„Mietrebellen“

„Der Markt ist eine Zumutung“

PROTESTKINO In „Mietrebellen“ zeichnen Matthias Coers und Gertrud Schulte Westenberg die Mieterproteste der letzten Jahre nach – und räumen mit Klischees über Betroffene auf

INTERVIEW PETER NOWAK

taz: Frau Schulte Westenberg, Herr Coers, wer sind eigentlich die „Mietrebellen“ Ihres gleichnamigen Films?

Matthias Coers: Wir haben mit dem Titel auf den Begriff der Mietnomaden reagiert, der von der Wohnungswirtschaft erfolgreich lanciert wurde. Damit wurde ein absolutes Nebenproblem aufgeblasen, um MieterInnen als BetrügerInnen zu diffamieren. Wir bezeichnen die MieterInnen als RebellInnen, die sich gegen Mieterhöhungen und Vertreibungen solidarisch wehren.

Können Sie ein Beispiel nennen?

Gertrud Schulte Westenberg: Das betrifft alle MieterInnen, die wir im Film zeigen. Ich will exemplarisch die Rentnerin Rosemarie Fließ nennen, die sich wenige Tage vor ihrer eigenen Räumung an einer Demonstration gegen die Räumung der Familie Gülbol in Kreuzberg beteiligte, obwohl sie sich nur noch mit Mühe bewegen konnte.

Die Beerdigung von Rosemarie Fließ, die zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung starb, ist ein zentrales Element des Films

Coers: Der Tod von Rosemarie Fließ hat die Dramaturgie des Films verändert. Meine Grundidee war zunächst, in dem Film die unterschiedlichsten Menschen zu zeigen, die sich gegen ihre Vertreibung wehren und so den Zuschauern Mut zu machen. Dieses Konzept war durch den Tod von Rosemarie Fließ nicht mehr aufrechtzuerhalten. Wir setzten die Beerdigung an den Anfang und wollten damit deutlich machen, dass Zwangsräumungen keine Seltenheit sind – und mitunter auch tödlich sein können. Doch so wie die meisten Zwangsräumungen ohne öffentliche Aufmerksamkeit über die Bühne gehen, werden auch Krankheit, Trauer und Tod der Mieter nach dem Verlust der Wohnung in der Regel nicht wahrgenommen.

Schulte Westenberg: Ich war als Mieterin von einer Modernisierungsankündigung mit angedrohter Mieterhöhung konfrontiert, schloss mich meinen NachbarInnen zusammen – und wir hatten Erfolg. Diese eigene Erfahrung hat mich sensibel für den MieterInnenprotest gemacht. Ich habe Menschen kennengelernt, die sich gegen Mieterhöhung und Verdrängung engagieren und war davon stark beeindruckt. Ich dachte mir, dass die eine Arbeit machen, für die eigentlich die Politik zuständig ist. Das war meine zentrale Motivation für den Film.

Der Film konzentriert sich sehr stark auf die einzelnen Protagonisten. Warum fokussieren Sie sich so auf die einzelnen Charaktere, auf das Persönliche des Protests?

Coers: Damit wollten wir die Unterschiedlichkeit der Mietrebellen deutlich machen. Die migrantische Rentnerin gehört genauso dazu wie der Fahrradkurier aus der autonomen Szene. Wir wollten so auch der Vorstellung entgegentreten, dass Menschen, die ihre Wohnung verlieren, mit den finanziellen Realitäten nicht zurechtkommen. In Wirklichkeit sind die ökonomischen Realitäten auf dem Mietenmarkt eine Zumutung für immer größere Teile der Menschen, bis hin zur Mittelschicht. Wir haben MietrebellInnen in Pankow und Spandau ebenso kennengelernt wie in Kreuzberg und Neukölln.

„Mietrebellen“ läuft morgen in den Kinos an – ist das Thema nun für Sie auserzählt?

Schulte Westenberg: Mich würde ein investigativer Film reizen, der nachzeichnet, wie der soziale Wohnungsbau in Berlin von der Politik zielstrebig gegen die Wand gefahren wurde.

Coers: MieterInnen als selbstbewusste TeilnehmerInnen in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen werden mich auch weiter beschäftigen.

„Mietrebellen“. Von Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers. Zu sehen ist der Film ab heute im Lichtblick-Kino (18 Uhr) und im Moviemento (18.30 Uhr). Weitere Termine: mietrebellen.de
http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=me&dig=2014%2F04%2F23%2Fa0099&cHash=a060d5ec1031d8497dc6cf4e920ab484
Interview: Peter Nowak

»Mietrebellen« im Kino

Gespräch mit Regisseur Matthias Coers

Heute um 18.30 Uhr hat im Kino Moviemento der Dokumentarfilm »Mietrebellen« Premiere, der die Berliner Mieterkämpfe der letzten beiden Jahren zeigt. Mit Regisseur Matthias Coers sprach Peter Nowak.

nd: Wie entstand das Konzept für den Film?
Coers: : Ich habe bereits seit Jahren Videoclips zu sozialpolitischen Themen gedreht. Meine Co-Regisseurin Gertrud Schulte Westenberg hatte bereits einen Film zur Hartz IV- und zur »Mietenproblematik gedreht. Wir haben uns bei der Videoarbeit kennengelernt.

Wir haben Ihr es geschafft, die Mietenrebellen vor die Kamera zu bekommen?
Anfangs gab es schon Zurückhaltung. Schließlich will niemand gerne in einer Notlage gezeigt werden, besonders, wenn er seine Wohnung verlieren soll. Doch gerade die aktiven Menschen haben uns auch vertraut und unsere positive Grundhaltung zu ihren Anliegen gespürt. So konnten wir eine Nähe herstellen, ohne die der Film nicht möglich gewesen wäre.

Der Film beginnt mit dem Tod der Rentnerin Rosemarie Fließ zwei Tage nach ihrer Zwangsräumung. Hat dies die Konzeption des Films beeinflusst?
Der Tod der Rentnerin hat nicht die Grundstruktur, aber die Dramaturgie des Films verändert. Unsere Grundidee war zunächst, die unterschiedlichsten Menschen zu zeigen, die sich gegen ihre Vertreibung wehren. Dieses Konzept war durch den Tod von Rosemarie Fließ nicht mehr aufrechtzuerhalten. Wir setzten die Beerdigung an den Anfang. Es ist ein extremes Ereignis. So wie die meisten Zwangsräumungen ohne öffentliche Aufmerksamkeit über die Bühne gehen, werden auch Krankheit und Tod nach dem Verlust der Wohnung in der Regel nicht wahrgenommen.

Warum sind auf dem Ankündigungsplakat einige der Mietrebellen abgebildet?
Wir wollten ihre Unterschiedlichkeit zeigen. Die migrantische Rentnerin ist ebenso betroffen wie der autonome Fahrradkurier. Damit wollten wir der Vorstellung entgegentreten, Menschen, die ihre Wohnung verlieren, kommen mit den finanziellen Realitäten nicht zu recht. In Wirklichkeit sind die ökonomischen Realitäten auf Immobilienmarkt eine Zumutung für immer größere Teile der Menschen bis hin zur Mittelschicht.

Haben Sie die Hoffnung, dass der Film etwas verändert?
Sicher wird niemand nach dem Film aus dem Kinosessel aufstehen und sagen, jetzt wehre ich mich gegen meinen Vermieter. Er ist aber ein Lehrstück. Wenn die Menschen in der Nachbarschaft erfahren, dass jemand von Mieterhöhungen betroffen ist, wissen sie durch den Film, dass es eine Alternative dazu gibt, die Verhältnisse ohnmächtig hinzunehmen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/930932.mietrebellen-im-kino.html

Interview: Peter Nowak

500 gedenken Rosemarie Fliess

»Zwangsräumungen können tödlich sein«, hat eine Frau auf ein selbstgemaltes Schild gemalt. Sie gehörte zu den mehr als 500 Demonstranten, die am Sonnabend durch Kreuzberg und Nordneukölln zogen, um der 67-jährigen Rentnerin Rosemarie Fliess zu gedenken, die vor einem Jahr kurz nach ihrer Zwangsräumung gestorben war. Schon am Freitag hatten 20 Aktivisten der Erwerbslosenbewegung an Fliess erinnert. Beide Aktionen waren von einem großen Polizeiaufgebot begleitet worden. Am Samstag sorgten rigide Vorkontrollen für Unmut unter den Teilnehmern. Mehrere Demonstranten mussten Transparente und Fahnen zurücklassen, weil die Stangen zu lang waren. Das große Polizeiaufgebot konnte die kämpferische Stimmung nicht dämpfen. Immer wieder rief Ali Gülbol auf deutsch und türkisch zur Organisierung gegen Vertreibung im Stadtteil auf und bekam dabei viel Zustimmung von den Anwohnern. Gülbol war selbst Opfer einer Zwangsräumung geworden.

»Die Räumung der Gülbols und der Tod von Rosemarie Fliess haben die Bewegung gegen Zwangsräumung nicht gelähmt, sondern gestärkt«, sagte eine Demons- trantin. Mittlerweile würden auch völlig unpolitische Leute die Kampagne gegen Zwangsräumungen um Unterstützung bitten.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/930069.500-gedenken-rosemarie-fliess.html

Peter Nowak

Mieter mahnen erneut

WOHNEN Initiativen veröffentlichen das zweite mietenpolitische Dossier. Sie fordern ein Vetorecht gegen die Privatisierung kommunalen Wohnraums

„Ein Recht auf Stadt für Alle“ lautet der Titel des zweiten mietenpolitischen Dossiers, das am Montag veröffentlicht wurde. Es richtet sich an die Fraktionen im Abgeordnetenhaus und in den Bezirksparlamenten, aber auch an Stadtteilinitiativen und MieterInnenorganisationen.

Ende 2012 hatten zahlreiche MieterInnen das erste Dossier vorgestellt. Dort hatten sie zehn Lösungsvorschläge für Probleme aufgelistet, die MieterInnen besonders betreffen. „Eineinhalb Jahre später hat sich unsere Situation nicht verbessert. Die Frist für eine solidarische Stadt läuft ab“, begründet Gerlinde Walther von der Dossiergruppe die zweite Mahnung an die Politik.

Bereits im Vorwort weisen die VerfasserInnen auf die Verantwortung der Politik hin. Noch 2011 habe Klaus Wowereit hohe Mieten als ein Zeichen wirtschaftlicher Gesundung bezeichnet. In den vergangenen Monaten habe die Große Koalition „mit einer Mischung aus Irrwegen, Placebos und Ankündigungen“ auf die Wohnungsnot reagiert. Zu den Irrwegen zählen die MieterInnen auch die Konzentration des Senats auf den Wohnungsneubau. Damit würde das Problem der hohen Mieten nicht gelöst. „Freuen können sich Investoren und Banken“, heißt es.

Die VerfasserInnen des Dossiers fordern den Erhalt bestehender Wohnungen zu bezahlbaren Preisen. Ein Vetorecht gegen die Privatisierung kommunalen Wohnraums gehört ebenso in den Forderungskatalog des Dossiers wie eine Begrenzung der Mieterhöhung bei einer energetischen Sanierung.

Download unter http://mietendossier.blogsport.de

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F04%2F08%2Fa0111&cHash=fe91103bcd85fdc8e726841102088e13

Peter Nowak

Beginn des Organisierungsprozesses

Stadtpolitische Gruppen diskutierten über das Recht auf günstigen Wohnraum und akute Verdrängungsgefahren
Der Kongress »Wem gehört die Stadt?« lotete die Perspektiven von Mieterprotesten und Widerstand gegen Zwangsräumungen aus – selbstkritische Töne inklusive.

Im Mathematikgebäude der Technischen Universität Berlin sah es am Wochenende aus wie in den Hochzeiten des politischen Aktivismus. Zahlreiche Plakate und Transparente mit politischen Slogans waren aufgehängt. »Recht auf Stadt« und »Keine Verdrängung von Hartz-IV-Empfängern an den Stadtrand« war dort unter anderem zu lesen.

Und genau um diese Themen drehte sich ein dreitägiger Ratschlag, zu dem Mieterinitiativen und stadtpolitische Gruppen aufgerufen hatten. Der Kreis der Beteiligten reichte von der Initiative »A 100 stoppen«, die sich gegen den Autobahnbau wendet, über die in der außerparlamentarischen Linken verankerten Gruppen »andere zustände ermöglichen« (aze), Avanti und FelS bis zum Berliner Energietisch und den Palisadenpanthern. Die Seniorengruppe hatte in den letzten beiden Jahren mit zahlreichen Aktionen verhindert, dass für sie die Mieten in einer Seniorenwohnanlage in Friedrichshain unbezahlbar wurden. Dass sie sich auch nach ihrem Erfolg im letzten Jahr weiter als Teil der Mieterbewegung sehen, machte ein Mitglied der Palisadenpanther in seinem Kurzbeitrag bei der Vorstellungsrunde am ersten Tag des Ratschlags deutlich.

Viel Applaus erhielten auch die Delegierten des Bündnisses »Zwangsräumung verhindern«. Gleich zweimal mobilisierte es in der letzten Woche gegen eine Zwangsräumung. Beide Male wurden die Proteste mit einem großen Polizeiaufgebot beendet. Doch weitere Proteste sind nicht nur in Berlin in Vorbereitung. Am 12. April wird in Kreuzberg mit einer Demonstration an die Rentnerin Rosemarie F. erinnert, die im letzten Jahr zwei Tage nach einer Zwangsräumung verstarb. Am 16. April will sich das Berliner Bündnis in Köln an den Protesten gegen eine Zwangsräumung in der Rheinmetropole beteiligen. Der erste Räumungsversuch dort war gescheitert, nachdem sich zahlreiche Menschen dem Gerichtsvollzieher in den Weg gestellt hatten.

Dass sich der Protest bundesweit ausweitet, sehen die Aktivisten als Erfolg. Auf dem Ratschlag gab es aber auch viele selbstkritische Töne. Die berlinweite Vernetzung lasse noch zu wünschen übrig. Eine lange beworbene Demonstration im letzten Jahr habe zu wenig Ausstrahlung gehabt, meinten einige Redner. Zudem würden Anlaufpunkte für von Räumung bedrohte Mieter fehlen. In Kreuzberg hat die von Mietern errichtete Protesthütte diese Funktion übernommen. In anderen Stadtteilen könnten Mieterläden diese Rolle einnehmen.

Einige Teilnehmer vermissten die Berliner Mietergemeinschaft auf dem Ratschlag. Schließlich hatte diese Organisation im April 2011 unter den Titel »Vorsicht Wohnungsnot« eine Konferenz organisiert, die den Auftakt der Berliner Mieterproteste bildete. Fast drei Jahre später ist die Aufbruchsstimmung verflogen. Doch die Aktivisten haben auch gezeigt, dass die alltägliche Kleinarbeit eine wichtige Rolle spielt. Das kann die Erstellung eines Blogs ebenso sein wie die Beratung und Begleitung der von Räumung Betroffenen zu Hausbesitzern und Ämtern. »Der Ratschlag war der Beginn unseres Organisierungsprozesses«, brachte ein Mitglied des Vorbereitungskreises auf den Punkt.

Dass die Teilnehmerzahl hinter den Erwartungen der Organisatoren zurückblieb, ist für viele ein Ansporn, noch mehr Öffentlichkeitsarbeit außerhalb linker Kreise zu leisten.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/929364.beginn-des-organisierungsprozesses.html

Peter Nowak

Mietrebellen auf der Leinwand

Ein neuer Film zeigt den Protest der letzten Jahre

Bis auf den letzten Platz war das Berliner Kino Moviemento gefüllt. Dort hatte am vergangenen Sonntag der Film «Mietrebellen» Premiere. Viele der Protagonisten saßen im Publikum. Der 75-minütige Film liefert eine Übersicht der vergangenen zwei Jahre stadtpolitischen Protests und Widerstands in Berlin. Er beginnt mit einer traurigen Szene. Sie zeigt die Beerdigung von Rosemarie Fliess. Die 67-Jährige Rentnerin war im April 2013 gestorben, wenige Tage nachdem sie aus ihrer Wohnung zwangsgeräumt wurde. Im Film erklärt sie wenige Tage vor ihrem Tod: «Ich bin ein Opfer der Zwangsräumung. Der Tod von Rosemarie Fliess hat kurzzeitig viele Menschen erschüttert und die Diskussion über ein Zwangsräumungsmoratorium zumindest für ältere und kranke Mieter angeregt.

Doch davon ist längst nicht mehr die Rede. Auch in Berlin werden täglich Menschen gegen ihren Willen aus ihren Wohnungen geräumt. Die Zahl derer, die sich dagegen wehren und an die Öffentlichkeit gehen, wächst langsam. Ihnen soll der Film Mut machen, was Gertrud Schulte Westenberg und Matthias Coers gelungen ist. Die beiden Filmregisseure machen deutlich, dass sie auf Seiten der Mietrebellen stehen. Daher gelingt ihnen ein sensibles Porträt der Menschen, die sich an verschiedenen Orten der Stadt gegen Vertreibung wehren.

Die verrentete Gewerkschafterin Nuriye Cengiz, die um den Verbleib in ihrer rollstuhlgerechten Wohnung in Kreuzberg kämpfte, hat im Film ebenso ihren Platz wie die »Palisadenpanther« und die Initiative »Stille Straße«. Diese beiden Seniorengruppen aus Friedrichshain und Pankow wurden über Deutschland hinaus bekannt, weil sie sich erfolgreich gegen ihre Verdrängung wehrten. Am Schluss des Films bezeichnet ein Aktivist die aktuelle Diskussion um die Mietpreisbremse als eine Reaktion auf die Proteste. Regisseur Mattias Coers sieht darin eher ein Placebo. »Jedem, der sich mit dem Wohnungsmarkt kritisch auseinandersetzt, wird klar, dass die neuen Regelungen der sogenannten Mietpreisbremse schon von der Wahl der Begrifflichkeit her in erster Linie dazu gedacht sind, die Bevölkerung zu beruhigen.«

Damit das nicht gelingt und die Proteste weitergehen, liefert der kurzweilige Film neben Ermutigung auch Anregungen. So wird im Film gezeigt, wie Aktivisten im Schenkendorf im Umland von Berlin auf Spurensuche begaben. Dort hatte einer der Immobilienhändler, der die Zwangsräumungen von Wohnungen in Berlin vorantrieb, ein altes Schloss gekauft. Es steht seitdem leer und verfällt. Mehrere Dorfbewohner wollen das Schloss wieder der Öffentlichkeit zugänglich machen.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/929051.mietrebellen-auf-der-leinwand.html

Peter Nowak

Und die Miete steigt

Die geplante sogenannte Mietpreisbremse mag die SPD in der Regierung beruhigen, die betroffenen Mieter hingegen nicht.

Es mag länderspezifischem Patriotismus geschuldet sein, dass der Chefredakteur der Saarbrücker Zeitung, Peter Stefan Herbst, den Sozialdemokraten Heiko Maas zum »Superminister« kürte. Dabei ist der Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz bisher vor allem mit Äußerungen hervorgetreten, die das Selbstbewusstsein der SPD in der Großen Koalition stärken sollen. Dazu gehört auch die Ankündigung, schnell eine sogenannte Mietpreisbremse einzuführen, schließlich gehörte eine Begrenzung der Mietsteigerungen zu den Versprechen, die die Partei im Wahlkampf gemacht hatte.

Vorgesehen ist nach dem Gesetzentwurf, den der Justizminister nun vorgelegt und zur Abstimmung an die anderen Ressorts geschickt hat, dass Neumieten »in angespannten Wohnungsmärkten« nur noch um zehn Prozent über dem ortsüblichen Niveau liegen dürfen. Neuerungen sind auch bei der Provision für den Makler geplant, diese soll künftig derjenige zahlen, der ihn beauftragt.

Allerdings soll die Regelung nicht in ganz Deutschland gelten, sondern nur »in angespannten Wohnungsmärkten« eingeführt werden. Welche Regionen dazu gehören, definieren die Bundesländer für einen Zeitraum von jeweils fünf Jahren. Nach Berechnungen des Justizministeriums liegen dem Bericht zufolge gut 4,2 Millionen der 21,1 Millionen deutschen Mietwohnungen in solchen »angespannten« Gebieten. Aber auch für diese sind Ausnahmen von der Mietenbremse vorgesehen. Nicht gelten soll sie bei der Erstvermietung neu gebauter Wohnungen sowie bei Wohnungen, die vor der Vermietung umfassend saniert wurden. Begründet wird dies damit, dass der Wohnungsbau und die Modernisierung bestehender Wohnungen attraktiv bleiben sollen. Auch Wohnungen, deren Preise bereits über dem Vergleichswert des Mietspiegels liegen, sollen weiterhin teuer vermietet werden können. In seinem Kommentar in der Taz kritisiert Gereon Asmuth deshalb, dass die »Mietexplosion« mit der geplanten Preisbremse nicht verhindert werden kann. »Der Turbo-Motor der Preisspirale bleibt unangetastet: Es ist die sogenannte ortsübliche Vergleichsmiete, die gemeinhin über Mietspiegel ermittelt wird.«

Wie immer, wenn die Verwertungsinteressen durch kleine Reformen auch nur minimal tangiert werden könnten, protestieren die Interessenvertreter der Eigentümer heftig gegen die geplanten Änderungen. So bescheinigte Manfred Binsfeld, Immobilienmarktexperte der Rating-Agentur Feri, den Koalitionären hektische Betriebsamkeit und Populismus. Der Hamburger Rechtsanwalt Thies Boelsen bezeichnete die Mietpreisbremse gar als »verfassungswidrig«.

Diese Polemik ist natürlich Taktik. Schließlich wollen die Interessenvertreter der Eigentümer die Gesetzesreform noch stärker in ihrem Sinn beeinflussen. Prompt erklärte die Vorsitzende der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Gerda Hasselfeldt, der Entwurf sei unausgewogen. Die Immobilienwirtschaft werde ihrer Ansicht nach zu wenig berücksichtigt. Maas und seine Mitstreiter von der SPD dürften sich über die kalkulierbare Aufregung der Immobilienwirtschaft freuen. Schließlich kann angesichts der Kritik der Immobilienlobby der Eindruck erweckt werden, der Gesetzentwurf sei mieterfreundlich. Mancher Interessenvertreter sorgte hingegen ungewollt für Aufmerksamkeit, indem er seiner Klientel gutgemeinte Ratschläge gab, die die Vermieter nicht benötigen, weil sie bereits längst von ihnen befolgt werden. So riet Kai Warnecke, Geschäftsführer des Vermietervereins »Haus & Grund«, bei einem Treffen der Immobilienbesitzer in Stuttgart seinen Zuhörern: »Versuchen sie, die Miete schleichend in kleinen Schritten zu erhöhen.«

Mitglieder der Mieterbewegung in Berlin haben derzeit hingegen anderes zu tun, als über das geplante »Reförmchen« aus dem Hause Maas zu debattieren. »In den Ohren eines mit energetischer Modernisierung geschlagenen Mieters hört sich die neue Gesetzesvorlage wie blanker Hohn an«, sagt der Videojournalist Matthias Coers im Gespräch mit der Jungle World. »Nicht nur bei den Modernisierungsmaßnahmen am Weichselplatz kann man sehen, dass unter dem Deckmantel der Ökologie Hauseigentümer eingeladen werden, die Mieter zur Ader zu lassen. Die bestehenden Gesetze bürden den Mietern die gesamten Kosten der Modernisierung auf. Diese verlieren ihre Wohnung oder, wenn das Einkommen reicht, um die Wohnung zu behalten, steigt der Wohnkostenanteil oft massiv«, sagt Coers, der in einem Haus in Neukölln wohnt, das energetisch saniert werden soll.Gemeinsam mit Gertrud Schulte Westenberg hat er den Film »Mietrebellen« produziert, der im April in den Kinos zu sehen sein wird. Der Dokumentarfilm liefert einen guten Überblick über die Mieterproteste in Berlin der vergangenen zwei Jahre.

Die Gewerkschafterin Nuriye Cengiz, die um den Verbleib in ihrer rollstuhlgerechten Wohnung in Kreuzberg kämpft, wird dort ebenso porträtiert wie die Seniorengruppen »Palisadenpanther« und die Initiative »Stille Straße«, die erfolgreich gegen Verdrängung kämpften. Am Schluss des Filmes bezeichnet ein Aktivist die Diskussion um die Mietpreisbremse als »Placebo« für die Mieterproteste. Coers sieht das ähnlich: »Jedem, der sich mit dem Wohnungsmarkt kritisch auseinandersetzt, wird klar, dass die neuen Regelungen der sogenannten Mietpreisbremse schon von der Wahl der Begrifflichkeit in erster Linie dazu gedacht sind, die Bevölkerung zu beruhigen.« Ob das gelingt, ist fraglich.

Am kommenden Wochenende soll beim Kongress »Berliner Ratschlag – Wem gehört die Stadt?« an der Technischen Universität in Berlin eine Bilanz nach zwei Jahren stadtpolitischer Kämpfe der Mieterbewegung gezogen werden. Darüber hinaus wollen die Teilnehmer auch darüber debattieren, wie sich aus dem Protest gegen steigende Mieten Widerstand gegen Mieterhöhungen und Räumungen formieren kann.In Berlin nehmen Räumungen von Mietern zu, die sich dagegen wehren, aus ihren Wohnungen geworfen zu werden und damit an die Öffentlichkeit gehen.

Am Donnerstag voriger Woche wurde in der Reichenbergerstraße in Kreuzberg eine Wohnung mit großem Polizeiaufgebot geräumt. Als knapp 100 Aktivisten und solidarische Nachbarn nach einer erfolglosen Blockade eine spontane Demonstration gegen »steigende Mieten, Zwangsumzüge und Verdrängung« begannen, nahm die Polizei acht Personen fest. Bei der monatlich stattfindenen »Lärmdemo« des Mieterbündnisses »Kotti & Co« kam es am Samstag zu einem hef­tigen Polizeieinsatz (siehe auch Seite 17). Für Anfang April stehen weitere Räumungen in Berlin an, die das Protestbündnis »Zwangsräumung verhindern« behindern möchte.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft »Wohnungslosenhilfe« geht bundesweit von 25 000 Räumungen im Jahr 2012 aus. Der Anteil der Mieter, die sich dagegen wehren, ist in den vergangenen Monaten gestiegen. Mittlerweile existieren nicht nur in Berlin, sondern auch in Hamburg, Han­nover und Köln Bündnisse gegen Räumungen. In Köln wurde im Februar die Räumung eines Mieters, der nach 32 Jahren seine Wohnung verlieren sollte, verhindert. Für den 16. April wurde ein neuer Räumungstermin angekündigt, aber auch eine Blockade durch die Mieterbewegung. Die Mietpreisbremse von Heiko Maas wirkt dort keineswegs beruhigend.

http://jungle-world.com/artikel/2014/14/49607.html

Peter Nowak

Die KvU muss Pause machen

Kirche von Unten verabschiedet sich aus Mitte

»Ich unterbreche die Sitzung und rufe die Ältestenversammlung ein«, rief ein aufgeregter Abgeordneter der BVV-Mitte am Donnerstagabend. Zuvor hatten zehn Personen den Versammlungsraum des Rathauses

Rathauses Mitte betreten und  eine kurze Rede begonnen. Doch was der Sprecher zusagen hatte, ging im Lärm der unterbrochenen BVV-Sitzung unter. Einige Abgeordnete  riefen nach der Polizei und drohten mit Hausverbot. Dabei wollten sich die unerwarteten  Besucher nur verabschieden:  Es  waren Nutzer und Mitarbeiter des Jugendclubs Kirche von unten (KvU), der sich nach 27 Jahren unfreiwillig  aus dem Stadtteil verabschieden muss.

In der Storkower Straße 119 hat die KvU neue Räume gefunden.     In der Kremmener Straße, wo die KvU ihr Domizil hatte, plant die  Immowert Arkonahöfe Berlin GmbH den Bau von Loft und Eigentumswohnungen. Zudem soll das 1910 errichtete Gebäude um 2 Stockwerke erhöht werden. Für die  nichtkommerziellen KvU war dort kein Platz mehr. Ihr waren bereits zum 31. Dezember 2012 die Räume gekündigt worden. Dass sie noch mehr  als ein Jahr in Mitte bleiben konnte, lag vor allem an der Widerstandsbereitschaft der Betreiber und Nutzer. Die KvU arbeitete in der Initiative „Wir bleiben alle“ mit und organisierte Solidaritätskonzerte und Demonstrationen. Nebenher kümmerten sich die Aktivisten um Ersatzräume und wurden findig.

Natürlich seien sie froh, dass sie Ersatzräume gefunden haben. Allerdings sei der Jugendclub damit nicht langfristig gesichert, erklärten die KvU-Mitarbeiter gegenüber nd. „Zur Zeit können wir unser Programm nicht durchführen, weil wir in den nächsten Monaten die neuen Räume renovieren müssen“. Da  alle diese Arbeit in ihrer Freizeit unentgeltlich verrichten,  rechnet er mit einer Umbauphase von mehreren Monaten. Auch die finanzielle Situation sei wie gewohnt schlecht, betont er. Zudem hat der neue Mietvertrag lediglich eine Laufzeit von fünf Jahren. Danach könnte die Suche nach Räumen von vorn losgehen, befürchten die KvU-Leute. Eine bittere Pille sei  für sie der Abschied von Mitte gewesen, betonen sie. Schließlich ist der 1987 als Einrichtung der offenen Jugendarbeit im Zusammenhang mit dem evangelischen Kirchentag in Mitte entstanden und gehörte bald zu einer der zentralen Einrichtungen der DDR-Opposition. Im Frühjahr 1989 wurden den Räumen der KvU die Ergebnisse der alternativen Stimmauszählung während der Kommunalwahl zusammengetragen. Damals wurde die KvU auch von Menschen besuchten, die nach 1990 bald in den verschiedenen Parteien Karriere machten. Die KvU blieb  dagegen auch nach der Wende oppositionell und ließ sich nicht von politischen Parteien vereinnahmen.       Diesen Kurs haben auch jüngere KvU-Mitarbeiter. „Da behaupten Politiker der BV V-Mitte, sie hätten die KvU gerettet. Dabei haben wir uns selber um Räume gekümmert“.  Deswegen trug der kurze BVV-Besuch den Titel “Danke für nichts“.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/927788.die-kvu-muss-pause-machen.html

Peter Nowak

Wenn Bürger sich zu wehren beginnen …

Andrej Holm und Autoren berichten über soziale Kämpfe in einer neoliberalen Stadt – das Beispiel Berlin

Seit knapp zwei Jahren gibt es in der deutschen Hauptstadt eine Mieterbewegung, die über Berliner Blätter hinaus für Schlagzeilen sorgt. Die Analysen des Stadtsoziologen Andrej Holm haben vielleicht mit dazu beigetragen, dass sich Mieterprotest artikulierte. In seinem neuen Buch gibt der engagierte Wissenschaftler einen Überblick und zieht Bilanz.

Im ersten Teil werden die Bedingungen untersucht, die Mieter zu Protesten treibt. Dass das Schlagwort der Gentrifizierung den Sachverhalt oft nicht trifft, machen die Stadtplanerin Kerima Bouali und der Stadtsoziologe Sigmar Gude am Beispiel der Entwicklung des Stadtteils Neukölln deutlich. Es sei nicht wahr, dass dort Besserverdienende einkommensschwache Bewohner verdrängen. Vielmehr sei ein Kampf um Wohnungen unter Geringverdienern entbrannt. Die Autoren betonen, dass dieser politisch gewollt und vorangetrieben wurde und wird.

Mehrere Beiträge nehmen die Politik der vormaligen rot-roten Landesregierung kritisch unter die Lupe. Von einem »Masterplan der Neoliberalisierung« spricht Holm und verweist auf die massive Privatisierung landeseigener Wohnungen und die Liberalisierung des Baurechts. Bei seiner Analyse des Berliner Bankenskandals spart auch der Publizist Benedict Ugarte Charon nicht mit Kritik an der PDS bzw. der LINKEN.

Mit der Situation von Sexarbeiterinnen in Berlin-Schöneberg befasst sich die Stadtforscherin Jenny Künkel. Sie analysiert sehr gründlich die Debatte, die vor allem von Gewerbetreibenden gegen den »Straßenstrich an der Kurfürstenstraße« initiiert wurde. Am Ende ihres informativen Beitrags geht sie auf die Probleme der außerparlamentarischen Linken ein, sich mit den stigmatisierten Frauen zu solidarisieren Es ist erfreulich, dass auch solche Aspekte hier beleuchtet werden, die in der Debatte über Mieterproteste und das Recht der Bürger auf ihre Stadt kaum vorkommen.

Jutta Blume zeigt auf, wie sich Künstler mit prekären Lebens- und Arbeitsbedingungen über Wasser halten – was Imagekampagnen für Berlin als »Hauptstadt der Kreativen« natürlich nicht thematisieren. Berichtet wird auch darüber, wie sich die instrumentalisierten Künstler zu wehren beginnen. Eine ernüchternde Bilanz der Kampagne »Mediaspree versenken«, die sich gegen die Baupläne am Berliner Spree-Ufer wandte, zieht Jan Dohnke. Der Sozialwissenschaftler Robert Maruschke wiederum weiß, wie mit Bürgerbeteiligungskonzepten im Stadtteil Akzeptanz für ungeliebte Projekte gewonnen werden soll. Die von ihm offerierte Alternative einer transformatorischen Stadtteilorganisierung führt er leider nicht weiter aus.

Über Initiativen wie Konti & Co, die in Kreuzberg mit einer Protesthütte und Lärmdemonstrationen gegen Mieterhöhungen aktiv sind, wird im letzten Kapitel informiert. Das Buch dürfte nicht nur für Hauptstädter interessant sein.

Andrej Holm (Hg.): Reclaim Berlin. Soziale Kämpfe in der neoliberalen Stadt. Assoziation A. 368 S., geb., 18 €.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/926424.wenn-buerger-sich-zu-wehren-beginnen.html

Peter Nowak

Umzug per Menschenkette

Das Kneipenkollektiv »BAIZ« nutzte seinen Ortswechsel zum Protest gegen die zunehmende Verdrängung

Das BAIZ hatte Glück und muss nur um-, nicht wegziehen.
Stühle und Plakate von Hand zu Hand: Um gegen die Verdrängung von Alteingesessenen zu protestieren, lud das BAIZ zum Umzug.

In diesen Tagen schließt in Mitte eine linke Kneipe mit Tradition. Das BAIZ wird es in der Christenstraße/Ecke Torstraße nicht mehr geben. Am Sonntag ließ sich das linke Kneipenkollektiv eine besondere Umzugsaktion einfallen. Mit einer Menschenkette vom bisherigen Domizil zum neuen Standort in der Wörther Straße ging nicht nur das Mobiliar von Hand zu Hand. Die Teilnehmer protestierten gleichzeitig dagegen, dass Mieter und Projekte mit wenig Geld aus der Gegend verschwinden müssen. Sie zeigten Plakate, auf denen die Namen von Projekten standen, die in den letzten Jahren verschwunden oder aktuell bedroht sind.

Fast wäre das BAIZ ebenfalls davon betroffen gewesen. Mehr als zehn Jahre gab es dort Getränke zu Preisen, die man in Mitte längst nicht mehr vermutete. Linke Gruppen organisierten politische Veranstaltungen und die Kinoabende waren bekannt für anspruchsvolle, sozialkritische Filme. Dass das Programm demnächst an dem neuen Standort fortgesetzt werden kann, war einem Zufall zu verdanken. Vor knapp einen Monat habe man von einer Bekannten erfahren, dass die Räume frei werden. »Das war Glück in letzter Minute«, berichtet BAIZ-Kneipenwirt Matthias. Mit dem Umzug ist die Kneipe langfristig gesichert. Das Kneipenkollektiv hat den neuen Laden gekauft.

Zunächst war Matthias noch skeptisch ob sich für die Menschenkette genügend Unterstützer finden würden. Doch in den letzten Wochen war der Zuspruch nicht nur von den Stammgästen gewachsen. Auch Bewohner aus der Nachbarschaft, die nicht zu den Kneipengästen gehörten, hatten sich an der Kette beteiligt, darunter Eltern mit Kinderwagen und Rentner. Schließlich ist gerade in Mitte die Angst groß, die Miete nicht mehr bezahlen zu können. Davon sind die Besitzer kleiner Läden, Kneipen und Ateliers genauso betroffen wie Wohnungsmieter.

»Auch wenn wir jetzt noch mal Glück hatten, wollten wir unsere ›Popularität‹ für ein politisches Signal nutzten«, begründete Matthias die Aktion. Bei den meisten Mietern laufe die Verdrängung im Stillen ab. Das BAIZ hingegen ist sofort an die Öffentlichkeit gegangen, als im Herbst 2012 das Haus seinen Besitzer wechselte. Das Gebäude wurde an die Zelos Properties GmbH verkauft. Bei Recherchen stießen die Mieter auf personelle Überschneidungen mit der im Zusammenhang mit Schrottimmobilien ins Gerede gekommenen Grüezi Real Estate AG. Zelos wirbt auf ihrer Homepage mit einer »ausgeprägten Kulturszene« in der Umgehung der Christinenstraße, um lukrative Käufer der Eigentumswohnungen anzulocken. Für das Haus selber wird allerdings eine kulturelle und gastronomische Weiternutzung kategorisch ausgeschlossen. Dabei gab es in den Räumlichkeiten schon in der DDR subkulturelle Kneipen mit den Namen Bummelant, Chapiteau oder Dom kultury Berlin.

Die neuen Eigentümer planen in den Räumen ein weiteres Büroprojekt. Damit ist eine Zielgruppe angesprochen, die in angesagte Szenebezirke zieht, aber auf keinen Fall einen Club oder ein Restaurant in der Nachbarschaft haben will. Aber nicht nur die Kneipe, auch die bisherigen Mieter sind in den Plänen der Zelos GmbH nicht vorgesehen. Auf ihrer Homepage wird das Haus als »Altbau aus der Jahrhundertwende« in exklusiver Umgebung beworben. Adidas und Soho House sollen »das hohe Niveau der Nachbarschaft« garantieren, mit dem Zelos vermögende potenzielle Käufer gewinnen will.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/925043.umzug-per-menschenkette.html

Peter Nowak

Umzug wird zur Demonstration

PROTEST Die linke Kneipe Baiz wechselt in einen anderen Bezirk. Per Menschenkette lässt sie ihre Stühle von Mitte nach Prenzlauer Berg wandern – und setzt damit ein Zeichen gegen Verdrängung

Gegen 16 Uhr hatten sie es geschafft: Die rund einen Kilometer lange Menschenkette von der Christinenstraße in Mitte bis zur Wörther Straße in Prenzlauer Berg war geschlossen. Mehrere hundert Personen ließen das Mobiliar des Baiz von Hand zu Hand gehen. Die linke Kneipe muss zum Monatsende ihr bisheriges Domizil räumen. Lange Zeit sah es aus, als müsste sie ganz schließen. Erst in letzter Minute hat das Baiz in der Wörther Straße neue Räume gefunden.

Mit der Menschenkette wurde der Umzug gleichzeitig ein Protest gegen Verdrängung. „Auch wenn wir noch mal Glück hatten, wollten wir unsere Bekanntheit für die Aktion nutzen“, erklärte Baiz-Wirt Matthias Bogisch gegenüber der taz.

Freiräume verschwunden

Zunächst war Bogisch noch skeptisch, ob sich genügend UnterstützerInnen für die Kette finden würden. Die Befürchtungen waren grundlos. In die Kette reihten sich junge Leute mit Musikinstrumenten ebenso ein wie Eltern mit Kinderwagen und RentnerInnen. Der Name von Lokalitäten und Freiräumen, die in den letzten Jahren schließen mussten, trugen die TeilnehmerInnen auf Plakaten am Rücken. „Bastard verschwunden“, „Volkssolidarität geschlossen“, aber auch „Metzer Straße erhalten“ war dort zu lesen.

„Bei den meisten MieterInnen läuft die Verdrängung im Stillen ab. Das wollten wir verändern“, betont Bogisch. Das Baiz war sofort an die Öffentlichkeit gegangen, als im Herbst 2012 das Haus seinen Besitzer wechselte. Das Gebäude wurde an die Zelos Properties GmbH verkauft. Die neuen Eigentümer planen in den Räumen der Kneipe ein Büroprojekt. Auf ihrer Homepage wird das Haus als „Altbau aus der Jahrhundertwende“ in exklusiver Umgebung beworben. Adidas und Soho House sollen „das hohe Niveau der Nachbarschaft“ garantieren.

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F02%2F24%2Fa0130&cHash=6863579fb98509ae0e1bd16e47001286

Peter Nowak

„Es geht um Elitenherrschaft“

MITBESTIMMEN Modelle der Bürgerbeteiligung können durchaus kritisch gesehen werden, sagt der Kultursoziologe Thomas Wagner, der gerade ein Buch dazu veröffentlichte

taz: Herr Wagner, Sie haben sich in mehreren Büchern kritisch mit den verschiedenen Formen der Bürgerbeteiligungen auseinandergesetzt. Warum?

Thomas Wagner: Unter dem Stichwort Bürgerbeteiligung werden auch Gesellschaftsmodelle propagiert, die in Bezug auf die Partizipation großer Teile der Bevölkerung noch hinter die parlamentarische Demokratie zurückfallen.

Inwiefern?

Die Forderung nach der Direktwahl von PolitikerInnen erfreut sich etwa bei Wirtschaftslobbyisten wie Olaf Henkel großer Beliebtheit. Ihnen geht es dabei vor allem um eine plebiszitär abgesicherte Elitenherrschaft. Trotzdem wird diese Forderung auch von linken Parteien oft kritiklos unterstützt. Modelle der Bürgerbeteiligung werden so zum Herrschaftsinstrument. Einst kam der Ruf nach BürgerInnenbeteiligung aus dem alternativen Milieu. Mittlerweile versprechen sich maßgebliche Kreise aus Wirtschaft und Politik davon eine Imageförderung oder wollen damit der schwindenden Zustimmung von neoliberalen Reformprojekten entgegenwirken.

Können Sie Beispiele nennen?

Ein in Berlin viel diskutiertes Projekt war 2012 das BMW Guggenheim Lab. Hier wurde unter dem Stichwort „BürgerInnenbeteiligung“ Imagepflege für einen international agierenden Autokonzern getrieben. Es gibt auch viele weniger bekannte Beispiele. Bei Mediationsverfahren etwa stellen engagierte BürgerInnen Unternehmen ihre Expertisen zur Verfügung. Im Rahmen von BürgerInnenhaushalten sollen sie selbst entscheiden, an welcher Stelle gekürzt werden soll. Die Frage, ob und wie politischer Druck zur Verhinderung von Kürzungsprogrammen aufgebaut werden kann, wird dann gar nicht mehr gestellt.

Warum befürchten Sie, dass die Interessen einkommensschwacher Teile der Bevölkerung durch Bürgerbeteiligungsmodelle noch mehr unter den Tisch fallen?

Verschiedene Studien weisen nach, dass sich an BürgerInnenbeteiligungsmodellen stärker als in den traditionellen Parteien Angehörige der Mittelschichten engagieren. Die Interessen der Marginalisierten sind dort noch weniger vertreten als bei traditionellen Partizipationsmodellen wie Parteien und Gewerkschaften.

Ist Bürgerbeteiligung also eine Klassenfrage?

Es ist auf jeden Fall ein Fakt, dass sich marginalisierte Menschen selbst dann weniger an Volksentscheiden beteiligen, wenn sie von den Forderungen direkt betroffen sind. So ist 2010 in Hamburg eine vom Senat geplante Schulreform, die mehr Chancengleichheit für SchülerInnen aus der einkommensschwachen Bevölkerung bringen sollte, daran gescheitert, dass sich genau diese Teile der Bevölkerung nicht an der Abstimmung beteiligt haben. Den Ausschlag gaben die Hamburger Mittelschichten, die sich massiv gegen die Reform engagierten.

Auch die Wahlbeteiligung ist bei Marginalisierten niedriger als bei Angehörigen der Mittelschichten. Insofern kann man daraus doch kein Argument gegen Volksentscheide machen.

Wenn InitiatorInnen von Volksbegehren mit der direkten Demokratie argumentieren, müssen sie sich schon Gedanken darüber machen, wie marginalisierte Teile der Bevölkerung einbezogen werden können. Sonst ist es zumindest keine Demokratie für alle.

Was hieße das für das Tempelhof-Volksbegehren?

Auch hier wäre wichtig, dass MieterInneninitiativen sowie Erwerbslosen- und Migrantengruppen in die Diskussion einbezogen werden.

Thomas Wagner Jahrgang 1967, ist Kultursoziologe und hat sich in mehreren Büchern kritisch mit Modellen von direkter Demokratie und BürgerInnenbeteiligung auseinandergesetzt, u. a. „Demokratie als Mogelpackung“ sowie „Die Mitmachfalle“, erschienen bei Papyrossa

http://www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=ba&dig=2014%2F02%2F11%2Fa0128&cHash=133ea2e8d6c1867f8a7a01627

INTERVIEW PETER NOWAK

Wenn der Hausfriedens bedroht ist

Seit 7 Jahren wohnt die fünfköpfige Familie A. in der Reichenberberstraße 73. Jetzt droht ihnen der Rauswurf.

Das Berliner Landgericht hat in erster Instanz eine Kündigung wegen Störung des Hausfriedens bestätigt.  Die Mieter sind in Berufung gegangen. Auslöser des Streites ist ein Konflikt zwischen der Familie A, die in der ersten Etage wohnt und den verschiedenen Kneipen im Erdgeschoss.   Bereits 2010 kürzten die A. die Miete, weil der Musikkneipe den Wohnwert erheblich minderte. Doch  vor Gericht wurde die Familie zur Nachzahlung der einbehaltenen Miete verurteilt. Auch die Protestkosten musste die Familie, die auf Hartz IV-Leistungen angewiesen zahlen. Nachdem Wechsel des Kneipenbesitzers hofften die A. auf ein Ende des Lärms. Als auch in der nun dort eingerichteten Pizzeria der Lärmpegel stieg, redete Herr A. mit der Betreiberin der Lokalität. Die fühlte sich durch den Mieter erpresst und erstattete Anzeige. Herr A. habe gefordert, dass ab 22 Uhr Ruhe sein soll, oder sie soll einen Teil der Miete zahlen. Der Mieter bestreitet die Drohung. Doch das Gericht glaubte der Kneipenbesitzerin, sah den Hausfrieden gestört und gab der Kündigung statt.
Für viele Nachbarn ist das Urteil nicht nachvollziehbar. Schließlich könne damit jeder Konflikt zwischen Mietparteien zur Störung des Hausfriedens und zum Kündigungsgrund werden. Zumal die Besitzerin der Pizzeria eine  Bekannte des Hauseigentümers Ernst Brenning  ist.  Mit ihm hatten in den letzten Jahren auch  andere Mieter  in den Haus Konflikte. Die Familie Brenning besitzt zahlreiche Grundstücke in Berlin und Potsdam. So berichteten die  Potsdamer Neuesten  2005, dass die Brennings zwei lukrative Grundstücke  in der Potsdamer Innenstadt ersteigerten.    Der Rechtsanwalt  Ernst Brenning ist CDU-Politiker und  stellvertretender Kuratoriums-Vorsitzender der Schulstiftung Evangelischer Schulen Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.  In der Kollwitzstraße 43 musste Ernst Benning eine juristische   Niederlage hinnehmen. Dort hob das Oberverwaltungsgericht die Genehmigung für einen  Anbau nachträglich  auf, weil er  zu dicht an den Nachbargrundstücken gestanden hat.  Der Neubau musste nach einem jahrelangen Rechtsstreit abgerissen werden.
Auch in der Reichenbergerstraße 73 soll Brenning eine Niederlage erleiden, erklärte das Bündnis gegen  Zwangsräumungen, das am vergangenen Samstag eine Kundgebung vor dem Haus organisierte,  an der mehr als 100 Menschen teilnahmen. Viele Nachbarn waren gekommen und informierten über  Entmietungsstrategien in ihren Häusern.  Dort berichteten  auch Mieter der Reichenbergerstraße 72a,  dass dort immer mehr Wohnungen in Eigentumswohnungen umgewidmet werden. Viele Mieter seien ausgezogen. Eine 65jährige Mieterin aber gestern einen juristischen Erfolg gegen ihre Kündigung erzielt.
http://www.bmgev.de/mieterecho/mieterecho-online/reichenberger-73-brenning.html

aus: MieterEcho online

Peter Nowak

Kein Durchkommen

Nach erstem Urteil demonstrieren über 100 Nachbarn gegen Zwangsräumung

Noch läuft die Berufung, aber schon jetzt protestieren Nachbarn in der Reichenberger Straße gegen die Zwangsräumung einer fünfköpfigen Familie.

Kämpferische Stimmung herrschte am Samstagnachmittag auf einer Protestkundgebung in Kreuzberg. Mehr als 120 Menschen hatten sich an der Reichenbergerstraße 73 versammelt, darunter viele Nachbarn. Sie reagierten mit Empörung auf die Kündigung, mit der eine fünfköpfige Familie ihre Wohnung in dem Haus verlieren soll. Grund war ein zivilrechtlicher Streit zwischen den Mietern und den Betreibern der Pizzeria im Erdgeschoss. Weil dadurch der Hausfrieden gestört worden sei, wurde die Kündigung ausgesprochen. In der ersten Instanz hat das Landgericht der Kündigung stattgegeben. Die Mieter haben Berufung eingelegt.

Doch das Bündnis »Zwangsräumungen gemeinsam verhindern« will sich nicht auf den Rechtsweg verlassen. »Vor einen Jahr konnte die Polizei ganz in der Nähe nur unter großen Widerstand die Zwangsräumung gegen Familie Gülbol durchsetzen«, erklärte ein Aktivist. Ihre Kündigung war vom Gericht durch alle Instanzen bestätigt. »Menschen mit geringem Einkommen sollen aus dem Stadtteil verdrängt werden«, meinte ein älterer Mann. Die Reichenbergerstraße 73 ist für ihn genau so ein Beispiel: »In dem Haus haben sich die Mieter in der letzten Zeit gegen falsche Betriebskostenabrechnungen, Mieterhöhungen und Kündigungen wehren müssen«. Die Probleme hätten angefangen, als die Familie Brenning das Haus erwarb. Sie besitzt mehrere Immobilien, nicht nur in Berlin. Der Rechtsanwalt Ernst Brenning ist CDU-Politiker und stellvertretender Kuratoriums-Vorsitzender der Schulstiftung Evangelischer Schulen Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz. Auch eine Immobilie in der Kollwitzstraße 43 gehört ihm. Dort musste Brenning jedoch eine Niederlage hinnehmen: Das Oberverwaltungsgericht hob die Genehmigung für einen Anbau nachträglich auf, weil er zu dicht an den Nachbargrundstücken gestanden hat. Der Neubau musste nach einem jahrelangen Rechtsstreit abgerissen werden.

Auch in Kreuzberg wollen die Mieterinitiativen die Pläne Brennings stoppen. Auf der Kundgebung wurde deutlich, wie viele Menschen in der Gegend Angst vor Verdrängung haben. In zahlreichen Häusern in der Nachbarschaft gibt es Konflikte mit den Eigentümern. So berichteten Bewohner der Reichenbergerstraße 72a, dass in ihrem Gebäude die Zahl der Eigentumswohnungen zunimmt. Viele Mieter seien schon ausgezogen. Eine 65-Jährige aber, die dort seit Jahren wohnt, weigerte sich und hat gerade vor Gericht Recht bekommen. Sie habe vor allem Glück gehabt, erzählt sie, weil die Kündigung so offensichtlich fehlerhaft war.

Die Organisatoren freuten sich über die rege Beteiligung an der Kundgebung. »Wenn wir schon nach dem ersten Räumungsurteil so viele Menschen mobilisieren konnten, ist das ein gutes Zeichen.« Sollte ein Räumungstermin festgesetzt werden, sei für den Gerichtsvollzieher hier kein Durchkommen, rief eine Mieterin unter großen Applaus.

http://www.neues-deutschland.de/artikel/923509.kein-durchkommen.html

Peter Nowak