Das neu gegründete Zentrum für Emanzipatorische Technikforschung beschäftigt sich mit Fragen der technologischen Entwicklung. Zu den Adressaten des Think Tanks gehören auch die Beschäftigten, deren Arbeitsleben immer stärker von der Digitalisierung geprägt wird.
»Wir sind keine Technologiekritiker, sondern verstehen uns als Technologieforscher«, sagt Simon Schaupp. Er gehört zu den Gründern des Zentrums für Emanzipatorische Technikforschung (ZET) in München. Die Wissenschaftler, die sich Anfang September in diesem Think Tank zusammengeschlossen haben, kommen aus verschiedenen Fachrichtungen und wollen »in den gesellschaftlichen Diskurs um die technische Entwicklung intervenieren«, wie es in einer ersten Selbstdarstellung heißt.
Das Zentrum solle neue Akzente in der linken Technikdebatte setzen, sagt Schaupp im Gespräch mit der Jungle World. »Im linken Diskurs wird die Digitalisierung oft als Angriff auf das gute Leben interpretiert. Wir haben einen anderen Blick auf die Digitalisierung.
Wir sehen Technologie als Ergebnis von Machtkämpfen. Das bedeutet auch, dass unter den gegenwärtigen politischen Bedingungen einer marktradikalen Dominanz die Auswirkungen der Technologie nicht gerade positiv für die abhängig Beschäftigten sind. Der Grund dafür liegt aber nicht in der Technologie selbst, sondern in deren politisch-ökonomischen Rahmenbedingungen.«
Das ZET soll künftig aber nicht nur Diskurse, sondern auch Arbeitsbedingungen verändern. Dementsprechend fand der Gründungskongress im Münchner DGB-Haus statt. In einer Diskussionsrunde sprachen Wissenschaftler und politisch engagierte Computerfachleute über die Möglichkeiten einer »Technikpolitik von unten« am Beispiel der Hacker-Bewegung. In einem zweiten Panel referierten die Geschäftsführerin des Karlsruher Instituts für Technikzukünfte, Alexandra Hausstein, und Andreas Boes vom Münchner Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung über die Digitalisierung der Arbeitswelt.
Dieses Themenfeld soll auch in Zukunft für die Arbeit des ZET zentral bleiben. »Die Debatte über eine drohende technologische Arbeitslosigkeit wird in der Wissenschaft wie auch in der breiteren Öffentlichkeit mit einigem Elan geführt. Einmal einen Schritt zurückzutreten und grundsätzlich zu werden, würde hier – wie auch in vielen anderen Technikdebatten – sicherlich nicht schaden«, sagte der ZET-Vorsitzende Philipp Frey. Die Automatisierung werde oft als Naturgewalt und Sachzwang dargestellt. »Wir treten für eine Gesellschaft ein, in der die emanzipatorischen Möglichkeiten der modernen Technologie im Interesse der Mehrheit der Menschen zur Geltung kommen. Beispielsweise macht die moderne Technologie eine radikale Arbeitszeitverkürzung nötig. Dass Menschen weniger Lohnarbeit verrichten müssen, ist eigentlich sehr positiv, wird aber zum Fluch, wenn – wie das heutzutage der Fall ist – für alle, die nicht von ihren Vermögen leben können, ein allgemeiner Arbeitszwang herrscht«, sagt Schaupp.
Der Soziologe nennt als Beispiel für konkrete negative Folgen technologischer Entwicklungen die digitalen Assistenzsysteme, die in den verschiedenen Branchen, vom Bau bis zum Einzelhandel, Einzug in die Arbeitswelt halten: »Die Arbeitsschritte werden den Beschäftigten dort bis ins Detail vorgegeben. Abweichungen, selbst Nachfragen sind nicht mehr möglich. Das sorgt für eine Dequalifizierung der Lohnarbeit. Dies wiederum trägt zu einer Prekarisierung bei, weil die Beschäftigten leichter austauschbar sind.«
Adressaten der Erkenntnisse sollen auch die Beschäftigten sein. Das ZET möchte Lohnabhängigen in Seminaren beispielsweise verdeutlichen, dass die den Betriebsalltag bestimmenden Algorithmen eine Folge politischer Entscheidungen sind. Eine realpolitische Forderung der Wissenschaftler ist, Algorithmen und deren Funktionsweise transparent zu machen. Zudem sollen die Beschäftigten auch im Bereich der technologischen Ausgestaltung Mitbestimmungsrechte erhalten.
Mit dieser Zielsetzung unterscheidet sich das ZET vom Capulcu-Redaktionskollektiv, das im vergangenen Jahr ein Buch mit dem programmatischen Titel »Disrupt – Widerstand gegen den technologischen Angriff« herausgegeben hat. Das Redaktionskollektiv sieht in der Digitalisierung vorwiegend ein Instrument zur Überwachung und Ausforschung, das die Autonomie des Menschen bedrohe. Es fordert einen »Gegenangriff auf die Praxis und die Ideologie der totalen Erfassung«. Diese Form der Technikkritik ist in der außerparlamentarischen Linken weit verbreitet. Mit dem ZET könnte sich künftig auch in Deutschland eine Strömung in der Linken herausbilden, die der technischen Entwicklung grundsätzlich positiv gegenübersteht.
In Kreuzberg regt sich Widerstand gegen die Pläne des Immobilienentwicklers Pandion rund um den Moritzplatz
Die Protestbewegung legt eine Nachtschicht ein. Am 28.9. soll es von 20 Uhr abends bis 1 Uhr vor der Prinzenstraße 34 eine Protestkundgebung geben. Das Gelände wurde an die Firma Pandion verkauft, die als sechst größter Immobilienentwickler Deutschlands gilt. In der Prinzenstraße soll eine 150 Millionen Euro teure Gewerbeimmobilie mit dem Namen “The Shelf“ entstehen. Verteilt ist das Projekt auf zwei Gebäude: The Shelf 1 soll in der Prinzenstraße/Ecke Ritterstraße entstehen und The Shelf 2 gegenüber in der Prinzenstraße 34. Auf dem ersten Areal befanden sich 40 Jahre lang die Robben & Wientjes-Hallen. „Die Robben gehen, die Haie kommen“, sagen die Kritiker/innen. Dazu gehört die Initiative KunstblockAndBeyond. Sie hat unter diesen Namen in den letzten Monaten an zahlreichen Mieter/innenprotesten teilgenommen. Am Freitagabend ist die Verleihung des Berlin Art Prize in den ehemaligen Robben Wientjes-Hallen der Anlass für die Proteste, die sich allerdings nicht gegen den Kunstevent richtet.
Auch Pandion ist kein guter Nachbar
Es soll mit den Besucher/innen und den Anwohner/innen über die Pandion-Pläne diskutiert werden. Schließlich gibt sich das Unternehmen ein liberales, weltoffenes Image als Kunstförderer. Auf der Firmenhomepage ist auf der Seite unter dem Stichwort „Der Zukunftsfort“ das geplante Nobelprojekt zu sehen und daneben unter dem „die Off-Location“, eine Fabrikhalle mit moderner Kunst. Bereits 2016 hatte Pandion in der Nürnberger Straße mit dem temporären Kunstprojekt The House sogar für internationales Aufsehen gesorgt. Im November 2019 soll dort dann ein Haus mit hochpreisigen Eigentumswohnungen fertig gestellt sein. „Der erhebliche Marketingaufwand, den Pandion für seine Imagepflege betreibt, kann niemanden darüber hinwegtäuschen, dass die Immobilie für die in der Nachbarschaft arbeitenden und lebenden Menschen keine bezahlbaren Räume schafft. Pandions sogenannter „Zukunftsort“ schafft keine Zukunft für uns“, heißt es im Aufruf zum Protest. Allerdings passen Projekte wie he Shelf gut zum Aufwertungsprozess rund um den Moritzpatz. Das Aufbauhaus und das Betahaus sind Symbole jener Startup-Ökonomie, die auf Uber, Airbnb und die schrankenlose Durchsetzung der Marktgesetze schwören. Die Prinzesssinnengärten gehören zu ihren Erholungszonen. Demgegenüber stellt die Initiative KunstblockAndBeyond einige Forderungen, die den Ohren dieser modernen Kapitalisten fast wie Sozialismus klingen. „Bezahlbare, dauerhaft abgesicherte Räume für Mieter/innen, Kleingewerbe und Handwerk. Eine nachhaltige Kulturpolitik, die soziale und stadtpolitische Fragen in den Blick nimmt und strategische Förderinstrumente entwickelt. Öffentlichen Gelder sollen nicht mehr für Kulturzwischennutzung in profitiorientierten Investorenprojekten verwendet werden. Geförderte Kulturprojekte sollen nicht mehr zur Verdrängung von Mieter/innen und Kleingewerbetreibenden beitragen. Bauanträge dieser Größenordnung sollten frühzeitig der Nachbarschaft transparent gemacht werden.
Marianne Grimmenstein will das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan stoppen
Die pensionierte Musiklehrerin Marianne Grimmenstein lebt in Lüdenscheid. 2016 reichte sie eine Klage gegen das Freihandelsabkommen der EU mit Kanada vor dem Bundesverfassungsgericht ein. Nun hat sie eine Petition gestartet, um das Abkommen zwischen Japan und der EU (JEFTA) zu stoppen. Über ihre Motivation und ihre Ziele sprach Peter Nowak mit der 76-Jährigen.
Das Freihandelsabkommen JEFTA zwischen Japan und der EU wurde bereits am 17. Juli dieses Jahres unterzeichnet. Sie sammeln Unterschriften für eine Petition. Kommen Sie damit nicht zu spät?
Friedenspolitisches Bündnis ruft für 1. bis 4. November bundesweit zu dezentralen Protesten gegen Militarisierung auf
»Die Bundeswehr ist Pazifismus made in Germany. Eine historische Ausnahme«, behauptete jüngst der »taz«-Journalist Jürn Kruse in einem Kommentar. Mit dieser Auffassung ist der Autor nicht allein. Weit verbreitet ist die Ansicht, dass die Bundeswehr bei Übungen einen Moorbrand auslösen kann, aber mit Krieg und Militarismus eigentlich nichts mehr am Hut hat. Dabei will die Bundesregierung die Militärausgaben auf zwei Prozent der Wirtschaftsleistung in Deutschland verdoppeln. In der Öffentlichkeit wird kaum darüber gesprochen. Oft heißt es, die Bundesregierung folge nur den Vorgaben der NATO und der USA. Doch der Aufrüstungskurs hat auch antimilitaristische Gruppen aktiviert, die sich oft schon seit Jahren gegen die Aufrüstung wehren.
»Abrüsten statt aufrüsten«, lautet beispielsweise das einfache, aber klare Motto eines Aufrufs, den mittlerweile online und offline schon rund 100 000 Menschen unterschrieben haben. Argumentiert wird in dem Text vor allem mit Geld. Finanzen, die in Rüstung fließen, fehlen an anderer Stelle. »Zwei Prozent, das sind mindestens weitere 30 Milliarden Euro, die im zivilen Bereich fehlen, so bei Schulen und Kitas, sozialem Wohnungsbau, Krankenhäusern, öffentlichem Nahverkehr, kommunaler In-frastruktur, Alterssicherung, ökologischem Umbau, Klimagerechtigkeit und internationaler Hilfe zur Selbsthilfe«, heißt es in dem Aufruf.
Zu den Erstunterzeichner*innen gehören Politiker*innen der LINKEN sowie Abgeordnete vom linken Flügel der SPD wie Marco Bülow, Hilde Mattheis und Heidemarie Wieczorek- Zeul. Die Grünen sind nur mit der Bundestagsabgeordneten Katja Keul vertreten. Zahlreiche Mitglieder des DGB und seiner Einzelgewerkschaften unterstützen ebenfalls den Aufruf. Dazu gehören der Vorsitzende der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, Frank Bsirske, und die Vorsitzende der Gewerkschaft NGG, Michaela Rosenberger. Ebenso haben DGB-Bundesvorstandsmitglied Annelie Buntenbach und der Erste Bevollmächtigte der IG-Metall in Frankfurt am Main, Michael Erhardt, unterzeichnet.
Kristian Golla vom Netzwerk Friedenskooperative, das ebenfalls den Aufruf unterstützt, zeigt sich im Gespräch mit »nd« erfreut über die starke Präsenz von Mitgliedern der DGB-Gewerkschaften unter den Unterzeichner*innen. »DGB, IG Metall und Friedensbewegung gehen wieder gemeinsame Wege«, sagt Golla. Bereits in der DGB-Erklärung zum Antikriegstag am 1. September 2017 wurde einer neuen Aufrüstung eine Absage erteilt. »Der richtige Ansatz dafür kann nicht sein, die Verteidigungsausgaben massiv zu erhöhen. Stattdessen brauchen wir eine gemeinsame Strategie der friedenssichernden Konfliktprävention«, heißt es dort.
Der Mitunterzeichner des Aufrufs und Bundesvorsitzende der Naturfreunde Deutschlands, Michael Müller, erklärte jüngst, dass neben der Erhöhung des Rüstungsetats die »schleichende Militarisierung der Außenpolitik« in Europa ein Grund für den Aufruf war. »Es gibt immer mehr Truppenübungen entlang der 1300 Kilometer langen Grenzen der EU zu Russland/Weißrussland, immer mehr sogenannte Alarmübungen, immer mehr Truppenverlagerungen, die Stationierung schwerer Waffen«, kritisierte Müller.
Der Aktivist beklagte auch, dass sich die Hoffnungen auf eine weltweite Abrüstung aus den frühen 1990er Jahren zerschlagen hätten. Seit den islamistischen Anschlägen von 2001 in den USA werde der Ruf nach neuen Waffen immer lauter.
Die Initiative »abrüsten statt aufrüsten« will sich diesem Trend entgegenstellen. Vom 1. bis 4. November sollen bundesweit dezentrale Proteste gegen weitere Aufrüstung stattfinden. Der Anlass ist die zu diesem Zeitpunkt stattfindende Lesung des Bundeshaushalts im Bundestag. Dort werden auch die Rüstungsausgaben beschlossen. Zurzeit bereitet man nach Angaben der friedenspolitischen Initiative in verschiedenen Städten unterschiedliche Protestaktionen vor.
Golla erhofft sich eine größere Teilnahme junger Menschen an den Protesten. Dass sie für das Thema Antimilitarismus prinzipiell erreichbar sind, zeigte sich erst jüngst wieder in Kassel. Dort hatten Aktivist*innen des Bündnisses »Block War« für zwei Stunden die Zugänge des Rüstungskonzerns »Rheinmetall Landsysteme und MAN Military Vehicles« im Industriepark Mittelfeld blockiert. »Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr weiter Waffen baut«, lautete das Motto. Ein Großteil der rund 50 Blockadeteilnehmer*innen: eher jung.
Demo am Freitag soll beweisen: In Prenzlauer Berg haben längst nicht alle mit der Gentrifizierung abgeschlossen
Unter der Parole „Gemeinsam gegen Mietenwahnsinn und Verdrängung“ gab es in den letzten Monaten zahlreiche Demonstrationen in Kreuzberg und Neukölln. Doch am kommenden Freitag gehen unter die- sem Motto auch in Prenzlauer Berg MieterInnen auf die Straße. Beginnen soll die Demo um 16 Uhr am U- Bahnhof Senefelderplatz. Von dort soll es zu Orten von drohender Verdrängung und geplantem Widerstand gehen. Organisiert werde die Demo von Menschen aus dem Helmholtz- und Kollwitzkiez, erklärt Enrico Schönberg von der stadtpolitischen Intiative „Wir bleiben alle“ gegenüber der taz. Sie hätten sich seit den Aktionstagen gegen Verdrängung im Vorfeld der großen Berliner MieterInnendemonstration im April regelmäßig im Nachbarschaftshaus Helmholtzplatz getroffen und kleinere Aktionen beispielsweise bei Wohnungsbesichtigungen durch KaufinteressentInnen vorbereitet. Zu den OrganisatorInnen gehört außerdem das Pankower MieterInnenforum, in dem sich BewohnerInnen aus dem Stadtteil vernetzen. Mit der Demonstration wolle man dem Eindruck entgegentreten, in Prenzlauer Berg sei die Gentrifizierung abgeschlossen. „Es gibt viele MieterInnen, Hausgemeinschaften und Gewerbetreibende, die sich in dem Stadtteil gegen ihre Verdrängung wehren“, betont Schönberg. Sie sollen auf der Demo zu Wort kommen. Dazu gehören etwa die MieterInnen der Gleimstraße 56, die nach ihren Protesten gegen den geplanten Verkauf an einen privaten Investor einen Erfolg vermelden können: Sie konnten erreichen, dass der Bezirk das Vorkaufsrecht anwenden will (taz berichtete). Die wenigen noch verbliebenen MieterInnen der Kopenhagener Straße 46 hingegen müssen weiterhin um ihre Wohnungen bangen. Dazu gehört Sven Fischer, der durch sein jahrelanges Engagement eine der Symbolfiguren für den Kampf gegen Verdrängung durch energetische Sanierung geworden ist. Die Demonstration will mit ihrem Zwischenstopp vor diesem Haus auch ein Zeichen der Ermutigung senden. Die Demonstration soll auch auf Wohnhäuser aufmerksam machen, die zum Objekt von Immobilienfirmen geworden sind, in denen sich aber noch kein Widerstand entwickelt hat. Schließlich ist der Stadtteil gerade durch sein Image als gutbürgerlicher Bezirk für AkteurInnen der Immobilienwirtschaft besonders interessant, die dort anders als in Kreuzberg oder Friedrichshain weniger Protest und Widerstand erwartet. Mit der Demonstration soll diesem Image entgegengetreten werden.
200 Wissenschaftler*innen für andere Wohnungspolitik
»Die Versorgung mit Wohnraum ist eine wesentliche Aufgabe des Wohlfahrtsstaats. Wird das Wohnen für einen wachsenden Teil der Bevölkerung unbezahlbar, fördert dies gesellschaftliche und sozialräumliche Spaltung und bedroht letztlich auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt«. Dieser Satz steht in der Einleitung einer Stellungnahme von 200 Wissenschaftler*innen unterschiedlicher Fakultäten, die in der Fachzeitschrift Suburban veröffentlicht wurde. Damit reagieren die Akademiker*innen auf ein im Juli veröffentlichtes Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, das mehr Markt in der Wohnungspolitik fordert. Die Wissenschaftler*innen hingegen beschreiben, wie immer mehr Menschen Angst haben, sich ihre Wohnung nicht leisten zu können oder zu verlieren. »Die gegenwärtigen Entwicklungen am Wohnungsmarkt resultieren in sozialer Spaltung und Polarisierung am Wohnungsmarkt. An dessen Ausmaß manifestiert sich auch die Polarisierung unserer Gesellschaft.« Mehr sozial orientierte Wohnungspolitik, nicht weniger werde gebraucht, so Barbara Schöning, Professorin für Stadtplanung an der Bauhaus-Universität Weimar. »Wir brauchen Akteure am Wohnungsmarkt, die bezahlbaren Wohnraum ohne Profitinteresse dauerhaft bereitstellen. Sie müssen durch Wohnungs- und Stadtentwicklungspolitik gefördert werden.«
Sebastian Schipper, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Goethe-Universität Frankfurt am Main, ergänzt: »Bauen ist notwendig. Sollen Mieten aber nicht weiter steigen, ist die Neuschaffung eines gemeinnützigen Wohnungssektors unerlässlich.« Träger eines solchen Wandels auf dem Wohnungsmarkt könnten insbesondere kommunale und zivilgesellschaftliche Träger wie Genossenschaften oder Stiftungen sein.
Eine Erklärung von 250 Wissenschaftlern unterstützt Forderungen von Mieterinitiativen
„Die Versorgung mit Wohnraum ist eine wesentliche Aufgabe des Wohlfahrtsstaats. Wird das Wohnen für einen wachsenden Teil der Bevölkerung unbezahlbar, fördert dies gesellschaftliche und sozialräumliche Spaltung und bedroht letztlich auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ – Dieser Satz steht in der Präambel einer Stellungnahme [1] von 250 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unterschiedlicher Fakultäten, die in der Fachzeitschrift Suburban [2] veröffentlicht wird.
Damit reagieren die Akademiker auf ein Gutachten [3] des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Dort wird mehr Markt in der Wohnungspolitik gefordert und selbst die völlig zahnlose Mietpreisbremse schon als Verstoß gegen den heiligen Markt verworfen.
Die Wissenschaftler wollen mit ihrem Text wenige Tage vor dem Wohnungsgipfel [4] der Bundesregierung im Bundeskanzleramt und dem Alternativgipfel von Mieterverbänden und sozialen Initiativen andere Akzente setzen. Dabei docken sie auch an die aktuellen Debatten über die Spaltung der Gesellschaft an und stellen sie in neue Zusammenhänge.
Die gegenwärtigen Entwicklungen am Wohnungsmarkt resultieren in sozialer Spaltung und Polarisierung am Wohnungsmarkt. An dessen Ausmaß manifestiert sich auch die Polarisierung unserer Gesellschaft. Wohnen ist in manchen Regionen und Städten Deutschlands zum Armutsrisiko geworden (Holm/Lebuhn/Neitzel/Junker 2017). Die Gefahr aus dem eigenen Umfeld verdrängt zu werden empfinden viele Menschen als Ausdruck einer „Abstiegsgesellschaft“ (Nachtwey 2016). Wachsende Verteilungskämpfe um soziale Zuwendungen sind die Folge. Bisweilen schlagen diese in Hass und Wut auf Migrantinnen und Migraten um und befördern rechte Tendenzen.
Aus der Erklärung „Für eine wirklich soziale Wohnungspolitik“ [5]
Man kann darüber streiten, ob der Zusammenhang zwischen dem Aufstieg der neuen Rechten und der Wohnungspolitik nicht etwas zu simpel ist. Schließlich hat die AfD gar keine Ambitionen, sich als Mieterpartei zu profilieren.
Doch gut beschrieben ist die Angst vieler Menschen, sich überhaupt noch eine Wohnung leisten zu können oder die eigene Wohnung zu verlieren. „Miete essen Seele auf“ [6], lautet der bezeichnende Titel eines Films über rebellische Mieter in Berlin-Kreuzberg.
Ist es Marktversagen, wenn sich viele Menschen die Wohnung nicht mehr leisten können?
Bezweifeln kann man auch die Diagnose der Wissenschaftler, dass wir es mit einem Marktversagen zu tun haben, wenn für viele Menschen keine bezahlbaren Wohnungen mehr zur Verfügung stehen. Damit deckt sich der Befund der Wissenschaftler mit dem Aufruf des Bündnisses Zusammen gegen Mietenwahnsinn [7].
Auch dort heißt es: „Markt und Staat versagen. Mindestens 1 Million preiswerte Neubauwohnungen fehlen. Trotz des großen Bedarfs schafft der Markt keinen preiswerten Wohnungsneubau.“
Damit wird aber unterstellt, der kapitalistische Markt hätte die Aufgabe, preiswerte Wohnungen für alle bereitzustellen und würde darin versagen. Aber da werden dem Markt Zwecke zugeschoben, die er nicht hat. So könnte man auch sagen, der Markt funktioniert sehr gut, wenn mit Grundstücken und Wohnungen enorme Profite gemacht werden.
Der Mieter als „neuer Hartz IV-Empfänger“
Diesen Zusammenhang hat der Inlands-Redakteur der Taz, Martin Reeh, in einem Kommentar [8] gut auf den Punkt gebracht:
Krisenzeiten bieten stets Chancen, die Gesellschaft zu verändern. Die hohe Arbeitslosenquote und das Loch in den Rentenkassen wurden in den nuller Jahren genutzt, um das vergleichsweise egalitäre deutsche Sozialmodell zu zerstören. Nun steht der noch immer relativ egalitäre Wohnungsmarkt zur Disposition.
Martin Reeh, Taz
Lassen wir mal die Frage beiseite, wie „egalitär“ Kapitalismus überhaupt sein kann; angesprochen wird, dass es sich bei der aktuellen Wohnungspolitik „um Klassenkampf von oben handelt“.
Je mehr das Wohnungsthema in den Fokus gerät, desto deutlicher wird, dass es auch um einen ideologischen Kampf geht: Liberalen gilt der Mieter als der neue Hartz-IV-Empfänger – als einer, der es nicht geschafft hat, sich eine Eigentumswohnung zuzulegen. Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt schrieb diese Woche, in den Szenekiezen Berlins liege der Mieteranteil jenseits der 95 Prozent. „Armselig“ nannte Poschardt das.
Martin Reeh, Taz
Dagegen müsste sich der Protest und der Widerstand einer außerparlamentarischen Mieterbewegung richten, die es in Berlin seit mehreren Jahren gibt, wie der Film Mietrebellen [9] von Matthias Coers [10] dokumentiert hat.
„Die Anzahl der kleinen und großen Initiativen ist nicht mehr zu überblicken: Es gibt kaum einen Kiez, in dem keine existieren. Zuletzt riefen im April 2018 rund 250 Organisationen, Vereine und Initiativen zu einer Mieterdemonstration auf, an der bis zu 25.000 Menschen teilnahmen. Hier wurde die Vielfalt und Breite sichtbar, die die neuen Mieterproteste angenommen haben“, schreibt Philipp Mattern von der Berliner Mietergemeinschaft [11] in einem kürzlich im Verlag Bertz & Fischer erschienenen Buch mit dem Titel Mieterkämpfe vom Kaiserreich bis heute – am Beispiel Berlin [12].
Mittlerweile gibt es in vielen anderen Städten ebenfalls parteiunabhängige Mieterbewegungen. Für sie sind die konkreten Forderungen der Wissenschaftler, die für eine neue soziale Wohnungspolitik eintreten, eine wichtige Unterstützung.
Im Zusammenschluss ZET suchen Wissenschaftler nach emanzipatorischen Perspektiven in der Technikforschung
Simon Schaupp ist Arbeits- und Techniksoziologe an der Universität Basel. Er ist Mitbegründer des »Zentrums emanzipatorische Technikforschung« (ZET). Mit ihm sprach für »nd« Peter Nowak.
Wie haben Sie sich zusammengefunden?
Die Initiator*innen haben bei der Arbeit an dem Buch »Kybernetik, Kapitalismus, Revolutionen« zusammengefunden, das letztes Jahr im Unrast-Verlag erschienen ist. Schon dort haben wir…
MieterInnen der Elbestraße 19 in Neukölln demonstrieren für Wahrnehmung des Vorverkaufsrechts
„Müsste ich ausziehen, wüsste ich nicht, wohin. Das würde ich physisch und psychisch nicht schaffen“, sagt die Rentnerin, die nun schon seit 20 Jahren in der Elbestraße 19 in Neukölln wohnt. Insgesamt haben rund 100 Menschen in dem Eckhaus ihr Zuhause. Nachdem sie Anfang August erfahren haben, dass ihr Haus an die „JFT Grundbesitz Nr. 28 GmbH“ verkauft wurde, begannen die BewohnerInnen aktiv zu werden. „Wir beriefen Hausversammlungen ein und trafen uns mit MieterInnen, deren Häuser bereits verkauft waren“, erklärte Mieterin Antje Sänger. Am vergangenen Samstag organisierten die BewohnerInnen eine Demonstration gegen Verdrängung, die vor dem Haus in der Ebestraße begann und am Rathaus Neukölln endete. Unter den etwa 250 TeilnehmerInnen waren auch Betroffene aus anderen Stadtteilen. Eine Vertreterin der Padowatch-Initiative hielt einen Redebeitrag. Darin haben sich BewohnerInnen von Häusern zusammengeschlossen, die dem umtriebigen Berliner Investor Gijora Padovicz gehören. Die neuen Eigentümer der Elbestraße gehören zum Firmengeflecht von Padovicz. Das Haus liegt im Milieuschutzgebiet. Deshalb kann der Bezirk noch bis zum 7. Oktober vom Vorverkaufsrecht Gebrauch machen. Mit der Demonstration wollen die BewohnerInnen den Druck auf den Bezirk erhöhen, in diesem Sinn aktiv zu werden.
Solidarität von Grünen und Linken
Einen ernüchternden Redebeitrag hielt eine Mieterin der Sanderstraße 11 aus Neukölln. Nachdem das Haus verkauft wurde, setzten sich die MieterInnen für ein Genossenschaftsmodell ein. Doch das scheiterte an einer feh- lenden finanziellen Förderung. „So war unser dreimonatiges Engagement vergebens“, lautet das Fazit der Mieterin.
Auf der Abschlusskundgebung richtete eine Bewohnerin der Elbestraße diese Forderung an Bezirk und Senat: „MieterInnenschutz muss eine Sache der Politik werden.“ Immerhin: Neuköllner BezirkspolitikerInnen von Grünen und Linken haben auf der Demo ihre Solidarität bekundet.
Seeleute haben erfolgreich Arbeitsrechte erkämpft – doch wer sich beschwert, landet oft auf schwarzer Liste
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In diesem Jahr jährt sich der Beginn der Kampagne der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF) gegen Sozialdumping auf hoher See zum 70. Mal. 1948 begann die Kampagne gegen die Praxis des Billigflaggens. Sie soll verhindern, dass Schiffe von den Reedereien in Ländern angemeldet werden, wo es um die Rechte der Beschäftigten schlecht bestellt ist. Ist die Kampagne ein Beispiel für einen erfolgreichen Kampf um globale Rechte? Ein wichtiger Schritt war der zwischen der ITF und dem internationalen Arbeitgeberverband der Schifffahrt (IMEC) geschlossene Tarifvertrag, der im Jahr 2000 in Kraft trat und dem sich rund 12 000 Schiffe angeschlossen haben. Aus Sicht des Publizisten Jörn Böwe, der sich seit Jahren mit Arbeitskämpfen befasst, ist der Vertrag ein Erfolg, denn er bedeute für die Beschäftigten reale Verbesserungen. Böwe gibt aber auch zu Bedenken, dass für den größten Teil der Seeleute kein Tarifvertrag gilt und die Praxis des Billigflaggens nicht gestoppt werden konnte.
Auch die emeritierte Politikwissenschaftlerin Heide Gerstenberger, die zur Seefahrt in Zeiten der Globalisierung geforscht hat, ist skeptisch. Jeder Tarifvertrag sei besser als keiner, betont sie. Doch die Schiffseigner*innen hätten die Krise in der Schifffahrt seit den 1960er Jahren zum völligen Umbau im Sinne der Kapitalstrategien genutzt. Die Kernbelegschaften wurden massiv verkleinert. Klassische Reedereien existieren heute nicht mehr. Die Schiffseigner*innen hätte nichts mit dem Schiffsbetrieb zu tun – für sie sei der maximale Profit die Leitlinie. Die Möglichkeiten der Beschäftigten sich zu wehren, hält Gerstenberger für gering. Wer sich beschwert, könne schnell auf einer schwarzen Liste landen und bekommt dann keine Arbeit mehr.
Hamani Amadou, der als Arbeitskontrolleur des ITF im Rostocker Hafen die Einhaltung der Tarifverträge überprüft, betont die Erfolge. Mittlerweile könnten sich Seeleute aus aller Welt an die ITF wenden, wenn sie Probleme mit dem Lohn oder den Arbeitsbedingungen haben. In der Regel seien die Kapitäne bei den Kontrollen kooperativ, weil sie keine zeitaufwendigen Konflikte riskieren wollen. In den wenigen Fällen, wo es bei der Kontrolle Probleme gab, haben sich die Hafenarbeiter*innen mit den Seeleuten solidarisch gezeigt, indem sie sich weigerten, das Schiff zu entladen, solange die Überprüfung verweigert wird. Diese Kooperation zwischen den Hafenarbeiter*innen, die eine stärkere Durchsetzungsmacht haben, und den Seeleuten existiert bereits seit Jahrzehnten – ein gutes Beispiel für internationale Solidarität.
Warum die Aufstehen-Bewegung trotz vieler berechtigter Kritik eine positive Rolle haben kann
Horst Seehofer hat es wieder getan. Indem er die Migration zur „Mutter aller Probleme“ erklärte, lieferte er nicht nur eine weitere Kampfansage an Merkel, wie der Publizist Albrecht von Lucke in seinem engagierten Deutschlandfunk-Interview erklärte [1].
Das eigentliche Problem besteht darin, dass er diese Kampfansage auf dem Terrain und mit den Themen der AfD führt. Es sind Bewegungen wie Pegida und Parteien wie die AfD, die alle politischen Erscheinungen auf die Migration zurückführen. Es ist daher eine Bestätigung dieser Bewegungen, wenn nun Seehofer deren Welterklärungsmodelle übernimmt. Er bedient die rechte Klientel, in dem er auf deren ideologischem Terrain bleibt und mit dafür sorgt, dass weiterhin die Migration das zentrale Thema bleibt. Davon profitieren rechte Grupperungen.
Dabei geht es nicht darum, dass nun die Politiker unter Umständen auch harsche Worte über die AfD finden. Das hat der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki [2] ebenso getan, wie der sächsische Ministerpräsident Kretschmar. Doch beide haben auch zentrale Erklärungsmuster der AfD übernommen, Kubicki, wenn er die Ursache für die rechten Aufmärsche in Chemnitz und anderswo in der angeblichen Grenzöffnung von Merkel 2015 sieht. Dabei übernimmt er schon rechte Denkmuster dadurch, dass er von einer Grenzöffnung fabuliert, die gar nicht stattgefunden hat.
Tatsächlich geht es den Kritikern darum, dass 2015 die in der EU offenen Grenzen nicht mit Panzer und Wasserwerfer gegen die Migranten verteidigt wurde. Zudem gab Kubicki so den rechtslastigen, häufig als akademischen Pegida-Versteher [3] apostrophierten Werner Patzelt die Gelegenheit, Kubicki und selbst Seehofer noch einmal von rechts zu überholen. „Wenn er damit gemeint hat, dass die Flüchtlingspolitik die Wurzel für dieses Übel ist, dann hat er Recht“, erklärte Patzelt. Hat Seehofer die Migration als Mutter aller Probleme bezeichnet, unternahm Patzelt die semantische Verschärfung, in dem er von der Mutter aller Übel sprach.
Jagdszenen oder Hetzjagd auf Chemnitzs Straßen?
Auch der sächsische Ministerpräsident bestätigt mit seiner Erklärung, dass es keine Hetzjagden und Pogrome in Chemnitz gegeben hat, die Rechten. Dabei muss man allerdings hinzufügen, dass durch manche alarmistischen Beiträge des liberal-weltoffenen Lagers die Rechten auch eher bestärkt wurden.
Es waren, worauf Albrecht von Lucke in seinem Deutschlandfunk-Interview hinwies, gut organisierte rechte Aufmärsche. Da wurde auch dafür gesorgt, dass die beim Trauermarsch anwesenden Neonazis den rechten Arm unten lassen mussten. Sie wurden vorher von ihren Führungsleuten entsprechend instruiert: „Heute sind wir Volk, nicht Gesinnung“, lautete das Motto. Also Nazis dürfen schon dabei sein, sie sollen sich nur nicht als solche zeigen.
Nun wird in den Medien diskutiert, ob in Chemnitz Jagdszenen [4] oder eine Hetzjagd [5] stattgefunden hat. Tatsächlich ist die Semantik gerade bei einer Thematik wichtig, bei der den Rechten vorgeworfen wird, mit der Sprache hetzen und spalten zu wollen. Doch all diese Beiträge bleiben auf dem Terrain der Rechten – und sie können davon profitieren, selbst wenn die sich kritisch zur AfD und ihrem Umfeld äußern.
Warum Initiativen wie Aufstehen gerade jetzt wichtig sein könnten
Dabei ginge es darum, das Diskursfeld der Rechten zu verlassen und andere Themen in die Debatte zu werfen, die durch das rechte Themensetting erfolgreich verdrängt werden. Hier könnte die kürzlich gegründete Initiative Aufstehen [6] eine positive Rolle spielen. Denn dort ist eben nicht die Migration, sondern die soziale Spaltung das zentrale Problem.
Das ist natürlich eine derart beliebige Aussage, dass sie von Teilen der CDU ebenso unterschrieben werden kann wie von einem großen Teil der Reformlinken. Dass nun vor allem von den Grünen und der SPD Politiker dabei sind, die in ihrer Partei nichts oder nichts mehr zu sagen haben, könnte auch darauf hindeuten, dass es sich um eine von vielen Initiativen handelt, die nach ihrer Gründung bald wieder vergessen sind. Oder wer redet noch über die mit viel publizistischem Aufwand vom ehemaligen griechischen Finanzminister Yaroufakis initiierte DIEM-Bewegung?
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Aufstehen wie in den frühen 1990er Jahren die Komitees für Gerechtigkeit am Ende damit enden, dass auf den Listen der Linken einige Parteilose kandidieren. Aber das ist nicht das Entscheidende. Aufstehen wird keine Revolution anführen und das ist auch gar nicht das Ziel.
Aber es gibt auch einen positiven Moment der Gründung, nämlich dass die politische Diskursebene gewechselt wurde. Es handelt sich hier nicht um eine linke Debatte, sondern um eine, in der Linke mitdiskutieren und Akzente setzen können, ganz im Gegensatz zur Migrationsdebatte, in der sogar gegenüber den Rechten kritische Beiträge auf deren Terrain verbleiben. Bei der Aufstehen-Debatte könnte man auch den Gedanken einbringen, dass es nicht um die Erörterung einer sozialen Frage gehen kann, sondern um die Frage, ob sich die Mehrheit der Menschen den Kapitalismus noch leisten kann und will.
Dann wären wir auf einer Diskursebene, die sowohl Liberale als auch Rechte aller Couleur meiden wie der Teufel das Weihwasser. Denn dann müssten sie sich ja die Frage gefallen lassen, warum sie in Deutschland eine staatlich geförderte Verarmungspolitik vorantreiben, die Stefan Dietl in dem kürzlich im Unrast-Verlag erschienenen Buch „Prekäre Arbeitswelten“ [7] knapp und prägnant beschreibt.
Wie sehr auch die AfD ein solches Thema vermeidet, wurde auf einer Konferenz zur Zukunft der Rente im brandenburgischen Neuenhagen deutlich. Aktuell streiten in der AfD Marktradikale und völkische Nationalisten, wie hoch der Anteil des Sozialstaats dabei sein soll. Der dort als Parteiunabhängiger eingeladene Jürgen Elsässer warnte davor, dass sich die AfD an der Rentenfrage zerstreite, und wusste Rat. Die Partei solle weniger auf das Materielle schauen, sondern die Debatte auf die Sicherheit lenken. Viele Senioren würden unter den Veränderungen der modernen Gesellschaft leiden. Und wenn eine Partei dann die gute alte Zeit vor 50 oder auch 80 Jahren beschwört, sind sie schon zufrieden auch mit wenig Rente.
Hier zeigte Elsässer deutlich, welche Rolle die Diskurse über Law and Order, Kriminalität und Einwanderung haben. Niemand redet dann mehr davon, warum in einer Gesellschaft, in der die Produktivkräfte so weit entwickelt sind, dass ein schönes Leben für alle keine Utopie mehr sein müsste, Menschen allen Alters Flaschen sammeln müssen. Die Rechten aller Parteien reden dann von angeblichen Geldern, die Migranten bekommen. Aber nicht die Migranten, sondern die Politiker aller Couleur haben die gesetzlichen Grundlagen für die Altersarmut geschaffen, unter anderen durch die Schaffung eines Niedriglohnsektors, der natürlich auch Minirenten erzeugt.
Wie das Kapital in der Mietenpolitik den Klassenkampf von oben führt
Oder gehen wir auf das Feld der Mietenpolitik. Es ist noch keine zwei Wochen her, da bekamen wir einen sehr plastischen Anschauungsunterricht im Klassenkampf von oben auf dem Feld der Mieten- und Wohnungspolitik. Der Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums empfahl Marktwirtschaft pur und forderte ein Ende der sowieso wirkungslosen Mietpreisbremse. Freie Fahrt für die Investoren hieß die Devise. Der Taz-Kommentator Martin Reeh fand die passenden Worte [8]:
Krisenzeiten bieten stets Chancen, die Gesellschaft zu verändern. Die hohe Arbeitslosenquote und das Loch in den Rentenkassen wurden in den nuller Jahren genutzt, um das vergleichsweise egalitäre deutsche Sozialmodell zu zerstören. Nun steht der noch immer relativ egalitäre Wohnungsmarkt zur Disposition.
Martin Reeh
Er benennt auch, wie der weitere Umbau der Gesellschaft im Sinne der Kapitalbesitzer vorangetrieben wird und wer darunter leidet:
Je mehr das Wohnungsthema in den Fokus gerät, desto deutlicher wird, dass es auch um einen ideologischen Kampf geht: Liberalen gilt der Mieter als der neue Hartz-IV-Empfänger – als einer, der es nicht geschafft hat, sich eine Eigentumswohnung zuzulegen. Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt schrieb diese Woche, in den Szenekiezen Berlins liege der Mieteranteil jenseits der 95 Prozent. „Armselig“ nannte Poschardt das. Liberalen gilt der Mieter als der neue Hartz-IV-Empfänger – als einer, der es nicht zu einer Eigentumswohnung gebracht hat. Dabei könnten gerade Liberale Mietverhältnisse als Ausdruck von Freiheit verstehen – als Möglichkeit, sich relativ schnell nach eigenen Wünschen zu verändern. Das Berlin, das Poschardt so liebt, wäre ohne einen großen Anteil an günstigen Mietwohnungen nicht denkbar. Auch bundesweit hat die Wirtschaft von günstigen Mieten profitiert. Der Umzug für einen neuen Job fiel dadurch wesentlich leichter.
Martin Reeh
Nun könnte man fragen, wo bleiben die Demonstrationen vor dem Bundeswirtschaftsministerium, aus dessen Hause ja die Empfehlungen kamen? Warum gehen aus Protest [9] gegen den am 21.9. geplanten Wohnungsgipfel von Heimatminister Seehofer nicht Zehntausende auf die Straße? Ein Grund liegt daran, dass die Rechten mit dem Diskursfeld Migration diese Themen in den Hintergrund gedrängt haben.
Wo über Zuwanderung, über die, die dazu gehören und die angeblich nicht mal das Existenzminimum verdient haben sollen, geredet wird, geraten die Kapitalverbände und ihre Hand- und Kopflanger aus dem Blick, die beim Umbau zum marktgerechten Staat dann freie Hand haben. Wenn nun Seehofer die Migration zum zentralen Problem erklärt, trägt er ganz bewusst dazu bei, dass über die Zumutungen des Kapitalismus nicht mehr geredet wird.
Wenn nur noch über Diskriminierung und nicht mehr über Ausbeutung geredet wird
Aber auch ein Teil des sich selbst als weltoffen bezeichnenden Lagers hat kein Interesse daran. Das wird auch an Reaktionen dieses Lagers auf die Aufstehen-Initiative deutlich.
So erklärte der Jusovorsitzende Kevin Kühnert der Deutschen Presse-Agentur, der Aufruf umschiffe politische Fragen, etwa einen Konflikt zwischen Verteilungspolitik und Identitätspolitik, bei der es um gesellschaftliche Bedürfnisse bestimmter Gruppen gehe. Haltungsfragen auszuklammern und erstmal in einem Online-Forum zu diskutieren ist aber nicht basisdemokratisch, sondern beliebig, so seine Kritik.
Kühnert gehört wie viele im Umfeld von SPD und Grünen zu denen, die nur noch über Diskriminierung, nicht mehr aber über Ausbeutung reden wollen. Damit argumentieren sie im Einklang mit Kapitalverbänden, für die Diversity und Vielfalt Standortvorteile sind, höhere Löhne und Senkung der Arbeitsstunden hingegen nicht. In den USA hat man schon wesentlich länger Erfahrungen, wie man mit dem Diskurs über kapitalkonforme Antidiskriminierungsmaßnahmen von kapitalistischer Ausbeutung schweigen kann. Der Journalist Bernhard Pirkl führt [10] in der Jungle World in die US-Debatte ein:
Kritik an affirmative action kommt aber auch von der amerikanischen Linken. Das Geschwisterpaar Barbara [11] und Karen Fields [12] etwa argumentiert [13], dass Antidiskriminierungsmaßnahmen dazu führten, dass mit ihrer Art der Thematisierung sozialer Disproportionalität die ökonomische Ungleichheit als Faktor aus dem Blick geriete. Auf das Bildungssystem bezogen lautet ihr Argument: Die Änderung der Zusammensetzung der Studentenschaft in den Hochschulen lässt die Grundstruktur der Ungleichheit im Bildungssystem nicht nur intakt, mehr noch, der Diskurs um diversity lässt diese Ungleichheit als selbstverständliche erscheinen. Die Frage, warum überhaupt Knappheit an Studienplätzen und Jobs besteht, werde erst gar nicht gestellt, wenn nur über deren Verteilung gestritten werde, was eine gewisse Folgerichtigkeit habe, denn anders als race sei class, das Reden über Klassen, in der amerikanischen Gesellschaft stark tabuisiert.
Bernhard Pirkl
Die Kritik an einer kapitalgenehmen Antidiskriminierungspolitik bedeutet nicht, dass eine Politik der Stärkung (empowering) von Minderheiten falsch ist, sondern dass sie nicht mehr nach der Melodie des Kapitals spielen soll. Zudem soll neben Diskriminierung wieder über Ausbeutung geredet werden, wobei eben wichtig zu betonen ist, dass kapitalistische Ausbeutung nicht einfach an andere Unterdrückungsformen aneinandergereiht werden kann:
Der amerikanische Literaturwissenschaftler Walter Benn Michaels hat auf einen grundlegenden Fehler dieser methodischen, additiven Symmetrierung hingewiesen, der darin besteht, dass dabei kaschiert wird, dass die Analysekategorie class einer anderen Logik gehorcht als Identitätskategorien wie race und gender beziehungsweise sexuelle Orientierung: Erkennt man die normierenden Disziplinartechniken, die zur Demütigung von beispielsweise Homosexuellen beitragen, als illegitim oder beseitigt sie sogar, dann bedeutet dies auch das Ende des Stigmas und damit perspektivisch auch der Unterdrückung. Behandelte man nun Klasse – wie es in der Theorie des „Klassismus“ auch tatsächlich geschieht – analog dazu als ein Problem der Diskriminierung einer Identität, so muss man feststellen, dass arme Menschen auch ohne das Stigma Armut unterdrückt bleiben.
Bernhard Pirkl
Wenn jetzt Teile des weltoffenen liberalen Lagers die Aufstehen-Bewegung mit dem gar nicht überprüfbaren Argument diskreditieren wollen, die wäre bei der zivilgesellschaftlichen Bewegung in und um Chemnitz nicht dabei gewesen, könnte man zurückfragen. Wann habt ihr einen Streik unterstützt oder Erwerbslose auf das Amt begleitet?
Wenn es Aufstehen gelingt, einen neuen Diskurs über Ungleichheit ohne Ethnisierung zu etablieren, hätte sie ihre Aufgabe erfüllt. Den Satz, die Mutter aller Probleme in Deutschland wie in der Welt ist die kapitalistische Konkurrenzgesellschaft, kann man von Seehofer nicht erwarten. Aber es liegt an denen, die sich an der Debatte beteiligen, auch an denen, die wie der Autor, bestimmt nicht Teil dieser Sammlungsbewegung werden wollen, ob sich ein solches Motto gegen die Seehofers, Gaulands etc. durchsetzen kann.
Peter Nowak
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4156950
https://www.heise.de/tp/features/Die-kapitalistischen-Verwertungszwaenge-sind-die-Mutter-aller-Probleme-nicht-die-Migration-4156950.html
Italiens Basisgewerkschaft Si Cobas verbindet Antirassismus und Klassenkampf
Seit wenigen Monaten ist die italienische Rechtsregierung an der Macht und unter dem Innenminister Matteo Salvini von der rechten Lega Nord streitet die »Orbanisierung« des Landes rapide voran. Sein harter Kurs gegen Geflüchtete scheint dem Rechtspolitiker Zustimmung bei den Wähler*innen zu bringen, die Proteste sind schwach.
Dennoch gibt es auch in Italien Kräfte, die sich gegen den Rechtsruck stellen. Dazu zählt die Basisgewerkschaft SI Cobas, die am 24. September zu einer internationalen antirassistischen Versammlung nach Bologna einlädt. Die Gewerkschaft hat dabei ein sehr ambitioniertes Ziel, das sie in der Einladung zu dem Treffen so formuliert. »Wir sind für den Aufbau einer antirassistischen Front in Europa, die den Rassismus auf dem sozialen und gewerkschaftlichen Feld bekämpft, indem sie die Einheit der einheimischen und eingewanderten Arbeiter*innen im Kampf stärkt«. Neben diesem großen Ziel werden auch die kleinen Schritte nicht vergessen. Die rechtliche Gleichstellung der Migrant*innen ist die zentrale Forderung, die nach Ansicht von Si Cobas im Interesse aller Arbeiter *innen ist, egal aus welchem Land sie kommen.
Für die Gewerkschaft ist das antirassistische Engagement eine Klassenfrage. »Die Eingewanderten sind in ihrer übergroßen Mehrzahl Proletarier*innen, Lohnarbeiter*innen oder Arbeitssuchende, sie sind in jedem Land ein wichtiger Teil der Arbeiter*innenschaft.«
Wenn es in dem Aufruf heißt, dass migrantische und einheimische Arbeiter*innen nur in gemeinsamen Kämpfen ihre Lage verbessern können, kann die Gewerkschaft SI Cobas auf langjährige eigene Erfahrungen verweisen. Sie organisiert die Arbeitskämpfe in der Logistikbrache Norditaliens. Dort konnten die größtenteils migrantischen Beschäftigen Lohnerhöhungen und eine Minderung der Arbeitshetze erreichen. In der letzten Zeit macht auch die Organisierung von migrantischen Erntearbeiter*innen Fortschritte, die oft unter menschenunwürdigen Bedingungen in Zeltlagern in der Nähe ihres Arbeitsplatzes untergebracht sind.
An den Organisierungsprozessen sind neben SI Cobas weitere Basisgewerkschaften beteiligt. Anders als in Deutschland gibt es in Italien keine Einheitsgewerkschaft, was die Positionierung zu gesellschaftlichen Fragen erleichtert. Aber auch in Deutschland hat sich der ver.di-Gewerkschaftsrat unter dem Motto »Menschen zu retten, darf kein Verbrechen sein« mit den zivilgesellschaftlichen Initiativen der Seenotrettung solidarisiert. Gemeinsame Arbeitskämpfe von Migrant*innen und Einheimischen gibt es allerdings zu selten. Die Aufnahme von mehreren hundert Migrant*innen bei ver.di-Hamburg war ein wichtiger Akt, fand aber leider keine Nachahmung.
Außerparlamentarische Gruppe kritisiert die Forensik des Klinikverbundes Bremen als menschenunwürdig
»Wir behandeln Menschen, die aufgrund einer psychischen Erkrankung in erheblichem Maße straffällig geworden sind. Durch die Behandlung sollen sie wieder in die Lage versetzt werden, zukünftig straffrei zu leben.« Mit diesen Worten stellt der Klinikverbund Bremen seine Dienstleistungen auf dem Gebiet der Forensik vor. Klingt auf den ersten Blick nicht weiter schlimm. Zivilgesellschaftliche Gruppen fordern jedoch die Schließung der Forensik. Sie kritisieren, die dortigen Maßnahmen verletzten die Menschenrechte der Patient*innen.
Mitte August hatte die Bremer Gesundheitsdeputation, eine Arbeitsgruppe mit Vertretern von Senat und Bürgerschaft, zu einer Sondersitzung eingeladen. Ziel war, über den Stand der 2013 von der Bremer Bürgerschaft beschlossenen Psychiatrie-Reform zu debattieren. Kritiker*innen meldeten sich auf dem Bremer Marktplatz während des Treffens lautstark zu Wort. »Wir haben den krassen Widerspruch zwischen dem von Politik- und Medizinbetrieb gezeichneten Ideal-Bild einer angeblich menschenfreundlichen, fortschrittlichen Psychiatrie in Bremen und der brutalen Realität, die Psychiatrisierte tatsächlich erleben, deutlich gemacht«, erklärte Julia Benz von der Psychiatriekritischen Gruppe Bremen gegenüber »nd«.
Die Arbeit der außerparlamentarischen Initiative sorgt in Bremen für Aufsehen bei Medien und Politik. »Gegründet hatten wir uns, nach dem eine uns bekannte Person in die Fänge der Bremer Wegschließ-Maschinerie geriet«, sagte Benz. Was diese Person wie auch die Aktivist*innen selbst erfuhren hätten, sei der Motor des Engagements gewesen. Anfang 2017 berichteten verschiedene Medien über Klagen von Patient*innen der Forensik. Ihre Vorwürfe: Man habe sie tagelang an ihre Betten fixiert und zwangmedikamentiert, anstatt geeignete Therapiemaßnahmen durchzuführen.
Die Berichte über entwürdigende Bedingungen auf der Akutaufnahmestation des Klinikums Bremen-Ost führten zu Nachfragen, auch der Bürgerschaftsfraktionen von LINKEN, SPD und den Grünen. Nachdem im Mai 2017 ein 31-Jähriger in der Forensik im Klinikum-Ost an Herzstillstand starb, wuchs die Kritik an den Zuständen noch weiter.
Derzeit ist das Thema jedoch wieder aus den Schlagzeilen. »Es gab weder personelle Konsequenzen, noch ermittelt Polizei und Staatsanwaltschaft objektiv«, sagte Benz. Auch der Umgang mit den Patient*innen sei kein anderer als vorher. Daher setzen die Aktivistin und ihre Mitstreiter*innen statt auf die die Skandalisierung von spektakulären Einzelfällen auf die bundesweite Kooperation von psychiatriekritischen Initiativen, wie der Irrenoffensive und dem Bundesverband der Psychiatrieerfahrenen.
Die Gruppe knüpft damit an ein lange weitgehend vergessenes Arbeitsfeld des gesellschaftlichen Aufbruchs von 1968 an. Theoretische Kritik an der Psychiatrie und die praktische Organisierung von Psychiatriebetroffenen waren ein wesentlicher Bestand von diesem gewesen. Der Regisseur Gerd Kroske hatte jüngst mit seinem Film »Der SPK-Komplex« an diese Geschichte am Beispiel des Sozialistischen Patient*innenkollektivs aus Heidelberg erinnert.
Am Ende des Film betont Kroske, dass eine psychiatriekritische Bewegung heute kaum vorhanden, aber noch immer nötig wäre. Dass dieser Befund für Bremen nicht zutrifft, erklärt Julia Benz mit regionalen Gründen. »Bremen bricht einige Rekorde in Bezug auf Krankenhausbetten pro Einwohner und bei Zwangseinweisungen.« Doch sie verweist darauf, dass auch bundesweit die Tendenz zunimmt, abweichendes Verhalten zu psychiatrisieren. Der Fall von Gustl Mollath sei nur eines von vielen Beispiele. Der Nürnberger wurde in Bayern von Gerichten seit 2006 mehrmals in die Psychiatrie eingewiesen. Erst nach acht Jahren entließ man ihn als Justizopfer nach einem Wiederaufnahmeverfahren.
Es handelt sich nicht um ein Mittelschichtsproblem, gerade Frauen mit wenig oder geringem Einkommen sind am stärksten auch von der sexuellen Unterdrückung betroffen
Welchen politischen Stellenwert hat eigentlich gesellschaftliche Liberalität – Feminismus, Antirassismus, LGBTI-Rechte, das gesamte Paket? Wo ist das auf der politischen Skala einzuordnen?“ Diese Frage [1] stellte die Publizistin und Kulturwissenschaftlerin Isolde Charim kürzlich in der Taz. Dort stellt sie fest, dass diese Werte nicht nur von der politischen Rechten, sondern auch von Teilen der Linken infrage gestellt würden.
Von linker Seite sehen sich aber die unterschiedlichen Phänomene, die wir unter gesellschaftlicher Liberalisierung zusammenfassen, auch massiven Angriffen ausgesetzt. Da werden sie als „Feigenblatt“ des neoliberalen Kapitalismus bezeichnet, hinter dem die wahren Ausbeutungsverhältnisse nur umso ungenierter betrieben werden. Als „Herrschaftsideologie einer globalisierten Klasse“. Als Klassenkampf der „neuen Mittelschichten“ gegen „die da unten“. Die Liste ließe sich fortsetzen. Klar ist, dass diese Kritik auch die Antriebsenergie jener ist, die nun #aufstehen wollen.
Isolde Charim
Nun sind unter den Zielen, der von Charim angesprochenen Aufstehen-Bewegung [2] tatsächlich keine explizit feministischen Ziele benannt. Nicht einmal die aktuell vieldiskutierte Abschaffung [3] des Paragraphen 219 , der jede Werbung für Abtreibungen verbietet und die Ärzte, die diese Dienstleistung anbieten, kriminalisiert, wird dort erwähnt. Das ist eine kritikwürdige Leerstelle, ebenso, wenn statt Kampf gegen Rassismus der politisch falsche Begriff Fremdenhass genannt wird.
Sahra Wagenknecht und die Me-Too-Debatte
Schon vor einigen Monaten hat sich die Aufstehen-Initiatorin Sahra Wagenknecht despektierlich über die Me-Too-Kampagne geäußert [4]:
Wenn wirtschaftliche Abhängigkeit ausgenutzt wird, um Frauen oder auch Männer zu belästigen, ist das eine üble Geschichte. Das gibt es mit Sicherheit auch im Bundestag, und dagegen muss mehr getan werden. Etwas anderes ist es, wenn solche Abhängigkeiten nicht existieren. Natürlich werde auch ich mal blöd angebaggert, aber da kann ich doch selbstbewusst Grenzen setzen, und muss mich nicht über Twitter ausweinen. Als Abgeordnete kann man sich wehren. Schlimm ist es, wenn man sich wegen finanzieller Abhängigkeit oder Angst um den Arbeitsplatz nicht wehren kann. Beide Situationen sollte man nicht miteinander vermengen.
Sahra Wagenknecht
Schnell machte in den sozialen Netzwerken die Meldung die Runde, nun habe sich Wagenknecht auch noch gegen feministische Kämpfe positioniert. In der Frankfurter Rundschau wurde ihr gar vorgeworfen [5], sie würde patriarchale Machtstrukturen nicht anerkennen und sei mit ihrer Position nicht weit von der konservativen Publizistin Birgit Kelle, die das Buch „Dann mach doch die Bluse zu“ herausgegeben hat.
Doch diese Kritik wird Wagenknecht nicht gerecht. Es ist nicht anzunehmen, dass sie mit der Formulierung „selbstbewusst Grenzen setzen“, das gemeint hat. Zudem wurde sie direkt nach sexistischer Anmache im Parlament gefragt und darauf hat sie geantwortet. Gleichzeitig hat sie klar erklärt, dass sie hier in einer privilegierten Position ist und auf die verwiesen, die sich wegen finanzieller Abhängigkeiten oder Angst um den Arbeitsplatz nicht so wehren können. Kritisieren könnte man, dass Wagenknecht hier keine konkreten Vorschläge macht, wie sich gerade diese Frauen wehren können. Das könnte beispielsweise die Einrichtungen von Rätinnen und Räten gegen sexistische Diskriminierung nicht nur, aber auch am Arbeitsplatz sein. Sie könnten in größeren Betrieben aber auch auf Stadtteilebene eingerichtet werden, weil ja solche sexistischen Angriffe dort genau so häufig vorkommen.
Betroffen sind in der patriarchalen Gesellschaft davon vor allem aber nicht nur Frauen. Wir haben bei der Me-Too-Debatte auch erfahren, dass auch Männer in bestimmten Branchen von Frauen unter Druck gesetzt werden. Auch für sie sollten diese Räte natürlich offen sein. Vorbild könnten die Gleichstellungsbeauftragen sein, die es seit den 1980er Jahren in vielen Verwaltungen und auch in größeren Betrieben gab.
Vom digitalen Kummerkasten zu Räten
Das wäre eine Weiterentwicklung der Me-Too-Bewegung, die vielerorts sehr viel gelobt, aber wenig kritisiert wurde. Dabei müsste es ein Allgemeinplatz sein, dass Kritik der Motor einer Bewegung und fehlende Kritik mittelfristig Stillstand heißt. In der Interviewpassage konnte man Wagenknechts despektierliche Äußerung, sich nicht ausweinen zu müssen, als eine solche Kritik verstehen.
Tatsächlich trägt dieser Ausdruck wenig dazu bei, dass die Betroffenen, die mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit gegangen sind, einige Schritte weitergehen. Denn tatsächlich wäre eine Me-Too-Bewegung als digitaler Kummerkasten kein Instrument der Gegenmacht. Es ist auch deutlich, dass die im Neoliberalismus zum Dogma erhobene Individualisierung hier voll reinschlägt. Es ist eben offensichtlich, dass alle Betroffene als Einzelne reden, dann sicher unterstützt werden, aber ein kollektiver Prozess nicht stattfindet, wie er sich noch vor Jahrzehnten in Streiks gegen Niedriglöhne für Frauen beispielsweise bei Pierburg [6] ausdrückte.
Da hilft es auch nicht, wenn von Behshid Najafi von einer Selbstorganisation migrantischer Frauen [7] nun nach Me Two, Me Three und Me Four gefordert [8] wird. Die zur Begründung genannte Mehrfachbetroffenheit von unterschiedlichen Unterdrückungsformen bei migrantischen Frauen ist vorhanden, aber sie nur in eigenen Erzählungen nebeneinanderzustellen, trägt nicht dazu bei, die Vereinzelung zu überwinden und zu gemeinsamen Kämpfen zu kommen.
Frauen mit wenig Einkommen am meisten betroffen
Es darf eben nicht dabei stehen bleiben, sich nur die unterschiedlichen Geschichten von Unterdrückungserfahrungen zu erzählen, es kommt darauf an, diese Unterdrückungen abzuschaffen. Da wird auch sehr schnell deutlich, dass es sich nicht um ein Mittelschichtsproblem handelt. Im Gegenteil, gerade Frauen mit wenig oder geringem Einkommen, sind am stärksten auch von der sexuellen Unterdrückung betroffen. Um da was zu ändern, müssen eben auch gesellschaftliche Strukturen in Frage gestellt werden.
Einige Beispiele dazu wurden auf einer Tagung der Berliner Mietergemeinschaft [9] zum Thema Bauen, Bauen, Bauen – sozial und kommunal [10] genannt, die hier dokumentiert [11] ist. Dort ging es auch um die unterschiedlichen Folgen der Wohnungsnot. Dora Zimmermann vom Verein Wildwasser [12] befasste sich mit den Auswirkungen für Mädchen und Frauen. So seien junge Frauen gezwungen, mit Brüdern unter einem Dach zu leben, die deren Leben überwachen und reglementieren wollen. Frauen falle es auch wegen der Wohnungsnot viel schwerer, sich von gewalttätigen Männern zu trennen. Das ist nur eines von vielen Beispielen, wie sexuelle Unterdrückung mit anderen Ausbeutungsmechanismen zusammenfällt. Das legt nahe, dass es auch nur gemeinsam bekämpft werden kann. Und es stellt sich dann die Frage, ob Me Too es schafft, vom digitalen Kummerkasten zu einer Plattform der Organisierung zu werden.
URL dieses Artikels:
http://www.heise.de/-4153174
https://www.heise.de/tp/features/Metoo-Kummerkasten-von-Mittelstandsfrauen-oder-neues-feministisches-Kampffeld-4153174.html
Arbeiter*innen der Shenzener Schweißgerätefabrik Jasic wehren sich gegen Gängelung und wollen eine Gewerkschaft gründen. Als der Staat zurückschlägt, entwickelt sich eine übergreifende Solidaritätsbewegung in China und darüber hinaus.
„Eine Gewerkschaft zu gründen ist kein Verbrechen. Unterstützt die Jasic-Arbeiter*innen von Shenzen“, ruft Shen Mengyu mit lauter Stimme. Um sie stehen Polizist*innen. Einige Männer und Frauen, die der Frau zuhören, applaudieren und am Ende singen sie eine Strophe der Internationale. Das Videos dieser Szenen verbreitete sich schnell über die sozialen Medien und die junge Frau mit der Brille und den langen schwarzen Haaren wurde zum Beispiel einer jungen Generation in China, die sich auch von Polizei und anderen Repressionsorganen des staatskapitalistischen Regimes nicht mehr einschüchtern lässt. Doch die Repressionsorgane haben mal wieder gezeigt, wie sie mit selbstorganisierten Arbeiter*innenprotesten umgehen. Am 11. August 2018 wurde Shen Mengyu von zwei Männern in Zivil in ein Auto gezerrt und ist seitdem verschwunden. Zunächst behauptete die Polizei, sie sei von ihrer Familie entführt worden. Die Version ließ sich nicht mehr aufrecht erhalten, als bekannt wurde, dass die Frau von der Polizei festgehalten werde. Wenige Tage später wurde ein weiterer Unterstützer der Jasic-Arbeiter*innen entführt. Er konnte allerdings nach wenigen Tagen entkommen und ist nach Shenzen zurückgekehrt.
CHINESISCHE STAATSGEWERKSCHAFT GEGEN SELBSTORGANISIERTE ARBEITER*INNENPROTESTE
In der Shenzener Schweißgerätefabrik Jasic wehrten sich Arbeiter*innen gegen ein Strafsystem, das selbst nach chinesischem Recht illegal ist. Beschäftigte bekamen Lohnabzüge, wenn sie zu spät kamen, wenn sie Essen in die Fabrik mitbrachten, wenn sie mit ihren Kolleg*innen sprachen oder wenn ihre Betriebsuniform nicht vollständig war. Gegen diesen Kasernenhofmethoden in der Fabrik wehrten sich die Beschäftigten und wollten eine Gewerkschaft gründen. Dabei beachteten sie genau die gesetzlichen Grundlagen für eine Gewerkschaftsgründung in China. Dort sind Gewerkschaften nur legal, wenn sie Teil des Allchinesische Gewerkschaftsverbands (AFCTU) sind. Der Vizepräsident der Staatsgewerkschaft AFCTU von Shenzen war mit der Gewerkschaftsgründung zunächst einverstanden. Doch die Jasic-Manager*innen waren von Anfang an dagegen und machten deutlich, dass sie eine Gewerkschaft keinesfalls zulassen wollen. Mehrere von ihnen sind auch in der Provinzregierung aktiv und nutzten ihren Einfluss. Plötzlich distanzierte sich auch der staatsnahe AFTCTU von der Gewerkschaftgründung und organisierte später bei Jasic eine gelbe Gewerkschaft. So konnte das Regime behaupten, dass es ja eine Gewerkschaft gebe. Derweil entließ man im Juli 2018 mehrere der Gewerkschaftsgründer*innen. Doch diese ließen sich von dieser chinesischen Form des Union-Busting nicht einschüchtern. Sie kamen jeden Tag zur Fabrik, um ihre Arbeit anzubieten, wurden aber vom Sicherheitsdienst nicht eingelassen. Am 27. Juli 2018 wurden schließlich siebenunzwanzig Arbeiter*innen, ihre Familien und Unterstützer*innen, wegen Unruhestiftung verhaftet. Vierzehn von ihnen befinden sich noch immer im Gefängnis.
AUSSERBETRIEBLICHE SOLIDARITÄT STÄRKTE ARBEITER*INNEN DEN RÜCKEN
Doch die Repression mobilisierte Studierende in ganz China. Kommiliton*innen von sechzehn Universitäten setzten ihre Namen unter einen Solidaritätsappell mit den Jasic-Anbieter*innen. Hunderte Studierende kamen nach Shenzen, um die Beschäftigten vor Ort zu unterstützen. Auf öffentlichen Plätzen und in Parks informierten sie über deren Kampf, kritisierten die Repression und riefen zur Solidarität auf. Die Kurzkundgebungen wurden meistens mit dem Absingen der Internationale beendet. Die Unterstützung wuchs. Selbst einige ältere Mitglieder der Kommunistischen Partei Chinas beteiligten sich an den Protesten. Für sie steht der aktuelle Turbokapitalismus Chinas im Widerspruch zu den maoistischen Idealen. Doch Shen Mengyu wurde zum Gesicht der Proteste. Sie hat Mathematik und Ingenieurwissenschaften studiert und war bereits wegen Gründung eines Arbeiter*innenkomitees in einer anderen Stadt entlassen worden. Ihre Entführung konnte den Protest nicht beenden. Weiterhin harrten hunderte Studierende in Shenzen aus. Sie kündigten an, die Stadt nicht zu verlassen, bis alle Arbeiter*innen und Unterstützer*innen freigelassen sind. Doch Ende August wurden sie von der Polizei verhaftet. Sie werden festgehalten, bearbeitet, in ihre Heimatorte deportiert, zwangsweise in ihre Heimatorte deportiert. Man will Friedhofsruhe in Shenzen schaffen und verhindern, dass die Arbeiter*innen in anderen Fabriken auf die Idee kommen, autonome Gewerkschaften zu gründen.
INTERNATIONALE SOLIDARITÄT MIT DEN JASIC-ARBEITER*INNEN
Lange Zeit war außerhalb von Shenzen nichts von dem Kampf der Jasic-Arbeiter*innen bekannt. Es war unabhängigen Solidaritätsstrukturen zu verdanken, dass sich das änderte. Im deutschsprachigen Raum hat Bärbel Schönafinger von der Plattform labournet.tv viel dazu beigetragen. Die von ihr mit deutschen Untertiteln versehenen Videos sorgten für Solidarität in verschiedenen Städten.
Mittlerweile hat auch die internationale Solidarität begonnen. Auf dessen Webseite stellt Labournet.de einen Musterbrief an die chinesische Botschaft bereit, in dem Gewerkschafter*innen die Freilassung aller im Jasic-Konflikt Verhafteten fordern:
Wir, als Aktive in Gewerkschaften und linken Organisationen in der BRD, können darin nichts, aber auch gar nichts Unrechtes sehen – über ihre Organisation und ihre Vertretung müssen Kolleginnen und Kollegen weltweit, unabhängig vom gesellschaftlichen System, das Recht haben, selbst zu entscheiden
In Berlin haben sich an einer Protest- und Solidaritätskundgebung vor der chinesischen Botschaft am 29. August 2018 auch FAU-Kolleg*innen beteiligt. Am 30. August 2018 informierten sich einige Kolleg*innen auf einer Informationsveranstaltung im Berliner FAU-Lokal. Es ist wichtig, dass die Solidarität mit den Jasic-Arbeiter*innen und ihren Unterstützer*innen jetzt nicht nachlässt. Das Kalkül der Manager und ihres Staates darf nicht aufgehen. Alle Verhafteten müssen freigelassen, die Kriminalisierung beendet werden. Denn die Gründung einer Gewerkschaft ist kein Verbrechen.
……………………………………………………………………………………………………………………………………………….. Solidaritätserklärung der FAU-Berlin
Der Kampf der Jasic-Arbeiter*innen im chinesischen Shenzen
Solidarität mit den chinesischen Jasic-Arbeiter*innen und ihren
Unterstützer*innen!
Der Kampf der Jasic-Arbeiter*innen im chinesischen Shenzen
Im Zusammenhang mit dem Versuch von Arbeiter*innen, in der Schweißgerätefabrik Jasic im chinesischen Shenzen eine Gewerkschaft aufzubauen, hat sich eine sehr zugespitzte Situation von Repression und eine ungewöhnliche Solidaritätsbewegung für die kämpfenden Arbeiter*innen entwickelt.
Im Juli waren sieben Arbeiter entlassen worden, weil sie versucht hatten, eine Gewerkschaft aufzubauen. Die Proteste gegen die Entlassungen gingen den ganzen Monat über weiter und am 27. Juli wurden schließlich 29 Arbeiter*innen, Familienangehörige und Unterstützer*innen mit viel körperlicher Gewalt festgenommen und abgeführt.
Von den 29 Festgenommenen wurden 15 am 12. August entlassen. Sie
berichten, dass sie während ihrer Haft misshandelt und bedroht wurden.
Der Kampf um die Freilassung der verbleibenden Kolleg*innen geht weiter,
ebenso wie der Kampf der Arbeiter*innen für eine echte und repräsentative Gewerkschaft.
Seit diesen Verhaftungen haben Gruppen von mutigen Protestierenden vor der Polizeistation die Freilassung ihrer Kolleg*innen verlangt. Tausende Universitätsstudent*innen haben einen offenen Brief unterschrieben, in dem sie sich mit den Jasic Arbeiter*innen solidarisieren.
Die Repression hat schließlich staatsterroristische Züge angenommen, als am 11. August 2018 die Aktivistin Shen Mengyu entführt wurde. Mittlerweile wurden auch ca. 50 studentische Unterstützer*innen in Shenzen festgenommen, die meisten wurden in ihre Heimatorte deportiert. Auch in Peking wurden Unterstützer*innen der Jasic-Arbeiter*innen verhaftet.
Am 29. August berichteten Kolleg*innen von labournet.tv über den Kampf der Jasic-Arbeiter*innen, die Solidaritätsbewegung und die Staatsrepression.
Wir fordern die Freilassung aller im Zusammenhang mit dem Kampf der Jasic-Arbeiter*innen Verhafteten, die Einstellung aller repressiven Maßnahmen gegen sie und solidarisieren uns mit dem ihrem Kampf für eine Gewerkschaft, in der sie ihre Interessen vertreten kann.
Eine Gewerkschaftsgründung ist kein Verbrechen!
Hoch die transnationale Solidarität des Proletariats!
Mehr Infos:
https://www.reuters.com/article/us-china-labour-protests-insight/chinas-student-activists-cast-rare-light-on-brewing-labor-unrest-idUSKBN1L0060