Verweilen zwischen Konsumtempeln

Diskussionsrunde im Abgeordnetenhaus widmet sich Gestaltungskonzepten für den Alexanderplatz

Der zentrale Raum zwischen Alex und Spree befindet sich ständig im Wandel. Zeit für eine Diskussion um Zukunft und Visionen für diesen in mehrfacher Hinsicht zentralen Ort Berlins.

Der Kalte Krieg zwischen Ost und West wurde auch in der Architektur geführt. Für den bekannten westdeutschen Architekten Joachim Schürmann begann Asien am Berliner Alexanderplatz. Seine Äußerung wurde am Montagabend auf einer Diskussionsveranstaltung im Berliner Abgeordnetenhaus mehrmals zitiert. Dorthin hatte die Linksfraktion zur Diskussionsveranstaltung unter dem Motto »Neues Denken vom Alex bis Spree« eingeladen.

Für den ehemaligen Berliner Kultursenator Thomas Flierl und die Linksparteiabgeordnete Carola Blum, die beide aus Ostberlin kommen, ist der Platz eine große Freifläche im Stadtraum. Für die Westberlinerin und Grüne Abgeordnete Antje Kapek ist die erste Erinnerung an den großen Platz in Ostberlin weniger schön. Sie lernte den Platz im Alter von 13 Jahren kennen, als sie mit ihrem Vater kurz nach der Maueröffnung in Ostberlin besuchte. Als Fraktionsvorsitzende ihrer Partei im Abgeordnetenhaus plädiert Kapek dafür, in die Planung über die Zukunft des Platzes sämtliche Interessengruppen einzubeziehen. Damit ist sie sich mit der Linkspartei einig. Ihr sei es besonders wichtig, die Menschen, die dort wohnen und die sich häufig dort aufhalten in den Mittelpunkt zu stellen, betont die stadtpolitische Sprecherin der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus Katrin Lompscher. Es sei eine besondere Qualität dieses Platzes, dass dort Menschen ohne Konsumzwang ihre Freizeit verbringen können. Das soll nach den Vorstellungen der Linken auch so bleiben.

Daher wendet sich die Partei auch gegen Pläne, die DDR-Geschichte am Alexanderplatz zu tilgen und dafür Anleihen an ein imaginiertes Berlin von vor 100 Jahren zu nehmen. Tatsächlich versuchen verschiedene Interessengruppen, auf die Gestaltung des Alexanderplatzes mit Konzepten Einfluss zu nehmen, die zum Ziel hätten, dass Menschen mit wenig Einkommen vom Platz vertrieben werden. Nach diesen Plänen soll sich der Platz ganz auf die Interessen der Touristen ausrichten. Johanna Schlack vom Fachbereich für Architektur an der TU Berlin sieht die konservativen Konzepte für den Alexanderplatz im Kontext der Berliner Stadtpolitik. Schon als der Palast der Republik abgerissen wurde, habe sie befürchtet, dass auch am Alexanderplatz bald die Abrissbagger rollen.

Den vor allem jungen Menschen mit wenig Geld, die ihren Lebensmittelpunkt am Alexanderplatz haben, widmete kürzlich die Galerie Haus am Lützowpark eine viel beachtete Fotoausstellung. Diese Menschen waren leider bei der Diskussion nicht vertreten. Dabei geht es auch um ihre Zukunft, wenn über die Perspektiven des Platzes gesprochen wird.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/937821.verweilen-zwischen-konsumtempeln.html

Peter Nowak

Wohnen statt Zitronen

Der Wohnraum für Menschen mit niedrigen Einkünften wird überall in Deutschland knapper. Eine Berliner Initiative hat deshalb ein Konzept für einen neuen so­zialen Wohnungsbau ausgearbeitet.

Deutschland rückt zusammen – so könnte man das Ergebnis einer Studie über das Wohnungsangebot für einkommensarme Familien zusammenfassen, die die Sozialwissenschaftler Timo Heyn, Reiner Braun und Jan Grade kürzlich im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung veröffentlichten. Gestützt auf eine Untersuchung in den 100 einwohnerreichsten Städten Deutschlands kommen die Wissenschaftler zu dem Resultat, dass immer mehr Menschen wegen niedriger Einkommen und zu hoher Mieten gezwungen sind, in kleineren Wohnungen zu leben.

»Rückzug aufs Hochbett« betitelte die Taz einen Bericht über die Studie. Diese machte auch deutlich, wie wenig die statistischen Daten über die Lebenswirklichkeit vieler Menschen aussagen. Im Durchschnitt stehen in Deutschland pro Person 42,7 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung. Doch in diesen Angaben bleibt die soziale Ungleichheit unberücksichtigt. Während Menschen mit hohen Einkommen in großzügigen Lofts häufig eine Wohnfläche in dreistelliger Quadratmeterzahl nutzen, sind immer mehr Menschen mit niedrigen Löhnen und Einkommen zum Zwangskuscheln gezwungen.

In Großstädten wie Berlin ist schon längst offensichtlich, dass der derzeitige Wohnungsbestand nicht mehr ausreicht. Doch welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, ist auch bei Gruppen umstritten, die sich gegen Räumungen und für erschwingliche Mietwohnungen engagieren. Das wurde jüngst anlässlich des erfolgreichen Volksbegehrens »100 % Tempelhof« deutlich. Während die Senatspläne zur Umgestaltung des ehemaligen Flug­hafen­areals weitgehend auf Ablehnung stießen, setzten sich nur wenige aus der außerparlamentarischen Linken mit den Forderungen nach einer weitgehend naturbelassenen Fläche kritisch auseinander.

Der Wirtschaftswissenschafter Birger Scholz war eine Ausnahme. »Sonderlich fortschrittlich war die deutsche Romantik nie. Größenteils war sie reaktionär und auf jeden Fall ziemlich apolitisch und eskapistisch. Als die Industrialisierung die feudalen Verhältnisse hinwegfegte, träumten sich die Romantiker an ferne Sehnsuchtsorte, dorthin, wo die Zitronen blühen. Im Jahr 2014 blühen in Berlin die Zitronen auf dem Tempelhofer Feld«, schrieb er in der Sozialistischen Zeitung. Sein Wunsch, das große Bündnis zur Verhinderung des Baus neuer Wohnungen aus »Piraten, Linkspartei, Grünen, Linksradikalen und neuroman­tischen Mittelschichten« möge beim Volksbegehren eine Niederlage davontragen, hat sich bekanntlich nicht erfüllt. Scholz gehört nun mit Gewerkschaftern, Sozialaktivisten, Mitarbeitern der Berliner Mietergemeinschaft und Wissenschaftlern zu den Erstunterzeichnern der Initiative Neuer Kommunaler Wohnungsbau (INKW), die ein Konzept für einen kommunalen Wohnungsbau erarbeitet hat, der vollständig aus öffentlichen Geldern finanziert werden soll. Ziel ist der Bau neuer Wohnungen mit erschwinglichem Mietpreis durch die Schaffung von öffent­lichem Eigentum.

»Im Gegensatz zu den Konzepten des Senats wollen wir keine Subventionen für private Eigentümer, damit die Miete für eine begrenzte Zeit erträglich bleibt. Darüber hinaus schlagen wir einen Umbau der Wohnungsbaugesellschaften vor, von der bisherigen privatrechtlichen Form hin zu Anstalten öffentlichen Rechts, damit sie nicht profitorientiert, sondern gemeinwohlorientiert arbeiten«, sagt Rouzbeh Taheri, Sprecher der INKW, der Jungle World. Die Beteiligung privater Unternehmen soll nach diesem Konzept ausgeschlossen sein. Das ist für Taheri auch eine Konsequenz aus dem Westberliner Korruptionssumpf der siebziger und achtziger Jahre, der den sozialen Wohnungsbau lange diskreditiert hat. »Die Korruption und die Misswirtschaft im sozialen Wohnungsbau wurde durch die Vermischung öffentlicher und privater Unternehmen erleichtert«, so der INKW-Sprecher, der die basisdemokratischen Elemente seines Konzepts betont. »Wir möchten eine starke Stellung und Mitbestimmung der Mieter in den Aufsichtsgremien der städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Nur die Kontrolle durch die Betroffenen kann Korruption verhindern«, erklärt Taheri optimistisch.

Er betont auch, dass das Konzept keine Rückkehr zum Plattenbau der sechziger und siebziger Jahre bedeute. Der damalige soziale Wohnungsbau sei vor allem durch den Bau von Großsiedlungen für eine Gesellschaft bestimmt gewesen, in der Normalarbeitsverhältnisse in der fordistischen Massenproduktion vorherrschten. »Diese Verhältnisse haben sich grundlegend geändert. Wir wollen Wohnungen, die den heutigen Bedürfnissen Rechnung tragen: Gebäude mit unterschiedlich großen Einheiten, umbaufähige Wohnungen, Einheiten für die verschiedenen Generationen, Bauabschnitte, die sich in die vorhandenen Stadtstrukturen einfügen«, sagt Taheri.

Auch der Regisseur des zurzeit in vielen Kinos gezeigten Films »Mietrebellen«, Matthias Coers, gehört zu den Erstunterzeichnern der INKW-Initiative. Für seine Unterstützung war entscheidend, dass bei der architektonischen Gestaltung der Neubauten den individuellen Bedürfnissen der Menschen Rechnung getragen werden soll. Dass Teile der stadt- und mieterpolitischen Gruppen den Neubau von Wohnungen mit dem Argument ablehnen, es müsse eine Bevölkerungsverdichtung verhindert werden, hält Coers für kurzsichtig. Er hofft, dass das Konzept der INKW hier eine Debatte anregt, die den Wohnungsneubau und den Erhalt bestehender Bauten verbindet.

Das ist auch das Ziel des Stadtsoziologen Andrej Holm, der das Konzept ebenfalls unterstützt. »Ob die neue Initiative einen Beitrag zur Stärkung der Mieterbewegung leisten kann, wird wesentlich davon abhängen, ob es den Initiatoren gelingt, die auch in den Protestbewegungen diskutierte Gegenüberstellung von Neubau und Bestand zu überwinden. So schön eine Vorstellung eines starken und sozialisierten öffentlichen Wohnungsbaus auch ist, ohne wirksame Strategien, die Mietsteigerungen auch im Bestand aufzuhalten, wird er keine Wirkung entfalten«, sagt Holm der Jungle World.

Von den im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien unterstützt bisher nur die Piratenpartei das Konzept. Von der Linkspartei, die sich in der Opposition wieder an manche sozialpolitischen Inhalte erinnert, die sie als Teil der Regierung vergessen hatte, hätte sich Taheri zumindest eine Reaktion auf das Konzept erwartet. Schließlich seien alle Oppositionsparteien angeschrieben worden. Die für den Wohnungsbau zuständige Abgeordnete der Linkspartei, Kathrin Lompscher, sagte dagegen, es habe vor der Veröffentlichung des Aufrufs keine Kontaktaufnahme der INKW mit ihrer Partei gegeben. Bei der Problemanalyse und den Zielen sei man sich in vielem einig, aber es gebe keine vollständige Übereinstimmung zwischen den Auffassungen ihrer Partei und dem ­INKW-Konzept. Über eine Unterstützung werde in den Gremien der Partei zurzeit diskutiert.

http://jungle-world.com/artikel/2014/26/50106.html

Peter Nowak

Mieter schicken Kreuzberger Rathausmitarbeiter in den Urlaub

„Mieten runter“ und „Kiez statt Profitwahnsinn“, lautete die Parolen auf den Transparenten, mit denen am 24. Juni mehr als 50 Mieter aus Kreuzberg mit einem Go-In im Rathaus des Stadtteils in der Yorkstraße   ihren Kommunalpolitikern  auf die Pelle rückten.

Zu ihren zentralen  Forderungen  gehörten  ein  berlinweiter  Umwandlungsstopp von Miet- in Eigentumswohnungen, ein sofortiges  und ausnahmsloses Umwandlungsverbot in allen Milieuschutzgebieten, die  Aufnahme aller von Verdrängung besonders stark betroffenen Innenstadtgebiete in die soziale  Erhaltungsverordnung und die Rekommunalisierung des privaten Wohnungs- und Mietshausbestandes durch die Einführung des berlinweiten Vorkaufsrechts eines nicht profitorientierten kommunalen Trägers.
Als besonderes Präsent an die Sachbearbeiter im Rathaus verteilten sie  eine für ein Jahr geltende Beurlaubung bei vollem Lohnausgleich. „Wir wollen damit deutlich machen, dass sich unsere Kritik nicht gegen die Sachbearbeiter sondern gegen die Politiker richtet,  erklärt Mieterin   Kerstin Coltrin.  Den Sachbearbeitern sei nicht zuzumuten, weiterhin gegen ihr Gewissen ausführender Arm in der Verdrängung langjähriger Mieter zu sein, so Coltrin. Die Freude bei den Beschenkten hielt sich allerdings in Grenzen. Sie reagierten überwiegend reserviert auf die Ausführungen der Mieter, in denen sie darlegten, dass  auch die  Sachbearbeiter auf ihrem Arbeitsplatz einer enormen psychischen Belastung ausgesetzt seien, da sie auf der einen Seite hautnah mit den Sorgen und Ängsten der Mieter  konfrontiert  sind und auf der anderen Seite von Investoren  massiv unter Druck gesetzt würden.    Der Grund für die Zurückhaltung des Rathauspersonals  mag auch darin liegen, dass die Mieter ihnen empfahlen, die Reisekosten bei Berlin Aspire Real Estate, Taekker oder BIMA einzutreiben. „Sie haben  sich viel zu lange auf Kosten der Mieter bereichert“, kritisierte der Mieter Johannes Spock, der ebenfalls an der Rathausaktion teilnahm. Die Namen dieser Firmen und Institutionen werden immer wieder genannt, wenn es um die Vertreibung von einkommensschwachen Mietern geht“, betont Spock.

Obdachlosenmagazin droht Zwangsräumung

Viele der am  Go-IN beteiligten Mieter kommen aus Kreuzberg und haben aktuelle Beispiele für die Vertreibungspolitik parat, von der neben Mieter auch nichtkommerzielle Projekte betroffen sind. So droht die Obdachlosenzeitung Querkopf ihre Redaktionsräume in der Blücherstraße 37 zu verlieren, in denen sie seit 2001 arbeitete. Zum 31.  März sollte sie die Räume verlassen. Eine Zwangsräumung soll jetzt gerichtlich durchgesetzt werden.  Da aber die  Kündigung an  ein Vorstandsmitglied des Querkopf geschickt wurde, das bereits vor  2 Jahren verstorben ist, dürfte das Zwangsräumungsbegehren gerichtlich zurück gewiesen werden und der Querkopf kann zumindest vorerst die Redaktionsräume behalten.  „Doch wir brauchen klare gesetzliche Regelungen, um solche Kündigungen zu verhindern“, begründete  Kerstin  Coltrin ihr Go-in ins Rathaus. Enttäuscht sind die Mieter über das völlige Ignorieren der Aktion durch die Medien.  „Für die scheinen Mieterproteste keine Konjunktur mehr zu haben, für uns schon“, so Johannes Spock.

aus:  MieterEcho online 26.06.2014

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/go-in-rathaus-kreuzberg.html

Peter Nowak

Das Erbe der Nachwendezeit erhalten

HAUSPROJEKT Die MieterInnen der Brunnenstraße 6/7 in Mitte kämpfen um neue, langfristige Verträge

Eines der letzten großen Hausprojekt aus der Nachwendezeit kämpft um seine Zukunft. „Wir bleiben alle – gegen Zwangsräumung und Vertreibung“: Solche Aufrufe kann man derzeit an den Wänden zum Eingang der Brunnenstraße 6/7 lesen. Seit einigen Wochen mobilisiert der „Verein zur Erhaltung der Brunnenstr. 6/7“ in eigener Sache: Es drohe eine kalte Räumung des Hausprojekts, hieß es kürzlich in einer Pressemitteilung des Vereins.

Grund ist ein Schreiben, der Eigentümerfirma Gawehn Grundstücks GmbH, in dem den BewohnerInnen zum 1. Mai Mieterhöhungen von 15 Prozent angekündigt worden wurden. Der Gebäudekomplex war bereits im Jahr 1990 besetzt worden. Am runden Tisch wurden damals sehr günstige Mieten ausgehandelt. Doch der Vertrag ist nun ausgelaufen.

„Für viele MieterInnen wäre die angekündigte Erhöhung finanziell nicht tragbar gewesen“, erklärte Brunnenstraßen-Bewohnerin Petra Lange gegenüber der taz. Daher sei man an die Öffentlichkeit gegangen. Die Mobilisierung hatte Erfolg, wie sich am Montagabend zeigte. Rund 50 Unterstützerinnen des Hausprojekts trafen sich mit Transparenten vor dem Rathaus Mitte. Sie begleiteten die BewohnerInnen der Brunnenstraße 6/7 und ihre AnwältInnen zur zweiten Verhandlungsrunde mit der Gawehn GmbH. Ergebnis: Die 15-prozentige Mieterhöhung ist vom Tisch.

Streit über Laufzeit

Doch vor allem über die Laufzeiten eines neuen Vertrags gehen die Vorstellungen von MieterInnen und EigentümerInnen weit auseinander. Während die Gawehn den Vertrag auf lediglich acht Jahre befristen will, fordern die MieterInnen eine dreißigjährige Laufzeit.

Im Gespräch mit der taz gibt sich der Geschäftsführer der Gawehn-Grundstücksverwaltung Uwe Heiland optimistisch, dass es trotzdem zu einer baldigen Vereinbarung mit den MieterInnen kommen wird. Er wolle ein „langfristiges Gemeinschaftswohnen zu sozialverträglichen Preisen in dem Gebäude“ garantieren. „Wir sind dabei auf einen guten Weg“, erklärte Uwe Heiland.

Ziemlich optimistisch

Auch Bewohnerin Petra Lange äußerte sich zufrieden vor allem über die kurzfristige Unterstützung. „Wir haben gezeigt, dass wir unsere Interessen am Verhandlungstisch, auf der Straße oder vor Gericht vertreten können.“ Für die nächste Verhandlungsrunde erwartet sie allerdings ein weiteres Entgegenkommen der Eigentümer. Denn: „Deren aktuellen Vorschläge sind noch nicht sozialverträglich.“

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bt&dig=2014%2F06%2F26%2Fa0197&cHash=2770348089bb8eee656f291810f6072b

Peter Nowak

Allmende soll weichen

Ein Kreuzberger migrantischer Verein muss seinen Sitz für profitablere Verwertung räumen

Die Räumungsfrist läuft. Doch mangels bezahlbarer neuer Büroräume ist der migrantische Verein Allmende bereit, seine jetzigen Räume zu besetzen – und es auf eine Räumung ankommen zu lassen.

»Herzlich willkommen zur Allmende« stand auf einer Tafel im Versammlungsraum des migrantischen Vereins in Kreuzberg. So freundlich wurden die mehr als 30 Menschen begrüßt, die sich Anfang dieser Woche in den Räumen des Vereins Allmende versammelt hatten. Neben Mitgliedern waren es Nachbarn und Aktivisten der Bündnisse »Zwangsräumungen verhindern« und »Kotti & Co«. Gemeinsam haben sie beratschlagt, wie die Verdrängung von Allmende aus ihrem Domizil in Kreuzberg verhindern werden kann. Bereits zum 1. Januar 2013 hätten die Räume verlassen werden müssen, weil der Hausbesitzer Diego Gross den Mietvertrag nicht verlängert hatte.

»2006 haben wir die Räume bezogen und hatten ein gutes Verhältnis mit dem Besitzer. Daher waren wir überrascht, als wir von ihm erfuhren, dass er die Räume anderweitig vermieten will und eine profitablere Verwertung anstrebt«, erklärt Ahmed Beyazkaya vom Allmende-Vorstand. Bislang hat der Verein noch eine Frist von einigen Monaten. Die Räumungsklage des Hausbesitzers soll am 29. Oktober 2014 verhandelt werden. Große Hoffnungen auf einen juristischen Erfolg machen sich die Allmende-Aktivisten indes nicht, weil es sich um einen leicht kündbaren Gewerbemietvertrag handelt.

»Zunächst haben wir neue Räume gesucht und dann festgestellt, dass wir keine bezahlbare Alternative finden«, berichtet Allmende-Aktivist Garip Bali. Zudem habe man den Hausbesitzer Gespräche angeboten. Auch eine moderate Mieterhöhung hätte man akzeptiert. Doch Gross sei nicht zur Rücknahme der Kündigung, sondern allenfalls zu einer Verlängerung der Räumungsfrist bereit gewesen. Nachdem der Verein ein Transparent aus dem Fenster gehängt hatte, auf dem auf Deutsch und Türkisch »Allmende bleibt« zu lesen ist, habe er auch dieses Zugeständnis zurückgenommen. »Das war für uns der Zeitpunkt, wo wir uns dazu entschlossen haben, uns politisch gegen die Räumung zu wehren«, erklärt Bali. Nun sei man auch bereit, die Räume zu besetzen und sich notfalls räumen zu lassen.

Nachdem Allmende bereits Nachbarschaftstreffen organisiert hatte, beratschlagten am Montag Initiativen und Nachbarn, vor allem aus Neukölln und Kreuzberg, wie Allmende unterstützt werden könne. Ein Bewohner des Neuköllner Hausprojekts Friedelstraße 54 informierte, dass das Haus kürzlich verkauft worden sei und sich die Bewohner ebenfalls gegen eine mögliche Vertreibung mit anderen Betroffenen koordinieren wollen. Andere Besucher des Treffens wiesen auf die langjährige politische Arbeit von Allmende hin. »In euren Räumen wurden Veranstaltungen gegen Rechtspopulisten und Neonazis vorbereitet. Ihr habt für eine solidarische Gesellschaft gestritten und diese Solidarität wollen wir jetzt zurückgeben, wenn wir euch gegen die Räumung unterstützen«, meint eine Frau. Auch Beyazkaya betont, Allmende habe sich nie als türkischer Kulturverein verstanden. »Wir kämpfen gegen Rassismus und Ausgrenzung in Berlin, wo wir wohnen«, erklärt er im nd-Gespräch. In den nächsten Wochen würden sie für diese Ziele auch in eigener Sache streiten. Hausbesitzer Gross erklärte dem »neuen deutschland«, dass Allmende die Sachlage offenbar falsch darstelle. Da es sich um ein laufendes Verfahren handelt, wolle er aber keine Stellungnahme abgeben. Sein Rechtsanwalt Helge Schulz erklärte auf Nachfrage, Allmende habe den Mietvertrag nicht rechtzeitig verlängert. Da die Räume bereits erneut vermietet seien, wäre eine Rücknahme der Kündigung nicht möglich.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/936520.allmende-soll-weichen.html

Peter Nowak

„Dann besetzen wir die Räume“

Solidarität mit Allmende!
Mieter/innen und nichtkommerzielle Projekte wehren sich gegen Vertreibung aus „Kreuzkölln“.

Seit fast 10 Jahre hat der migrantische Verein Allmende seine Räume am  Kottbusser Straße. 22-26. Zum 1.Janaur wurden sie vom Hausbesitzer Diego Gross gekündigt. Versuche die Kündigung zurückzunehmen seien ergebnislos gewesen, berichtet Vereinsmitglied Garip Bali. Dabei hätten sie sogar eine moderate Mieterhöhung akzeptiert. Zunächst habe man versucht,  neue bezahlbare Räume in der Nähe zu bekommen, berichtet Bali. Doch schnell habe man gemerkt, dass es diese Räume nicht gibt.  „Das war für uns der Zeitpunkt, wo  wir uns dazu entschlossen haben, uns politisch gegen die Räumung wehren“, erklärt Bali. Nun sei man auch bereit, die Räume zu besetzen und sich notfalls räumen zu lassen.
Allmende-Vorstandsmitglied Ahmed Beyazkaya  sieht auch eine Parallele zu ihrer poltischen Arbeit in den letzten Jahren. „Wir haben uns gegen Rassismus und soziale Vertreibung  in Berlin gewehrt, wo wir arbeiten und leben. Jetzt sind  wir selber von sozialer Vertreibung betroffen und hoffen auf Solidarität. Ein erstes Treffen von Nachbarn und Initiativen aus Kreuzberg und Neukölln war gut besucht. Anwesend waren auch Delegierte des Bündnisses gegen Zwangsräumungen, aber auch Mieter aus der näheren Umgebung. So berichtete ein Bewohner des Hausprojektes Friedelstraße 54 in Neukölln, dass ihr Haus kürzlich verkauft wurde. Die Mieter/innen  bereiten sich auf eine drohende Vertreibung vor und laden am Nachmittag des  6.Juli zu einem Nachbarschaftstreffen ein. Zudem wollen sich die Bewohner mit anderen von Räumung bedrohten Mietern und Projekten vernetzen.

Wegfall der sozialen Infrastruktur

Sowohl die Friedelstraße als auch Allmend liegen in einer Gegend, die unter dem Stichwort Kreuzkölln in den letzten Jahren eine massive Aufwertung erfahren hat.  Sie wurde als angesagter  Szenebezirk in den Medien gefeiert.   Damit war natürlich auch eine Wertsteigerung der Immobilien verbunden. Eigentümer können dort jetzt eine  wesentlich größere Rendite erzielen als noch vor einem Jahrzehnt. Die Leidtragenden sind neben Mieter/innen mit geringem Einkommen auch nichtkommerzielle Projekte und Vereine wie Allmende. Ein Mitglied der  Initiative „Zwangsräumungen verhindern“ erklärte, man habe anfangs nur von Vertreibung bedrohte Mieter unterstützt. Erst in der letzten Zeit habe ein Umdenken stattgefunden. Wenn Vereine wie Allmende keine bezahlbaren Räume in Kreuzberg und Neukölln mehr finden, bricht auch ein Stück soziale Infrastruktur weg. Daher  werde man auch Allmende und andere nichtkommerzielle Projekte bei ihren Widerstand gegen Vertreibung unterstützen.  Einige Wochen Zeit gibt es noch. Über die Räumungsklage gegen Allmende wird am 29.Oktober 2014 verhandelt. Unabhängig  vom Ausgang hat der Verein bereits seine Position klar gemacht. „Allmende bleibt“, heißt es auf Deutsch und Türkisch auf einem Transparent im Fenster.  Hausbesitzer Gross  erklärte gegenüber MieterEcho, dass Allmende die Sachlage offenbar falsch darstelle. Da es um ein laufendes Verfahren handelt, wolle er aber  keine Stellungnahme abgeben.

aus:

MieterEcho online 18.05.2014

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/allmende.html

Peter Nowak

Solidarität in eigener Sache

MIETE Der Kreuzberger Migrantenverein Allmende, der sich seit 2004 sozial und politisch im Kiez engagiert, soll seine Räumlichkeiten verlassen – und wehrt sich vor Gericht gegen die Kündigung

In den Räumen des Migrantenvereins Allmende in Kreuzberg wurden in den letzten Jahren zahlreiche Solidaritätsaktionen vorbereitet. Kundgebungen gegen Neonazis und RechtspopulistInnen unterschiedlicher Couleur standen besonders im Fokus des „Hauses für alternative Migrationspolitik und Kultur“, wie sich Allmende definiert. Am heutigen Dienstag nun wird es in den Räumen am Kottbusser Damm um Solidarität in eigener Sache gehen: Der Verein wehrt sich gegen die Vertreibung aus seinen Räumen.

Bereits zum 1. Januar 2013 hätte Allmende sein Domizil verlassen müssen, weil Hausbesitzer Diego Gross den Mietvertrag nicht verlängert habe. „2006 haben wir die Räume bezogen und hatten ein gutes Verhältnis mit dem Besitzer. Daher waren wir überrascht, als wir von ihm erfuhren, dass er die Räume anderweitig vermieten will“, sagte Ahmed Beyazkaya aus dem Allmende-Vorstand der taz. „Wir klagen gegen die Kündigung. Für Oktober ist der erste Verhandlungstermin anberaumt.“

Schlechte Chancen

Die Chancen eines rechtlichen Erfolgs werden von JuristInnen allerdings als nicht besonders gut bewertet, weil Vereine leichter kündbar sind als Mietwohnungen. Der Mietvertrag war ein sogenannter Optionsvertrag, der, wenn beide Seiten das möchten, regelmäßig verlängert werden kann.

Trotz allem organisiert Allmende Widerstand. Zu dem Treffen am heutigen Dienstag wurden neben NachbarInnen auch VertreterInnen von Vereinen und nichtkommerziellen Projekten in Kreuzberg und Neukölln eingeladen, die wegen steigender Mieten ebenfalls um ihre Räume fürchten.

Es soll dort um die Vorbereitung praktischen Widerstands gehen. „Wenn wir vor Gericht kein Recht bekommen, werden wir die Räume besetzen und es notfalls auf eine Zwangsräumung ankommen lassen“, kündigte Beyazkaya an.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=bl&dig=2014%2F06%2F17%2Fa0148&cHash=db951836b7ebf71d8e7a0ba7b3f60506

Peter Nowak

Soli-Veranstaltung: Heute, 19 Uhr, Allmende e. V., Kottbusser Damm 25-26, Kreuzberg

Bundessozialgericht auf Sarrazin-Kurs

Was sind angemessene Heizkosten?

Die Richter beziehen sich auf das Bundessozialgesetzbuch, in dem festgelegt ist: Der Staat zahlt für Bedürftige die Kosten für Wohnung und Heizung, „soweit diese angemessen sind“. Welcher Betrag in welcher Stadt angemessen ist, legen Länder und Gemeinden fest. Es sei denn, das Bundessozialgericht greift ein wie in Berlin. Dort hatte der christdemokratische Sozialsenator Mario Czaja 2012 eine neue Berechnungsgrundlage für diese Kosten vorgelegt. Demnach sind die Werteim Vergleich zu der linkssozialdemokratischen Vorgängerin im Sozialsenat Carola Bluhm um rund fünf Prozent gestiegen. Die Zahl der Zwangsumzüge sank innerhalb eines Jahres von 1.337 auf 612.

Die von Czaja erlaubten Mietkosten werden aus zwei Bestandteilen berechnet: der Bruttokaltmiete und den Heizkosten. Die Kaltmiete darf bei einer Person 343,50 Euro betragen, bei zwei Personen 412,20 Euro, bei vier Personen 547,40 Euro. Die Heizkosten werden nach der Größe des Hauses und der Heizungsanlage berechnet. Drei Personen in einer Doppelhaushälfte mit Ölheizung dürfen für 137,25 Euro im Monat heizen, die gleichen drei Personen in einem Mehrfamilienhaus mit Gasheizung aber nur für 100,50 Euro.

Wenn Erwerbslose wie die Reichen heizen dürfen

Die Grundlage für diese Werte war der bundesweite Heizspiegel [4], in dem die tatsächlichen Heizkosten von Zehntausenden Wohnungen verglichen und in vier Kategorien aufgeteilt werden. Die sparsamsten zehn Prozent kommen in die Kategorie „niedrig“, die nächsten 40
Prozent in „mittel“, es folgt die genauso große Kategorie „erhöht“, und die teuersten zehn Prozent ergeben die Kategorie „zu hoch“.

Czaja übernahm die Werte aus der Kategorie „zu hoch“ und erlaubte den Hartz-IV-Empfängern und anderen Bedürftigen damit, so teuer zu heizen wie die obersten zehn Prozent der bundesweiten Bevölkerung. Wenn die Betroffenen ihre Heizkosten auf ein Normalmaß reduzieren, können sie das Gesparte für eine höhere Kaltmiete ausgeben.

„Unser Ziel war es, eine rechtssichere Satzungsregelung zu schaffen, um Empfängerinnen und Empfängern von Kosten der Unterkunft und Heizung Flexibilität bei der Wohnungssuche zu ermöglichen und somit auch die Zahl der Umzüge zu reduzieren. Ein weiteres Ziel war es, die Zahl der Gerichtsverfahren zu reduzieren. Dies war auch gelungen“, erklärte [5] der Senator nach dem Urteil. Die für die Betroffenen relativ großzügige Regelung sollte auch möglichen Protesten von Erwerbslosen vorbeugen, die sich in Berlin durchaus nicht alles gefallen lassen und auch gelegentlich Unterstützung suchen [6], wenn sie einen Termin bei ihren Fallmanager haben.

Wenn Richterrecht entscheidet

Nicht nur dieses Urteil sollte einen kritischeren Blick auf die Praxis in Deutschland lenken, dass immer mehr Richter über alles und jedes entscheiden. Erwerbslosengruppen fragen mit Recht, wieso Richter, die in der Regel aus der Mittel- oder Oberschicht kommen und nie in die Kategorie der Hartz-IV-Bezieher fallen, darüber entscheiden, wie die Heizkosten für diese Gruppe gestaltet werden sollen?

Neben sozialpolitischen gibt es hier auch demokratietheoretische Probleme. Anders als Politiker gehen Richter nicht ausallgemeinen Wahlen hervor, sind oft kaum bekannt. Wenn es Empörung über Richterentscheidungen gibt, wird sofort davor gewarnt, die „freie Justiz“ unter Druck zu setzen. Damit soll ein Staatsapparat, dernicht erst bei der Entscheidung zu den Heizkosten massiv in die Politik und das Leben vieler Menschen eingreift, außerhalb der Kritik gestellt werden.

Diese Entscheidung des Bundessozialgerichts reiht sich ein in eine allgemeine Verschärfung der sozialen Lage von Erwerbslosen und Menschen im Niedriglohnbereich. So sind immer mehr Menschen wegen niedriger Löhne und Einkommen und hoher Mietengezwungen, in kleineren Wohnungen zu leben. „Weil die Mietpreise in den Ballungszentren steigen, leben dort immer mehr Familien in zu kleinen Wohnungen. Das erfordert Improvisation“, fasst [7] die Taz die Ergebnisse einer von der Bertelsmann-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie [8] zusammen. Gleichzeitig gibt es erste Befürchtungen [9], dass sich die als sozialdemokratische Regulierung der Mietkosten geplante Mietpreisbremse verzögern könnte. Das Urteil des Bundessozialgerichts ist also nur ein Baustein bei der Sarrazinierung der Gesellschaft.

http://www.heise.de/tp/news/Bundessozialgericht-auf-Sarrazin-Kurs-2220198.html

Peter Nowak

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Über den Kiez hinaus

Ein neues Buch stellt Ansätze für Organisierung im Stadtteil vor, die aufs Ganze zielen
Über gewerkschaftliche Organizing-Konzepte wurde in den letzten Jahren viel diskutiert. Organisierung kann aber auch im Stadtteil stattfinden. Der Berliner Politikwissenschaftler Robert Maruschke liefert nun eine gut lesbare Einführung in Geschichte, Theorie und Praxis dieses »community organizing«, das soziale Bewegungen in den USA entwickelt haben. Er grenzt sich dabei von liberalen Ansätzen wie etwa Bürgerplattformen ab, die nicht »von unten« wachsen, sondern die Bewohner in bestehende Strukturen einbinden sollen. Kritischer als andere Linke sieht er auch den amerikanischen Pionier der Stadtteilorganisierung, Saul Alinsky. Dieser propagiere zwar konfrontative Aktionsformen, stelle aber »Staat und Kapital« nicht in Frage und distanziere sich überdies von linken Gruppen, kritisiert Maruschke.

Statt dessen wirbt Maruschke für ein transformatorisches Organizingkonzept, das er bei einem Aufenthalt in den USA kennengelernt hat. Es hat zum Ziel, kapitalistische Strukturen zu überwinden, »revolutionär« zu sein. Dass die Praxis diesem Anspruch nicht immer entspricht, wird in dem Buch nicht verschwiegen. So betonen zwar viele transformatorische Organizinggruppen, nicht mit Repräsentanten von etablierten Organisationen zusammenzuarbeiten, beteiligten sich aber dennoch an der Wahlkampagne für Präsident Obama.

Im letzten, etwas kurz geratenen Kapitel behandelt Maruschke die Frage, wie sich Stadtteilorganizing auf Deutschland übertragen lässt. Positive Beispiele sieht er bereits, etwa in Berlin die Initiativen »Kotti & Co« sowie die Kampagne gegen Zwangsräumungen. Bei einer Veranstaltung in der Hauptstadt diskutierte Maruschke vor wenigen Tagen über Community Organizing als Modell für den Mieterkampf. Aus seiner Sicht kommt es nicht darauf an, nun alle mietenpolitischen Auseinandersetzungen mit einem neuen Label zu versehen. Doch die Initiativen könnten von dem Konzept lernen, dass eine langfristige Basisarbeit nötig sei. Dabei sei es für die Gruppenmitglieder wichtig, sich über ihre unmittelbare Alltagsarbeit hinaus mit der Geschichte sozialer Bewegungen sowie der kapitalistischen Gesellschaft auseinanderzusetzen. Das sei Voraussetzung für eine gesellschaftliche Praxis, die über das Bestehende hinausweist.

Robert Maruschke: Community Organizing – Zwischen Revolution und Herrschaftssicherung, Edition Assemblage, Münster 2014, 110S., 9,80 €.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/935587.ueber-den-kiez-hinaus.html
Peter Nowak

Mieter/innen protestieren vor der CDU-Bundeszentrale

„Ich wohne seit 46 Jahren in einer Wohnung  der Bundesfinanzverwaltung. Heute vertreten durch die Bundesverwaltung für Immobilienaufgaben. Hier habe ich mit meinem Ehemann unsere 2 Kinder großgezogen.     …  Nun  sind wir über  70 Jahre alt geworden und  werden  mit dem wahrscheinlichen  Verlust unserer Wohnung konfrontiert.“   Diese Sätze schrieb  die Rentnerin Babara Tharra in einen Brief  an Bundeskanzlerin Merkel.  Am  Nachmittag des  4. Juni  wurde er während einer Kundgebung in der Bundeszentrale der CDU abgegeben. Über 70 Menschen waren anwesend, darunter viele Mieter/innen der  Großgörschenstraße 25, 26, 27 und der  Katzlerstraße 10 + 11.  In einem der Häuser wohnt auch Frau Tharra. Wie sie befürchten auch die mehr als 50 anderen Mietparteien ihre Vertreibung.   Die Mieter/innen wandten sich  direkt an die Bundeskanzlerin, weil die Häuser  der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben  (BImA)  gehören. „Wir haben die Briefabgabe  und die Kundgebung genutzt,  um  dagegen zu  protestieren, dass sich die Bundesregierung  am Anheizen der Mietpreise beteiligt“, erklärt Antje Grabenhorst gegenüber MieterEcho. Die langjährige Gewerkschafterin ist Pressesprecherin der Interessengemeinschaft Großgörschenstraße/Katzlerstraße (IG  GroKA), in der sich viele Mieter der betroffenen Häuser organisiert haben.
„Rentner, die mehr 4  Jahrzehnte in den Häusern wohnen sind dort ebenso aktiv wie junge Ehepaare mit Kleinkindern“, berichtet Grabenhorst. An den Fenstern der Wohnungen hängen schon seit Wochen Transparente, auf denen unter Anderem zu lesen ist:“Auch wir Rentner wollen bleiben“ und „Merkel, wach auf“.

Seit Mai befürchten viele Mieter/innen, dass sie aus ihren Wohnungen vertrieben werden sollen. Damals erfuhren sie, dass  die Wohnungsbaugesellschaft GEWOBAG, die Interesse am Erwerb der Häuser bekundete hatte, ihr  Kaufangebot zurück zog,  weil  der er von der   BImA geforderte Preis zu hoch war.
Dafür machen die Mieter/innen, die von der Politik gesetzten Vorgaben verantwortlich,  an die sich die  BImA beim Verkauf der Wohnungen orientieren muss. Danach ist sie  zur wirtschaftlichen Verwertung der Wohnungen verpflichtet und muss sie zum Höchstpreis  veräußern.  „Für die Mieter/innen war der Rücktritt der GEWOBAG ein Alarmsignal“, erklärte   Grabenhorst. Gerade viele ältere Mieter/innen  verbinden mit dem  Name  der Wohnungsbaugesellschaft noch irgendeine Vorstellung von sozialem Wohnungsbau.  Nun befürchten sie, dass die Häuser an Investoren verkauft werden, die der hohe Preis nicht abschreckt, weil sie auf Mieterinteressen keine Rücksicht nehmen wollen.   Schreckensbilder von Sanierungsmaßnahmen, die die Mieter/innen zum Verlassen der Wohnungen  oder zum Leben auf einer Baustelle zwingen, machen die Runde. Doch diese Vorstellungen haben die Bewohner/innen auch aktiviert und wütend gemacht. Auf ihrer Kundgebung haben sie  mehrere Forderungen formuliert. Die  Mietshäuser sollen – wenn überhaupt –  ausschließlich an gemeinnützige, kommunale oder genossenschaftliche Wohnungsgesellschaften veräußert werden. Diese müssen die sozialverträgliche Vermietung sicherstellen, um eine Verdrängung der Bestandsmieter/innen durch unverhältnismäßige Mietsteigerungen zu verhindern. Entsprechend muss der Haushaltsausschuss seine Anweisungen an die BImA ändern. Den Mieter/innen  ist klar, dass diese Forderungen nicht durch einen  Brief an Merkel  umgesetzt werden. Die Kundgebung vor der CDU-Zentrale wird nicht ihre letzte Aktion gewesen, kündigen sie bereits an.

http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/grossgoerschenstr-bima.html

MieterEcho online 05.06.2014

Peter Nowak

Berliner Mieter wenden sich an Merkel

Union soll Wahlversprechen umsetzen

Mieter wollen vor der CDU-Zentrale gegen das Anheizen der Mietpreise durch die Bundesregierung protestieren.

»Die Union hat vor der Wahl versprochen, dass sie sich für eine Senkung der Mietpreise einsetzt. Jetzt wollen wir testen, was dieses Versprechen wert ist«, meint Erika Kranzler. Die Rentnerin wohnt seit zwei Jahrzehnten in der Großgörschenstraße 27 im Berliner Bezirk Schöneberg. Die Union hätte eine optimale Gelegenheit ihre Ankündigung umzusetzen. Denn das Haus gehört der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Daher haben die Mieter in einer ihrer Versammlungen beschlossen, sich mit einem Brief direkt an Angela Merkel zu wenden. Am 4. Juni soll er um 17.30 Uhr in der CDU-Zentrale abgegeben werden.

»Wir haben die Briefabgabe mit einer Kundgebung verbunden, auf der wir dagegen protestieren, dass sich die Bundesregierung am Anheizen der Mietpreise beteiligt«, erklärt Antje Grabenhorst gegenüber »nd«. Die langjährige Gewerkschafterin ist Sprecherin einer Protestgruppe, die sich IG Groko nennt und in der sich Mieter von fünf bundeseigenen Häusern in Schöneberg zusammengeschlossen haben. »Rentner, die drei Jahrzehnte in den Häusern wohnen, sind dort ebenso aktiv wie junge Ehepaare mit Kleinkindern«, berichtet Grabenhorst.

An den Fenstern der Wohnungen hängen Transparente, auf denen zu lesen ist: »Auch wir Rentner wollen bleiben.« Denn seit Mai befürchten viele Mieter, dass sie aus ihren Wohnungen vertrieben werden sollen. Dafür machen sie die von der Politik gesetzten Vorgaben verantwortlich, an die sich die Bundesanstalt beim Verkauf der Wohnungen orientieren muss. Demnach muss sie zum möglichen Höchstpreis veräußern. Die Wohnungsbaugesellschaft GEWOBAG, die Interesse an den Häusern bekundet hatte, trat deshalb vor einigen Monaten vom Kauf zurück. Der gefordert Preis war zu hoch.

»Für die Mieter war die Absage der GEWOBAG ein Schock«, sagt Grabenhorst. Für viele Ältere sei der Name noch irgendwie mit sozialem Wohnungsbau verbunden gewesen. Nun befürchten sie, dass die Häuser an Investoren verkauft werden, die auf Mieterinteressen keine Rücksicht nehmen. Schreckensbilder von Sanierungsmaßnahmen, die die Mieter zum Verlassen ihrer Wohnung oder zum Leben auf einer Baustelle zwingen, machen die Runde. Doch diese Szenarien haben die Bewohner auch wütend gemacht.

Mit der Kundgebung vor der CDU-Zentrale gehen sie nun an die Öffentlichkeit. Sie wollen dabei deutlich machen, dass die Verwertungsinteressen von Wohneigentum nicht über den Mieterinteressen stehen dürften. Die Mietshäuser sollen, wenn überhaupt, ausschließlich an gemeinnützige, kommunale oder genossenschaftliche Wohnungsgesellschaften veräußert werden, fordern die Mieter. Sozialverträgliche Mieten müssten garantiert werden, um die Verdrängung der bisherigen Bewohner durch unverhältnismäßige Steigerungen zu verhindern.

Ein Brief an Merkel wird nicht ausreichen, um diese Forderungen umzusetzen. Das ist der Mieterinitiative auch klar. Daher erhofft sie sich Unterstützung von anderen Berlinern.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/934912.berliner-mieter-wenden-sich-an-merkel.html

Peter Nowak

Peter Nowak

Neue Wohnungen kontra freies Feld?

Respekt für Mieter, bitte

Bewohner der Wisbyer Straße 6 organisieren sich gegen neuen Eigentümer Sascha Klupp

Die Inter Group ist für Mieter ein rotes Tuch. Bewohner wehren sich gegen Sanierungen, Politiker versprechen Prüfung des Bauantrags.

Zwei Drittel der 33 Wohnungen des Gebäudes stehen leer. Die offenen Türen geben einen Blick auf abgetragene Decken und Wände. Doch an einigen Wohnungstüren sind handgemalte Schilder angebracht. »Respekt bitte, hier wohnen Menschen«, steht dort geschrieben. Seit im Januar 2014 die Inter Stadt- und Wohnungsbau Grundbesitz GmbH Eigentümerin der Wisbyer Straße 6 in Prenzlauer Berg geworden ist, kann von einem respektvollen Umgang mit den Mietern keine Rede mehr sein. Cornelia Hentschel, die seit 25 Jahren in dem Haus wohnt, versucht seit zwei Wochen, die Folgen des schweren Wasserschadens zu beheben, der durch Bauarbeiten in der darüber liegenden Wohnung verursacht worden ist. Ob es ein Versehen oder eine gezielte Entmietungsstrategie war? Die noch verbliebenen zehn Mietparteien in dem Haus waren nach dem Eigentümerwechsel gewarnt. Denn der Geschäftsführer der Inter Group, Sascha Klupp, ist für viele Mieter ein »rotes Tuch«, wie es ein Bewohner der von Luxussanierungen betroffenen Gleimstraße 52 in einem Fernsehinterview formulierte. Ein Großteil der Mieter des Hauses hatte sich im Frühjahr 2012 an die Öffentlichkeit gewandt und über Entmietungsstrategien der Inter Group berichtet. Diese Methoden fanden auch in dem Film »Betongold« Eingang, der vergangenes Jahr Premiere hatte. Die Regisseurin Katrin Rothe wohnte in der Bergstraße 62, bis die Inter Group dort die Verwaltung übernahm.

150 bis 200 Euro pro Quadratmeter waren auch den Mietern in der Wisbyer Straße 6 geboten worden, wenn sie eine Mietaufhebungsvereinbarung unterzeichnen. Die Mehrheit der Bewohner des Hauses lehnte diese Angebote aber ab. Sie begannen, sich zu organisieren, kontaktierten Anwälte und Bezirkspolitiker. Am Mittwoch besuchte Pankows Grünen-Stadtrat Jens-Holger Kirchner mit einigen seiner Kollegen das Haus. Seine Behörde werde den Bauantrag noch einmal genau unter die Lupe nehmen, sagte Kirchner nach der Besichtigung. Sollte sich der Verdacht belegen lassen, dass die Sanierungsmaßnahmen nicht mit dem genehmigten Antrag übereinstimmen, könnte ein Baustopp die Folge sein, sagte der Baustadtrat. – Eine nd-Anfrage an die Inter Group blieb bisher unbeantwortet.

Kirchner wollte den Mietern indes nicht zu viele Hoffnungen machen. Er verwies darauf, dass in der letzten Zeit die Rolle der Vermieter deutlich gestärkt worden sei. Auch Michail Nelken von der Linkspartei nahm an dem Besuch teil. »Ich bin hier, um die Mieter zu unterstützen«, sagte der stadtentwicklungspolitische Sprecher der LINKEN im Bezirk Pankow.

Doch für den Geschäftsführer von Inter Group, Sascha Klupp, könnte es noch weitere Probleme geben. Noch während sich die Politiker in dem Haus von den Mietern informieren ließen, ging ein großes Aufgebot von Polizei und Zoll dem Verdacht der illegalen Beschäftigung auf der Baustelle nach. Über die Ergebnisse wollten die Beamten keine Angaben machen. Mittlerweile soll Klupp auch ein Haus in der Kreuzberger Wrangel- straße erworben haben. Noch ist seine Firma nicht im Grundbuch eingetragen. Doch die Mieter haben bereits eine erste Versammlung einberufen und wollen sich mit Initiativen in der Nachbarschaft vernetzen. Gegen den »Mann fürs Grobe« genannten Klupp wird auch dort Widerstand geleistet.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/933505.respekt-fuer-mieter-bitte.html

Peter Nowak

Brunnen 6/7 ist bedroht

Eigentümer verlangt von den Bewohnern des Hausprojekts in Mitte 15 Prozent mehr Miete

Es ist so etwas wie die letzte Trutzburg in der fast vollständig durchgentrifizierten Rosenthaler Vorstadt in Mitte: Doch jetzt soll auch das alternative Hausprojekt Brunnenstraße 6/7 weichen.

Das Plakat fällt auf. »Wir bleiben alle – gegen Zwangsräumung und Vertreibung« lautet der Slogan. Solche Aufrufe zu Protesten und Veranstaltungen gegen die Vertreibung von Mietern aus den Innenstadtteilen hängen zahlreich an den Wänden zum Eingang des alternativen Hausprojektes Brunnenstraße 6/7 in Mitte. Ab sofort können die Bewohner der Häuser allerdings selbst bestens Unterstützung gebrauchen. Denn die Gawehn Grundstücksverwaltung, der der Häuserkomplex in der Nähe des Rosenthaler Platzes gehört, hat allen Mietern des alternativen Wohnprojektes angekündigt, dass die Miete zum 1. Mai um 15 Prozent erhöht werden soll.

»Die Steigerung bewegt sich im gesetzlichen Rahmen«, sagt Moritz Heusinger dem »neuen deutschland«. Der Rechtsanwalt vertritt die Mieter der Brunnenstraße 6/7. Klein beigeben wollen die Bewohner des einst bundesweit bekannten Hausprojektes indes nicht. Vorerst zahlen die Bewohner der verschiedenen Hausflügel weiter die Miete in der bisherigen Höhe. Ob die Mietanhebung tatsächlich Bestand hat, hängt von der Auslegung des Vertrags ab, den die Gawehn Grundstücksverwaltung Ende der 1990er Jahre mit dem Verein zum Erhalt der Brunnenstraße 6/7 (VEB 7) geschlossen hat. Über den Verein koordinieren sich die verschiedenen Bewohner der Wohngemeinschaften und Hausflügel.

Das Projekt entstand während der Instandbesetzerbewegung in Ostberlin. Bereits 1991 schlossen die damaligen Bewohner Mietverträge mit der Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM). Nach jahrelangen ungeklärten Eigentumsverhältnissen kaufte Gawehn den Komplex mit insgesamt neun Häusern für drei Millionen DM. Die Hoffnung des Käufers, die Mieter schnell vertreiben zu können, erfüllte sich allerdings nicht. Stattdessen folgten jahrelange juristische Aus- einandersetzungen. Häufiger kam es zu handfesten Reibereien: Vor 15 Jahren beispielsweise eskalierte der Konflikt zwischen Eigentümern und den Bewohnern schon einmal. Es gab mehrere Polizeieinsätze, einen Teil der Wohnungen und der Kneipen hatte Gawehn zumauern lassen. Nach der Räumung einiger Wohnungen durch Polizisten wurden die Mieter ausgesperrt und durften nur gegen Vorlage ihres Personalausweises in ihre Wohnungen zurückkehren. Zur Verhinderung weiterer Konflikte hatten Bezirkspolitiker damals Eigentümer und Bewohner zu einem Runden Tisch geladen, bei dem sich die Beteiligten auf einen für die Bewohner vorteilhaften Vertrag einigen konnten. »Die Übereinkunft war das Ergebnis eines Kompromisses. Der Hauseigentümer musste seine Profiterwartungen senken«, sagt ein Mitglied des VEB 7 heute.

Jetzt muss zunächst geklärt werden, ob der Vertrag, den die Gawehn Grundstücksverwaltung mit den Bewohnern geschlossen hat, die Mieterhöhung nur für zehn Jahre oder grundsätzlich ausschließt. »Die Formulierungen sind an dem Punkt unklar«, sagt Rechtsanwalt Heusinger. Der VEB 7 sieht in diesem Punkt auch eine politische Frage. Gawehn habe vom Senat unter der Bedingung Sanierungsgelder erhalten, sozialverträgliche Mieten und den Erhalt der Brunnenstraße als linkes Wohnprojekt zu ermöglichen. »Mit den Mieterhöhungsschreiben ist unser Projekt von einer kalten Räumung bedroht«, warnen die Bewohner. Sie fordern neue Gespräche mit den Eigentümern. Auf das Angebot haben sie bisher allerdings keine Antwort erhalten. Von »neues deutschland« auf die Mietererhöhungen angesprochen, wollte sich die Gawehn Grundstücks- verwaltung nicht äußern.

Die Bewohner sehen das Miet- erhöhungsschreiben als »bewusste Konfrontation«. Sie sagen, dass sie sich wehren wollen. »Wir haben uns damals nicht räumen lassen und werden auch heute nicht gehen!« Dabei setzt das Projekt auch auf die Solidarität in der linken Szene. Erste Reaktionen sind ermutigend: Denn nicht nur andere Hausprojekte, sondern auch Nachbarn signalisieren Unterstützung. Viele lehnen die weitere Umwandlung des einst alternativen Kiezes in eine touristische Eventzone ab. Das hat auch der Kampf um den Erhalt des Schokoladens gezeigt.

Unklar ist, ob die Bewohner wie noch vor 15 Jahren auf die Unterstützung des Bezirks rechnen können. Der zuständige Baustadtrat von Mitte, Carsten Spallek (CDU), erklärte auf »nd«-Anfrage, ihm sei der Konflikt nicht bekannt. Eine Vermittlung zwischen Mietern und Gawehn kann sich Spallek aber vorstellen, wenn auch der Eigentümer dazu bereit ist.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/931916.brunnen-6-7-ist-bedroht.html

Peter Nowak

Keine Rebellion für Kiezromantik

Bisher waren Modelle des Organizing ein Thema der Gewerkschaften, nun werden sie auch von Mieterorganisationen diskutiert.

Wie soll man Personen bezeichnen, die sich gegen Mieterhöhungen wehren, Initiativen gegen Vertreibung in ihrer Nachbarschaft gründen oder sogar bereit sind, sich einer Räumung zu widersetzen? Die Berliner Regisseure Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers haben mit »Mietrebellen« einen treffenden Begriff gefunden. In ihrem gleichnamigen Film, der vorige Woche in den Kinos angelaufen ist, stehen Menschen im Mittelpunkt, die in den vergangenen zwei Jahren in Berlin den Mietenprotest getragen haben. Die verrentete Gewerkschafterin ist ebenso vertreten wie der autonome Fahrradkurier. Der Film porträtiert Menschen, die früher vielleicht selbst nicht daran gedacht hätten, sich an Protesten zu beteiligen. Die Besetzer der Seniorenbegegnungsstätte »Stille Straße« in Pankow und die »Palisadenpanther«, die sich mit Erfolg gegen die Mieterhöhungen ihrer Seniorenwohnanlagen gewehrt haben, stehen für eine neue alte Protestgeneration. Doch wer organisiert die Rebellen? Sind diese Proteste politisch oder handelt es sich eher um eine Form der Sozialarbeit, wie ein Mitglied des Berliner Bündnisses »Zwangsräumungen verhindern« fragte? Der Politikwissenschaftler Robert Maruschke hat in seinem kürzlich erschienenen Buch auf beide Fragen eine Antwort gegeben, die schon im Titel »Community Organizing« vorweggenommen wird.

Über Konzepte des Organizing wurde bisher vor allem in Gewerkschaften diskutiert. Maruschke liefert nun eine knappe Einführung in die Geschichte, Theorie und Praxis der Stadtteilorganisierung. Beide Konzepte sind in den sozialen Bewegungen der USA entstanden. Maruschke unterscheidet zwischen einer staatstragenden und einer transformativen Idee des Organizing. Er beginnt mit der Settlement-Bewegung von 1884 und endet mit heutigen Plattformen für Bürger und ähnlichen »Mitmachfallen«, wie der Sozio­loge Thomas Wagner verschiedene Konzepte von Bürgerbeteiligung nennt, die Mitbeteiligung versprechen, aber vor allem der reibungslosen Durchsetzung kapitalistischer Zwecke dienen (Jungle World 42/2014). Affirmative Modelle des Organizing wollen soziale Akteure mit dem kapitalistischen Staat versöhnen, oft werden sie von Unternehmen finanziert. Auch den US-amerikanischen Bürgerrechtler und Wegbereiter des Community Organizing, Saul David Alinsky, ordnet Maruschke als Vertreter dieser affirmativen Variante des Organizing ein. Alinsky wird auch in Deutschland von linken Gruppen häufig als Pionier der Stadtteilorganisierung verehrt und unkritisch rezipiert. Der Grund dafür liegt in seinem Plädoyer für konfrontative Aktionsformen. Diese sollten jedoch lediglich dazu dienen, von offiziellen Institutionen als Gesprächspartner anerkannt zu werden.

Staat und Kapital hat Alinsky nie in Frage gestellt, von linken Gruppen distanzierte er sich. Im Unterschied dazu betonte der frühere Maoist Eric Mann, den Maruschke als Pionier des transformatorischen Organizing präsentiert: »Organizing muss revolutionär ausgerichtet sein. Es muss Individualismus und jede Form von Eigeninteresse in Frage stellen, was nicht heißt, dass es Eigeninteressen nicht einbinden kann.« Maruschke benennt auch die Widersprüche in der Praxis des transformativen Organizing. Einerseits betonen dessen Vertreter in den USA, nicht mit Repräsentanten von bestehenden Organisationen zusammenzuarbeiten und sich konfrontativ mit dem Staat auseinanderzusetzen, anderseits haben sie sich an der Wahlkampagne für Barack Obama beteiligt. Als Beispiel für transformatives Organizing in Berlin nennt Maruschke »Kotti & Co.« und die Kampagne gegen Räumungen. Auch wenn sich diese selbstorganisierten Mieterinitiativen das Konzept des transformativen Stadtteil-Organizing nicht zu eigen machen, könnten sie davon etwas übernehmen. So betonen die Vertreter des transformativen Organizing in den USA, dass auch Stadtteile von Klassenunterschieden sowie rassistischen und patriarchalen Unterdrückungsverhältnissen geprägt sind, was ein gutes Argument gegen den Trend zur Kiezromantik ist.

http://jungle-world.com/artikel/2014/18/49774.html

Peter Nowak