Netzwerk gegen Rechtsruck

Junge Gewerkschafter_innen aus Ostmitteleuropa koordinieren sich

»Still loving Solidarity« und »We are buildung the Future« steht auf den Schildern, die etwa 100 meist junge Gewerkschafter_innen in die Höhe hielten. Das Gruppenfoto dauerte nur wenige Minuten. Dann wurden die Schilder wieder zur Seite gelegt. Schließlich ließ das Konferenzprogramm des europäischen Netzwerks junger Gewerkschafter_innen CEYTUN wenig Zeit für aktivistische Einlagen. Darin koordinieren sich Gewerkschafter_innen aus Tschechien, Ungarn, Deutschland, Österreich, Slowakei und Polen. Gegründet wurde das Netzwerk mit Unterstützung der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung, um junge Menschen in Ostmitteleuropa für gewerkschaftliche Funktionen zu schulen. Zum fünfjährigen Bestehen wurde nun in Berlin Bilanz gezogen. 

Liina Carr aus Belgien, die für den Europäischen Gewerkschaftsbund (EGB) arbeitet, zeichnete ein düsteres Bild über die Situation der Gewerkschaften in den osteuropäischen Ländern. Sie sprach von starken Einbrüchen bei der Mitgliedschaft. Vor allem in Sektoren, in denen oft junge prekäre Lohnabhängige beschäftigt sind, seien Gewerkschaften oft nahezu unbekannt. »Wenn sich dieser Trend fortsetzt, droht eine Tradition der solidarischen Kultur der Arbeiterbewegung verloren zu gehen«, warnt Carr. 

CEYTUN will genau das verhindern. Neben der sozialen Gerechtigkeit sind eine proeuropäische Positionierung und der Widerstand gegen Rechtspopulismus Grundlagen des Netzwerkes. Für Victoria Nagy aus Ungarn ist faire Mobilität eine zentrale Forderung. Schließlich arbeiten viele junge Menschen aus Ungarn, Polen, Tschechien und der Slowakei in Westeuropa zu oft schlechten Konditionen. Die jungen Gewerkschafter_innen setzen sich dafür ein, dass in den Ländern das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit gilt. Probleme ihrer Arbeit kamen nur am Rande zur Sprache, etwa dass die proeuropäische Haltung eher bei jungen Leuten mit Hochschulabschluss auf Zustimmung stößt, nicht aber bei Lohnabhängigen ohne akademische Ausbildung.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1091705.netzwerk-gegen-rechtsruck.html

Peter Nowak

Kann man Troika-Politik einfach wegklagen?


Der Rechtswissenschaftler Fischer-Lescano kritisiert, dass die von Deutschland vorangetriebene Austeritätspolitik dem europäischen Rechtssystem zuwiderlaufe. Die Fokussierung auf den Rechtsweg könnte allerdings zu Illusionen führen

Der Rechtswissenschaftler Andreas Fischer-Lescano hat vor drei Jahren für innenpolitische Furore gesorgt, weil er das Plagiatsverfahren gegen den damaligen Verteidigungsminister Guttenberg ins Rollen brachte. Sein aktuelles Projekt würde, wäre es erfolgreich, sogar für Wirbel in ganz Europa sorgen.
In einem Gutachten, das der zur Zeit am Zentrum für Europäische Rechtspolitik lehrende Fischer-Lescano für den Europäischen Gewerkschaftsbund und die österreichische Arbeitskammer erstellt, kommt er zu dem Fazit, dass die wesentlich von Deutschland vorangetriebene Austeritätspolitik dem europäischen Rechtssystem zuwiderläuft. Da das Thema natürlich von allgemeinen Interesse ist, hat der Wissenschaftler eine Zusammenfassung seiner Thesen ins Netz gestellt. Das Fazit des 68-seitigen juristischen Gutachtens fasst Fischer-Lescano so zusammen:
1. Auch in der Finanzkrise sind die europäischen Organe und Institutionen zur Beachtung des Unionsrechts verpflichtet. Es gibt keinen Ausnahmezustand, der das Unionsrecht suspendiert. Die europäischen Institutionen müssen in ihrem institutionellen Eigeninteresse die existenziellen sozialen Fragen der Unionsbürgerinnen und Unionsbürger ernst nehmen.
2. Die Europäische Kommission und die EZB sind an Grundrechte gebunden. Das bezieht sich auf die Grundrechtscharta, aber auch auf völkervertragliche Menschenrechtskodifikationen und Völkergewohnheitsrecht.
3. Durch ihre Beteiligung am Abschluss der Memoranda of Unterstanding beeinträchtigen EZB und Europäische Kommission zahlreiche der nach diesen Normen geschützten Rechte.
4. Durch ihre Beteiligung an der Aushandlung, dem Abschluss und der Durchsetzung der Memoranda of Unterstanding verletzen die Unionsorgane das Primärrecht. Sie handeln rechtswidrig.
5. Die Verletzung der genannten Menschenrechte kann zum einen vor europäischen Gerichten und Ausschüssen geltend gemacht werden. Aber auch Verfahren auf internationaler Ebene stehen zur Verfügung.
Zurück auf den Boden des Rechts?
In einem Interview mit der Frankfurter Rundschau konstatiert Fischer-Lescano die bekannten Folgen der Austeritätspolitik:
„Die Tarifautonomien werden ausgehöhlt, Mindestlöhne gesenkt, Gesundheitskosten auf Patienten abgewälzt. Ähnliches gilt für den Bereich Bildung. Die Folgen dieser Politik sind von der Internationalen Arbeitsorganisation bis zum Europäischen Sozialausschuss, der die Einhaltung der Europäischen Sozialcharta überwacht, als menschenrechtswidrig kritisiert worden, weil sie gerade die besonders verletzbaren Gruppen – Kinder, Frauen, Migrantinnen und Migranten, Behinderte – benachteiligt; aber auch weil sie zu einer Verarmung geführt haben, die ganze Generationen in die Hoffnungslosigkeit treibt.“
Nun will der Rechtswissenschaftler „die Sparpolitik juristisch diskutieren“. Diesen vagen Begriff hat der Jurist sicher bewusst gewählt. Zumindest in der FR wollte er den populistischen Eindruck vermeiden, dass man die Troika-Politik wegklagen kann.
„Wenn einzelne Auflagen rechtswidrig sind, fällt nicht automatisch der gesamte Kreditvertrag, es werden nur einzelne Klauseln unwirksam. Es ist rechtlich ein alltäglicher Vorgang, dass ein Vertrag in Kraft bleibt, auch wenn einzelne Klauseln des Vertrages unwirksam sind.“
Im Taz-Interview will sich Fischer-Lescano auch nicht festlegen, hält aber erfolgreiche Klagen gegen die Folgen der Troika-Politik für möglich. Auf die Frage, ob ein griechischer Krebspatient, der seine Medikamente nicht mehr bezahlen kann, gegen die Kreditauflagen klagen könnte, antwortete der Wissenschaftler:
„Unter bestimmten Umständen: Ja. Es gibt ja bereits Klagen, aber sie richten sich meist direkt gegen die nationalen Umsetzungsakte, also etwa die griechische Regierung. Bislang werden die Handlungen der EU-Organe selbst nicht deutlich genug problematisiert. Dabei werden auf Unionsebene die menschenrechtswidrigen Weichen gestellt.“
Dass eine Klage griechischer Beamter gegen die Streichung des 13. Monatsgehalts vom Europäischen Gerichtshof nicht zugelassen wurde, begründete Fischer-Lescano damit, dass man hier einen falschen Präzedenzfall ausgesucht hat.
Nach dem Katheder- ein Juristensozialismus?
Dabei wird bei der Diskussion um den Rechtsweg nicht einmal die Frage gestellt, warum denn die Auftraggeber nicht koordinierte europäische Streiks als Konsequenz dieser Studie vorbereiten. Schließlich handelt es um die österreichische Arbeiterkammer und europäische Gewerkschaften, deren schärfstes Kampfmittel nun mal nicht der Gang vor das Gericht sein sollte. Zumal die in der Studie an zentraler Stelle kritisierte EZB noch in diesem Jahr im Osten von Frankfurt/Main ihre neue Zentrale eröffnet.
Dazu plant ein europäisches Bündnis bereits Proteste nach dem Vorbild der Blockupy-Aktionstage vom letzten und vorletzten Jahr. Würden die Aktionen von europaweiten gewerkschaftlichen Arbeitsniederlegungen begleitet, wie es sie in Ansätzen am 14. November 2012 gegeben hat, wäre die Zukunft der Troika-Politik tatsächlich wieder offen.
Es gibt bereits ein kleines europaweites Netzwerk mit dieser Orientierung. Doch dabei ist gerade die Fokussierung auf den Rechtsweg ein Problem. Die Vorstellung, ein schönes Leben ohne Diskriminierung, Ausbeutung, Ausgrenzung etc. auf dem Rechtsweg herbeiführen zu können, ist genau so illusionär wie das Bestreben der von Marx verspotteten Kathedersozialisten vor mehr als 150 Jahren, die soziale Gerechtigkeit durch kluge Staatspolitik herbeisehnten.
Dabei zeigt das Beispiel Portugal, dass sich juristische, soziale und gewerkschaftliche Kämpfe ergänzen können. Dort hat das höchste Gericht des Landes zwei Mal Teile der von der Troika diktierten Austeritätspolitik als unvereinbar mit der nach der Nelkenrevolution entstandenen Verfassung des Landes erklärt. Die sozialen Bewegungen und Gewerkschaften des Landes nutzen solche Entscheidungen, um ihre Anstrengungen zu erhöhen, mit Streiks und Demonstrationen diese Politik infrage zu stellen. Bisher ist es auch deshalb nicht gelungen, weil diese Auseinandersetzungen nationalstaatlich begrenzt waren und nicht europaweit koordiniert wurden.
http://www.heise.de/tp/blogs/8/155609
Peter Nowak
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Fehlende Solidarität

Europaweit wollen Gewerkschafter am Mittwoch gegen die Sparprogramme der Regierungen protestieren. Koordinierte Gegenwehr kommt aber kaum zustande

Wenn der Europäische Gewerkschaftsbund zu einem kontinentweiten Aktionstag gegen die Sparprogramme der Regierungen aufruft, heißt das nicht, dass auch alle Länder folgen. Zwar ist in Brüssel eine zentrale Demonstration des ETUC geplant, und nach Angaben des stellvertretenden Generalsekretärs Joël Decaillon soll es auch in Griechenland, Spanien, Frankreich, Dänemark und Tschechien Proteste geben. Deutschland kommt in dieser Aufzählung allerdings nicht vor.   Nach der geringen Resonanz bei den Aktionen gegen das Sparprogramm der Bundesregierung stellt sich die Frage nach der Zukunft der Krisenproteste
Schon beim europäischen Aktionstag Ende September hatten Attac und andere politische Initiativen dafür gesorgt, dass in der Bundesrepublik überhaupt erkennbare Aktivitäten zu verzeichnen waren. Nun wollen hierzulande nicht einmal mehr die Unermüdlichen vor Banken und Ministerien Transparente hochhalten. Nach den nur mäßig besuchten Krisenprotesten Ende November, die allgemein als Misserfolg gewertet worden waren, und den dezentralen Gewerkschaftsaktionen, die kaum eine Rolle in der Öffentlichkeit spielten, kann das niemanden mehr überraschen.

Auf den ersten Blick sieht es in den Nachbarländern anders aus. Sozialproteste mit wochenlangen Streiks und spektakulären Aktionen sorgten vor allem in Frankreich, Griechenland und Spanien für Aufsehen. Doch auch dort konnten die Sparprogramme nicht verhindert werden.

Von der Wut zur Resignation

In Großbritannien rückten Demonstranten sogar der Königsfamilie auf die Pelle. Doch während Studierende und Schüler Prinz Charles und seine Ehefrau Camilla auf der Fahrt zu einer Theateraufführung im Auto bedrängten, stimmte eine Mehrheit im Parlament den Sparbeschlüssen zu. Seitdem befindet sich der liberale Regierungspartner in einer desolaten Situation – im Wahlkampf hatte man eine Erhöhung der Studiengebühren noch definitiv ausgeschlossen. Ein Bruch der Koalition ist aber unwahrscheinlich. Schließlich dürften die Regierungsparteien kaum Interesse an Neuwahlen haben. Vor allem den Liberalen wird ein Desaster prognostiziert.

Daran wird die konservative irische Fianna Fail im kommenden Januar kaum vorbeikommen. Trotz der erwarteten Wählerstrafe hatte Regierungschef Brian Cowen darauf bestanden, das Kürzungsprogramm vor dem Urnengang zu verabschieden. In der vergangenen Woche hatten vor dem Dubliner Parlament gerade einmal rund 1.500 Menschen protestiert, Ende November waren es immerhin noch mehr als 10.000 – da hatten sämtliche Oppositionsparteien und Gewerkschaften zum Protest aufgerufen.

Der Schritt von der Wut zur Resignation ist offenbar klein, wie sich nicht nur im besonders von der Krise gebeuteten Irland zeigt. In Griechenland haben sich linke Parteien und Gewerkschaften für heute zwar wieder auf Streiks und Demonstrationen vorbereitet. Doch ob sie damit an die Massenaktionen im Frühling anknüpfen können, ist fraglich. Auch unter den Hellenen hat sich nach der langen Mobilisierung gegen das EU-Krisenpaket Ernüchterung breitgemacht. Schließlich hat die sozialdemokratische Regierung, unterstützt von der konservativen Opposition, den Sparkurs für alternativlos erklärt. Hinzu kam der Schock über den Tod von drei Bankangestellten, die ums Leben kamen, als Anfang Mai am Rande einer Protestaktion gegen die Sparpläne ein Brandsatz in ein Kredithaus flog.

Wandelndes Bewusstsein

Das linke griechischen Zeitungsprojekts TPTG erklärt das Abflauen der Proteste in Griechenland auch mit einen Wandel im Bewusstsein bei Teilen der Lohnabhängigen gegenüber dem Umgang mit den Staatsschulden. Bisher habe bei vielen die Überzeugung dominiert, da sie selbst keine Schulden gemacht haben, müssten sie auch nicht bereit sein, für die Tilgung Opfer zu bringen. Inzwischen sei aber auch unter Arbeitern und Angestellten die Meinung weit verbreitet, dass alle Opfer bringen müssten, damit es mit Griechenland wieder aufwärts geht.

Wahrscheinlich gibt es noch einen anderen Grund: Die zahlreichen Aufrufe zur Solidarität, die von den Protestierenden in Griechenland auf dem Höhepunkt der Aktionen ausgesandt worden waren, wurden in anderen Ländern weitgehend ignoriert. Auch in Deutschland mokieren sich viele lieber über die „Pleite-Griechen“, für die Steuerzahler in Deutschland nun Hilfsleistungen erbringen müssten. Solche Stimmungen, die keineswegs nur auf die Bundesrepublik beschränkt sind, haben eine länderübergreifende Solidarität verhindert. Schöne Worte aus Anlass von Aktionstagen können darüber nicht hinwegtäuschen.

http://www.freitag.de/politik/1049-fehlende-solidaritaet

Peter Nowak