Kein klarer Sieg für Timoschenko vor Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte

Die Untersuchungshaft sei „willkürlich und rechtswidrig“ gewesen, die Beschwerde wegen schlechter Behandlung in der Haft wurde aber zurückgewiesen

Einen Teilerfolg hat die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin Julia Timoschenko vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte heute erzielt. Die Untersuchungshaft der Politikerin im Jahr 2011 sei „willkürlich und rechtswidrig“ gewesen, entschied eine kleine Kammer des Straßburger Gerichts einstimmig. Dadurch habe sich die Ukraine unter anderem der Verletzungen der Menschenrechte auf Freiheit und auf gerichtliche Überprüfung von Freiheitsentziehungen schuldig gemacht.

Allerdings wies das Gericht Timoschenkos Beschwerde wegen schlechter Behandlung in der Haft zurück. Gerade dieser Punkt hat in den letzten Monaten vor allem in der deutschen Medienberichterstattung eine zentrale Rolle gespielt. Die erkrankte Timoschenko war auch von Ärzten aus der Berliner Charité behandelt wurden. Über die Frage, ob Timoschenkos Krankheit die Folge menschenrechtswidriger Haftbedingungen ist oder ob es sich hierbei auch um viel Inszenierung von Seiten der Gefangenen und ihrer vor allem im Westen der Ukraine Lebenden zahlreichen Anhänger handelt, gab es in den letzten Monaten viel Streit. Der wird auch nach der Entscheidung des Gerichts weitergehen. Auffällig ist schon, dass in der ersten Kommentierung der Entscheidung kaum erwähnt wird, dass zumindest die aktuellen Haftbedingungen Timoschenkos nicht Gegenstand der Rüge sind.

Auch die neue Anklage gegen Timoschenko, wo sie wegen eines angeblichen Mordkomplotts an einen wirtschaftlichen Konkurrenten vor Gericht steht, spielte bei der heutigen Entscheidung keine Rolle. Daher dürfte sich auch für Timoschenko wenig ändern. Die ukrainischen Behörden haben angekündigt, das Urteil zu analysieren, wenn die Begründung vorliegt. Auch einen Einspruch haben sie sich offengehalten. Sollte es rechtskräftig werden, könnte Timoschenko Schadenersatz für die unrechtmäßige Untersuchungshaft erhalten. Eine Freilassung ist damit nicht zwingend verbunden. Auch in der Vergangenheit wurden Russland und andere osteuropäische Länder häufiger vom Straßburger Gericht gerügt, ohne dass die Betroffenen deshalb freigekommen wären. Sollte Timoschenko tatsächlich vorzeitig aus der Haft entlassen werden, dann nur, wenn die ukrainische Regierung ihre Beziehungen zur EU verbessern will. Doch das ist gar nicht so sicher.

Machtkampf zwischen Russland und der EU

Schließlich setzt das gegenwärtige ukrainische Regierungsbündnis im Gegensatz zu Timoschenko und ihren Parteienbündnis stärker auf die Kooperation mit Russland als mit der EU. Diese Auseinandersetzung spielt sowohl innerhalb der Ukraine als auch in der hiesigen Medienberichterstattung über die Ukraine eine wichtige Rolle.

Auch die Frage der Menschenrechte ist Teil des Kräftemessens zwischen Russland und der EU um den Einfluss auf die Ukraine. Davon waren auch die ersten Stellungnahmen der Bundesregierung geprägt. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger rief die Ukraine zur Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze auf und sieht in dem Urteil ein Zeichen dafür, dass die Ukraine hier noch einen weiten Weg gehen müsse. Wenn eine Regierung gerügt worden wäre, die eine proeuropäische Orientierung hat, wäre die Kommentierung sicher deutlich zurückhaltender ausgefallen.

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Peter Nowak