„Es geht um Elitenherrschaft“

MITBESTIMMEN Modelle der Bürgerbeteiligung können durchaus kritisch gesehen werden, sagt der Kultursoziologe Thomas Wagner, der gerade ein Buch dazu veröffentlichte

taz: Herr Wagner, Sie haben sich in mehreren Büchern kritisch mit den verschiedenen Formen der Bürgerbeteiligungen auseinandergesetzt. Warum?

Thomas Wagner: Unter dem Stichwort Bürgerbeteiligung werden auch Gesellschaftsmodelle propagiert, die in Bezug auf die Partizipation großer Teile der Bevölkerung noch hinter die parlamentarische Demokratie zurückfallen.

Inwiefern?

Die Forderung nach der Direktwahl von PolitikerInnen erfreut sich etwa bei Wirtschaftslobbyisten wie Olaf Henkel großer Beliebtheit. Ihnen geht es dabei vor allem um eine plebiszitär abgesicherte Elitenherrschaft. Trotzdem wird diese Forderung auch von linken Parteien oft kritiklos unterstützt. Modelle der Bürgerbeteiligung werden so zum Herrschaftsinstrument. Einst kam der Ruf nach BürgerInnenbeteiligung aus dem alternativen Milieu. Mittlerweile versprechen sich maßgebliche Kreise aus Wirtschaft und Politik davon eine Imageförderung oder wollen damit der schwindenden Zustimmung von neoliberalen Reformprojekten entgegenwirken.

Können Sie Beispiele nennen?

Ein in Berlin viel diskutiertes Projekt war 2012 das BMW Guggenheim Lab. Hier wurde unter dem Stichwort „BürgerInnenbeteiligung“ Imagepflege für einen international agierenden Autokonzern getrieben. Es gibt auch viele weniger bekannte Beispiele. Bei Mediationsverfahren etwa stellen engagierte BürgerInnen Unternehmen ihre Expertisen zur Verfügung. Im Rahmen von BürgerInnenhaushalten sollen sie selbst entscheiden, an welcher Stelle gekürzt werden soll. Die Frage, ob und wie politischer Druck zur Verhinderung von Kürzungsprogrammen aufgebaut werden kann, wird dann gar nicht mehr gestellt.

Warum befürchten Sie, dass die Interessen einkommensschwacher Teile der Bevölkerung durch Bürgerbeteiligungsmodelle noch mehr unter den Tisch fallen?

Verschiedene Studien weisen nach, dass sich an BürgerInnenbeteiligungsmodellen stärker als in den traditionellen Parteien Angehörige der Mittelschichten engagieren. Die Interessen der Marginalisierten sind dort noch weniger vertreten als bei traditionellen Partizipationsmodellen wie Parteien und Gewerkschaften.

Ist Bürgerbeteiligung also eine Klassenfrage?

Es ist auf jeden Fall ein Fakt, dass sich marginalisierte Menschen selbst dann weniger an Volksentscheiden beteiligen, wenn sie von den Forderungen direkt betroffen sind. So ist 2010 in Hamburg eine vom Senat geplante Schulreform, die mehr Chancengleichheit für SchülerInnen aus der einkommensschwachen Bevölkerung bringen sollte, daran gescheitert, dass sich genau diese Teile der Bevölkerung nicht an der Abstimmung beteiligt haben. Den Ausschlag gaben die Hamburger Mittelschichten, die sich massiv gegen die Reform engagierten.

Auch die Wahlbeteiligung ist bei Marginalisierten niedriger als bei Angehörigen der Mittelschichten. Insofern kann man daraus doch kein Argument gegen Volksentscheide machen.

Wenn InitiatorInnen von Volksbegehren mit der direkten Demokratie argumentieren, müssen sie sich schon Gedanken darüber machen, wie marginalisierte Teile der Bevölkerung einbezogen werden können. Sonst ist es zumindest keine Demokratie für alle.

Was hieße das für das Tempelhof-Volksbegehren?

Auch hier wäre wichtig, dass MieterInneninitiativen sowie Erwerbslosen- und Migrantengruppen in die Diskussion einbezogen werden.

Thomas Wagner Jahrgang 1967, ist Kultursoziologe und hat sich in mehreren Büchern kritisch mit Modellen von direkter Demokratie und BürgerInnenbeteiligung auseinandergesetzt, u. a. „Demokratie als Mogelpackung“ sowie „Die Mitmachfalle“, erschienen bei Papyrossa

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F02%2F11%2Fa0128&cHash=133ea2e8d6c1867f8a7a01627

INTERVIEW PETER NOWAK

Snowdenium und die deutsche Lethargie

Links

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http://www.deutschlandfunk.de/ueberwachung-aus-den-usa-digitale-inquisition.858.de.html?dram:article_id=276957

[2]

http://tinyurl.com/nq8cced

[3]

http://jungle-world.com/artikel/2014/05/49236.html

[4]

http://www.bild.de/politik/inland/gerhard-schroeder/interview-zur-nsa-abhoeraffaere-34553370.bild.html

[5]

http://www.michael-hartmann-spd.de/

[6]

http://www.heise.de/tp/blogs/8/155821

[7]

http://www.presseportal.de/pm/30621/2657510/rheinische-post-spd-fordert-gegenspionage-deutschlands-gegen-die-usa

[8]

http://jungle-world.com/artikel/2014/05/49246.html

[9]

http://ennopark.de/uber-mich/

[10]

http://demonstrare.de/termine/01-02-idp14-international-day-privacy-berlin/

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http://www.v-r.de/de/title-0-0/ueberwachtes_deutschland-1007436/

Viel Kampf um die besten Platze – wenig Politik

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„Deutschland muss führen“

Links

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http://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/01/140131-Muenchner-Sicherheitskonferenz.html

[2]

http://www.heise.de/tp/artikel/40/40902/1.html

[3]

http://www.heise.de/tp/artikel/40/40902/1.html

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http://www.welt.de/debatte/kommentare/article124430809/Bundespraesident-Gauck-spricht-endlich-Tacheles.html

[5]

http://www.spiegel.de/politik/deutschland/sicherheitskonferenz-deutschland-muss-engagement-beweisen-a-950611.html

[6]

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=a1&dig=2014%2F02%2F03%2Fa0034&cHash=5c426758079f22bafc662377e65c014a

[7]

http://webarchiv.bundestag.de/archive/2007/0206/mdb/mdb15/bio/R/ruehevo0.html

[8]

http://www.seiten.faz-archiv.de/FAZ/20140121/fr1201401214165963.html

[9]

http://www.abgeordnetenwatch.de/dr_ursula_von_der_leyen-575-37774.html

[10]

http://www.frank-walter-steinmeier.de/

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http://www.v-r.de/de/title-0-0/ueberwachtes_deutschland-1007436

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http://www.heise.de/tp/blogs/8/155721

[13]

http://www.rebecca-harms.de/index.php/lesen/wdr-2-gespraech-zur-ukraine-harms-droht-mit-sanktionen-26842

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http://www.mccain.senate.gov/public/

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http://sicherheitskonferenz.de/

Agenda 2010 für die ganze Union

Die deutsche Wirtschaft drängt auf Ausweitung der unsozialen Politik auf alle EU-Mitgliedstaaten

Wenige Monate vor der Europawahl wird nicht nur in der Linkspartei heftig über die EU debattiert. Auch Wissenschaftler beteiligen sich, etwa bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Die deutschen Eliten haben den Blick von Europa längst abgewandt, lautet eine Erkenntnis des Politologen Ingo Stützle, der zusammen mit dem Wirtschaftswissenschaftler Stephan Kaufmann die Veranstaltungsreihe »Das neue Europa, die deutschen Pläne und die linken Kritiker« in Berlin leitet. Die Europäische Union werde in erster Linie als Sprungbrett für den Weltmarkt verstanden, weiß Stützle an Grafiken zu belegen. Aus denen geht hervor, dass die deutschen Exporte in den EU-Raum an Bedeutung verloren, die Wirtschaftskontakte nach China oder Indien hingegen gewachsen sind.

In der EU-Politik seien die Widersprüche zwischen den unterschiedlichen Kapitalfraktionen und dem Bankensektor in Deutschland gering, betonten Kaufmann und Stützle. Sie stützen sich dabei auf eine Studie des Politologen Frederic Heine und des Referenten für politische Ökonomie der Globalisierung bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Thomas Sablowski, in der sie die Haltung der deutschen Wirtschaftsverbände zur EU-Krise untersuchen.

Der Erhalt der gegenwärtigen Eurozone ist in der deutschen Wirtschaft weitgehend Konsens. Allerdings ist dort die Opposition gegen die Rettungspolitik der Europäischen Zentralbank groß. Stattdessen wird eine Kreditvergabepraxis mit stärkeren Sanktionsmöglichkeiten gegen Schuldnerländer gefordert. Eine Sonderrolle spielen die Verbände der Familienunternehmen, die sich gegen die europäische Rettungspolitik stellen und für einen dauerhaften Ausschluss Griechenlands aus der Eurozone aussprechen.

Heine und Sablowski sehen die Gründe für die große Einigkeit der Wirtschaftsverbände beim Umgang mit der EU-Krise in gemeinsamen Interessen. »Die einheitliche Befürwortung radikaler Disziplinar- und Sparmaßnahmen, wie im Fiskalpakt vereinbart, verweist darauf, dass sich das deutsche Kapital international in einer Gläubigerposition befindet«, schreiben die beiden Autoren. Mit der Austeritätspolitik werde der Euro als Hartwährung in der internationalen Wirtschaftskonkurrenz verteidigt.

Trotz des weitgehenden Konsenses in Sachen Austeritätspolitik unterscheidet die Studie zwischen einer stabilitätsorientierten und einer global-expansiven Gruppierung der deutschen Wirtschaft. Letztere sei in der Mehrheit. »Die europapolitische Vision dieser Gruppierung besteht in der Erhöhung der Ausbeutungsrate der Lohnabhängigen.« Im Kern gehe es um die Ausweitung der Agenda-2010-Politik auf die gesamte Europäische Union. Grund genug für eine Linke, sich auch theoretisch intensiver mit der herrschenden EU-Politik zu befassen.

Am 4. Februar um 19 Uhr wird die Veranstaltungsreihe mit dem Thema »Die Last der Linken mit Europa« am Franz-Mehring-Platz 1 fortgesetzt. Der Eintritt ist frei.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/922824.agenda-2010-fuer-die-ganze-union.html

Peter Nowak

Deutschland als selbstbewusste Nation

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Weltwirtschaftsforum tagte fast ohne Protest

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http://www.faz.net/agenturmeldungen/adhoc/optimismus-ueberwiegt-beim-weltwirtschaftsforum-2014-zweifel-bleiben-12770172.html

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http://www.weforum.org/

[3]

http://www.taz.de/Weltwirtschaftsforum-in-Davos/!131658/

[4]

http://weltsozialforum.org/

[5]

http://www.heise.de/tp/artikel/19/19302/1.html

[6]

http://www.heise.de/tp/artikel/4/4638/1.html

[7]

http://www.heise.de/tp/artikel/11/11079/1.html

[8]

http://nowef.noblogs.org/post/2014/01/25/communique-zur-anti-wef-rally-2014/

[9]

http://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/wef/Griechenland-hat-gewisse-Personen-nie-besteuert/story/28001463?dossier_id=2521

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http://www.taz.de/Weltwirtschaftsforum-in-Davos/!131684/

Der Traum heißt Europa

Bunker-Parties und Skaten auf den Ruinen des Realsozialismus: In der albanischen Hauptstadt Tirana entwickelt sich postsozialistisches metropolitanes Flair nach bestem Ostberliner Vorbild. Doch trotz des pulsierenden Stadtlebens träumen viele junge Albaner nur davon, ihr Land zu verlassen

Auf den ersten Blick macht das kegelförmige Gebäude den Eindruck einer Ruine, die aus irgendwelchen Gründen bisher nicht abgerissen wurde. Die Wände sind vollständig mit Graffiti besprüht. Der Putz bröckelt, die Stufen zum Eingang sind mit Moos und Gräsern überwuchert. An manchen Stellen weist die Fassade große Löcher auf. Sämtliche Fenster des Eingangstors sind zerschlagen. Kartons, Wellblech und Holzplatten können die Lücken nicht verdecken. Große Löcher geben den Blick in den riesigen, fast leergeräumten Innenraum frei. Schutt, zerschlagenes Mobiliar und eine Menge Glasscherben erinnern daran, dass dieses Gebäude bessere Zeiten gesehen hat.

Verlässt man das Universitätsviertel und die Innenstadt von Tirana, ändert sich das Straßenbild schnell. EU-Fahnen findet man dort nicht, dafür enge Straßen, in denen Handwerker an alten Maschinen sitzen. Pferdefuhrwerke fahren über die Straßen und ein junger Mann sucht am Straßenrand nach Gegenständen, die sich verwerten lassen. An einer Straßenecke haben Kinder einige Utensilien ausgepackt, die sie verkaufen wollen. Auch einige alte Taschenlampen und Batterien sind darunter. Nach Einbruch der Dunkelheit bringen sich an vielen Straßenecken Sexarbeiterinnen in Position.

Viele Menschen versuchen ihr Glück aber im europäischen Ausland. Auf Plakaten, die an verschiedenen Stellen in den albanischen Städten zu sehen sind, werden Busreisen von Tirana nach Mailand oder in andere italienische Städte angeboten. Viele Albaner versuchen, mit Jobs in Italien sich und ihre Familien über die Runden zu bringen. Mittlerweile arbeiten Hunderttausende Albaner in allen Branchen in Italien. Im Putzgewerbe sind sie ebenso zu finden wie bei der Ernte­hilfe, in der Pflege oder auf dem Bau. Nur wenige Arbeitsmigranten kommen in den Genuss geregelter Arbeitsverhältnisse, die meisten sind auf einige Monate befristet. Andere arbeiten ohne gültige Papiere. Ihnen droht stets Abschiebung und ihr Reiseweg ist immer noch abenteuerlich. Die Passagen mit Schlauchbooten über das Meer aber gehören heute in Albanien der Vergangenheit an. Noch vor zehn Jahren gab es von der albanischen Küste Bilder, wie wir sie heute von den nordafrikanischen Staaten kennen. Junge Albaner versuchten immer wieder, mit Schlauchbooten die italienische Küste zu erreichen, dabei kamen viele Menschen ums Leben. Die größte Tragödie ereignete sich am 9. Januar 2004, als mindestens 20 Jugendliche auf dem Weg von Nordalbanien nach Italien starben.

Neben Italien war Griechenland lange Jahre ein begehrtes Ziel für albanische Arbeitsmigranten. Doch mit der Verschärfung der Schulden- und Wirtschaftskrise gab es dort auch für viele ausländische Arbeitskräfte kein Auskommen mehr. Noch immer versuchen albanische Jobber am Hafen von Piräus und anderen Arbeitsstellen in Griechenland ihr Glück. Die Arbeitsbedingungen der albanischen Migranten sind auch im Ausland nicht ideal. Oft arbeiten sie zu wesentlich geringeren Löhne als die einheimische Bevölkerung. Der größte Teil des Lohnes geht nach Albanien und soll das Überleben der Familien sichern. Mittlerweile sind viele Albaner, die jahrelang im europäischen Ausland gearbeitet haben, wieder in ihr Herkunftsland zurückgekehrt. Besonders der Boom in der Baubranche hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen, aber auch Menschen aus ihren Wohnungen verdrängt.

Am Rande der Küstenstadt Durres reißt ein Bagger mit Abrissbirne gerade mehrere Häuser ein. Das Gelände wird von Mitarbeitern der Abrissfirma und Polizisten bewacht, die jeden Zutritt verhindern. »Hier musste ein Wohnpark einem Hotel weichen«, erklären zwei junge Männer, die am Zaun stehen. Mehrere ehemalige Bewohner, die gegen den Abriss protestierten, seien vor wenigen Tagen von der Polizei festgenommen worden, berichten sie. Selbst das albanische Fernsehen hatte in den Nachrichten über die Mieterproteste berichtet.

Für knapp drei Jahre gehörte es zu den Vorzeigeprojekten der sozialistischen Gedenk- und Erinnerungskultur. Hier wurde dem verstorbenen Gründer der Sozialistischen Republik Albanien, Enver Hoxha, nach seinen Tod ein High-Tech-Mausoleum errichtet, das bald nur noch »die Pyramide« genannt wurde. Kaum etwas an der Ruine erinnert heute noch an den futuristischen Bau, der hier einmal gestanden hat.

Ivo Shtrepi kann sich noch gut an das Gebäude mit den zahlreichen Spiegelfenstern erinnern, das nachts angestrahlt wurde. Er hat als Verwaltungsangestellter in den späten Jahren das Museum zweimal besucht. Als Rentner beobachtet er heute die Touristen, die ratlos vor der Ruine stehen und nach Informationen suchen.

Die »Pyramide« im Zentrum von Tirana barg keine Gold- und Silberschätze, sondern zahlreiche Videoprojektoren. Dort wurden in Kurzfilmen Szenen aus Hoxhas Leben nachgestellt. Besonders als Tierfreund sei er in Filmen häufig gezeigt worden, erinnert sich Shtrepi. Er kann sich an Filme erinnern, in denen der stalinistische Dik­tator mit Hunden zu sehen ist, in anderen habe er Schafe und Kühe gestreichelt. Daneben hingen im Museum Fotos, die Hoxha beim Händeschütteln mit zahlreichen Staatspräsidenten, vornehmlich aus dem realsozialistischen Lager, zeigen. Doch die albanische Pharaonenverehrung währte nur kurze Zeit. Der Pyramide, die 1988 mit einem großen Staatsakt eingeweiht worden war, wurden nach dem Umsturz 1991 zunächst sämtliche Mittel entzogen. In der Folge wurde das Gebäude mehrmals von der wütenden Menge gestürmt und die Inneneinrichtung zerstört. In den neunziger Jahren wurde auf Demonstrationen ihr baldiger Abriss gefordert.

Dass sie noch immer vor sich hin verrottet, hat nach Ansicht vieler hier politische Gründe. Direkt gegenüber wurde eine Kapelle errichtet. Eine ­Jesusfigur an ihrem Eingang weist mit der Hand auf das ehemalige Mausoleum. Eine Geste, die den Triumph der Kirche über den untergegangenen Sozialismus albanischer Prägung symbolisieren soll. Zudem wurde die Straße an der Rückseite des ehemaligen Mausoleums nach dem aus Polen stammenden Papst Johannes Paul II. benannt, dem seine Anhänger bescheinigen, zum Ende des Nominalsozialismus in Europa beigetragen zu haben. Dabei hatte der Sturz dessen albanischer Variante eine besondere Bedeutung, weil dort eine strikt antiklerikale Politik verfolgt wurde. Viele ehemalige Kirchen waren in Albanien zu Kindergärten und Krankenhäusern umfunktioniert worden. Vor dem Eingang des Mausoleums soll eine Freiheitsglocke an den Sieg über den Sozialismus albanischer Prägung erinnern. Während die meisten albanischen Passanten achtlos vorbeigehen, lassen sich Touristen oft beim Anstoßen der Glocke fotografieren.

Unter den vielen Menschen, die sich bei schönem Wetter an der Pyramide treffen, erinnern sich die wenigsten an die Zeit, als dort Enver Hoxhas gedacht wurde. Mittlerweile ist der Platz um die Mausoleumsruine zum angesagten Treffpunkt junger Menschen geworden. Denn anders als der unbelebte Platz mit dem monumentalen Skanderbeg-Denkmal, das im Zentrum Tiranas den albanischen Diktator glorifiziert, ist der Platz um die Pyramide ein Ort verschiedener Freizeitaktivitäten geworden. Skater und Sprayer haben auf den Wänden der Ruine unübersehbar ihre Spuren hinterlassen, Fassadenkletterer erproben ihre Künste an den steilen Mauern. Verblichene Poster erinnern an eine Plakatausstellung, die einige Künstler im Sommer vergangenen Jahres an den Wänden der Mausoleumsruine organisierten und die auch international beachtet wurde.

So wie die Pyramide hat ein weiteres Symbol der Hoxha-Ära eine Zweitverwertung erfahren. Es handelt sich um die berühmten Bunker, die in der sozialistischen Zeit überall in Albanien gebaut wurden. Über 750 000 dieser Schutzräume soll es Mitte der achtziger Jahre gegeben haben. In den überwiegend sehr kleinen Bunkern sollten sich Soldaten im Fall einer Invasion verschanzen. Allzuviel Schutz hätten sie nicht geboten. Während des Kosovo-Krieges, als einige Nato-Bomben irrtümlich über albanischem Territorium abgeworfen wurden, wurde auch ein Bunker getroffen und stürzte ein. Ob sozialistischer Pfusch die Ursache war, blieb allerdings unklar. Denn bereits in der frühen Nachwendezeit wurden zahlreiche Bunker zerstört, weil sich der Stahl unter dem Beton verwerten ließ. Hofften viele Menschen nach der Wende, dass über die Bunker schnell Gras wachsen würde, haben in den vergangenen Jahren junge Menschen die Unterstände als Party-Location entdeckt. Im Universitätsviertel von Tirana laden Flyer zur Bunker-Party ein. Auch die ersten Bunker-Hostels, in denen vor allem Individualtouristen während ihres Aufenthalts in Tirana sozialistischen Flair genießen können, haben mittlerweile geöffnet. Ein Bunker, der im Zentrum von Tirana nachgebaut wurde, soll dort neben einem Stück der Berliner Mauer die Befreiung vom Sozialismus symbolisieren und bietet Fototermine für Touristen. Schließlich war der Bunker ein weltweit bekanntes Symbol des Hoxha-Sozialimus.

Ein Besuch im albanischen Nationalmuseum kann tiefere Einblicke in diese Epoche liefern. In den großen Räumen des Gebäudes im Zentrum Tiranas wird nicht nur Kunst aus der Hoxha-Ära gezeigt. Auf Tafeln gibt es zu vielen Werken kurze Erklärungen in albanischer und englischer Sprache, die die Einordnung der Arbeiten erleichtern sollen. In einer Halle finden sich Bilder, die wohl Enver Hoxha, seine Frau und hohe Parteifunktionäre im Umgang mit der Bevölkerung zeigen. Solche Herrschaftsmalerei macht allerdings nur einen kleinen Teil der präsentierten Werke aus. Daneben finden sich Bilder, deren Malweise als modern, sogar als avantgardistisch bezeichnet werden kann. Auffallend häufig sind auf den Bildern Frauen in zentralen Funktionen im Betrieb, der Universität oder im Forschungslabor zu sehen. Sie sind entweder den Männern gleichgestellt oder haben sogar eine herausragende Position. In den Begleittexten wird erläutert, dass die von der Kommunistischen Partei propagierte Gleichstellung der Frau sich auch in der Kunst ausdrücken sollte.

Eine besondere Rolle spielten Frauen auch in der albanischen »Kulturrevolution«, für die ab 1967 nach dem chinesischen Vorbild gegen die »kleinbürgerliche Ideologie« mobilisiert wurde. Vor allem in ländlichen Regionen engagierten sich Frauen, unterstützt von der Kommunistischen Partei, gegen den Einfluss von Religion und Kirche. Wie sich die »Kulturrevolution« auf die Kunst auswirkte, wird im Nationalmuseum an der ­Geschichte einzelner Bilder erläutert. So wurden nach 1967 Kunstwerke, die nackte Frauen darstellten, aus den Museen und dem Stadtbild verbannt, weil sie nicht zum neuen Frauenbild passten. In dieser Zeit wurde gezielt versucht, die Kunst mit der Arbeitswelt in Kontakt zu bringen. So haben Arbeiterdelegationen unter Anleitung der Partei Ausstellungen besucht und es wurde über die präsentierten Werke diskutiert, oft in Anwesenheit der Künstler. In der Ausstellung sind mehrere Bilder zu sehen, die aus den Museen entfernt wurden, nachdem sie von den organisierten Arbeiterdelegationen kritisiert worden waren, weil sie angeblich nicht das reale Leben darstellten. Künstler, deren Werke häufiger Gegenstand der Kritik waren, sollten in der Produktion die Probleme der arbeitenden Bevölkerung besser kennenlernen.

Im Hof des Nationalmuseums kann man noch eine unfreiwillige Kunstaktion der besonderen Art bestaunen: drei Statuen, fast vollständig von hellen Planen verdeckt, nur ihre Füße sind zu erkennen. An den Umrissen kann man erkennen, dass es sich um die Denkmäler von Lenin, Stalin und Enver Hoxha handelt, die bis 1990 an verschiedenen Stellen in Tirana aufgestellt waren. Danach wurden sie abgebaut und sind seitdem im Hof der Nationalgalerie zwischengelagert. Dort findet der Besucher auch unverhüllte Statuten aus der realsozialistischen Ära, die geschicht­liche Ereignisse wie den Kampf gegen die italienischen Faschisten darstellen. Das Interesse an der Kunst im Sozialismus und am heutigen Umgang damit kann so groß nicht sein, zumindest ist die Zahl der Museumsbesucher gering.

Will man auf junge Menschen in Tirana treffen, braucht man nur die am Nationalmuseum angrenzenden Straßen entlangzugehen. In Bloku, in unmittelbarer Nähe zur Innenstadt von Tirana, wohnen viele Studenten. Überall in den vielen kleinen Cafés und Imbissstuben sitzen junge Leute mit ihren Smartphones, wie in jeder anderen europäischen Großstadt. An vielen Häuserwänden erinnern die langsam verblassenden bunten Streifen an die Ära von Edi Rama, der als Bürgermeister von Tirana etwas Farbe in das graue Häusermeer brachte. Heute ist der Sozialdemokrat albanischer Ministerpräsident und strebt eine EU-Mitgliedschaft für das Land an. Zumindest in Bloku scheint diese Forderung populär zu sein. An manchen Häuserwänden sieht man die blauen Fahnen mit den EU-Sternen. Ein EU-Infocenter nur wenige Straßen vom Hauptgebäude der Universität entfernt wird vor allem von jungen Leuten besucht, die in einem EU-Land studieren wollen. Ein Auslandsstudium ist auch deshalb so beliebt, weil es für albanische Hochschulabsolventen viel schwieriger als für andere ist, nach dem Studienabschluss im Ausland Arbeit zu finden. Das nämlich ist der Traum vieler junger Albaner. Schließlich kann das pulsierende Stadtleben von Tirana nicht über den niedrigen Lebensstandard großer Teile der Bevölkerung hinwegtäuschen.

Verlässt man das Universitätsviertel und die Innenstadt von Tirana, ändert sich das Straßenbild schnell. EU-Fahnen findet man dort nicht, dafür enge Straßen, in denen Handwerker an alten Maschinen sitzen. Pferdefuhrwerke fahren über die Straßen und ein junger Mann sucht am Straßenrand nach Gegenständen, die sich verwerten lassen. An einer Straßenecke haben Kinder einige Utensilien ausgepackt, die sie verkaufen wollen. Auch einige alte Taschenlampen und Batterien sind darunter. Nach Einbruch der Dunkelheit bringen sich an vielen Straßenecken Sexarbeiterinnen in Position.

Viele Menschen versuchen ihr Glück aber im europäischen Ausland. Auf Plakaten, die an verschiedenen Stellen in den albanischen Städten zu sehen sind, werden Busreisen von Tirana nach Mailand oder in andere italienische Städte angeboten. Viele Albaner versuchen, mit Jobs in Italien sich und ihre Familien über die Runden zu bringen. Mittlerweile arbeiten Hunderttausende Albaner in allen Branchen in Italien. Im Putzgewerbe sind sie ebenso zu finden wie bei der Ernte­hilfe, in der Pflege oder auf dem Bau. Nur wenige Arbeitsmigranten kommen in den Genuss geregelter Arbeitsverhältnisse, die meisten sind auf einige Monate befristet. Andere arbeiten ohne gültige Papiere. Ihnen droht stets Abschiebung und ihr Reiseweg ist immer noch abenteuerlich. Die Passagen mit Schlauchbooten über das Meer aber gehören heute in Albanien der Vergangenheit an. Noch vor zehn Jahren gab es von der albanischen Küste Bilder, wie wir sie heute von den nordafrikanischen Staaten kennen. Junge Albaner versuchten immer wieder, mit Schlauchbooten die italienische Küste zu erreichen, dabei kamen viele Menschen ums Leben. Die größte Tragödie ereignete sich am 9. Januar 2004, als mindestens 20 Jugendliche auf dem Weg von Nordalbanien nach Italien starben.

Neben Italien war Griechenland lange Jahre ein begehrtes Ziel für albanische Arbeitsmigranten. Doch mit der Verschärfung der Schulden- und Wirtschaftskrise gab es dort auch für viele ausländische Arbeitskräfte kein Auskommen mehr. Noch immer versuchen albanische Jobber am Hafen von Piräus und anderen Arbeitsstellen in Griechenland ihr Glück. Die Arbeitsbedingungen der albanischen Migranten sind auch im Ausland nicht ideal. Oft arbeiten sie zu wesentlich geringeren Löhne als die einheimische Bevölkerung. Der größte Teil des Lohnes geht nach Albanien und soll das Überleben der Familien sichern. Mittlerweile sind viele Albaner, die jahrelang im europäischen Ausland gearbeitet haben, wieder in ihr Herkunftsland zurückgekehrt. Besonders der Boom in der Baubranche hat in den vergangenen Jahren zahlreiche Arbeitsplätze geschaffen, aber auch Menschen aus ihren Wohnungen verdrängt.

Am Rande der Küstenstadt Durres reißt ein Bagger mit Abrissbirne gerade mehrere Häuser ein. Das Gelände wird von Mitarbeitern der Abrissfirma und Polizisten bewacht, die jeden Zutritt verhindern. »Hier musste ein Wohnpark einem Hotel weichen«, erklären zwei junge Männer, die am Zaun stehen. Mehrere ehemalige Bewohner, die gegen den Abriss protestierten, seien vor wenigen Tagen von der Polizei festgenommen worden, berichten sie. Selbst das albanische Fernsehen hatte in den Nachrichten über die Mieterproteste berichtet.

http://jungle-world.com/artikel/2014/04/49197.html

Peter Nowak

Syrien, die Folter und Heuchelei

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Viel Verständnis für militante Rechte

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Gefährdet die geplante transatlantische Freihandelszone Arbeitnehmerstandards?

Links

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http://medien-kunst-industrie.verdi.de/bereiche-fachgruppen/kunst-und-kultur/internationales/++co++167588b0-68ca-11e3-9ee3-52540059119e

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http://www.heise.de/tp/blogs/8/155630

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http://arbeitsunrecht.de/wp-content/uploads/2014/01/TTIP-Aufruf8_layout.pdf

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http://arbeitsunrecht.de/ttip-stoppen/

[5]

http://www.ilo.org/berlin/wir-uber-uns/lang–de/index.htm

[6]

http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—ed_norm/—normes/documents/normativeinstrument/wcms_c087_de.htm

[7]

http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—ed_norm/—normes/documents/normativeinstrument/wcms_c029_de.htm

[8]

http://tubuk.com/assets/pdf/gesellschaft_gefaengnisse.pdf

[9]

http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—ed_norm/—normes/documents/normativeinstrument/wcms_c100_de.htm

[10]

http://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—ed_norm/—normes/documents/normativeinstrument/wcms_c138_de.htm

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http://www.nrtw.org/rtws.htm

[12]

http://arbeitsunrecht.de/wp-content/uploads/2014/01/TTIP-Aufruf8_layout.pdf

[13]

http://syndikalismus.wordpress.com/2011/02/24/usa-wisconsin-generalstreik

[14]

http://www.rwe.com/web/cms/de/8/rwe/

[15]

http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/biblis-rwe-kann-wegen-atom-moratorium-auf-millionen-hoffen-a-943566.html

Soll die Linke die EU reformieren oder ablehnen?

Links

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http://www.die-linke.de/die-linke/aktuell

[2]

http://www.die-linke.de/fileadmin/download/parteitage/hamburg2014/leitantrag_parteivorstand/131209_leitantrag_parteivorstand_europawahlprogramm_neu.pdf

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http://www.taz.de/!130325/

[4]

http://www.taz.de/Kommentar-Europapolitik-der-Linkspartei/!130486/

[5]

http://www.juergen-klute.eu/de

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http://www.gipfelsoli.org/Home/Koeln_1999/8178.html

Deutschland jagt jugoslawischen Geheimdienstler

Links

[1]

http://www.sueddeutsche.de/bayern/mysterioeser-mord-vor-jahren-tot-in-der-garage-1.1424650

[2]

http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46174546.html

[3]

http://www.tagblatt.de/Home/nachrichten/ueberregional/politik_artikel,-Warum-der-Fall-des-Agenten-Josip-Perkovic-den-EU-Beitritt-Kroatiens-behindert-hat-_arid,242215.html

[4]

http://www.bka.de/nn_198448/DE/Fahndungen/Personen/BekannteTatverdaechtige/Perkovic/perkovicDeutsch.html

[5]

http://www.sueddeutsche.de/politik/streit-um-auslieferung-ueberschattet-eu-beitritt-merkel-sagt-besuch-in-kroatien-ab-1.1706918

[6]

http://www.n-tv.de/politik/Bestie-von-Appingedam-bleibt-frei-article12041966.html

[7]

http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/siert-bruins-prozess-gegen-ns-verbrecher-ohne-urteil-eingestellt-12742623.html

„Angriff auf Löhne, Soziales und Umwelt“

Links

[1]

http://ec.europa.eu/trade/policy/in-focus/ttip/index_de.htm

[2]

http://www.forumue.de/fileadmin/userupload/AG_Handel/TTIP/121113_PM_Buendnis_fordert_Stopp_der_Verhandlungen_ueber_transatlantisches_Freihandelsbkommen.pdf

[3]

http://www.verdi.de

[4]

http://www.nachdenkseiten.de/upload/pdf/131219_verdi_info_ttip.pdf

[5]

http://www.s2bnetwork.org/

[6]

http://www.nachdenkseiten.de

[7]

http://www.ged-shorts.de/#

[8]

http://www.nachdenkseiten.de/?p=17671#more-17671

[9]

http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/studie-freihandel-zwischen-eu-und-usa-nutzt-teilnehmern-a-906127.html

[10]

http://www.songtextemania.com/arbeitslosigkeit_umdenken_mister_-_umdenken_mister_songtext_franz_josef_degenhardt.html

[11]

http://www.ilo.org/

Kann man Troika-Politik einfach wegklagen?


Der Rechtswissenschaftler Fischer-Lescano kritisiert, dass die von Deutschland vorangetriebene Austeritätspolitik dem europäischen Rechtssystem zuwiderlaufe. Die Fokussierung auf den Rechtsweg könnte allerdings zu Illusionen führen

Der Rechtswissenschaftler Andreas Fischer-Lescano hat vor drei Jahren für innenpolitische Furore gesorgt, weil er das Plagiatsverfahren gegen den damaligen Verteidigungsminister Guttenberg ins Rollen brachte. Sein aktuelles Projekt würde, wäre es erfolgreich, sogar für Wirbel in ganz Europa sorgen.
In einem Gutachten, das der zur Zeit am Zentrum für Europäische Rechtspolitik lehrende Fischer-Lescano für den Europäischen Gewerkschaftsbund und die österreichische Arbeitskammer erstellt, kommt er zu dem Fazit, dass die wesentlich von Deutschland vorangetriebene Austeritätspolitik dem europäischen Rechtssystem zuwiderläuft. Da das Thema natürlich von allgemeinen Interesse ist, hat der Wissenschaftler eine Zusammenfassung seiner Thesen ins Netz gestellt. Das Fazit des 68-seitigen juristischen Gutachtens fasst Fischer-Lescano so zusammen:
1. Auch in der Finanzkrise sind die europäischen Organe und Institutionen zur Beachtung des Unionsrechts verpflichtet. Es gibt keinen Ausnahmezustand, der das Unionsrecht suspendiert. Die europäischen Institutionen müssen in ihrem institutionellen Eigeninteresse die existenziellen sozialen Fragen der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger ernst nehmen.
2. Die Europäische Kommission und die EZB sind an Grundrechte gebunden. Das bezieht sich auf die Grundrechtscharta, aber auch auf völkervertragliche Menschenrechtskodifikationen und Völkergewohnheitsrecht.
3. Durch ihre Beteiligung am Abschluss der Memoranda of Unterstanding beeinträchtigen EZB und Europäische Kommission zahlreiche der nach diesen Normen geschützten Rechte.
4. Durch ihre Beteiligung an der Aushandlung, dem Abschluss und der Durchsetzung der Memoranda of Unterstanding verletzen die Unionsorgane das Primärrecht. Sie handeln rechtswidrig.
5. Die Verletzung der genannten Menschenrechte kann zum einen vor europäischen Gerichten und Ausschüssen geltend gemacht werden. Aber auch Verfahren auf internationaler Ebene stehen zur Verfügung.
Zurück auf den Boden des Rechts?
In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau konstatiert Fischer-Lescano die bekannten Folgen der Austeritätspolitik:
„Die Tarifautonomien werden ausgehöhlt, Mindestlöhne gesenkt, Gesundheitskosten auf Patienten abgewälzt. Ähnliches gilt für den Bereich Bildung. Die Folgen dieser Politik sind von der Internationalen Arbeitsorganisation bis zum Europäischen Sozialausschuss, der die Einhaltung der Europäischen Sozialcharta überwacht, als menschenrechtswidrig kritisiert worden, weil sie gerade die besonders verletzbaren Gruppen – Kinder, Frauen, Migrantinnen und Migranten, Behinderte – benachteiligt; aber auch weil sie zu einer Verarmung geführt haben, die ganze Generationen in die Hoffnungslosigkeit treibt.“
Nun will der Rechtswissenschaftler „die Sparpolitik juristisch diskutieren“. Diesen vagen Begriff hat der Jurist sicher bewusst gewählt. Zumindest in der FR wollte er den populistischen Eindruck vermeiden, dass man die Troika-Politik wegklagen kann.
„Wenn einzelne Auflagen rechtswidrig sind, fällt nicht automatisch der gesamte Kreditvertrag, es werden nur einzelne Klauseln unwirksam. Es ist rechtlich ein alltäglicher Vorgang, dass ein Vertrag in Kraft bleibt, auch wenn einzelne Klauseln des Vertrages unwirksam sind.“
Im Taz-Interview will sich Fischer-Lescano auch nicht festlegen, hält aber erfolgreiche Klagen gegen die Folgen der Troika-Politik für möglich. Auf die Frage, ob ein griechischer Krebspatient, der seine Medikamente nicht mehr bezahlen kann, gegen die Kreditauflagen klagen könnte, antwortete der Wissenschaftler:
„Unter bestimmten Umständen: Ja. Es gibt ja bereits Klagen, aber sie richten sich meist direkt gegen die nationalen Umsetzungsakte, also etwa die griechische Regierung. Bislang werden die Handlungen der EU-Organe selbst nicht deutlich genug problematisiert. Dabei werden auf Unionsebene die menschenrechtswidrigen Weichen gestellt.“
Dass eine Klage griechischer Beamter gegen die Streichung des 13. Monatsgehalts vom Europäischen Gerichtshof nicht zugelassen wurde, begründete Fischer-Lescano damit, dass man hier einen falschen Präzedenzfall ausgesucht hat.
Nach dem Katheder- ein Juristensozialismus?
Dabei wird bei der Diskussion um den Rechtsweg nicht einmal die Frage gestellt, warum denn die Auftraggeber nicht koordinierte europäische Streiks als Konsequenz dieser Studie vorbereiten. Schließlich handelt es um die österreichische Arbeiterkammer und europäische Gewerkschaften, deren schärfstes Kampfmittel nun mal nicht der Gang vor das Gericht sein sollte. Zumal die in der Studie an zentraler Stelle kritisierte EZB noch in diesem Jahr im Osten von Frankfurt/Main ihre neue Zentrale eröffnet.
Dazu plant ein europäisches Bündnis bereits Proteste nach dem Vorbild der Blockupy-Aktionstage vom letzten und vorletzten Jahr. Würden die Aktionen von europaweiten gewerkschaftlichen Arbeitsniederlegungen begleitet, wie es sie in Ansätzen am 14. November 2012 gegeben hat, wäre die Zukunft der Troika-Politik tatsächlich wieder offen.
Es gibt bereits ein kleines europaweites Netzwerk mit dieser Orientierung. Doch dabei ist gerade die Fokussierung auf den Rechtsweg ein Problem. Die Vorstellung, ein schönes Leben ohne Diskriminierung, Ausbeutung, Ausgrenzung etc. auf dem Rechtsweg herbeiführen zu können, ist genau so illusionär wie das Bestreben der von Marx verspotteten Kathedersozialisten vor mehr als 150 Jahren, die soziale Gerechtigkeit durch kluge Staatspolitik herbeisehnten.
Dabei zeigt das Beispiel Portugal, dass sich juristische, soziale und gewerkschaftliche Kämpfe ergänzen können. Dort hat das höchste Gericht des Landes zwei Mal Teile der von der Troika diktierten Austeritätspolitik als unvereinbar mit der nach der Nelkenrevolution entstandenen Verfassung des Landes erklärt. Die sozialen Bewegungen und Gewerkschaften des Landes nutzen solche Entscheidungen, um ihre Anstrengungen zu erhöhen, mit Streiks und Demonstrationen diese Politik infrage zu stellen. Bisher ist es auch deshalb nicht gelungen, weil diese Auseinandersetzungen nationalstaatlich begrenzt waren und nicht europaweit koordiniert wurden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155609
Peter Nowak
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