Häftlinge als Arbeitskräfte?

Axel Köhler-Schnura ist Konzernkritiker und Vorstand der ethecon-Stiftung


nd: Warum startete ethecon eine Kampagne gegen die Ausbeutung Strafgefangener?

Köhler-Schnura: 2011 wurde die US-Menschenrechtsaktivistin Angela Davis u. a. für ihren unermüdlichen Kampf gegen den gefängnisindustriellen Komplex mit dem ethecon Blue Planet Award geehrt. Großkonzerne lassen zu Minimalkosten in Haftanstalten produzieren. Die Häftlinge erhalten in der Regel nur einen geringen, manchmal gar keinen Lohn. Nebenkosten wie die Gesundheitsvorsorge oder besondere Sicherungen des Arbeitsplatzes entfallen. Stattdessen genießen die Konzerne zusätzliche Steuervorteile für die Beschäftigung von Gefängnisinsassen. Auch in Deutschland gibt es Bestrebungen, das Gefängniswesen in dieser Weise zu »reformieren«. Da wollen wir Öffentlichkeit herstellen.

BP setzte nach der Ölkatastrophe am Golf von Mexiko Gefangene ein. Eine übliche Praxis?
Der Einsatz Strafgefangener außerhalb von Haftanstalten hat in den USA eine jahrhundertelange Tradition. Aktuell sitzen in den USA 2,3 Millionen Menschen im Gefängnis. Das ist etwa ein Viertel aller Gefängnisinsassen weltweit. Davon arbeiten in den USA bis zu eine Million in Vollzeit. Auch die Tatsache, dass der Einsatz von Häftlingen für BP organisatorisch keine Herausforderung für die Gefängnisbetreiber war, zeigt, dass die »Nutzung« dieser Arbeitskräfte jenseits der Gefängnismauern nichts Außergewöhnliches ist. Besonders zynisch allerdings war, dass BP die Gefangenen umsonst für sich arbeiten ließ, während die ortsansässige Bevölkerung durch die Ölkatastrophe in die Arbeitslosigkeit getrieben wurde und vor dem Ruin stand.

Wie sieht die Situation in Deutschland aus?
In Deutschland gibt es leider kaum Öffentlichkeit für das Thema. Dabei lud bereits 1995 die Berliner Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit zum ersten Spatenstich für ein privat finanziertes Gefängnis. 2004 wurde gemeldet, dass in Hessen erstmals die Führung einer Haftanstalt komplett in private Hände gelegt wurde. Die Justizvollzugsanstalt Burg in Sachsen-Anhalt wird vom Baukonzern Bilfinger Berger betrieben. Dass Konzerne auch hierzulande keine Hemmungen haben, von Zwangsarbeit zu profitieren, zeigen die Beispiele von IKEA, Quelle und Neckermann, die schon in den 1970ern und 1980ern Insassen von DDR-Gefängnissen für sich produzieren ließen.

Welche Schritte sind im Rahmen der ethecon-Kampagne geplant?

Wir sind keine Aktionsgruppe, sondern eine Stiftung. Wir wollen mit unserer Kampagne einen grundlegenden Anstoß geben, das Thema ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen, informieren mit einem Flugblatt und sammeln Unterschriften. Wir wenden uns mit einem Protestbrief an die US-Regierung und mit einem Offenen Brief an den Bundestag. Wir bitten um Aufklärung, wie weit fortgeschritten die Entwicklung in Deutschland bereits ist und was geplant ist, sowohl in Bezug auf die Arbeit von Strafgefangenen für Konzerne als auch auf die Privatisierung von Gefängnissen.

Wer unterstützt die Kampagne?
Bisher unterstützt uns vor allem die Stiftung Menschenwürde und Arbeitswelt bei unserer Arbeit. Wir hoffen darauf, dass andere das Thema aufgreifen und vorantreiben. Wir freuen uns über jeden, der Interesse daran hat, diese verhängnisvolle Entwicklung zu stoppen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/239868.haeftlinge-als-arbeitskraefte.html

Interview: Peter Nowak

Onlineprotest als Computersabotage

Onlinedemonstranten können sich nach Meinung der Bundesregierung nicht auf das Demonstrationsrecht berufen, weil dazu eine »körperliche Anwesenheit erforderlich« sei, die im virtuellen Raum nicht gegeben ist. Diese Lesart stand in einer Antwort auf eine Anfrage der LINKEN-Abgeordneten Sevim Dagdelen und Andrej Hunko an die Bundesregierung. Die Parlamentarier nahmen die Kriminalisierung des Onlineprotests gegen die GEMA zum Anlass für ihre umfangreiche Anfrage.

Am 17. Dezember 2011 sollte die Onlinepräsenz der GEMA mit möglichst vielen Anfragen lahmgelegt werden. Dazu wurde eine spezielle Software bereitgestellt. Obwohl die Homepage der GEMA immer erreichbar war, erfolgten mittlerweile 106 Hausdurchsuchungen. Die Bundesregierung nahm zum konkreten Fall nicht Stellung, sah aber in der versuchten Lahmlegung von Internetseiten generell den Straftatbestand der Computersabotage erfüllt. Wie die Abgeordneten der LINKEN sehen auch viele Juristen den Onlineprotest durch das Demonstrationsrecht gedeckt. Wenn im Netz immer mehr Geschäfte getätigt werden, kann es nicht zur demokratiefreien Zone erklärt werden, argumentieren sie. Es gab auch schon juristische Entscheidungen, die diese Lesart unterstützen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/235515.bewegungsmelder.html
Peter Nowak

Nazi-Rauswurf mit finanziellen Folgen

ORANIENBURG Weil er einen NPDler aus dem Saal schmiss, muss ein Versammlungsleiter blechen

Mehr als zwei Jahre ist es her, dass der NPD-Kommunalpolitiker Detlef Appel bei einer Gedenkveranstaltung zum Hitler-Attentäter Georg Elser in Oranienburg aus dem Saal geschmissen wurde. Das hatte ein juristisches Nachspiel: Wie jetzt bekannt wurde, verurteilte das Landgericht Neuruppin den Versammlungsleiter Ende Mai, dass er dem NPD-Politiker knapp 400 Euro Schadenersatz zahlen und sämtliche Verfahrenskosten tragen muss. Der Saalverweis sei geeignet, „sich abträglich auf Ansehen und Ehre des politisch aktiven Klägers in der Öffentlichkeit auszuwirken“, hieß es.

Die „Courage-Elser-Initiative“ hatte damals zu einer Gedenkveranstaltung für den verhinderten Hitler-Attentäter ins Bürgerzentrum Oranienburg geladen. Die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, Jutta Limbach, sprach zum Thema „Georg Elser – ein Volksheld oder ein Täter mit gutem Gewissen?“. Im vollbesetzten Saal habe Detlef Appel, Kreistagsabgeordneter in Oberhavel und Stadtverordneter in Oranienburg, massiv gegen Elser gehetzt, erinnert sich der Vizevorsitzende der Elser-Initiative, Bernd Findeis. „Die Anwesenden waren zunächst fassungslos, dem Entsetzen folgte ein immer deutlicher werdender Protest.“ Als der Versammlungsleiter Appel des Saales verwies, habe der anstandslos seinen Mantel genommen und sei verschwunden.

Markus Roth von der Antifa Friedrichshain kritisiert, dass der rechte Hintergrund des Politikers in dem Urteil komplett ausgeblendet worden sei. Diese juristische Normalisierungsstrategie konterkariere die Bemühungen, NPD-Mandatsträger bewusst auszugrenzen.

Roth befürchtet nicht, dass in Zukunft die Präsenz von Personen aus der rechten Szene bei antifaschistischen Veranstaltungen hingenommen werden müsse. Man sollte allerdings schon bei der Werbung deutlich machen, dass diese Leute nicht geduldet würden. Darauf verweist auch Annika Eckel von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin (MBR). Der Verein hat auf seiner Homepage eine Handreichung veröffentlicht, um Ausschlüsse von Rechten juristisch wasserdicht zu machen. Selbst wenn eine Ausschlusserklärung versäumt wurde, hätte die Veranstaltung kurzfristig aufgelöst und unter Ausschluss der Rechten neu eröffnet werden können.

Für die Georg-Elser-Initiative kommen diese Ratschläge zu spät. Sie hat ein Spendenkonto eröffnet, damit der Versammlungsleiter nicht auf den Kosten sitzenbleibt.
ttp://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig
=2012%2F07%2F31%2Fa0157&cHash=3dd8500c2a

Peter Nowak

Von Acta zu INDECT?


In mehreren europäischen Ländern gab es am Wochenende Proteste gegen ein EU-Überwachungsprogramm, das vor 2 Jahren gestartet ist

Es war eine überschaubare Anzahl von Menschen, die am Samstagmittag in Berlin Transparente und Schilder mit der Forderung „Stoppt INDECT“ trugen und für viel Verwunderung bei den Passanten sorgten. Schließlich ist der Begriff noch wenig bekannt. Es ist eine Abkürzung für „Intelligent Information System Supporting Observation, Searching and Detection for Security of Citizens in Urban Environment“. Dabei handelt es sich um ein vernetztes Überwachungsprogramm, für das die EU fast 15 Millionen Euro bereit stellt. Die Demonstration fand im Rahmen des ersten europäischen Aktionstages gegen INDECT statt. Aktionen gab es vor allem in Tschechien, Frankreich und in einem Dutzend Städten in Deutschland. „Wir wollten mit dem Aktionstag INDECT zunächst einmal in der Öffentlichkeit bekannt machen. Daher haben wir auch gar nicht mit einem Massenandrang gerechnet“, meinte ein Berliner Mitorganisator. Er ist aber optimistisch, dass sich in den nächsten Wochen der Protest verstärkt. „Auch der Widerstand gegen Acta begann mit Demonstration von wenigen Menschen“, erinnerte der Aktivist an eine erfolgreiche Kampagne.

Wie bei Acta ist auch bei INDECT die Hackergruppe Anonymous am Protest beteiligt. Allerdings gibt es auch wesentliche Unterschiede zu Acta. Bei INDECT handelt es sich um ein europäisches Forschungsprogramm, dass schon 2009 startete und im nächsten Jahr abgeschlossen sein soll. Der Protest beginnt also in der letzten Phase. Schon seit mindestens 2009 sind wichtige Dokumente auf Wikileaks zu finden und seit dieser Zeit haben die Medien auch darüber berichtet, ohne dass es zu einer besonderen öffentlichen Resonanz kam (Totalüberwachung der realen und virtuellen Räume, Fliegende Kameras für Europas Polizeien).

Wunschtraum der Sicherheitspolitiker

Ein Grund dafür könnte sein, dass mit Begrifflichkeiten wie „Orwells 1984″ oder “ Science Fiction wird Realität“ eher Ohnmacht als Widerstandswillen erzeugt wird. Zudem ist es auch nicht unwahrscheinlich, dass große Teile der Bevölkerung mit Kriminologen und Sicherheitspolitikern die Utopie einer Gesellschaft teilen, in der abweichendes Verhalten schon im Vorfeld erkannt und gegebenenfalls sanktioniert werden kann. Genau darum geht es bei dem Programm. Videokameras, die in Kombination mit Drohnen Menschen über einen längeren Zeitraum verfolgen, Computerprogramme, die Gesichter automatisch wieder erkennen und die abweichendes Verhalten schon an der Mimik oder der Handbewegung erkennen, bevor es ausgeführt wird.

Zum Forschungsprogramm gehören Methoden der Internetüberwachung mit Hilfe von Suchmaschinen, das Auffinden von Bildern und Videos mit Hilfe von Wasserzeichen, sowie die Erkundung von automatisierte Suchroutinen zum Aufspüren von Gewalt oder „abnormalem Verhalten“. Zudem soll eine Computerlinguistik weiterentwickelt werden, die i Beziehungen zwischen Personen sowie den Kontext einer Unterhaltung in Chats mit einzubeziehen soll.

Die Organisatoren von INDECT verweisen auf eine Ethikkommission, die dafür sorgen soll, dass die Bürgerrechte beachtet werden. Datenschützer haben schon mehrmals weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit Kritik an INDECT geübt. Auch der AStA der Universität Wuppertal, die sich in Deutschland neben den Unternehmen Tec DATA und PSI Transcom an den Forschungsprojekt beteiligt, hat schon dagegen protestiert. Allerdings ist INDECT nur ein von der EU gefördertes Überwachungsprogramm, es gibt noch weitere: Die Großen Brüder von INDECT.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152492
`Peter Nowak

Solidarität für türkische Aktivistin

Basak Sahin Duman von Auslieferung bedroht

Eigentlich wollte Basak Sahin Duman nur ein paar Tage Urlaub in Kroatien machen. Doch die Reise wurde zum Albtraum, denn die türkische Staatsbürgerin, die seit 2006 mit ihrem Ehemann in Deutschland lebt, wurde am 29. Mai am Flughafen von Zagreb verhaftet und sitzt seitdem in Auslieferungshaft. Der Grund: Die türkische Justiz hatte einen internationalen Haftbefehl erlassen, nachdem Duman wegen angeblicher »Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung« zu einer Haftstrafe von sieben Jahren verurteilt worden war.
Duman wird vorgeworfen, sich 2004 als Medizinstudentin in linken Initiativen engagiert und an einer Demonstration teilgenommen zu haben. Gegen 24 Teilnehmer dieser Aktion hat die türkische Justiz langjährige Haftstrafen verhängt. Mehrere der Betroffenen sitzen in türkischen Gefängnissen. Andere konnten sich durch die Flucht in verschiedene europäische Länder der Inhaftierung entziehen. Duman erhielt Asyl in Deutschland. Mittlerweile liegt dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein Antrag vor, die Urteile zu überprüfen.

Nach der Verhaftung Dumans hat sich rasch ein internationales Solidaritätskomitee gegründet, das ihre sofortige Freilassung fordert. »Sie darf nicht in das Land ausgeliefert werden, in dem demokratische Grundrechte ausgehebelt und Oppositionelle sowie demokratische Basisbewegungen gezielt verfolgt und unterdrückt werden«, heißt es in einem Aufruf, den zahlreiche Migranten- und Menschenrechtsorganisationen unterzeichnet haben. Die Urteile der türkischen Gerichte, so der Aufruf weiter, dienten dazu, die »Sozialistische Plattform der Unterdrückten« (ESP) als Teil der in der Türkei verbotenen kommunistischen Partei MLKP darzustellen. Damit wäre die Kriminalisierung all ihrer Mitglieder verbunden. Zudem würden alle Wähler der ESP, die sich inzwischen als Partei konstituiert hat, zu Terroristen erklärt.

In mehreren europäischen Metropolen haben bereits Protestaktion vor kroatischen Botschaften stattgefunden, auch in Kroatien wurde für Dumans Freilassung demonstriert. Mit einer erstinstanzlichen Entscheidung der kroatischen Justiz wird in den nächsten Tagen gerechnet.

Ein Mitarbeiter des Auswärtigen Amts erklärte gegenüber einer Bundestagsabgeordneten der LINKEN, dass von deutscher Seite einer Rückkehr von Duman nichts im Wege stehe, eine konsularische Betreuung aber nur bedingt möglich sei, weil sie keine deutsche Staatsangehörige ist.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/233089.solidaritaet-fuer-
tuerkische-aktivistin.html
Peter Nowak

Kritik an „Gesinnungsjustiz“

JUSTIZ Am Donnerstag hat der Prozess gegen Gülaferit Ü. begonnen – nach dem Anti-Terror-Paragrafen 129 b. Vor dem Gericht gab es Proteste

Vor dem Kammergericht hat am Donnerstag der Prozess gegen eine mutmaßliche Linksterroristin begonnen: Der 42-jährigen Gülaferit Ü. wird Mitgliedschaft in einer verbotenen türkischen Gruppe vorgeworfen. Es ist in Berlin das erste Verfahren nach Paragraf 129 b, der die Mitgliedschaft in politischen Organisationen unter Strafe stellt, die als terroristisch erklärt werden. In der Vergangenheit wurde damit unter anderem in Hamburg, Stuttgart und Düsseldorf gegen mutmaßliche AktivistInnen islamischer sowie linker türkischer und kurdischer Gruppen vorgegangen.

Ü. soll Mitglied der marxistischen „Revolutionären Volksbefreiungspartei/-front“ (DHKP-C) gewesen sein. Diese in den 70er Jahren gegründete Organisation hatte in den Armenvierteln der großen Städte sowie an den Universitäten der Türkei ihre Basis. Nach dem Vorbild von Che Guevara propagierte sie die Kombination legaler politischer Arbeit mit militanten Aktionen. Die Gruppe ist in der Türkei und in Deutschland verboten.

Am ersten Prozesstag am Donnerstag äußerte sich die Angeklagte nur zu ihrer Person, nicht zur Anklage. Sie saß hinter Panzerglas, für den Prozess waren verstärkte Sicherheitskontrollen angeordnet.

Die Staatsanwaltschaft verlas Auszüge aus einer Datei, die die Justizbehörden von der belgischen Polizei erhalten haben. Sie sei bei einer Razzia in Büros von legal arbeitenden türkische Organisationen in Belgien gefunden worden. Laut Staatsanwaltschaft handelt es sich dabei um eine politische Biografie, die Ü. selbst verfasst haben soll. Der Text schildert ihren politischen Werdegang in der Türkei, darunter eine Haftstrafe wegen Beteiligung an einer militanten Aktion.

Seit Oktober in U-Haft

Die Datei enthielt auch Adressen und Telefonnummern einiger Verwandten Ü.s. Eine der Nummern habe die Angeklagte gewählt, als sie nach ihrer Überstellung nach Deutschland mit Angehörigen Kontakt aufnahm, so die Staatsanwaltschaft. Ü. wurde im Oktober 2011 aus Griechenland nach Deutschland ausgeliefert und sitzt seitdem in Untersuchungshaft im Frauengefängnis Lichtenberg.

Vor Prozessbeginn am Donnerstagmorgen organisierte ein Initiativkreis, dem verschiedene politische Gruppen angehören, eine Kundgebung vor dem Kammergericht. Sie forderten Ü.s Freilassung sowie die Abschaffung der Paragrafen 129 a und 129 b, die sie als „Instrument der Gesinnungsjustiz“ bezeichneten. RednerInnen monierten, die Angeklagte sei erschwerten Haftbedingungen ausgesetzt. So würden ihre Post zensiert, die Zusendung deutschsprachiger Literatur erschwert und der Kontakt zu türkischen Mitgefangenen unterbunden.

Schon in Griechenland hatten sich Menschenrechtsgruppen gegen Ü.s Auslieferung an Deutschland eingesetzt. Sie sahen in der Anklage nach dem Paragrafen 129 b ein politisches Instrument, mit dem völlig legale Tätigkeiten wie das Verteilen nicht verbotener Zeitungen oder die Solidaritätsarbeit mit politischen Gefangenen als Terrorismus deklariert werde. Eine solche Kritik äußern auch JuristInnenorganisationen in Deutschland. Auch sie wollen das Berliner Verfahren kritisch begleiten.

Der Prozess wird sich in die Länge ziehen. Das Kammergericht hat Termine bis Ende November festgesetzt.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2012%2
F07%2F20%2Fa0146&cHash=c90d5a9175
Peter Nowak

Aktion gegen „Panzerfamilie“: die Grenzen der Kunstfreiheit

Während die Familie, die zu den Eigentümern von Krauss-Maffei gehört, juristisch auf die Aktion „25000 Euro“ reagiert, wächst auch andernorts der Widerstand gegen deutsche Rüstungsexporte

Eigentlich können die Politkünstler vom Zentrum für politische Schönheit zufrieden sein. Nur wenige Wochen, nachdem sie im Internet bekannt machten, dass zu den Eigentümern der Waffenhersteller Krauss Maffei bekennende Philanthropen und Humanisten gehören, die in ihrer Freizeit in diversen Menschenrechtsorganisationen engagiert sind, haben zwei der Familienmitglieder sich vom Panzerdeal mit Saudi Arabien distanziert.

So erklärte Burkhart von Braunbehrens in einem Interview, den Waffendeal mit Saudi Arabien verhindern zu wollen, und auch Vera von Braunbehrens ließ verlautbaren, das Waffengeschäft nicht zu billigen. Damit sind zwei Mitglieder der „Panzerfamilie“ auf Distanz gegangen. Im Internet wird nun darüber debattiert, wie ernst diese Distanzierungen gemeint sind und vor allem, ob damit auch die Bereitschaft verbunden ist, auf die Profite an dem Rüstungsdeal zu verzichten. Diese Reaktionen sind ganz im Sinne der Kampagne, wie sie auf der Homepage der Politkünstler in sechs Schritten skizziert ist. Mittlerweile ist der unter Punkt 6 genannte Machtkampf zwischen den beiden Eigentümerfamilien von Krauss Maffei im Gange und der Ausgang ist noch ungewiss.

Anwaltskosten drohen Initiative lahmzulegen

Doch mittlerweile haben die Braunbehrens auch juristische Schritte gegen die Künstler eingeleitet. Deshalb musste die Webseite umgestaltet werden, bestimmte Formulierungen durften nicht mehr verwendet werden. Doch gravierender für die Künstlerinitiative sind die Kosten, die durch die Klagen auf sie zukommen. „Am Freitag mussten wir sogar die Anwaltskosten des 90fachen Millionärs und Waffenhändlers Rüdiger von Braunbehrens (1.248,31 Euro) schultern. Unsere Webseite mussten wir selbst zensieren, um Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe abzuwenden“, erklärt Philipp Ruch vom Zentrum für politische Schönheit.

Die Initiative ruft zu Solidaritätsspenden auf. Die sollen bei der GLS-Bank auf ein Konto der „Initiative für die Verteidigung der Menschlichkeit e.V.“ eingezahlt werden. Leider inszeniert sich die Initiative fast in Occupy-Manier als Interessenvertreter von nicht gleich 99, aber doch 94 Prozent der deutschen Öffentlichkeit, die laut Meinungsumfragen gegen den Export der Leopard 2 Panzer nach Saudi Arabien seien. Wenn Ruch in seinem Solidaritätsaufruf so oft betont, wie viel die Initiative bereits riskiert hat und sie jetzt „nicht mit Waffen sondern per Gerichtsverfahren“ zum Schweigen gebracht werden soll, klingt das Eigenlob doch sehr deutlich durch. Dabei hätte sie das gar nicht nötig. Schließlich hatte die Aktion eine überwiegend positive Berichterstattung. Zudem hat die Initiative mittlerweile Nachahmer bei Politaktivisten gefunden.

Unter dem Motto „Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ agieren zahlreiche Initiativen und Nichtregierungsorganisionen gegen den deutschen Waffen- und Rüstungsgüterexport. Ein Kampagnenschwerpunkt lautet auch dort, „den Tätern Namen und Gesicht zu geben“. In der letzten Augustwoche soll im Namen eines Illuminationsprojekts eine Bildmontage mit Bundeskanzlerin Angela Merkel als Panzerkommandantin per Laserstrahl an öffentliche Gebäude projiziert werden. Auch Aktionen am Firmensitz des Panzerherstellers Krauss Maffei-Wegmann in Kassel gehören zum Protestfahrplan.

Allerdings sollen auch die Firmensitze von anderen Unternehmen besucht werden, die am Rüstungsgeschäft verdienen. Dazu gehören die ATM-Computersysteme in Konstanz, die die Software für den Leopard-Panzer liefern, wie die Diehl-Defence in Überlingen, die Geschäfte mit der Produktion von Munition, Drohnen und Panzerketten macht, sowie die MTU Friedrichshafen GmbH, die Panzermotoren herstellt.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152408

Peter Nowak

Steuerrecht als Verfassungsschutz?

Nichtregierungsorganisationen befürchten, dass ihnen die Gemeinnützigkeit mittels Steuerrecht aberkannt werden könnte

Änderungen im Steuerrecht interessieren in der Regel nur Fachpolitiker und Experten. Doch die im Rahmen des Jahressteuergesetzes 2013 geplante Änderung des § 51 Abs. 3 AO sorgt schon im Vorfeld für heftige Debatten. In einen offenen Brief, den 60 Nichtregierungsorganisationen von Attac-Deutschland bis Robin Wood unterschrieben haben, wird unmissverständlich gefordert:

„Wir rufen Sie dazu auf, Ihre Stimme dem Gesetzesvorhaben zu verwehren und sich darüber hinaus für die ersatzlose Streichung des § 51 Abs. 3 AO einzusetzen!“

In der inkriminierten Klausel hieß es bisher: „Bei Körperschaften, die im Verfassungsschutzbericht des Bundes oder eines Landes als extremistische Organisation aufgeführt sind, ist widerlegbar davon auszugehen, dass die Voraussetzungen des Satzes 1 nicht erfüllt sind.“ Nun soll ein Wörtchen gestrichen worden, was nach Meinung der Unterzeichner des Offenen Briefes gravierende Folgen haben könnte:

„Durch die in der Gesetzesvorlage vorgesehene Streichung des Wortes ‚widerlegbar‘ würde, bei (auch unbestimmter) Nennung einer als gemeinnützig anerkannten Organisation in einem der 17 jährlich veröffentlichten Verfassungsschutzberichte des Bundes und der Länder, bei den Finanzämtern der Automatismus einer Versagung der Steuervergünstigungen ausgelöst. Der bisherige Ermessensspielraum der Finanzämter vor Ort entfiele ebenso wie die Möglichkeit der betroffenen Organisation, bei Finanzgerichten Rechtsschutz zu suchen.“

Juristische Grauzone

Neben der kleinen Änderung mit möglicherweise großen Folgen kritisieren die NGO den 2009 eingeführten § 51 Abs. 3 AO generell. Er bewege sich in einer juristischen Grauzone, da der verwendete Begriff „Extremismus“ ein unbestimmter Rechtsbegriff sei, so die Kritiker. Mehrere Gutachter, darunter ein vom wissenschaftlichen Dienst des Bundestages erstelltes, sind zu dem Schluss gekommen, dass die vom Verfassungsschutz verwendete Bezeichnung „Extremismus“ kein definierter Rechtsbegriff ist. Er werde in keinem einzigen Gesetzestext verwendet – mit Ausnahme des Steuerrechts.

Schon in der Vergangenheit gab es Versuche, Nichtregierungsorganisationen die Gemeinnützigkeit mittels Steuerrecht abzuerkennen. Betroffen davon war unter anderem die Informationsstelle Militarisierung e.V. in Tübingen, aber auch Anti-AKW-Initiativen mussten die Disziplinierung durch den Fiskus fürchten. Bisher sind solche Versuche nach öffentlichen Protesten schnell wieder aufgegeben worden. Ob der aktuelle Vorstoß auch ein so schnelles Ende findet, wird sich zeigen. Er ist ein Versuch, Nichtregierungsorganisationen auf staatliche Politiken auszurichten und hat disziplinierenden Charakter. Wer befürchten muss, durch den Kontakt zu einer missliebigen Initiative die Gemeinnützigkeit zu verlieren, woran die Existenz mancher Gruppe hängt, wird im Zweifel solche Kontakte unterlassen So wie die auch juristisch und politisch umstrittene Extremismusklausel ist auch der Verfassungsschutz mittels Steuerrecht Teil einer staatlichen Disziplinierungsstrategie, die in unterschiedlichen Formen in allen europäischen Ländern angewandt wird.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152296
Peter Nowak

600 Euro teure Unterschrift

Amtsgericht verurteilt Castor-Gegner zu einer Geldstrafe
Allein die Absicht zum »Schottern« ist strafbar. Hermann Theisen kommt sein schriftlicher Widerstand gegen Atommülltransporte teuer zu stehen.

Das Amtsgericht Lüneburg hat am 18. Juni den Heidelberger Anti-AKW-Aktivisten Hermann Theisen zu einer Geldstrafe von 600 Euro verurteilt, weil er die Absichtserklärung »Castor? Schottern! 2010? mit unterzeichnet hatte. Dort hatten ca. 1000 Aktivisten bekundet, zur Verhinderung der Castortransporte in das Wendland Steine aus dem Gleisbett der Bahn entfernen zu wollen. Das Gericht folgte der Auffassung der Staatsanwaltschaft, dass er damit zur Störung öffentlicher Betriebe aufgerufen habe.
Die Verteidiger von Theisen hatten dagegen argumentiert, dass es während der Castortransporte keinen öffentlichen Bahnverkehr gäbe. Zudem sei die Absichtserklärung kein Aufrufung sondern eine Erklärung zum eigenen Handeln.
Bereits Mitte März war Gotthilf Lorch (nd berichtete) und am 31. Mai Olaf Meyer ebenfalls wegen Aufforderung zu einer Straftat zu Geldstrafen verurteilt worden. Während das Gericht bei Meyer allerdings die Busse in 16 Tagessätze aufgliederte, verhängte das Gericht gegen Theisen 15 Tagessätze. Diese kleine Differenz kann juristische Folgen haben.
Bis zu 15 Tagessätzen kann das Gericht entscheiden, ob es eine Revision zulässt oder wegen Geringfügigkeit ablehnt. Ab 16 Tagessätze ist ein zweites Verfahren zwingend vorgeschriebne, wenn eine der Prozessparteien dies fordert.
Herman Theisen spricht deshalb von juristischen Tricks und will gegen eine mögliche Ablehnung der Revision Rechtsmittel prüfen lassen. Auch politisch gibt sich Theisen kämpferisch.
„Meiner Meinung nach liegt weder ein Aufruf vor, noch stellt Schottern eine Straftat dar. Ich habe mit meiner Unterschrift meinen Widerspruch zur herrschenden Atompolitik öffentlich bekundet. Schottern ist eine Aktionsform unter vielen, dessen Ziel es ist den Castortransport zu verzögern, um den gesellschaftlichen Widerstand gegen die menschenverachtende Atomenergie sichtbar zu machen,“ sagte er unmittelbar nach dem Urteil.
Die Pressesprecherin der Kampagne „Castor? Schottern!“ Hannah Spiegel sieht die Justiz in der Defensive:
„Das Urteil lässt darauf schließen, dass die Justiz einerseits die Prozesse um „Castor? Schottern!“ vom Tisch haben will, da ihnen klar ist, dass sie rechtlich schlechte Karten haben. Andererseits würde aber eine Einstellung oder gar ein Freispruch ihre Hetze gegen „Castor? Schottern!“ als politische Kriminalisierung und Einschüchterung entlarven.“.

Für die große Mehrheit der Unterzeichner wird ihre Unterschrift keine juristischen Folgen haben, betont Spiegel. Allerdings stehen noch gerichtliche Verfahren gegen mehrere Personen an, de Plakate zur Aktion „Castro? Schottern!“ geklebt haben sollen.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/
230265.600-euro-teure-unterschrift.html

Peter Nowak

Blockupy und Mai-Demo

Sicherheitsstaat in Aktion

Nicht erst die Blockupy-Proteste, schon der antikapitalistische Aktionstag am 31.März war ein Beispiel für den Polizeistaat in Aktion. Nachdem es zu Steinwürfen auf verschiedene Gebäude in der Innenstadt gekommen war, wurden mehrere hundert Menschen bis zu sechs Stunden eingekesselt. Der Versuch der Veranstalter, eine kürzere Route anzumelden, um die Demonstration fortzusetzen, wurde von der Polizei abgelehnt und mit deren Auflösung beantwortet.

Das Verhalten der Polizei löste kaum öffentliche Kritik aus. Vielmehr waren in den folgenden Tagen die eingeschlagenen Fensterscheiben das Hauptthema. Damit wurde auch das Verbot der Blockaden am 17./18.Mai begründet. Die in Frankfurt führende, konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung hat maßgeblich das Drehbuch für das Verbot geschrieben.

Die März-Demonstration in Frankfurt

«Stadt muss Flagge zeigen», titelte das Blatt schon am 11.April. «Warum suchen linksextreme Demonstranten immer wieder ausgerechnet diese Großstadt heim? Die Antwort dürfte einfach sein: Weil Frankfurt wie keine andere deutsche Stadt für die Finanzwelt steht und sich deshalb besonders eignet, um den Protest gegen Kapitalismus und die europäische Finanzpolitik kundzutun», schreibt die Faz-Korrespondentin Katharina Iskandahar und listet konkrete Gegenmaßnahmen auf. «Dass es als liberale Großstadt aber auch darum geht, im Sinne der Bürger zu entscheiden und, wenn auch nur symbolisch, ein Verbot auszusprechen, hat die Politik lange Jahre versäumt.»

Dass es sich am Ende nun keinesfalls um ein symbolisches Verbot handelte, dürfte ganz im Sinne der Geschäftswelt gewesen sein. Aber auch Journalisten, die die Repression gegen Blockupy kritisierten, beteiligten sich an der Spaltung in gute und böse Kapitalismuskritiker. So begründet der Kommentator der Taz, Martin Kaul, sein Eintreten für Blockupy mit der Begründung, die «Märzrandalierer» seien daran nicht beteiligt.

Damit wurde eine Demonstration von über 5000 Menschen (am 31.März) unter Generalverdacht gestellt, obwohl die Organisatoren immer betont haben, dass sie eine politische Demonstration planten, die das Ziel, die neue Baustelle der EZB im Frankfurter Osten, erreicht und sich nicht unterwegs in Scharmützel mit der Polizei verwickeln lassen will.

Eine kleine Gruppe von Demonstrierenden setzte sich über diese von den OrganisatorInnen und der übergroßen Mehrheit der Teilnehmenden gewünschte Maßgabe hinweg. Bei der Demonachbereitung in Berlin gab es deshalb eine Diskussion über den Umgang der radikalen Linken mit einem solchen unsolidarischen Verhalten.

Das Problem besteht darin, politische Kritik zu formulieren, ohne in die allseitige Forderung nach Distanzierung von den Autonomen einzustimmen. Besonders die FAU, die Sozialistische Initiative Berlin (SIB) und die Internationalen KommunstInnen (IK) betonten die Notwendigkeit einer politischen Kritik an der scheinmilitanten Aktionen. Nach ihrer Auffassung ist es ein zutiefst autoritäres Verhalten, wenn gegen den Willen des Großteils der Demonstrierenden Scharmützel an der Demoroute provoziert werden, von deren Folgen alle Teilnehmenden betroffen sind.

Zudem würden dadurch Menschen nicht nur aus politischen Gründen abgeschreckt. Schließlich haben Migranten, Eltern mit kleinen Kindern, Personen mit gesundheitlichen Handicaps viele gute Gründe, einer Konfrontation mit der Polizei aus dem Weg zu gehen. So werde der neoliberale Leistungsgedanken reproduziert, wenn nur der Fitteste, Schnellste, Jüngste an Protesten teilnehmen kann.

Es ist auch nicht möglich, mit den politisch Verantwortlichen für die Scharmützel in eine politische Diskussion zu treten, weil sie aus verständlichen Gründen nicht offen auftreten. Damit wird aber die Kritik an ihrem autoritären Verhalten noch unterstrichen. Die Debatte über den notwendigen Umgang damit wird sicher weitergehen.

Die Berliner Mai-Festspiele

Auch in Berlin schränkte die Polizei das Demonstrationsrecht von mehr als 20.000 Menschen massiv ein, die sich am Abend des 1.Mai an einer revolutionären Maidemonstration in Berlin beteiligt hatten. Die hohe Teilnehmerzahl und die Beteiligung von Menschen aller Altersgruppen wurde sogar von den Medien registriert, die bisher die Maidemonstration immer als unpolitisches Ritual einstuften. Als Grund für den Zulauf wurden die unsicheren Arbeits- und Lebensverhältnisse vieler Menschen im Krisenkapitalismus sowie die zunehmenden Probleme, in Berlin eine bezahlbare Wohnungen zu bekommen, genannt.

Erstmals beteiligte sich die Jugend der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di mit einem eigenen Wagen. Die Polizei erklärte schon im Vorfeld, die Demonstration werde spätestens vor dem Gebäude des Springerkonzerns enden. Doch der neuralgische Punkt wurde ohne große Zwischenfälle passiert. Danach hätte dem Weg nach Mitte zum angemeldeten Endpunkt am August-Bebel-Platz nichts mehr im Wege gestanden. Doch die politische Botschaft einer großen Demonstration der radikalen Linken, die im den Zentrum der Macht endet, war für die politisch Verantwortlichen nicht tragbar.

Also startete die Polizei in der Höhe des Jüdischen Museum eine Provokation. Ohne Grund stürmte sie in die Spitze der Demonstration, riss Transparente weg und knüppelte auf die Menschen in den vordersten Reihen ein. Es gab zahlreiche Verletzte. Ein Demonstrant lag mehr als zehn Minuten bewusstlos auf dem Straßenpflaster, bevor medizinische Hilfe eintraf. Die Medien nahmen diese Gewalt kaum zur Kenntnis, denn sie ging nicht von den Demonstrierenden aus. Trotzdem löste die Polizei die Demonstration auf.

Wenige Tage später wurde bekannt, dass auf der Route einige Rohrbomben gefunden wurden, die nicht wirklich gefährlich waren, aber einen weiteren Vorwand für ein Demoverbot gegeben hätten, wenn die Polizeiprovokation nicht geklappt hätte.

Die Mai-Demonstration in Frankfurt

Laut Veranstalter demonstrierten am 19.Mai mehr als 25.000 Menschen in der Frankfurter Innenstadt gegen die Politik der EU-Troika.

Das Spektrum der Demonstranten reichte von Gewerkschaften (vorwiegend der GEW), der Linkspartei, Attac bis zu den linksradikalen Bündnissen Ums Ganze und der Interventionistischen Linke. Auch ein großer Block «Gewerkschafter gegen Stuttgart 21» war dabei. Große Gruppen aus Italien und Frankreich drückten das Bedürfnis aus, im europäischen Maßstab Aktionen zu koordinieren und handlungsfähig zu werden.

Aus aktuellem Anlass wandten sich viele Parolen gegen die autoritäre Staats- und Sicherheitspolitik, die in den Tagen vor der Demonstration in den Frankfurter Straßen zu erleben war. Flächendeckende Protestverbote, das Anhalten von Bussen, Aufenthaltsverbote für viele Aktivisten in der Frankfurter Innenstadt haben die Diskussion über den Abbau der Grundrechte parallel zur wirtschaftlichen und sozialen Krise wieder belebt. Die Demonstranten haben dafür den Begriff «Coopucky» kreiert. Tatsächlich hat nur die Polizei das Bankenviertel blockiert. «Ihr habt Euch selbst blockiert», lautete denn auch eine häufig gerufene Parole auf der Demonstration.

Doch das geht am Kern der Vorgänge vorbei. Die Belagerung des Bankenviertels durch die Staatsmacht legte das Bankengeschäft keineswegs lahm. Was die Polizei in den letzten Tagen lahm gelegt hat, war vielmehr der Protest gegen den Krisenkapitalismus. Wenn die Protestorganisatoren in einer Presseerklärung trotzig behaupten: «Die Blockupy-Aktionstage mit der Besetzung des Paulsplatzes und des Römerbergs sowie die heutige Demonstration zeigen: Wir lassen nicht zu, dass Frankfurt zur demokratiefreien Zone wird. Empörung lässt sich nicht verbieten», dann ist das vor allem Zweckoptimismus. Die vergangenen Tage haben vielmehr gezeigt, dass alle Proteste, die über eine Großdemonstration hinausgehen, effektiv behindert wurden.

Statt, wie geplant, die Kritik am Kapitalismus zu artikulieren, stand der Protest gegen die Demokratieeinschränkungen im Mittelpunkt. Die Frankfurter Polizei erklärte nach der Demonstration denn auch, die Bürger seien größtenteils zufrieden. Es herrsche nun das Gefühl, «dass alles nicht so schlimm sei». Das könnte auch erklären, warum die massiven Grundrechtseinschränkungen ohne große Proteste hingenommen wurden.

Die Zahl der Aktivisten war am 17. und 18.Mai kleiner als erwartet. Das hängt damit zusammen, dass es erkennbar schwierig ist, die Krisenproteste mit aktuellen sozialen Kämpfen zu verbinden. So ist in den letzten Wochen wieder viel von einer Schließung des Opelwerks in Bochum die Rede. Dort gibt es eine kämpferische Minderheit in der Belegschaft, die schon vor Jahren mit selbst organisierten Streiks auf sich aufmerksam gemacht hat. Trotzdem war die drohende Schließung von Opel-Bochum auf der Demonstration genauso wenig ein Thema wie die Abwicklung vieler Schlecker-Filialen in den letzten Wochen. Dabei hat die Berliner Schlecker-Gesamtbetriebsrätin Mona Frias einen gewerkschaftlichen Unterstützungsaufruf für Blockupy mit unterzeichnet.

Doch es sind weder in erster Linie die abschreckenden Maßnahmen der Polizei noch große Fehler der Protestorganisatoren, die verhindern, dass Opel- oder Schlecker-Beschäftigte sich massenhaft an den Blockupy-Protesten beteiligen. Die Ungleichzeitigkeit der Krisenpolitik und ihrer Wahrnehmung durch die Betroffenen erschwert einen gemeinsamen Widerstand.

Diese Entkoppelung stellt für Linke ein großes Problem dar, «das keineswegs mit bloßen Appellen und weltweiten Aufrufen bewältigt werden kann», schreiben die Sozialwissenschaftler Peter Birke und Max Henninger in dem von ihnen kürzlich im Verlag Assoziation A herausgegebenen Buch «Krisen Proteste». In zwölf Texten werden die sozialen Bewegungen seit 2009 analysiert. Das Buch liefert einige Anregungen für eine Perspektivdebatte nach Blockupy.

Blockupy und Mai-Demo


Peter Nowak

Journalisten im Konflikt mit der Justiz

MEDIENinternational: Pressefreiheit in Russland

Der Andrang war groß im Büro von »Reporter ohne Grenzen« in Berlin. Die Organisation hatte am Donnerstag den russischen Journalisten Leonid Nikitinski zu einem Pressegespräch eingeladen. Nikitinski arbeitet seit 2003 als Gerichtsreporter für die kremlkritische Zeitung »Nowaja Gaseta« in Moskau. Der Grund seines Besuchs war eine Drohung gegen seinen Kollegen Sergej Sokolow, der bei der »Nowaja Gaseta« zu Kriminalfällen arbeitet. Dabei hat er sich wohl einige Feinde bei der Justiz gemacht.

Nach Angaben Nikitinskis war der russische Chefermittler Alexander Bastrykin am 4. Juni mit Sergej Sokolow in einen Wald bei Moskau gefahren, hatte ihn dort wegen eines kritischen Artikels beschimpft und gedroht, sollte dem Journalisten etwas zustoßen, werde er selbst die Ermittlungen leiten. Bereits zuvor hatte der Chefermittler den Journalisten bei einem gemeinsamen Pressetermin heftig angegriffen. Sokolow floh jedenfalls sofort ins Ausland. Bastrykin ist als oberster Ermittler auch für die Untersuchungen im Mordfall Anna Politkowskaja verantwortlich. Die Journalistin hatte für die »Nowaja Gaseta« über die Gewalt in Tschetschenien berichtet und wurde vor fünfeinhalb Jahren in Moskau erschossen. Bastrykin habe Politkowskaja gegenüber Sokolow als »Schlampe« bezeichnet, berichtete Nikitinski und wertete den Vorfall als Zeichen dafür, dass »die Presse unter Putin insgesamt wieder stärker kontrolliert werden soll«. Dennoch habe die Sache für ihn eher eine lächerliche als eine bedrohliche Note: »Weder Politkowskaja noch andere Kollegen wurden gewarnt, man hat sie einfach auf offener Straße ermordet.«
Tatsächlich fand die Kontroverse zwischen Bastrykin und der »Nowaja Gaseta« ein – vorläufig – glückliches Ende: Am selben Abend, da Nikitinski in Berlin auftrat, entschuldigte sich der Chefermittler bei Sokolow für seinen unzulässigen »emotionalen Ausbruch«. Der Journalist selbst gab zu, dass seine Vorwürfe gegen Bastrykin möglicherweise zu harsch gewesen seien, und die »Nowaja Gaseta« erklärte den Konflikt für ausgeräumt.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/229850.journalisten-im-konflikt-mit-der-justiz.html

Peter Nowak

Walretter Paul Watson droht Auslieferung

Paul Watsons Image als selbstloser Retter der Meerestiere wird durch den jüngsten Haftbefehl nur verstärkt, aber mittlerweile wird auch Kritik laut

Costa Rica steht in der Regel nicht im Brennpunkt des öffentlichen Interesses. Trotzdem verlief der jüngste Deutschlandbesuch der costaricanischen Präsidentin Laura Chinchilla recht turbulent. Mehrere hundert Menschen demonstrierten für die Freilassung des Umweltaktivisten Paul Watson. Der Gründer der Tierschutzorganisation Seasheperd war auf Grund eines internationalen Haftbefehls am 13. Mai bei der Einreise nach Deutschland verhaftet worden. Die Justiz von Costa Rica wirft ihm vor, vor 10 Jahren beim Drehen eines Filmes über die Jagd auf Haie den Schiffsverkehr behindert zu haben. Watson vermutet, dass Japan hinter den Haftbefehl steckt. Schließlich hat er sich wegen des Walfangs in den letzten Jahren immer wieder mit den Behörden des Landes angelegt.

Nach einer Meldung von Interpol ist der Ökoaktivist allerdings wieder von der Liste gestrichen worden, nachdem sich der Verdacht erhärtete, dass der Haftbefehl politisch motiviert ist. Mittlerweile ist Watson gegen Kaution aus dem Gefängnis entlassen werden, darf aber Deutschland nicht verlassen, bis über das Auslieferungsverfahren endgültig entschieden ist. Mittlerweile gibt es in vielen Ländern Solidaritätsaktionen für Watson. Der Kanadier genießt unter Tierrechtsaktivisten vor allem wegen seines Kampfes gegen den Walfang Starkult.

Bei seinen öffentlichen Auftritten hat er immer wieder deutlich gemacht, dass er für seine Aktivitäten auch bereit ist, ins Gefängnis zu gehen. „Sie können mich ja verhaften“, erklärte Paul Watson schon vor einigen Jahren selbstbewusst. So richtig bekannt wurde er in Deutschland durch einen Film mit dem programmatischen Titel Bekenntnisse eines Ökoterroristen, der von einem engen Mitarbeiter Watsons gedreht wurde. In der Filmbeschreibung wird das Selbstbild eines Mannes deutlich, der sich als Rächer der beleidigten Natur zu inszenieren versteht.

„Es handelt sich um einen Dokumentarfilm, der die wahre Odyssee des meistgesuchten Meeresschützers Captain Paul Watson zeigt. Nachdem er Greenpeace gegründet hatte, verließ Watson die Organisation schließlich aufgrund seiner kompromisslosen Leidenschaft, den Planeten vor Umweltverbrechern zu schützen und wegen seiner ungewöhnlichen Taktiken. Fernab von Bürokratie und Politik schmiedete Watson seine eigene Armada, die Sea Shepherd Conservation Society – eine Organisation, die sich kompromisslos dem Schutz der Meeresbewohner verschrieben hat und gerne mal die geltenden Gesetze selber durchsetzt.“

Kritik am Walretter-Image

Das Image als selbsternannter Cowboy für die Interessen der Meeresbewohner pflegt Watson mit Hingabe. Der jüngste Haftbefehl ist für ihn daher wie ein weiterer Orden auf der Brust des Kriegers der Meerestiere. Mittlerweile wird auch bei entschiedenen Gegnern des Walfangs Kritik am autoritären Führungsstil Watsons und der Instrumentalisierung von Mitstreitern laut. Auch mit Greenpeace hat sich Watson längst zerstritten, obwohl er nach seiner jüngsten Festnahme öfter mit der Organisation in Verbindung gebracht wurde. Für Watson hat sich die ehemals von ihm mit gegründete Organisation längst in einen Verein von Lobbyisten verwandelt.

Bei allen Differenzen sind Watson und Greenpeace Verfechter eines Weltretterunternehmung, das Millionen Menschen zum Spenden animieren soll. Die jüngste Verhaftung hat das Bild von Watson als kompromisslosen Walretter nur noch verstärkt und dürfte viel Geld in die Spendenkassen seiner Organisation spülen.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/152065
Peter Nowak

Polizeifestspiele in Frankfurt

Aktivisten fühlten sich an die bleiernen Jahre des Deutschen Herbstes erinnern. Nicht Blockupy, sondern die Polizei hat das Bankenviertel blockiert

„Blockupy: EZB und Bankenviertel erfolgreich blockiert“, heißt es auf der Homepage des globalisierungskritischen Netzwerkes Attac. Damit hatten sie nicht unrecht, aber es war die Polizei, die mit ihren Maßnahmen für die Blockaden sorgte. Den ganzen Tag über waren sie auf der Suche nach Menschen, die sich vielleicht zu politischen Zwecken im öffentlichen Straßenraum bewegten. Immer wieder wurden Menschen eingekesselt, gelegentlich setzte die Polizei auch Wasserwerfer ein. Insgesamt wurden im Laufe des Tags fast 500 Personen zumindest kurzzeitig festgenommen.

Auswärtige Aktivisten kamen oft schon gar nicht nach Frankfurt, das von Schwarz-Grün regiert wird. So waren schon am Donnerstag mehrere Busse aus Berlin in unmittelbarer Nähe von Frankfurt angehalten und von der Polizei zur Rückkehr nach Berlin aufgefordert worden. Eine italienische Protestgruppe musste in den letzten Tagen auf einen Campingplatz am Rande von Frankfurt bleiben. Wenn sie in der Innenstadt entdeckt worden wären, hätte ihnen Haft gedroht. Dagegen regte sich in Italien Protest. Vor der deutschen Botschaft in Rom demonstrierten Menschen gegen die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. In Venedig wurde sogar das deutsche Konsulat besetzt.

Die erneuten Stadtverbote sind schon deshalb erstaunlich, weil erst vor wenigen Tagen an mehr 400 Personen persönlich gerichtete Verfügungen aufgehoben worden waren, während der Aktionstage die Frankfurter Innenstadt nicht zu betreten. Damals waren die Maßnahmen zuvor begründet worden, dass die Betroffenen während des antikapitalistischen Aktionstages am 31. März polizeilich kontrolliert worden seien. Da aber niemandem eine Straftat nachgewiesen wurde, hätte das Stadtverbot wohl einer juristischen Nachprüfung nicht standgehalten, was ein Grund für die Aufhebung war. Wieso aber nun ein Stadtverbot gegen Personen, die nur mit einem Bus aus Berlin nach Frankfurt gefahren sind, eine größere rechtliche Basis haben soll, konnten auch Anwälte nicht beantworten.

Die Frankfurter Polizei zumindest äußerte sich höchst zufrieden mit dem bisherigen Ablauf. In der täglichen Pressemitteilung wurde unter den wenigen Sachbeschädigungen ein abgerissenes Verkehrsschild aufgeführt. Trotzdem geht der harte Kurs, der vor allem von der Lokalkorrespondentin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ausdrücklich begrüßt wurde, noch bis in die Abendstunden weiter. Am späten Freitagabend wurden rund um den Unicampus, auf dem sich zahlreiche Aktivisten aufhielten, die Kontrollen verstärkt.

Weniger Teilnehmer als erwartet

Insgesamt blieb die Zahl der Teilnehmer an den Aktionen hinter den Erwartungen der Organisatoren zurück. Daran hat sicher das Verbot ebenso beigetragen wie die mediale Berichterstattung, die Menschen von der Teilnahme abschrecken sollte. Allerdings zeigte sich auch in den letzten Tagen wieder einmal, dass ein ausgeprägtes Krisenbewusstsein bei einem großen Teilen der Bevölkerung nicht vorhanden ist und auch nicht durch Großaktionen erzeugt werden kann.

Jetzt wird von der Teilnahme an der genehmigten Großdemonstration abhängen, ob die Aktionstage ein Erfolg waren oder nicht. Nach den Tagen der Demonstrationsverbote wird eine fünfstellige Teilnehmerzahl erwartet. Vor allem wird sich nun zeigen, ob sich das liberale Frankfurter Bürgertum, das in den letzten Tagen still blieb, in die Debatte einmischt. Schließlich können sich selbst langjährige Aktivisten, wie die Ökolinx-Stadtverordnete Jutta Ditfurth, an ähnlich massive Demokratieeinschränkungen in Frankfurt nicht erinnern. Man muss schon in die späten 70er Jahre zurückblicken, um auf ähnliche flächendeckende Verbote zu stoßen.

http://www.heise.de/tp/artikel/36/36964/1.html
Peter Nowak

„Wir sind laut, weil man uns die Freiheit klaut“

Trotz eines starken Polizeiaufgebots gab es heute Demonstrationen von Kapitalismuskritikern in der Innenstadt von Frankfurt, Blockupy plant weitere Kundgebungen

Um die 1000 Menschen protestierten auf dem Frankfurter Paulsplatz mit dem Grundgesetz in der Hand gegen die gerichtlich bestätigten Demonstrationsverbote in der Frankfurter Innenstadt und die gestrige Räumung des Occupy-Camps. „Wir sind hier und wir sind laut, weil man uns die Freiheit klaut“, lautete ein häufig gerufener Protestslogan.

Der Platz wurde wegen der historischen Implikationen bewusst gewählt. Die Paulskirche gilt als Geburtsstätte der bürgerlichen Demokratie von 1848. Allerdings ist dieser Bezug nicht unproblematisch. Schließlich waren die in der Paulskirche diskutierten Konzepte längst nicht so demokratisch, weil dort Freiheiten weitgehend vom Einkommen abhängig gemacht wurden. Außerdem bekommen die Proteste durch den Paulskirchenbezug einen nationalstaatlichen Bezug, den die Blockupy-Proteste gerade überwinden wollten. So könnte schnell in den Hintergrund geraten, dass noch immer die griechische Bevölkerung von den EU-Sparplänen am meisten betroffen ist.

Attac erinnerte in einer Pressemitteilung immerhin daran, dass die EZB massiven Druck auf die griechische Regierung ausübt, gegen den Wählerwillen die Vereinbarungen mit der EU-Troika umzusetzen. Zudem hat die EZB mehreren griechischen Banken keine weitere Liquidität mehr zur Verfügung gestellt, um den Druck zu erhöhen „Mit dieser Entscheidung beteiligt sich die EZB an der Erpressung Griechenlands. Sie will das Land zwingen, die desaströse Austeritätspolitik fortzuführen, die weder tragbar noch erfolgreich ist“, sagte Thanos Contargyris von Attac Hellas, der sich an den Blockupy-Protesten beteiligen will. Auch aus weiteren europäischen Ländern sind Aktivisten auf dem Weg in die Mainmetropole.

Das Blockupy-Bündnis hat mittlerweile eine aktuelle Protestagenda veröffentlicht, die sie trotz der massiven Behinderungen in den nächsten Tagen umsetzen will. Neben Demonstrationen und Kundgebungen will man auch eine Konferenz der sozialen Bewegungen abhalten.

Juristische Auseinandersetzung geht weiter

Schon jetzt ist klar, dass die juristische Auseinandersetzung auch nach dem Ende der Aktionstage weitergehen wird. So ist es nicht unwahrscheinlich, dass wie schon in der Vergangenheit bei anderen Protestaktionen das Verbot nachträglich für rechtswidrig erklärt wird. Die juristischen Auseinandersetzungen der letzten Monate haben nach Meinung von Protestbeobachtern Auswirkungen auf den Polizeieinsatz in Frankfurt. So sei bisher auf den Einsatz von Drohnen und die Funkzellenauswertung verzichtet worden. Diese Maßnahmen kamen bei Demonstrationen in den letzten Jahren zur Anwendung und haben Kritik von Datenschützern und Juristen ausgelöst.

Morgen wird sich zeigen, ob die Polizei weiterhin ohne diese viel kritisierten Instrumentarien auskommen wird. Dann werden Tausende Globalisierungskritiker aus der ganzen Republik zu den lange geplanten Protesten in Frankfurt eintreffen. Allerdings hat die Polizei mit ihren Maßnahmen bereits für ein Ziel des Protestes gesorgt: das Bankenviertel in Frankfurt ist blockiert.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152017
Peter Nowak

Der Sicherheitsstaat ist in Frankfurt in Aktion

Mit der Räumung des Occupy-Camps hat die Polizei die Konfrontation gegen die Kapitalismuskritiker eingeleitet

Sie haben kalten Winternächten getrotzt, sich mit Bankiers und Polizisten ablichten lassen und waren fast schon eine Art Berühmtheit in der Stadt: die Occupy-Aktivisten, die seit letztem Herbst vor der Europäischen Zentralbank in Frankfurt/Main campten. Nun wurde das Camp einen Tag vor Beginn der internationalen Krisenproteste geräumt, die unter dem Namen Blockupy einen Neustart der Occupy-Bewegung mit dem Protest von sozialen Bewegungen aus ganz Europa verbinden wollten.

Mit der Räumung haben die Behörden die Gelegenheit genutzt, die Bewohner los zu werden, die längst nicht mehr so wohlgelitten in der Stadt waren wie noch vor Wochen. Schließlich haben viele Wohnungslose in Frankfurt das Camp als Refugium genutzt und damit einen Skandal deutlich gemacht: Wohnungslosigkeit in der Bankenmetropole wurde sichtbar. Schon längst hat das Frankfurter Bürgertum genug davon, dass Elend so hautnah zu sehen, wenn man abends aus dem Theater kommt.

Doch die Räumung des Camps war auch eine Kampfansage an die in Deutschland schwache kapitalismuskritische Bewegung. Einen Tag vor den lange geplanten europäischen Protesten hat die Polizei mit der Räumung die Konfrontation begonnnen. Das Verwaltungsgericht Kassel hatte am Mittwochmorgen eine Klage von Campbewohnern gegen die Räumung zurückgewiesen und damit den repressiven Kurs der Frankfurter Behörden bestätigt. Die Bewohner wehrten sich gemeinsam mit den ersten aus ganz Europa einreisenden Kapitalismuskritikern mit Sitzblockaden gegen die Räumung. Daran konnten auch einige der Personen teilnehmen, die noch vor einigen Tagen von der Frankfurter Polizei während der Aktionstage Stadtverbot hatten.

Stadtverbote aufgehoben

„Nach einer intensiven Erörterung mit dem Verwaltungsgericht Frankfurt hat sich das PP Frankfurt entschlossen, die am 11.05.2012 ausgesprochenen Aufenthaltsverbote zurück zu nehmen. Das Gericht signalisierte, dass die Ereignisse am 31. März hierfür nicht ausreichten. Es werden daher die auf dieser Grundlage erlassenen Aufenthaltsverbote nicht durchgesetzt“, heißt es in einer kurzen Erklärung der Polizei.

Allerdings gilt die Aufhebung nur für die Betroffenen, die mit einem Eilantrag Widerspruch gegen das Stadtverbot eingelegt hatten. Man könnte zynisch sagen, wenn sowieso fast alle Aktionen verboten sind, brauchen keine besonderen Stadtverbote mehr verhängt werden.

Wenn Proteste zum Gefahrenpotential werden

In einer Erklärung der Frankfurter Polizei wird dieser Zusammenhang ebenso hergestellt. Dort hieß es:

„Nachdem durch den VGH Kassel am heutigen Vormittag die Verbotsverfügungen der Versammlungsbehörde bestätigt wurden, sind aktuelle keine Veranstaltungen im Zusammenhang mit der ‚Blockupy- Bewegung‘ genehmigt.

Die Polizei weist daher daraufhin, dass Teilnehmer dieser verbotenen Veranstaltungen – damit sind auch Besucher der Raveveranstaltung gemeint – abgewiesen werden. Auf der Anfahrt befindliche Teilnehmer werden daher gebeten umzukehren.

Der Verwaltungsgerichtshof hat im Beschluss deutlich gemacht, dass einer der Entscheidungsgründe die Sicherheit der eingesetzten Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten war. Die dann hier bleibenden Teilnehmer würden auch das Gefahrenpotential in der Stadt erhöhen.“

Nur wenige Stunden später erklärt die Frankfurter Polizei, dass der erste Protesttag ruhig verlaufen sei und die von der Blockuppy geplanten Proteste nicht stattgefunden haben.

Nicht wenige Menschen, die nicht nur zur Protestzwecken in der Frankfurter Innenstadt das große Polizeiaufgebot gesehen haben, fühlten sich an die immer wieder verbotenen Aktionen der Putingegner in Russland erinnert. Dazu gibt es immer große Debatten über die schlechte Menschenrechtssituation in Russland. Schon vor einigen Jahren hatte Putin solche Kritiker auf den Umgang der Polizei mit den G8-Protesten in Heiligendamm hingewiesen. Jetzt kann er auf Frankfurt verweisen.

Auch die Universitätsverwaltung wurde in die Strategie eingespannt und ließ für die Dauer der Aktionstage sämtliche Universitätsgebäude der Stadt schließen, was von der Studierendenvertretung kritisiert wurde.

Wie weiter?

Der Fortgang der Protesttage wird auch davon abhängen, wie viele Aktivisten in den nächsten Tagen sich nicht von den Warnungen der Polizei abschrecken lassen und doch noch nach Frankfurt kommen. Unter dem Motto „Jetzt erst recht! Kommt alle nach Frankfurt“ rufen die Protestorganisatoren dazu auf.

Allerdings geben auch Aktivisten offen zu, das Totalverbot und die gerichtliche Bestätigung in dem Ausmaß nicht für möglich gehalten zu haben. Dabei gab es in der Geschichte der Bundesrepublik durchaus ähnliche Beispiele. So wurden 1987 auf dem Höhepunkt der zweiten Anti-AKW-Bewegung eine Bundeskonferenz der AKW-Gegner in Regensburg verboten.

Eine Fachschaftskonferenz von Chemiestudierenden, die die Gebannten Asyl gewährten, wurde im Anschluss ebenfalls untersagt. Die Grünen haben sich damals mehrheitlich mit den Umweltaktivisten solidarisch erklärt.

Heute findet man auf der Homepage der Grünen im Römer nur die Polizeimeldung über die Verbote der Proteste. Schließlich sind die Grünen Teil der Frankfurter Stadtregierung. Mittlerweile haben sich allerdings führende Vertreter der Grünen, der Piratenpartei und die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles kritisch über das Blockupy-Verbot geäußert. Schließlich wurde auch eine Mahnwache der Frankfurter Jusos gegen Homophobie und Transphobie am 17.Mai in Frankfurt verboten, weil die Polizei eine Blockupy-Unterstützung vermutete.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/152015
Peter Nowak