wunsch eines Eigentümers nach hohen Gewinnen über den Mieterinteressen steht. Skroblin ist bereit, bis zum Bundesgerichtshof zu gehen, um die Mieterrechte durchzusetzen.

http://www.bmgev.de/mieterecho/archiv/2011/detailansicht/article/abrissprogramm-in-

schoeneberg.html

 MieterEcho 349 / September 2011

Peter Nowak