Maß und Mitte

Die Grünen setzen auf Rot-Grün, aber manche wollen auch die Hürden für ein Bündnis mit der Union senken

Bloß keine Koalitionsdebatte vor den Wahlen, lautete die Devise vor dem grünen Bundeskongress, der am Freitag in Berlin begonnen hat. Deswegen werden Anträge, die eine zu starke Konzentration auf die SPD vermeiden wollen, keine Chance haben. Denn die Grünen wissen, jede Koalitionsdebatte schmälert die Wahlchancen, was sich nicht zuletzt bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin zeigte. Die Grünen wollen nicht verantwortlich sein, wenn es, wie alle derzeit erwarten, nach der Bundestagswahl nicht für das präferierte Bündnis mit der SPD reicht. Sollte auch die gegenwärtige Koalition keine Mehrheit mehr haben, wären Grüne und SPD Konkurrenten im Kampf die Juniorpartnerschaft in einer Koalition mit der Union.

Da wollen führende Grünen schon mal die Hürden für eine solche Zusammenarbeit senken, wie die Diskussion um die Erhöhung der Vermögenssteuer zeigte, die Winfried Kretschmann wenige Tage vor dem grünen Bundeskongress mittels eines offenen Briefs initiierte. Dass diese Intervention auch vom seinem sozialdemokratischen Stellvertreter in Baden Württemberg unterstützt wird, soll suggerieren, hier würden zwei Landespolitiker sich für den heimischen Mittelstand einsetzen. Doch auf der bundespolitischen Ebene wird damit eine Distanz zur Wahlrhetorik der SPD deutlich und eine Brücke zur Union gebaut.

„Eine Besteuerung von Betriebsvermögen kann, je nach konkreter Ausgestaltung, das Eigenkapital aufzehren und die Investitionsmöglichkeiten des Unternehmens schmälern“, zitiert die Frankfurter Allgemeine aus dem Brief. Eine Vermögensteuer dürfe es nur dann geben, wenn Betriebsvermögen hiervon nicht angetastet würde, erklärten Kretschmann und Schmid. Andernfalls könnte eine Steuerinitiative einer rotgrünen Regierung nicht mit der Unterstützung des Landes Baden Württemberg im Bundesrat rechnen, heißt es hypothetisch.

Die Initiative liefert nun zunächst denen Argumente, die in dem Steuerprogramm einer rotgrünen Koalition eine Gefahr für die Wirtschaft sehen. Schließlich hat die Union prompt alle Steuererhöhungen ausgeschlossen. Auch wenn Renate Künast daran erinnern, dass die von Kretschmann inkriminierte Steuererhöhung nicht mal die Höhe der Vermögenssteuer in der Ära Helmuth Kohl abdecken würde, wird doch die öffentliche Diskussion wieder einmal davon bestimmt, dass die Grünen sich nun verteidigen müssen, keine Steuererhöhungspartei zu sein.

Ein Herz für Superreiche – Kälte für Hartz-IV-Empfänger

Nur der als Exponent des linken Parteiflügels geltende Daniel Wesener verteidigte die Steuerpläne seiner Partei offensiv.

„Fakt ist, dass wir über 90 Prozent der Einkommenssteuerzahler entlasten wollen. Zusätzlich belastet werden nur diejenigen, die man mit Fug und Recht als Superreiche bezeichnen kann.“

Doch Kretschmer und seine Freunde können sich bei ihrer Initiative für eine Senkung der Vermögenssteuerpläne, die sie als einen Beitrag zu „Maß und Mitte“ bezeichnen, auf einen wirtschaftsliberalen Diskurs stützen, der jede Belastung von Millionären als Teufelszeug ansieht und dafür den einkommensschwachen Teil der Bevölkerung zum Gürtelengerschnallen auffordert. So hat ein Urteil des Berliner Sozialgerichts wenig Beachtung gefunden, das die Heizkostenzuschüsse für Hartz-IV-Empfänger als zu hoch ansieht.

Wenn der Berliner Senat die Kosten für Zuschüsse aus der Kategorie „zu hoch“ berechnet, würde die Verschwendung zum Grundsatz gemacht – und das kann nicht angemessen sein, begründete der Richter seine Entscheidung und bringt damit den aktuellen Sozialdiskurs gut auf die Punkt. Ein Herz für Superreiche und soziale Kälte für einkommensschwache Menschen gehören zusammen.

Die über die Binnenlage der Grünen stets gut informierte Taz hat kürzlich zwischen den Zeilen gelesen, wie es um das Verhältnis zur Union bestellt ist. Sie sezierte einen Absatz des grünen Leitantrags, in dem es heißt: „CDU und CSU blockieren den grünen Wandel.“

„Blockaden lassen sich lösen, dass ist der Sinn von Politik“, weiß der Taz-Kommentator. Kretschmann lieferte dazu einen Beitrag.

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154182
Peter Nowak

EU-Austeritätspolitik mit allen Mitteln auch ohne gesellschaftlichen Konsens durchsetzen?

Eine Wortmeldung von EU-Kommissar Barroso sorgt für Diskussionen

Wieder einmal steht die von wesentlich von Deutschland forcierte Austeritätspolitik in der Kritik. Dass ist nun wahrlich nichts Neues. Vor allem in der europäischen Peripherie ist die deutsche Politik so unbeliebt, wie es jahrzehntelang die US-Politik in Zentral- und Südamerika war. Schließlich sind dort viele Menschen tagtäglich mit den Folgen dieser Wirtschaftspolitik konfrontiert.

Doch die neue Debatte wurde vom EU-Kommissionschef Manuel Barroso ausgelöst, der auf einem Treffen in Brüssel vor einigen Tagen gesagt hat, dass die Austeritätspolitik an ihre Grenzen stoße. Im Grunde sei die Politik noch immer richtig, präzisierte er, aber dazu brauche man ein „Minimum an gesellschaftlicher und politischer Unterstützung“.

Überraschend an dem Einwurf waren vor allem der Sprecher und der Ort, an dem er sich zu Wort meldete. Denn Barroso war der deutsche Wunschkandidat auf seinen Posten und hat die deutschen Interessen in der EU immer gut vertreten. Nun bellen auch schon mal Merkels und Schäubles Pudel, wenn es opportun erscheint gegen die Berliner Politik. Praktische Konsequenzen sind damit in der Regel nicht verbunden. Das beste Beispiel ist ein Statement von Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Junker. Der ließ verlauten, keine deutschen Verhältnisse in seinem Land zu wollen und meinte damit wohl vor allem, dass er sich den Bankensektor nicht schlechtreden lassen will. Doch Barroso hat seine Kritik an der europäischen Sparpolitik vor einem Forum geäußert, auf dem es nicht auf schnellen Applaus ankommt: bei einer Konferenz europäischer Denkfabriken.

Die Reaktionen auf Barrosos Kritik zeigen, dass er auch in deutschfreundlichen Kreisen nicht allein ist. So hat der Vizepräsident der europäischen Kommission Olli Rehn angeregt, die rigide Sparpolitik zu lockern . Er verband die Aufforderung mit einer Verteidigung der bisherigen Politik, die alternativlos gewesen sei. „Da wir das Vertrauen kurzfristig wiederhergestellt haben, eröffnet sich uns jetzt mittelfristig die Möglichkeit für eine ruhigere Gangart bei den Fiskal-Reformen“, so Rehn. Er sah sich damit durchaus im Einklang mit Aufforderungen von IWF und Weltbank, wo schon lange mit Sorge beobachtet wird, wie die Austeritätspolitik à la Berlin die Weltwirtschaft zu bremsen droht. Erst vor Kurzen hat der in diesen Kreisen angesehene Investor George Soros erklärt, dass Deutschland aus dem Euro aussteigen müsse, wenn es nicht zu Eurobonds bereit sei.

„Deutschland muss stark bleiben“

Dass es sich bei dem Streit nicht um politische Befindlichkeiten, sondern um unterschiedliche Interessen geht, wird oft zu wenig beachtet. Denn während Deutschland ab 2016 mit Überschüssen in seinem Staatshaushalt rechnet kann, kämpfen andere Länder wie Frankreich wegen der dort stagnierenden Wirtschaft mit Problemen, die bisherigen Defizitziele einzuhalten. Hierin liegt der Grund, dass die deutsch-französische Kooperation nicht mehr so reibungslos funktioniert wie noch vor einigen Jahren. In den deutschen Medien wird dafür immer das Vertrauensverhältnis der führenden Politiker in den Mittelpunkt gestellt. Dass es Differenzen im Kerneuropa gibt, könnte auch eine Chance für die Länder der europäischen Peripherie sein, die davon profitieren könnten.

Doch genau das will die deutsche Politik verändern. Denn die will natürlich an einer Austeritätspolitik, die den Standort Deutschland nützt, nichts ändern. Deswegen haben sich von Merkel bis Schäuble in den letzten Tagen sofort führende Politiker zu Wort gemeldet, die diese Politik als alternativlos bezeichneten. Sehr ehrlich war dabei Schäuble, der sagte, dass ein schwaches Deutschland niemand nütze.

Ein offenes Bekenntnis zu einem starken Standort Deutschland kommt im Wahljahr bei einem großen Teil der Bevölkerung gut an. Dabei wird natürlich nicht extra erklärt, dass die Stärkung des Standorts Deutschlands und die Verelendung an der europäischen Peripherie zwei Seiten der gleichen Medaille sind. Deutschland als starker Standort zieht permanent Kapital, Mehrwert und Beschäftigung aus der europäischen Peripherie an, die auf deutsches Kapital und deutsche Waren angewiesen ist.

Demokratie marktkonform versenkt

Und wenn die Betroffenen in diesen Ländern diese Politik nicht mehr ertragen können und wollen? Genau diesen Punkt hat Barroso angesprochen, als er das Fehlen einer minimalen gesellschaftlichen und politischen Unterstützung konstatierte. Schäuble und Co. gehen auf diesen Punkt nicht ein, was zumindest die Frage aufwirft, ob sie bereit sind, die dem deutschen Standort nützliche Politik mit aller Gewalt durchzusetzen.

Das ist eine nicht nur hypothetische Frage. In vielen Ländern der Peripherie wurden im Zuge der Austeritätspolitik schon wesentliche gewerkschaftliche Rechte außer Kraft gesetzt, wie eine Gruppe von Gewerkschaftern in diesen Tagen auf einer Rundreise erläutert. Der treffende Titel der Veranstaltung lautet: Demokratie marktkonform versenkt.

In Barrosos Heimatland Portugal könnte nicht nur die ihm nahestehende konservative Regierung stürzen, sondern sogar eine Politikwechsel auf der Tagesordnung stehen. Die Hymnen der Revolution, die vor mehr als 35 Jahren viele beeindruckten, werden wieder auf öffentlichen Straßen und Plätzen gesungen. Wie würde Schäuble und Co. reagieren, sollten die bisherigen eher dezenten Mittel der Disziplinierung nicht mehr ziehen, um eine EU-Politik, die den Standort Deutschland nutzt, durchzusetzen? Würden dann die Reste der Demokratie auch noch versenkt?

http://www.heise.de/tp/blogs/8/154179
Peter Nowak

Spazieren gegen Rendite

Stadtteilinitiative in Friedrichshain will Widerstand gegen Mietervertreibung organisieren

Die Baustellen sind in der Rigaer Straße in Friedrichshain nicht zu übersehen und zu überhören. »Doch für wen werden diese Wohnungen gebaut«, fragt Heinz Steinle (Name geändert). Der Aktivist der Stadtteilinitiative »Keine Rendite mit der Miete« verweist auf die Schilder, auf denen Käufer für die neu errichteten Eigentumswohnungen gesucht werden.

Menschen mit geringen Einkommen können sich eine Wohnung im »Green Village« (Grünes Dorf) bestimmt nicht leisten, das auf dem Areal der Rigaer Straße 18/19 errichtet wird. Als die Sanus-AG das Projekt mit den 142 Eigentumswohnungen auf der Expo-Real vorstellte, wurde der vermögenden Klientel ein Wohnungskauf mit dem Hinweis auf die Tiefgaragen schmackhaft gemacht.

Käufer für Eigentumswohnungen werden auch für die Anfang der 50er Jahre von der DDR errichteten Bauten in der Frankfurter Allee 5 – 17 gesucht. »Wohnen im Baudenkmal« lauten die Werbeplakate. Viele Wohnungen stehen dort derzeit leer. Die noch verbliebenen Mieter, die teilweise seit Jahrzehnten dort wohnen, befürchten die Verdrängung. Vor einigen Monaten haben sie in den Häusern einen Mieterrat gegründet und auch schon mehrere öffentliche Veranstaltungen organisiert. »In vielen Häusern in Friedrichshain regt sich Widerstand gegen die drohende Verdrängung. Aber oft kämpft noch jedes Haus für sich allein«, berichtet Steinle.

Die Stadtteilinitiative »Keine Rendite mit der Miete« will diesen Zustand ändern. Als ersten Schritt organisierte sie am Mittwochabend einen Stadtteilspaziergang zu Orten des Mieterwiderstands in Friedrichshain. In den letzten Monaten hatten solche Spaziergänge in den Stadtteilen Neukölln und Kreuzberg zur stärkeren Kooperation der dortigen Mieter und Abstimmung ihrer Proteste geführt.

Wenn auch die Eigentümer unterschiedlich sind, so sehen die Aktivisten das Grundproblem in dem Versuch, möglichst viel Rendite aus den Wohnungen zu ziehen. Die Mieter bleiben dort oft auf der Strecke. So sind in der Boxhagener Straße 33 die letzten Mieter ausgezogen. Monatelang hatten sie mit Transparenten gegen die Luxusmodernisierung des Hauses protestiert. Als die ersten Bäume im Hof im Frühjahr letzten Jahres gefällt werden sollten, organisierten sie sogar gemeinsam mit Unterstützern eine kurze Blockade.

Weiteres Renditeobjekt ist die Boxhagener Straße 26, wo sich die Mieter ebenfalls gegen die Umwandlung in Eigentumswohnungen wehren. Auch vor diesem Haus wollten die Spaziergänger gestern Abend auf ihrer Tour Halt machen. Danach sollte es zu weiteren Häusern rund um den Boxhagener Platz gehen, in denen sich die Rendite für die Eigentümer massiv erhöht hat. Ein Beispiel nennt eine Mitarbeiterin des Mieterladens in der Kreutziger Straße, eine Anlaufstelle für Bewohner, die sich über ihre Rechte informieren und juristisch beraten lassen wollen. Danach wird eine 97 Quadratmeter große Wohnung in der Boxhagener Straße, die bisher 675 Euro kostete, seit 1. April für eine Miete von 1600 Euro angeboten, nachdem der langjährige Mieter ausgezogen war. Bei solchen Steigerungen finden Vermieter immer Gründe, Mieter loszuwerden. Der Stadteilspaziergang will ihre Selbstorganisierung stärken.

Infos und weitere Termine auf mietenstoppfriedrichshain.blogsport.de
http://www.neues-deutschland.de/artikel/819832.spazieren-gegen-rendite.html

Peter Nowak

Recherchieren statt diffamieren

Linke Gruppen haben sich Regeln zum Outing von V-Leuten gegeben. Das soll falschen Verdächtigungen vorbeugen
Anschuldigungen müssen bewiesen werden. Was vor Gericht selbstverständlich ist, gilt in der linken Szene nicht unbedingt, wenn es um Spitzel geht. Ein Kodex soll das ändern.

Sehr bürokratisch hört sich der Titel eines Textes an, der von mehreren linken Gruppen in Berlin unterschrieben und kürzlich veröffentlicht wurde: »Richtlinien zum Outing von Spitzeln in linken Zusammenhängen.« Gleich am Anfang wird darin festgestellt: »Vermutungen über angebliche Spitzel dürfen auf keinen Fall leichtfertig in die Welt gesetzt und verbreitet werden. Denn solche Gerüchte erzeugen Unruhe, Misstrauen und politische Spaltungen.« Eine Gruppe, die Spitzelvorwürfe erhebe, müsse sich Nachfragen stellen und Kontaktmöglichkeiten anbieten. Zudem müsse ein Spitzelouting eindeutige Beweise enthalten. Berichte vom Hörensagen hätten dort nichts zu suchen.

Die ungewöhnliche Regelungsoffensive hat ein Vorspiel. Vor einem Jahr hatte eine autonome Gruppe auf der linken Internetplattform Indymedia eine Person aus der Antifaschistischen Linken Berlin (ALB) verdächtigt, die Szene für den Verfassungsschutz auszuspionieren. Angeblich habe die Betroffene die Vorwürfe zugeben, hieß es in dem Text. Zudem seien einige Mitglieder der ALB über die Vorwürfe informiert worden. Die ALB bestreitet das jedoch. Man sei weder kontaktiert noch anderweitig informiert worden. »Insofern wurden uns bislang auch keine Beweise, die diesen Vorwurf untermauern, vorgelegt«, erklärte die Berliner Antifagruppe im März 2012. Einige Wochen und zeitaufwendige Recherchen später ist die ALB überzeugt, dass die Spitzelvorwürfe falsch waren. »Niemand hat Beweise vorgelegt und wir haben durch eigene Recherche keine gefunden«, lautet ihr Fazit. Für sie ist die Sache damit vom Tisch.

Aus Sicht des Berliner Ermittlungsausschusses (EA) sind sie hingegen ungeklärt. Die linke Rechtshilfestruktur kritisiert die anonyme Anklage ebenfalls: »Ein Spitzelouting auf einer Plattform wie Indymedia, ohne ansprechbar zu sein, ist vollkommen inakzeptabel. Um ein Spitzelouting unangreifbar zu machen, hätten zudem veröffentlichbare Beweise gesichert werden müssen.« Der EA appelliert an beide Seiten, weitere Kampagnen gegen die denunzierte Person ebenso zu unterlassen wie Nachforschungen über die ominöse autonome Gruppe, die die Anschuldigung in die Welt setzte. Für den EA handelt es sich dabei entweder um einen Kreis von gut über die linke Szene informierten V-Leuten oder um eine Diffamierungskampagne von Menschen, die gut in die linke Szene integriert sind. Der EA schließt jedoch auch nicht aus, dass die autonome Gruppe als linke Struktur tatsächlich existiert.

Als gelungenes Beispiel für die Enttarnung eines V-Mannes gilt vielen hingegen der Fall von Simon B. Zwei bekannte linke Gruppen in Heidelberg hatten den Kontakt Ende 2010 öffentlich gemacht. Sie legten Beweise vor und verfassten Pressemitteilungen. Ein solches Vorgehen soll durch die Richtlinien gefördert werden, hoffen die unterzeichnenden Gruppen.

Der Streit über den Umgang mit Spitzelvorwürfen in linken Zusammenhängen ist nicht neu. Der Historiker Markus Mohr hat vor einigen Jahren eine kleine Sozialgeschichte des Spitzels herausgegeben. Darin beschreibt er auch, wie Spitzelvorwürfe in der linken Geschichte immer wieder genutzt wurden, um politische Kontrahenten zu diskreditieren.
http://www.neues-deutschland.de/artikel/819698.recherchieren-statt-diffamieren.html

Peter Nowak

„20 Jahre Essenstafeln sind genug“

Die Kritiker einer „Vertafelung der Gesellschaft“ kritisieren mit einer Veranstaltungsreihe eine Politik, die einkommensschwachen Menschen Almosen statt Rechte anbietet

Eine Reise durch das Land der Suppenküchen und Tafeln schrieb der Soziologe Stefan Selke kürzlich für Telepolis. Damit gehört er zu den wenigen Wissenschaftlern, die die zunehmende Präsenz von Essenstafeln nicht als Beweis für die Zunahme ehrenamtlichen Geistes in Deutschland interpretieren, sondern die Vertafelung einer Gesellschaft als Ausdruck eines Rückzugs des Staates aus der Sozialpolitik kritisieren. Statt anerkannter und einklagbarer Rechte werden die einkommensschwachen Menschen zunehmend auf die Tafeln verwiesen, wo sie einen Teil ihrer Nahrungsmittel aber auch Haushaltsgegenstände als Almosen beziehen können.

Die Kritik von Selke, sozialen Initiativen und Erwerbslosengruppen an den Tafeln wird mittlerweile von weiteren Gruppen getragen. Zum 20. Jubiläum der Essenstafeln hat sich das Bündnis „Abgespeist“ gegründet, das am Montag auf einer Pressekonferenz in Berlin die Argumente vorgetragen hat.

Marktwirtschaftliche Armutsverwaltung mit prekären Arbeitsplätzen?

Stefan Selke, der mit dem emeritierten Berliner Politologen Peter Grottian zu den Initiatoren des Bündnisses gehört, machte darauf aufmerksam, dass sich die Tafeln in den letzten 20 Jahren zu einem marktförmigen System der Armutsverwaltung entwickelt haben, in dem auch Gewinne erwirtschaftet werden. „Tafeln sind keine Bewegung, sondern eine Organisation, die als Monopolist im Markt der Bedürftigkeit auftritt und andere ebenso engagierte Anbieter von Hilfeleistungen zunehmend verdrängt.“

Bernhard Jirku von ver.di weist auf die prekären Arbeitsbedingungen hin, die durch die Tafeln verfestigt würden: „Zur Besorgung der Armenspeisungen mit Produkten und ihrer Verteilung eröffnet das „Tafelwesen“ einen weiteren, sehr prekären Arbeitsmarkt, dessen Beschäftigungsbedingungen sich weit unterhalb gewerkschaftlicher und tariflicher Vorstellungen befinden. Selten gibt es existenzsichernde, reguläre Beschäftigungsverhältnisse, noch seltener sind sie tariflich entlohnt.“

Die Direktorin der Diakonie Berlin-Brandenburg betonte, dass die einkommensschwache Menschen eine armutsfeste Grundsicherung statt Almosen brauchen. Dem schloss sich auch die Bündnissprecherin Luise Molling an. „Eine armutsfreie, existenzsichernde und bedarfsgerechte Mindestsicherung würde die Tafeln und ähnliche Angebote überflüssig machen“, betont sie gegenüber Telepolis.

Peter Grottian regte auf der Pressekonferenz an, nicht nur die Tafeln sondern auch die Bundesagentur für Arbeit durch eine Politik überflüssig zu machen, die Armut abbaut, statt zu verwalten. Ein Schwachpunkt bleibt zu benennen. Dass diese Armut fördernde Politik kein Versagen oder Missverständnis ist, sondern von einer großen Koalition aus SPD, FDP, Union und großen Teilen der Grünen als Beitrag zur Stärkung des Standortes Deutschlands bewusst forciert wurde, kam bei der Pressekonferenz nicht zur Sprache. Damit besteht die Gefahr, dass Illusionen erzeugt werden könnte, allein moralischer Druck und gute Argumente würden schon dafür sorgen, dass die Tafeln bald der Vergangenheit angehören.

Kritische Tafelforschung und kritischer Dialog

Mittlerweile sind die Kritiker mit den Tafelbetreibern in einen Dialog getreten, und auch neue Wissenschaftsbereiche könnten dadurch entstehen. Erwerbslosenaktivistin Brigitte Valenthin war diese Orientierung des tafelkritischen Bündnisses aber zu konstruktiv, weswegen sie wieder austrat.

Vom 26.-28. April wird das Bündnis erstmals mit Aktionstagen in die Debatte intervenieren.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154155
Peter Nowak

Mieter/innen und Kneipe ziehen an einem Strang

Manchen Mieter/innen ist ein Restaurant im Haus als Quelle vielfältiger Geräusche ein Ärgernis. Die Mieter/innen der Christinenstraße 1 aber sind froh, dass sie mit dem BAIZ einen Schankraum im Haus haben, der viele Freunde hat. Seit sie wissen, dass ihr Haus zum Spekulationsobjekt geworden ist, mobilisieren die Gäste des BAIZ im Netz und auf der Straße dagegen und die Mieter freuen sich.

Sie waren genauso wie die Lokalbetreiber überrascht, als sie erfuhren, dass das Haus im Herbst 2012 den Besitzer gewechselt hat. Das Gebäude wurde an die Zelos Properties GmbH verkauft. Durch Eigenrecherche stießen die Mieter auf personelle Überschneidungen mit der im Zusammenhang mit Schrottimmobilien ins Gerede gekommenen Grüezi Real Estate AG. Das Unternehmen war vom Berliner Landgericht im Dezember 2012 zur Rückabwicklung eines Eigentumswohnungsverkauf und der Zahlung von Schadenersatz verurteilt worden. Die Grüezi hat nach Ansicht des Gerichts eine Eigentumswohnung „sittenwidrig überteuert“ veräußert. Die Firma hatte den Vorwurf unter Hinweis auf eines von ihr beauftragten „Gutachtens“ bestritten. Das Landgericht bezeichnet das „Gutachten“ als offensichtlich wertlosen „Bericht“.

Zelos wirbt auf ihrer Homepage mit einer „ausgeprägten Kulturszene“ in der Umgehung der Christinenstraße und lukrative Käufer der Eigentumswohnungen anzulocken. Für das Haus selber wird allerdings eine kulturelle und gastronomische Weiternutzung kategorisch ausgeschlossen. Stattdessen ist nach ihren Vorstellungen ein weiteres Büroprojekt geplant. Damit ist eine Zielgruppe angesprochen, die in angesagte Szenebezirke zieht, aber auf keinen Fall einen Club oder ein Restaurant in der Nachbarschaft haben will. Aber nicht nur die Kneipe, auch die bisherigen Mieter/innen, sind in den Plänen der Zelos GmbH nicht vorgesehen. Auf ihrer Homepage wird das Haus als „Altbau aus der Jahrhundertwende“ in exklusiver Umgebung beworben. Adidas und Soho House sollen „das hohe Niveau der Nachbarschaft“ garantieren, mit dem Zelos vermögende potentielle Käufer gewinnen will.
Doch noch geben die Mieter/innen und die BAIZ-Betreiber nicht auf und sie suchen die Öffentlichkeit. So haben sie haben unter
baiz.krassnix.de/wp-content/uploads/2013/03/mieterh%C3%B6hungsbeispiele.pdf Beispiele für die Entwicklung der Miete nach der Modernisierungsankündigung ins Netz gesellt. Danach würde sich eine Grundmiete von 200 Euro auf 558, 98 Euro gleich um 278,99 % erhöhen. Die aktuellen Bewohner hoffen auf die solidarische Nachbarschaft, die zu den Kunden des BAIZ gehört, das mit seinen niedrigen Getränkepreisen heute in der Gegend eine Ausnahme ist. “Wenn wir es gemeinsam mit dem BAIZ nicht schaffen, hier im Haus zu bleiben“, schaffen wir es alleine erst recht nicht“, bringt ein Mieter die Stimmung in dem Haus zum Ausdruck. Mindestens einmal in der Woche fungiert ein Raum der Kneipe mittlerweile als Aktionszentrum. Ideen gibt es viele. In der nächsten Zeit werde man einiges von den Mieter/innen der Christinenstraße hören, kündigen sie an. Neuigkeiten finden sich auf der Homepage unter:

baiz.krassnix.de/category/von-uns/
http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/baiz.html
Peter Nowak

Sklaven gehen offline

Die Verhandlungen über einen Tarifvertrag sind gescheitert. Nun droht dem Online-Versandhändler Amazon in Deutschland zum ersten Mal ein Streik.

Streik bei Amazon? Noch vor wenigen Wochen schien eine solche Schlagzeile kaum denkbar. Mitte Februar wurde durch eine ARD-Reportage bekannt, dass bei Amazon beschäftigte Leiharbeiter aus Spanien in engen Behausungen leben müssen und zudem von einer Sicherheitsfirma bewacht wurden, deren Angestellten Kontakte ins rechte Milieu nachgesagt wurden. Von einem Arbeitskampf war nicht die Rede. Dafür brach kurzfristig ein »Shitstorm« los, der einem Konzern, der sein Geschäftsmodell auf das Internet stützt, nicht gleichgültig sein konnte. Doch ausgerechnet die Verdi-Betriebsgruppe Logistikzentrum von Amazon in Bad Hersfeld distanzierte sich von diesem nicht vom Gewerkschaftsvorstand kontrollierten Aktivismus.

»Zuallererst möchten wir zum Ausdruck bringen, dass wir den ›Shitstorm‹ in diversen Foren, allen voran auf der Facebook-Seite von Amazon, verurteilen und ablehnen. Wir distanzieren uns ebenfalls von etwaigen Boykottaufrufen und sehen es mit Sorge, dass Kunden ihre Konten bei uns löschen«, heißt es in der Erklärung. »Ein Boykott hätte keine Verbesserung der Lage der bei Amazon Beschäftigten, egal ob Leiharbeiter oder Direktangestellte, zur Folge, sondern würde den psychischen Druck auf diese erhöhen und Angst um den Arbeitsplatz schüren«, lautet die Begründung der Betriebsgruppe. Denjenigen, die sich mit den Beschäftigten solidarisieren wollten, wurde stattdessen empfohlen, eine von Verdi initiierte Online-Petition für bessere Arbeitsbedingungen bei Amazon zu unterzeichnen. Hieß es früher sarkastisch, die schärfste Waffe der DGB-Gewerkschaften sei die Presseerklärung, scheint im Internetzeitalter die Online-Petition diese Rolle übernommen zu haben. Derzeit hat es jedoch den Anschein, als könnte die Gewerkschaft einen Erfolg verbuchen.

Schließlich haben sich Anfang April im Amazon-Versandzentrum in Leipzig bei einer Urabstimmung 97 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder für einen Streik ausgesprochen. Ob und wann es zum Arbeitskampf kommen wird, ist noch offen. »Wir sind gerade dabei, das Superergebnis zu verdauen«, sagte Jörg Lauenroth-Mago, der zuständige Bereichsleiter von Verdi, in einer ersten Stellungnahme gegenüber der Nachrichtenagentur DPA. Etwas kämpferischer äußerte sich Heiner Reimann, der für das Amazon-Logistikzentrum in Bad Hersfeld zuständige Gewerkschafts­sekretär von Verdi.

Er sieht in einem klassischen Arbeitskampf noch immer die beste Möglichkeit, Verbesserungen für die Beschäftigten zu erreichen. »Wer Amazon treffen möchte, muss dafür sorgen, dass Amazon sein Kundenversprechen nicht einhalten kann: Heute wird bestellt, morgen geliefert. Um das zu erreichen, ist der klassische Streik wahrscheinlich das Mittel der Wahl«, sagte Reimann. Das Interesse der Medien, das einsetzte, nachdem in der ARD die Reportage »Ausgeliefert« über die Lebens- und Arbeitsbedingungen von spanischen Leiharbeitern gesendet worden war, habe aus seiner Sicht hingegen nichts bewirkt. »Der Mediensturm nach der ARD-Reportage über die miese Behandlung von Leiharbeitern im Weihnachtsgeschäft hat wenig negative Auswirkungen für das Unternehmen gehabt.« Zudem betont Reimann, dass in der Reportage und der nachfolgenden Diskussion nur ein Teil der Probleme zur Sprache gekommen sei, mit denen die Beschäftigten bei Amazon konfrontiert sind.

Der Gewerkschaftssekretär nennt die große Zahl von befristeten Arbeitsverträgen und berichtet vom enormen Leistungsdruck, der im Konzern herrsche. »Nicht einmal ein Drittel der über 4 600 Kollegen in Bad Hersfeld hat einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Das eigene Leben ist somit kaum planbar«, beschreibt Reimann Arbeitsverhältnisse, die mittlerweile längst nicht nur bei Amazon Einzug gehalten haben. Der Leistungsdruck betreffe alle, Amazon überprüfe zudem wie kein anderer Arbeitgeber jeden einzelnen Arbeitsschritt auf Effektivität. Jede Bewegung werde gemessen, analysiert und auf ihre Effizienz geprüft. Dafür nennt Reimann ein prägnantes Beispiel: »Vor kurzem gab es in einer Abteilung die Anweisung, dass die Beschäftigten maximal nur fünf Minuten mit einem Toilettengang verbringen dürfen. So etwas kenne ich nur von Amazon.« Allerdings gilt auch hier die Pa­role »Amazon ist überall«. Denn ein auf Niedriglöhne gestütztes Arbeitsregime, das Angriffe auf Betriebsräte mit der totalen Kontrolle der Mitarbeiter kombiniert, hat schon längst das Interesse von Unternehmen in anderen europäischen Ländern gefunden.

Für einen Gewerkschaftseintritt spiele bei Amazon-Mitarbeitern der Widerstand gegen die Überwachung und die Leistungskontrolle eine große Rolle, betont Reimann. »Wir haben die Leute gefragt, wo der Schuh drückt. Unabhängig von dem, was Gewerkschaften üblicherweise fordern, nämlich höhere Löhne, wollten wir wissen, was die Leute wirklich stört.« Tatsächlich ist es ein Fortschritt, wenn Verdi neben der Frage nach der Höhe der Löhne auch die Arbeitsbedingungen in den Mittelpunkt von Tarifverhandlungen stellt. Schließlich ist es erst wenige Jahrzehnte her, dass unter dem Stichwort »Humanisierung des Arbeitslebens« eine gesellschaftliche Debatte über die Arbeitssituation geführt wurde, in der gewerkschaftliche Argumente ein wichtiger Bestandteil waren. Angesichts der Zurückdrängung von gewerkschaftlicher Macht scheinen solche Forderungen heutzutage beinahe illusorisch. Das wird auch im Dokumentarfilm »Play hard, work hard« und dem Spielfilm »Die Ausbildung« sehr deutlich, die sich beide mit modernen Arbeitsverhältnissen befassen. Der größte Erfolg des modernen Arbeitsregimes besteht diesen Filmen zufolge darin, dass Vorstellungen von Solidarität, Renitenz am Arbeitsplatz oder gar gewerkschaft­licher Gegenmacht nicht einmal mehr sanktioniert werden müssen, weil sie in der Vorstellungswelt der Beschäftigten nicht mehr vorhanden sind. Da ist es schon als Erfolg zu werten, dass am 9. April mehrere Hundert Verdi-Mitglieder im Bad Hersfelder Logistikzentrum von Amazon einen Warnstreik abgehalten haben. Zuvor waren Gespräche über einen Tarifvertrag zwischen den Vertretern von Gewerkschaft und Amazon gescheitert.

Ende April soll auch in Bad Hersfeld die Urabstimmung abgeschlossen sein. Sollten die Amazon-Beschäftigten bei dieser Urabstimmung ebenso wie in Leipzig für einen Arbeitskampf stimmen, könnte die Gewerkschaft ganz traditionsbewusst am 1. Mai die Öffentlichkeit mit konkreten Informationen zum bundesweit ersten Streik von Amazon-Beschäftigten überraschen. Ob sich Verdi beim Streik gegen einen Online-Versandhandel an Aktionsformen des Einzelhandelsstreiks von 2008 orientiert, als unter dem Motto »Dichtmachen« Gewerkschafter mit solidarischen Kunden eine Supermarktfiliale blockierten? Dass eine solche Form des Protests auch virtuell möglich ist und erfolgreich sein kann, hat bereits die Internetdemonstration antirassistischer Gruppen gegen die Lufthansa im Jahr 2001 gezeigt. Ob die Internetaktivisten ähnliche Aktionen auch in einem Arbeitskampf zur Anwendung bringen, ist, nachdem sich die Verdi-Gruppe bei Amazon in Bad Hersfeld vom Shitstorm distanziert hat, offen. Aber eine Erlaubnis vom Gewerkschaftsvorstand brauchen sie dafür nicht.
http://jungle-world.com/artikel/2013/16/47538.html
Peter Nowak

Armut und Reichtum in deutschen Medien


Nach einer Studie über die Berichterstattung großer deutscher Zeitungen finder eine kritische Auseinandersetzung mit der Macht großer Privatvermögen nicht statt

Wer offenen Auges durch deutsche Städte geht, erkennt schnell, wie sich die Armut in der Mitte der Gesellschaft ausbreitet. Dass Menschen in Mülleimern nach Verwertbarem suchen, ist ebenso zur Normalität geworden, wie Essenstafeln und die Tatsache, dass das Flaschenpfand für viele Menschen überlebensnotwendig zu sein scheint. Doch wie wird diese sich ausbreitende Armut in führenden Zeitungen in Deutschland behandelt?

Dieser Frage widmeten sich die Journalisten Hans Jürgen Arlt und Wolfgang Storz in der gestern veröffentlichten Studie Portionierte Armut, Blackbox Reichtum.

Untersucht wurden die Tages- und Wochenzeitungen Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Der Spiegel und Die Zeit. Als Beobachtungszeitraum wählten die Autoren die Phase zwischen dem dritten und dem vierten Lebenslagenbericht der Bundesregierung. „Die Studie stellt die Frage nach dem journalistischen Gebrauch der Pressefreiheit im Umgang mit Reichtum und Armut. Die Antwort: Es handelt sich um einen Fall von Pressefeigheit“, resümieren die beiden Publizisten.

Blackbox Reichtum in den Medien

Sie konstatieren eine „Blackbox Reichtum“ in den Medien. Eine Auseinandersetzung mit der Macht privater Großvermögen, die ihre Interessen ohne Worte zur Geltung bringen können, finde nicht statt. Der riesige Reichtum in den Händen weniger werde entweder überhaupt nicht kommentiert oder selbst dann nicht genauer durchleuchtet, wenn er kritisch bewertet wird. Reichtum werde nur aufgerufen als Gegenpart von Armut und als Indikator sozialer Ungleichheit. Als Zentrum gesellschaftlichen Einflusses auf alle Lebensbereiche von der Politik über die Wissenschaft odeer die Kunst bis hin zum Sport und als wirtschaftlicher Weichensteller mit seinen Anlage-, Verlagerungs- und Spekulationsentscheidungen komme er in den journalistischen Meinungsbeiträgen nur beiläufig vor.

Was Arlt und Storz hier am Beispiel der Presse beschreiben, dürfte ein Ausdruck gesellschaftlicher Regression sein. In den späten 70er Jahren, als Gesellschaftskritik nicht nur Hobby einer absoluten Minderheit war, wurden Journalisten wie Manfred Bissinger beim Stern oder Eckart Spoo in der Frankfurter Rundschau sanktioniert, weil sie in ihren Artikeln den Reichtum kritisch unter die Lupe nahmen. Heute hingegen wird kaum noch ein Zusammenhang zwischen dem Reichtum für wenige und wachsender Verarmung.

Dabei komme Armut in den untersuchten Medien durchaus vor, aber sie wird portioniert. Damit wollen Arlt und Storz ausdrücken, dass die Armen in einzelne Problemgruppen aufgeteilt und damit als gesellschaftliches Problem entschärft werden. Von der Kinder- über Frauen- bis zur Altersarmut werden so unterschiedliche Armutstypen kreiert. Diese Menschen werden dann zu Problemgruppen erklärt und für die Armut weitgehend selbst verantwortlich Gemacht, wodurch die Gesellschaft schon wieder entlastet ist.

Wie das funktioniert, zeigte sich an der Presseberichterstattung zum Tod der Berliner Rentnerin Rosemarie F, die wenige Tage nach ihrer Zwangsräumung gestorben ist. Nach allgemeiner Betroffenheit gingen mehrere Medien dazu über, die Schuld für der Tod bei der Rentnerin selber zu suchen und als Ausweg ein früheres Einschreiten des Sozialpsychologischen Dienstes zu sehen, ignoriert wird dabei, dass F. ausdrücklich keinen Kontakt mit den Behörden wünschte und bis zum Schluss nach Aussagen von Menschen, mit denen sie vor ihren Tod zusammen war, geistig klar, aber körperlich geschwächt war. Dass Resultat einer solchen Berichterstattung ist klar: Aus dem gesellschaftlichen Skandal, dass einkommensschwache Menschen selbst im Rentenalter aus ihren Wohnungen geworfen werden, wird ein individuelles Problem.

Zielgruppe genussfreudige Elite

Reportagen über Armut beschreiben die Betroffenen in der Regel im Opferstatus. Selbstbewusste Arme, die sich sogar aktiv wehren, kommen in den Medien in der Regel nicht vor. Dass gilt durchaus nicht nur für die untersuchten Zeitungen. So kommen in der bundesweiten Wochenendausgabe der linksliberalen Tageszeitung, die zurzeit mit dem Motto „dick und gemütlich“ für ihren Relaunch wirbt, Einkommensarme so gut wie nicht vor. Dafür finden sich allwöchentlich besinnliche Betrachtungen eines in der Gesellschaft angekommenen Mittelstandes, der den Müll korrekt trennt und Wert auf gesundes Essen legt. Diese Zielgruppe bringt die Starköchin Sarah Wiener in einem Interview in der Taz gut auf dem Punkt: „Die wahre Elite sind die, die sich selbst beschränken und ab und zu ein gutes Stück Fleisch genießen können, weil es nachhaltig erzeugt und artgerecht gehalten wurde. Bewusst zu genießen, das ist Elite.“
http://www.heise.de/tp/blogs/6/154147
Peter Nowak

Hätte Sarrazin wegen Rassismus angeklagt werden müssen?


Der Antirassismus-Ausschluss der Vereinten Nationen rügt die deutsche Justiz

Um Thilo Sarrazin ist es in der letzten Zeit ruhig geworden. Sein im letzten Jahr veröffentlichtes Buch „Deutschland braucht den Euro nicht“ hat längst nicht soviel Aufmerksamkeit erregt wie sein Bestseller „Deutschland schafft sich ab“ von 2010. Seine dort aufgeführten Thesen hatte Sarrazin bereits im Herbst 2009 in einem Interview mit dem Magazin Lettre International vorgestellt. Mit dem Inhalt hat sich nun der Antirassismus-Ausschluss der Vereinten Nationen befasst und die deutsche Justiz gerügt.

Den Ausschuss hatte der Türkische Bund Berlin/Brandenburg eingeschaltet, nachdem er vergeblich von der deutschen Justiz gefordert hatte, die Äußerungen von Sarrazin auf Rassismusverdacht hin zu überprüfen. Mit Verweis auf die Meinungsfreiheit hatte die Staatsanwaltschaft es abgelehnt, die Anzeige des Türkischen Bundes gegen Sarrazin wegen Beleidigung und Volksverhetzung weiterzuverfolgen.

Rassismus nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt?

Der UN-Ausschuss für die Beseitigung der rassistischen Diskriminierung (Committee on the Elimination of Racial Discrimination) gab dem TBB nun recht. Die Bundesrepublik habe zu wenig unternommen, um Teile ihrer Bevölkerung vor rassistischen Anfeindungen zu schützen. In den Ermittlungen gegen Sarrazin sei die deutsche Justiz nicht ausreichend der Frage nachgegangen, ob Sarrazins Äußerungen rassistisches Gedankengut beinhalteten, heißt es zur Begründung. Doch der Ausschuss hat die deutsche Justiz nicht nur formal gerügt, sondern sich auch mit Sarrazins Äußerungen befasst:

„Der Ausschuss urteilt, dass Herrn Sarrazins Äußerungen eine Verbreitung von Auffassungen darstellen, die auf einem Gefühl rassischer Überlegenheit oder Rassenhass beruhen, und Elemente der Aufstachelung zur Rassendiskriminierung (..) enthalten.“

Da der Ausschuss Sarrazins Äußerungen als rassistisch einstuft, seien sie auch nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt. Die Bundesrepublik Deutschland soll nun innerhalb von 90 Tagen gegenüber dem Ausschuss konkrete Maßnahmen zum besseren Schutz vor Rassismus vorlegen. Allerdings gibt es keine Sanktionsmöglichkeiten, falls Deutschland – was nicht unwahrscheinlich ist – das Votum einfach ignoriert. Schließlich haben die Erklärungen des Ausschusses generell nur empfehlenden Charakter.

Daher ist die Entscheidung in erster Linie ein moralischer Erfolg für den Türkischen Bund, der in einer Stellungnahme gleich von einer historischen Entscheidung gesprochen hat. Auch die Sprecherin des Instituts für Menschenrechte begrüßte die Entscheidung und betonte:

„Der Ausschuss hat unter Hinweis auf seine bestehende Spruchpraxis hervorgehoben, dass die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung Grenzen hat. Zu diesen Grenzen gehört insbesondere die Verbreitung rassistischen Gedankenguts.“

Allerdings dürfte selbst bei Personen, die in der Vergangenheit Sarrazin kritisiert haben und daher die Einschätzung, dass er rassistisch argumentiert, teilen, strittig sein, ob dagegen mit den Mitteln des Strafrechts sinnvoll vorgegangen werden kann. Schließlich ist das Problem ja nicht nur Sarrazin, sondern seine in die Millionen gehenden zustimmenden Leser und Anhänger. Die werden natürlich noch mehr zu Sarrazin halten, wenn er sich als Märtyrer der Meinungsfreiheit inszenieren kann. Dazu besteht aber nach der Entscheidung kaum Gelegenheit. Sarrazin muss keine Wiederaufnahme abgeschlossener Verfahren befürchten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154132
Peter Nowak

Machtspiele um die Frauenquote

Wie eine Frage, die nur wenige betrifft, die innenpolitische Debatte der letzten Tage dominierte

Die schwarz-gelbe Regierungskoalition hat heute im Bundestag den Oppositionsvorstoß für eine Frauenquote in Aufsichtsräten abgelehnt. Die Redner der Regierungsparteien und der Opposition haben sich dabei gegenseitig Versagen vorgeworfen.

Während die Frauenquote von 320 Abgeordneten abgelehnt wurde, stimmten 277 dafür. Es gab eine Enthaltung – nicht von Ursula von der Leyen, sondern von Siegfried Kauder. Dass diese Abstimmung in den letzten Tagen eine so große innenpolitische Debatte auslöste und sogar die Stabilität der Koalition kurzzeitig in Gefahr gesehen wurden, liegt vor allem am beginnenden Bundestagswahlkampf. Davon war die gesamte Debatte bestimmt. Die Opposition aus Grünen und SPD war bei mehreren Landtagswahlen erfolgreich und hat so auch im Bundesrat eine Mehrheit. Sie steht aber vor dem Problem, dass trotz aller Erfolge die Merkel-Regierung scheinbar unangefochten ist und nach letzten Umfragen sogar für die gegenwärtige Regierungskonstellation wieder eine Mehrheit möglich werden könnte.

So muss die Opposition versuchen, alle Bruch- und Streitpunkte in der Koalition auszunutzen. Die Frauenquote in Aufsichtsräten eignet sich dazu gut. Der von SPD und Grünen dominierte Bundesrat hat sich für eine Frauenquote von 20 Prozent im Jahr 2018 ausgesprochen, die im Jahr 2023 auf 40 Prozent steigen soll. Während vor allem die FDP die Quote als Eingriff in das Privateigentum interpretiert und davon vom Wirtschaftsflügel der Union unterstützt wird, entdecken jüngere Politiker in der Union die Frauenquote durchaus als geeignetes Mittel, das auch von der Wirtschaft propagierte Ziel umzusetzen, Frauen als Ressource zu entdecken und zu nutzen.

Zur Wortführerin dieser Strömung hatte sich in den letzten Wochen die Arbeitsministerin Ursula von der Leyen entwickelt. Ihre Gegenspielerin ist Bundesfamilienministerin Kristina Schröder. Nach wochenlangem Streit hat sich die Union nun dazu durchgerungen, ab 2020 eine Frauenquote von 30 % zu fordern. Bis dahin soll die zurzeit praktizierte Flexiquote gelten. Dafür haben die schnelleren Quotenbefürworterinnen bei der Union zugesichert, nicht mit der Opposition zu stimmen. Diese Zusage hat, wie sich heute zeigte, die Probe auf das Exempel bestanden.

Eigentlich ein Luxusproblem

Dass sich zwei Ministerinnen mit Karriereoptionen streiten und das Ganze noch zu einer Gewissensfrage erklärt wird, bestimmte die innenpolitische Debatte der letzten Tage. Dabei geht es eigentlich um ein Luxusproblem für wenige Frauen. Für die Mehrheit der weiblichen Beschäftigten in Deutschland wird durch eine solche Frauenquote in den Aufsichtsräten der DAX-Konzerne nichts ändern. Eine Frauenquote in Aufsichtsräten ist genauso wenig ein Ausdruck für allgemeine Frauenemanzipation, wie eine Greencard für indische IT-Experten an der Diskriminierung von migrantischen Beschäftigten etwas ändert. So hatte die heutige Debatte und Abstimmung vor allem den Zweck, dass die beiden Lager sich noch mal gegenseitig vorwerfen konnten, zu wenig für Karrierefrauen zu machen und nur das eigene Lager zusammen zu halten.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154128
Peter Nowak

Grenzwertige Bilder erwünscht

Fotowettbewerb der EU-Agentur Frontex wird von Kritikern umgedeutet

Die EU-Grenzschutzagentur Frontex wird aus guten Gründen vor allem mit der Abwehr von Flüchtlingen und der Sicherung der Festung Europa verbunden. Durch einen Fotowettbewerb versucht die Behörde ihren Ruf aufzupolieren – in diesem Jahr mit einer besonders makabren Losung.
Unter dem Motto »Ties that bind: Bridging borders in modern Europe« (Schwellen, die verbinden: Brückengrenzen im modernen Europa) können Interessierte auch in diesem Jahr bis zum 30. April Fotos vom Geschehen an Europas Grenzen an die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen (Frontex) senden. Dem Gewinner winken 500 Euro, der zweite Platz wird mit 250 und der dritte mit 200 Euro vergütet.

»Die Beiträge sollen die Bedeutung und den Einfluss von Grenzen als Verbindungen in physischer, psychischer, sozialer, kultureller, ökonomischer und ethnischer Hinsicht zeigen«, heißt es in dem Aufruf im Internet. »Oft werden Grenzen als Hindernisse zwischen Bevölkerungen wahrgenommen. Selten werden sie hingegen als wichtige Wegscheide gesellschaftlicher Integration gesehen«, so Frontex.

Die Redaktion des linken Magazins »Prager Frühling« überschrieb einen kritischen Artikel zu dem Frontex-Aufruf mit den Worten »Menschenjäger auf Fotosafari«. Sie selbst wirbt jetzt, bei der vierten Auflage des Frontex-Wettbewerbs, erstmals für eine Beteiligung an dem Bewerb. Das Motto »Ties that bind« könne man mit »Schwellen, die verbinden« übersetzen. Doch »bind« wird im Englischen ebenso für »fesseln« benutzt und »tie« für Kabelbinder. »Wir wollen das Motto einer subversiven Lesart unterziehen und rufen auf, sich mit kritischen Beiträgen, die etwas anderes zeigen als ›die inspirierende Schönheit europäischer Landschaften‹ (Zitat aus dem Aufruf von Frontex) am Wettbewerb zu beteiligen«, heißt es auf der Internetseite.

»Frontex ist ein wichtiger Akteur bei der Grenzabschottung Europas und bei der gewaltsamen Abschiebung von Migrantinnen und Migranten«, begründet Stefan Gerbing vom »Prager Frühling« die Begleitung der Frontex-Aktion gegenüber »nd«. Er hielte es für begrüßenswert, wenn sich die Tätigkeit der Grenzschutzagentur in Zukunft auf Fotowettbewerbe beschränken würde. Allerdings sei das nicht zu erwarten. Der Fotowettbewerb selbst gehört zum Begleitprogramm des »Europäischen Tages für den Grenzschutz« (ED4BG) in Warschau. Bei dieser Konferenz, an der auch der Gewinner des Fotowettbewerbs teilnehmen darf, soll es zum Beispiel um »Grenzkontrollen in Zeiten der Krise« gehen. »Das ist das Problem, das wir thematisieren wollten«, sagt Gerbing. Dass womöglich ein Foto mit antirassistischer Aussage zu den Gewinnern zählen könnte, glaubt er nicht. Schließlich bestehe die Jury aus Angestellten von Frontex. Dagegen spricht auch die Auswahl der vergangenen Jahre. Sie zeigen Grenzpolizisten im Sonnenuntergang und auf einem Quad durch den Schnee rasen oder einen Schäferhund im Halbprofil, der Eisenbahnschienen beschnüffelt. »Subversion und Ironie waren dort bisher keine üblichen Mittel der künstlerischen Auseinandersetzung«, erläutert Stefan Gerbing.

Allerdings hat die Redaktion des »Prager Frühlings« zusätzliche Hürden eingebaut, um nicht von Frontex instrumentalisiert zu werden. So wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Teilnehmer nur Fotos einreichen sollten, die sich schwer umdeuten lassen. »Ein Foto mit einem Sticker der Kampagne ›Kein Mensch ist illegal‹ oder mit Anti-Frontex-Slogans ist vermutlich schwer seiner Aussage zu berauben.« Die Redaktion des »Prager Frühlings« habe sich auch mit Antirassismusgruppen beraten, betont Stefan Gerbing. Frontex selbst habe bisher nicht auf die »subversive Begleitung« des Wettbewerbs reagiert. Die Behörde vermeldete am Donnerstag vielmehr eine deutliche Abnahme von »illegalen Grenzübertritten« in die EU. Begründet wird diese Entwicklung mit einer schärferen Überwachung und dem Bau einer rund zehn Kilometer langen Zaunanlage am griechisch-türkischen Grenzfluss Evros.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/819176.grenzwertige-bilder-erwuenscht.html
Peter Nowak

Ausschreibung zum Fotowettbewerb bei Frontex: ed4bg.eu
Weitere Links zum Thema:

Frontex Europa
Aufruf vom »Prager Frühling

Lernen aus den Krisen der anderen


MIETEN Eine Veranstaltungsreihe beleuchtet das Thema „Wohnen in der Krise“ international

Von Spanien lernen heißt vielleicht siegen lernen: Wenn heute in den Räumen der Beratungsstelle der Berliner MieterInnengemeinschaft Eduard Baches aus Spanien über die dortigen MieterInnenproteste berichtet, dürfte das Interesse groß sein. Baches ist Aktivist der Plattform der Hypothekenbetroffenen, die eine Aktionsform bekannt gemacht hat, die sich in der letzten Zeit auch in Berlin verbreitet: der Widerstand gegen Zwangsräumungen von MieterInnen.

Solche gegenseitigen Lernprozesse sind ganz im Sinne der Berliner MieterInnengemeinschaft. Die hat mit AktivistInnen anderer Initiativen den Donnerstagskreis gegründet, der die Veranstaltungsreihe „Wohnen in der Krise“ vorbereitet. In unregelmäßigen Abständen werden MieteraktivistInnen aus dem Ausland eingeladen, um die Situation in ihrem Ländern vorzustellen. So berichteten vor einigen Wochen AktivistInnen aus dem polnischen Poznan über das Anwachsen der Containersiedlungen am Stadtrand für zwangsgeräumte Menschen. Warschauer AktivistInnen erzählten von ihrer Kampagne zur Aufklärung der Todesumstände von Jola Brzeska, die sich den Entmietungsplänen ihres Hauseigentümers entgegengestellt hat und am 7. März 2011 verbrannt in einem Wald bei Warschau aufgefunden wurde.

Im Juni soll der MieterInnenwiderstand in Griechenland Thema sein. „Wenn wir über den Tellerrand blicken stellen wir schnell fest, dass der Neoliberalismus die Ursache für die Probleme der MieterInnen in den unterschiedlichen Ländern ist“, erklärt ein Mitveranstalter. Die Veranstaltungsreihe sieht er als ein Angebot zur politischen Bildung. Dazu nutzen die AktivistInnen auch das Internet. Unter www.youtube.com/user/WohneninderKrise stellt die Gruppe bisher unbekannte Filme des internationalen MieterInnenwiderstands mit deutschen Untertiteln ins Netz.
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2013%2F04%2F18%2Fa0141&cHash=82f125dc6b0e55206b29bbfde00a9451

PETER NOWAK
19 Uhr, Beratungsstelle der Berliner MieterInnengemeinschaft, Sonnenallee 101

Zugenähte Lippen als Protestform

Weniger Suizide, aber unverändert viele Selbstverletzungen: Eine Initiative prangert die Folgen der deutschen Flüchtlingspolitik an.

BERLIN taz | Im vergangenen Jahr sind die Selbstmorde von Flüchtlingen in Deutschland zurückgegangen, doch die Zahl der Selbstverletzungen und Selbsttötungsversuche blieb unverändert hoch. Das ist das Fazit der aktualisierten Dokumentation „Die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“, die kürzlich von einer kleinen Gruppe der Antirassistischen Initiative Berlin (ARI) veröffentlicht wurde. Sie listet Vorfälle auf, die in der Regel keine Schlagzeilen machen.

„Es sind die zerstörerischen Lebensbedingungen der Flüchtlinge in den Lagern und Heimen, die den Menschen oft keine andere Wahl lassen, als sich selbst zu verletzen“, erklärte Elke Schmidt der taz. Seit fast zwei Jahrzehnten sammelt sie mit MitstreiterInnen Nachrichten über Gewalt gegen Flüchtlinge. „Wir überprüfen alle Informationen und verlassen uns nicht nur auf eine Quelle“, versichert Schmidt. Laut der Dokumentation nutzen Flüchtlinge Selbstverletzungen zunehmend als Protestform.

Aufgeführt sind verschiedene Hunger- und Durststreiks sowie das Zunähen der Lippen – Aktionen, mit denen Flüchtlinge öffentlich gegen ihre Lebensbedingungen protestierten. Zu den zentralen Forderungen der Flüchtlinge gehören die Abschaffung der Residenzpflicht und der Heime. Auslöser der bis heute andauernden Proteste war der Selbstmord des iranischen Asylbewerbers Mohammed Rahsepar im Januar 2012 in einem Würzburger Flüchtlingsheim.
http://www.taz.de/Fluechtlingsalltag-in-der-Kritik/!114709/
Peter Nowak

Gefährliche Flüchtlingspolitik

Ein Dokumentationsteam sammelt Nachrichten über die Folgen bundesdeutscher Flüchtlingspolitik, die in der Regel vergessen werden

Am 23. April 2012 brachte sich ein iranischer Flüchtling in der Würzburger Asylunterkunft mit den Scherben einer zerbrochenen Flasche schwere Schnittverletzungen bei. Am 3.Mai letzten Jahres schluckte ein tunesischer Abschiebegefangener im Haftkrankenhaus der Justizvollzugsanstalt Leipzig vier Schrauben und einige Tage einen zerbrochenen Löffel. Diese Informationen finden sich in der aktualisierten Dokumentation „Die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre tödlichen Folgen“, die die Antirassistische Initiative Berlin seit nunmehr 19 Jahren herausgibt.

Elke Schmidt hat mit einer Mitstreiterin 1994 das Projekt begonnen, nachdem sich der Onkel eines verschwundenen tamilischen Flüchtlings an die ARI wandte. Bei der Recherche stellte sich heraus, dass er mit 8 anderen tamilischen Flüchtlingen beim Grenzübertritt in der Neiße ertrunken ist. Zusammen mit einem Filmteam hat die ARI den Tod in der Neiße öffentlich gemacht. Seitdem sammelt das kleine Team Nachrichten über Todesfälle, Misshandlungen und Gewalt im Zusammenhang mit der deutschen Flüchtlingspolitik.

Gesammelt werden Informationen und Nachrichten, die es oft nur auf die hinteren Seiten de Regionalzeitungen bringen und schnell wieder vergessen werden. Im letzten Jahr ist die Zahl der Selbsttötungen von Flüchtlingen zurückgegangen, doch die Zahlen der Selbstverletzungen und Selbsttötungsversuche sind weiterhin sehr hoch. Die Gründe dafür sieht Schmidt in der existentiellen Angst vor der Abschiebung, dem „jahrelangen traumatisierenden Zustand des Wartens und Hoffens auf ein Bleiberecht und den zerstörerischen Lebensbedingungen der Flüchtlinge in den Lagern und Heimen“.

Wie die bundesweiten Flüchtlingsproteste begannen

Doch Schmidt betont, dass Suizidversuche und Selbstverletzungen nicht nur Ausdruck der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit sondern auch des Protestes sind: „Die Menschen wählen diesen Weg, weil sie keine andere Möglichkeit sehen sich zu wehren“. In der ARI-Dokumentation wird auch auf die Umstände des Selbstmordes des iranischen Flüchtlings Mohammed Rahsepar am 29. Januar 2013 im Flüchtlingsheim Würzburg eingegangen.

Wegen starker gesundheitlicher Probleme wollte der 29jährige Mann einen Arzt aufsuchen. Nachdem er nach stundenlangem vergeblichem Warten ins Flüchtlingsheim zurückkehrte, schloss er sich in sein Zimmer ein und erhängte sich. Nach seinem Tod demonstrierten 80 Mitbewohner in der Würzburger Innenstadt gegen ihre Lebensbedingungen. Es war der Beginn des bisher größten bundesweiten Flüchtlingswiderstands, der bis heute anhält. Ein Zeltdorf und eine besetzte Schule in Berlin-Kreuzberg sind die aktuellen Domizile von Flüchtlingen aus ganz Deutschland.

Erinnerung an ein Jubiläum

Die vielen Beispiele der zerstörerischen Folgen bundesdeutscher Flüchtlingspolitik sind aber noch aus einem weiteren Grund interessant. Sie verweisen auf einen Jahrestag, den bisher nur wenig politische Gruppen überhaupt registriert haben. Im Mai 1993 wurde vom Bundestag damals noch in Bonn das Asylrecht soweit eingeschränkt, dass kaum noch Menschen die Möglichkeit haben, einen langfristig gesicherten Aufenthalt zu bekommen.

An der Geschichte des kleinen Dokumentationsteam kann man die Konsequenzen gut aufzeigen. 1994 war die Festung Deutschland schon soweit Realität, dass ein Überqueren der Neiße tödlich enden konnte. So wie die ARI-Gruppe dmals diese tödliche Flüchtlingspolitik in Film und Text festhielt, erinnert sie sie weiterhin kontinuierlich daran, dass die bundesdeutsche Flüchtlingspolitik auch dann gefährlich und zuweilen auch tödlich ist, wenn nicht gerade Neonazis und deren Untergrund aktiv sind.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/154116
Peter Nowak

Rechte Angriffe auf linke Projekte

Arbeitskreis Antifa ruft auf zu Demonstration am Potsdamer Brauhausberg

»Requiem für Bombenopfer verlief friedlich«, titelte die »Märkische Allgemeine Zeitung« ihren Bericht über einen Trauergottesdienst zum 68. Jahrestag der Bombardierung Potsdams durch alliierte Flugzeuge am 14. April 1945. In der voll besetzten Nikolaikirche wurde ein Requiem aufgeführt, dass ausdrücklich den Opfern gewidmet war.

In einigen Reden wurde immerhin darauf hingewiesen, das die Nacht von Potsdam eine Folge des Tages von Potsdam sei – jener Inszenierung der Reichstagseröffnung, die gleich zu Beginn der Machtübernahme der Faschisten stand. Im Vorfeld hatte der Potsdamer Arbeitskreis Antifaschismus (ak antifa) eine geplante Protestaktion gegen die Ehrung abgesagt – mit Verweis auf Druck von Neonazis.

»Während die evangelische Kirche am heutigen Tag gegen das Unrecht der Welt – ganz besonders das von den bösen Alliierten in Potsdam verübte – betet, sehen wir uns derzeit mit neonazistischer Gewalt konfrontiert. Wir können und wollen unsere Energie nicht zum X-ten Mal auf die lächerliche Potsdamer Gedenkpolitik verwenden«, lautete die Begründung des ak antifa.

So hatten in der Nacht zum 10. April zwei bisher unbekannte Täter die Scheiben des linken Potsdamer Wohn- und Kulturzentrums »Olga« eingeworfen und darin einen vollen Dieselkanister abgestellt. Mittlerweile hat der Staatsschutz die Ermittlungen übernommen. Die Betreiber des Zentrums gehen davon aus, dass Rechtsextremisten hier einen Brandanschlag versucht haben. Bereits Anfang Februar war ein Brandanschlag auf das Kulturzentrum »Archiv« verübt worden. Zeitgleich waren die Fensterscheiben des Vereins »Chamäleon« einschlagen worden. »Alle diese Projekte treten in der Öffentlichkeit als links auf und stehen somit in besonderer Weise im Blickfeld von Neonazis«, heißt es vom Arbeitskreis. Er wirft Politikern und der Polizei vor, die rechten Angriffe herunterzuspielen.

»Wir dulden keine gewalttätigen Angriffe – von welcher Seite und gegen wen auch immer«, hieß es aus dem Büro des Oberbürgermeisters. Antifaschisten rufen zu einer Demonstration gegen die rechten Angriffe auf. Die Demonstration soll heute um 17.30 Uhr am Brauhausberg starten.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/818987.rechte-angriffe-auf-linke-projekte.html

Peter Nowak