Kurden und Juden als Feindbilder

Kritiker des Moscheeverbandes DITIB warnen vor islamistischer Indoktrination

»Vernichte die Feinde der Religion« oder »Ohne Märtyrer und ohne Opfer gibt es keinen Weg ins Paradies«. Solche martialischen Parolen finden sich in zahlreichen Videos auf Facebook. Zu sehen sind dort Kinder im Schulalter, die von Erwachsenen mit dieser menschenfeindlichen Ideologie indoktriniert werden. Gepostet werden sie von Moscheevereinen, die der türkischen Regierung nahestehen und oft im größten Moscheeverband in Deutschland DITIB organisiert sind. Dieser ist wiederum mit dem türkischen Religionspräsidium verbunden.

Vor den Gefahren dieser islamistischen Beeinflussung von Kindern warnten am Montag Mitglieder des Komitees gegen die DITIB-Aktivitäten bei einem Pressegespräch in Berlin, zu dem der Koordinierungsrat Deutscher Nichtregierungsorganisationen gegen Antisemitismus eingeladen hatte. Die am Beginn gezeigten Videos verdeutlichten die Dringlichkeit der Aktivitäten. Die islamistische Propaganda in den Moscheen habe sich mit der türkischen Offensive auf Afrin noch bedeutend verstärkt, erklärte der Berliner LINKE-Politiker Giyasettin Sayan.

Der Vorsitzende der Kurdischen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. erinnerte daran, dass die an der Eroberung Afrins in Nordsyrien beteiligten islamistischen Verbände an Vergewaltigungen und Vertreibungen von Menschen, die als Ungläubige bezeichnet werden, beteiligt waren. Die Türkei sei unter dem Erdogan-Regime zur Schutzmacht der unterschiedlichen islamistischen Organisationen von der Hamas bis zu der Moslembruderschaft geworden, erklärte Sayan.

Ismail Parmaksiz und Arslan Argun vom Komitee gegen DITIB-Aktivitäten in Berlin beschrieben, wie junge Menschen in den Moscheen mit antisemitischer und antikurdischer Ideologie indoktriniert werden. Sie erinnerten daran, dass diese damit ganz im Sinne Erdogans arbeiteten. Unter seiner Herrschaft wurde die Zahl der Moscheen und Religionsvereine in der gesamten Türkei massiv ausgeweitet. Schon als Oberbürgermeister von Istanbul verfasste Erdogan vor mehr als 20 Jahren ein Gedicht, in dem er die Moscheen als »Kasernen« und die Minarette als »Dolche« bezeichnete. Damals kostete diese offene islamistische Ansage Erdogan das Amt. Er wurde in der damals noch kemalistisch geprägten Türkei zu einer Gefängnisstrafe verurteilt.

Viele dachten, dass Erdogans politische Karriere damit beendet wäre – sie sollten sich täuschen. Heute setzt er seine islamistische Agenda nicht nur in der Türkei, sondern über DITIB auch im Ausland um, erklärten die Kritiker während des Pressegesprächs. Manche Eltern würden ihre Kinder in die Moschee schicken, damit sie sich über die Religion informieren. Ihnen sei oft gar nicht bewusst, dass sie sie damit der Ideologie von Antisemiten aussetzen. Die Folgen seien unter anderem Mobbingkampagnen gegen jüdische SchülerInnen in Berliner Schulen, die in den letzten Wochen für Schlagzeilen sorgten. Doch auch Kinder mit kurdischen Namen seien solchen Attacken von durch Moscheen aufgehetzten SchülerInnen ausgesetzt, berichtet Ismail Parmaksiz.

Sein Verband hat mittlerweile eine Unterschriftenkampagne gestartet, mit der der Einfluss von DITIB begrenzt werden soll. Die Kooperation des deutschen Staates mit DITIB müsse ebenso auf den Prüfstand gestellt werden wie die Teilnahme des Verbandes an der »Islamkonferenz«. Das war bei allen am Pressegespräch Beteiligten Konsens. Auch die staatliche Förderung müsse sofort abgeschafft werden, so die Kritiker. Die schon geplante Kürzung der Förderung für den verlängerten Arm der türkischen Regierung reiche nicht mehr aus, um den Einfluss des islamitischen Verbandes zu stoppen, betonen die DITIB-Kritiker.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1085579.kurden-und-juden-als-feindbilder.html

Corbyn und der Antisemitismus

Es geht bei dem Streit um unterschiedliche Politikvorstellungen, aber es wäre verkehrt, hier nur ein Kampagne der Gegner des aktuellen Labour-Vorsitzenden zu sehen

Über Monate galt der Vorsitzende der britischen Labourparty als Hoffnungsträger einer sozialdemokratischen Linken, die anders als der schon längst vergessene letzte SPD-Bundestagskandidat mehr als nur heiße Luft produziert. Als linker Sozialdemokrat gegen den Willen des schon längst neoliberal gewendeten Labour Party gewählt und in mehreren Basisvoten bestätigt, dann sogar bei den Wahlen rech erfolgreich, schien Corbyn wie geeignet zum linken Hoffnungsträger.

Nun ist deren Haltbarkeit begrenzt und wenn man bedenkt, wer alles schon als ein solcher Hoffnungsträger firmierte, kann eigentlich nur denen gratulieren, die nicht zu dieser Kategorie gehören. Der griechische Ministerpräsident Tsipras gehört dazu. Seit er als der Pudel der Deutsch-EU die Austeritätspolitik mit linken Phrasen schönredet, will sogar die europäische Linke nicht mehr viel mit ihm zu tun haben. Und dass manche sogar SPD-Schulz kurzzeitig als einen solchen linken Hoffnungsträger anpriesen, zeigt nur, wie beliebig dieser Begriff geworden ist. Nun sollte man aber Corbyn nicht Unrecht zu tun. Im Vergleich zu Schulz kann der britische Sozialdemokrat fast schon als ein gemäßigter Linker mit Grundsätzen gelten.

Corbyn wirft nicht alles zum alten Eisen, was in den 1980er Jahren als links galt

Er ist ein Mann, der nicht alles, was in den 1980er Jahren als links galt, auf den Müllhaufen der Geschichte werfen will. Im Bereich der Wirtschaftspolitik kann er damit punkten, wenn er die Mär von dem Segen der Privatisierung nicht nachbetet und Sozialisierungen nicht für kommunistisches Teufelszeug hält. Schließlich hat die britische Labour-Party kurz nach Ende des 2. Weltkriegs mit einem sozialdemokratischen Sozialisierungsprogramm die Regierung übernommen.

Auch Arbeitskämpfe hält Corbyn nicht für altmodisch und so solidarisiert er sich gelegentlich mit Beschäftigten, die für bessere Arbeitsbedingungen kämpften. Was eigentlich als A und O sozialdemokratischer Politik galt, wird heute als linksaußen verschrien. Nur deshalb hat Corbyn den Ruf, ein unverbesserlicher Linker, ja geradezu ein Revolutionär zu sein. Er zog sich damit den Hass nicht nur der Konservativen, sondern auch der Blairisten zu, jener Strömung in der Labourparty, die die britische Sozialdemokratie auf Thatcher-Kurs gebracht haben. Das bringt ihm Unterstützung bis in Milieus der außerparlamentarischen Linken, die lange Zeit auf Distanz zum offiziellen Politbetrieb gegangen waren.

Jetzt aber hat Corbyn mit seinem Grundsatz, an alten linken Grundsätzen festzuhalten, plötzlich ein Problem. Denn besonders in der britischen Linken gehörte die Solidarität mit dem Kampf der Palästinenser auch zu diesen Essentials. Daher ist es nicht schwer, bei Corbyn, der jahrzehntelang inner- und außerhalb der Labour in der gemäßigten Linken aktiv war, Beweise zu finden, dass er an durchaus fragwürdigen propalästinensischen Aktionen beteiligt war. Dazu zählen Treffen mit Vertretern, die der Hamas und anderen reaktionären islamistischen Organisationen angehören und die nicht nur wegen ihres Hasses auf Israel keine Bezugspunkte für Linke sein dürften. Schließlich steht deren reaktionäres Familien- und Gesellschaftsverständnis gegen jegliche emanzipatorischen Inhalte.

Gute Gründe, bestimmte linke Grundsätze in Bezug auf Israel und den Nahen Osten in Frage zu stellen

Es gibt also gute Gründe, dass hier linke Traditionen infrage gestellt und kritisiert werden sollten. Dazu gehört eben die Kritiklosigkeit gegen über einem islamistischen Milieu, die Teile der britischen Linken soweit treibt, dass sie ohne Probleme Bündnisse mit den reaktionären islamistischen Gruppierungen einzugehen bereit sind. Berühmt berüchtigt wurde der ehemalige Labour-Linke George Galloway, den die Opposition gegen die Nato-Kriegspolitik in immer größere Nähe zu reaktionären arabischen Nationalisten wie Saddam Hussein im Irak, Assad in Syrien und später zu diversen islamistischen Gruppierungen gebracht hat. Er war auch kurze Zeit Kandidat des Parteiprojekts Respect, einer Liaison von linken Irakkriegsgegnern mit Islamisten, das schnell scheiterte.

Welche fatalen Folgen eine solche Blindheit gegenüber dem reaktionären, menschenfeindlichen Potential des Islamismus hat, zeigen die jahrelang verschwiegenen Missbrauchsfälle von jungen Frauen in mehreren britischen Städten. Aktuell macht die britische Stadt Telford hier Schlagzeilen (Telford ist das neue Rotherham ). Ähnliche Missbrauchsfälle in großen Stil gab es auch in anderen britischen Städten. In all den Fällen ist bemerkenswert, dass es Hinweise gab, der die Polizei lange Zeit nicht nachgegangen ist.

Die Großbritannien-Korrespondentin der linken Wochenzeitung Jungle World benennt einen wichtigen Aspekt für das behördliche Versagen ein:

Einer der Gründe für die Tatenlosigkeit der Behörden war wohl die Sorge der Polizei, als rassistisch angesehen zu werden, wenn sie gezielt Ermittlungen über eine Gruppe von Männern pakistanischer Herkunft einleitet, oder dass die Berichterstattung zu „Islamophobie“ führen könne.

Doerte Letzmann

Es wäre also selbstkritisch aufzuarbeiten, warum ein Linker die Grundsätze der Gleichheit aller Menschen, besonders die Emanzipation der Frauen, zugunsten eines Schulterschlusses mit regressiven islamistischen Vereinigungen aufgibt. Diese Linke hat ältere historische Erfahrungen vergessen. Vor 100 Jahren förderte die junge Sowjetunion hier vor allem die von der weltweit ersten Frauenministerin Alexandra Kollontai unterstützten Komitees von Frauen, die das Kopftuch abgenommen haben und damit vor allem im Osten des Landes den alten islamistischen Instanzen Paroli boten. Viele von ihnen wurden ermordet oder schwer verletzt. Ähnliche Emanzipationsbewegungen gab es nach 1945 auf dem Balkan und Ende der 1970er Jahre unter einer linken Regierung in Afghanistan. Hier liegen die emanzipatorischen Potentiale einer Linken, die eben nicht den Schulterschluss mit den Islamisten sondern mit ihren Opfern sucht.

Kampf um das außenpolitische Erbe von Blair

Die Frage des Umgangs mit dem Islamismus in der britischen Linken ist untrennbar verbunden mit der in der letzten Zeit virulent gewordenen Debatte der Haltung zu Israel. Doch dabei fällt auf, wie verkürzt die Diskussion wohl in Großbritannien als auch in Deutschland geführt wird. Das zentrale Problem dabei ist, dass die Debatte um den Antisemitismus, die aktuell solche Schlagzeilen macht, nicht mit dem generellen Kampf um den Kurs der Labour-Party in Verbindung gebracht wird.

Die Auseinandersetzung hat auch deshalb derart an Stärke gewonnen, weil sich zeigte, dass Corbyn nicht schnell wieder parteiintern gestürzt würde. Es wurde deutlich, dass er in der Parteibasis Rückhalt hat und dass ein Ministerpräsident Corbyn durchaus nicht so undenkbar ist, wie es noch vor Jahren schien. Deshalb verstärkt sich natürlich der Kampf der Blairisten, die ja nicht nur in der Wirtschafts-, sondern auch in der Außenpolitik Spuren hinterlassen. Bekannt war Blairs massives Engagement für den Irakkrieg, der schlicht auf Lügen, heute würde man sagen: auf Fake-News, beruhte.

Ein Teil derer, die jetzt angeblich wegen der regressiven Israelkritik gegen Corbyn und sein Umfeld mobil machen, gehört zu den Blair-Anhängern. Dazu zählt David Garrard, der nun Schlagzeilen damit machte, dass er als Labour-Spender die Partei wegen des Antiisraelismus verlassen habe. Dabei wurde ausgespart, dass Garrard eben die Labour-Party unter Blair unterstützte und nicht nur in der Nahostfrage mit dem Kurs unter Corbyn im Widerspruch liegt.

Es wird so oft getan, als stünden in dem Konflikt alle jüdischen Labour-Mitglieder gegen den Kurs von Corbyn und seinen Anhängern. In Wirklichkeit gibt es auch unter den jüdischen Labour-Mitgliedern Gegner und Befürworter des Kurses von Corbyn. Das ist eigentlich ganz selbstverständlich, weil es auch unter den jüdischen Mitgliedern unterschiedliche Auffassungen zu Fragen der Wirtschafts- und auch der Außenpolitik gibt. Es gibt dort vehemente Kritiker der Politik der gegenwärtigen israelischen Rechtsregierung. Manche kritisieren sie von einem linkszionistischen Standpunkt aus, es gibt auch Post- und Antizionisten unter den jüdischen Labour-Mitgliedern.

Zu den jüdischen Kritikern der israelischen Regierung gehört auch das Jewish Labour Movement, das Corbyn kürzlich besuchte. Bei manchen seiner Kritiker ist das ein weiterer Beweis für seine Anti-Israelhaltung. Das zeigt den instrumentellen Charakter der Debatte auf beiden Seiten. Für manche geht es dabei um eine Auseinandersetzung mit regressiver Kapitalismuskritik, dem Appeachment mit Islamisten und die regressive Israel-Kritik. Für andere geht es um eine Parteinahme für die gegenwärtige israelische Politik und die Nato-Politik. Es wäre für eine Debatte schon viel gewonnen, wenn die unterschiedlichen Beweggründe für die Kritik an Corbyn benannt würden.

Ein theoretischer Tiefpunkt ist dabei eine in der Taz zitierte Erklärung des britischen Soziologen David Hirsh:

Für Hirsh steht Labour unter Corbyn im Trend von Donald Trump, dem Front National, Ukip, Erdoğan und der AfD. Diese populistische Politik trägt xenophobe Züge. Zentral für alles Böse sei Israel. Corbyn sei davon nicht weit entfernt. Hirsh erwähnt dessen Besuche in Gaza bei Hamas-Funktionären, den Einsatz für den iranischen Auslandssender Press TV und die Verbindungen mit Holocaustleugnern, die sich hinter der palästinensischen Sache verstecken. „Er will gegen den Antisemitismus vorgehen, aber er versteht Israel als globalen Pariastaat – das ist nichts anderes als institutioneller Rassismus.

taz

In dieser von Hirsh zusammenformulierten Achse des Bösen fehlen nur noch Putin, Chavez und der nordkoreanische Herrscher. Nur verbreitet Hirsh mit dieser Zusammenstellung offensichtlich Fake News. Um das zu erkennen, braucht man kein Soziologe zu sein. Es ist durchaus nicht unwahrscheinlich, dass Trump Antisemit ist, aber er ist keineswegs antiisraelisch. Ganz im Gegenteil ist die israelische Rechte von Trump ganz begeistert, spätestens, seit er Jerusalem als israelische Hauptstadt anerkannt hat. Auch der Front National und die AfD gehören zu den falschen Freunden Israels, die ihren Antisemitismus mit ihrer Parteiname für Israel als Bollwerk gegen den Islamismus tarnen wollen.

Dass man proisraelisch und trotzdem antisemitisch sein kann, wäre eine wichtige Diskussion. Die aber führt Hirsch nicht, er erwähnt gar nicht, dass Trump als großer Freund Israels agiert. Nur so kann er eine Linie zu Corbyn ziehen, der ja gerade im Verdacht steht, dass seine Israelkritik Elemente des Antisemitismus enthält.

Der britische Blick auf den Nahostkonflikt

Nun wäre es aber ebenso falsch, wie es viele Corbyn-Unterstützer machen, in der Antisemitismus-Diskussion rund um Labour nur eine Kampagne der Rechten zu sehen. Die britische Linke muss sich, wie die Linke weltweit insgesamt, mit der Frage auseinandersetzen, wann sich eine Kritik von konkreten Maßnahmen der israelischen Regierung zu einer regressiven Israel-Kritik entwickelt, die durchaus Elemente des Antisemitismus in sich trägt. Wo wird scheinbare antirassistische Toleranz zum Appeachment mit reaktionären islamistischen Gemeinschaften?

Zudem könnte man sich mit dem linken Nahost-Diskurs in Großbritannien befassen. Schließlich hat schon 2007 der Soziologe und Bewegungsforscher Peter Ullrich die Unterschiede des Nahostdiskurses in Großbritannien und Deutschland gut herausgearbeitet. Dort kam er zu dem Schluss, dass in Großbritannien die Nahostdiskussion im Kontext der kolonialen Vergangenheit des Landes geführt wird. Das führt dazu, dass Linke, die sich gegen die koloniale Vergangenheit wenden, oft auch vehemente Israelkritiker sind.

Dabei wird aber ausgeblendet, dass zeitweise die britische Politik sehr propalästinensisch agierte und während des NS verhindern wollte, dass jüdische Flüchtlinge nach Palästina gelangen. Deshalb hat auch die jüdische Nationalbewegung zeitweilig einen bewaffneten Kampf gegen die britische Kolonialverwaltung in Palästina geführt. So sprengte die jüdische Untergrundarmee Irgun 1946 das Jerusalemer Hotel in die Luft, in dem die Briten ihr Hauptquartier errichtet hatten. Hier müsste eine Debatte mit und in der britischen Linken über regressive Israelkritik und Antisemitismus ansetzen, der es nicht vor allem darum geht, eine mögliche Labourregierung auf Blairkurs zu halten.

Peter Nowak

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[1] http://www.georgegalloway.com/
[2] http://www.therespectparty.net/
[3] http://www.wsws.org/de/articles/2007/11/resp-n23.html
[4] https://www.heise.de/tp/features/Telford-ist-das-neue-Rotherham-3998563.html
[5] https://jungle.world/artikel/2018/13/normalisierter-missbrauch
[6] http://www.independent.co.uk/news/uk/politics/blair-told-police-donors-were-being-honoured-for-services-to-labour-these-documents-say-different-428845.html
[7] http://www.jlm.org.uk/
[8] http://www.taz.de/!5494458/
[9] https://www.gold.ac.uk/sociology/staff/hirsh/
[10] http://www.tu-berlin.de/fakultaet_i/zentrum_fuer_antisemitismusforschung/
menue/ueber_uns/mitarbeiter/ullrich_dr_dr_peter/
[11] http://www.tu-berlin.de/fakultaet_i/zentrum_fuer_antisemitismusforschung/menue/
ueber_uns/mitarbeiter/ullrich_dr_dr_peter/
[12] http://www.nefesch.net/2014/01/chronologie-60-jahre-israel

Linker Aktionstag von Rechts gekapert

– Zum 18. März mobilisierte die braune Szene bundesweit für Aktionen zur „Freiheit für alle politischen Gefangenen“.

„Jetzt erst recht! Gegen Gesinnungshaft, politische Verfolgung und Kriminalisierung“ und „Freiheit für alle politischen Gefangenen“ lauteten die Parolen auf den Bannern, mit denen am Sonntagnachmittag rund 40 Personen aus der extrem rechten Szene vor dem Justizzentrum in der Potsdamer Jägerallee protestierten. Zu den Teilnehmern der Kundgebung, zu der über soziale Medien mobilisiert wurde, gehörten auch der Neuruppiner NPD-Stadtverordnete Dave Trick und Patrick Stolle von der braunen Kleinstpartei „Der III. Weg“. In den Reden wurde eine systemtreue Justiz“ angeprangert, die die freie Meinungsäußerung einschränke. Als Beispiel nannte man den Paragraphen 130 des Strafgesetzbuches, der Volksverhetzung unter Strafe stellt.

Nach Informationen der „Potsdamer Neuesten Nachrichten“ (PNN) trat der Stadtrat und Mitbegründer der rechtspopulistischen „Bürgerbewegung Pro Chemnitz“ Martin Kohlmann als Redner auf. Er ist als Strafverteidiger für Angeklagte aus unterschiedlichen Spektren der extremen Rechten bekannt geworden.

Ort und Datum der Kundgebung waren mit Bedacht gewählt. Die Kundgebung wurde als Unterstützung für den mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilten Horst Mahler beworben, der in der Justizvollzugsanstalt Brandenburg an der Havel eine langjährige Haftstrafe verbüßt. Nachdem Mahler im letzten Jahr eine Haftunterbrechung aus gesundheitlichen Gründen für die Flucht nutzte, haben extreme Rechte aus verschiedenen Ländern Solidaritätskundgebungen organisiert, die auf einer eigenen Homepage dokumentiert sind.

Inhaftierte Neonazis auf Plakaten abgebildet

Mit dem 18. März versuchen die Rechtsextremen, eine linke Tradition für ihre Zwecke zu kapern. Anfang der 1920er Jahre hatte die linke Solidaritätsorganisation „Rote Hilfe“ den 18. März als Internationalen Aktionstag für die Freilassung von politischen Gefangenen kreiert. Sie bezog sich damit auf das Datum, an dem 1871 die Pariser Kommune ausgerufen wurde.

Schon in den vergangenen zwei Jahren versuchten Rechte, daran anzuknüpfen. In diesem Jahr verstärkten sich diese Aktivitäten bundesweit. So tauchten in Bremen Plakate mit dem Motto „Freiheit für alle politischen Gefangenen“ auf, auf denen neben Horst Mahler auch die inhaftierten Neonazis Sven Skoda, Axel Möller und Gottfried Küssel abgebildet sind. Für die Plakate zeichnet nach Angaben des Bremer Online-Zeitung „end of road“ der langjährige NPD-Funktionär Henrik Ostendorf verantwortlich. Sie wurden auch in Dortmund in großer Menge verklebt. Dafür übernahm die neonazistische „Aktionsgruppe Dortmund-West“ die Verantwortung. Sie postete als Beitrag zum 18. März auch ein Foto, auf dem sie sich mit der Reichskriegsfahne vor der auf eine Mauer gemalten Parole „Wir scheißen auf eure sog. Freiheit“ postiert.

Inhaftierte Neonazis auf Plakaten abgebildet

Mit dem 18. März versuchen die Rechtsextremen, eine linke Tradition für ihre Zwecke zu kapern. Anfang der 1920er Jahre hatte die linke Solidaritätsorganisation „Rote Hilfe“ den 18. März als Internationalen Aktionstag für die Freilassung von politischen Gefangenen kreiert. Sie bezog sich damit auf das Datum, an dem 1871 die Pariser Kommune ausgerufen wurde.

Schon in den vergangenen zwei Jahren versuchten Rechte, daran anzuknüpfen. In diesem Jahr verstärkten sich diese Aktivitäten bundesweit. So tauchten in Bremen Plakate mit dem Motto „Freiheit für alle politischen Gefangenen“ auf, auf denen neben Horst Mahler auch die inhaftierten Neonazis Sven Skoda, Axel Möller und Gottfried Küssel abgebildet sind. Für die Plakate zeichnet nach Angaben des Bremer Online-Zeitung „end of road“ der langjährige NPD-Funktionär Henrik Ostendorf verantwortlich. Sie wurden auch in Dortmund in großer Menge verklebt. Dafür übernahm die neonazistische „Aktionsgruppe Dortmund-West“ die Verantwortung. Sie postete als Beitrag zum 18. März auch ein Foto, auf dem sie sich mit der Reichskriegsfahne vor der auf eine Mauer gemalten Parole „Wir scheißen auf eure sog. Freiheit“ postiert.

aus. Blick nach Rechts, 19.03.2018
https://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/linker-aktionstag-von-rechts-gekapert

Peter Nowak

Sie nannten ihn Kazik

Die Erinnerungen des polnisch-jüdischen Ghettokämpfers Rotem Simha

Die polnische Rechtsregierung hat kürzlich ein Gesetz erlassen, das bei der israelischen Regierung auf heftige Kritik stieß. Bestraft werden soll, wer Polen beschuldigt, zwischen 1939 und 1945 mit der deutschen Besatzung zusammengearbeitet und bei der Verfolgung der Juden geholfen zu haben. Da ist es ein Glücksfall, dass jetzt die Erinnerungen eines der letzten Überlebenden des Aufstands im Warschauer Ghetto neu aufgelegt worden sind.

Am 10. Februar beging der in Israel lebende Simha Rotem seinen 94. Geburtstag. »Als Kazik hatte ihn ein Kamerad aus der Kampfbewegung, gerufen«, schreibt Agnieszka Hreczuk in der Einleitung. Kazik ist ein in Polen gängiger Name, Rotem bekam ihn damals verpasst, damit er nicht als Jude erkannt wird – nicht nur von den Nazis nicht, sondern auch von Polen mit antijüdischen Ressentiments nicht. Im Buch werden viele Beispiele für den Antisemitismus in der polnischen Bevölkerung aufgeführt. Kurios allerdings, was in der Passage über seine Geldbeschaffungsaktionen für den Untergrund mitteilt. Sie mussten oft trickreich sein. Selbst Juden waren eher bereit, Wertsachen oder einen Geldbetrag zu geben, wenn sie einen nichtjüdischen Mann des polnischen Widerstands vor sich glaubten.

Die Verfolgung der polnischen Juden begann unmittelbar nach dem deutschen Überfall in aller Öffentlichkeit: »Einen Tag nach dem Einmarsch der Deutschen wurde ich Zeuge, wie Juden auf der Straße aufgegriffen und zur Zwangsarbeit abgeführt wurden … Die Deutschen verhöhnten die Juden, rissen ihnen ihre Hüte vom Kopf, stießen, schlugen und misshandelten sie«, schreibt Rotem. Auch Reaktionen in der nichtjüdischen polnischen Bevölkerung notiert er. Er vermerkt »Kollaboration« und »Denunziation von Juden und ihre Auslieferung an die Deutschen«

Gespenstisch erscheinen Rotems Schilderungen, wie die letzten Überlebenden des Warschauer Ghettoaufstands von 1943 in unterirdischen Kanälen auf ihre Rettung harrten, während über ihnen das ganze Stadtviertel von den Nazi-Okkupanten dem Erdboden gleichgemacht wurde. Noch wochenlang qualmten die Ruinen mitten in der Warschauer Innenstadt, während das Alltagsleben weiterging als sei nichts geschehen. Rotem beteiligte sich mit den wenigen Überlebenden des Ghettoaufstandes im Jahr darauf auch am Warschauer Aufstand polnischer Patrioten. Im Vorfeld hatte seine Gruppe Kontakte zur nationalkonservativen Opposition aufgenommen, sich dann aber entschieden, sich der kleineren sozialistischen Widerstandsbewegung Armia Ludowa anzuschließen, die jüdische Kämpfer in ihre Reihen aufnahm. Abenteuerlich mutet die Rettung wichtiger Dokumente des Widerstands an, geborgen aus einem brennenden Gebäude und buchstäblich in letzter Minute vor dem Zugriff der Deutschen beiseite geschafft. Über zwei Wochen musste sich Rotem mit seinen Kampfgefährten in einem Keller verstecken. Sie drohten zu verdursten. Mit den Händen und primitivsten Werkzeugen buddelten sie einen tiefen Schacht, um an Trinkwasser zu gelangen.

Nach dem Ende des Krieges musste Rotem wie die meisten seiner Kampfgenossen feststellen, dass fast alle Freunde und Verwandten ermordet waren. Im Nachwort schreibt Jörg Paulsen: »Wenn wir das Zeugnis eines der wenigen Geretteten hier veröffentlichen, so mit der dringenden Bitte, ihm mit der Achtung zu begegnen, die ihm seitens der deutschen Leserschaft gebührt … Es bewahrt das Gedächtnis der Ermordeten«.

• Simha Rotem: Kazik. Erinnerungen eines Ghettokämpfers.
Verlag Assoziation A, 202 S., br., 18 €.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1082238.buchmesse-leipzig-sie-nannten-ihn-kazik.html

Peter Nowak

Ist die AfD ein Fall für den Verfassungsschutz?

Für den Kampf gegen rechts ist eine Bundeslöschstelle jedenfalls genau so untauglich wie die Verfassungsschutzämter

Der AfD-Vorsitzende von Brandenburg, Andreas Kalbitz, war vor 11 Jahren Teilnehmer eines Zeltlagers der neonazistischen Heimattreuen Jugend. Zwei Jahre später wurde sie verboten.

In der AfD sorgen solche Meldungen heute nicht mehr für große Aufregung. Schließlich hatte ein Teil ihres Personals schon Kontakt mit anderen rechten Gruppen gehabt. Doch könnte der Verfassungsschutz zumindest Teile der AfD beobachten. Die Forderung ist nicht neu, wird aber in den letzten Tagen mit größerer Intensität diskutiert.

Auch Landesverfassungsschutzämter drängen darauf, die AfD zu überwachen. Das ist nicht verwunderlich, schließlich wollen die Dienste ihre Unentbehrlichkeit vorführen und das können sie am besten, wenn sie neue Aufgabenfelder gerieren.

Der Verfassungsschutz braucht immer Anlässe, damit eine beträchtliche Zahl von Menschen eine Überwachung akzeptiert oder sogar fordert. Prompt stellt den Verfassungsschutz niemanden mehr in Frage.

Verfassungsschutz auflösen oder neue Aufgaben geben?

Dabei sah es nach der Selbstaufdeckung des NSU mal so aus, als könnte es ernst werden, mit der Abwicklung der Dienste. Schließlich waren die ja sehr nah dran an den NSU-Kadern, die trotzdem über ein Jahrzehnt in der ganzen Republik morden konnten. Oder gerade deswegen? Diese Frage ist noch offen und dürfte ungeklärt bleiben.

Damals sagten sich viele, warum weiter Geld ausgeben für Verfassungsschutzämter, die keinen Deut zur Aufklärung der neonazistischen Mordserie beigetragen hatten. Mittlerweile sind die Dienste auch bei einer jahrelangen rechten Terrorserie in Berlin-Neukölln in die Kritik geraten.

Obwohl der Täterkreis sehr gute Kenntnis der Neuköllner Situation haben muss, wurde bisher keine heiße Spur gefunden. Nun vermuten selber einige der von dem Terror betroffenen Neuköllner Sozialdemokraten, dass die Geheimdienste eher dafür verantwortlich sind, dass die Taten nicht aufgeklärt werden. So heißt es in der Taz:

Christiane Schott und Mirjam Blumenthal gehören zu denen, bei denen diese Beunruhigung am weitesten geht. Sie glauben nicht mehr daran, dass es hier nur um Versäumnisse geht, um unbeabsichtigte Fehler. „Natürlich bin ich keine Expertin für Polizeiarbeit, aber ich kann mir all diese Dinge nicht erklären. Und die Polizei hat sie mir bislang auch nicht erklären können“, sagt Blumenthal. Schott sagt es noch deutlicher: „Aus meiner Sicht wird das absichtlich kleingehalten.“

Blumenthal verweist auf mögliche Verbindungen zum NSU: Auf dessen Liste potenzieller Anschlagsziele standen auch die Falken Neukölln. Auch diese waren schon in den neunziger Jahren im Fokus rechter Gewalt. Einer der Täter damals: der Neuköllner Neonazi Carsten Szczepanski, später als V-Mann „Piatto“ im engsten Umfeld des NSU. Zwischen den Tätern von damals und den möglichen Tätern von heute gibt es personelle Verbindungen: Einige der Neonazis, die Anfang und Mitte der neunziger Jahre aktiv waren, gelten als politische Ziehväter derjenigen, die heute zum Kreis der Neuköllner Rechtsextremisten zählen.

Taz

Nun könnte man das alles als unbewiesene Verschwörungstheorien abtun. Zumal im Taz-Artikel leider ein Opfer des rechten Terrors in Neukölln ganz vergessen wurde: der vor 6 Jahren erschossene Burak B. Auch sein Mörder wurde bis heute nicht gefunden. Doch die rechte Terrorserie zeigt einmal mehr, dass ein Verfassungsschutz für die Aufklärung überflüssig, ja sogar kontraproduktiv ist.

Es geht darum, die diskreditierten Dienste zu rehabilitieren

Mittlerweile haben sich die Dienste umstrukturiert. Nach dem 11.9.2001 haben sie den Islamismus, nach den Protesten gegen G20 auch wieder die radikale Linke, als Beobachtungsobjekt auserkoren und jetzt vielleicht Teile der AfD. Nur sollten jetzt die Linken bloß nicht in die Falle tappen und da Zustimmung signalisieren, wenn die Rechten überwacht werden.

Man kann nicht gestern die Auflösung der Dienste fordern und heute die AfD-Überwachung begrüßen. Wer da zustimmt, hat den Verfassungsschutz akzeptiert und das ist der Hauptzweck der Übung.

Es geht darum, die gesellschaftlich diskreditierten Dienste wieder zu rehabilitieren. Um die Verankerung der AfD im rechten Lager zu erkennen, braucht es keinen Verfassungsschutz Das ist eine sehr öffentliche Veranstaltung. Wenn aktuell der AfD-Politiker vom völkischen Flügel, Andre Poggenburg, den AfD-Vorsitz in Sachsen-Anhalt aufgibt, liegt das an eher an parteiinternen Querelen, aber nicht an einer generellen Ablehnung seiner Positionen in der Partei.

Wahrscheinlich wird sein Nachfolger vom gleichen rechten Flügel kommen. Trotzdem zeichnet der rechtskonservative Politologe Werner Patzelt in einem Deutschlandfunk-Interview schon die Schimäre einer seriösen Rechten, die sich von den Teilen der Rechten abheben sollen, die nicht koalitionsfähig sind.

Nicht nur Patzelt und Co., auch viele andere Konservative, rechnen sich schon aus, wann sie mit der AfD zusammenarbeiten können. In Thüringen hat die CDU sogar einen Poggenburg mit in ein Gremium des Landtags gewählt, dass den sogenannten Linksextremismus untersuchen soll. So soll die Drohung mit einer Teilüberwachung der AfD durch den Verfassungsschutz auch dazu beitragen, dass sich die „seriöse“ Rechte durchsetz und die AfD koalitionsfähig wird.

„Sie müssen niemandem Bericht erstatten“

Doch nicht nur die Verfassungsschutzämter, auch ihre zivilgesellschaftlichen Zuarbeiter sollten kritisch beobachtet werden. Sie operieren mit gut klingenden Gummibegriffen wie Respekt und Demokratie, sind niemandem rechenschaftspflichtig und werden von niemandem kontrolliert.

Dabei greift die Arbeit dieser Demokratiezentren in die Meinungsfreiheit ein. Sie entscheiden, was im Internet hatespeech ist und nicht nur gelöscht, sondern auch juristisch sanktioniert werden muss. Was dafür notwendig ist, erklärt der dafür zuständige Stephan Ruhmannseder gegenüber der Taz:

Ich bin keine Ermittlungsbehörde. Meine Arbeit könnte theoretisch jeder an seinem Schreibtisch verrichten. Jedenfalls, sofern er bereit ist, sich in die Thematik einzuarbeiten.

Stephan Ruhmannseder

Überhaupt fällt auf, dass sich Ruhmannseder wenig Gedanken über die Problematik seines Jobs macht, die mit staatlichen Geldern arbeitet: „Kann man eigentlich von einer halbstaatlichen Organisation sprechen? Stephan Ruhmannseder zuckt mit den Schultern.“… Wäre es nicht gerade eine wichtige Frage, ob eine halbstaatliche Stelle mit der Attitüde einer NGO in die Meinungsfreiheit eingreift? Doch wozu sollte sich Ruhmannseder da Gedanken machen? Schließlich schreibt der Taz-Reporter:

Einen politischen Beschluss zur Gründung der Meldestelle gab es nicht – weder parlamentarisch noch ministerial noch nachrangig. Darauf legen sie hier Wert: Sie haben sich das selbst überlegt. Weil sie etwas machen wollten. Sie müssen niemandem Bericht erstatten.

Taz

Wie mit dem Begriff Hass jede Debatte entpolitisiert wird

Das ist aber dem Taz-Journalisten keinesfalls Anlass für eine kritische Nachfrage: „Stephan Ruhmannseder arbeitet für die Meldestelle ‚respect!‘, einer Anlaufstelle, der jeder Hass im Internet melden kann“, heißt es ohne eine kritische Nachfrage. Hass im Internet? Kann mit diesem Gummiparagraph nicht jede gesellschaftliche Äußerung, die die wohltemperierten Pfade eines Kamindialogs mit Jakob Augstein verlässt, darunter fallen?

In Spanien zeigt sich, wie Rapper zu langjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, weil sie angeblich Hass gesungen hätten. Es wird nicht lange dauern, bis streikende Arbeiter Probleme bekommen, wenn sie ihre Chefs Ausbeuter nennen und damit womöglich „Klassenhass“ säen.

Wenn jetzt Linke so geschichtslos ebenfalls bei der großen Absage an den Hass mitmachen und Übertritte verfolgen, müssen sie auch manche populären Liedtexte aus der Punk-Ära auf den Index setzen. Es gab nämlich eine Zeit, da war Hass durchaus als legitime Reaktion auf eine unvernünftige Gesellschaft angesehen. Gibt es auch heute noch genug Gründe für Wut und Hass?

Warum werden solche Gummibegriffe wie Hass verwendet und nicht Dinge beim Namen genannt, seien es Rassismus, Antisemitismus oder welche menschenfeindliche Ideologe auch immer. Da kann man politisch diskutieren, ob die Vorwürfe zutreffen oder nicht. Der Begriff Hass ist aber gefühlsbeladen und völlig entpolitisierend. Ziemlich weit unten in dem langen Beitrag stellt sich der TAZ-Reporter doch noch einige grundsätzliche Fragen:

Aber darf man das eigentlich? Einfach mal eine Organisation gründen, die verdächtige Internet-Einträge sammelt, weiterleitet – und sich dafür regelmäßig mit der Polizei trifft? Und sich diese Arbeit mit öffentlichen Geldern finanzieren lässt? Die Antwort aus rechtlicher Perspektive ist ziemlich simpel, sie lautet: Warum nicht? Aber bei der Meldestelle finden sie außerdem: Man darf nicht einfach nur, sondern man muss. „Es wäre einfach wünschenswert, wenn wir nicht die einzige solche Clearingstelle wären, sondern es viele davon gäbe. Und das kann dann gerne von ganz anderen Leuten ausgehen“, sagt Stephan Ruhmannseder.

Taz

Auch hier wieder fällt auf, wie unkritisch Ruhmannseder seine Arbeit betrachtet. Da wäre doch ein „Muss man wirklich?“ angebracht und zumindest die Forderung nach externer Kontrolle. So viel Selbstkritik sucht man hier vergeblich. Für den Kampf gegen rechts ist eine solche Bundeslöschstelle jedenfalls genau so untauglich wie die Verfassungsschutzämter.

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Links in diesem Artikel:
[1] https://www.demokratie-leben.de/wissen/glossar/glossary-detail/heimattreue-deutsche-jugend-hdj.html
[2] http://www.rp-online.de/politik/deutschland/verfassungsschutz-laender-draengen-auf-afd-beobachtung-aid-1.7440006
[3] http://www.taz.de/!5487020/
[4] http://www.taz.de/!5487020
[5] http://www.taz.de/!5487020/
[6] http://burak.blogsport.de/
[7] http://wjpatzelt.de
[8] https://player.fm/series/interview-deutschlandfunk/interview-mit-werner-patzelt-politologe-afd-vor-richtungsentscheid
[9] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/afd-andre-poggenburg-leitet-kommission-des-landtags-zu-linksextremismus-a-1196215.html
[10] http://www.demokratiezentrum-bw.de/demokratiezentrum/aktuelles/artikel/25098/
[11] http://www.taz.de/!5485709/
[12] http://www.taz.de/!5485709/
[13] http://www.taz.de/!5485709/
[14] https://jungle.world/artikel/2018/09/terror-koks-und-katalanen
[15] http://www.taz.de/!5485709/

Erklärtes Feindbild USA

Nur wenig Resonanz bei NPD-Kundgebung am Brandenburger Tor in Berlin.

Nur wenige Teilnehmer bei NPD-Kundgebung in Berlin;
In der letzten Zeit war die NPD in Berlin in der Öffentlichkeit kaum präsent gewesen. Wie wenig mobilisierungsfähig sie zurzeit ist, zeigt die geringe Teilnehmerzahl bei einer Kundgebung, die die NPD unter dem Motto „Kriegstreiber beim Namen nennen“ am vergangenen Samstag am Brandenburger Tor veranstaltet hat.

Selbst die angemeldeten 20 Personen wurden noch unterboten. Dabei waren auch die Jungen Nationaldemokraten (JN) auf der Kundgebung vertreten. Zudem war mit dem Ex-NPD-Vorsitzenden Udo Voigt der letzte bekanntere Mandatsträger der NPD als Redner aufgeboten. Der EU-Parlamentarier Voigt dürfte aber sein Mandat bei der nächsten Europawahl wohl verlieren. Auf der Berliner Kundgebung monierte Voigt eine angebliche Destabilisierung des Iran durch die USA.

Angeblich von den USA gesteuerte Kriege

Zuvor hatte der Berliner NPD-Vorsitzende Andreas Käfer in seiner Rede die USA angegriffen und der Scheinheiligkeit geziehen. Sie würden vorgeben, Frieden und Demokratie zu exportieren und produzieren nichts anderes als Flüchtlingsströme und tote Zivilisten. Angeprangert bei der Kundgebung wurde die angebliche Destabilisierung des Iran durch die USA, aber auch die Kriege im Iran, im Libanon und in Syrien standen im Fokus der NPD-Kritik.

Auch hier sieht die rechtsextreme Partei die USA am Werk. Kein anderes Land bekomme die Negativauswirkungen der internationalen Kriegstreiberei so stark zu spüren wie Deutschland, versuchte der Berliner NPD-Chef Käfer einen Zusammenhang zwischen angeblich von den USA gesteuerten Kriegen und der Zunahme von Geflüchteten herzustellen. Zu den Forderungen der NPD-Kundgebung gehörte auch eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland, Iran und Syrien und ein Ende der Sanktionen gegen Russland sowie einen Stopp von Waffenlieferungen in Kriegsgebiete.

aus: Blick nach Rechts
https://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/erkl-rtes-feindbild-usa

Peter Nowak

Wie die polnische Rechte die Holocaust-Forschung kriminalisiert

Doch bei aller berechtigten Kritik an der polnischen Regierung sollte nicht vergessen werden, dass die Shoah ein Projekt ganz gewöhnlicher Deutscher war. Ein Kommentar

Kann man in Polen den Film „Shoah“ von Claude Lanzmann noch zeigen, ohne mit Strafen rechnen zu müssen? Diese Frage muss man sich stellen, nachdem die rechtskonservative Mehrheit im polnischen Parlament ein Gesetz verabschiedet hat, dass es unter Strafe stellte, wenn jemand Polen beschuldigt, sie hätten bei der Verfolgung und Tötung von Juden mitgewirkt.

„Dabei ist es eine historische Tatsache, dass eine große Anzahl Polen an der Verfolgung und Ermordung von Juden mitwirkten. Wenn das nicht mehr gesagt werden darf, wenn dazu nicht mehr geforscht werden darf, ist das ein Skandal“, schreibt der Historiker Yehuda Bauer in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung. Tatsächlich gab es in nationalpolnischen Kreisen einen virulenten Antisemitismus, der dafür verantwortlich war, dass auch polnische NS-Gegner Juden an die Wehrmacht oder SS verrieten und auslieferten.

Es gab antijüdische Pogrome vor dem Einmarsch der Deutschen in Polen und die wenigen überlebenden Juden waren nur wenige Jahre nach ihrer Befreiung wieder mit dem polnischen Antisemitismus konfrontiert. 1968 ritt sogar die autoritäre, nur dem Namen nach kommunistische, Partei auf der Welle des Antisemitismus, der nur notdürftig als Antizionismus kaschiert wurde.

In dem Film „Shoah“, der der massenhaften Vernichtung der europäischen Juden den Namen gab, berichten an mehreren Stellen Überlebende, wie sie auch von polnischen Bürgern bedroht und beschimpft wurden. In einer Szene sagt ein polnischer Bauer aus der Gegend um Auschwitz, dass die Juden von den Passanten lachend mit dem Zeichen des Kopfabschneidens begrüßt wurden.

Dass auch unter deutscher Besatzung der polnische Antisemitismus gut gedeihen konnte, zeigte das Pogrom in der ostpolnischen Stadt Jedwabne im Juli 1941, das der Historiker Jan.T. Gross erforscht hat. Auch seine Arbeit wäre gefährdet, wenn das neue Gesetz in Kraft tritt. Deshalb ruft Yehuda Bauer mit Recht zur Solidarität mit den polnischen Historikern auf.

Kritik aus Israel

Dass die Forschung über die unterschiedlichen Formen der Kooperation von Polen bei der Ermordung der Juden eingeschränkt werden soll, ist vor allem in Israel auf starke Kritik gestoßen. Die polnische Rechtsregierung, die sich nach Außen immer als enger Freund von Israel darstellt, hat das in Kauf genommen. Die Kritik Israels wird von nationalpolnischen Kreisen, die auch die Wählerbasis der gegenwärtigen Regierung sind, für antiisraelische Ausfälle genutzt.

Eine geplante rechte Demonstration vor der israelischen Botschaft in Warschau wurde verboten und das Gelände bis zum 5. Februar abgesperrt. Das Kalkül der polnischen Rechten in und außerhalb der Regierung geht auf. Die Regierung demonstriert damit vor allem, dass sie sich von der Kritik der Nachfahren der Shoah-Opfer nicht von ihren Plänen abbringen lässt, die Holocaust-Forschung massiv zu reglementieren und einzuengen.

Die Shoah war ein deutsches Projekt

In Deutschland sieht man den Streit zwischen Polen und Israel gerne. Man kann sich hier schließlich wieder als Aufarbeitungsweltmeister aufspielen, der mit den Finger auf seinen östlichen Nachbarn zeigt, dessen Grenzen man nur widersprechend erst vor 25 Jahren anerkannt hat.

Denn, so richtig es ist, sich mit den polnischen Historikern zu solidarisieren, die nun durch das Gesetz kriminalisiert und in ihren Forschungen eingeschränkt werden könnten, in Deutschland muss doch wohl wieder in Erinnerung gerufen werden: Der Holocaust wurde von Deutschen geplant, es waren ganz gewöhnliche Deutsche, die die europäischen Juden in Polen und anderswo ermordeten. Es waren ganz gewöhnliche Deutsche, die sich sogar beim Mordhandwerk fotografieren ließen und darüber ihren Lieben in der Heimat berichteten.

„Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ – diese Zeile aus der Todesfuge von Paul Celan muss wieder in Erinnerung gerufen werden. Es gab in allen Nachbarländern Antisemitismus, zu den mörderischen Konsequenzen führte er aber nur in Deutschland und durch Deutsche, auch wenn es Unterstützer aus vielen Ländern und auch aus Polen gab.

Daher ist zumindest der Teil des neuen polnischen Gesetzes verständlich, der es unter Strafe stellt, wenn das deutsche Vernichtungslager Auschwitz „polonisiert“ wird. Das mag in vielen Fällen ein Fall von Nachlässigkeit sein, wenn ausgedrückt werden soll, dass Auschwitz im heutigen Polen liegt. Ein so fahrlässiger Umgang mit den Fakten trägt aber dazu bei, dass die Geschichte der Shoah verfälscht wird. Von daher ist auch zu verstehen, dass die polnische Regierung gegensteuern will. Ob hier allerdings repressive Maßnahmen helfen, muss bezweifelt werden.

Wenn Guantanamo zum kubanischen Lager wird

Auch jüngere Ereignisse, die nicht mit der Shoah zu vergleichen sind, werden gerne in falsche geographische Zusammenhänge eingeordnet. So wird das US-Lager auf kubanischem Territorium, Guantanamo, häufiger zum kubanischen Lager umfunktioniert. Bei vielen sicher aus Nachlässigkeit und Ungenauigkeit. Aber es dürfte auch nicht wenige geben, die ein politisches Interesse haben, der sozialistischen Insel auch dieses Lager noch zuzuschreiben.

Dennoch hat man nicht gehört, dass die kubanische Regierung erwägt, alle die zu bestrafen, die vom kubanischen Lager Guantanamo sprechen und schreiben. Daher ist auch bei allem Verständnis für das Anliegen, dieser Teil des polnischen Gesetzes ebenso fragwürdig.

Es stellt sich schon die Frage, welchen Zweck die polnischen Rechten mit diesen Gesetzen verfolgen, die sie auch noch am Jahrestag des Holocausts, am 27. Januar, durch das Parlament brachten. Es handelt sich wahrscheinlich ebenso um eine codierte Form des Antisemitismus, wie die regierungsamtliche ungarische Kampagne gegen den Liberalen Soros.

https://www.heise.de/tp/features/Wie-die-polnische-Rechte-die-Holocaust-Forschung-kriminalisiert-3960314.html

Peter Nowak
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http://www.heise.de/-3960314

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.filmzentrale.com/rezis/shoahkk.htm
[2] https://portal.dnb.de/opac.htm?method=simpleSearch&query=123667402
[3] http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/30742
[4] http://www.zeit.de/2005/06/Jedwabne?page=1
[5] http://www.ipn.gov.pl/ftp/pdf/jedwabne_postanowienie.pdf
[6] https://www.perlentaucher.de/buch/jan-t-gross/nachbarn.html
[7] http://www.wissen.de/die-todesfuge-von-paul-celan

Die Möglichkeit des radikal Anderen

100 Jahre nach der brutalen Niederschlagung: Autor Simon Schaupp über die Bedeutung und Erforschung der Bayerischen Räterepublik

Zur Person

Simon Schaupp ist Soziologe und in der Technischen Universität München als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Er hat kürzlich im Unrast-Verlag »Der kurze Frühling der Räterepublik – ein Tagebuch der bayerischen Revolution« herausgeben. Am 26.1. stellt Schaupp das Buch im Berliner FAU-Lokal in der Grüntaler Straße 24 vor.

Mit dem Wissenschaftler sprach Peter Nowak.

„Die Möglichkeit des radikal Anderen“ weiterlesen

Die Suche nach einem Kinderreim

Die israelische Filmemacherin Tali Tiller macht sich auf den Weg, um in Polen über das Leben ihrer verstorbenen Großmutter zu recherchieren. „My Two Polish Loves“ heißt ihr Film

„Niemand ist vorbeikommen“, sagt Magda Wystub. Die junge Frau mit den kurzen Haaren steht mit ihrer Freundin Tali Tiller vor einem völlig zugewachsenen Grab auf dem jüdischen Friedhof in Łódź. Dort ist Tillers Großvater beerdigt. Ein Großteil seiner Verwandten sind im Nationalsozialismus ermordet worden, die wenigen Überlebenden sind später ausgewandert. So war niemand mehr da, der sich um das Grab kümmerte. Tali Tiller, die aus Israel stammt, hat es gemeinsam mit ihrer polnischen Lebenspartnerin Magda Wystub wieder entdeckt, als sich die beiden Frauen auf die Suche nach den Spuren von Silvia Grossmann Tillers Leben in Łódź gemacht hatten. Silvia Grossmann Tiller, die 2014 starb, ist Talis Großmutter. Erst in den letzten Jahren
ihres Lebens hatte sie von der Verfolgung im Nationalsozia- lismus berichtet. Ihr hat die Enkelin ihren Film „My Two Polish Loves“ gewidmet. Die erste polnische Liebe ist ihre Großmutter gewesen, die zweite polnische Liebe ist ihre Freundin Magda.

Wo einst das Ghetto war
Mit einer Mappe, in der sich Fotos und Texte befinden, machen sich die beiden Frauen auf die Suche und stellen oft fest, dass heute kaum noch etwas an die große jüdische Gemeinde in Łódź erinnert. Wo einst das Ghetto war, befindet sich jetzt eine viel frequentierte Straßen- kreuzung. PassantInnen hetzen vorbei und achten nicht auf die beiden Frauen, die das Foto einer Brücke in der Hand halten, die beide Seiten des Ghettos verbunden hat. Dort steht der Großvater von Tiller an einer Treppe. Gefunden hat es Tiller im Museum der Ghettokämpfer im Kibbuz Lohamei Hagetaot. Besonders traurig ist die Regisseurin, dass sie das Haus ihrer Großmutter trotz akribischer Suche nicht findet.
Immer wieder sind im Film kurze Sequenzen aus Interviews eingespielt, die Tiller mit ihrer Großmutter führte. Dort schildert sie, wie sie den Arbeitszwang der SS missachtete, um bei ihrer todkranken Schwester zu bleiben, die in ihren Armen starb. Sie meint, es sei ein Wunder, dass sie nicht von der SS entdeckt wurde, die das Haus durchsuchte, aber das Zimmer ausließ, in dem sie sich befand. „My Two Polish Loves“ ist kein trauriger Film. Man sieht die beiden Frauen bei der Vorbereitung ihrer Erkundungen, sie recherchieren im Internet und vergleichen Stadtpläne.Magda Wystub erinnert sich noch genau an die Straßennamen im Polen ihrer Kindheit. Bedeutsame wie die „Straße der Opfer des Faschismus“ oder „Straße der Toten von Auschwitz“ seien ihr in Erinnerung geblieben. Am Ende sind beide Frauen erfolgreich bei der Suche nach einem Kinderreim, den Tali Tiller von ihrer Großmutter gehört hat und der ihr nicht aus dem Kopf gegangen ist. Tali Tiller und Magda Wystub haben einen sehr persönlichen Film gemacht über die Zeit, in der die letzten Holocaust-Überlebenden sterben. Der Film zeigt, wie ihre Erinnerung bewahrt werden kann.

„My Two Polish Loves“ (OmU). Regie: Tali Tiller. D 2016, 51 Min., in Englisch, Polnisch und Hebräisch mit deutschen Untertiteln
Das Lichtblickkino in der Kastanienallee 77 zeigt den Film am 29. und 30. 1. um 17 Uhr


aus: Taz Berlin kultur, 24.1.2018

Peter Nowak

Spuren der Shoah

»My Two Polish Loves« im Lichtblick-Kino

Auf einer viel befahren Straßenkreuzung in der Innenstadt von Łódź steht eine junge Frau, die sich suchend umschaut. In der Hand hält sie einen Ordner mit Fotos. Es sind Dokumente über das jüdische Ghetto, das sich einst an dieser Stelle befunden hat. Heute erinnert nichts mehr daran. Die junge Frau ist Tall Tiller. Die Israelin, die seit mehreren Jahren in Berlin lebt, hat sich mit ihrer polnischen Partnerin Magda Wystub auf die Suche nach der Geschichte ihrer Vorfahren begeben. Davon erzählt ihr knapp einstündiger Film »My Two Polish Loves«. 

Den Anstoß für die Reise gab die 2014 gestorbene Großmutter der Regisseurin. Erst in den letzten Jahren ihres Lebens erzählte die Holocaust-Überlebende ihre Geschichte der Verfolgung. Sie war mit ihrer Familie im Ghetto von Łódź eingesperrt. Die SS deportierte später einen Großteil der BewohnerInnen in die Vernichtungslager. Silvia Grossmann Tiller war eine der wenigen aus ihrer Familie, die überlebt hat. Im Film hört man sie von einem Wunder sprechen, das zu ihrer Rettung geführt habe. So berichtet sie, wie sie sich entschieden hatte, nicht zur Arbeit zu gehen und bei der schwer kranken Stiefmutter zu bleiben, die dann in ihren Armen starb. Dabei hörte sie, wie die SS das Gebäude betrat, in dem sich die Frauen versteckt hielten. Doch bevor die SS-Männer die obere Etage erreichten, brachen sie die Suche ab. Wäre Silvia gefunden worden, hätte man sie wohl sofort erschossen. 

Wir hören die Stimme der Großmutter in Tall Tillers Film mehrmals. Wir sehen auch ein Foto des Großvaters an einer der Brücken, die die beiden Teile des Ghettos verbanden. Gefunden hat die Regisseurin es im Museum der Ghettokämpfer in Tel Aviv. 

»Das Haus meiner Oma zu finden, war für mich das Wichtigste«, sagte Tall Tiller gegenüber der »Jüdischen Allgemeinen Zeitung«. Aber die Suche blieb erfolglos. »Es gibt das Haus nicht mehr. An seiner Stelle befindet sich heute ein öffentlicher Park.« Das Haus ihres Großvaters aber, der ebenfalls überlebte, hat sie gefunden – und bedauert, ihn zu Lebzeiten nicht konkreter über sein Leben im Ghetto befragt zu haben. Gefunden hat sie auch sein Grab auf einem total überwucherten Friedhof – nebst einer Gedenkkerze, die nie angezündet wurde. »Niemand ist vorbeigekommen«, sagt Magda Wystub. Es ist einer der traurigsten Momente im Film. Er zeigt, welche Folgen die Shoah auch für die Überlebenden hatte. Es war niemand mehr da, der später ihre Gräber besuchen konnte. 

Und doch ist »My Two Polish Loves« kein trauriger Film. In mehreren Szenen sieht man Tiller und Wystub bei der Vorbereitung ihrer Erkundigungen oder bei der Auswertung in einem Restaurant. Auf der Suche nach einem Raum von Tillers Großmutter, der der Enkelin nicht aus dem Kopf geht, fragen sie PassantInnen, die aber nur mit den Schultern zucken. Am Ende kann ein Jugendlicher das Rätsel aufklären. 

Tall Tiller hat einen sehr persönlichen Film gemacht über die Zeit, in der die letzten Holocaust-Überlebenden sterben. Die Erinnerung an sie aber, das zeigt der Film, bleibt lebendig. 

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1075595.spuren-der-shoah.html

Vorführung am 10.1., 19 Uhr, im Lichtblick-Kino (Kastanienallee 77, Prenzlauer Berg). Im Anschluss gibt es ein Gespräch mit der Regisseurin.

Peter Nowak

Querfront-Projekt endete als Farce

Sie eint nur die Ablehnung von Nato, die USA und Israel – doch selbst in der Linkspartei gibt es einige, die zumindest klammheimliche Sympathien äußern

Am Ende wurde die Preisverleihung zur Posse. Der Moderator Ken Jebsen, dessen Markenzeichen regressiver Antizionismus, verschwörungstheoretisches Denken und der Aufruf zu einem Links-Rechts-Crossover ist, sollte im vom Berliner Senat subventionierten Kino Babylon[1] von der Neuen Rheinischen Zeitung[2] einen Preis verliehen bekommen.

Doch kurzfristig hatte Ken Jebsen über ihn nahestehende Medien seine Absage erklärt[3]. Es soll hinter den Kulissen Streit über einige der Gäste und Musiker gegeben haben. Nun könnte man sich über das verdiente Desaster eines Projekts freuen, das vom Kampf gegen Israel und den USA lebt. Wenn es eine Querfrontzeitung gibt, die einigermaßen funktioniert, dann ist es die Neue Rheinische Zeitung.

Der klangvolle Name der Publikation, in der auch Karl Marx publizierte, soll nicht täuschen. Heute ist es das Zeitungsprojekt einer kleinen Gruppe ehemaliger autoritärer Linker, die nach dem Ende des Nominalsozialismus nicht mehr links und rechts kennen wollten. Sie hofften, aus der Pegida-Bewegung eine Anti-Nato-Bewegung machen zu können.

Die „Engagierten Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas“ aber waren äußerst kurzlebig. Doch Andreas Neumann und Annelie Fikentscher, beides Redakteure der heute real existierenden Neuen Rheinische Zeitung, waren voll des Lobes[4] für diese Aufmärsche:

Die „Engagierten Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas“ dagegen sind diejenigen, die erkannt haben, von wo die großen Bedrohungen für die Menschheit ausgehen.

Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Dabei ist bei einen Blick auf die Endgame-Internetpräsenz zu erkennen, dass dort mit dem Antiamerikanismus und dem Lügenpresse-Vorwurf sowie Verschwörungstheorien aller Art nur eine Variante von Pegida aktiv war. Wer sich die Bilder der Endgame-Aufmärsche anguckte, konnte unschwer in der rechten Szene aktive Personen dort ausmachen.

In der Ablehnung von Kategorien wie links und rechts und im Hass auf Israel und die USA treffen sie sich mit Ken Jebsen, der seine Tagesdosis Verschwörungstheorie sehr professionell unter das Publikum bringt[5] und das ist nicht klein. Das ist ein Zeichen des Irrationalismus, in Zeiten, in der linke Politikvorstellungen diskreditiert sind.

Jebsen versteht es gekonnt, linke Versatzstücke mit in seine Botschaft einzubauen, den Kapitalismus zu verurteilen, ihn dann aber verschwörungstheoretisch zu begründen. Selbst die antizionistische Tageszeitung „junge Welt“ konzediert Jebsen ein geschlossen antisemitisches Weltbild und bezieht sich auf dem Videoclip Antizionistischer Rassismus[6].

Nun könnte man denken, dass alle Linken sich freuen, dass die Preisverleihung an Jebsen nun ohne große Proteste ins Wasser fiel, weil sich die Querfront selber zerlegte. Doch das ist ein Irrtum.

Linke über Jebsen zerstritten

Vielmehr hat die Preisverleihung bereits im Vorfeld zu massiven Streit in der Linkspartei geführt. Die einen stehen auf der Seite des Berliner Kultursenators Klaus Lederer[7], der die Preisverleihung im staatlich geförderten Filmtheater („Jahrmarkt der Verschwörungsgläubigen und Aluhüte“, wie Lederer sagte) gern verhindert hätte.

Nun kann man die Frage stellen, warum nicht auch interveniert wurde, als Martin Hohmann, der wegen einer antisemitisch empfundenen Rede aus der CDU ausgeschlossen wurde und sich heute in der AFD hinter Höcke stellt, bei einer rechten Preisverleihung in der Zitadelle in Spandau[8] redete.

Man könnte auch monieren, dass der Berliner Senat, damals auch unter Beteiligung der Linkspartei, nicht intervenierte, als im Kino Babylon ein Arbeitskampf stattfand und der Kinogeschäftsführer sogar versuchte, der daran beteiligten Basisgewerkschaft FAU den Gewerkschaftsstatus abzusprechen[9]. Wenn aber Linkspartei-Politiker Jebsen und seine Fans irgendwie als zur eigenen Familie gehörig betrachtet werden, muss man sich schon wundern.

Bundestagsabgeordnete wie Andrej Hunko[10] betonen, dass sie wohl auch Differenzen mit Jebsen haben. Aber am Ende verteidigt er doch Jebsen und seine Anhänger. Hunko macht in seinen Text einen Exkurs zur Weltpolitik und in die Geschichte. Nur eine Frage lässt er wie die anderen Jebsen-Verteidiger offen. Kennt er die Texte, in denen Jebsen die Zionisten für alle Übel der Welt verantwortlich macht und den Mossad mit der SS vergleicht?

Diese Frage geht auch an den Bundestagsabgeordneten Wolfgang Gehrcke, der am Donnerstag auf einer Kundgebung geredet hat, die sich gegen die Intervention des Senators seiner eigenen Partei beim Kino Babylon richtete. Gehrcke kritisierte[11] die politische Rechte in seiner Rede.

Er setzt sich dort für eine Linke ein, die gegen Kriege und Gewalt und für die Freiheit des Wortes und des Geistes eintritt. Kämpft Gehrcke also dafür, dass Jebsen gegen ein Holocaust-Denkmal in Washington hetzen und im Geiste des Schwarzbuch-Kommunismus davon schwadronieren kann, dass die Sowjetunion das Copyright beim Vernichten von Menschen hatte und die Nazis nur die Lehrlinge waren.

Der Streit dürfte in der Linken weitergehen, auch wenn die Preisverleihung nun aus internen Gründen nicht zustande kam. Es gibt in den letzten Monaten die These, dass unter dem Dach der Linken zwei völlig unterschiedliche Politikkonzepte vertreten sind. Beide sind aufeinander angewiesen, weil sie sonst beide nicht ins Parlament kämen. Doch an dem Streit um die Jebsen-Show wurde auch deutlich, wie unterschiedlich die Vorstellungen real sind.
https://www.heise.de/tp/features/Querfront-Projekt-endete-als-Farce-3918874.html

Peter Nowak

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http://www.heise.de/-3918874

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.babylonberlin.de/
[2] http://www.nrhz.de/flyer/
[3] https://www.rubikon.news/artikel/ken-jebsen-sagt-teilnahme-an-preisverleihung-ab
[4] http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21428
[5] https://kenf.de/
[6] https://www.youtube.com/watch?v=FpCS6KwZ63E
[7] https://www.die-linke.de/partei/parteistruktur/parteivorstand/2016-2018/beschluesse/detail/news/klare-kante-gegen-querfront/
[8] https://www.vice.com/de/article/ywba3b/wir-waren-bei-einer-preisverleihung-fur-rechte-journalisten
[9] https://berlin.fau.org/kaempfe/kino-babylon-mitte
[10] http://www.andrej-hunko.de/start/aktuell/3848-persoenliche-erklaerung-zum-parteivorstandbeschluss-der-linken-klare-kante-gegen-querfront
[11] https://www.wolfgang-gehrcke.de/de/article/1948.es-gibt-sie-die-politische-rechte-und-auch-die-politische-linke.html

Jerusalem-Entscheidung: Neue Ziele ansteuern

Die antisemitischen Tendenzen bei den Reaktionen verwundern nicht. Das Diktat der Hamas und unhaltbare Zustände – „Trump macht was richtig“

Donald Trump macht was richtig, hieß es am vergangenen Samstag in einer Taz-Kolumne. Gemeint war seine Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt. Ausgerechnet das linksliberale Blatt, dass Deutschland nach der Trump-Wahl zum Leuchtturm der freien Welt ausrief, hat mal gute Worte für den US-Präsidenten. Und das noch bei einer Entscheidung, wo es in den letzen Tagen schien, als stehe Trump gegen den Rest der Welt.

Noch mehr als Trumps per Mail erklärten Austritt aus dem Pariser Klimaabkommen schien die veröffentlichte Meinung der Widerstand gegen dessen Jerusalem-Entscheidung zu einigen. Nun zeigte sich schnell, dass da auch wieder einmal viel Aufregung und Furor im Spiel war.

Die deutschen Medien und der Zorn der arabischen Straße

Da wurde seit Tag der Zorn der arabischen Straße bemüht. Als es aber in den arabischen Städten noch weitgehend ruhig blieb, wurde schon gefragt, wann denn nun dieser Zorn ausbreche. Nach den Freitagsgebeten orakelten die Nahostbeobachter Mitte letzter Woche.

Dann wurde jede Menschenansammlung zur neuen Intifada erklärt und gar nicht berücksichtigt, dass hier islamistische Gruppen wie die Hamas zu den Aufrufern gehörten. Nachher war man dann entsetzt, dass in vielen europäischen Städten eindeutig antisemitische Tendenzen bei den Aktionen zu sehen und hören waren. Nur kann das niemand verwundern.

Wenn die Hamas aufruft, sind regressive Antizionisten und auch offene Antisemiten nicht weit. Als dann am Wochenende die Unruhen wieder abflauten, setzte fast Enttäuschung in manchen Medien ein. Dabei haben Beobachter des Geschehens im Nahen Osten schon länger eine neue Intifada für unwahrscheinlich gehalten. Das hat viele Gründe. Viele erkennen, dass sie ihre konkrete Situation damit eher verschlechtert.

Es gab auch im Gazastreifen Statements, die ein Leben unter dem Diktat der Hamas als ein größeres Übel als unter israelischer Besatzung halten. Dabei spielt sicher eine Rolle, dass der islamistische Tugendterror im Gaza auf viel Widerstand stößt. Aber auch ökonomische Argumente finden Gehör.

Das wirtschaftlich prosperierende Israel könnte für die Palästinenser eine bessere Lebensgrundlage bieten, als eine Armutsregion Westbank, vom Gazastreifen gar nicht zu reden. Hier könnte eine Debatte über einen einheitlichen Staat Israel-Palästina beginnen. Genau darauf kommt der Taz-Kommentator zu sprechen, wenn er Trump für seine Jerusalem-Entscheidung lobt.

Wer Trumps Schritt nun irrational findet und gefährlich, muss nur einmal die Logik deutscher und amerikanischer Nahostpolitik der letzten 15 Jahre nüchtern betrachten. Man hielt an einer illusionären Zweistaatenlösung fest, obwohl diese durch israelische Siedlungspolitik verunmöglicht wurde, rügte zwar immer mal wieder, subventionierte aber weiterhin Israels Militär.

Gleichzeitig finanzierte man eine korrupte und undemokratische Palästinensische Autonomiebehörde, um die israelische Besatzung nicht zu einer humanitären Katastrophe werden zu lassen. Dass dieser unhaltbare Zustand nun enden könnte, ist eine gute Nachricht. Denn der israelischen Regierung und der rechten Mehrheit im Land kann Donald Trumps Schritt langfristig nicht recht sein.

Für sie ist der Status quo bequem: Faktisch gibt es nur einen Staat zwischen Mittelmeer und Jordan, Millionen Palästinenser leben dort unter israelischer Kontrolle. Israel braucht das Fernziel Zweistaatenlösung, und sei sie noch so unrealistisch, dringender als die Palästinenser. Denn wenn das Ziel – zwei Staaten für zwei Völker – offiziell erledigt ist, stellen sich für Israel unangenehme Fragen.

Was ist mit den Millionen Palästinensern, die dann auch offiziell unter israelischer Herrschaft leben, aber keine Staatsbürgerrechte haben?

Wird Israel dann ein Apartheidstaat (Shitstorm in 3, 2, 1 …)?

Es ist Zeit, über Alternativen zur Zweistaatenlösung zu sprechen. Donald Trump hat dazu den ersten Schritt gemacht.

Taz

Die Logik hinter der Argumentation ist einleuchtend. Mit der Trump-Entscheidung wird dem Kräfteverhältnis in der Region Rechnung getragen und das ist nicht aufseiten der Palästinenser. Ein eigener Staat wird für sie immer mehr zu einer Schimäre. Also gilt es neue Ziele anzusteuern. Da wäre ein Staat mit gleichen Rechten für alle Bürger ein Ziel.

Das wäre nur möglich, wenn die antisemitischen und islamistischen Kräfte in der Region an Bedeutung verlieren. Mit ihren ständigen Versuchen, einen neuen Aufstand gegen Israel anzuzetteln, versuchen sie immer wieder jede Überlegung in Richtung Kooperation zu verunmöglichen.

Dass die vielzitierte arabische Straße sich längst nicht mehr beliebig mobilisieren lässt, kann als gute Nachricht verstanden werden, auch und gerade für die Palästinenser. Die haben wahrlich eine bessere Zukunft verdient, als sich für einen islamistischen Staat zu opfern.

Könnte Israel aus einer Position der Stärke auf Palästinenser zugehen?

Auch erklärte Verteidiger der israelischen Politik sehen in der Jerusalem-Entscheidung von Trump positive Momente.

„Und Israel wäre gut beraten, aus einer Position der Stärke heraus aktiv auf die Palästinenser zuzugehen und konstruktive Konzepte zu entwickeln. Eines ist jedenfalls sicher: Frieden schließt man nicht mit seinen Freunden, sondern durch Dialog und Begegnung mit dem Feind“, schreibt Louis Lewitan[4] in der Jüdischen Allgemeinen[5]. Zuvor hat er die UN und die EU scharf kritisiert:

Wie wäre es, wenn die Weltgemeinschaft, anstatt die USA und Israel anzuprangern, die arabischen Staaten und die muslimische Glaubensgemeinschaft in die Pflicht nehmen würde, den Staat Israel und die unauflösliche Bindung des jüdischen Volkes an Jerusalem endlich anzuerkennen? Das wäre eine glatte Abkehr von einer unglaubwürdigen Appeasement-Politik westlicher Demokratien gegenüber arabischen Despoten und morschen Monarchen.

Louis Lewitan, Jüdische Allgemeine Zeitung

Kein Bündnis mit Saudi Arabien

Letzteres müsste allerdings auch eine Forderung an die israelische Regierung sein. Denn deren sich anbahnende taktische Allianz mit Saudi-Arabien gegen Iran ist ebenfalls ein Bündnis mit einer arabischen Monarchie, einem Hort des Islamismus und Islamismusexports. Dass wussten israelisolidarische Linke noch vor 15 Jahren, als sie schrieben, dass nach den islamischen Anschlägen vom 11.9. eher Saudi-Arabien als der Irak das Ziel von US-Militärschlägen hätte sein müssen.

Immerhin waren Islamisten aus Saudi-Arabien für die Anschläge mitverantwortlich, was vom Irak nicht nachgewiesen ist. Nun sehen auch manche israel-solidarische Linke in Saudi Arabien positive Momente[6]. Da wird es schon als großer Erfolg gewertet, dass der neue starke Mann in Saudi Arabien Mohammed Bin Salman den Frauen gestattet, ohne männliche Begleitung Auto zu fahren.

Danach müsste ja der Iran der Hort der islamischen Moderne sein. Denn dort war das schon länger möglich. Nachdem der Autor einräumt, dass die Reformen in Saudi-Arabien nicht mit den Beginn einer Modernisierung verwechselt werden sollen, kommt er auf die außenpolitischen Implikationen des neuen Herrschers von Saudi Arabien zu sprechen.

Die Isolation Katars hat vor allem dazu geführt, das Emirat in Richtung Iran zu treiben, aber bisher keine Zugeständnisse erwirkt. Im Jemen würde eine militärische Lösung Kapazitäten erfordern, die Saudi-Arabien nicht hat. Und in Syrien haben die Saudis praktisch keinen bewaffneten Ansprechpartner mehr. Es bleibt Israel als Verbündeter, mit dem man die Besorgnis über den Iran teilt. Womöglich bereitet bin Salman auch hier eine Sensation vor, Gerüchte über ein Abkommen machen bereits die Runde. Der Nahe Osten ist in einem Zustand angelangt, in dem man nichts mehr völlig ausschließen möchte.

Oliver M. Piecha, Jungle World
Das wäre allerdings ein neues Bündnis mit einem autoritären islamischen Herrscherhauses und würde nicht unbedingt die Bereitschaft der israelischen Regierung fördern, aus einer Position der Stärke auf die Palästinenser zuzugehen.

Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/Jerusalem-Entscheidung-Neue-Ziele-ansteuern-3915860.html

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http://www.heise.de/-3915860

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[1] http://www.taz.de/!5464508/
[2] https://www.heise.de/tp/features/Ihr-seid-das-Letzte-Ihr-benehmt-euch-wie-Tiere-3914979.html
[3] http://www.taz.de/!5464508/
[4] http://www.lewitan.de/
[5] http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/30324
[6] https://jungle.world/artikel/2017/47/ueberraschung-vom-kronprinzen

Solidarität statt Boykott

Basisgewerkschaften gegen die BDS-Kampagne – ein Kommentar

Jede Israel-Boykottkampagne kann – nicht nur bei Überlebenden des NS-Terrors – Erinnerungen an die „Kauft nicht beim Juden“-Hetze der Nazis wecken. Die Beteiligung von Deutschen an einer solchen Kampagne ist angesichts der Shoah inakzeptabel. Der folgende Kommentar bietet Einblicke in die gewerkschaftliche Debatte. (GWR-Red.)

„Gewerkschaften stehen heute an vorderster Stelle bei der Verteidigung der Rechte des palästinensischen Volkes auf Selbstbestimmung, Gerechtigkeit und Freiheit“, heißt in einem Aufruf, in dem Gewerkschaften aus aller Welt dazu aufgerufen werden, Israel zu boykottieren. Sieben der 340 im Internationalen Gewerkschaftsbund (IGB) zusammengeschlossenen Organisationen haben diesen Aufruf der BDS-Bewegung, wie die Boykottbewegung international abgekürzt wird, unterstützt. „Das sind etwas mehr als zwei Prozent, aber bezogen auf die Mitgliederzahl vertreten diese sieben Verbände 12,5 Millionen der 182 Millionen IGB- Mitglieder“, schreibt der Journalist Martin Hauptmann in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung. 2017 haben sich die tunesische UGTT und die norwegische LO der Israel-Boykottkampagne angeschlossen. Der DGB lehnt die Boykottforderung strikt ab und verweist auf die enge Kooperation mit dem israelischen Gewerkschaftsverband Histadrut. Diskutiert wird die Frage des Israelboykotts jedoch von kleinen Gewerkschaften.
Vor kurzem veranstaltete die anarchosyndikalistische Freie ArbeiterInnen Union (FAU) Berlin eine Diskussion zum Thema „Gewerkschaftliche Solidarität statt Boykott“. Die Aktivistin Detlef Georgia Schulze sieht in der Forderung nach einem Boykott Israels keine Perspektive für eine Überwindung von Nationalismus, Klassen- und Geschlechterwidersprüchen. Die BDS-Bewegung positioniere sich im Kampf zweier nationaler Bewegungen auf einer Seite. Das sei nicht die Aufgabe von Gewerkschaften, betonte Schulze mit Verweis auf Grundsatztexte der Boykottkampagne. So sei auffällig, dass es dort keine Kritik an der gewerkschaftsfeindlichen Politik der Hamas gebe. Der israelische Gewerkschaftsbund Histadrut hingegen werde von der BDS als Teil des israelischen Staates bezeichnet und heftig angegriffen. Marc Richter ist aktiv in der Bremer Sektion der Basisgewerkschaft IWW. Auch er formulierte auf der Veranstaltung eine Kritik an der BDS-Kampagne aus gewerkschaftlicher Perspektive. „Diese Kampagne stärkt auf keinen Fall den solidarischen Kampf der ArbeiterInnenklasse überall auf der Welt, sondern begünstigt eine Entsolidarisierung und unnötige Spaltung in der Arbeiterbewegung“. Über diese Frage habe es innerhalb der IWW heftige Diskussionen gegeben, erklärte Richter. Als Alternative zu einem Boykott solle die Ko operation mit gewerkschaftlichen Organisationen in der Region gesucht werden, die Lohnabhängige unabhängig von der Nationalität organisieren. Bereits vor 20 Jahren organisierte die AK Internationalismus der IG Metall in Berlin Veranstaltungen mit Initiativen, in denen palästinensische und israelische ArbeiterInnen kooperierten. Dass eine solche Kooperation heute schwieriger ist, liegt nicht in erster Line an der Politik Israels. So ist der Druck auf Basisgewerkschaften sowohl im Gaza als auch in der Westbank groß. Ein aktuelles Beispiel für Solidarität statt Boykott kommt vom israelischen Dachverband Histadrut, der in seiner politischen Ausrichtung mit dem DGB verglichen werden kann. Die Histadrut hat ein Abkommen mit dem palästinensischen Gewerkschaftsbund PGFTU geschlossen. Seitdem überweist der is raelische Gewerkschaftsbund 50% der Mitgliedsbeiträge von PalästinenserInnen, die legal in Israel arbeiten, an die PGFTU. „Das geschieht aus Solidarität, um die palästinensischen Gewerkschaften zu stärken und unabhängig zu machen“, erklärte Avital Shapira-Shabirow, die beim Histadrut-Vorstand für internationale Beziehungen zuständig ist, in einem Interview in der Konkret. Maya Peretz von der linken israelischen Gewerkschaft Koach La‘Ovdim, die die Histadrut in vielen Punkten kritisiert, ist sich in dieser Frage mit ihr einig. Die BDS-Kampagne trägt zur Spaltung der ArbeiterInnenklasse bei. Für BasisgewerkschafterInnen müsste daher klar sein, dass sie nicht Teil der BDS- Kampagne sein sollen. Das gilt auch unabhängig davon, wie man sonst zu dieser Kampagne steht. Ich halte es für falsch, die BDS-Kampagne, an der sich in vielen Ländern der Welt sehr unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Motiven beteiligen, pauschal als antisemitisch zu bezeichnen. Ich will aber klarstellen, dass sie für den gewerkschaftlichen Kampf kontraproduktiv ist. Das Prinzip gewerkschaftlicher Kämpfe soll die transnationale Solidarität aller Lohnabhängigen sein und bleiben.

aus: graswurzelrevolution dezember 2017/424

http://www.graswurzel.net/424/bds.php

Peter Nowak

Die Jour Fixe Initiative entlarvt Antikommunismus und Antisemitismus

Erst kürzlich hat die rechtskonservative polnische Regierung die Umbenennung zahlreicher Straßen und Plätze beschlossen. Darunter solche, die Namen jüdischer Widerstandskämpfer tragen, die von den Nazis ermordet wurden. Die öffentliche Erinnerung an sie soll ausgelöscht werden, weil sie KommunistInnen waren. Aber nicht nur in Polen gehört der Antikommunismus bis heute zur wirkungsmächtigen Ideologie. Antikommunismus gab es lange vor der Oktoberrevolution von 1917. Und er hat auch das Ende der Sowjetunion überdauert.

Einen soliden theoretischen Einblick in die unterschiedlichen Aspekte der antikommunistischen Ideologie liefert ein von der Jour Fixe Initiative Berlin herausgegebenes Buch. Seit Jahren widmet sich dieser Kreis mit Veranstaltungen und Buchveröffentlichungen der Weiterentwicklung linker Theorie. Diesem Anspruch wird auch das neue Buch gerecht.

Im ersten Aufsatz begründen Elfriede Müller, Margot Kampmann und Krunoslav Stojakovic, wieso das Ende der Sowjetunion und der anderen nominalsozialistischen Staaten eine neue Welle des Antikommunismus ausgelöst hat und überwunden geglaubte totalitarismustheoretische Konzepte wieder aus den Schubläden geholt wurden. Die Autoren und Autorinnen sehen in der neoliberalen Ideologie einen Antikommunismus, der leugnet, dass es eine Gesellschaft gibt. Doch ihr Aufsatz endet optimistisch: »Darum ist es wichtiger denn je, die Idee des Kommunismus mit konkretem Inhalt zu füllen: als Versprechen einer Zukunft, für die es sich zu leben und zu kämpfen lohnt«.

Michael Koltan zeigt auf, dass Liberalismus historisch immer mit Antikommunismus, nicht aber mit Freiheit verknüpft war. Er begründet das mit einem historischen Exkurs, der ins Frankreich des 19. Jahrhunderts führt, wo der liberale Politiker Francois Guizot federführend an der Niederschlagung des Lyoner Weberaufstandes und einige Jahrzehnte später der Pariser Kommune beteiligt war. Marx hat ihn im Kommunistischen Manifest namentlich als einen derjenigen erwähnt, die das Gespenst des Kommunismus jagen.

Michael Brie beschäftigt sich mit der Philosophie von Thomas Hobbes. Dessen Held war der Besitzbürger, der sein Eigentum verteidigt. Im Gegensatz dazu benennt Brie die frühsozialistische Bewegung der Digger, die sich für ein Kollektiveigentum an Land und Boden einsetzten und massiver staatlicher Verfolgung ausgesetzt waren.

Klaus Holz befasst sich mit der unheilvollen Symbiose Antisemitismus und Antikommunismus in der NS-Ideologie. Er verweist zudem auf die Versuche des Theologen Adolf Stoecker, der schon in den 1870er Jahren eine antisemitische Partei mit Anhang unter den Arbeitern zu gründen versuchte. Die Berliner Sozialdemokratie sorgte dafür, dass dieses Projekt scheiterte. Holz geht auch auf den Konflikt zwischen Stoecker und dem ebenfalls antisemitischen Historiker Heinrich von Treitschke ein, ein Nationalliberaler, der im Gegensatz zu Stoecker kein Interesse daran hatte, die Arbeiterschichten in seine Auseinandersetzung mit den Juden einzubeziehen. Doch gerade die Gruppe um Stoecker wurde zum Vorbild für die völkische Bewegung, zu der die NSDAP gehörte. Am Schluss seines Aufsatzes geht Holz auf die aktuellen rechtspopulistischen Strömungen ein, die sich als Verteidiger Israels im Kampf gegen den Islam aufspielen und trotzdem weiterhin zentrale Elemente des historischen Antisemitismus tradieren. »Der Rechtspopulismus nutzt das herkömmliche Arsenal, d. h. er kritisiert den Wirtschaftsliberalismus nicht, sondern nutzt ihn nur als Beleg für seine antiliberalen Feindbilder: Universalismus, Individualismus, Antinationalismus.«

Im letzten Kapitel widmet sich der Sozialwissenschaftler Enzo Traverso differenziert dem Stalinismus, der mehr war als eine bloße Negierung der Ideen der Oktoberrevolution. Ähnlich wie Napoleon Elemente der Französischen Revolution übernommen hat, führte Stalin Zeichen und Symbole der Revolution fort, ihres Inhalts jedoch beraubt. Die Nomenklatura rekrutierte sich aus ehemaligen Bauern und Arbeitern, die durch die Revolution in diese Position kamen. Traverso würdigt die Rolle der Kommunisten für den antikolonialen Kampf, der ihnen bei vielen Menschen des Trikonts hohe Anerkennung einbrachte. Wie alle Autoren dieses Buches erteilt auch er allen autoritären Sozialismusmodellen eine Absage. Die Perspektive erblickt er in Modellen des Anarchismus und der dezentralen Organisierung der I. Internationale.


• Jour Fixe Initiative (Hg.): Anti!Kommunismus. Struktur einer Ideologie.
Edition Assemblage, 135 S., br., 12,80 €.

https://www.neues-deutschland.de/artikel/1071193.buecher-zum-verschenken-unheilvolle-symbiose.htm

Peter Nowak

5 Minuten AfD live – 90 Minuten AfD light

Wie man den AfD-Wählern im öffentlich-rechtlichen Programm nach dem Mund redet. Ein Kommentar

„Was hat die AfD richtig gemacht und die anderen Parteien nicht?“ und „Warum konnte die AfD punkten?“: Das waren nicht etwa Fragen, mit denen der Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer der AfD die Stichworte für ihre Selbstdarstellung lieferte. Nein, es war die Deutschlandfunkredakteurin Thekla Jahn, die in der Sendung „Länderzeit“ unter dem Motto „Die Bundesländer und die AfD“[1] der AfD-Politikerin Christina Baum[2] symbolisch den roten Teppich auslegte.

Nicht der Ansatz einer kritischen Frage war der Journalistin eingefallen. Thekla Jahn verzichtete auch darauf, Christina Baum politisch einzuordnen. Es war dann immerhin der CDU-Landtagsabgeordnete von Baden Württemberg Winfried Mack[3], der darin erinnerte, dass Baum zum äußerst rechten Flügel der AfD gehört[4] und bei der kurzzeitigen Spaltung der Landtagsfraktion in Baden Württemberg den antisemitischen Abgeordneten Wolfgang Gedeon[5] unterstützte.

Mack wandte sich immerhin verbal gegen einen Rechtsruck der CDU, blieb aber nebulös. Die Union müsse auch in der Flüchtlingsfrage „bei sich bleiben“. Auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby[6] wandte sich dagegen, die Wähler am rechten Rand aufzusammeln.

„Dem Volk“ nach dem Mund geredet

Doch kaum hatte der erste Hörer im Ton der AfD polemisiert, dass er unter den Migranten keine Fachkräfte getroffen habe, schon sprach Winfried Mack davon, dass man die Menschen Ernst nehmen müsse und meinte nicht die Migranten, sondern die Wähler. Sie werden kein Verständnis haben, wenn wir den Familiennachzug ausweiten, redete er dem Hörer nach dem Mund und erinnerte nicht daran, dass Menschenrechte nicht nur für Fachkräfte gelten.

Weder Mack noch Diaby hinterfragten die Anmaßung des Hörers, für „die Menschen“ zu sprechen. Mack, der eben noch sein christliches Menschenbild betont hat, ersparte sich auch jedes kritische Wort, als der Hörer sagte, auch Christen müssen nicht alle aufnehmen. Schon hatte sich ein bekennender AfD-Wähler zu Wort gemeldet, der sich darüber echauffierte, dass junge Migranten bei Fahrscheinkontrollen in der U-und S-Bahn übersehen würden, weil die Kontrolleure kein Messer im Bauch haben wollen.

Auch hier fragte niemand kritisch nach und erinnerte daran, dass Menschen, die nicht „biodeutsch aussehen“, besonders häufig und besonders rabiat kontrolliert werden. Im Gegenteil, sprach der CDU-Politiker dem Hörer nach dem Mund, der Verständnis dafür äußerte, dass jemand AfD wählt, wenn er so etwas erlebt.

Im Anschluss konnte wieder die Moderatorin deutlich machen, wie viel Verständnis sie für die Thesen der AfD aufzubringen vermag. Die Parteien hätten sich von der Bevölkerung entfernt, übernahm sie völlig kritiklos die Thesen der rechten Szene. Prompt rief erneut ein Hörer an, der lamentierte, die Politiker würden die Bevölkerung nicht verstehen. Niemand wagte nachzufragen, welche Politiker und welcher Teil der Bevölkerung denn gemeint seien.

Dann zählte der Hörer eine ganze Reihe sozialer Fragen auf, die angeblich der Bevölkerung in Deutschland unter den Nägel brennen. Da geht es um die Altersarmut, um den Ärztemangel und den schlechten Zustand der Straßen. Das sind ja sicherlich berechtigte Kritikpunkte. Doch keiner der Gesprächspartner, auch nicht der Politikwissenschaftler Alexander Hensel vom Göttinger Institut für Demokratieforschung[7] kam auf die naheliegende Frage, wieso jemand, der diese sozialen Missstände beklagt, auf die Idee verfalle, die wirtschaftsliberale AfD zu wählen.

Das Wort Rassismus wurde nicht erwähnt

Dann hätte vielleicht einmal erwähnt werden können, dass es an den rassistischen Erklärungsansätzen liegt, welche Migranten für die unterschiedlichen soziale Probleme verantwortlich machen. Dann hätte man vielleicht auch den Gedanken zulassen können, dass das Gerede von neuen Tönen, welche die Politiker finden müssen, wenn sie von der Bevölkerung verstanden werden sollen, nichts anderes bedeutet, als dass jetzt alle den rechten Sound nachmachen sollen.

Wenn die Politiker aller Parteien nur in den Migranten das Problem sehen, werden die maroden Schulen und Straßen nicht besser, aber die deutsche Volksgemeinschaft ist zu sich selber gekommen. Nachdem der fünfte Hörer über angebliche Privilegien für Migranten schwadronierte, wandte Mack immerhin ein, dass man nicht alle Fragen der Politik unter der Prämisse der Flüchtlingspolitik diskutieren könne.

Doch dieser Einwand verpuffte und wurde von keinem Mitdiskutanten aufgegriffen. Auch nicht von dem Hörer, der sich als Angehöriger der jungen Generation vorstellte und vor einigen Monaten in die SPD eingetreten ist. Ihn störte an Merkel, dass sie moderne Atomkraftwerke in Deutschland abgeschaltet und zeitweise die Grenzen geöffnet habe.

Karamba Diaby verzichtete darauf, den jungen Genossen darauf hinzuweisen, dass er mit seiner Merkel-Kritik eigentlich im Widerspruch zum SPD-Programm steht. Allerdings vergaß er nicht, das Neu-SPD-Mitglied auf die Einsteigerkonferenz seiner Partei hinzuweisen.

Nachdem alle noch einmal beteuert hatten, dass man nun dem Wähler besser zuhören und ihn verstehen bzw. auf Augenhöhe begegnen müsse, war die Sendung auch schon beendet. Als Fazit kann gelten, auch wenn die AfD-Politikerin Baum nur knapp 5 Minuten interviewt wurde, dass im Deutschlandfunk insgesamt 90 Minuten AfD-light geboten wurde. So lang dauerte die Sendung nämlich, in der nicht einmal das Wort Rassismus und Antisemitismus fiel.

Kritische Nachfragen – Fehlanzeige

Nicht einmal wurde kritisch nachgefragt, als die Hörerinnen und Hörer, die angerufen haben, Thesen vortrugen, die nicht nur, aber besonders im „Kosmos von Pegida“ und auf rechten Plattformen verbreitet werden. Niemand fragte beispielsweise den Hörer, der sich so vehement über jugendliche Migranten echauffierte, die bei der Ticketkontrolle übersehen würden, was in diesem Kontext überhaupt die ethnische Unterscheidung für einen Sinn macht.

Woher konnte der Hörer wissen, ob es sich um deutsche Staatsbürger handelt oder nicht? Hat vielleicht einfach eine geschlossene Gruppe junger Menschen, die Kontrolleure veranlasst, an ihnen vorbei zu gehen, völlig unabhängig welcher ethnischen Gruppe diese angeblich angehörten? Ein Waggon voll „biodeutscher“ Fußballfans wird von Kontrolleuern auch gerne mal übersehen.

Wäre ein solches Verhalten nicht aus verschiedenen Gründen gar zu loben? Einmal ersparen sich die schlecht bezahlten Kontrolleure selber Stress und sie ersparen auch der Gruppe, die von ihrem Recht auf Mobilität Gebrauch machte, Scherereien. Denn schließlich gibt es zahlreiche Berichte über besonders robuste Behandlung von renitenten Fahrgästen, wenn sie nicht besonders „biodeutsch“ aussehen, sobald Sicherheitskräfte und Wachdienst eingeschaltet sind.

Und schließlich hatten auch alle übrigen Fahrgäste einen Gewinn vom sehr rationalen Verhalten der Kontrolleure, weil sie sonst womöglich für längere Zeit am Bahnhof festgesessen hätten. Zugausfälle bzw. Zugverspätungen wegen Polizeieinsätzen im Bahnhof gehören nicht nur im Berliner Nahverkehr zum Alltag. Doch für solche unaufgeregten rationalen Überlegungen war in der Deutschlandfunksendung kein Raum.

Weder die Moderatorin, die bereits mit ihrer Fragestellung den AFD-Diskurs zur Grundlage nahm, noch die Gesprächspartner oder die zu Wort gekommenen Hörer und Hörerinnen, durchbrachen das Lamento von den unverstandenen Wählern, denen man jetzt mal zuhören müsse. Schon gar nicht wurden die vertretenen Thesen inhaltlich kritisiert. Nun könnte man denken, da ist halt mal eine Sendung schlecht gelaufen. Doch es handelte sich hier nicht um eine Ausnahme.

Früher nannte man es akzeptierende Jugendarbeit

Vor einigen Wochen gab der Politikwissenschaftler Clemens Heni[8] unter dem Titel Eine Alternative zu Deutschland[9] eine Sammlung von Aufsätzen heraus, mit denen der Autor die deutschen Zustände sehr gut beschreibt. Dabei leistet er auch immer wieder eine gute Medienanalyse:

Es geht um die Wählerinnen und Wähler, die man endlich ernst nehmen muss. … Deren Rassismus, Hass und Ressentiments werden einfach nicht ernst genommen… Früher nannte man das „akzeptierende Jugendarbeit“, man holte die Rechten da ab, wo sie standen und brachte ihnen Kuchen mit. Protestwahl ist das typische Wort, das jetzt wieder alle anführen, ohne einmal zu schauen, wie viel Rassismus, Lust auf den Schießbefehl, stolzdeutscher Nationalismus, Antifeminismus, …. in den AfD-Wählerinnen und -wählern wirklich stecken.

Clemens Heni
Diese Zeilen hat Heni lange vor der Deutschlandfunk-Sendung verfasst, doch besser hätte sie nicht beschrieben werden können.

Peter Nowak

https://www.heise.de/tp/features/5-Minuten-AfD-live-90-Minuten-AfD-light-3877641.html

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Links in diesem Artikel:
[1] http://www.deutschlandfunk.de/einfach-weiter-so-die-bundeslaender-und-die-afd.1771.de.html?dram:article_id=399199
[2] http://baum.afd-fraktion-bw.de/
[3] http://www.winfried-mack.de/
[4] http://www.derfluegel.de/2015/03/14/die-erfurter-resolution-wortlaut-und-erstunterzeichner/
[5] http://www.wolfgang-gedeon.de/
[6] http://www.karamba-diaby.de/
[7] http://www.demokratie-goettingen.de/mitarbeiter/alexander-hensel
[8] http://www.clemensheni.net/
[9] http://www.clemensheni.net/allgemein/clemens-heni-eine-alternative-zu-deutschland-essays/